Sabiha Gökçen

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Sabiha Gökçen (Mitte, in Uniform) 1938 zusammen mit Hans-Joachim Herrmann (Links)

Sabiha Gökçen (* 22. März 1913 in Bursa; † 22. März 2001 in Ankara) war eine der ersten türkischen Pilotinnen und die erste Kampfpilotin der Welt.[1] Sie war eines von acht Adoptivkindern Mustafa Kemal Atatürks.

Leben

Gökçen wurde als Tochter des Vilayet-Hauptschreibers Hafız Mustafa İzzet geboren, der von Sultan Abdülhamid II. ins Exil geschickt worden war. Sabiha verlor ihren Vater während der Grundschulzeit, konnte jedoch aufgrund einer Unterstützung durch ihre Geschwister die Ausbildung fortführen.

Im Alter von zwölf Jahren traf sie in Bursa erstmals auf Atatürk.[2] Sie erzählte ihm, dass sie eine höhere Schule besuchen wolle. Nachdem Atatürk von ihren elenden Lebensumständen erfahren hatte, adoptierte er sie und ermöglichte ihr den Besuch der Çankaya-Grundschule in Ankara und später des Üsküdar-Mädchenkollegiums in Istanbul.

Atatürk gab ihr am 19. Dezember 1934 den Nachnamen „Gökçen“, was auf Türkisch „himmelsbezogen“ bedeutet.[2] Sie war kurze Zeit mit einem Luftwaffenmajor verheiratet, der 1943 starb.[2]

Umstrittene Abstammung

Im Februar 2004 veröffentlichte der Journalist Hrant Dink einen mit Dokumenten belegten Artikel in der armenischen Wochenzeitung der Türkei „AGOS“ mit dem Titel „Das Geheimnis von Sabiha Hatun“. Eine ehemalige Bewohnerin der Stadt Gaziantep, Hripsime Sebilciyan Gazalyan, gab an, Gökçens Nichte zu sein, und implizierte somit eine armenische Abstammung. Sie sagte, dass Gökçen ihre Familie 1915 beim Völkermord an den Armeniern verloren habe, daraufhin nach Urfa in ein Waisenhaus gegeben und anschließend von Atatürk adoptiert worden sei.[3][4][5][6] Die Adoptivtochter Atatürks, Ülkü Adatepe (1932–2012), bestritt diese Behauptung.[7][8] Laut Adatepe war Sabihas Mutter, Hayriye Hanım, eine ethnische Bosniakin.[9] Die bloße Vorstellung, dass Gökçen eine Armenierin gewesen sein kann, sorgte für großen Aufruhr in der Türkei und führte zu rassistischen öffentlichen Erklärungen.[10]

Wirken

Pilotinnenkarriere

1935 begann ihre Pilotenausbildung an der türkischen Zivilflugschule in Ankara. Am Ende ihrer Flugausbildung wurde sie zusammen mit sieben männlichen Flugzeugführern zur Weiterbildung in die Sowjetunion beordert.[2] 1936 absolvierte sie ihren ersten Soloflug.[2] 1936 trat sie der türkischen Luftwaffe in der Militärflugschule Eskişehir bei, wo sie zur Militärpilotin ausgebildet wurde. Zu ihrer militärischen fliegerischen Ausbildung gehörte auch das Fallschirmspringen, war doch zur damaligen Zeit, in der Flugzeuge noch keine Schleudersitze hatten, der Absprung mit dem Fallschirm die einzige Möglichkeit, sich aus einer abstürzenden Maschine zu retten.

Ihre ersten Einsätze flog Gökçen im Sommer 1937 und Frühjahr 1938 während der Niederschlagung des Dersim-Aufstandes. Dabei unterstützte sie den Vormarsch der türkischen Bodentruppen, indem sie die Stellungen der Kurden bombardierte.[11][12]

Im Juli 1938 besuchte sie mit einem werbewirksamen Flug die Hauptstädte der Balkanstaaten.[13]

In Atatürks handschriftlichem Testament von 1938 erhielt Sabiha Gökçen 600 türkische Lira aus den Dividenden der von Atatürk gehaltenen Aktien im Gesamtwert von 2800 türkischen Lira. Zusätzlich bekam sie so viel Geld zugeteilt, dass sie sich ein Haus kaufen konnte.

Im Jahre 1951 nahm sie auch am Korea-Krieg teil. Sie war Mitglied des 1. Luftwaffenregiments in Eskişehir. Für besondere Tapferkeit, die sie bei ihren zahlreichen Einsätzen immer wieder unter Beweis stellte, wurde ihr der höchste Fliegerorden verliehen, und sie wurde in den Rang eines Majors befördert.

Gökçen hatte die Leitung der Kampfpilotenausbildung der türkischen Luftwaffe inne. Sie beendete ihren aktiven Militärflugdienst 1955 und widmete sich danach ganz der Pilotenausbildung in ihrem Beruf. Danach flog sie bis 1964 in einer Kunstflugstaffel, in der sie ihre außergewöhnlichen fliegerischen Fähigkeiten demonstrierte. Insgesamt 22 verschiedene Flugzeugtypen, sowohl Propellermaschinen als auch Jets, flog Sabiha Gökçen im Laufe ihrer Fliegerkarriere.

Politisches Wirken

Ihr gesamtes Erwachsenenleben wirkte Gökçen für den Kemalismus. Nach Atatürks Tod schrieb sie Gedichte zu seinen Ehren und verfasste eine Autobiographie. Noch am Ende ihres Lebens sprach sie sich gegen den politischen Islam aus.[2]

Rezeption

Noch zu ihren Lebzeiten im Januar 2001 wurde der zweite Istanbuler Flughafen im kleinasiatischen Teil der Stadt nach ihr benannt.[2]

Die Ausbildung von Gökçen zur Militärpilotin diente mehreren Symbolfunktionen. Einerseits repräsentiert sie das Lehrmuster einer modernen türkischen Frau, der jede Berufswahl offenstand.[14] Andererseits wurde sie in ihrer Fortschrittlichkeit besonders für ethnisch-türkische Frauen zur Integrationsfigur in der noch jungen türkischen Republik.[15] Als Vertreterin der Mehrheitsethnie und der wohlhabenden Oberschicht wird in der Forschung heute aber auch ihre Rolle als Instrument der Unterdrückung von Minderheiten, insbesondere Kurden, erwähnt.[14] Hans-Lukas Kieser hebt daher die Fragwürdigkeit des „Mythos Sabiha Gökçen“ hervor. Als „moderne“ Türkin hat Sabiha Gökçen Bomben auf alevitische Kurden abgeworfen und die türkische Frau im Allgemeinen als Tochter einer soldatischen Nation verstanden.[16]

Literatur

  • Andrew Mango: Atatürk. The Biography of the Founder of Modern Turkey The Overlook Press; Woodstock & New York 2002; ISBN 1-58567-334-X
  • Peter Steinmüller: Die brave Tochter des "Vaters der Türken", in: VDI nachrichten 12–13/21 vom 26. März 2021, S. 27

Weblinks

Commons: Sabiha Gökçen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Sabiha Gokcen biography Sabiha Gökçens Biografie, Hargrave Pioneers of Aviation (englisch)
  • Eagle Biography Sabiha Gökçen Sabiha Gökçens Biografie, US Air University, Maxwell-Gunter Air Force Base Montgomery, Alabama (englisch)
  • NTV Atatürk’ün manevi kızı yaşamını yitirdi (Atatürks Adoptivtochter ist tot), Sabiha Gökçens Biografie und Stellungnahme einiger türkischer Politiker anlässlich ihres Todes (türkisch)

Videos

  • Ali Akyüz: Sabiha Gökçen – Göklerin Efsanevi Kızı / The Legendary Girl Of The Skies. Cinema Guild, New York, NY 2003, ISBN 0-7815-1084-8 (DVD/VHS).

Einzelnachweise

  1. Die erste türkische Pilotin, die eine Fluglizenz erhielt, war 1933 Bedriye Tahir Gökmen (GND 1170170226).
  2. a b c d e f g Pelin Turgut: Sabiha Gokcen. In: The Independent. 24. März 2001, S. 7.
  3. Robert Mahoney: Bad Blood in Turkey – Nationalist lawyers take aim as an Armenian-Turkish editor treads on sensitive topics (PDF; 242 kB), Committee to Protect Journalists, 2006. Abgerufen am 8. Mai 2013
  4. Hrant Dink: „Sabiha Hatun’un Sırrı“, Agos (6. Februar 2004)
  5. „Sabiha Gökçen or Hatun Sebilciyan?“ (in englischer Sprache), Hürriyet, 21. Februar 2004. Abgerufen am 31. Januar 2012
  6. Ersin Kalkan: „Sabiha Gökçen mi Hatun Sebilciyan mı?“ (in türkischer Sprache), Hürriyet, 21. Februar 2004. Abgerufen am 31. Januar 2012
  7. Hüseyin Tekin: „Sabiha Gökçen tartışmasında kim ne yazdı“ (in türkischer Sprache), Hürriyet, 28. Februar 2004. Abgerufen am 31. Januar 2012
  8. Tabitha Morgan: „Turkish heroine’s roots spark row“ (in englischer Sprache), BBC News, 29. Februar 2004. Abgerufen am 31. Januar 2012
  9. Mutlu Koser: „İşte soyağacı“ (in türkischer Sprache), Hürriyet, 23. Februar 2004. Abgerufen am 31. Januar 2012
  10. Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor: „2004 Country Report on Human Rights Practices in Turkey“. „Country Reports on Human Rights Practices“. „US State Department“, 28. Februar 2005. Abgerufen am 25. Juli 2008. "In February, the Hurriyet newspaper’s publication of a report that Sabiha Gokcen--an adopted daughter of Mustafa Kemal Ataturk, who was the country’s first female pilot--was of Armenian descent drew a number of racist public statements. The Turkish General Staff issued a statement criticizing the reports on Gokcen’s Armenian ancestry as „a claim that abuses national values and feelings“ while the Turkish Air Association called the report „an insult“ to Gokcen and to Ataturk."
  11. Chris Kutschera: Le Mouvement National Kurde. Flammarion, Paris 1979, S. 125.
  12. Hans-Lukas Kieser: Verlierer der postosmanischen Ordnung. S. 400, in: Dominik J. Schaller, Rupen Boyadjian, Vivianne Berg, Hanno Schultz (Hrsg.): Enteignet. Vertrieben. Ermordet. Beiträge zur Genozidforschung. Chronos Verlag, Zürich 2004, ISBN 3-0340-0642-X
  13. Gary Leiser: The Turkish Air Force, 1939–1945: The Rise of a Minor Power. In: Middle Eastern Studies. Band 26, Nr. 3, Juli 1990, S. 383–395, S. 383, JSTOR:4283380.
  14. a b Robert Olson: The Kurdish Rebellions of Sheikh Said (1925), Mt. Ararat (1930), and Dersim (1937–1938): Their Impact on the Development of the Turkish Air Force and on Kurdish and Turkish Nationalism. In: Die Welt des Islams, New Series. Band 40, Nr. 1, März 2000, S. 67–94, S. 90, JSTOR:1571104.
  15. Robert Olson: The Kurdish Rebellions of Sheikh Said (1925), Mt. Ararat (1930), and Dersim (1937-8): Their Impact on the Development of the Turkish Air Force and on Kurdish and Turkish Nationalism. In: Die Welt des Islams, New Series. Band 40, Nr. 1, März 2000, S. 67–94, S. 91, JSTOR:1571104.
  16. Hans-Lukas Kieser: Rezension von A. Altinay: The Myth of the Military-Nation, H-Soz-u-Kult von 2006.