Netzgrafik
Netzgrafik (auch Linientaktkarte,[1] Liniennetzkarte,[2] ITF-Graph oder Routengrafik[3]) wird eine graphenförmige Darstellungsform von Taktfahrplänen genannt. In ihr werden Linien und Knotenpunkte eines Streckennetzes mit ihren fahrplanmäßigen Zeiten dargestellt.[4] Sie sind geeignet, starre Taktfahrpläne eines Streckennetzes wiederzugeben.[5]
Geschichte
Die Netzgrafik entstand aus einer Kombination aus Liniennetzplan, wie er meist im Stadt- und Nahverkehr benutzt wird, und Bildfahrplan, wie er bei der Fahrplanung im Eisenbahnwesen angewendet wird. Während Ersterer den Verlauf der Linien und teilweise die Takte im gesamten Netz übersichtlich wiedergibt, bildet Letzterer den zeitlichen Verlauf auf einem begrenzten Netzteil (meist eine einzelne Strecke) zeitlich exakt ab.
Ein erster Ansatz hierzu wurde 1855 bei der schweizerischen Post getätigt, als man die Postkutschenverbindung in einer Kurskarte zusammen mit den Ankunfts- und Abfahrtszeiten an wichtigen Stationen und Entfernungsangaben veröffentlichte. Hierbei wurde jede einzelne Verbindung mit einem Strich dargestellt. In heutigen Netzgrafiken werden meist mehrere in regelmäßigen Abständen verkehrende Verbindungen einer Linie durch einen einzelnen Strich dargestellt.[6]
Die Deutsche Bundesbahn legte ihren Kursbüchern von Ende der 1950er[7] bis in die 1990er Jahre Netzgrafiken ihres Fernverkehrsnetzes in Form der Faltblätter „F-Netz in der Brieftasche“, „IC-Netz in der Brieftasche“,[8] „InterCity-Fahrplan“ bzw. „City-Fahrplan ICE/EC/IC“ bei.
Als Instrument der Fahrplanung wurde im deutschsprachigen Raum die Netzgrafik durch die SBB-Fahrplaner Berthouzoz, Meiner und Stähli Anfang der 1970er Jahre für die Entwicklung des 1982 in Betrieb genommenen Schweizer Taktfahrplans eingeführt. Die Darstellungsform hatten sie von der Niederländischen Eisenbahn übernommen, die sie für ihren Taktfahrplan 1970 entwickelt hatten.[9] Als Vorteile dieser Darstellungsform sahen sie die Übersichtlichkeit in komplexen Netzen und die Möglichkeit verschiedene Varianten schnell beurteilen zu können.[10]
Im Jahr 2002 veröffentlichte die Schweizer Eisenbahn-Revue, zum 20. Jubiläum des Schweizer Taktfahrplanes, zum ersten Mal eine Netzgrafik Schweiz als Informationsmaterial für den Fahrgast.[6] Diese wurde von der Firma SMA und Partner mit ihrem Programm Viriato erstellt und wird seitdem regelmäßig aktualisiert in den Zeitschriften des Verlags Minirex veröffentlicht. Ebenso wird diese von den SBB selbst in ihrem Kursbuch veröffentlicht.[11]
Daneben wurden mittlerweile auch von SMA weitere Netzgrafiken wie etwa von der S-Bahn Zürich, der S-Bahn München[12] sowie dem Schienenverkehr in Südnorwegen und Österreich öffentlich zur Verfügung gestellt.[13]
In Deutschland verwendet unter anderem die S-Bahn Rhein-Main in ihrem sogenannten Streckenfahrplan,[14] der Aachener Verkehrsverbund mit seinem sogenannten Taktfahrplan[15] und der Zweckverband Personennahverkehr Westfalen Süd[16] Netzgrafiken zur Fahrgastinformation. Auf den Rückseiten der meisten Faltfahrpläne[17] der S-Bahn RheinNeckar finden sich ein Abdruck des VCD-Fahrplankärtchens.[18]
Darüber hinaus werden Netzgrafiken in der langfristigen Planung von Schienenverkehren durch Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Aufgabenträger des SPNV, sowie in Fachartikeln, insbesondere über das Thema Integraler Taktfahrplan, genutzt.
Seit 2013 veröffentlicht die Bayerische Eisenbahngesellschaft eine jährlich aktualisierte Netzgrafik für den Schienenpersonennahverkehrs in Bayern und für die S-Bahn München.[19]
Das Kompetenzcenter Integraler Taktverkehr NRW gab 2015 in Zusammenarbeit mit SMA+Partner eine Netzgrafik für das Bundesland Nordrhein-Westfalen heraus.[20]
Beschreibung
Die Netzgrafik fügt dem zweidimensionalen Liniennetzplan eine dritte Dimension, die Zeit hinzu. Somit kann in einer Netzgrafik der Taktfahrplan mit kleinen Takten eines Gebietes übersichtlich dargestellt werden.[10] Streng getaktete Systeme können hiermit sogar vollständig abgebildet werden. In den meisten getakteten Netzen gibt es jedoch Abweichungen im Taktgefüge, so dass meist lediglich der Grundtakt dargestellt wird und Abweichungen bzw. Ausnahmen mit Hinweisen vermerkt werden, bzw. als speziell gekennzeichnete Linien eingezeichnet. Insbesondere Anschlüsse, Abhängigkeiten und Symmetrien[21] zwischen den Taktlinien können so übersichtlich dargestellt werden,[22][23] sofern die Abweichungen vom strengen Taktverkehr nicht zu groß werden.[10]
Nachfolgend sei beispielhaft die Gestaltung der von Minirex, SBB und SMA und Partner herausgegebenen Schweizer Netzgrafik. Die Gestaltung anderer Netzgrafiken, Linientaktkarten und Liniennetzkarten weicht teilweise sehr von dieser ab.
- Wichtige Haltestellen werden als Rechtecke, weniger wichtige Haltestellen einzeln oder zusammengefasst als kleine Kreise dargestellt. In der Nähe der wichtigen Haltestellen werden ihre Namen angeschrieben, Namen kleinerer Haltestellen erscheinen nicht. Die Anordnung der Haltestellen geschieht meist topologisch. Teilweise wird von dieser Gestaltung abgewichen, um kreuzungsfreiere Liniendarstellung zu erhalten. So können etwa Trennungsbahnhöfe aufgeteilt werden, um die Übersichtlichkeit zu erhöhen.
- Jede Linie wird als Strich durch alle Haltestellen geführt, die sie durchfährt. In Längsrichtung dieser Striche wird meist die Liniennummer angegeben. Die Form und Farbe des Striches kann dabei Auskunft über Takt und Zuggattung der Linie geben. So wird ein Stundentakt als Volllinie, ein Zweistundentakt als Strichlinie und ein Halbstundentakt als doppelte Volllinie gezeichnet.
- An den wichtigeren Haltestellen sind an den Linienstrichen die jeweiligen Ankunfts- und Abfahrtsminuten an dieser Station angegeben. Diese können durch unterschiedliche Schriftauszeichnungsarten andeuten, ob sie zur geraden, d. h. um 0.xx, 2.xx, 4.xx ... Uhr, oder ungeraden, d. h. um 1.xx, 3.xx, 5.xx ... Uhr, Stunde sind. Je nach Fahrordnung des jeweils dargestellten Gebietes werden die Ankunfts- und Abfahrtszeiten rechts oder links der Linie, leicht versetzt angeordnet. Die Ankunftszeit wird dabei näher, die Abfahrtszeit entfernter vom Knoten dargestellt. Bei Takten, die kleiner als Stundentakt sind, wird meist nur die zur Nullminute nächstgelegenen Zeiten angegeben.
- Besondere betriebliche Verhältnisse können als Symbole in der Netzgrafik verwendet werden. So werden Flügelungen/Vereinigungen so dargestellt, dass sich die beiden Flügellinien im Knoten aus der Hauptlinie heraus trennen. Rund um den Trennpunkt der Linien wird ein Kreis gezeichnet.
- Zusätzlich zu den oben genannten Elementen können weitere Kommentare in der Netzgrafik verzeichnet sein.
Computerprogramme
Die Erstellung von Netzgrafiken erfolgt in der Regel mit Computerprogrammen zur Fahrplanerstellung und -analyse. Unter anderem beinhalten die Programmsysteme FBS,[1] Optitakt[24], RailSys,[2] TAKT[25][26] und Viriato[27][28] die Möglichkeit Netzgrafiken zu erstellen. In diesen Fahrplanungsprogrammen werden die erstellten Fahrpläne automatisch in die Netzgrafiken übertragen. Bei der ebenso angewendeten Erstellung mittels Grafik- und Tabellenkalkulationssoftware müssen diese manuell vom Bearbeiter eingetragen werden.
Abwandlungen
In Anlehnung an die minutengenauen Netzgrafiken werden auch teilweise Taktknoten-Netzgrafiken verwendet. Hierbei werden lediglich die Kantenfahrzeiten in einer Viertelstunden-Genauigkeit angegeben und die Umsteigeknoten durch ihre Knotenzeit gekennzeichnet.
Eine weitere Art der Netzgrafiken sind sogenannte Fahrplankarten. Diese sind ähnlich wie Linienpläne gestaltet und verzeichnen die Fahrzeit sowie den Takt von Linien. Jedoch geben sie meist keine minutengenauen Ankunfts- und Abfahrtszeiten an.[29][30]
Siehe auch
- Liniennetzplan – Grafische Darstellungsform der Linien eines Netzes
- Bildfahrplan – Grafische Darstellungsform des Fahrplans auf einer Strecke
Literatur
- W. Stohler: Eine kleine Geschichte der Netzgrafik. In: Schweizer Eisenbahnrevue. 7/2002, S. 316.
Einzelnachweise
- ↑ a b IRFP:„FBS-Linientaktkarte“ (Memento des Originals vom 21. Juli 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ a b A. Radtke, A Henkel: Bestimmung der Robustheit von Fahrplänen. In: Eisenbahntechnische Rundschau. 10/2012.
- ↑ Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme - ETH Zürich (Hrsg.): Glossar Öffentlicher Verkehr (Memento des Originals vom 2. Juli 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 11. Januar 2014.
- ↑ SMA und Partner: „Netzgrafik - Das Angebot steht im Mittelpunkt“ (Memento des Originals vom 25. Mai 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Steffen Dutsch: Betriebsprozesse und Betriebsplanung im Öffentlichen Verkehr. (Memento vom 2. Februar 2014 im Internet Archive) Vorlesungsunterlagen, 16. Oktober 2012, S. 50, abgerufen am 28. Januar 2014.
- ↑ a b W. Stohler: Eine kleine Geschichte der Netzgrafik. In: Schweizer Eisenbahn-Revue. 7/2002, S. 316.
- ↑ Detlev Hagemann:Das F-Netz in der Brieftasche für den Winter 1957/1958. 23. Januar 2013, abgerufen am 24. Juni 2014.
- ↑ Horst-Werner Dumjahn: Kursbücher, abgerufen am 24. Juni 2014.
- ↑ Berthouzoz, Meiner, Stähli: Taktfahrplan Schweiz. 1972, S. 6, 62.
- ↑ a b c Samuel Stähli: Zur Entwicklung des Taktfahrplans in der Schweiz. In: Aufgaben der Eisenbahn in einem zukünftigen Transportsystem. Universität für Bodenkultur Wien, 1988.
- ↑ Schweizerische Bundesbahnen: Fahrplanfelder - Netzgrafik, abgerufen am 28. Januar 2014.
- ↑ Bayerische Eisenbahngesellschaft: Netzgrafik S-Bahn München 2013, abgerufen am 10. Januar 2014.
- ↑ SMA und Partner:„Netzgrafik - Fahrplan Schweiz 2013 und Zürcher S-Bahn 2013“ (Memento vom 21. Dezember 2012 im Internet Archive)
- ↑ DB Regio Region Hessen:Streckenfahrplan S-Bahn Rhein-Main 2010/2011 (Memento vom 4. November 2014 im Internet Archive) (PDF; 216 kB)
- ↑ Euregiobahn:Taktfahrplan Bahn, abgerufen am 4. November 2014.
- ↑ ZWS (Hrsg.): Taktfahrplan 2015, abgerufen am 18. April 2015.
- ↑ S-Bahn RheinNeckar: Fahrpläne-Download
- ↑ VCD Regionalverband Rhein-Neckar: VCD-Fahrplankärtchen
- ↑ Bayerische Eisenbahngesellschaft:Verkehrsplanung, abgerufen am 10. Januar 2014.
- ↑ KC ITF NRW (Hrsg.): Netzgrafik NRW 2015, abgerufen am 7. Februar 2015.
- ↑ George Rey, Werner Stohler: Schweizer Taktfahrplan und Netzgrafik 2014. In: Eisenbahn-Revue International. 1/2014, S. 24–26.
- ↑ J. Janick: Systemwissen Eisenbahn. Bahnfachverlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-9808002-6-6, Kapitel 5.3.3 Fahrplan und Fahrplanerstellung.
- ↑ Netzgrafik der Fahrplan für Kenner. In: Neue Zürcher Zeitung. 27. Dezember 2008, abgerufen am 11. Januar 2014.
- ↑ Wolfgang Hesse, Michael Guckert: Optitakt. (PDF) Archiviert vom Original am 4. März 2016; abgerufen am 24. Juni 2014 (Präsentation auf der Cebit 2002).
- ↑ Michael Kümmling, Peter Großmann, Karl Nachtigall, Jens Opitz, Reyk Weiß:„The State-of-the-art Realization of Automatic Railway Timetable Computation“, in Proceedings of the 3rd International Conference on Models and Technologies for Intelligent Transport Systems 2013, Dresden
- ↑ Michael Kümmling, Peter Großmann, Karl Nachtigall, Jens Opitz, Reyk Weiß: A state-of-the-art realization of cyclic railway timetable computation. doi:10.1007/s12469-015-0108-5 (tu-dresden.de [PDF]).
- ↑ SMA und Partner: Funktionalitäten von Viriato: Netzgrafik. Archiviert vom Original am 13. September 2016; abgerufen am 10. Oktober 2016.
- ↑ SMA und Partner: Netzgrafik - Fahrplan Schweiz 2013 und Zürcher S-Bahn 2013. 2013, archiviert vom Original am 21. Dezember 2012; abgerufen am 10. Oktober 2016.
- ↑ Verkehrsclub Deutschland: Fahrplankarten (Memento des Originals vom 16. Juni 2013 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Reinhold Deussner: Die Fahrplankarte - Ein neues Medium im öffentlichen Regionalverkehr. Beiträge zum Symposium Corp '97, 1997, abgerufen am 28. Januar 2014.