Vorklassik

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Als Vorklassik (auch Frühklassik) wird in der Musik der erste Übergang des Kompositionsstils zwischen den Epochen des Barocks und der Wiener Klassik bezeichnet. Er kann zeitlich auf das Musikschaffen von Komponisten um 1720/1730 bis 1770/80 angesetzt werden. Die Bezeichnung ist wissenschaftlich umstritten, basiert sie doch auf einem teleologischen Verständnis von Geschichte in Stufenfolgen und nimmt der bezeichneten Epoche ihre Eigenheit und ihren Eigenwert.

Merkmale des Stilwandels

Die Stil-Merkmale der Vorklassik werden unterschiedlich beschrieben und die gesetzten Epochengrenzen differieren. Oft wird auf das etwa zeitgleiche Rokoko verwiesen, denn auch der neue „galante Stil“ will sich anmutig-leicht vom „barocken Schwulst“ abheben.

Ein Stilbruch zwischen 1720 und 1730 ist durch die Merkmale homophoner Satz, kleingliedrige Melodik, rhythmische Quadratur und langsamer harmonischer Rhythmus gekennzeichnet.[1]

Unabhängig von der konkreten Form wie etwa Ritornell-Prinzip oder rudimentärer Sonatenhauptsatz herrscht ein Konzept vor, in dem der Tonartenverlauf rückläufig organisiert ist: Tonika – Dominante – x – Tonika (in moll statt der Dominante die Tonikaparallele), die thematisch-motivische Entwicklung aber ein Wiederholungsschema ausbildet.[2] Dabei gibt es keine kontinuierliche Entwicklung von moderneren Formen, die auf Lösungen zurückgelassener Formprobleme aufbauen, sondern eine Vielzahl unabhängiger Experimente basierend auf gemeinsamen Formideen und Strukturprinzipien.[3]

Generell wird in der frühen Klassik statt des polyphonen Geflechts selbständiger Stimmen die oben aufliegende Melodie zur hauptsächlichen Trägerin des Ausdrucks. Die lineare Satztechnik wird durch eine vertikale abgelöst, die Harmoniebildung ersetzt den Kontrapunkt.

Komponisten und Zentren

Der Begriff „Vorklassik“ scheint besonders angemessen dem arkadischen Klassizismus in galantem Stil in den Opern ab etwa 1720 von Leonardo Vinci, Giovanni Battista Pergolesi und Johann Adolph Hasse.[4]

Bachs Söhne werden mehrheitlich der Vorklassik zugerechnet. Der junge Mozart erhielt Impulse vom befreundeten Johann Christian Bach. Der dicht polyphone „gelehrte Stil“ (stile grave) wurde durch einen durchsichtig homophonen „galanten Stil“ (stile galante) abgelöst. Johann Sebastian Bach selbst wird nicht dem galanten Sil zugeordnet. Die Bezeichnung „Galanterien“ auf einem Titeldruck sollte die Musik als zeitgemäß bewerben.[5] Teilweise wird die Vorklassik als Übergang, teilweise als eigene Stilrichtung gesehen. So meint die Camerata Köln zur Klaviermusik Carl Philipp Emanuel Bachs (1714–1788): „[…] gemeinhin als Vor- oder Frühklassik bezeichnet, tatsächlich aber eigentlich keine vorbereitende Stufe zum klassischen Stil, sondern eigenständigen Charakter […] mit eigensinnigen musikalischen Gedanken.“ Für Gotthold Ephraim Lessing waren das „musikalische Ungeheuer“.

Die wichtigsten Vertreter der „Wiener Vorklassik“ sind zwei Komponisten, die in Alter und Bedeutung ähnlich sind: Georg Christoph Wagenseil und Georg Matthias Monn, der 1740 die erste viersätzige Sinfonie schrieb.[6] Als weiter in die Zukunft führendes Bindeglied von der Vorklassik zur Klassik – und sogar zur Romantik – wird Antonio Salieri genannt. Der Zeitgenosse Mozarts und Gründer der Wiener Musikfreunde-Gesellschaft war der gefeierte Nachfolger des vorklassischen Opern-Reformers C.W. Gluck.

Die Vorklassiker der Mannheimer Schule können dem Stil der Empfindsamkeit zugerechnet werden. Sie bevorzugen eher den homophonen Satz, eine kontrastierende Gestaltung der musikalischen Einfälle und Themen, die eher symmetrisch angelegt sind, sowie idiomatische Melodiefloskeln. Eine Neuerung ist die „Mannheimer Rakete“, deren Dynamik in einem sich rasch steigernden Crescendo-Ausbruch besteht. Später erhält die im Barock noch starre Terrassendynamik noch weitere Zwischenstufen wie sforzando oder diminuendo.

Außerhalb Deutschlands und Österreichs ist der Zeitraum der allfälligen Vorklassik etwas versetzt, z. B. in Böhmen um ein bis zwei Jahrzehnte. Auch die Pariser Opern von Gluck (1774–1779) werden eher der Vorklassik zugeordnet.

Die bekanntesten Komponisten sind Giovanni Battista Pergolesi, die Söhne von J. S. Bach, Christoph Willibald Gluck, Johann Stamitz, und Leopold Mozart. Ähnliches gilt für die Literatur. Hier geht der Weimarer Klassik der Sturm und Drang und die Frühklassik (1773–1789) voraus.

Der Stilwandel zum „Style galant“ machte auch Antonio Vivaldi bewusst, dass seine Kompositionen an Attraktivität verloren. Deshalb zog er im Alter von 63 Jahren nach Wien, um Unterstützung bei Karl VI., der Ende 1740 starb, zu suchen. Doch war Vivaldi kein Jahr mehr vergönnt: Der einstmals bekannteste Musiker Europas starb 1741 völlig unbeachtet von der Musikwelt und wurde in einem Armengrab beigesetzt. An dieser Stelle, dem jetzigen Hauptgebäude der TU Wien, erinnert eine Gedenktafel an die Berühmtheit, die sich dem neuen Stil verschloss.

Zusammenfassung: Barock (bis 1750) gegen Klassik (1770–1830)

Während das Barock der musikalischen Form mindestens die gleiche Bedeutung zumisst wie dem Inhalt, beginnt die Vorklassik diese Relation aufzulösen. Das konzertante Prinzip (Wetteifern von Stimmen oder Instrumenten) bleibt zwar wichtig, wird aber durch zunehmend originelle Ideen angereichert – was schließlich in der Klassik kulminiert. Die bisherigen Orchestersätze, die im Barock vom Generalbass dominiert waren, weichen einer dem Melodieverlauf näheren Harmonik.

Von den im Barock bevorzugten musikalischen Formen – wie Passacaglia, Chaconne, Fuge, Sonate, Solokonzert, Suite, Kantate und Passion – verlieren einige an Bedeutung. In der Hochklassik dominieren Streichquartette, Sinfonien und (Solo-)Konzerte, was sich bei der um 1750 gegründeten Mannheimer Schule (Stamitz 1717–1757, Ignaz Holzbauer 1711–1783, F.X. Richter 1709–1789 et al.) und der Wiener Schule schon abzeichnet. Erstere schafft die klassische Form des Sonatensatzes und der Sinfonie, letztere (mit Wagenseil und Monn) betont in der Sonatenform das zweite Thema und die Durchführung, was dann Haydn zur Meisterschaft entwickelt.

In der Wiener Klassik (ca. 1780–1830) wird die strenge Polyphonie des Barock endgültig aufgebrochen, eine Verlagerung vom kirchlichen zum weltlichen Raum findet statt, und die Kontraste nehmen zu: extreme Tempowechsel, Sopran versus Bass, wechselnde Dynamik, überraschende Klangeffekte wie in Haydns „Sinfonie mit dem Paukenschlag“. Die Kompositionen haben einfachere Harmonik und streben nun klare, gefällige Formen an.

Literatur

  • Elisabeth Th. Hilscher-Fritz: Vorklassik. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 5, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2006, ISBN 3-7001-3067-8.
  • Peter Rummenhöller: Die musikalische Vorklassik. Kulturhistorische und musikgeschichtliche Grundrisse zur Musik im 18. Jahrhundert zwischen Barock und Klassik. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München / Bärenreiter, Kassel 1983, ISBN 3-423-04410-1 (dtv) bzw. ISBN 3-7618-4410-7 (Bärenreiter)

Einzelnachweise

  1. Carl Dahlhaus: Einleitung In: Ders. (Hrsg.): Die Musik des 18. Jahrhunderts. (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft. Band 5). Laaber 1985, S. 1–68, hier 2.
  2. Carl Dahlhaus: Einleitung. In: Ders. (Hrsg.): Die Musik des 18. Jahrhunderts. (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft. Band 5). Laaber 1985, S. 1–68, hier 42.
  3. Carl Dahlhaus: Die italienische Instrumentalmusik als Emigrantenkultur. In: Ders. (Hrsg.): Die Musik des 18. Jahrhunderts. (= Neues Handbuch der Musikwissenschaft. Band 5). Laaber 1985, S. 210–216, hier 213.
  4. Daniel Heartz: Pre-Classical In: Stanley Sadie (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians. Reprint in paperback ed. Macmillan Publishers Ltd., London 1995, ISBN 1-56159-174-2, B. 15, S. 206f, hier 206.
  5. Andreas Jacob: Studien zu Kompositionsart und Kompositionsbegriff in Bachs Klavierübungen. (= Beiheft zum Archiv für Musikwissenschaft. Band XL.) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1997, S. 97.
  6. Neal Zaslaw (Hrsg.): The Classical Era. From the 1740s to the end of the 18th Century. Macmillan Press, Houndsmills 1989, S. 384.

Weblinks