Noether-Theorem

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 23. März 2022 um 23:34 Uhr durch imported>Fachwart(879799) (Link (aber nichtrelativistisch müßte erklärt werden).).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Das Noether-Theorem (formuliert 1918 von Emmy Noether) verknüpft elementare physikalische Größen wie Ladung, Energie und Impuls mit geometrischen Eigenschaften, nämlich der Invarianz (Unveränderlichkeit) der Wirkung unter Symmetrietransformationen:

Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie eines physikalischen Systems gehört eine Erhaltungsgröße.

Dabei ist eine Symmetrie eine Transformation (zum Beispiel eine Drehung oder Verschiebung), die das Verhalten des physikalischen Systems nicht ändert. Es gilt auch die Umkehrung:

Jede Erhaltungsgröße ist Generator einer Symmetriegruppe.[1]

Eine Erhaltungsgröße eines Systems von Teilchen ist eine Funktion der Zeit , der Orte und der Geschwindigkeiten der Teilchen, deren Wert sich auf jeder von ihnen im Laufe der Zeit durchlaufenen Bahn nicht ändert. So ist die Energie eines nichtrelativistischen Teilchens der Masse , das sich im Potential bewegt, eine Erhaltungsgröße. Das heißt, für jede Bahn , die der Bewegungsgleichung genügt, gilt zu jeder Zeit :

.

Beispiele für Symmetrien und zugehörige Erhaltungsgrößen

  • Aus der Homogenität der Zeit (Wahl der Startzeit spielt keine Rolle) folgt die Erhaltung der Energie (Energieerhaltungssatz). So bleibt die Energie eines Pendels bei Vernachlässigung von Reibung stets gleich, nicht aber die Energie einer Schaukel, auf der ein Kind durch Heben und Senken seines Körpers die Länge von der Aufhängung bis zum Schwerpunkt zeitlich verändert.
  • Aus der Homogenität des Raums (Wahl des Startortes spielt keine Rolle) ergibt sich die Erhaltung des Impulses (Impulserhaltungssatz). So ist der Impuls eines freien Teilchens konstant, nicht aber der Impuls eines Teilchens im Gravitationsfeld der Sonne; ihr Ort ist für die Bewegung des Teilchens wesentlich. Weil sich ein freies Teilchen der Masse unverändert mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegt, wenn es ein gleichförmig bewegter Beobachter betrachtet, ist der gewichtete Startort, , eine Erhaltungsgröße, . Auf mehrere Teilchen verallgemeinert folgt, dass sich der Schwerpunkt mit gleichförmiger Geschwindigkeit bewegt, wenn die Gesamtkraft verschwindet.
  • Aus der Isotropie des Raums, also der Rotationsinvarianz (Richtung im Raum spielt keine Rolle), ergibt sich die Erhaltung des Drehimpulses (Drehimpulserhaltungssatz). So bleibt der Drehimpuls eines Teilchens im Gravitationsfeld der Sonne erhalten, denn das Gravitationspotential ist in allen Richtungen gleich.

Die Symmetrien, die zur Erhaltung der elektrischen Ladung und anderer Ladungen von Elementarteilchen gehören, betreffen Wellenfunktionen von Elektronen, Quarks und Neutrinos. Jede solche Ladung ist ein lorentzinvarianter Skalar, das heißt, sie hat in allen Bezugssystemen denselben Wert, anders als beispielsweise der Drehimpuls, die Energie oder der Impuls.

Mathematische Formulierung

Wirkung

Der im Noether-Theorem formulierte Zusammenhang von Symmetrien und Erhaltungsgrößen gilt für solche physikalischen Systeme, deren Bewegungs- oder Feldgleichungen aus einem Variationsprinzip abgeleitet werden können. Man verlangt hierbei, dass das sogenannte Wirkungsfunktional einen Extremwert annimmt (siehe auch Prinzip der kleinsten Wirkung).

Bei der Bewegung von Massepunkten ist dieses Wirkungsfunktional durch eine Lagrangefunktion der Zeit , des Ortes und der Geschwindigkeit

charakterisiert und ordnet jeder differenzierbaren Bahnkurve das Zeitintegral

zu. Beispielsweise ist in Newtonscher Physik die Lagrangefunktion eines Teilchens im Potential die Differenz von kinetischer Energie und potentieller Energie :

Die physikalisch tatsächlich durchlaufene Bahn, die zur Anfangszeit durch den Startpunkt und zur Endzeit durch den Endpunkt geht, macht den Wert der Wirkung im Vergleich mit allen anderen (differenzierbaren) Bahnen, die durch denselben Start- bzw. Endpunkt gehen, stationär (oder extremal). Die physikalisch tatsächlich durchlaufene Bahn erfüllt daher die Bewegungsgleichung

(Herleitung siehe Variationsrechnung). Dies entspricht gerade der Newtonschen Bewegungsgleichung

.

Differentialgleichungen, die sich derart aus einem Wirkungsfunktional durch Variation ableiten lassen, nennt man variationell selbstadjungiert. Alle elementaren Feld- und Bewegungsgleichungen der Physik sind variationell selbstadjungiert.

Symmetrie

Man sagt, dass eine Differentialgleichung eine Symmetrie besitzt, wenn es eine Transformation des Raumes der Kurven gibt, die die Lösungen der Differentialgleichungen auf Lösungen abbildet. Für variationell selbstadjungierte Differentialgleichungen erhält man eine solche Transformation, wenn die Transformation das Wirkungsfunktional bis auf Randterme invariant lässt. Das Noether-Theorem besagt, dass die Invarianz des Wirkungsfunktionals gegenüber einer einparametrigen stetigen Transformationsgruppe die Existenz einer Erhaltungsgröße zur Folge hat und dass umgekehrt jede Erhaltungsgröße die Existenz einer (mindestens infinitesimalen) Symmetrie der Wirkung zur Folge hat.

Wir beschränken uns hier auf Symmetrien in der klassischen Mechanik.

Sei eine einparametrige, differenzierbare Gruppe von Transformationen, die (genügend differenzierbare) Kurven auf Kurven abbildet, und gehöre der Parameterwert zur identischen Abbildung, .

Beispielsweise bildet mit jede Kurve auf die um früher durchlaufene Kurve ab. Die Transformation mit verschiebt jede Kurve um eine Konstante .

Die Transformationen heißen lokal, wenn sich die Ableitung bei der identischen Abbildung, die infinitesimale Transformation

für alle Kurven als Funktion der Zeit, des Ortes und der Geschwindigkeit , ausgewertet auf der Kurve , schreiben lässt,

.

Beispielsweise sind die Verschiebungen von Zeit und Ort lokal und gehören zur infinitesimalen Transformation beziehungsweise zu .

Sei nun die Lagrangefunktion des mechanischen Systems. Dann heißen die lokalen Transformationen Symmetrien der Wirkung, wenn sich für alle Kurven die Lagrangefunktion bei infinitesimalen Transformationen nur um die Zeitableitung einer Funktion , ausgewertet auf , ändert:

Denn dann ändert sich die Wirkung nur um Randterme

.

Der Zusammenhang dieser Definition der Symmetrie der Wirkung mit der Erhaltungsgröße wird klar, wenn man die partiellen Ableitungen der Lagrangefunktion nach ausführt, und dabei als Kurzschrift die Definition der infinitesimalen Transformation verwendet

Ergänzt man den ersten Term zu einem Vielfachen der Bewegungsgleichung und zieht man die Ergänzung beim zweiten Term ab, entsteht

und die Definitionsgleichung einer infinitesimalen Symmetrie einer Wirkung lautet

.

Da aber das -Fache der Bewegungsgleichungen auf den physikalisch durchlaufenen Bahnen verschwindet, besagt diese Gleichung, dass die Funktion

,

die zur Symmetrie gehörige Noetherladung, sich auf den physikalisch durchlaufenen Bahnen nicht ändert:

Umgekehrt ist jede Erhaltungsgröße definitionsgemäß eine Funktion , deren Zeitableitung auf physikalischen Bahnen verschwindet, also ein Vielfaches (von Ableitungen) der Bewegungsgleichungen ist. Dieses Vielfache definiert die infinitesimale Symmetrie .

Anmerkungen

  • Symmetrien der Bewegungsgleichungen sind nicht immer Symmetrien der Wirkung. Beispielsweise ist die Streckung eine Symmetrie der Bewegungsgleichung des freien Teilchens, nicht aber eine Symmetrie seiner Wirkung mit der Lagrangefunktion . Zu so einer Symmetrie der Bewegungsgleichungen gehört keine Erhaltungsgröße.
  • Die zu einer Symmetrie gehörige Erhaltungsgröße als Funktion der Zeit, des Ortes und der Geschwindigkeiten verschwindet genau dann, wenn es sich um eine Eichsymmetrie handelt. In so einem Fall sind die Bewegungsgleichungen nicht unabhängig, sondern eine Bewegungsgleichung gilt als Folge der anderen. Dies besagt das zweite Noethertheorem.
  • Das Noethertheorem für translatorische und rotierende Bewegungen
    • Translatorische Bewegungen: Das Noethertheorem erklärt, warum man bei Multiplikation der Newtonschen Bewegungsgleichungen mit den Geschwindigkeiten bei zeitunabhängigem Potential den Energieerhaltungssatz erhält: Die Geschwindigkeit ist die infinitesimale Änderung des Ortes bei zeitlicher Verschiebung.
    • Rotierende Bewegungen: Ebenso erklärt das Noethertheorem, warum bei drehinvariantem Potential das Produkt der Bewegungsgleichungen mit dem Kreuzprodukt auf die Erhaltung des Drehimpulses in Richtung führt: Das Kreuzprodukt ist die infinitesimale Änderung von bei Drehung um die Achse . Die Eulersche Turbinengleichung wendet die Erhaltung des Drehimpulses auf die Auslegung von rotierenden Arbeitsmaschinen (Turbinen) an.
  • Bei Verschiebungen und Drehungen des Ortes ist die Lagrangefunktion strikt invariant, das heißt, die Funktion verschwindet. Das gilt aber nicht für zeitliche Verschiebung und bei Transformation auf ein gleichmäßig bewegtes Bezugssystem. Unter zeitlichen Verschiebungen ist die Wirkung invariant, wenn die Lagrangefunktion nur vom Ort und der Geschwindigkeit , nicht aber von der Zeit abhängt. Dann ändert sich die Lagrangefunktion unter zeitlichen Verschiebungen um mit . Die zugehörige Erhaltungsgröße ist definitionsgemäß die Energie
.

Ist bekannt, wie die Energie von der Geschwindigkeit abhängt, so legt diese Gleichung die Lagrangefunktion bis auf einen Anteil fest, der linear in den Geschwindigkeiten ist und nicht zur Energie beiträgt. Denn zerlegt man die Lagrangefunktion beispielsweise in Anteile , die homogen vom Grad in der Geschwindigkeit sind, dann tragen sie mit zur Energie bei. Ist also , so ist die Lagrangefunktion

.

Insbesondere besteht in Newtonscher Physik die Energie aus der kinetischen Energie, die quadratisch in der Geschwindigkeit ist, , und der geschwindigkeitsunabhängigen potentiellen Energie, . Daher ist die Lagrangefunktion -mal die kinetische Energie plus -mal potentielle Energie. In der relativistischen Physik gilt in Maßsystemen mit für die Lagrangefunktion und die Energie eines freien Teilchens der Masse :

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Eugene J. Saletan und Alan H. Cromer: Theoretical Mechanics. John Wiley & Sons, 1971, ISBN 0-471-74986-9, S. 83–86 (englisch).

Literatur