Rasiermesser (Philosophie)

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In der Philosophie, insbesondere in der Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie und der Argumentationstheorie, aber auch in der Literaturwissenschaft, bezeichnet der englische Ausdruck Razor, deutsch Rasiermesser, Kriterien zum Ausschluss von (spekulativen) Erklärungsmodellen. Sie dienen der Erkenntnisgewinnung, indem sie dabei helfen, Hypothesen, die bestimmte Eigenschaften aufweisen oder nicht aufweisen, zu eliminieren – auch entgegen kognitiver Verzerrungen. Der Ausdruck geht auf ein scholastisches Prinzip bei Wilhelm von Ockham zurück, das Ockhams Rasiermesser (‚Occam’s Razor‘) genannt wird.

Rasiermesser können beispielsweise Theorien und Behauptungen als unwissenschaftlich identifizieren. Bei Phänomenen, zu denen es mehrere konkurrierende Erklärungen gibt, können sie beim Schluss auf die beste Erklärung nützlich sein.

In der Literaturwissenschaft werden aus den „Rasiermessern“ auch Vorgaben für die Gestaltung von Handlungssträngen abgeleitet. Es handelt sich um Sparsamkeitsprinzipien, durch die die Belastung des Guten Glaubens eines Gegenübers klein gehalten werden soll. Ein bekannteres jüngeres argumentationstheoretisches Beispiel ist ein Korollar zu Godwin's Law: Wer den Hitlervergleich ausspricht, scheidet als unterlegen aus der Debatte aus.

Beispiele

Ockhams Rasiermesser (nach Wilhelm von Ockham)
„Von mehreren möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen.“
Hanlon’s Razor (angebl. von Robert J. Hanlon, evtl. war Robert A. Heinlein gemeint)
Never attribute to malice that which can be adequately explained by stupidity.
” (Murphy’s Law Book Two. More Reasons Why Things Go Wrong, deutsch: „Schreibe niemals der Bösartigkeit zu, was ausreichend durch Dummheit erklärt werden kann.“)
Holmes’ Razor (nach Sherlock Holmes)
When you have eliminated the impossible, whatever remains, however improbable, must be the truth.
” (The Sign of the FourDas Zeichen der Vier, deutsch: „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich es auch sein mag.“)
Hume’s Razor (nach David Hume)
When we infer any particular cause from an effect, we must proportion the one to the other, and can never be allowed to ascribe to the cause any qualities, but what are exactly sufficient to produce the effect. […] If the cause, assigned for any effect, be not sufficient to produce it, we must either reject that cause, or add to it such qualities as will give it a just proportion to the effect.
” (David Hume: An Enquiry into Human understanding. Section XI. Of a Particular Providence and of a Future State., deutsch: „Wenn man eine bestimmte Ursache aus einer Wirkung folgert, so muss man die eine der andern anpassen und darf niemals der Ursache Eigenschaften zutheilen, die zur Hervorbringung der Wirkung nicht genau nöthig sind. […] Ist die für eine Wirkung angenommene Ursache unvermögend, sie hervorzubringen, so muss man entweder die Ursache verwerfen, oder ihr solche Eigenschaften zusetzen, die der Wirkung genau entsprechen.“)[1][2][3]
Hitchens’ Rasiermesser (von Christopher Hitchens)
What can be asserted without evidence can be dismissed without evidence.
” (deutsch: „Was ohne Beleg behauptet wird, kann ohne Gegenbeleg verworfen werden.“)[4][5]
Alder’s Razor, auch Newton’s flaming laser sword (von Mike Alder, der Alternativname bezieht sich auf Isaac Newton)
If something cannot be settled by experiment or observation then it is not worthy of debate.
” (Mike Alder, deutsch: „Was nicht durch Experiment oder Beobachtung entschieden werden kann, ist nicht wert, darüber zu diskutieren.“)[6]
Poppers Falsifizierungsprinzip (von Karl Popper)
„Ein empirisch-wissenschaftliches System muss an der Erfahrung scheitern können.“[7]
Sagan-Standard (von Marcello Truzzi, durch Carl Sagan bekannt gemacht)
Extraordinary claims require extraordinary evidence.
” (deutsch: „Außergewöhnliche Aussagen benötigen einen außergewöhnlichen Beweis.“)[8]
Grices semantisches Rasiermesser (nach Paul Grice)
Senses are not to be multiplied beyond necessity.
” (deutsch: „Der Sinn einer Äußerung soll nicht über die Notwendigkeit hinaus vervielfacht werden.“)[9] Gemeint ist auch: bei der Interpretation einer Äußerung sollen Kontext und Erwartung mehr Gewicht haben als die Vielfalt der Bedeutungen der Teilausdrücke.[10]
Scopie’s Law (von Rich Scopie)
Argumente, die durch Anführung besonders unseriöser Quellen gestützt werden, sind zu ignorieren.
In any discussion involving science or medicine, citing Whale.to as a credible source loses you the argument immediately… and gets you laughed out of the room.
” (deutsch: „In jeder Diskussion bezüglich Wissenschaft oder Medizin verliert man den Streit, sobald man Whale.to als glaubwürdige Quelle behandelt … und man wird ausgelacht, bis man den Raum verlassen hat.“)[11]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. online, 12. Absatz, Übersetzung von Julius von Kirchmann
  2. Murray Miles: Inroads. Paths in Ancient and Modern Western Philosophy (= Toronto Studies in Philosophy). University of Toronto Press, Toronto 2003, ISBN 0-8020-8531-8 (englisch, 690 S.).
  3. Gerhard Preyer, Frank Siebelt: Reality and Humean Supervenience. Essays on the Philosophy of David Lewis (= Studies in Epistemology and Co.). Rowman & Littlefield, Lanham 2001, ISBN 0-7425-1201-0 (englisch, 264 S.).
  4. Christopher Hitchens: Mommie Dearest. The pope beatifies Mother Teresa, a fanatic, a fundamentalist, and a fraud. In: Slate. 20. Oktober 2003, abgerufen am 7. Juni 2017.
  5. Christopher Hitchens: God Is Not Great. How Religion Poisons Everything. Twelve, 2008, ISBN 978-0-446-50945-9 (englisch, 400 S.).
  6. Mike Alder: Newton’s Flaming Laser Sword. In: Philosophy Now. Vol. 46, 2004, S. 29–33 (philosophynow.org).
  7. Karl Popper, Herbert Keuth: Karl Popper. Logik der Forschung. 4. Auflage. De Gruyter, 2013, ISBN 978-3-05-005708-8 (20 S.).
  8. On the Extraordinary. An Attempt At Clarification. In: Zetetic Scholar. 1978, abgerufen am 8. Juni 2017.
  9. Jan Straßheim: Sinn und Relevanz. Individuum, Interaktion und gemeinsame Welt als Dimensionen eines sozialen Zusammenhangs. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-06568-3, doi:10.1007/978-3-658-06569-0 (376 S.).
  10. Allan Hazlett: Grice’s razor. In: Metaphilosophy. Band 38, Nr. 5, 2007, S. 669, doi:10.1111/j.1467-9973.2007.00512.x.
  11. Boots under attack. In: Badscience.net. 27. März 2008, abgerufen am 13. Juni 2017 (englisch).