Polnischunterricht in Deutschland

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. Juni 2022 um 16:24 Uhr durch imported>Anonym~dewiki(31560) (Inhalt hinzugefügt).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Der Polnischunterricht besitzt an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland zahlenmäßig nur eine geringe Bedeutung. Die weitaus am häufigsten gelehrten Fremdsprachen in Deutschland sind Englisch, Französisch, Latein und Spanisch.[1]

Im Rahmen der deutsch-polnischen Beziehungen werden erst seit 1991 Zahlen über den Polnischunterricht in Deutschland erhoben. Der Unterricht findet am häufigsten in Nordrhein-Westfalen und besonders in Grenzstädten der drei an Polen grenzenden Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen sowie in Berlin statt. Er wird fast immer durch polnischstämmige Lehrkräfte erteilt. Erst 2007 machte an der Universität Potsdam die erste Lehramtskandidatin für Polnisch ihr Examen.

Vergleichsgrößen für den Polnischunterricht in Deutschland sind häufig Niederländisch, Dänisch oder Tschechisch. Die Vergleichsgröße für den Deutschunterricht in Polen ist dagegen Französisch; 1,8 Millionen polnische Schüler lernen Deutsch, das damit hinter Englisch die zweitwichtigste Fremdsprache in Polen ist.[2]

Die Wahrnehmung der „Sprache des Nachbarn“ ist somit in Polen und Deutschland völlig unterschiedlich.

Geschichte

Die tausendjährigen deutsch-polnischen Beziehungen[3] waren mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939 auf einem Tiefpunkt angekommen. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kann laut Basil Kerski wieder von einer „Dynamik der Annäherung“[4] gesprochen werden.

Das Thema Polnischunterricht in Deutschland und Deutschunterricht in Polen war zeitweise politisch sehr aufgeladen: Im Rahmen des preußischen Kulturkampfes wurde 1872 in Oberschlesien der Polnischunterricht abgeschafft,[5] in der Zeit des Dritten Reiches galt dort die Parole der Gestapo: „Wer polnisch spricht, kriegt eins in die Fresse.“[6]

Über die Geschichte des Polnischunterrichts in Deutschland wurde bislang kaum geforscht; es ist dazu wenig bekannt. Das Studium der Polonistik war in Preußen seit 1842 an der Universität Berlin möglich; der Lehrstuhl wurde bezeichnenderweise nicht eingerichtet, um Deutschen Kenntnisse über Polen zu verschaffen, sondern um in Preußen lebenden Polen eine Möglichkeit zur „Vervollkommnung“ in ihrer Muttersprache zu geben.[7]

Auch zur Geschichte des Polnischunterrichts in der DDR ist wenig geforscht worden.

Gegenwart

Politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag wurde 1991 geschlossen. In Artikel 25 des Vertrages verpflichten sich beide Seiten „allen interessierten Personen umfassenden Zugang zur Sprache und Kultur des anderen Landes zu ermöglichen“.[8] Ebenso entstand die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.

Danach richteten einige wenige Schulen Polnisch als zweite oder dritte Fremdsprache ein. In der Praxis hat sich seitdem außerhalb des Grenzgebietes wenig geändert.

Die polnische Seite unterhält in Deutschland drei Poleninstitute in Berlin, Leipzig und Düsseldorf, setzt dabei aber weniger auf Sprachenlernen als auf Kulturvermittlung. Dies steht in deutlichem Kontrast zum Auftreten anderer Institute, des Konfuzius-Instituts, des Goethe-Instituts oder des Institut français im jeweiligen Ausland. Gelegentlich werden „Schnuppertage“ auf Initiative von Dozenten und Studenten einer Universität angeboten.[9]

1991 entstand auch das Deutsch-polnische Jugendwerk. Die Zahl der Begegnungen zwischen deutschen und polnischen Lehrern und Schülern nahm seitdem stark zu.

Seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004 gibt es eine größere Nachfrage nach Dolmetschern und Übersetzern. Zur gleichen Zeit wird die universitäre Polonistik als Fach allerdings zurückgedrängt. Europäische Vorgabe ist gemäß dem Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften der Standard, zwei Fremdsprachen zu lernen.[10] Europaschulen werden gefördert.

Polnischunterricht heute

2011 lernten 8245 Schüler an der Schule Polnisch;[11] das sind etwa 0,1 Prozent der deutschen Schülerschaft. Der Trend beim schulischen Sprachenlernen in Deutschland entspricht dabei dem europäischen Trend: Die großen Verkehrssprachen werden erlernt; dies sind laut Eurostat Englisch, Französisch, Deutsch, Spanisch und Russisch.[12]

Der Unterricht findet meist an Schulen im unmittelbaren Grenzgebiet statt.[13] Er soll die Perspektive dieser Regionen stärken;[14] umgekehrt lautet die Argumentation in weiter entfernten Regionen, das Fach Polnisch „passe nicht in das Profil der Schule“.[15]

Schwerpunkte für den Polnischunterricht an allgemeinbildenden Schulen bilden die vier Bundesländer in der Nähe der polnischen Grenze: In Sachsen etwa das katholische Sankt-Benno-Gymnasium in Dresden,[16] und das Augustum-Annen-Gymnasium in Görlitz,[17] in Brandenburg das private Rahn-Internat in Neuzelle oder das Pestalozzi-Gymnasium in Guben, in Mecklenburg-Vorpommern etwa die Europaschule Deutsch-Polnisches Gymnasium Löcknitz und in Berlin die Gabriele-von-Bülow-Oberschule. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Lehrer ist begrenzt: In Brandenburg standen 2007 dreizehn beamtete Lehrer zur Verfügung.[18]

Es gibt nur wenige Polnischlehrer mit Staatsexamen, denn die Ländercurricula sehen keinen regulären Polnischunterricht vor; Lehrer „basteln“ sich ihre Materialien selbst.[19] Fremdsprachenassistenten (meist polnische Studenten) sind hier tätig.

Besonders in Deutschland, aber auch anderswo nimmt der muttersprachliche Unterricht eine wichtige Stellung ein: Die Polonia in Deutschland ist mit ein bis zwei Millionen Menschen groß und viele Kinder nehmen an freiwilligen Arbeitsgemeinschaften teil, um sich ihrer Identität zu versichern.

Da Erkenntnisse der Lernforschung ein Sprachenlernen in Kindergarten oder Grundschule nahelegen, bietet man auch dort seit einiger Zeit in Grenzorten das Polnische an.[20]

Gleichzeitig wird häufig von lebenslangem Lernen gesprochen und Arbeitnehmer qualifizieren sich beruflich und sprachlich weiter. So wird das Polnische an privaten Sprachschulen, kommunalen Volkshochschulen, im Privatunterricht oder in Feriensprachkursen in Polen erlernt. All dies schlägt sich in den zitierten offiziellen Statistiken nicht nieder.

Das Lehrmaterial wird besser. Es gibt seit 2009 ein erstes Lehrbuch für Gymnasien, das unter anderem durch das 1980 gegründete Deutsche Polen-Institut ermöglicht wurde.[21][22]

Zukünftige Arbeitsmöglichkeiten für Arbeitnehmer mit guten Polnischkenntnissen und interkultureller Kompetenz[23] ergeben sich bei zahlreichen Unternehmen sowie „Kommunalverwaltungen, Industrie- und Handelskammern, Kultureinrichtungen und Sportstätten.“[24]

Literatur

  • Erika Worbs (Hrsg.): Witaj Polsko!, Universum, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-89869-239-7 (Lehrbuch).
  • Grit Mehlhorn (Hrsg.): Werbestrategien für Polnisch als Fremdsprache an deutschen Schulen. Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich/New York 2010, ISBN 978-3-487-14394-1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Statistik des Statistischen Bundesamts, abgerufen am 1. Dezember 2012
  2. Bericht zum fremdsprachigen Unterricht in Polen (PDF; 2,1 MB), abgerufen am 22. Dezember 2014
  3. Informationen zur Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau, abgerufen am 28. Januar 2012
  4. Kerski, Basil: Die Dynamik der Annäherung in den deutsch-polnischen Beziehungen. Gegenwart und Geschichte einer Nachbarschaft., Düsseldorf 2011, ISBN 978-3-940671-66-0
  5. Matthias Kneip: Die deutsche Sprache in Oberschlesien: Untersuchungen zur politischen Rolle der deutschen Sprache als Minderheitensprache in den Jahren 1921–1998., Dortmund: Forschungsstelle Ostmitteleuropa, zugl.: Regensburg, Univ., Diss., 1999, ISBN 3-923293-62-3, S. 28
  6. Kneip, Sprache, S. 146
  7. Brigitta Helbig-Mischewski: Zur Geschichte und Zukunft der Polonistik in Deutschland. In: Brigitta Helbig-Mischewski (Herausgeber) und Gabriela Matuszek (Herausgeber): Fährmann grenzenlos. Deutsche und Polen im heutigen Europa: Zum Gedenken an Henryk Bereska., Georg Olms, Hildesheim/Zürich/New York 2008, ISBN 978-3-487-13639-4, S. 225–240, hier S. 226, pdf (Memento des Originals vom 16. Januar 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.helbig-mischewski.de, abgerufen am 28. Januar 2012
  8. Text des Vertrages auf der Seite des Auswärtigen Amtes (PDF; 32 kB), abgerufen am 13. Januar 2012
  9. Agnieszka Zawadzka: „Cześć! - ein Tag auf Polnisch.“ in: Mehlhorn, Werbestrategien, S. 123–138
  10. Seite der Europäischen Kommission zum Thema (Memento des Originals vom 15. August 2010 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/ec.europa.eu, abgerufen am 13. Januar 2012
  11. Daten der Kultusministerkonferenz, Stand: 2012, abgerufen am 22. Dezember 2014
  12. Überblick von Eurostat (PDF; 2,1 MB), Stand 2008, hier S. 11 (Memento des Originals vom 2. März 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/eacea.ec.europa.eu, abgerufen am 8. Februar 2012
  13. Forschungsvorhaben der Universität Greifswald (Memento des Originals vom 19. Oktober 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.phil.uni-greifswald.de, abgerufen am 1. Dezember 2012
  14. Dokumentation einer Sitzung auf der Seite des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt (Memento des Originals vom 31. August 2011 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.deutsches-polen-institut.de, abgerufen am 17. Januar 2012
  15. Grit Mehlhorn, Werbestrategien, Vorwort, S. 9
  16. Martin Bertram & Anna Susek: Polnisch am St. Benno-Gymnasium Dresden. in: Mehlhorn, Werbestrategien, S. 47–54
  17. Susanne Arlt: Das ist der wichtigste Preis, den ein Lehrer bekommen kann., dradio.de vom 26. November 2012, abgerufen am 1. Dezember 2012
  18. Antwort der Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage (PDF; 58 kB), abgerufen am 11. Januar 2012
  19. Doris Marszk: Noch ist Polnisch nicht verloren., welt.de vom 30. April 2006, abgerufen am 13. Januar 2012
  20. Silvia Wojciechowski: Polnischunterricht in der Grundschule. Das Beispiel der Grundschule Innenstadt am Fischmarkt in Görlitz. in: Mehlhorn, Werbestrategien, S. 25–34.
  21. Polnisch-Lehrwerk „Witaj Polsko!“ Ankündigung im Arbeitsbereich Polnisch der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, abgerufen am 26. Mai 2017.
  22. Witaj Polsko! auf den Seiten des Deutschen Polen-Instituts; abgerufen am 26. Mai 2017.
  23. Agnieszka Winkler: Deutsche und Polen. Interkulturelle Kompetenz – der Schlüssel zum Erfolg. In: Mehlhorn, Werbestrategien, S. 239–226.
  24. Roland Jerzewski: Polnisch als „neue“ Fremdsprache an der Schule – ein Praxisbericht. in: Mehlhorn, Werbestrategien, S. 55–64, hier S. 56.