Frauenstreik

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. Juni 2022 um 14:41 Uhr durch imported>M2k~dewiki(45933) (→‎Schweiz 1991, 2019: Frauenstreik (Schweiz)).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Frauenstreik in Montevideo (Uruguay), am 8. März 2018.

Als Frauenstreik wird die organisierte Aussetzung der Arbeit von Frauen bezeichnet, mit der auf systematische oder strukturelle Probleme aufmerksam gemacht werden soll, um entsprechende politische Ziele durchzusetzen. Er unterscheidet sich vom Sexstreik sowie vom Streik im Sinne eines Arbeitskampfes.

Streik der 700 in Österreich, 1893

Der „Streik der 700“ von 1893 war der erste organisierte Frauenstreik Österreichs. In Folge beginnender Organisation von Frauen in einer Wiener Appreturfabrik, angeführt von Amalie Seidel und Adelheid Popp, traten während der Ereignisse schließlich insgesamt 700 Arbeiterinnen aus drei Appreturfabriken in den Streik. Ihre Forderungen waren der arbeitsfreie 1. Mai, die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit von 13 auf 10 Stunden und eine bessere Bezahlung sowie die Wiedereinstellung von Amalie Seidel nach deren Kündigung. Die Forderungen wurden nach drei Wochen Streik durchgesetzt.[1]

Datei:1970s women's strike poster (cropped).jpg
Poster Women's Strike for Equality 1970

Women’s Strike for Equality, USA 1970

Am 26. August 1970 beteiligten sich etwa 50.000 Frauen in den USA am „Women’s Strike for Equality“. Ziele waren unter anderem ein Recht auf Abtreibung, Chancengleichheit in der Arbeit und kostenlose Kinderbetreuung. Der Streiktag fand in New York und anderen Landesteilen statt und wurde von der feministischen National Organization for Women unterstützt.[2][3]

Island 1975

Am 24. Oktober 1975 legten anlässlich des Internationalen Jahres der Frau etwa 90 % der weiblichen Bevölkerung Islands ihre Arbeit für einen Tag nieder. Ein Komitee der fünf wichtigsten Frauenorganisationen des Landes hatte den als „Frauen-Ruhetag“ bezeichneten Protesttag organisiert, um für mehr Gleichheit, eine gerechtere Bezahlung und eine bessere Kinderbetreuung zu demonstrieren. Rund 25.000 Frauen und einige Männer beteiligen sich an der Demonstration in Reykjavík.[4][5]

Schweiz 1991, 2019

Beim landesweiten Schweizer Frauenstreik vom 14. Juni 1991 beteiligten sich Hunderttausende von Frauen an Streik- und Protestaktionen.[6] Die Idee für den Streik hatten einige Uhrenarbeiterinnen im Vallée de Joux, die sich über die ungleichen Löhne empörten. Anlass war das zehnjährige Bestehen des Verfassungsartikels „Gleiche Rechte für Mann und Frau“. Motto des Streiks war „Wenn frau will, steht alles still“. Der Streikaufruf des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes wurde von den meisten Frauenorganisation mitgetragen, nur der Bund Schweizerischer Frauenvereine äußerte sich öffentlich gegen das Vorhaben. In Informationsveranstaltungen wurde über die zögerliche Umsetzung des Artikels durch die Bundesregierung informiert und in verschiedensten Aktionen der Unmut der Schweizerinnen über die Verzögerungstaktik des Bundesrates bei Gleichberechtigungsthemen ausgedrückt. Es war dies die grösste politische Mobilisation in der Schweiz seit dem Generalstreik von 1918.[7]

Im Juni 2011 fand ein nationaler Frauenaktionstag mit einer Demonstration statt, der von rund 50 Organisationen getragen wurde, darunter zum ersten Mal dem Bäuerinnen- und Landfrauenverband. Damit wurde daran erinnert, dass manche der Anliegen des Frauenstreiks von 1991, insbesondere im Bereich der Lohngleichheit, immer noch nicht erfüllt waren.[7]

Am 14. Juni 2019 wurde ein zweiter Frauenstreik durchgeführt.[8] Die Forderungen, die der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) formulierte, tragen die Überschrift „Lohn. Zeit. Respekt.“ Dabei geht es u. a. um eine finanzielle Aufwertung und höhere gesellschaftliche Anerkennung von Frauenarbeit, mehr Zeit und Geld für Betreuungsarbeit (Care-Arbeit), Bekämpfung von Sexismus und sexueller Belästigung.[9] Im Mittelpunkt standen die durch die Schweizerische Lohnstrukturerhebung und das Département d’économie quantitative der Universität Freiburg (CH) belegten Lohnungleichheiten zwischen Frauen und Männern: Laut der Studie verdienen Frauen in der Schweiz durchschnittlich 19,6 % weniger als Männer, wobei 42,9 % dieser Lohnunterschiede unerklärt sind.[10] Zudem sind weiterhin 71,8 % der Arbeitsstellen mit hohen Bruttolöhnen von über 8.000 Franken in Männerhand.[11] Laut den Organisatorinnen haben über 500.000 Teilnehmerinnen im ganzen Land an Demonstrationen und Kundgebungen teilgenommen.[12]

Auch 2021 fand ein feministischer Streik in der Schweiz statt an dem insgesamt über 100'000 Menschen teilnahmen.[13]

Spanien 2018

Am Internationalen Frauentag 2018 beteiligten sich in Spanien mehr als 5,3 Millionen Menschen an einem Frauenstreik unter dem Motto Wenn die Frauen streiken, dann steht die Welt still.[14]

Lateinamerika

In Argentinien formierte sich 2015 die Bewegung „NiUnaMenos“ („Nicht eine weniger!“), um gegen Femizide und Gewalt gegen Frauen zu mobilisieren. Sie rief 2016 zum ersten feministischen Massenstreik auf. Der Anlass war die Ermordung der 16-jährigen Lucía Pérez, die von einer Gruppe von Männern brutal vergewaltigt und aufgespießt in der argentinischen Küstenstadt Mar del Plata gefunden wurde. Die Frauen setzten für eine Stunde Arbeit und Studien aus und waren an diesem „Schwarzen Mittwoch“ („Miércoles negro“) in Trauer gekleidet.[15]

Luxemburg 2020, 2021

In Luxemburg fand am 7. März 2020 der erste Frauenstreik unter dem Motto "Who cares? We care!" statt. Im Mittelpunkt des Streiks stand die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit, denn immer noch sind es die Frauen*, die sich größtenteils um reproduktive Tätigkeiten wie Haushalt, Pflege, Erziehung usw. kümmern. Alle Frauen wurden aufgerufen, an diesem Tag die Arbeit (symbolisch) niederzulegen und zusammen auf die Straße zu gehen, um auf die unbezahlte Arbeit aufmerksam zu machen.

Am 8. März 2021 gingen über 1000 Menschen unter dem Motto: "We still Care" erneut auf die Straße, um auf die Benachteiligung von Frauen – vor allem Women of Color und queere Frauen* – aufmerksam zu machen. Die Organisatorinnen verwiesen außerdem darauf, dass im Rahmen der Covid-19-Pandemie die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nochmals verstärkt würden.

Organisatorin beider Streiks war die Plattform JIF Luxembourg.

Siehe auch

Literatur

  • Brigitte Kiechle: Frauenstreik: Feministische Aktionsform der Zukunft? Schmetterling Verlag Stuttgart, 2019, ISBN 978-3-89657-173-1
Artikel
zum Streik der 700 in Österreich, 1893
zum Schweizer Frauenstreik 1991
  • Medienfrauen der SJU und des SSM (Hrsg.): Der Frauenstreik in den Medien = Lo sciopero delle donne nei mass media = La grève des femmes dans les mass media. Bern 1992.
  • Christian Koller: Vor 25 Jahren: Der Frauenstreiktag vom 14. Juni 1991, in: Sozialarchiv Info 2 (2016). S. 7–11.
  • Elfie Schöpf: Frauenstreik: Ein Anfang…: Hintergrund, Porträts, Interviews. Bern 1992.
  • Maja Wicki (Hrsg.): Wenn Frauen wollen, kommt alles ins Rollen: Der Frauenstreik vom 14. Juni 1991. Limmat Verlag, Zürich 1991, ISBN 3-85791-192-1.
  • Brigitte Studer: Frauen im Streik. In: NZZ Geschichte, Nr. 21, März 2019, S. 56–67.
  • Brigitte Studer: Frauenstreik (1991). In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Brigitte Studer: Streik als Fest: Der Schweizer Frauenstreik von 1991. In: Theresa Adamski et al. (Hrsg.): Geschlechtergeschichten vom Genuss: Zum 60. Geburtstag von Gabriella Hauch. Wien: Mandelbaum Verlag, 2019. S. 52–65.
zum Schweizer Frauenstreik 2019
  • Yoshiko Kusano, Francesca Palazzi, Caroline Minjolle (Hrsg.): Wir. Fotografinnen am Frauen*streik. Christoph Merian Verlag, Basel 2020, ISBN 978-3-85616-934-3.
  • Verlagsgenossenschaft vorwärts (Hrsg.): Frauen*streik 2019. Das Buch. Zürich 2020, ISBN 978-3-033-07801-7.
  • Dagmar Brunner: Frauenstreik 2019. Widerstand und Solidarität. In: Basler Stadtbuch 2019, S. 1–35.

Weblinks

Commons: Frauenstreik – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Streik der 700 auf dasrotewien.de, abgerufen am 24. Februar 2019
  2. Catherine Gourley: Ms. and the Material Girl: Perceptions of Women from the 1970s to the 1990s. Twenty-First Century Books, 2008, S. 5–20.
  3. Sascha Cohen: The Day Women Went on Strike. Time am 26. August 2015, abgerufen am 24. Februar 2019.
  4. Alva Gehrmann: Feminismus in Island: Aufstand der Frauen. Der Tagesspiegel, 18. Oktober 2015, abgerufen am 7. März 2017.
  5. Kirstie Brewer: The day Iceland's women went on strike. BBC, 23. Oktober 2015, abgerufen am 7. März 2017.
  6. Frauenstreik 2011: Die Transparente könnten noch immer dieselben sein. 7. Februar 2012 (woz.ch [abgerufen am 8. November 2016]).
  7. a b Christian Koller: Vor 25 Jahren: Der Frauenstreiktag vom 14. Juni 1991. In: Schweizerisches Sozialarchiv, 1. Juni 2016
  8. Brigitte Studer: Frauen im Streik. In: NZZ Geschichte, Nr. 21, März 2019, S. 67.
  9. Schweizerischer Gewerkschaftsbund: Argumente für den Frauenstreik. In: 14juni.ch – die gewerkschaftliche Seite für den Frauen*streik. Abgerufen am 20. März 2019.
  10. Zweiter landesweiter Frauenstreik am 14. Juni 2019. In: ekf.admin.ch. Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF, 9. April 2019, abgerufen am 14. Juni 2019.
  11. Sylvie Fischer: Für gerechte Verhältnisse sind wir alle zuständig. In: syndicom magazin. Nr. 11. Syndicom, Bern Mai 2019, S. 8–14.
  12. Lise Bailat: Ce qui restera de la grève des femmes et d'une Suisse enflammée de violet. In: Pietro Supino (Hrsg.): Le Matin Dimanche. Nr. 24. Tamedia, Lausanne 16. Juni 2019, S. 4.
  13. SGB-USS: Rückblick Frauenstreik: Ein starkes Signal für die Ungeduld der Frauen | Frauenstreik 2021. 15. Juni 2021, abgerufen am 8. März 2022 (Schweizer Hochdeutsch).
  14. Sebastian Schoepp: Letizia von Spanien. In: sueddeutsche.de. 9. März 2018, abgerufen am 14. März 2018.
  15. Vorwort von Isabell Lorey zu: Verónica Gago, Raquel Gutiérrez Aguilar, Susana Draper, Mariana Menéndez Díaz, Marina Montanelli, Marie Bardet, Suely Rolnik: 8M – Der große feministische Streik, transversal texts, 2018, ISBN 978-3-903046-18-4, online Oktober 2018