Selbstversorgungsgrad

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Selbstversorgungsgrad 2005.png

Der Selbstversorgungsgrad ist eine volkswirtschaftliche Kennzahl, welche die inländische Herstellung von Produkten in Prozent ihres Verbrauchs angibt.

Allgemeines

Mit dem Selbstversorgungsgrad soll ermittelt werden, inwieweit die heimische Produktion im Inland ausreicht, um die inländische Nachfrage zwecks Selbstversorgung zu decken. Er wird berechnet, indem man die Bruttoeigenerzeugung dem Verbrauch gegenüberstellt:[1]

.

Als Verbrauch (englisch consumption) bezeichnet man den Verzehr von Gütern und Dienstleistungen zwecks direkter oder indirekter Bedürfnisbefriedigung. Optimal ist ein Selbstversorgungsgrad von 100 %, er bedeutet vollständige Autarkie. Unter 100 % müssen Produkte aus dem Ausland importiert werden, über 100 % führt zu einem Export oder zur Lagerung. Importabhängigkeit kann zur politischen und/oder wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ausland führen und bewirkt eine Belastung der Zahlungsbilanz mit der Folge eines Zahlungsbilanzdefizits. Werden Waren verbraucht, die im Land nicht selbst hergestellt werden können (beispielsweise Tropenfrüchte in Industriestaaten), liegt der Selbstversorgungsgrad bei 0 %.

Die Höhe des Selbstversorgungsgrads gibt zwar Auskunft darüber, welcher Anteil der im Inland verbrauchten Nahrungsmittel aus Inlandsproduktion stammt, beantwortet aber zwei Themen nicht:[2]

  • Trotz hohem Selbstversorgungsgrad bei Agrarprodukten leiden einige Menschen wegen Armut an Hunger, weil sie die Lebensmittel schlechthin nicht bezahlen können.
  • Die Volatilität des Selbstversorgungsgrads lässt keine Schlussfolgerungen zu, ob auch künftig – etwa bei Missernten – noch ausreichende Selbstversorgung möglich ist.

Ob der Agrarprotektionismus zu einer größeren Versorgungssicherheit beitragen kann, ist dabei unerheblich.[3]

Deutschland

Landwirtschaft

Selbstversorgungsgrad in Deutschland
(in %)
Agrarprodukt 1978 2001 2018
Getreide 084 129 112,4
Kartoffeln 094 108 148,0
Zucker 129 136 161,0
Rind- und Kalbfleisch 100 166 098,2
Schweinefleisch 088 088 119,2
Geflügelfleisch 058 064 098,9
Eier 079 075 071,9
Käse 090 107 123,9
Butter 135 079 100,0
Quelle: Bericht der Bundesregierung

Vor allem in der Landwirtschaft spielt der Selbstversorgungsgrad eine wichtige Rolle. Hier wird für einzelne Agrarprodukte ermittelt, inwieweit sie den Inlandsverbrauch decken können. Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU nennt die Versorgungssicherheit als eines der wichtigen Ziele und benennt die Gemeinschaftspräferenz – also eine Bevorzugung von in der EU produzierten Agrarprodukten – zur Erhöhung des Selbstversorgungsgrades als einen der Grundsätze hierzu. Der Selbstversorgungsgrad der Agrarproduktion in Deutschland entwickelte sich bei einigen Agrarprodukten wie folgt:[4] Die Selbstversorgungsgrade schwanken teilweise im Zeitverlauf erheblich, was – bei eher konstantem Verbrauch – auf Witterungseinflüsse zurückzuführen ist, die entweder zu Rekordernten mit Überproduktion oder Missernten mit Angebotslücken führen können.

Energie

Bei Energieträgern schwankt der deutsche Selbstversorgungsgrad zwischen den Extremwerten 100 % und 0 %. Je geringer der Selbstversorgungsgrad, umso höher ist die Importabhängigkeit. Diese ist mit Risiken verbunden, denn beispielsweise führte die deutsche Importabhängigkeit von Erdgas aus Russland im Januar 2009 zu einer Versorgungskrise, weil es wegen des Streits zwischen Russland und der Ukraine zu enormen Lieferengpässen bei Erdgas kam.[5] Auch die Ölpreiskrisen in den Jahren 1973 und 1979/1980 lösten Versorgungskrisen mit gravierenden gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen aus.

Selbstversorgungsgrad (in %)
Energieträger 2007 2017
Braunkohle 100 100
Erdgas 017 007
Erneuerbare Energien 100 100
Kernenergie 000 000
Mineralöl 003 002
Steinkohle 032 007

Bei erneuerbaren Energien gibt es zwar eine 100%ige Selbstversorgung in Deutschland, doch machen diese (2017) lediglich 13,1 % des Primärenergieverbrauchs aus. Dagegen ist die Importabhängigkeit bei den Hauptenergieträgern Mineralöl (34,5 % Anteil am Primärenergieverbrauch) und Erdgas (23,8 %) extrem hoch.[6]

Österreich

Der Selbstversorgungsgrad lag 2016 in Österreich bei Milch bei 166 %, gefolgt von Kartoffeln (136 %), Fleisch (108 %), Bier (104 %), Äpfeln (95 %), Wein (90 %), Getreide (88 %), Zwetschken/Pflaumen (80 %), Birnen (73 %), Sojabohnen (72 %), Gemüse (57 %), Ölsaat (45 %) oder Pfirsichen/Nektarinen (10 %).[7]

Schweiz

Die Schweizer Regierung hat gemäß Art. 102 Abs. 1 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft den Auftrag, die wirtschaftliche Landesversorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen für den Fall „machtpolitischer oder kriegerischer Bedrohungen sowie in schweren Mangellagen, denen die Wirtschaft nicht selbst zu begegnen vermag“, sicherzustellen. Hierfür hat der Bund gemäß Verfassung „vorsorgliche Maßnahmen zu treffen“. Eine solche ist das Betreiben sogenannter Pflichtlager.

Der brutto Selbstversorgungsgrad der inländischen Landwirtschaftsproduktion beträgt heute (2016) 56 Prozent. Dies ist ein Durchschnitt aus dem Selbstversorgungsgrad bei der tierischen Produktion von 94 Prozent und bei der pflanzlichen Produktion von 45 Prozent. Der gegenwärtige Selbstversorgungsgrad ist mit einem täglichen Pro-Kopf-Konsum von 14.091 kJ berechnet.

Der brutto Selbstversorgungsgrad lag in den letzten Jahren relativ konstant bei 60 Prozent, rund 40 Prozent der Lebensmittel wurden importiert.[8][9] Der netto Selbstversorgungsgrad (Einberechnung von importierten Futtermitteln) lag 2016 bei 48 Prozent und 2019 bei 50 Prozent.[10][11][12]

Entwicklung des brutto Selbstversorgungsgrades in der Schweiz (kalorienmässiger Anteil in Prozent):[13][14]

  • 2000: 62 %,
  • 2005: 63 %,
  • 2010: 60 %,
  • 2011: 63 %,
  • 2012: 62 %,
  • 2013: 58 %,
  • 2014: 63 %,
  • 2015: 59 %,
  • 2016: 56 %,
  • 2017: 59 %,
  • 2018: 58 %,
  • 2019: 57 %.[12]

Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Selbstversorgungsgrad der von den Kriegsparteien eingeschlossenen Schweiz mit dem Plan Wahlen gesteigert, um die Schweizer Bevölkerung und die rund 300.000 Flüchtlinge vor Hunger und allzu großen Entbehrungen zu bewahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Landwirtschaft stark intensiviert, um die zwischen 1950 und 2004 von 4,7 auf 7,5 Millionen gewachsene Bevölkerung versorgen zu können.

2015 hatte die Schweiz beim Tabak einen Selbstversorgungsgrad von 3,2 Prozent.[15]

Siehe auch

Weblinks

Commons: Selbstversorgung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Achim Spiller (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der Fleischwirtschaft, 2008, S. 16
  2. Ulrich Koester, Grundzüge der landwirtschaftlichen Marktlehre, 1981, S. 195 f.
  3. Ulrich Koester, Grundzüge der landwirtschaftlichen Marktlehre, 1981, S. 355
  4. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Tabellen zur Landwirtschaft, März 2019
  5. SPIEGEL ONLINE vom 6. Januar 2009, Russland schwört Deutschland auf langen Gasstreit ein, abgerufen am 14. August 2019
  6. Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V. (AGEB), Jahresbericht 2017: Energieverbrauch in Deutschland im Jahr 2017, S. 4 ff.
  7. Der Standard vom 3. Oktober 2017, Landwirtschaft: Österreich ist weitgehend selbst versorgt
  8. Ernährungssicherheit. Bundesamt für Landwirtschaft, abgerufen am 28. Januar 2021.
  9. Melina Griffin: Hunger trotz hoher Selbstversorgung. Schweizer Bauer, 25. Dezember 2020, abgerufen am 28. Januar 2021.
  10. Selbstversorgungsgrad. In: Agrarbericht 2020. Abgerufen am 28. Januar 2021.
  11. Wie ist die Schweizer Landwirtschaft aufgestellt? Economiesuisse, abgerufen am 28. Januar 2021.
  12. a b Selbstversorgungsgrad. In: Agrarbericht 2021. Abgerufen am 24. April 2022.
  13. Stellungnahme des Bundesrates vom 28. Februar 2007 (Memento vom 27. September 2007 im Internet Archive)
  14. Bundesamt für Statistik BFS: Nahrungsmittelverbrauch nach Art der Nahrungsmittel. (Memento des Originals vom 31. Oktober 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bfs.admin.ch Abgerufen am 31. Oktober 2014.
  15. Immer weniger "Tabak-Bauern". In: schweizerbauer.ch. 20. Oktober 2019, abgerufen am 20. Oktober 2019.