Kampf der Kulturen

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Kampf der Kulturen ist ein politikwissenschaftliches Buch von Samuel P. Huntington, das den Untertitel Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert hat. Das amerikanische Original erschien 1996 als The Clash of Civilizations (deutsch wörtlich „Zusammenprall der Zivilisationen“) und war die Erweiterung eines gleichnamigen Artikels (der aber mit einem Fragezeichen versehen war), den Huntington 1993 in der Zeitschrift Foreign Affairs veröffentlicht hatte.[1] Das Buch enthält die Hypothese, dass es im 21. Jahrhundert zu Konflikten zwischen verschiedenen Kulturräumen, insbesondere der westlichen Zivilisation mit dem chinesischen und dem islamischen Kulturraum kommen könnte. Das Buch wurde vielfach aufgelegt und übersetzt, führte zu kontroversen Diskussionen und wurde von Politikwissenschaftlern von Beginn an heftig kritisiert.

Kernaussagen

Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes sei die Weltpolitik multipolar und multikulturell geworden; nicht mehr Ideologien, sondern Kulturen bestimmten die Weltordnung. Der Westen müsse, um neue weltweite Konflikte zu vermeiden, auch andere kulturelle Wertvorstellungen berücksichtigen. Es sei ein Irrtum, Modernisierung mit westlicher Kultur oder Verwestlichung gleichzusetzen. Die Werte des Westens würden in anderen Kulturkreisen nicht als universelle Werte anerkannt.[2] Im Buch heißt es dazu: „Der Westen eroberte die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Ideen oder Werte oder seiner Religion (zu der sich nur wenige Angehörige anderer Kulturen bekehren ließen), sondern vielmehr durch seine Überlegenheit bei der Anwendung von organisierter Gewalt. Oftmals vergessen Westler diese Tatsache; Nichtwestler vergessen sie niemals.“[3]

Huntington prognostizierte, die Macht des Westens werde „verblassen“ und nichtwestliche Kulturen würden im Rahmen einer Indigenisierung wieder aufleben:[4] Der Westen werde bis in die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts hinein der mächtigste Kulturkreis bleiben und danach auf einzelnen Gebieten wie Wissenschaft und Forschung sowie technologischer Entwicklung eine führende Rolle haben. Die Kontrolle über andere Macht-Ressourcen werde jedoch zunehmend auf die Kernstaaten nichtwestlicher Kulturkreise übergehen.[5]

Kulturräume und ihre Kernstaaten

Huntingtons Einteilung der Welt in Kulturräume[6]

Nach einer Erörterung der Darstellung von Kulturkreisen bzw. Zivilisationen in früheren wissenschaftlichen Theorien, etwa bei Arnold J. Toynbee, Oswald Spengler oder Fernand Braudel, nennt Huntington die großen zeitgenössischen Kulturkreise[7], die meist von einem Kernstaat dominiert werden.[8]

Konflikte zwischen Kulturkreisen

Bruchlinienkonflikte sind laut Huntington solche zwischen Gemeinschaften, Staaten oder Gruppen, die unterschiedlichen Kulturkreisen angehören. Aus ihnen können sich Bruchlinienkriege entwickeln, die manchmal auch innerhalb eines Staates ausgetragen werden.[12] In Bruchlinienkonflikten bekommen die Primärbeteiligten Unterstützung von ihren kulturellen Verwandten, was bei Eskalation zu Kernstaatenkriegen führen könne. Diese Gefahr schaffe bei den Kernstaaten unterschiedlicher Kulturkreise den Anreiz, Bruchlinienkonflikte einzudämmen und zu lösen.[13]

Kernstaatenkriege könnten aber auch unabhängig von Bruchlinienkriegen aus Veränderungen des weltweiten Machtgleichgewichts zwischen den Kulturkreisen resultieren. Der friedliche Übergang von der Pax Britannica zur Pax Americana war nach Huntingtons Meinung der engen kulturellen Verwandtschaft beider Gesellschaften zu verdanken. Das Fehlen solch kultureller Verwandtschaft zwischen dem Westen und China mache einen bewaffneten Konflikt zwar nicht zur Gewissheit, doch wahrscheinlicher.[14]

Kritik

Das Buch wurde seit seinem Erscheinen wissenschaftlich massiv kritisiert, es enthalte eine grob vereinfachende Weltformel, deren Einprägsamkeit auf schwammigen Begriffen basiere und deren Anwendung auf konkrete Fälle voller Widersprüche sei. Neben der allgemeinen Kritik am wissenschaftlichen Niveau der Ausführungen richten sich Bedenken vor allem gegen seine Einteilung der Kulturkreise. Die Kriterien der Einteilung seien heterogen, sie orientieren sich im einen Fall an der Religion, im anderen an den nationalen Grenzen. Ihre Anwendung betreffe in vielen Fällen eher klassische Machtkonflikte um politische und territoriale Kontrolle. Damit sei die Behauptung einer zentralen kulturellen Dimension der Konflikte unbelegt.[2]

Der Religionssoziologe Martin Riesebrodt (1948 bis 2014) zog Parallelen zwischen Huntingtons „Kampf der Kulturen“ und der Ideologie des religiösen Fundamentalismus. Huntingtons Theorie, die Zivilisationen beruhten auf einem letztlich prägenden „unveränderlichen, überhistorischen, übergesellschaftlichen Kern“, stellte für Riesebrodt eine „Pseudo-Verwissenschaftlichung der fundamentalistischen Ideologie“ dar.[15] Außerdem konstatierte er Huntington einen undifferenzierten, ahistorischen, essentialistischen Zivilisations- und Religionsbegriff.[16] Riesebrodt bezeichnete Huntingtons Werk als ein „in seiner Simplizität und Tendenz gefährliches außen- und sicherheitspolitisches Handbuch für amerikanische Präsidenten“.[17]

Auch der Politikwissenschaftler Jan Helmig beklagt Huntingtons simple Abgrenzungs- und Trennungsrhetorik: „Der Kampf der Kulturen stellt ein prominentes Beispiel dar, angesichts wachsender Unübersichtlichkeit und Unsicherheit im Zeitalter der Postmoderne vertraute Denkmuster zu retten und auf ein territoriales Raster zu projizieren.“[18]

Ausgaben

In deutscher Übersetzung (Auswahl)

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Samuel P. Huntington: The Clash of Civilizations?. In: Foreign Affairs. Sommer 1993 (abgerufen am 14. Oktober 2015).
  2. a b Simone Dietz: Kampf der Kulturen? Über Huntingtons These. In: Information Philosophie. Heft 3. 2007 (abgerufen am 28. Dezember 2018).
  3. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 68.
  4. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 117 ff.
  5. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 135.
  6. The World of Civilization. Archiviert vom Original am 12. März 2007.
  7. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 37 ff.
  8. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 246 ff.
  9. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage, Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 260 ff.
  10. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 59 f.
  11. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 61.
  12. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 411.
  13. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 333.
  14. Samuel P. Huntington: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Siedler bei Goldmann, München 1998, S. 334.
  15. Martin Riesebrodt: Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“. Beck, München 2001, S. 29.
  16. Martin Riesebrodt: Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“. Beck, München 2001, S. 18.
  17. Martin Riesebrodt: Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“. Beck, München 2001, S. 26.
  18. Jan Helmig: Metaphern in geopolitischen Diskursen. Metaphorische Raumrepräsentationen in der Debatte um die amerikanische Raketenabwehr. Wiesbaden 2008, S. 62.