Unterhaltungsliteratur
Unterhaltungsliteratur umfasst jene Literatur, die im Gegensatz zur Hochliteratur steht. In der Literaturwissenschaft wird der Begriff einerseits synonym zur Trivialliteratur geführt,[1] andererseits wie in der Literaturkritik zur Bestimmung der literarischen Qualität eines Romans oder Theaterstücks herangezogen, das Ansprüche der Hochliteratur nicht stellt und sich trotzdem von der Trivialliteratur abhebt.
Die Differenzierung war literatursoziologisch motiviert und reflektierte das Lesebedürfnis in der Massengesellschaft, sofern der Untersuchungsgegenstand abseits ästhetischer Merkmale auf Fragen nach der gesellschaftlichen und psychischen Stabilisierung, dem Verhältnis von Produktion, Vertrieb und Werbung sowie der Anpassung von Lesererwartungen ausgeweitet werden konnte.
Literarische Kategorisierung
Der Gegensatz Hochliteratur – Trivialliteratur stieß aufgrund seiner Schärfe, wonach sich zahlreiche Romane klar unter einen der beiden Kategorien zuordnen ließen sowie seiner elitären Betrachtung von Kunst seit 1948 in Kritik. Der Kulturwissenschaftler Hans Friedrich Foltin schlug hierzu die Einführung einer Mittelebene und damit Aufweichung des Zweischichtenmodells vor.[2] Literatur könne zur stärkeren Differenzierung qualitativ in Dichtung/Hochliteratur – Unterhaltungsliteratur – Trivialliteratur klassifiziert werden.
Obwohl es logisch und einleuchtend erscheint, die Bewertungsdichotomie von „guter“ und „schlechter“ Literatur des Zweischichtenmodells zu durchbrechen, ist es nun ebenso problematisch, eine klare Grenze literarischer Qualität sowohl zwischen Hoch- und Unterhaltungs- wie auch zwischen Unterhaltungs- und Trivialliteratur zu ziehen, da die Übergänge fließend und wechselseitige Beziehungen offensichtlich sind. Zwar fällt die Unterscheidung zur Dichtung nicht ganz so schwer, da diese oft neue Erkenntnismöglichkeiten der Realität behandelt, wohingegen Unterhaltungsliteratur die von der Gesellschaft adaptierten Normen übernimmt und bestätigt. Dafür ist die Bestimmung einer Trennungslinie zwischen Unterhaltungs- und Trivialliteratur umso unzureichender. Argumentationen wie bessere Verarbeitung psychischer und sozialer Probleme und Konflikte oder höheres sprachliches Niveau der Unterhaltungsliteratur scheinen sehr zweifelhaft. Am plausibelsten wirkt das Argument der kommunikativen Wirkung beider Gattungen: Während die Trivialliteratur dem Leser nichts Neues vorsetzt, sondern die bestehende Welt bestätigt und beschönigt und ihn mit Vorurteilen überwirft, nutzt die Unterhaltungsliteratur gezielt Kritik, um den Leser zum Nachdenken über die bestehenden Systeme anzuregen, wenn auch sie über stark affirmative Züge verfügt. Im Unterschied zur Trivialliteratur zeichnet sie sich außerdem durch eine Tendenz weg von Endlos-Heft-Serien zu einer vom reinen Schematismus abweichenden Komplexität aus.
Dennoch wird eine klare Einordnung auch weiterhin nur schwer möglich sein. Hält man allerdings am Dreischichtenmodell fest, so ist es als unabdingbar anzusehen, sich über die fließenden Übergange literarischer Qualität bewusst zu bleiben.
Geschichte
Unterhaltungsliteratur hat es in den führenden Bildungs- und Gesellschaftsschichten in allen literaturfähigen Epochen gegeben. Ein Wechsel vom intensiven zum extensiven Leseverhalten lässt sich eindrücklich an der Entwicklung der weit verbreiteten Erbauungsliteratur verfolgen. Neben den durch die Bibelanstalten weitverbreiteten Hausbibeln bildeten immer wieder neu aufgelegte Erbauungsschriften bekannter Autoren wie Thomas a Kempis oder Johann Arndt den ursprünglichen Lesestoff der lesekundigen Bevölkerung.
Im Zuge der Aufklärung trat die Unterhaltungsliteratur aus den gehobenen Gesellschaftsschichten heraus ins Bürgertum und weitete den Umfang dieser Literatur sowohl in Auflagenhöhe, Verbreitung als auch in Themenvielfalt aus. Mit der zunehmend eingeführten Schulpflicht und dem damit einhergehenden ansteigenden Lesevermögen wuchs auch die Lust der Menschen zu lesen. Auf dieses neue Lesebedürfnis stellten sich Verleger und Autoren ein und so begann gleichzeitig mit dem Aufklärungszeitalter ein Zeitalter des expandierenden Buchmarktes. Die Industrialisierung brachte sowohl für den Buchdruck als auch für Buchhandel und Vertrieb neue Impulse, die ungeheure Marktauflagen für das neu entstandene Lesepublikum ermöglichten. Dieses sah in der Lektüre eine Erfüllung seines Wunsches nach neuer Innerlichkeit und Emotionalität, die nun somit nicht mehr ausschließlich von Familie, Freundeskreis oder religiösen Verbänden befriedigt wurde.
Die Aufklärer wollten mit ihren Traktaten die Gemütsbewegungen und Affekte ihres Publikums in Richtung auf einen tugendhaften Umgang lenken (Gottsched „Der Biedermann“, Bertuch „Journal des Luxus und der Moden“), in dem die Informationen durch Klatsch, Gesellschaftsnachrichten und Illustrationen ergänzt wurden. Dass literarische Texte dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums entgegenkamen, zeigte sich besonders in Goethes erfolgreichem Roman „Die Leiden des jungen Werthers“, welches einen heftigen emotionalen Widerhall nach sich zog. Im Zeitraum zwischen 1740 und 1800 rückten theologische Literatur und Erbauungsschriften zunehmend in den Hintergrund, wohingegen die „Schönen Künste und Wissenschaften“ einschließlich der Romane immer mehr an Popularität gewinnen konnten. Vor allem der unkünstlerische Roman spielte dabei eine entscheidende Rolle. Somit wird die Unterhaltungsliteratur auch trotz ihrer Trivialität zu einem bedeutenden Faktor des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens und darf keineswegs als von der Dichtung isoliertes Phänomen angesehen werden.
Damit waren die Bedingungen für eine hohe Auflagenzahl erfüllt und zunehmend erfreute sich die „Tagesliteratur“ in täglich oder wöchentlich erscheinenden Zeitungen oder Zeitschriften seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts einer wachsenden Leserschaft. Häufig wurde dieser Bedarf an Lektüre durch fliegende Händler abgedeckt, die in Wochen- oder Monatslieferungen ihre „Literatur“ in der Provinz verkauften.
Außer Kalenderblättern und Unterhaltungs- und Familienzeitungen („Unterhaltungen am häuslichen Herd“, „Die Gartenlaube“) und den Almanachen des 18. und 19. Jahrhunderts fanden seit Anfang des 20. Jahrhunderts die so genannten „Groschenhefte“ größere Leserkreise. Nach 1945 kam eine zweite Welle der „Heftchen-Literatur“ auf. Neue Produktionsmethoden erweiterten den Markt um das Taschenbuch.
Neben der romanhaft erzählenden Literatur steht die populärwissenschaftliche Unterhaltungsliteratur, die längs- oder querschnittartig einen Blick auf oder in bestimmte Wissens- und Forschungsgebiete ermöglichen soll. Sie unterscheidet sich weniger in der Form (der Schwerpunkt liegt auf dem erzählenden und weniger diskursiven Stil), als mehr im Inhalt (dem Sach- und Fachthema). Bei aller Problematik generalisierender Darstellungen ist ihr seit ihrem Erscheinen ein großer Erfolg beschieden, da sie in besonderem Maße die Neu- und Wissbegier des Lesepublikums zu stillen verspricht.
Michael Faraday begründete mit seiner „Chemiegeschichte der Kerze“ diese Art sich stetig verbreitender naturwissenschaftlicher Publikumsliteratur, deren Verbreitung im 19. Jahrhundert einen Höhepunkt erlebte. Zeitschriften wie „Die Natur“ von Carl Gustav Schwetschke verzeichneten seit ca. 1850 ein halbes Jahrhundert lang hohe Resonanz, ebenso etwa die „Urania“, in der Zeit der Weimarer Republik.
Formen und Gattungen
Unterhaltungsliteratur als positiver Begriff, d. h. Literatur zwischen Hoch- und Trivialliteratur, lässt sich in der erzählenden wie dramatischen Literatur finden. Diese werden im Folgenden aufgelistet und mit Beispielen versehen. Lyrik lässt sich wegen ihrer zur Prosa und Rede eingeschränkten Diskursivität und Formanspruchs nicht mit einem aufwertenden Begriff von Unterhaltungsliteratur vereinbaren. Ähnliches gilt für den Essay, der wegen seines Gebots des Räsonnements derlei Vermittlungen ebenfalls ausschließt.
Roman
Unterhaltungsromane besitzen im Gegensatz zu den Romanen der Hochliteratur keinen Anspruch auf sprachliche und kompositorische Innovation. Anders als der Trivialroman zeichnet sich der Unterhaltungsroman durch eine routinierte Schreibkunst aus. Teilweise werden Erzähltechniken aus der Hochliteratur der Vergangenheit aufgegriffen, beispielsweise der Psychologismus des Realismus. Auch werden im Unterhaltungsromanen ähnlich wie in der Utopie und Dystopie konkrete gesellschaftliche Themen abhandelbar, ohne diese jedoch durch Argumentationen zu stützen. Gleichfalls gehört jene Genre-Literatur, die innerhalb ihres Genres neue Wegmarken setzen, zur Unterhaltungsliteratur, weil sie das narrative Schema ihres Genres durchbricht und damit im Gegensatz zu der Trivialliteratur eine erhöhte Literarizität aufweist.
Beispiele für Unterhaltungsromane in zahlreichen Genres:
- Historischer Roman (Hilary Mantel: Wölfe)
- Detektivroman (Georges Simenon: Maigret und sein Toter)
- Kriminalroman (Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker), (Patricia Highsmith: Der talentierte Mr. Ripley)
- Erotische Literatur (Felix Salten: Josefine Mutzenbacher)
- Spionageroman (John le Carré: Der Spion, der aus der Kälte kam)
- Fantasy (J. R. R. Tolkien: Herr der Ringe)
- Science-Fiction (H.G. Wells: Die Zeitmaschine), (Bernhard Kellermann: Der Tunnel)
- Gesellschaftsroman (Harriet Beecher Stowe: Onkel Toms Hütte), (Juli Zeh: Unterleuten)
- Kriegsroman (Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues), (Hans Hellmut Kirst: 08/15)
- Komischer Roman (Erich Kästner: Drei Männer im Schnee)
- Dorfgeschichte (Berthold Auerbach: Schwarzwälder Dorfgeschichten)
- Horror (Thomas Harris: Das Schweigen der Lämmer)
- Thriller (Jörg Fauser: Der Schneemann)
Beispiele für Novellen und Erzählungen:
- Stefan Andres: El Greco malt den Großinquisitor
- Emmi Lewald: Ernstes und Heiteres
- Ferdinand Stolle: Camelien
- Ludwig Thoma: Altaich
Drama
Im 17. Jahrhundert erfuhr das Drama eine Aufwertung als Kunst, nicht zuletzt aufgrund einer Dramenliteratur, die sich ihren griechischen und römischen Vorbildern ebenbürtig zeigte. Die Mysterienspiele, Possen wie Schwänke erfuhren hierdurch gleichzeitig eine starke Abwertung. Als Repräsentationsraum gesellschaftlicher Konflikte wurde im 18. Jahrhundert das Theater auch zur Aufführung von weniger anspruchsvollen Dramen genutzt. Werke der Hochliteratur wie Goethes Götz von Berlichingen (UA 1774) zogen zahlreiche mittelmäßige Ritterdramen nach sich. Der Erhalt unbrauchbar gewordener ästhetischer Ziele, welche beispielsweise vom Hofe unterstützt wurde, so in Preußen, bewirkte gleichfalls eine Produktion von Stücken, die wegen ihrer mangelnden Realitätsbewältigung der Unterhaltungsliteratur zugeordnet werden. Als der wichtigste Stückeschreiber von Dramen der Unterhaltungslitertur gilt in Deutschland August von Kotzebue.
Zu nennen sind hierbei:
- Bühnenschwank (Eugène Labiche; Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. UA Stettin 1884)
- Lachtheater/Lokalposse (Adolf Bäuerle: Die Bürger in Wien. UA Wien 1813)
- Ritterdrama (August von Kotzebue: Bayard, oder der Ritter ohne Furcht und ohne Tadel. UA Leipzig 1801)
- Rührstück (Friedrich Ludwig Schröder: Der Vetter in Lissabon. UA Wien 1784)
- Lustspiel (August Wilhelm Iffland: Die Hagestolzen. UA Frankfurt am Main und Berlin 1792)
- Gegenwartsdrama (Ernst von Wildenbruch: Haubenlerche. UA Berlin 1890; (Tankred Dorst: Die Schattenlinie. UA Wien 1995)
Literatur
- Herbert Heckmann (Hrsg.): Angst vor Unterhaltung? Über einige Merkwürdigkeiten unseres Literaturverständnisses (= Dichtung und Sprache. Band 5). Carl Hanser Verlag, München / Wien 1986, ISBN 3-446-14664-4.
- Albert Klein: Die Krise des Unterhaltungsromans im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte der ästhetisch geringwertigen Literatur (= Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft. Bd. 84, Skriptfehler: Das Modul gab einen nil-Wert zurück. Es wird angenommen, dass eine Tabelle zum Export zurückgegeben wird.). Bouvier, Bonn 1969 (Zugleich: Bochum, Univ., Diss.).
- Laurenz Volkmann: Trivialliteratur. In: Ansgar Nünning (Hrsg.): Metzler-Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Metzler, Stuttgart / Weimar 2001, ISBN 3-476-01692-7, S. 644–645.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Rüdiger Zymner: Texttypen und Schreibweisen. In: Handbuch Literaturwissenschaft, hrsg. von Thomas Anz, Bd. 1, Metzler, Stuttgart 2013, S. 42
- ↑ Foltin, Hans Friedrich: Zur Erforschung der Unterhaltungs- und Trivialliteratur, insbesondere im Bereich des Romans. In: Studien zur Trivialliteratur, hrsg. von Heinz Otto Burger. Klostermann, Frankfurt am Main 1968, S. 242–270.