Benutzer:Assayer/HeSchu

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

j

Hermann Schützinger (* 23. April 1888 in Bayreuth; † 1962) war ein deutscher Polizeioffizier und Publizist.

Schützingers Vater Heinrich (1857–1920) war studierter Jurist und von 1894 bis 1919 Bürgermeister von Lindau (Bodensee). Hermann Schützinger absolvierte das humanistische Gymnasium in Kempten und trat am 1. Oktober 1908 als Fahnenjunker in das bayerische 11. Infanterieregiment „von der Tann“ in Regensburg ein. Bis 1910 erreichte er die Beförderung zum Leutnant.

Im Jahr 1914 veröffentlichte Schützinger unter dem Pseudonym Hermann Pfeiler den Roman Die Waffen hoch! und löste damit einen Skandal aus. Dies lag weniger an der antipazifistischen Stoßrichtung des Romans, der bereits im Titel auf das Erfolgsbuch Die Waffen nieder! (1889) der Pazifistin Bertha von Suttner anspielte und vor dem Hintergrund der zweiten Marokko-Krise mit imperialistischen und sozialdarwinistischen Klischees Krieg als „Naturgesetz“ bezeichnete, in welchem sich ein „Gesetz der Auslese“ verwirkliche.[1] Vielmehr handelte es sich um einen Schlüsselroman über die Offiziere und Damen der Regensburger bürgerlichen Gesellschaft. Er löste eine Kontroverse in Regensburg aus, sodass Schützinger den Roman kurz nach seinem Erscheinen aus dem Buchhandel zurückzog.[2]

Im Ersten Weltkrieg kämpfte Schützinger zunächst als Bataillons-Adjudant und bald darauf als Kompanieführer an der Vogesenfront nahe der Höhe von Ban-de-Sapt. Am 1. Juni 1915 wurde er zum Oberleutnant befördert. Als Angehöriger des Reserve-Infanterie-Regiments 11 nahm Schützinger an der Erstürmung der Höhe La Fontenelle bei Ban-de-Sapt durch die 30. Reserve-Division teil. Über seine Erlebnisse berichtete er am 28. Juni in einem Feldpostbrief:

„Da kommt das Trommelfeuer vor dem Gegenangriff; ich wußte, daß sie jetzt kamen und schrie meinen Feuerbefehl hinaus. Mein Kompagniestab war um mich: mein schneidiger Feldwebel, mein bester Handgranatenwerfer, meine verlässigste Ordonnanz. Ich gab den Befehl zum Werfen von 2 Handgranaten, die eine explodiert, wie die nächste hinausfliegt, sind wir plötzlich in ein helles Feuer getaucht, mich wirft der Luftdruck zu Boden und bedeckt mich mit Erde; meine 3 Begleiter, die dicht um mich herum standen: einer tut noch einen wilden Schrei, die beiden andern einen leisen Seufzer; meinem Feldwebel hats den Kopf weggerissen, dem andern die Brust zerschmettert, dem dritten die Seite aufgerissen; alle drei sofort tot – ich vollkommen unverletzt.
Unter den Toten wird's mir zu unheimlich, ich springe 50 m weiter rechts und kauere mich im Graben zwischen 2 Jäger – derselbe Blitz und Krach; der Mann rechts von mir und der links von mir sterben in ein paar Minuten unter entsetzlichem Gestöhn; ich unverletzt. Da hab ich selbst am ganzen Körper zitternd meinen Leuten zugeredet, hab mich hingesetzt mit meinem Leutnant v. Stockar und hab auf den dritten Schuß gewartet und auf meinen Tod; er kam aber nicht.“

Hermann Schützinger: 28. Juni 1915[3]

Der Historiker Benjamin Ziemann analysiert, dass weder das brutale Töten noch das massenhafte Sterben Schützinger im Sommer 1915 hochgradig verstörten, sondern vielmehr das eigene Überleben wider alle statistische Wahrscheinlichkeit und eigene Todesahnung. Ein „Gefühl der Unverwundbarkeit“, wie mit Blick auf „ideologische Krieger“ wie Ernst Jünger vermutet worden sei, könne man bei Schützinger nicht feststellen.[4] Auch in seiner literarischen Verarbeitung des Erlebten, dem Kriegsroman Das Lied vom jungen Sterben (1918) hob Schützinger „das Gefühl des Einfügens in die Unvermeidlichkeit des eigenen Todes als die zentrale Erfahrung“ hervor.[5]

Seine militärische Karriere trieb Schützinger bis zum Kriegsende mit Ehrgeiz und Einsatz voran. Nach einem militärgerichtlichen Verfahren wegen Meineids – Schützinger hatte in einem Verfahren gegen einen Unteroffizier wegen Kontakts zu den französischen Truppen ausgesagt, er habe den offenen Umgang mit den Franzosen niemals zuvor beobachtet –, wurde Schützinger auf eigenes Gesuch von Mai bis August 1916 zum Ersatzbataillon des RIR 11 abkommandiert. Dann kehrte er zum 11. Infanterie-Regiment von der Tann zurück.[6]

Das Jahr 1917 erlebte er als Kompanieführer beim 32. Infanterieregiment. Im Juni ließ er sich in Ingolstadt für den Einsatz von Maschinengewehren ausbilden. Er beschäftigte sich mit der Zielführung der MG-Schützen und entwarf ein Verfahren für das indirekte MG-Schießen. Im April 1918 wurde er als Maschinengewehroffizier zum Stab des 13. Infanterieregiments versetzt. Im August 1918 zum Hauptmann befördert, führten ihn Kommandos zur Maschinengewehrschule der 5. Armee, zum Scharfschützenkommando-West und zur Gewehrprüfungskommission in Berlin. Bei Kriegsende war er als Hauptmann in der Kriemhild-Stellung.

Von Mitte Januar bis Juni 1919 führte Schützinger die sogenannte „Stadtkompanie Regensburg“, ein Freiwilligenverband vorwiegend sozialdemokratischer Arbeiter, der die Sicherheit in Regensburg gewährleisten und der Radikalisierung der Rätebewegung entgegenwirken sollte. Im April 1919 sollte die Einheit auf Befehl der Regierung Hoffmann an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik teilnehmen. Gegen den Widerstand des Soldatenrates setzte Schützinger den Abmarsch nach München dort, wurde jedoch in Freising von einer Volksmenge aufgehalten und zur Abgabe der Waffen aufgefordert. Nach Vermittlung durch den Freisinger Soldatenrat zog sich die Stadtkompanie in die Garnison nach Regensburg zurück. Schützinger kritisierte später das „Versagen“ der Volkswehrtruppen. In seinen Augen war dadurch der Weg für den Terror der Freikorps unter Franz von Epp freigemacht worden. Ziemann, 192.

Schützinger schloss sich dem Wehrregiment in München an, einer militärisch organisierten Einheit der Landespolizei, die diverse Einheiten der Sicherheitspolizei zusammenfasste. Ende Oktober 1919 wurde er aus dieser Einheit entlassen und vom Dienst in der Reichswehr beurlaubt. Im November 1919 trat er der SPD bei. Ziemann, 192

Als entscheidenden Schritt zu seiner offenen Politisierung sieht Benjamin Ziemann den Kapp-Putsch. Schützinger wandte sich an den amtierenden Reichswehrminister Gustav Noske und bot an, sich als Offizier und Demokrat für eine ihrer Staatspflicht bewussten Armee einzusetzen. In der SPD-Zeitung Münchener Post veröffentlichte er am 23. März den Artikel Die Reaktion in der Armee, dem weitere über politische Tagesfragen folgten. Am 31. März 1920 wurde Schützinger wegen dieser politischen Betätigung aus der Reichswehr entlassen und wenig später aus dem Deutschen Offiziers-Bund ausgeschlossen. 193.

Nach seiner Beurlaubung hatte Schützinger ein Studium der Nationalökonomie in München begonnen und 1922 mit einer Promotion abgeschlossen. 193

Während seiner Münchner Zeit war er der Führung der MSPD um Erhard Auer verbunden. Außerdem war er in der „Nie wieder Krieg“-Bewegung tätig. Er war aktives Mitglied der Deutschen Liga für Menschenrechte. 194

1922 Hamburg, 1923 Polizeioberst in Sachsen, nach dem Sturz der Regierung Erich Zeigner, 1924 im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. 1933 bis 1945 im Verlagswesen, ab 1942 in statistischen Abteilungen zur Organisation der staatlichen Wirtschaftslenkung tätig. Im Herbst 1945 Leitung der Handelsredaktion der Berliner Zeitung, nach der Währungsreform weg aus Berlin, ab 1950 in Bonn, dort bis zu seinem Tod akkreditiertes Mitglied der Bundespressekonferenz und Autor für zahlreiche Zeitungen 194

Für Benjamin Ziemann war Schützingers Pazifismus keine direkte Konsequenz aus der Gewalterfahrung des Ersten Weltkriegs, sondern Schlussfolgerung aus dem Erlebnis des Kapp-Putsches, „als ihm die destruktive politische Wirkung der Reste des alten kaiserlichen Offizierskorps klar geworden war.“ 197

Nach dem Krieg war Schützinger, so Dieter Riesenberger, ein „überzeugte[r] und leidenschaftliche[r] Republikaner“. 290 In Regensburg gründete er mit der Freiwilligenformation „Stadtkompanie Regensburg“, der späteren „1. Sicherheitskompanie Regensburg“ bzw. „1. Volkswehrkompanie“ die erste Einheit der nordbayerisch-meherheitssozialdemokratischen Ordnungstruppen. Auf Befehl der Regierung Hoffmann marschierte diese Einheit im April 1919 gegen die Räterepublik in München. Allerdings verlangte der Soldatenrat die Rückkehr nach Regensburg. Für Schützinger war dies „das Grab einer Idee, mit demokratisch-sozialistischen Mitteln eine Truppe zu schaffen, die imstande wäre, den Terror im Bann zu halten und eine tragfähige Stütze des Proletariats zu bilden.“ 290

Ab 1918 studierte Schützinger Nationalökonomie und Rechtswissenschaft und promovierte 1921 zum Doktor der Staatswissenschaften. In München gründete er den Friedensbund der Kriegsteilnehmer und den Landesverband Bayern des Demokratischen Reichsbundes. Gemeinsam mit Adolf Schmalix versuchte er 1921 einen Republikanischen Schutzbund zu gründen, der in Bayern verboten wurde.

Mitinitiator der »Nie wieder Krieg- Bewegung«

Mitte 1919 trat Schützinger der MSPD bei. 1921/22 wurde er Herausgeber einer Republikanisch-Süddeutschen Korrespondenz, der späteren Korrespondenz Schützinger und publizierte in der Zeitschrift Die Glocke und den Sozialistischen Monatsheften. 1922 trat er als Major in den preußischen Polizeidienst schutzpolizei; tätig in Hamburg-Altona und wechselte im Frühjahr 1923 als Oberst in den sächsischen Polizeidienst. Er war als Chef der Landespolizei Anhänger der Regierung Zeigner und wurde nach der Reichsexekution und dem Einmarsch der Reichswehr in Sachsen im Oktober 1923 von General Alfred Müller entlassen. Schützinger trat als Kritiker der Reichswehr auf und setzte sich dafür ein, den militärischen in einen zivilen Ausnahmezustand zu transformieren. Er entwickelte eine Polizeistrategie mit mobilen Einheiten, die beweglich gegenüber Putsch-Bewegungen im Vorbereitungsstadium und in den ersten Entwicklungsstufen auftreten und bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen unter Vermeidung unnötiger Gewaltanwendung pazifierend wirken sollte. Erst bei einer reichsweiten Aufstandsbewegung sollte der militärische Ausnahmezustand ausgerufen werden, die militärischen Einheiten der Reichswehr aber nur im Notfall als Rückhalt der Schutzpolizei eingesetzt werden. Schützinger war ferner überzeugt, dass Polizei und Reichswehr republikanisiert werden müssten. Gemeinsam mit Paul von Schoenaich und Berthold von Deimling verfasste er 1922 den militärischen Teil des Wehrmacht-Reform-Programms der Deutschen Liga für Menschenrechte.

fördert in Dresden die Aufstellung proletarischer Hundertschaften

Nach seiner Entlassung aus dem Polizeidienst engagierte sich Schützinger im 1924 gegründeten Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Hier gehörte er dem pazifistischen Flügel an, kritisierte 1926 aber auch Kurt Tucholsky und Kurt Hiller als realitätsblind. Er nahm an Gründungs- und Werbeversammlungen des Reichsbanners teil, hielt Vorträge, nahm Aufmärsche ab. Über sein Leben unter dem Nationalsozialismus ist nichts bekannt, doch trat er nach dem Zweiten Weltkrieg wieder publizistisch an die Öffentlichkeit. setzte sich für Neugründung Reichsbanner ein (E.R. Hubeer)

Hg. der sozialdemokratischen Korrespondenz; bis 1937 Mitglied der Reichsfachschaft deutscher Werbefachleute; 1937 wegen seiner politischen Vergangenheit aus der Reichsschriftumskammer ausgeschlossen Freiheit!: Bilder und Dokument gerstenberg

Nach 1945

Nach dem Zweiten Weltkrieg sprach sich Schützinger mit Hinweis auf die vom Kommunismus ausgehende Gefahr für die Reaktivierung des Reichsbanners Schwarz Rot Gold aus. er glaubte, dass im Gegensatz zur Weimarer Republik nunmehr eine große Zahl technisch geschulter Offiziere der Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 zur Verfügung stehe.[7]

engagierte sich in der Forschungsgemeinschaft des Anderen Deutschlands von Frtz Küster

Literatur

  • Dieter Riesenberger: „Soldat der Republik“. Polizeioberst Hermann Schützinger (1888–ca. 1960). In: Wlfram Wette (Hg.): Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871–1933. Donat, Bremen 1999, S. 287–299.
  1. Dieter Riesenberger: „Soldat der Republik“. Polizeioberst Hermann Schützinger (1888–ca. 1960). In: Wolfram Wette (Hg.): Pazifistische Offiziere in Deutschland 1871–1933. Donat, Bremen 1999, S. 288 f.
  2. Benjamin Ziemann: Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten– Überleben – Verweigern. Klartext, Essen 2013, S. 179.
  3. Benjamin Ziemann: Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten– Überleben – Verweigern. Klartext, Essen 2013, S. 186.
  4. Benjamin Ziemann: Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten– Überleben – Verweigern. Klartext, Essen 2013, S. 188.
  5. Benjamin Ziemann: Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten– Überleben – Verweigern. Klartext, Essen 2013, S. 189.
  6. Benjamin Ziemann: Gewalt im Ersten Weltkrieg. Töten– Überleben – Verweigern. Klartext, Essen 2013, S. 189 f.
  7. Karl Rohe: Das Reichsbanner Schwarz Rot Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Repubik. Droste, Düsseldorf 1966, S. 473, 276.