Denis Mukwege

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Denis Mukengere Mukwege (* 1. März 1955 in Bukavu, Belgisch-Kongo) ist ein kongolesischer Gynäkologe, Menschenrechtsaktivist, Gründer und leitender Chirurg des Panzi-Hospitals in Bukavu sowie Friedensnobelpreisträger. Mukwege gilt als weltweit führender Experte für die Behandlung von Verletzungen von Mädchen und Frauen, die durch Gruppenvergewaltigungen sowie durch gezielte physische Unterleibsschändungen verursacht wurden. Mukweges Arbeit konzentriert sich nicht ausschließlich auf die medizinischen Belange. Er engagiert sich ebenso politisch, indem er die Grausamkeiten dokumentiert und wiederholt verantwortliche Tätergruppen öffentlich benennt. Auf seiner Rede vor den Vereinten Nationen 2012 rief er die Weltgemeinschaft auf, sexualisierte Kriegsgewalt einhellig zu verurteilen und die Vergewaltiger wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen. Mit seinem Engagement hat er sich nicht nur im eigenen Land Feinde gemacht, 2012 entging er nur knapp einem Mordanschlag.

Für seinen Einsatz für Mädchen und Frauen, die Opfer sexualisierter Kriegsgewalt wurden, ist Denis Mukwege mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, etwa 2008 mit dem Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen, 2013 mit dem Alternativen Nobelpreis Right Livelihood Award, 2014 mit dem Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments. 2018 wurde ihm gemeinsam mit Nadia Murad der Friedensnobelpreis zuerkannt.

Leben

Denis J. Mukwege wurde am 1. März 1955 in Bukavu als Sohn eines protestantischen Pastors der schwedischen Mission der Pfingstgemeinde geboren. Erste Kontakte zu Kranken hatte er, als er seinen Vater bei dessen Besuchen begleitete.

Mukwege studierte im Nachbarland Burundi Medizin und arbeitete zunächst in einem Krankenhaus im kleinen Ort Lemera in der ländlichen Region Süd-Kivu. Er war schockiert, wie viele Frauen dort alltäglich starben – etwa bei der Geburt ihrer Kinder. Er beschloss, Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität Angers in Frankreich zu studieren. Zurück im Kongo, damals noch Zaire genannt, ließ er sich 1989 in Lemera nieder, um eine gynäkologische Station zu eröffnen. Lemera lag Mitte der 1990er Jahre mitten im Kampfgebiet der Kongokriege, und Mukwege sah sich ganz neuen Herausforderungen gegenüber: seit dem Genozid in Ruanda 1994 setzten die verschiedenen Rebellengruppen und Soldaten zunehmend Vergewaltigung und Verstümmelung von Frauen systematisch als Kriegswaffe ein.[1] 1996 wurde Lemera und die gynäkologische Station, die über Landesgrenzen bekannt war, komplett zerstört. Als Überlebender von Lemera zog Mukwege in die Provinzhauptstadt Bukavu um.

Mit internationaler Unterstützung zog Mukwege dort ein neues Projekt auf, das Panzi-Krankenhaus. Besonders mit seiner gynäkologischen Abteilung machte sich das Krankenhaus schnell einen Namen. Hier behandelten Mukwege und seine Kollegen Frauen und Mädchen aus der ganzen Provinz, die den Kriegsparteien in den Dörfern schutzlos ausgeliefert waren. Schon kurz nach der Einweihung 1999 stellte Mukwege eine hohe und weiter steigende Zahl von Frauen fest, die sexuelle Kriegsgewalt überlebt hatten. Er richtete seine Station auf die spezielle Behandlung dieser Frauen ein. Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der Unterstützung von AIDS-kranken Frauen. Zurzeit kommen täglich ca. zehn Frauen, die im Genitalbereich so schwer verletzt sind, dass 30 % von ihnen größere medizinische Behandlungen brauchen. Er arbeitet mit internationalen Experten des Fistula Hospital in Addis Abeba zur Wiederherstellung des genitalen Bereichs zusammen. Auch das Deutsche Institut für Ärztliche Mission (Difäm) unterstützt Mukwege mit Geld und Arzneimitteln.[2]

In den Jahren 1998 bis 2013 operierten Mukwege und seine Kollegen im Panzi-Hospital 40.000 vergewaltigte Frauen. Dabei beobachteten sie, wie die Täter immer grausamer wurden.[3]

Im Zuge der COVID-19-Pandemie gehörte er zur Task Force zur Bekämpfung der Krankheit im Ostkongo an. Er verließ sie im Juni 2020, um sich seinen Patienten widmen zu. Das Auftreten von COVID-19 im Ostkongo kam zu einem Zeitpunkt, an dem die Region den zweittödlichsten Ebola-Ausbruch in der Geschichte noch nicht für besiegt erklärt hatte, der seit August 2018 mehr als 2.200 Menschenleben gefordert hatte.[4]

Denis Mukwege ist mit Madeleine Kaboyi Mapendo verheiratet und hat fünf Kinder.

Appell an die Weltgemeinschaft

Mukwege kann mit seinem medizinischen Wirken zwar die Opfer behandeln, aber er erlebte immer wieder den Ausbruch neuer Kriegsgewalt. Mukwege bereiste die Welt und gab zahllose Interviews mit dem Ziel, die Weltgemeinschaft über die Schrecken des Krieges in der östlichen DR Kongo zu informieren: „In Wahrheit geht es in diesem Konflikt nicht um ethnische Probleme, sondern es ist eine territoriale Auseinandersetzung um Bodenschätze. Die Region Kivu ist reich an Coltan, das man für Mobiltelefone und Laptops braucht. Ohne den politischen Willen wird sich die Situation niemals ändern. Diese zugrunde liegenden Probleme können nicht durch meine Arbeit gelöst werden.“[5]

Im Ostkongo ringen Rebellen und Regierungen um die Kontrolle wertvoller Bodenschätze.

Trotz zahlreicher Drohungen hielt er am 25. September 2012 eine Rede vor den Vereinten Nationen über die Verbrechen im Kongo und in Ruanda, gegen sexualisierte Gewalt als Mittel der Kriegsführung.[6] Er berichtete über die schweren, andauernden Folgen für die Opfer und prangerte die Impunität der Täter an. Dabei kritisierte er Ruanda wegen seiner Beteiligung am Konflikt in seiner Heimat. Die Vereinten Nationen hatten Ruanda vorgeworfen, die M23-Rebellengruppe finanziell und logistisch zu unterstützen. Mukwege bekundete, dass die Regierung des Kongos sich mitverantwortlich an den Massenvergewaltigungen gemacht habe, und forderte ein Einschreiten der Weltgemeinschaft. Mukwege rief die Vereinten Nationen auf, sexualisierte Gewalt einhellig zu verurteilen und die Vergewaltiger wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen. „Wir brauchen nicht noch mehr Beweise, wir brauchen Taten“.

Am 25. Oktober 2012, gut einen Monat nach seiner Rückkehr aus New York, versuchten Unbekannte, ihn zu ermorden. Schwer bewaffnete Männer drangen in sein Haus ein. Mukwege kam nur knapp mit dem Leben davon, da einer seiner langjährigen Mitarbeiter, Joseph Bizimana, die Mörder ablenkte und dabei selbst von ihnen erschossen wurde.[7][8][9] Am 26. Oktober 2012 verurteilte Ban Ki-moon als Generalsekretär der Vereinten Nationen den Angriff auf Mukwege aufs Schärfste.[10] Aus Sicherheitsgründen verbrachte Mukwege mit seiner Familie die folgenden Monate in Belgien. Das Attentat ist bis heute nicht aufgeklärt worden.

Allen Bedrohungen zum Trotz kehrte Denis Mukwege Januar 2013 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Kivus zurück, um unter verschärfter Bewachung seine Arbeit im Panzi-Hospital fortzusetzen.[11]

Im September 2013 wurde Denis Mukwege für seine Verdienste um die Menschenrechte mit dem „Alternativen Nobelpreis“ 2013 (offiziell: Right Livelihood Awards) geehrt:

„… für seine langjährige Arbeit, Frauen, die sexuelle Kriegsgewalt überlebt haben, zu heilen, und für seinen Mut, die Ursachen und Verantwortlichen zu benennen.“

Begründung der Jury[12]

Bei seiner Verleihung des Sacharow-Preises des Europaparlaments in Straßburg im November 2014 appellierte er an die EU, bei Wirtschaftsabkommen mit der DR Kongo konsequenter auf die Achtung von Menschenrechten und Demokratie zu achten. Sein Preisgeld wurde im Nachhinein wegen angeblicher Steuerschulden vom kongolesischen Staat konfisziert. Damit ist das von Mukwege betriebene Panzi-Krankenhaus mittellos.[13]

2018 erhielt Mukwege den Friedensnobelpreis.[14]

Am 12. Juni 2022, anlässlich seines Empfangs des belgischen Königspaares im Panzi-Krankenhaus, fordert Mukwege Aufmerksamkeit für das Leid der vergangenen Monat nach dem erneute Aufflammen der Kriegsgewalt zwischen der kongolesischen Armee und der Rebellengruppe M23, unterstützt von regulären ruandische Soldaten, im Ostenkongos.[15] Auf der jährlich vom Norwegischen Flüchtlingsrat veröffentlichten Liste der am stärksten vernachlässigten Flüchtlingskrisen stand die DR Kongo im Jahr 2022 an erster Stelle. Allein im Nordosten des 90 Millionen Einwohner zählenden Landes gab es 5,5 Millionen Vertriebene. Es handele sich um eine der schlimmsten humanitären Krisen des 21. Jahrhunderts.[16] König Philippe war zu seinem ersten Besuch in der einstigen belgischen Kolonie im Kongo und wurde von seiner Frau Königin Mathilde und dem belgischen Regierungschef Alexander De Croo begleitet. Mukwege beschuldigte besonders die Rebellengruppe M23, sexuelle Gewalt einzusetzen. Er warf dem Westen Doppelmoral vor und verglich die Gewalt mit dem Ukraine-Krieg. Wenn der Westen Sanktionen gegen Russland wegen seiner Invasion in der Ukraine verhängt, sollte er auch gegen die Gewalt im Kongo vorgehen. Mukwege betonte, dass sexuelle Gewalt als Waffe eingesetzt wird: "Sie ist eine wirksame Waffe, denn sie zerstört Frauen nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Wegen der Stigmatisierung zerstört sie auch Familienbande und damit ganze Gemeinschaften."[17][18]

Auszeichnungen und Ehrungen

Werke

Literatur

  • Colette Braeckman: L’Homme qui répare les femmes. Violences sexuelles au Congo. Le combat du Dr Mukwege. André Versaille éditeur, 2012, ISBN 978-2-87495-194-7.
  • Birger Thureson: Die Hoffnung kehrt zurück. Der Arzt Denis Mukwege und sein Kampf gegen sexuelle Gewalt im Kongo. (Originaltitel: De glömda kvinnornas röst) Übersetzung aus dem Schwedischen von Michael Josupeit, herausgegeben vom Deutschen Institut für Ärztliche Mission e. V., Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-95558-001-8.
  • Denis Mukwege, in: Internationales Biographisches Archiv 44/2013 vom 29. Oktober 2013, im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar).

Verfilmungen

  • L’homme qui répare les femmes. (The man who mends women.) Dokumentarfilm (1:52), Belgien, 2015. Regie: Thierry Michel.[33][34]
  • Friedenskämpfer – Tübinger Ärztin unterstützt Nobelpreisträger im Kongo. Dokumentarfilm (0:45), Deutschland 2019. Regie: Susanne Babila. Kamera: Jürgen Killenberger, Felix Hugenschmidt.[35]

Weblinks

Commons: Denis Mukwege – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jonathan Zilberg: Mass Rape as a Weapon of War in the Eastern DRC. In: Toyin Falola, Hetty ter Haar (Hrsg.): Narrating War and Peace in Africa (Rochester Studies in African History and the Diaspora. Book 47). University of Rochester Press, 2010, ISBN 978-1-58046-330-0, S. 113–141.
  2. Difäm: Projektpartner Dr. Denis Mukwege erhält den Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen. Entwicklungspolitik Online, 10. Dezember 2008, archiviert vom Original am 21. Februar 2013; abgerufen am 1. Januar 2009.
  3. Alternativer Nobelpreis für Arzt aus dem Kongo, Deutsches Ärzteblatt 2013
  4. Mukwege quits DRC virus task force, bemoans testing delays. africanews.com vom 13. Juni 2020 (englisch), abgerufen am 13. Juni 2020
  5. https://lists.horus.com/pipermail/e-rundbrief/2013/001328.html
  6. Discours aux Nations Unies 25/9/2012 - Dr. Denis Mukwege (Memento vom 2. Oktober 2013 im Internet Archive) (PDF; 119 kB), abgerufen am 27. September 2012 (französisch).
  7. Alternativer Nobelpreis 2013, Kongolesischer Gynäkologe ausgezeichnet, Biermann Medizin, 27. September 2013, abgerufen am 27. September 2013
  8. Denis Mukwege: DR Congo anti-rape doctor attacked. 26. Oktober 2012, abgerufen am 4. November 2012.
  9. Ein Arzt im Fadenkreuz: Attentat in Bukavu auf Doktor Denis Mukwege. 27. Oktober 2012, abgerufen am 4. November 2012.
  10. UN chief condemns attack on home of renowned doctor in eastern DR Congo, UN 26. Oktober 2012
  11. Doctor Returns to Congo and Is Hailed as a Hero, The New York Times, 14. Januar 2013
  12. Pressemitteilung Right-Livelihood-Stiftung, Stockholm den 26. September 2013, abgerufen am 28. September 2013 (PDF, 630 kB)
  13. Panzi-Krankenhaus im Kongo schikaniert, taz, 4. Januar 2015
  14. Ausschnitt der Nobelpreis-Rede mit deutschen Untertiteln
  15. Comeback der M23-Rebellen im Kongo, Deutsche Welle, 6. April 2022
  16. Größte vernachlässigte Flüchtlingskrise in der Welt, Tageblatt Lëtzebuerg, 7. Juni 2022
  17. Nobel laureate Mukwege: Ukraine war shows West’s double standards, Politico, 13. Juni 2022
  18. Königspaar besucht Krankenhaus von Nobelpreisträger Mukwege, Belgische Rundfunk der Deutschsprachigen Gemeinschaft, 12. Juni 2022
  19. Nigeria: Daily Trust Award Winner Survives Assassination Bid. 1. November 2012, abgerufen am 4. November 2012.
  20. Dr Denis Mukwege winner of the van Heuven Goedhart Award. (PDF; 621 kB) Juli 2010, archiviert vom Original am 28. September 2013; abgerufen am 4. November 2012.
  21. König-Baudouin-Preis für Entwicklung in Afrika. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 28. September 2013; abgerufen am 4. November 2012.
  22. The Clinton Global Citizen Award. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 4. Oktober 2012; abgerufen am 4. November 2012.
  23. Clinton Global Citizen Award to Dr Denis Mukwege. 27. September 2011, abgerufen am 4. November 2012.
  24. Deutscher Medienpreis 2011 (Memento vom 5. Juli 2016 im Internet Archive), abgerufen am 26. September 2013
  25. 'Dr. Denis Mukwege recognized for his tireless and courageous work on behalf of women victims of rape in war-torn DRC.'. Abgerufen am 22. Oktober 2014.
  26. 'Denis Mukwege Laureate of the 2013 Prize for conflict prevention'. Abgerufen am 22. Oktober 2014.
  27. Fête de l'université 2014 - Doctorats honoris causa. UCL - Université catholique de Louvain. 3. Februar 2014. Archiviert vom Original am 30. Januar 2014. Abgerufen am 3. Februar 2014.
  28. Inamori Ethics Prize (Memento vom 21. Oktober 2014 im Internet Archive), Case Western Reserve University
  29. Sacharow-Preis der Europäischen Union: Afrikanischer Frauenarzt Mukwege geehrt, Spiegel Online, 21. Oktober 2014
  30. M.P.C 94740 (englisch)
  31. Médico distinguido por tratar mulheres violentadas no Congo. Notícias ao Minuto. 17. Juli 2015. Abgerufen am 17. Juli 2015.
  32. Haroon Siddique: Nobel peace prize 2018 won by Denis Mukwege and Nadia Murad - live updates. In: The Guardian. 5. Oktober 2018, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 5. Oktober 2018]).
  33. www.allocine.fr
  34. siehe auch fr:Thierry Michel#Prix
  35. [1]