Eden Gemeinnützige Obstbau-Siedlung

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Alte Mosterei
Inschrift am Genossenschaftshaus: Die drei Bäume stehen für Lebensreform, Bodenreform, Wirtschaftsreform.

Die nördlich von Berlin in Oranienburg liegende Siedlung Eden Gemeinnützige Obstbau-Siedlung eG wurde am 28. Mai 1893 von 18 Berliner Vegetariern als erste vegetarische Siedlung in Deutschland (und noch vor dem Monte Verità in der Schweiz) unter dem Namen Vegetarische Obstbau-Kolonie Eden e.G.m.b.H. gegründet. Sie hatte eine Größe von 125 ha, lag in der Nähe der letzten S-Bahn-Station von Berlin und sollte Berliner Großküchen mit vegetarischen Produkten beliefern. Ab 1920 unter dem Namen Obstbau-Siedelung Eden e.G.m.b.H. geführt, trägt die Genossenschaft seit der Wende ab 1990 die Bezeichnung Eden Gemeinnützige Obstbau-Siedlung eG. Der Name der auch „Garten Eden“ genannten Siedlung wurde nach der Bezeichnung für das Paradies, Eden, gewählt.

Geschichte

Am 28. Mai 1893 beschlossen „etwa 18 […] gleichgesinnte Lebensreformer“ bei einem Treffen im Berliner Speisehaus Ceres unter Berufung auf Eduard Baltzer und unter kaufmännischer Leitung von Bruno Wilhelmi die Gründung des als Genossenschaft organisierten Kleingarten-Projekts Gemeinnützige vegetarische Obstbau-Kolonie Eden.[1][2] Der Kaufmann und Lebensreformer Wilhelmi war die treibende Kraft, um 1893 die vegetarische Lebensweise, den gemeinsamen Bodenbesitz (Sozialreform) und die Großstadtkritik in einem Siedlungsprojekt umzusetzen. In der ersten Ausbaustufe des Projekts entstanden 80 Gärten, die den Siedlungsgenossen in Erbpacht übergeben und satzungsgemäß mit Obstbäumen und Beerensträuchern bepflanzt wurden. Auf den Grundstücken wurden die Heimstätten, die Wohngebäude errichtet. Bis zum Jahr 1900 wurden in der Siedlung 15.000 Obstbäume, 50.000 Beerensträucher, 3000 Haselnusssträucher, 200.000 Erdbeerpflanzen und 20.000 Rhabarberstauden gezählt. Zur Genossenschaft gehören Gewerbebetriebe und soziale Einrichtungen, wie die Edener Druckerei und Buchbinderei, eine eigene Schule sowie die genossenschaftliche Verarbeitung des Obstes. Ab 1899 werden verschiedene Bauten nach einer Erfindung von Gustav Lilienthal mit Zement-Hohlsteinen erbaut, neben Siedlungshäusern auch ein Gasthaus und Erholungsheim sowie eine Gemeinschaftsunterkunft für „Neu-Edener“.

Wegen finanzieller Fehlschläge hatte Wilhelmi bereits 1895 zurücktreten müssen. Nun wurde auch Nichtvegetariern die Teilnahme gestattet und die Sozialreform über den Weg der Genossenschaftsform durch Hermann Krecke († 1904) in den Vordergrund gestellt. Dennoch wurde teilweise weiterhin Eigenbewirtschaftung betrieben. Erfolgreich war die Vermarktung naturreiner Obstprodukte wie Edener Marmeladen, Obst- und Gemüsesäfte, Edener Kraftnahrung als Fleischersatz über die Reformhäuser. Anregungen kamen ebenso aus Ideen, die im Friedrichshagener Dichterkreis zirkulierten. Ein entschiedener Förderer war der Soziologe und Genossenschaftssozialist Franz Oppenheimer, der auch das Siedlungsprojekt Bärenklau bei Velten begleitete. Zu den Vorstandsmitgliedern der Genossenschaft gehörte Paul Schirrmeister, eine der führenden Persönlichkeiten der Lebensreform. Der Freiwirtschaftler Silvio Gesell lebte zeitweise hier.

Die Siedlung öffnete sich aber nicht nur breiter der Lebensreformbewegung, so 1897 dem Wettgehen durch Carl Mann, ferner leichter Reformkleidung (Sandalen, Frauenkleidung ohne viele Unterröcke, Korsett, Sonnenschirm, Riesenhüte oder Muff), sowie Alkohol- und Tabakfreiheit, sondern auch seit der Zeit des Ersten Weltkrieges völkischen und antisemitischen Tendenzen. Daher wurde 1916 erklärt, dass zum „Siedeln“ im Sinne der Siedlung eine „deutsch-völkische Gesinnung“ Voraussetzung sei, zu welcher wiederum nur „deutsches Ariertum“ befähige.[3] Deshalb blieb die Siedlung durch den NS-Staat unbehelligt. 1938 lebten dort 1300 Menschen, davon 395 Siedler; 1939 lebten noch „fast 1000 Menschen“[4] in der Obstbau-Kolonie.

Auch in der DDR konnte die Siedlung als Gärtnerische Produktionsgenossenschaft weiter bestehen, seit 1950 gab es in Bad Soden am Taunus die Tochtergesellschaft Eden-Waren zum Westvertrieb, die mit den Deviseneinnahmen wesentlich zum wirtschaftlichen Überleben beitrug und Kunden der Bundesrepublik Deutschland mit Agrarprodukten der Marke Eden versorgte.[5] 1972 wurde die Obstverwertung als Volkseigener Betrieb abgetrennt und damit für die Einnahmeseite entwertet. 1990 wurde die Rückübertragung beantragt. Im Jahre 2008 lebten in Eden etwa 1500 Menschen.[6]

2017 startete das Edener Künstlerduo bankleer, alias Karin Kasböck und Christoph Leitner, die Bewegung „re:form Eden e.V.“, um ein „Update der lebensreformerischen Ansätze der Siedlung Eden“ zu wagen.[7] Im Rahmen dieser Edener Reformbewegung folgte 2018 anlässlich des 125-jährigen Jubiläums der Siedlung ein Projekt namens RE:EDEN, welches einlädt, „die Gründungsgedanken Edens neu zu befragen“.[8] Das Projekt RE:EDEN sei, so die Vision des Vereins re:form, „ein Versuch, der Zukunft in der Gegenwart eine Gestalt zu geben“.[9] Gegenwärtig setzen sich neben Edenern eine Vielzahl an Gruppen und Personen sowie die breitere Öffentlichkeit mit einer Serie von Salons, einer Sommerakademie sowie einem Festival auseinander, um „an Zukünften Edens im 21. Jahrhundert mitzudenken“.[8]

Prominente Edener

Relief am Genossenschaftshaus
Relief
Ehemalige Jugendherberge
  • Adolf Damaschke (1865–1935), Führer der Bodenreformbewegung, war von 1911 bis zu seinem Tode 1935 Mitglied der Genossenschaft.
  • Silvio Gesell (1862–1930), ab 1911 bis zum Ersten Weltkrieg in Eden, kehrte 1927 hierher zurück und blieb bis zu seinem Tod 1930.
  • Wilhelm Groß (1883–1974), Bildhauer und Prediger
  • Carl Gustav Hempel (1905–1997), Philosoph, wuchs hier auf.
  • Karl Klindworth (1830–1916), Komponist, Dirigent, Musikpädagoge und Klaviervirtuose
  • Gustav Lilienthal (1849–1933), Flugpionier und Baumeister, errichtete Siedlungshäuser, lebte aber nicht in Eden.
  • Winifred Wagner (1897–1980), Adoptivtochter von Karl Klindworth, Schwiegertochter von Richard Wagner

Ähnliche Gemeinschaften

Reformsiedlung Eden in Wien

Ohne Mitwirken oder Beteiligung der Oranienburger Obstbau-Siedlung Eden wurde im Sommer 1921 in Wien die Bau- und Siedlungsgenossenschaft und Reformsiedlung Eden gegründet. Das Büro des Wiener Architekten Ernst Egli, in dem zu der Zeit auch Margarete Schütte-Lihotzky als Mitarbeiterin tätig war, erstellte den Bebauungsplan, der später jedoch nur teilweise realisiert wurde.

Die Siedlung wurde 1922/1923 im 14. Bezirk am Hang des Wolfersberges zwischen Hüttelbergstraße, Edenstraße, Knödelhüttenstraße, Mittelstraße und Haspelmeistergasse erbaut. Das Gebiet, auf dem zunächst 25 Häuser in der Edenstraße als Selbstversorgersiedlung geplant wurden, war durch wilde Landnahme nach dem Ersten Weltkrieg bereits weitgehend gerodet und planlos ohne infrastrukturelle Maßnahmen verbaut worden. Die Siedler hatten vor Baubeginn die Erschließungsarbeiten zu leiten und mussten als Anwärter auf einen Bauplatz zwischen 1000 und 3000 unbezahlte Arbeitsstunden für die Siedlergemeinschaft leisten. Die Stadt Wien verpachtete die Grundstücke im Erbbaurecht und vergab oder vermittelte günstige Baukredite und Hypotheken.[10] Die Häuser hatten Vorgärten sowie hinter dem Haus maximal 500 m² große Gärten zur Selbstversorgung.[11]

Die Siedlung selbst war zu keiner Zeit ein rein anarchistisches oder bodenreformerisches Projekt, da die Siedler aus Geldmangel mit anderen Vereinigungen und Gruppen wie den Theosophen, Baptisten und Freidenkern zusammen arbeiteten.[12] Die Siedlung selbst existiert noch heute, jedoch ist von den damaligen Bauten kaum etwas erhalten, da die Häuser um- bzw. ausgebaut wurden.[13] Aus den Anfängen der Siedlung sind die beiden von den Architekten geplanten Musterhäuser erhalten sowie das von den Theosophen gebaute Kinderheim, das heute als privates Wohnhaus genutzt wird.

Kolonie Heimland

Eine Kolonie, die Eden als Vorbild hatte, war Heimland in Brandenburg, die am 18. Oktober 1908 als Siedlungsgesellschaft Heimland gegründet wurde. Treibende Kraft für das Projekt war Theodor Fritsch (1852–1933), der seine Ideen schon 1896 in seinem Buch „Die Stadt der Zukunft“ publizierte.

Mustersiedlung Freidorf

In die Mustersiedlung Freidorf bei Basel lebten ab 1921 rund 150 Familien aus der schweizerischen Genossenschaftsbewegung am Stadtrand von Basel in einem dörflich-kooperativen Siedlungsexperiment jenseits von kapitalistischer Konkurrenzwirtschaft.

Lebensgarten Steyerberg

Der Lebensgarten Steyerberg ist eine 1986 gegründete Siedlungsgemeinschaft im Flecken Steyerberg des Landkreises Nienburg in Niedersachsen. Er versteht sich als Modell- und Forschungsprojekt für eine Lebensweise im Einklang mit der Natur.

Ökodorf Sieben Linden

Das Ökodorf Sieben Linden ist eine seit 1997 bestehende sozial-ökologische Modellsiedlung und Gemeinschaft in der altmärkischen Gemeinde Beetzendorf (Sachsen-Anhalt). Es versteht sich als Modell- und Forschungsprojekt für eine zukunftsorientierte Lebensweise, in der Arbeit und Freizeit, Ökonomie und Ökologie, Individuum und Gemeinschaft, weltoffene und dörfliche Kultur in kleinen Lebenskreisen zu einem Gleichgewicht finden.

Ökosiedlung Tempelhof

Die Ökosiedlung Tempelhof ist eine seit 2010 bestehende Gemeinschaft in Kreßberg im nördlichen Baden-Württemberg. Zwanzig Menschen aus vielfältigen Gesellschafts- und Glaubensrichtungen arbeiteten drei Jahre an der Vision vom gemeinsamen Leben mit einer ökologisch nachhaltigen Daseinsform, die seit 2011 umgesetzt wird.

Literatur

  • Judith Baumgartner: Ernährungsreform – Antwort auf Industrialisierung und Ernährungswandel. Ernährungsreform als Teil der Lebensreformbewegung am Beispiel der Siedlung und des Unternehmens Eden seit 1893. Diss. München, 1992. Lang, Frankfurt u. a. 1992; ISBN 3-631-45240-3
  • Christian Böttger: Zum Leben in den genossenschaftlichen Siedlungen „Eden“ und „Falkenberg“ vom Beginn ihres Bestehens bis 1933: eine vergleichende volkskundliche Untersuchung der Lebensweise und Kultur von Bewohnern zweier Siedlungen im Berliner Raum. Diss. Humboldt-Universität Berlin, 1993; DNB 940907895.
  • Ulrich Grober: Ausstieg in die Zukunft: eine Reise zu Ökosiedlungen, Energie-Werkstätten und Denkfabriken. Links, Berlin 1998; ISBN 3-86153-159-3.
  • K. Großmann (Hrsg.): 75 Jahre Eden (1893–1968). Die Obstbausiedlung Oranienburg und die Tochtergesellschaft Eden-Waren. Bad Soden am Taunus 1968.
  • Hermann Kaienburg: Der Traum vom Garten Eden. Die Gartenbausiedlung „Eden“ in Oranienburg als alternative Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52, Heft 12, 2004, S. 1077–1090
  • Ulrich Linse (Hrsg.); Zurück, o Mensch, zur Mutter Erde. Landkommunen in Deutschland. 1890–1933, München 1983.
  • Werner Onken: Die Genossenschaftssiedlung Eden-Oranienburg – Geschichte und Aktualität eines Bodenreformexperiments. In: Modellversuche mit sozialpflichtigem Boden und Geld. Fachverlage für Sozialökonomie, Lütjenburg, 1997; ISBN 3-87998-440-9, (Online als PDF)
  • Joachim Joe Scholz: Haben wir die Jugend, so haben wir die Zukunft. Die Obstbausiedlung Eden/Oranienburg als alternatives Gesellschafts- und Erziehungsmodell (1893–1926) (= Bildungs- und kulturgeschichtliche Beiträge für Berlin und Brandenburg, Band 3). Weidler, Berlin 2002; ISBN 3-89693-217-9
  • Astrid Segert, Irene Zierke: Auf der Suche nach Eden. Die lebensreformerische Genossenschaft Eden an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. (= Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, 16). Waxmann, Münster, 2002, ISBN 3-8309-1015-0.
  • Hanna Spiegel: Der Bildhauer Wilhelm Groß in Eden: Facetten aus Leben und Werk der Jahre 1919 bis 1974. Edition Pommern, Elmenhorst/Vorpommern 2016, ISBN 978-3-939680-33-8.
  • Der Garten Eden im Kreise Niederbarnim. In: Kalender 1914 für den Kreis Niederbarnim. Oranienburg 1914, S. 90–92.
  • Brigitte Tast, Hans-Jürgen Tast: Deutschlandreise in der Via 113. Kulleraugen-Medienschriften, Schellerten 2018. ISBN 978-3-88842-051-1. S. 14 ff.

Weblinks

Commons: Eden Gemeinnützige Obstbau-Siedlung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Karl Eduard Rothschuh: Naturheilbewegung, Reformbewegung, Alternativbewegung. Stuttgart 1983; Nachdruck Darmstadt 1986, S. 114–116-
  2. Gundolf Keil: Vegetarisch. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015 (2016), S. 29–68, hier: S. 56–58.
  3. George L. Mosse: Die völkische Revolution. Über die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus. Frankfurt/Main 1991, S. 123 f.
  4. Robert Jütte: Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den unkonventionellen Therapien von heute. Beck, München 1996, ISBN 3-406-40495-2, S. 160.
  5. Gundolf Keil: Vegetarisch. 2015 (2016), S. 58.
  6. Anja Sokolow: Das Paradies liegt in Brandenburg Die Eisenbergers und die Obstbausiedlung „Eden“ - An Havel & Spree. In: Der Tagesspiegel: Potsdamer Neueste Nachrichten. 14. Oktober 2008. Abgerufen am 21. Mai 2016.
  7. re.eden, 27. mai – 23. sept, 2018. bankleer – Künstlerduo Kasböck/Leitner, abgerufen am 27. September 2018.
  8. a b RE:EDEN. Abgerufen am 27. September 2018.
  9. RE:EDEN Manifest. Abgerufen am 27. September 2018.
  10. Pedro Waloschek (Herausgeber): Der Architekt Hans Waloschek: Sein Leben und seine Freunde, Books on Demand; Auflage: 1., (17. Februar 2009), ISBN 978-3-8370-8084-1
  11. Siedlung Eden im Wien Geschichte Wiki der Stadt Wien
  12. Ein Edelanarchist aus Eden - Über den Anarchisten und Antimilitaristen Alfred Saueracker/Alfred Parker
  13. Ernst Egli im Architektenlexikon

Koordinaten: 52° 45′ N, 13° 12′ O