Eisbergmodell (Literatur)

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Das Eisbergmodell (engl.: Iceberg Theory) ist ein erzähltheoretischer Ansatz, der auf den Schriftsteller Ernest Hemingway zurückgeht.[1]

In einer vielzitierten Passage verwendet Hemingway in Death in the Afternoon (dt. Tod am Nachmittag) das Bild eines Eisbergs, um seine Vorstellung von der Kunst des Weglassens und der erzählerischen Kürze zu verdeutlichen:[2]

„Wenn ein Prosaschriftsteller genug davon versteht, worüber er schreibt, so soll er aussparen, was ihm klar ist. Wenn der Schriftsteller nur aufrichtig genug schreibt, wird der Leser das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht. Ein Eisberg bewegt sich darum so anmutig, da sich nur ein Achtel von ihm über Wasser befindet.“

(E. Hemingway)

Der eigentliche, tiefergehende oder symbolische Bedeutungsgehalt einer kunstvoll aufgebauten Erzählung liegt demzufolge größtenteils im Verborgenen und muss vom Leser durch dessen eigene Vorstellungskraft oder Erfahrung aktiv erschlossen werden.[3]

Nach Hemingway verstärken die auf der Oberflächenebene des Textes ausgesparten Informationen das Fundament des Eisbergs (und damit die Aussage der Geschichte).[4] Die erzählte Handlung dient dazu, einen Subtext zu erschaffen. Auf der sprachlichen Ebene entspricht dem Eisberg-Modell Hemingways ein syntaktisch und lexikalisch einfacher, lakonischer Erzählstil, der dennoch Präzision in der Wortwahl aufweist.[5]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Vgl. Carlos Baker: Hemingway – The Writer as Artist. Charles Scribner’s Sons, 4. Aufl. New York 1973, ISBN 0-691-01305-5, S. 117.
  2. Vgl. Death in the Afternoon, chapter 16, Charles Scribner’s Sons, New York 1932, S. 192: „If a writer of prose knows enough of what he is writing about he may omit things that he knows and the reader, if the writer is writing truly enough, will have a feeling of those things as strongly as though the writer had stated them. The dignity of movement of an ice-berg is due to only one-eighth of it being above water. A writer who omits things because he does not know them only makes hollow places in his writing“.
  3. Vgl. Carlos Baker: Hemingway – The Writer as Artist. Charles Scribner’s Sons, 4. Aufl. New York 1973, ISBN 0-691-01305-5, S. 117. Siehe auch Detlev Gohrbandt: The Ice-Berg Theory. In: Detlev Gohrbandt: Ernest Hemingway – The Short and Happy Life of Francis Macomber and Other Stories. Model Interpretations. Klett Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-12-577390-3, S. 10–12. Ebenso Lisa Tyler: Student Companion to Hemingway. Greenwood Press 2001, ISBN 0-313-31056-4, S. 22. Tyler zitiert in diesem Zusammenhang eine Hemingway zugeschriebene Aussage, die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde: „[…] my style is suggestive rather than direct […] The reader must often use his imagination or lose the most subtle part of my thought“.
  4. Vgl. Lisa Tyler: Student Companion to Hemingway. Greenwood Press 2001, ISBN 0-313-31056-4, S. 22.
  5. Vgl. Carlos Baker: Hemingway – The Writer as Artist. Charles Scribner’s Sons, 4. Aufl. New York 1973, ISBN 0-691-01305-5, S. 117f. Siehe auch Detlev Gohrbandt: The Simple Style. In: Detlev Gohrbandt: Ernest Hemingway – The Short and Happy Life of Francis Macomber and Other Stories. Model Interpretations. Klett Verlag, Stuttgart 1985, ISBN 3-12-577390-3, S. 12f.: „This simplicity of style, both in vocabulary and syntax, is the linguistic equivalent of the ice-berg theory.“