Elektrosensibilität

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Als elektrosensibel werden Menschen bezeichnet, die nach eigenen Angaben elektrische, magnetische oder elektromagnetische Felder (EMF) wahrnehmen können. Solche Felder werden von elektrotechnischen Anlagen erzeugt und umgangssprachlich als Elektrosmog bezeichnet. Quellen der primär technisch genutzten EMF sind zumeist Mobilfunk, Rundfunksender, Radargeräte, DECT-Telefone, WLAN, Mikrowellenherde oder Bluetooth. Andere höherfrequente Strahlungen wie Infrarotstrahlung, sichtbares Licht, Röntgen- und Gammastrahlung werden dabei nicht betrachtet, obwohl diese auch elektromagnetische Felder darstellen.

Zu unterscheiden sind die elektromagnetische Sensibilität, also die Fähigkeit eines Lebewesens, EMF körperlich wahrzunehmen, und die elektromagnetische Hypersensitivität, die sich in der Entwicklung von Krankheitssymptomen als Folge der Einwirkung elektrischer bzw. elektromagnetischer Felder zeigen soll.[1]

Studienlage zur Elektrosensibilität

Studien können die behauptete Elektrosensibilität beim Menschen mehrheitlich nicht belegen. Bei älteren Studien bis zum Jahre 2003, die sich mit der Frage nach der Erkennung hochfrequenter Felder durch Elektrosensible beschäftigten, fand sich keine Bestätigung für die Hypothese, dass Elektrosensible angeben konnten, ob ein entsprechendes Feld anwesend war.[2][3][4][5][6][7] Bei weiteren wissenschaftlichen Studien fand sich bei Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichneten, kein Zusammenhang zwischen subjektiven Symptomen und Anwesenheit von hochfrequenten Feldern.[8][9]

Eine Peer-Review-Studie aus den Niederlanden, der TNO-FEL-Report, untersuchte im Jahre 2003 eine mögliche unterschiedliche Auswirkung auf sich selbst als elektrosensibel bezeichnende Personen bei zwei unterschiedlichen Mobilfunksystemen.[10][11] Hier zeigte sich ein signifikantes Ergebnis bei dem Mobilfunksystem Universal Mobile Telecommunications System (UMTS), jedoch nicht bei dem System Global System for Mobile Communications (GSM).[12]

Ein Teil der TNO-Studie zur Elektrosensibilität wurde 2005 von einer Forschergruppe an der ETH Zürich in einer doppelt verblindeten Cross-over-Studie wiederholt und veröffentlicht. Die Ergebnisse widersprechen dabei den Ergebnissen der TNO-Studie.[13]

Eine Untersuchung von Gerlinde Kaul von der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zeigte, dass keine der 48 Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichneten, unter wissenschaftlichen Bedingungen auf hochfrequente Felder und magnetische Wechselfelder reagierten und angeben konnten, wann diese Felder aktiv waren. Die Kontrollgruppe bestand aus 96 Personen.[14][15]

Die stochastischen athermischen Effekte sind von thermischen Wirkungen von EMF zu unterscheiden. Das Schädigungspotenzial letzterer auf alle Lebewesen ab einem bestimmten Schwellenwert ist seit Jahrzehnten zweifelsfrei belegt.[16] Für die oben angesprochenen athermischen Wirkungen gibt es jedoch keine Anhaltspunkte.

Erst ab einem gewissen Schwellenwert reagiert der Körper zwar auf elektromagnetische Strahlung; die festgelegten Grenzwerte für elektromagnetische Felder liegen deutlich unter diesem Schwellenwert.[17]

In einer 2011 veröffentlichten Studie der Strahlenschutzkommission heißt es:[18]

„Die Ergebnisse des DMF [Anm.: Deutsches Mobilfunk-Forschungsprogramm] zeigen, dass die ursprünglichen Befürchtungen über gesundheitliche Risiken nicht bestätigt werden konnten. Es haben sich durch die Forschungsergebnisse des DMF auch keine neuen Hinweise auf bisher noch nicht bedachte gesundheitliche Auswirkungen ergeben. In Übereinstimmung mit anderen internationalen Gremien (ICNIRP 2009, WHO 2011) kann festgestellt werden, dass die den bestehenden Grenzwerten zugrundeliegenden Schutzkonzepte nicht in Frage gestellt sind.“

In derselben Studie heißt es, es gebe noch Forschungsbedarf und es sei aus

„[…] der Sicht des Strahlenschutzes […] festzustellen, dass auf Basis der durchgeführten Forschungsprojekte die Gesamtproblematik der biologisch-medizinischen Wirkungen der Felder des Mobilfunks nicht endgültig geklärt werden konnte.“

Elektromagnetische Hypersensibilität

Im Jahr 1998 sagt ein EU-Report zur elektromagnetischen Hypersensibilität, dass „es bislang keine diagnostischen Kriterien und keine nachgewiesenen Wirkungsmechanismen“ gebe.[19][20]

Auch die Weltgesundheitsorganisation schloss 2005, dass es keine Verbindung zwischen elektromagnetischen Feldern und den Symptomen, die der elektromagnetischen Hypersensitivität zugeschrieben werden, gibt.[21]

Symptomatik

Menschen, die sich für elektrosensibel halten, geben Symptome wie z. B. Übelkeit, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen an.[17] Es werden ebenfalls Bluthochdruck, Blutdruckschwankungen, Schwindel, Tinnitus, Wortfindungsschwierigkeiten, Konzentrationsstörungen, Sehstörungen, Hautkrankheit oder Schädigungen auf Zellebene beschrieben.

Frey-Effekt

Bei einigen Menschen können elektromagnetische Hochfrequenzen im MHz- und GHz-Bereich in der Hörschnecke des Innenohrs (Cochlea) einen leise wahrnehmbaren akustischen Reiz auslösen. Der Effekt wurde erstmals 1947 berichtet und wird seit 1961 untersucht. Der Frey-Effekt ist reproduzierbar. Als ursächlich angenommen werden durch die Hochfrequenz induzierte, minimale, aber schnelle Temperaturänderungen im Millionstel-Kelvin-Bereich.[22]

Abgrenzungen

Wenn es allgemein um die Auswirkung der ausgestrahlten Felder auf die Umwelt (inklusive Mensch) geht, so spricht man von der elektromagnetischen Umweltverträglichkeit (EMVU). Geht es um die Auswirkung auf andere technische Geräte, so spricht man von der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. J. Schröttner, N. Leitgeb, L. Hillert: Investigation of electric current perception thresholds of different EHS groups. In: Bioelectromagnetics. Band 28, Nummer 3, April 2007, S. 208–213, ISSN 0197-8462. doi:10.1002/bem.20294. PMID 17080457.
  2. S. Lonne-Rahm, B. Andersson, L. Melin, M. Schultzberg, B. Arnetz: Provocation with stress and electricity of patients with "sensitivity to electricity". In: Journal of Occupational and Environmental Medicine. Band 42, Nr. 5, 2000, ISSN 1076-2752, S. 512–516, PMID 10824304.
  3. S. Braune, A. Riedel, J. Schulte-Mönting, J. Raczek: Influence of a radiofrequency electromagnetic field on cardiovascular and hormonal parameters of the autonomic nervous system in healthy individuals. In: Radiation Research. Band 158, Nr. 3, 2002, ISSN 0033-7587, S. 352–356, PMID 12175313.
  4. A. Barth, L. Maritczak, E. Valic, C. Konnaris, C. Wolf: [Pseudostenocardia due to exposure to "electrosmog"]. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift (1946). Band 125, Nr. 27, 7. Juli 2000, ISSN 0012-0472, S. 830–832, doi:10.1055/s-2000-7009, PMID 10929538.
  5. U. Flodin, A. Seneby, C. Tegenfeldt: Provocation of electric hypersensitivity under everyday conditions. In: Scandinavian Journal of Work, Environment & Health. Band 26, Nr. 2, 2000, ISSN 0355-3140, S. 93–98, PMID 10817373.
  6. B. Andersson, M. Berg, B. B. Arnetz, L. Melin, I. Langlet: A cognitive-behavioral treatment of patients suffering from "electric hypersensitivity". Subjective effects and reactions in a double-blind provocation study. In: Journal of Occupational and Environmental Medicine. Band 38, Nr. 8, 1996, ISSN 1076-2752, S. 752–758, PMID 8863199.
  7. William J. Rea, Yagin Pan, Ervin J. Fenyves, Iehiko Sujisawa, Hideo Suyama: Electromagnetic Field Sensitivity. In: Journal of Bioelectricity. Band 10, Nr. 1-2, 1991, ISSN 0730-823X, S. 241–256, doi:10.3109/15368379109031410 (aehf.com [abgerufen am 25. Oktober 2018]).
  8. Maila Hietanen, Anna-Maija Hämäläinen, Tuula Husman: Hypersensitivity symptoms associated with exposure to cellular telephones: No causal link. In: Bioelectromagnetics. Band 23, Nr. 4, 2. April 2002, ISSN 0197-8462, S. 264–270, doi:10.1002/bem.10016 (wiley.com [abgerufen am 7. Oktober 2018]).
  9. A. Barth, L. Maritczak, E. Valic, C. Konnaris, C. Wolf: [Pseudostenocardia due to exposure to "electrosmog"]. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift (1946). Band 125, Nr. 27, 7. Juli 2000, ISSN 0012-0472, S. 830–832, doi:10.1055/s-2000-7009, PMID 10929538.
  10. TNO-FEL report: FEL -03-C148, 2003. Effects of Global Communication system radio-frequency fields on Well Being and Cognitive Functions of human subjects with and without subjective complaints.
  11. TNO-report FEL-03-C148. (Memento vom 21. August 2010 im Internet Archive) auf: milieuziektes.nl
  12. Diskussionsstand zur TNO-Studie. auf: milieuziektes.nl
  13. S. J. Regel, S. Negovetic, M. Röösli, V. Berdiñas, J. Schuderer, A. Huss, U. Lott, N. Kuster, P. Achermann: UMTS base station-like exposure, well-being, and cognitive performance. In: Environmental health perspectives. Band 114, Nummer 8, August 2006, S. 1270–1275, ISSN 0091-6765. PMID 16882538. PMC 1552030 (freier Volltext).
  14. Gerlinde Kaul: Ergebnisse und Befundzusammenhänge aus der Beobachtung einer 'Elektrosensibilität' gegenüber einem 50-Hz-Magnetfeld und dem GSM-Funkfeld eines Mobiltelefons. (PDF; 25Kb) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 21. November 2006, abgerufen am 21. Dezember 2015.
  15. G. Kaul: „Elektrosensibilität“. Hält die Wahrnehmung der Realität stand? In: Symposium medical. 17, Heft 6, 2006, S. 12ff.
  16. A. Ahlbom, U. Bergqvist, J. H. Bernhardt, J. P. Cesarini, L. A. Court: ICNIRP Guidelines for limiting exposure to time-varying electric, magnetic, and electromagnetic fields (up to 300 GHz). In: Health Physics. Band 74, Nr. 4, 1998, ISSN 0017-9078, S. 494–521, PMID 9525427 (icnirp.org [PDF; abgerufen am 7. Oktober 2018]).
  17. a b Elektrosensibilität: Das sagt die Forschung. In: Quarks. 2. März 2017, abgerufen am 16. November 2020.
  18. Biologische Auswirkungen des Mobilfunks – Gesamtschau –. Stellungnahme der Strahlenschutzkommission (verabschiedet in der 250. Sitzung der Strahlenschutzkommission am 29. und 30. September 2011, PDF, abgerufen am 20. November 2015)
  19. EU-Report über „elektromagnetische Hypersensibilität“. In: Dtsch Arztebl. 95(4), 1998, S. A-130 / B-112 / C-108.
  20. Gerlinde Kaul: Was verursacht „elektromagnetische Hypersensibilität“? (PDF; 1,5 MB) Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2009.
  21. WHO | Electromagnetic fields and public health. Abgerufen am 25. Oktober 2018.
  22. J. A. Elder, C. K. Chou: Auditory Response to Pulsed Radiofrequency Energy. In: Bioelectromagnetics. Supplement 6, 21. Mai 2003, S. 162–173, abgerufen am 12. Juni 2015, doi:10.1002/bem.10163 (PDF; 113 KB)