Finanzkapital

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Das Finanzkapital umfasst vornehmlich das von Kreditinstituten und anderen Kapitalsammelstellen wie Versicherungen, Bausparkassen und Investmentgesellschaften gehaltene Kapital.

Marxistische Verwendung

Der Begriff wurde vom Austromarxisten Rudolf Hilferding geprägt. In seinem Buch Das Finanzkapital (1910) beschreibt er eine Entwicklungsstufe des Kapitalismus, in der die Konzentration innerhalb des Bankwesens ein bedeutender Motor für das Erreichen des höchsten Stadiums der kapitalistischen Konzentration in Form von Trusts und Kartellen ist. Dadurch wächst die Abhängigkeit der Industrie von den Banken. Ein immer größerer Anteil des benötigten Investitionskapitals wird durch die Banken zur Verfügung gestellt, in deren Besitz ein wachsender Anteil des Industriekapitals übergeht. Es kommt zu einem Konzentrationsprozess des Bankkapitals, an deren Endpunkt eine Bank oder Bankengruppe die Verfügung über das gesamte Geldkapital erhält. „Eine solche ‚Zentralbank‘ würde dann die Kontrolle über die gesamte gesellschaftliche Produktion ausüben.“[1] Hilferding verband damit die Vorstellung von der Milderung der Krisen durch die finanzkapitalistische Mega-Vergesellschaftung von Industrie- und Banken-Agglomerationen.[2]

Hilferding schrieb:

„Das Finanzkapital will nicht Freiheit, sondern Herrschaft; es hat keinen Sinn für die Selbstständigkeit der Einzelkapitalisten, sondern verlangt seine Bindung; es verabscheut die Anarchie der Konkurrenz und will die Organisation [...] um dies durchzusetzen [...] braucht es den Staat [...] einen politisch mächtigen Staat“[3]

Der Begriff Finanzkapital wurde wichtig für die sozialdemokratische Theorie vom organisierten Kapitalismus und der leninistischen Theorie des Imperialismus als dem höchsten Stadium des Kapitalismus. Innerhalb des Marxismus ist diese Begriffsverwendung allerdings umstritten.[2] Im Staatsmonopolistischen Kapitalismus kommt es nach marxistischer Auffassung zur Übernahme des Staates durch das Finanzkapital, was zur Herausbildung einer Finanzoligarchie führt.

Antisemitische Verwendung

Auf den Sozialwissenschaftler Werner Sombart[4][5][6] und den nationalsozialistischen Wirtschaftspolitiker Gottfried Feder geht die Unterscheidung zwischen „schaffendem“ Industriekapital und „raffendem“ Finanzkapital zurück, wobei das raffende Finanzkapital mit der „jüdisch-internationalen Hochfinanz“ identifiziert wurde.[7][8] In Mein Kampf unterscheidet Adolf Hitler unter Berufung auf Gottfried Feder „die beiden Kapitals-Arten“, des „reinen Kapitals als letztes Ergebnis der schaffenden Arbeit“ und einem „Kapital, dessen Existenz ausschließlich auf Spekulation“ beruht.[9]

Auch heute kann das Wort Finanzkapital antisemitische Konnotationen enthalten.[10] (siehe auch Struktureller Antisemitismus).

Finanzmarktkapitalismus

In Begriffen wie „Finanzmarkt-Kapitalismus“ oder „Finanzkapitalismus“[11] wird eine Dominanz der Institutionen des Finanzmarktes gegenüber der Realwirtschaft beschrieben.

Literatur

  • Peter Decker, Konrad Hecker, Joseph Patrick: Das Finanzkapital. GegenStandpunkt Verlag, München 2016, ISBN 978-3-929211-16-0.
  • Wladimir Iljitsch Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Dietz, Berlin.
  • Guenther Sandleben: Nationalökonomie & Staat. Zur Kritik der Theorie des Finanzkapitals. VSA-Verlag, Hamburg 2003, ISBN 3-89965-030-1.
  • Wilhelm Smaldone: Rudolf Hilferding. Tragödie eines deutschen Sozialdemokraten (= Reihe Politik- und Gesellschaftsgeschichte. Bd. 55). Dietz, Bonn 2000, ISBN 3-8012-4113-0.
  • Alexander Stein: Rudolf Hilferding und die deutsche Arbeiterbewegung. Gedenkblätter. Hamburger Buchdruckerei und Verlags Anstalt Auerdruck, Hamburg 1946.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 4. Argument, Hamburg 1999, Sp. 516f. – Hilferding-Zitat aus Das Finanzkapital. Berlin 1947, S. 234.
  2. a b Robert Kurz: Die Tücken des Finanzkapitals. Innere Grenzen der Akkumulation, verkürzte Kapitalismuskritik und antisemitisches Syndrom. In: trend onlinezeitung. Nr. 12/03
  3. Zit. n. Wolfgang J. Mommsen: Imperialismustheorien. Göttingen 1980, S. 32 f.
  4. Friedemann Schmoll: Die Verteidigung organischer Ordnungen. Naturschutz und Antisemitismus zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. In: Joachim Radkau & Frank Uekötter (Hrsg.): Naturschutz und Nationalsozialismus. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003, ISBN 3-593-37354-8, S. 176.
  5. Werner Sombart: Die Juden und das Wirtschaftsleben. Berlin 1911, S. 337 ff.
  6. Rainer Hank: „Ich spekuliere. Na und?“ Was die Wut auf Spekulanten mit Antisemitismus gemein hat. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 14. März 2010, S. 49.
  7. Avraham Barkai: Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus. Ideologie, Theorie, Politik. 1933-1945. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1988, ISBN 3-596-24401-3, S. 29.
  8. Pia Gerber: Erwerbsbeteiligung von deutschen und ausländischen Frauen 1933-1945 in Deutschland: Entwicklungslinien und Aspekte politischer Steuerung der Frauenerwerbstätigkeit im Nationalsozialismus. Lang, Frankfurt am Main [u. a.] 1996, ISBN 3-631-50030-0
  9. Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel (Hrsg.): Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition. Institut für Zeitgeschichte München – Berlin, München 2016, Bd. 1, S. 565 ff.
  10. Siegfried Jäger & Margarete Jäger: Medienbild Israel. Zwischen Solidarität und Antisemitismus. Lit, Münster/Hamburg/London 2003, ISBN 3-8258-6446-4, S. 25
  11. Norbert Blüm: Ehrliche Arbeit. Ein Angriff auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011, ISBN 978-3-579-06746-9