François Reubi

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François Reubi (* 10. Juli 1917 in Neuenburg; † 14. Mai 1997 in Lausanne; heimatberechtigt in Neuenburg und Ins) war ein Schweizer Internist mit umfangreichen Arbeiten zur Nierenheilkunde. Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie ernannte ihn zum Ehrenmitglied.

Leben

François Reubi absolvierte das Gymnasium in Neuenburg und studierte Medizin an den Universitäten Neuenburg, Bern und Genf. 1944 wurde er in Genf zum Dr. med. promoviert. 1951 wurde er in Bern für Innere Medizin habilitiert und 1954 zum ausserordentlichen sowie 1961 zum ordentlichen Professor berufen. 1986 wurde er emeritiert. Reubi war Direktor der Medizinischen Poliklinik der Universität Bern.

Er forschte zur Nierenfunktion bei hohem Blutdruck, den Nierenleiden mit grossem Eiweissverlust im Urin, den entzündlichen Nierenerkrankungen, der Schockniere, den renalen Ausscheidungsstörungen wichtiger körpereigener Substanzen (z. B. renaler Diabetes) und zu Medikamenten sowie zu den Verfahren von künstlichen Nieren und zur Nierentransplantation. Die klinische Anwendung von quantitativen Nierenfunktionsproben (Clearances) stand im Zentrum seines Werks. Sein Lehrbuch der Nephrologie veröffentlichte er auf Deutsch in drei und auf Französisch in zwei Auflagen; es wurde ins Italienische und Spanische übersetzt. 1949 war Reubi einer der fünf Gründer der Société de pathologie rénale, die 1960 zur Société de néphrologie wurde. Er war auch einer der Mitautoren von Band 8 der letzten Auflage des Handbuches der inneren Medizin (Springer-Verlag 1968) mit insgesamt über 3000 Seiten zur Nierenheilkunde.

François Reubi starb nach schwerer Krankheit.

Wissenschaftliches Wirken

Die Theorien der Harnbereitung[1][2] (und damit die Erklärungsversuche für Anurie, Oligurie und Polyurie) haben eine lange Geschichte.[3] Schon Leonhart Fuchs (1501–1566) beschrieb die Niere als Sieb oder Filter. Auch der österreichische Anatom Josef Hyrtl bezeichnete die Niere als Seihe (seyhe) oder Sieb. William Bowman behauptete noch 1842, die glomerulären Kapillargefässe schieden Wasser aus, welches die von den Tubuli sezernierten Stoffe wegspüle.[4][5]

Das identische Problem der anurischen Niere konnte ebenfalls lange nicht abschliessend gelöst werden. Aber ungefähr seit 1965 wird nach umfangreichen Forschungen (besonders auch von François Reubi schon in seiner Habilitationsschrift 1950) wohl nicht mehr an der fast «totalen Rückresorption des Glomerulumfiltrates» in den Tubuli (unabhängig von der glomerulären Filtration) gezweifelt.[6]

Reubi beschreibt «die Auffassungen über die glomeruläre Filtration, die renale Durchblutung und die tubulären Funktionen kritisch.»[7]

Rezeption

Schon Franz Volhard, der Nestor der deutschen Nephrologie, hat diese «moderne mechanisch-physikalische Filtrationstheorie» abgelehnt,[8] obwohl er sie mehrfach ausführlich richtig beschrieb («Filtrations-Rückresorptions-Theorie von Ludwig und Cushny»).[9] Das (neurohumoral geregelte und medikamentös modulierte) Zusammenspiel von Physik und Chemie in den Podozyten und in den einzelnen Tubulusabschnitten in Bezug auf die einzelnen harnpflichtigen Substanzen ist jedoch auch heute noch nicht in allen Einzelheiten geklärt.

Trotz der ausführlichen Beschreibung in Reubis Lehrbüchern ist seine abschliessende Erkenntnis über das Zusammenspiel von Glomerulum und Tubulus im Nephron noch nicht allgemeine Lehrmeinung. So wird in einem aktuellen Standardwerk dieses Problem mit keiner Silbe erwähnt; das Wort Anurie findet sich nur einmal (beim akuten Nierenversagen).[10] Auch in einem anderen Lehrbuch wird diese Fragestellung nicht thematisiert; auch hier findet sich die Anurie nur einmal (bei der Medikamentendosierung während einer Anurie).[11] Im Standardwerk Harrisons Innere Medizin wird die Tubulusnekrose als eine mögliche Ursache der Anurie erwähnt, ohne auf die gegenteilig wirkende erhöhte tubuläre Rückresorption einzugehen.[12] Im The Merck Manual werden nur prärenale und postrenale Ursachen der Anurie erwähnt, nicht jedoch die Tubulusfunktion.[13] Auch Gerd Herold nennt nur die Definition «Anurie: < 100 ml Harn/d», ohne auf Entstehung und Bedeutung einzugehen.[14]

Schriften (Auswahl)

  • Les vaisseaux et les glandes endocrines dans la neurofibromatose. Le syndrome sympathicotonique dans la maladie de Recklinghausen. In: Revue suisse de pathologie générale et de bactériologie. Bd. 7 (1944), Nr. 3, S. 169–236 (Dissertation, Universität Genf, 1944).
  • Le flux sanguin rénal. Aspects physiopathologiques, cliniques et thérapeutiques (= Helvetica Medica Acta. Bd. 17, Suppl. 26). Schwabe, Basel 1950 (Habilitationsschrift, Universität Bern, 1950).
  • Nierenkrankheiten. Verlag Hans Huber, Bern / Stuttgart 1960; 2. Aufl. 1970; 3. Aufl. 1982, ISBN 3-456-81140-3.
    • Néphrologie clinique. Masson, Paris 1961; 2. Aufl. 1972 (französisch).
    • Nefrologia clinica. Piccin, Padua 1964 (italienisch).
    • Nefrologia clinica. Toray, Barcelona 1965 (spanisch).
  • L’hypertension artérielle. Tribune, Genf 1979.

Literatur

Einzelnachweise

  1. So die Kapitelüberschrift im Inhaltsverzeichnis auf Seite 1 in: Franz Volhard: Die doppelseitigen hämatogenen Nierenerkrankungen. In: Gustav von Bergmann, Rudolf Staehelin (Hrsg.): Handbuch der inneren Medizin. 2. Aufl. 6. Band, 1. Teil. Verlag von Julius Springer, Berlin / Heidelberg 1931, S. V u. 1.
  2. Franz Volhard, in: Handbuch der inneren Medizin. Julius Springer Verlag, 1. Aufl. 3. Band, 2. Teil: Mundhöhle und Speiseröhre, Magen, Darm, Peritoneum, Nieren, Nierenbecken und Harnleiter. Berlin / Heidelberg 1918, S. 187–1911, mit 245 teils farbigen Abbildungen und drei farbigen Tafeln, darin: Die doppelseitigen hämatogenen Nierenerkrankungen (Bright’sche Krankheit) von Franz Volhard, davon erschien 1918 ein Separatdruck, VIII, 576 Seiten, mit 24 meist farbigen und 8 farbigen Tafeln (Nachdruck ISBN 978-3-662-42272-4).
  3. Johanna Bleker: Die Geschichte der Nierenkrankheiten. Boehringer, Mannheim 1972.
  4. Heinz Valtin: Funktion der Niere. 1. Aufl. Schattauer Verlag, Stuttgart / New York 1978, ISBN 3-7945-0556-5, S. 6.
  5. William Bowman: On the structure and use of the malpighian bodies of the kidney, and observations on the circulation through that gland. Philosophical Transactions of the Royal Society, London, 132: S. 57 (1842).
  6. François Reubi, Chr. Vorburger, R. Sander: Nierendurchblutung und renale Cr51 EDTA- und Na24-Verteilungsräume bei der akuten Anurie des Menschen. In: Karl Klütsch, Ernst Wollheim, Hans-Jürgen Holtmeier (Hrsg.): Die Niere im Kreislauf. Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1971, ISBN 3-13-468201-X, S. 86–89.
  7. Zitat vom Klappentext des Verlages auf dem vorderen Teil der Umschlag-Klappe der ersten Auflage seines Lehrbuches.
  8. W. Kaiser: Die halleschen Ordinationsjahre von Franz Volhard (1872-1950). In: Hans Erhard Bock, Karl-Heinz Hildebrand, Hans Joachim Sarre (Hrsg.): Franz Volhard – Erinnerungen. Schattauer Verlag, Stuttgart 1982, ISBN 3-7845-0898-X, S. 212.
  9. Franz Volhard: Die doppelseitigen hämatogenen Nierenerkrankungen. In: Gustav von Bergmann, Rudolf Staehelin (Hrsg.): Handbuch der inneren Medizin, 2. Aufl. 6. Band, 1. Teil. Verlag von Julius Springer, Berlin / Heidelberg 1931, S. 18, 21.
  10. Ulrich Kuhlmann, Joachim Böhler, Friedrich C. Luft, Mark Dominik Alscher, Ulrich Kunzendorf (Hrsg.): Nephrologie. 6. Aufl. Georg Thieme Verlag, Stuttgart / New York 2015, ISBN 978-3-13-700206-2, S. 473.
  11. Helmut Geiger, Dietger Jonas, Tomas Lenz, Wolfgang Kramer (Hrsg.): Nierenerkrankungen. Schattauer Verlag, Stuttgart / New York 2003, ISBN 3-7945-2177-3, S. 512.
  12. Harrisons Innere Medizin. 19. Aufl. Band 1. McGraw-Hill, Berlin 2016, ISBN 978-3-88624-560-4, S. 354. Genauso auch in der 20. Auflage, Georg Thieme Verlag, Berlin 2020, 1. Band, ISBN 978-3-13-243524-7, S. 360.
  13. The Merck Manual. 20. Aufl. Kenilworth 2018, ISBN 978-0-911910-42-1, S. 2077, 2138 f.
  14. Gerd Harald Herold: Innere Medizin 2021. Selbstverlag, Köln 2020, ISBN 978-3-9821166-0-0, S. 599.