ʿAdī ibn Musāfir

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Grab von Scheich Adi in Lalisch

Scheich ʿAdī ibn Musāfir al-Hakkārī (arabisch عدي بن مسافر الأموي, DMG

ʿAdī b. Musāfir al-Umawī

, kurdisch شێخ ئادی Şêx Adî; * zwischen 1073 und 1078 in Bait Fār bei Baalbek im Libanon; † 1162 oder 1163 in Lalisch), genannt auch Scheich (Scheikh) Adi von Baalbek, war ein muslimischer[1] Asket, der einen der ersten Sufi-Orden gründete und als der wichtigste Heilige der Jesiden gilt. In Bait Fār steht heute noch ein Schrein von ihm. Allerdings wird er dort als Sufi-Heiliger verehrt und nicht mit dem Jesidentum in Verbindung gebracht. Einer anderen Quelle zufolge stammte er aus dem Gebiet der Hakkārī-Berge im heutigen Nordirak bzw. Südost-Anatolien. Nach dieser Quelle war lediglich sein Großvater aus Bait Fār.[2]

Leben

ʿAdī ibn Musāfir (Abu Sufi ibn Salaf Sheikh Adi) war ein Nachkomme des umayyadischen Kalifen Marwan I. Er verbrachte seine Jugend in Bagdad, wo er bei dem Sufi-Meister Hammād ad-Dabbās studierte, der auch der Lehrer von ʿAbd al-Qādir al-Dschīlānī war. Nach verschiedenen Reisen ließ er sich in den Bergen von Hakkari im Irak nieder, wo er seine sufische Ausbildung bei ʿUqail al-Manbidschī, Abū l-Wafā al-Hulwānī und anderen Scheichen fortsetzte.[3]

Die von ʿAdī begründete und nach ihm benannte ʿAdawiyya-Ordenstradition verbreitete sich über den ganzen Nahen Osten, insbesondere nach Syrien und Ägypten. So war zum Beispiel Chidr al-Mihrānī, der Scheich des Mamluken-Herrschers Baibars I., Mitglied dieses Ordens.[4] Mit der Zeit schlossen sich auch die kurdischen Stämme aus der Umgebung von Hakkari seinem Orden an.

Von Scheich ʿAdī sind vier Schriften erhalten: Die Glaubenslehre der Sunniten (Iʿtiqād ahl as-sunna), Das Buch über die Bildung der Seele (Kitāb fī-hi ḏikr ādāb an-nafs), Anweisungen des Scheich ʿAdī ibn Musāfir an den Nachfolger (Waṣāyā aš-Šaiḫ ʿAdī ibn Musāfir ilā l-ḫalīfa) und Anweisungen an seinen Schüler, den führenden Scheich, und die übrigen Muriden (Waṣāyā li-murīdi-hī aš-šaiḫ al-qāʾid wa-li-sāʾir al-murīdīn). Sie weichen inhaltlich nicht von der traditionellen islamischen Lehre ab. Dies stimmt mit der Aussage des hanbalitischen Gelehrten Ibn Taimiyya überein, der Scheich ʿAdī als einen aufrichtigen Muslim beschrieb, der die Sunna des Propheten befolgte.[5]

Scheich ʿAdī starb 1162/63 kinderlos und wurde in Lalisch begraben. Der ʿAdawīya-Orden wurde durch seinen Neffen Abu l-Barakāt ibn Sachr ibn Musāfir weitergeführt. Innerhalb dieses Ordens war die Verehrung für den Scheich so stark, dass man sein Grab zur neuen Qibla machte. Aufgrund dessen wurde das Grab im Jahr 1414 durch aufgebrachte Muslime geschändet und seine Knochen entweiht.[5] Später wurde das Grab wiedererrichtet.

Schriften

Vier Schriften von Scheich ʿAdī ibn Musāfir sind erhalten:

  • Die Glaubenslehre der Rechtgläubigen arabisch اعتقاد أهل السنة 
    Iʿtiqād ahl as-sunna
  • Das Buch von der schönen Ausbildung der Seele arabisch كتاب فيه ذكر أدب النفس 
    Kitāb fīhi dhikr adab an-nafs
  • Ermahnungen des Scheich Adi an den Kalifen arabisch وصايا الشيخ عدي بن مسافر إلى الخليفة 
    Wasāya asch-Schaich ʿAdī ibn Musāfir ilā l-chalīfa
  • Ermahnungen an den Schüler Qaid und die übrigen Schüler arabisch وصايا لمريده الشيخ قائد ولسائر المريدين 
    Wasāya li-Murīdihi asch-Schaich Qāʾid wa li-sāʾir al-murīdīn

Die Schriften entsprechen den Vorstellungen des Sufitums des 12. Jahrhunderts und enthalten keine Hinweise auf jesidische Glaubensvorstellungen. Vier von Scheich ʿAdī überlieferte Qasīdas stehen ebenfalls in der Tradition der islamischen Mystik.[6][5]

Verehrung durch die Jesiden

Der Sarkophag von ʿAdī ibn Musāfir in Lalisch
Das Portal zum Grab von Scheich ʿAdī Mitte des 19. Jahrhunderts, damalige Farbfassung und Inschriften

Von den Jesiden wird Scheich ʿAdī als Erneuerer ihrer Religion und gleichzeitig als Reinkarnation des Melek Taus – durch Ezid und Ezda – als Weltenauge angesehen, der kam, um den Jesiden in einer schwierigen Situation zu helfen.[7] Aus jesidischer Sicht soll er zudem von Geburt an ein Jeside gewesen sein und seine außerordentlichen spirituellen Fähigkeiten von Tausi Melek persönlich erhalten haben. Scheich Adis Großvater soll bis zu seiner Zwangsemigration nach Syrien in den Bergen von Hakkâri gelebt haben. Die Jesiden weisen darauf hin, dass Scheich Adi bei einer Rede mit Scheich Schems, dem damaligen Oberhaupt aller Jesiden, versichert hat, dass er den Glauben der Scheich-Schems-Familie für sich akzeptiere.

Am Grab von Scheich Adi in Lalisch findet jedes Jahr vom 6.–13. Oktober das jesidische „Fest der Versammlung“ (Jashne Jimaiye) statt.

In einer Qewl der Jesiden heißt es:

„Hey birîndarê Mêrano, Siltan Şîxadiyê, Li hemû derday dermane. (Qewlê Şêxê Hesenî Siltane)“

„Oh Verwundeter unter den Menschen, Sultan Scheich Adi ist das Heilmittel gegen alle Krankheiten. (Hymne des Scheich Hasan der Sultan)[8]

Literatur

Arabische Quellen
  • Šams ad-Dīn aḏ-Ḏahabī: Siyar aʿlām al-nubalāʾ. Ed. Šuʿaib al-Arnaʾūṭ und Muḥammad Naʿīm al-Arqasūsī. Muʾassasat ar-Risāla, Beirut 1985. Bd. XX, S. 342-344. Digitalisat
  • Al-Maqrīzī: al-Sulūk fī maʿrifat duwal al-mulūk. Ed. Saʿīd ʿAbd al-Fattāḥ al-ʿĀšūr. Kairo 1972. Bd. IV, S. 292-294. Digitalisat
Sekundärliteratur
  • Birgül Açikyildiz: The Sanctuary of Shaykh ʿAdī at Lalish: Centre of Pilgrimage of the Yezidis. In: Bulletin of the School of Oriental and African Studies 72/2 (2009) 301-333.
  • Zourabi A. Aloiane: Re-construction of Šayḫ ʿAdī b. Musāfir’s biography on the basis of Arabic and Kurdish sources. In: The Arabist (Budapest) 18 (1996) 95–104.
  • Rudolf Frank: Scheich ʿAdî, der grosse Heilige der Jezîdîs. Türkische Bibliothek, Bd. 14. Berlin 1911 Digitalisat.
  • John S. Guest: Survival among the Kurds. A history of the Yezidis. Kegan Paul, London und New York, 1993, S. 15–29.
  • Philip G. Kreyenbroek, Khalil Jindy Rashow: God and Sheikh Adi are perfect: sacred poems and religious narratives from the Yezidi tradition. Harrassowitz, Wiesbaden 2005.
  • Sebastian Maisel: Yezidis in Syria – Identity Buidling among a Double Minority. Lexington Books, Lanham u. a. 2017.
  • Nicolas Siouffi: Notice sur le Chéikh ʿAdi et la Secte des Yézidis. In: Journal Asiatique 8/5 (1885) 78-100.
  • Arthur Stanley Tritton: ʿAdī ibn Musāfir. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Band 1, 1960, Sp. 195a-196a.

Belege

  1. Enrico G. Raffaelli: Iranian Studies. Band 44, Nr. 2, März 2011, S. 276–280, JSTOR:23033330.
  2. Maisel: Yezidis in Syria – Identity Buidling among a Double Minority. S. 78.
  3. Vgl. Philip G. Kreyenbroek: Yezidism – Its Background, Observances and and Textual Tradition. Lewiston u. a. 1995. S. 28 f.
  4. Vgl. Henri Laoust: Les Schismes dans l’Islam. Introduction à une étude de la religion musulmane. Paris 1983. S. 285.
  5. a b c Irene Dulz: Die Yeziden im Irak. Zwischen „Modelldorf“ und Flucht. LIT Verlag, Münster 2001, S. 32.
  6. Chaukeddin Issa: Gedanken zu Scheich Adi (11./12. Jh.), dem Reformer des Yezidentums, in: Erhard Franz (Hrsg.): Yeziden - eine alte Religionsgemeinschaft zwischen Tradition und Moderne. Deutsches Orient-Institut, Hamburg. Mitteilungen Band 71/2004, S. 49
  7. Irene Dulz, 2001, S. 33.
  8. Philip G. Kreyenbroek und Khalil Jindi Rashow: God and Sheikh Adi are Perfect: Sacred Poems and Religious Narratives from the Yezidi Tradition. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2005. S. 335. Digitalisat