Stimmfach
Mit dem Begriff Stimmfach wird in der Praxis der Oper zwischen verschiedenen Arten und Charakteren der Stimmlagen unterschieden.
Definition
Die Stimmfächer unterscheiden sich zum einen durch die Stimmen selbst, deren physiologische Merkmale wie Umfang, Färbung, Volumen die Sängerinnen und Sänger auszeichnen, andererseits in der Zuordnung zu den Rollenfächern, die in Hinblick auf ebendiese Charakteristika angelegt werden, und ihren typischen Einsatzmöglichkeiten auf der Opernbühne.
An deutschen Opernhäusern ist die Bezeichnung des Stimmfachs bei Festengagements längere Zeit Bestandteil des Vertrags gewesen, in Streitfällen konnte ein Sänger eine so genannte fachfremde Partie ablehnen, was vor dem Bühnenschiedsgericht auch einklagbar war. Maßgeblich war hierbei das Handbuch der Oper von Rudolf Kloiber (siehe Literatur).
Lyrisch und dramatisch
Neben dem Umfang der Stimme wird grundsätzlich das lyrische Fach bzw. das Spiel- oder Charakterfach einerseits und das seriöse bzw. dramatische Fach oder Heldenfach andererseits unterschieden. Ist besondere Agilität der Stimme erforderlich, spricht man von Koloraturfach. Auch Männerstimmen haben zum Teil erhebliche Koloratur-Anforderungen, so dass man beispielsweise bei einigen Partien bei Rossini durchaus von „Koloraturtenor“ sprechen könnte. Die historischen Stimmfächer Sopran- bzw. Alt-Kastrat sind verschwunden; die entsprechenden Partien werden heute transponiert oder von Frauen oder Countertenören gesungen.
Eine eindeutige Unterscheidung der Stimmfächer ist jedoch kaum möglich, da auch der Typus des Darstellers, seine Bühnenerscheinung und seine Rolleninterpretation berücksichtigt werden müssen; die Grenzen zwischen den Fächern sind darum fließend und nur auf einen Teil des Repertoires anzuwenden, vor allem auf Rollen der klassischen und romantischen Operntradition.
Wandel
Peter Anton Ling hat die traditionelle Einteilung in Stimmfächer und in diesem Zuge auch Kloibers Handbuch der Oper eingehend untersucht und steht dem sogenannten „deutschen Fachsystem“ kritisch gegenüber; die heutige Theaterpraxis geht gänzlich anders mit Rollenbesetzungen um als zum Zeitpunkt Kloibers Festlegung der Fächer in den 1940er Jahren. So gibt es in den meisten Arbeitsverträgen keine konkreten Fachbezeichnungen mehr, sondern lediglich die Angabe der jeweiligen Stimmgattung wie Sopran, Mezzosopran, Tenor, Bariton und Bass.
Die gebräuchlichsten Stimmfächer mit ungefährem Stimmumfang und typischen Partien
Sopran
- Knabensopran
- Erster und Zweiter Knabe in Mozarts Zauberflöte
- Hirtenknabe in Wagners Tannhäuser
- Dramatischer Sopran (g–c’’’)
- Dramatischer Koloratursopran (c’–f’’’, selten auch tiefer)
- Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte
- Titelpartie in Verdis La traviata
- Charaktersopran (h–c’’’)
- Mélisande in Debussys Pelléas et Mélisande
- Jugendlich-dramatischer Sopran (c’–c’’’) (auch: Spinto-Sopran)
- Elsa in Wagners Lohengrin
- Leonora in Verdis Il trovatore
- Agathe in Webers Freischütz
- Lyrischer Sopran (c’–c’’’)
- Marzelline in Beethovens Fidelio
- Susanna in Mozarts Le nozze di Figaro
- Lyrischer Koloratursopran (c’–f’’’)
- Norina in Donizettis Don Pasquale
- Zerbinetta in Strauss’ Ariadne auf Naxos
- Soubrette (c’–c’’’)
- Despina in Mozarts Così fan tutte
- Gretchen in Lortzings Der Wildschütz
Mezzosopran und Alt
- Dramatischer Mezzosopran (g–b’’)
- Eboli in Verdis Don Carlos
- Brangäne in Wagners Tristan und Isolde
- Koloratur-Mezzosopran (g–b’’)
- Rosina in Rossinis Il barbiere di Siviglia
- Lyrischer Mezzosopran (g–b’’)
- Cherubino in Mozarts Le nozze di Figaro
- Oktavian in Strauss’ Rosenkavalier
- Dramatischer Alt (g–b’’)
- Die Hexe/Jezibaba in Dvořáks Rusalka
- Koloraturalt
- Angelina in Rossinis La Cenerentola
- Spielalt (g–b’’)
- Irmentraut in Lortzings Waffenschmied
- Tiefer Alt (f–a’’)
- Geneviève in Debussys Pelléas et Mélisande
- Gaea in Strauss’ Daphne (tiefster Ton: es)
- Annina in Strauss’ Rosenkavalier
- Eine Kranke in Schönbergs Moses und Aron
- Countertenor (f–f’’) (Altus)
- Oberon in Brittens A Midsummer Night’s Dream
Tenor
- Heldentenor (c–c’’)
- Tristan in Wagners Tristan und Isolde
- Titelpartie in Verdis Otello
- Jugendlicher Heldentenor (c–c’’)
- Radames in Verdis Aida
- Max in Webers Freischütz
- Charaktertenor (A–b’)
- Mime in Wagners Siegfried
- Lyrischer Tenor (c–d’’)
- Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni
- Nemorino in Donizettis L’elisir d’amore
- Tenorbuffo oder Spieltenor (c–h’)
- Pedrillo in Mozarts Die Entführung aus dem Serail
- Beppo in Leoncavallos Pagliacci
- Haute-Contre
- Hippolyte in Rameaus Hippolyte et Aricie
Bariton und Bass
- Heldenbariton (G–g’)
- Titelpartie in Wagners Der fliegende Holländer
- Titelpartie in Verdis Rigoletto
- Jochanaan in Strauss’ Salome
- Charakterbariton (A–as’)
- Kavalierbariton (A–as’)
- Titelpartie in Mozarts Don Giovanni (wird auch von basso cantante gesungen)
- Titelpartie in Tschaikowskis Jewgeni Onegin
- Lyrischer Bariton (B–a’)
- Titelpartie in Rossinis Il barbiere di Siviglia
- Valentin in Gounods Faust
- Seriöser Bass (E–f’)
- Sarastro in Mozarts Zauberflöte
- Zaccaria in Verdis Nabucco
- Charakterbass oder Bassbariton (F (Gis)–fis’ (gis’))
- Titelpartie in Mozarts Le nozze di Figaro
- Alberich in Wagners Götterdämmerung
- Bassbuffo oder Spielbass (F–fis’)
- Baculus in Lortzings Wildschütz
- Bartolo in Rossinis Il barbiere di Siviglia
- Doktor in Bergs Wozzeck
Klassische italienische Fachbezeichnungen
Die italienischen Fachbezeichnungen entsprechen den deutschen nicht genau, werden im deutschsprachigen Raum für italienische Opernliteratur jedoch durchaus benutzt. Da der Mezzosopran und der Bariton erst im 19. Jahrhundert entstanden sind (die Bezeichnung soprano ist in Italien bis Rossini durchaus auch für Mezzopartien üblich), beschränken sich die Unterscheidungen auf die klassischen Stimmlagen. Heute unterscheidet man außerdem mezzosoprano grave, -centrale, -acuto (schwerer-, mittlerer- und hoher Mezzo) sowie baritono drammatico und baritono cantabile (etwa dramatischer und lyrischer Bariton).
- Sopran
- Soprano drammatico (spinto) – entspricht dem Dramatischen Sopran
- Soprano lirico – entspricht etwa dem Jugendlich-dramatischen und schwereren Lyrischen Sopran
- Soprano leggero – umfasst den leichten Lyrischen Sopran, den Lyrischen Koloratursopran und die Soubrette. Zuweilen gibt es auch die Bezeichnung soprano di coloratura oder soprano d’agilità (Koloratursopran).
- Alt
- Contralto assoluto
- Mezzocontralto
- Tenor
- Tenore grave oder baritenore
- Tenore leggero oder tenore buffo – Italienischer Spieltenor
- Tenore lirico leggero oder tenore di grazia – (eher leichter) Lyrischer Tenor
- Tenore lirico – Schwerer Lyrischer- oder leichter Jugendlicher Heldentenor
- Tenore lirico spinto – Jugendlicher Heldentenor
- Tenore di forza (spinto) – Heldentenor
- Bass
- Basso profondo – Seriöser Bass
- Basso cantante – Hoher Bass; in diesem Fach entstand der Bariton, singt auch manche Heldenbaritonpartien (z. B. Scarpia oder Bösewichte in Hoffmanns Erzählungen)
- Basso buffo – Spielbass
Literatur
- Rudolf Kloiber, Wulf Konold, Robert Maschka: Handbuch der Oper. 9. erweiterte neubearbeitete Auflage. Bärenreiter u. a., Kassel u. a. 2002, ISBN 3-7618-1605-7.
- Peter Anton Ling: Stimme, Stimmfach, Fachvertrag, Die Bedeutung der Opernstimmfächer, Wissner Verlag 2013, 2. Auflage, ISBN 978-3-89639-920-5.
Weblinks
- David L. Jones: Hohe oder tiefe Stimme? Kritische Anmerkungen über das Bestimmen der Stimmlage (pdf; 54 kB)