Hydrotalkit

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Hydrotalkit
Hydrotalkit aus Snarum, Modum, Buskerud, Norwegen (Größe: 8,4 × 5,2 × 4,1 cm)
Allgemeines und Klassifikation
Chemische Formel Mg6Al2[(OH)16|CO3]·4H2O[1]
Mineralklasse
(und ggf. Abteilung)
Carbonate und Nitrate (8. Auflage: Carbonate, Nitrate und Borate)
System-Nr. nach Strunz
und nach Dana
5.DA.50 (8. Auflage: V/E.03)
16b.06.02.01
Kristallographische Daten
Kristallsystem trigonal
Kristallklasse; Symbol ditrigonal-skalenoedrisch; 32/m
Raumgruppe (Nr.) R3m[1] (Nr. 166)
Gitterparameter a = 3,05 Å; c = 22,81 Å[1]
Formeleinheiten Z = 3/8[1]
Physikalische Eigenschaften
Mohshärte 2
Dichte (g/cm3) 2,03 bis 2,09
Spaltbarkeit vollkommen nach {0001}
Bruch; Tenazität biegsam, aber nicht elastisch
Farbe farblos, weiß, bräunlich
Strichfarbe weiß
Transparenz durchsichtig
Glanz Seidenglanz bis Wachsglanz, Perlmuttglanz
Kristalloptik
Brechungsindizes nω = 1,511 bis 1,531
nε = 1,495 bis 1,529[2]
Doppelbrechung δ = 0,016[2]
Optischer Charakter einachsig negativ

Hydrotalkit (Internationaler Freiname: Hydrotalcit), früher auch Völknerit,[3] ist ein selten vorkommendes Mineral aus der Mineralklasse der „Carbonate (und Verwandte)“ (siehe Klassifikation). Es kristallisiert im trigonalen Kristallsystem mit der chemischen Zusammensetzung Mg6Al2[(OH)16|CO3]·4H2O[1] und entwickelt meist durchsichtige, hypidiomorphe bis idiomorphe, tafelige Kristalle bis etwa 4 mm Größe mit seiden- bis wachsglänzenden Kristallflächen. Auch blättrige bis faserige Mineral-Aggregate werden gefunden.

Besondere Eigenschaften

Hydrotalkit besitzt die Fähigkeit, durch graduelle Abgabe von Aluminiumhydroxid Säuren zu binden und findet deshalb vielfältigen Einsatz in der Industrie und als Arzneimittel.

Etymologie und Geschichte

Erstmals gefunden wurde Hydrotalkit 1842 in der „Solvverkets Pyrit Mine“ bei Snarum in der norwegischen Kommune Modum und beschrieben durch Carl Christian Hochstetter,[4] der das Mineral nach seinem talkartigen Aussehen und seinem Wassergehalt (altgriechisch ὕδωρ hýdor, „Wasser“) benannte.

Die Stoffgruppe der Hydrotalkite beinhaltet neben den natürlichen auch die synthetischen Varietäten des basischen Doppelsalzes Hydrotalkit. Die ersten umfassenden Arbeiten zu dieser Mineralgruppe leisteten Frondel (1941) mit seiner Klassifizierung der Pyroaurit- und der Sjögrenit-Gruppe, sowie Feitknecht und Gerber (1942) mit ihrer Arbeit über Magnesium-Aluminium-Doppelhydroxid.

Klassifikation

In der mittlerweile veralteten, aber immer noch gebräuchlichen 8. Auflage der Mineralsystematik nach Strunz gehörte der Hydrotalkit noch zur gemeinsamen Mineralklasse der „Carbonate, Nitrate und Borate“ und dort zur Abteilung der „Wasserhaltigen Carbonate mit fremden Anionen“, wo er als namensgebendes Mineral die „Hydrotalkitgruppe“ mit den weiteren Mitgliedern Comblainit, Desautelsit, Pyroaurit, Reevesit, Sergeevit, Stichtit und Takovit bildete.

Seit der vollständigen Überarbeitung der Strunz'schen Mineralsystematik in der 9. Auflage (2001) ist die Mineralklasse der Carbonate (und Verwandte) neu aufgeteilt und die Borate bilden eine eigene Klasse. Der Hydrotalkit ist daher jetzt in der Mineralklasse der „Carbonate und Nitrate“ und dort in der Abteilung der „Carbonate mit zusätzlichen Anionen; mit H2O“ zu finden. Diese ist allerdings inzwischen präziser unterteilt nach der Größe der beteiligten Kationen und das Mineral entsprechend seiner Zusammensetzung in der Unterabteilung „Mit mittelgroßen Kationen“ einsortiert. Die dort nach wie vor existente „Hydrotalkitgruppe“ wurde um den Sergeevit reduziert und erhielt die System-Nr. 5.DA.50.

In der im englischen Sprachraum gebräuchlichen Systematik der Minerale nach Dana bilden die Carbonate, Nitrate und Borate wie in der veralteten Strunz'schen Systematik eine gemeinsame Mineralklasse. Der Hydrotalkit ist dort allerdings in der Abteilung der „Carbonate mit Hydroxyl oder Halogen“ zu finden, wo er zusammen mit dem Sjögrenit insgesamt drei Gruppen bildet. Hydrotalkit findet sich seinem Kristallsystem entsprechend zusammen mit Stichtit, Pyroaurit und Desautelsit in der rhomboedrisch (rhombohedral) orientierten „Hydrotalcit-Untergruppe“ mit der System-Nr. 16b.06.02.

Die Vertreter der Gruppe unterscheiden sich teilweise nur durch unterschiedliche Stapelfolgen der Oktaederschichten voneinander. Daraus ergibt sich entweder ein hexagonales (2H) oder ein rhomboedrisches (3R) Kristallgitter.

Modifikationen und Varietäten

Die Verbindung Mg6Al2[(OH)16|CO3]·4H2O ist dimorph und kann in der Natur neben dem trigonalen Hydrotalkit auch als hexagonal kristallisierender Manasseit auftreten.

Bildung und Fundorte

Hydrotalkit bildet sich vorwiegend hydrothermal durch sekundäre Zersetzung von Serpentinit. Begleitminerale sind neben Serpentinit unter anderem noch Manasseit, Dolomit und Hämatit.

Weltweit konnte Hydrotalkit bisher (Stand: 2010) an rund 60 Fundorten nachgewiesen werden, so unter anderem in Australien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Israel, Italien, Kanada, Norwegen, Österreich, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, Südafrika, Tadschikistan, Tschechien, Türkei, Ungarn, im Vereinigten Königreich (Großbritannien) und in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA).[2]

Kristallstruktur

Hydrotalkit kristallisiert trigonal in der Raumgruppe R3m (Raumgruppen-Nr. 166)Vorlage:Raumgruppe/166 mit den Gitterparametern a = 3,05 Å und c = 22,81 Å sowie 3/8 Formeleinheiten pro Elementarzelle.[1]

Neben den natürlichen Vertretern der Hydrotalkit-Familie, die als Zwischenschichtanionen ausschließlich CO32−-Anionen und OH-Gruppen enthalten, lassen sich synthetisch auch Hydrotalkite mit anderen Zwischenschichtanionen darstellen. So beschreibt Allmann (1968) einen leicht verzerrten Ca2Al(OH)6½SO4·3H2O-Hydrotalkit. Ein Mg/Zn-Misch-Hydrotalkit mit Sulfat-Anionen wurde von Kooli, Kosuge, Hibino und Tsunashima (1993) synthetisiert. Ebenfalls von Kooli, Kosuge und Tsunashima (1995a) wurden auch Hydrotalkite mit gemischter Me3+-Position synthetisiert und untersucht (Ni-Al/Cr-CO3 und Ni-Al/Fe-CO3). Gerade die Ni-Hydrotalkite sind Gegenstand der Forschung [z. B. Faure, Borthomieu, Delmas (1991), Clause, M.Gazzano, Trifiro, Vaccari, ZatorskiI (1991), Ehlsissen, Delahaye-Vidal, Genin, Figlarz, Willmann (1993)], vor allem wegen ihrer Bedeutung als Elektrodenmaterial in modernen Energiespeicherzellen.

Verwendung

Hydrotalkit wird hauptsächlich in der Medizin als Antazidum bei Übersäuerung des Magens (Hyperazidität) zur Neutralisierung der Magensäure verwendet. Bekannte Handelsnamen sind unter anderem Talcid® (Bayer AG, Wiechert 1976) oder Altacit® (Roussel Lab., Playle 1974)

In der angewandten Chemie dient Hydrotalkit als Katalysator, um diverse organische Verbindungen herzustellen oder auch, um organische Lösungen oder schwermetallhaltige Abfälle zu binden.

Synthetisch hergestellte Hydrotalkite werden auch als Stabilisatoren in der PVC-Produktion eingesetzt. Dabei reagieren sie mit dem bei der Alterung von PVC entstehenden HCl.[5]

Siehe auch

Literatur

  • Paul Ramdohr, Hugo Strunz: Klockmanns Lehrbuch der Mineralogie. 16. Auflage. Ferdinand Enke Verlag, 1978, ISBN 3-432-82986-8, S. 583.
  • Petr Korbel, Milan Novák: Mineralien Enzyklopädie. Nebel Verlag GmbH, Eggolsheim 2002, ISBN 3-89555-076-0, S. 127.
  • C. Frondel: Constitution and polymorphism of the pyroaurite and sjögrenite groups. American Mineralogist, 26(5). 1941, 295–315
  • W. Feitknecht, M. Gerber: Zur Kenntnis der Doppelhydroxide und basischen Doppelsalze III: über Magnesium-Aluminiumdoppelhydroxyd. Helvetica Chimica Acta, 25. 1942, 131–137
  • C. Hochstetter: Untersuchung über die Zusammensetzung einiger Mineralien. Journal für praktische Chemie, 27. 1842, 375–378
  • R. Allmann: Die Doppelschichtstruktur der plättchenförmigen Calcium-Aluminium-Hydroxisalze am Beispiel des 3CaO*Al2O3*CaSO4*12H2O. Neues Jahrbuch für Mineralogie, Monatshefte, 1968, 140–144
  • F. Kooli, K. Kosuge, T. Hibinos, A.Tsunashima: Synthesis and Properties of Mg-Zn-Al-SO4 Hydrotalcite-like Compounds. Journal of Materials Science, 28. 1993, 2769–2773
  • F. Kooli, K. Kosuge, A. Tsunishima: New Ni-Al-Cr and Ni-Al-Fe Carbonate Hydrotalcite-like Compounds: Synthesis and Characterization. In: Journal of Solid State Chemistry, 118. 1995 285–291
  • C. Faure, Y. Borthomieua, C. Delmas: Infrared characterization of turbostratic á- and well crystallized á*-cobalted nickel hydroxides. In: Journal of Power Sources, 36. 1991, 113–125, doi:10.1016/0378-7753(91)80008-L
  • O. Clause, M. Gazzano, F. Trifiro, A. Vaccar, L. Zatorski: Preparation and thermal reactivity of nickel/chromium and nickel/aluminium hydrotalcite-like precursors. Applied Catalysis, 73. 1991, 217–236
  • T. K. Ehlissen, A. Delahaye-Vidal, P. Genin, M. Figlarz, P. Willmann: Preparation and Characterization of Turbostratic Ni/Al Layered Double Hydroxides for Nickel Hydroxide Electrode Applications. Journal of Materials Chemistry, 3(8). 1993, 883–888
  • A. C. Playle: The in vitro antacid and anti-pepsin activity of hydrotalcite. Pharmaceutica Acta Helvetica, 49. 1974, 298–302
  • E. Wiecher: Talcid, a new antacid. Report on an open ‘Clinical Test’. Med. Welt, 27. 1976, 2489–2491
  • Giulini Chemie GmbH: Fine chemicals catalogue. 1989
  • W. Hofmeister, H. von Platen: Crystal Chemistry and Atomic Order in Brucite-Related Double-Layer Structures. Crystallography Reviews, 3. 1992, 3–29
  • F. Rennemann: Untersuchung zur Protonenmobilität in synthetischen Hydrotalkiten (Memento vom 8. Oktober 2007 im Internet Archive). (PDF; 11,4 MB) Dissertation, Universität Mainz 1997, DNB 953522385

Weblinks

Commons: Hydrotalcite – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Hugo Strunz, Ernest H. Nickel: Strunz Mineralogical Tables. 9. Auflage. E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart 2001, ISBN 3-510-65188-X, S. 314.
  2. a b c Mindat – Hydrotalcite (englisch).
  3. C. Rammelsberg: Ueber den Völknerit (Hydrotalkit) von Snarum. In: Annalen der Physik und Chemie. 173, 1856, S. 296, doi:10.1002/andp.18561730209.
  4. Aus der Praxis: Antazida – Vielfalt bei Hydrotalcid von Gode Meyer-Chlond (Memento vom 2. Dezember 2012 im Internet Archive) (PDF; 282 kB).
  5. Johannes Karl Fink: A Concise Introduction to Additives for Thermoplastic Polymers, John Wiley & Sons, Salem, Massachusetts 2010, ISBN 0-470-60955-9.