Vorbau (Fahrrad)
Der Vorbau ist ein Bauteil des Fahrrads. Er verbindet den Lenker mit der Gabel.
Bauformen
Klassische Innenklemmung
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts fanden ausschließlich Vorbauten mit Spreizkonus oder Schrägkonus (eigentlich ein schräg angeschnittener Zylinder) Verwendung, die in den Gabelschaft gesteckt werden. Durch Anziehen einer von oben eingeführten, in das Innengewinde des Konus eingedrehten Schraube wird dieser schräg gegen den Lenkerschaft verschoben und in das Lenkerrohr geklemmt. Die Innenklemmung hat den Vorteil, dass sich die Höhe des Lenkers stufenlos einstellen lässt und der Vorbau demontiert werden kann, ohne den Steuersatz zu lösen. Im Profibereich waren lange Zeit Vorbauten mit versenkter Schraube vorgeschrieben, weil bei diesen die Verletzungsgefahr des Brustkorbes geringer ist. Seit Aufkommen der Aheadset-Steuersätze wurde diese Vorschrift gestrichen.
Bei der ersten Montage einer neuen Gabel wird das Schraubengewinde auf die vom Steuerrohr des Rahmens vorgegebene Länge gekürzt.
Einbauweise
Vorbauten bzw. Lenkerschäfte haben zumeist eine konstruktionsbedingte Mindestlänge, die auf dem Rohr markiert ist und bis zu der sie in den Gabelschaft geschoben werden müssen.[1]
Sicherheitsrisiko bei Fehlmontage
Diese Markierung auf dem Rohr darf nur bei ausgebautem Lenkervorbau zu sehen sein, andernfalls ist der Lenkerschaft des Vorbaus zu kurz geklemmt. Es besteht dann die Gefahr, dass die Hebelkräfte (Biegung) das Material des Rohres überlasten. Auf Dauer kann es zum Ermüdungsbruch kommen – mit dem Risiko eines schweren Sturzes.
Fehlt die Markierung auf dem Lenkervorbau, so kann überschlägig davon ausgegangen werden, dass 65 mm des Lenkerschaftes im Steuerlager bzw. Gabelschaft geklemmt sein müssen.
Soll der Lenker höher eingestellt werden, als am Vorbau vorgesehen, muss ein längerer oder stärker ausgeführter Vorbau oder ein Fahrradrahmen mit einem längeren Steuerrohr gewählt werden.
Ahead-Vorbauten
In den 1950er Jahren wurden Vorbauten entwickelt, die von außen den Gabelschaft umfassen und durch Schrauben geklemmt werden.[2] Der Gabelschaft benötigt in diesem Fall also kein Außengewinde. Entweder der geklemmte Vorbau oder die darunter gesetzten Abstandshülsen dienen als Anschlag für das obere Steuersatzlager. Die heute im englischen Sprachraum als „gewindelose“ (threadless) bezeichneten Vorbauten werden im Deutschen nach der frühen Marke AheadSet häufig Ahead-Vorbau genannt.[3]
Zum Einstellen werden die Klemmschrauben des Vorbaus etwas gelockert. Dann kann der Vorbau seitlich verdreht werden oder die Anzahl oder Höhe der Abstandshülsen wird angepasst. Vor dem Anziehen der Klemmung wird die mittig im Gabelschaft befindliche Einstellschraube leicht angezogen. Sie bestimmt den Vordruck, mit dem die Steuersatzlager zusammengezogen werden.
Wenn der Gabelschaft selber kein Innengewinde besitzt, so wird eine spezielle Kralle hineingeschoben, die sich im Schaft aufspreizt und ein Innengewinde besitzt, um die lange Einstellschraube aufzunehmen. Will man sichergehen, dass die Kralle langsam in den Schaft eingeführt wird, ohne zu verkanten, so kann sie mithilfe eines längeren Gewindestabes, einer großen Unterlegscheibe und einer Mutter von unten in den Gabelschaft gezogen werden. Andernfalls wird sie häufig von oben eingeschlagen.
Eine geringfügige Höhenverstellung durch Herausnahme, Hinzufügen oder Austausch von Distanzhülsen ist einfach möglich, sofern die Länge des Gabelschafts dies zulässt. Ist der Gabelschaft zu kurz, so kann ein Vorbau in einer anderen Länge oder einem anderen Neigungswinkel verwendet werden. Auch sind spezielle Adapter bzw. Zwischenstücke erhältlich, um den Schaft zu verlängern.
In der Regel wird der Schaft einer neuen Gabel auf die der gewünschten Lenkerhöhe entsprechende Länge gekürzt. Theoretisch kann der Schaft in voller Länge belassen werden, um die Verstellmöglichkeit in vollem Umgang zu erhalten. Dann müssen in der Regel oberhalb des geklemmten Vorbaus Distanzhülsen aufgeschoben werden, damit der Steuersatz mithilfe der mittigen Einstellschraube angezogen werden kann. Nur bei speziellen Ausführungen kann diese Einstellung auch am Oberteil des Steuerlagers selber vorgenommen werden. Es besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr beim Sturz auf den Lenker, wenn der ungekürzte Schaft über den Vorbau hinaus ragt.
Direct-Mount-Vorbauten
Dieser Vorbau ist aufgrund der Zuverlässigkeit und höheren Belastbarkeit bei Downhill-Mountainbikes zum Standard geworden. Der Vorbau wird entweder auf der oberen Brücke der Doppelbrücken-Federgabel befestigt (oftmals verschraubt) oder ist bereits in die Brücke integriert. Er hat keine Verbindung zum Gabelschaft.
Material
Früher wurden Vorbauten aus Stahl gefertigt. Inzwischen besteht die überwiegende Mehrheit aus Aluminiumguss. Hochwertige Vorbauten sind aus kaltgeschmiedeten Aluminiumlegierungen gefertigt. Vorbauten aus Stahl werden in der Regel nur noch an sehr günstigen Fahrrädern verwendet.
Kenngrößen
Es gibt vier wichtige Maße zur Auswahl eines traditionellen oder eines Ahead-Vorbaus:
- Durchmesser des Gabelschafts,
- Durchmesser der Lenkerklemmung,
- Schaftlänge bzw. und
- Winkel bzw. Höhe.[4]
Durchmesser des Gabelschafts
Bei Schaftvorbauten ist der Innendurchmesser der Gabel maßgeblich, der traditionell auf das Zollmaß (ein Zoll entspricht 25,4 mm) zurückzuführen ist. Das früher vorherrschende Maß war 22,2 mm (7⁄8 Zoll), heute wird teilweise auch 25,4 mm (1 Zoll) verwendet. Seltener kommt 28,6 mm (1 1⁄8 Zoll) vor.
Üblicherweise beträgt die Materialstärke der beiden Wandungen des Rohres zusammen 1⁄8 Zoll, so dass sich bei den oben genannten Innendurchmessern die Außenmaße 25,4 mm (1 Zoll), 28,6 mm (1 1⁄8 Zoll) und 31,8 mm (1 1⁄4 Zoll) ergeben, die mit einem feinen Rohrgewinde für das Steuerlager versehen sind. Es besteht oft Unklarheit darüber, ob etwa mit einer „1-Zoll-Gabel“ der Innendurchmesser für den Vorbauschaft oder der Außendurchmesser des Gabelschafts gemeint ist, auf welchen das Steuerlager passen muss.
Bei Ahead-Vorbauten bestimmt sich das Anschlussmaß über den (gewindelosen) Außendurchmesser des Gabelschaftes. Hier hat sich der Standard mit 1 1⁄8 Zoll (28,6 mm) durchgesetzt, gelegentlich 1 1⁄2 Zoll (38,1 mm) oder auch 1 1⁄4 Zoll (31,8 mm) bei erhöhter Belastung. Das frühere Maß 1 Zoll (25,4 mm) ist nicht mehr üblich. Verbreitet sind auch oben konisch zulaufende Gabelschäfte, die unten 1 1⁄2 Zoll und oben 1 1⁄8 Zoll Durchmesser haben.
Durchmesser der Lenkerklemmung
Der Durchmesser des Lenkers im Bereich der Vorbauklemmung beträgt meistens 25,4 mm (MTB), 26,0 mm (Rennrad) oder 31,8 mm bzw. 35,0 mm (Oversize-Größe, bei MTB und Rennrad). Früher hatten Lenker auch 20 oder 22,2 mm Durchmesser. Hierzu gibt es fast nur klassische Vorbauten mit Innenklemmung. Andere Durchmesser sind selten.
Länge und Winkel
Die Vorbaulänge ist das Maß vom Zentrum der Lenkerklemmung bis zur Mitte des Gabelschafts. Der Vorbauwinkel beeinflusst die Höhe des Lenkers. Ein 0°-Vorbau steht rechtwinklig zum Gabelschaft bzw. Steuerrohr und weist daher leicht nach oben (da der Gabelschaft typischerweise selber in einem Winkel zwischen 70° und 75° zur Vertikalen liegt). Bei klassischen Innenklemm-Vorbauten weist der nach vorne stehende Teil normalerweise schräg nach unten. Die meisten Ahead-Vorbauten lassen sich umdrehen, sodass man sie für zwei unterschiedlich hohe Lenkerpositionen verwenden kann. Gebräuchliche Winkel sind 6° und 17°.
Die Länge des Vorbaus und die Lenkerhöhe sollte auf den Einsatzbereich des Fahrrads und die Körpergröße des Fahrers abgestimmt sein, speziell auf die Oberkörper- und Armlänge. Ein kurzer Vorbau verbessert die Kontrolle über das Rad, was unter anderem bei Downhill- und Singletrailfahrten relevant ist. Die aufrechtere Sitzposition verschafft auch einen besseren Überblick im Straßenverkehr. Durch einen nach oben abgewinkelten Vorbau kann eine noch aufrechtere Sitzposition erreicht werden.
Ein langer und nach unten gerichteter Vorbau hingegen bewirkt eine nach vorn gestreckte Sitzposition und verbessert die Aerodynamik. Daher ist diese Form besonders bei Zeitfahrrädern anzutreffen.
Im Radrennsport wird die Höhe des Lenkers oft in Relation zum Sattel beurteilt. Die Differenz zwischen der Höhe der Satteloberkante und dem Lenkerrohr wird dabei als „Überhöhung“ bezeichnet. Ist der Sattel höher als der Lenker, spricht man von „Sattelüberhöhung“, sonst von „Lenkerüberhöhung“.
Wenn viele Steigungen im Stehen gefahren werden, so wird empfohlen, zunächst die Position des Lenkers so festzulegen, dass dies in angenehmer Körperhaltung möglich ist. Gegebenenfalls können zu diesem Zweck auch Lenkerendgriffe oder ein anders geformter Lenker montiert werden. In einem zweiten Schritt ist dann die Position des Sattels so anzupassen, dass auch im Sitzen entspannt und ausdauernd gefahren werden kann.
Verstellbare Vorbauten
Bauformen von Vorbauten existieren auch in im Winkel oder in der Länge justierbaren Modellen.
Literatur
- Michael Gressmann, Franz Beck, Rüdiger Bellersheim: Fachkunde Fahrradtechnik. 1. Auflage. Verlag Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten 2006, ISBN 3-8085-2291-7.
- Fritz Winkler, Siegfried Rauch: Fahrradtechnik Instandsetzung, Konstruktion, Fertigung. 10. Auflage. BVA Bielefelder Verlagsanstalt, Bielefeld 1999, ISBN 3-87073-131-1.
Einzelnachweise
- ↑ Vergleiche zu diesem Abschnitt: van der Plas, Rob: Das Fahrrad – Technik – Wartung – Reparatur, Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH 1989, ISBN 3-473-42564-8, S. 136.
- ↑ Wiener Mechanikerräder 1930–1980: Eine Rundfahrt durch mehr als 100 Wiener Fahrradmarken, ISBN 978-3-85119-342-8, S. 168.
- ↑ https://cyclingtips.com/2017/08/origins-how-the-aheadset-threadless-headset-changed-bikes-forever/
- ↑ Maße von Vorbauten auf fahrradmonteur.de