Quelltext der Seite Äußerungsdelikt

Als '''Äußerungsdelikte''', auch ''Inhaltsdelikte'' werden im deutschen [[Strafrecht|Straf-]] und [[Zivilrecht]] sämtliche [[Tatbestand|Tatbestände]] bezeichnet, welche die Verbreitung für sich rechtswidriger [[Äußerung]]en sanktionieren. Die Zusammenfassung mehrerer Tatbestände als Äußerungsdelikte schließt an die Besonderheit der Herabsetzung einer Person durch Sprache oder Zeichen als Mittel der Kommunikation an.<ref> [[Eric Hilgendorf]]: ''Computer- und Internetstrafrecht. Ein Grundriss'', Springer-Lehrbuch, 2012, S. 79–222. ISBN 978-3-642-16885-7</ref><ref>[[Erwin Deutsch (Jurist)|Erwin Deutsch]], [[Hans-Jürgen Ahrens]]: ''Deliktsrecht. Unerlaubte Handlungen, Schadensersatz, Schmerzensgeld'' 6. Aufl., München 2014, § 19 Äußerungsdelikte ([http://www.vahlen.de/fachbuch/leseprobe/Deutsch-Deliktsrecht-9783800647583_2201201406164261_lp.pdf Leseprobe])</ref>

== Strafrecht ==
Die Äußerungsdelikte sind nicht in einem eigenen Abschnitt des [[Strafgesetzbuch (Deutschland)|Strafgesetzbuchs]] zusammengefasst. Ihr Spektrum reicht vielmehr von [[Beleidigung (Deutschland)|Beleidigungen]]<ref>Thomas Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 65. Auflage 2018, Rn. 28a zu § 193 StGB</ref> über die Veröffentlichung extremistischen Gedankenguts wie beispielsweise bei der [[Volksverhetzung]] bis hin zum Austausch [[Kinderpornografie|kinderpornographischer]] Bild- und Videodateien in Tauschbörsen oder geschlossenen IT-Benutzersystemen.

Äußerungsdelikte setzen ganz allgemein zunächst eine in der Öffentlichkeit erfolgte, wie auch immer geartete Äußerung eines rechtlich missbilligten Inhalts voraus. Diese Äußerung kann die Missachtung Dritter etwa bei [[Ehrdelikt]]en,<ref>[http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv043130.html BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 1976 - 1 BvR 460/72]</ref> die [[Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole]] ({{§|90|stgb|juris}} StGB), die [[Beleidigung (Deutschland)#Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, § 103 StGB|Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten]] ({{§|103|stgb|juris}} StGB), die [[Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen]] ({{§|166|stgb|juris}} StGB) oder die [[Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener]] ({{§|189|stgb|juris}} StGB) enthalten, aber auch eine [[Drohung]] etwa bei {{§|126|stgb|juris}} StGB oder das Auffordern oder Anerbieten von Hilfe zu oder das Billigen von Straftaten wie bei der [[Öffentliche Aufforderung zu Straftaten|öffentlichen Aufforderung zu Straftaten]] ({{§|111|stgb|juris}} StGB) und die [[Belohnung und Billigung von Straftaten]] ({{§|140|stgb|juris}} Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Dabei muss es sich nicht um eine Äußerung im herkömmlichen Sinne, also durch gesprochenes oder geschriebenes Wort ([[Verbreitungsverbot|Verbreiten]]  von [[Schrift (Strafrecht)|Schriften]] im Sinne des {{§|11|stgb|juris}} Abs. 3 StGB) handeln. Die Äußerung kann vielmehr auch durch Bilder, Gesten, symbolische Handlungen oder sonstige Tätigkeiten erfolgen.<ref>[[Schönke/Schröder]]-Lenckner, ''Strafgesetzbuch Kommentar'', § 185 Rdn. 8 für die Beleidigung gem. § 185 StGB</ref> Als tatbestandlicher Erfolg wird vorausgesetzt, dass die Äußerung durch einen Adressaten zur Kenntnis genommen wird.

Äußerungsdelikte können grundsätzlich auch durch das Veröffentlichen von entsprechenden Inhalten auf Web-Seiten im Internet begangen werden.<ref>LG Hamburg, Kommunikation & Recht (K&R) 1998, 367 für einen Link auf die Angebote Dritter, wenn die verknüpften Web-Seiten beleidigende Äußerungen enthalten</ref><ref>Oliver Tolmein: [http://www.trend.infopartisan.net/trd0500/t120500.html ''Materielles Recht und virtueller Raum. Strafrecht, Strafprozessrecht und das Internet'']  24. Oktober 1999</ref>

=== Volksverhetzung ===
{{Hauptartikel|Volksverhetzung}}
In den Tatvarianten des {{§|130|stgb|juris}} Abs. 1 und Abs. 3 StGB muss die jeweilige Äußerung geeignet sein, „den öffentlichen Frieden zu stören“.<ref>[http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20010038 BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 - 1 StR 184/00] "[[Auschwitzlüge]]" im Internet</ref><ref>Thomas J. Primig: [http://rechtsprobleme.at/doks/primig-1-internationales_strafrecht.pdf ''Das „Holocaust-Urteil“ des deutschen BGH''], in: Internationales Strafrecht und das Internet. Probleme in der Anwendung nationalen Strafrechts auf Kriminalität in grenzüberschreitenden Datennetzen, (ohne Jahr), S. 7 ff.</ref> Im Fall des § 130 Abs. 4 StGB muss eine solche Störung tatsächlich eingetreten sein. [[Rechtsdogmatik|Dogmatisch]] gehört § 130 Abs. 4 StGB damit nicht zu den [[Gefährdungsdelikt|Gefährdungs-]], sondern zu den [[Erfolgsdelikt]]en.<ref>[http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2005/04/rk20050416_1bvr080805.html BVerfG, Beschluss vom 16. April 2005 - 1 BvR 808/05] Rz. 16</ref> Bestimmte Äußerungen können im Einzelfall durch das [[Grundrecht]] auf [[freie Meinungsäußerung]] gedeckt sein ({{Art.|5|gg|juris}} Abs. 2 GG).<ref>BVerfGE 90, 241; BVerfG - Kammer - Beschluß vom 6. September 2000 - 1 BvR 1056/95</ref>

=== Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen ===
{{Hauptartikel|Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen}}
Propagandamittel im Sinne des {{§|86|stgb|juris}} Abs. 1 StGB sind Schriften im Sinne des {{§|11|stgb|juris}} Abs. 3 StGB, deren Inhalt gegen die [[freiheitliche demokratische Grundordnung]] oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind und dadurch eine aktiv kämpferische, aggressive Tendenz zu erkennen geben. Kritik, Ablehnung und politisches Wunschdenken sind dafür nicht ausreichend.<ref>[[Christoph Safferling]]:  {{Webarchiv|text=''Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen. BGH, Beschluss vom 14. April 2015 − 3 StR 602/14'' |url=http://www.str1.jura.uni-erlangen.de/Downloads/Akte%20Recht/verbreiten-von-propagandamitteln.pdf |wayback=20160109125612}}</ref> Den „Schriften“ stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleich.

{{§|86|stgb|juris}} Abs. 3 StGB gewährt eine Ausnahmeregelung für Zwecke der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst, der Wissenschaft, Forschung oder Lehre<ref>BGHSt 46, 36</ref><ref>BVerfG - Kammer - Beschluß vom 30. November 1988 - 1 BvR 900/88 -; BVerwG NVwZ 1988, 933</ref>  sowie der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte.

== Zivilrecht ==
Das deutsche [[Deliktsrecht (Deutschland)|Deliktsrecht]] schützt das [[Persönlichkeitsrecht (Deutschland)|persönliche]]<ref> BGHZ 37, 187</ref> und [[Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb|geschäftliche]]<ref> BGH [[Juristenzeitung|JZ]] 1966, 28</ref> Ansehen des einzelnen vor der Behauptung und Verbreitung unwahrer [[Tatsachenbehauptung]]en und Bildveröffentlichungen, es sei denn, die falsche Behauptung erfolgt zur [[Wahrnehmung berechtigter Interessen]].

Auch im Zivilrecht gelten für den Wahrheitsbeweis {{§|186|stgb|juris}}, {{§|190|stgb|juris}} StGB.<ref> BGH VersR 1985, 1143; BGHZ 132, 13</ref> Der Beweis der Wahrheit ist erbracht, wenn der Betroffene wegen einer behaupteten [[Straftat]] rechtskräftig verurteilt worden ist und der Äußernde das beweisen kann. Nach {{§|193|stgb|juris}} StGB können auch bestimmte tadelnde Werturteile gerechtfertigt sein.

Die [[Bonität|Kreditwürdigkeit]] ist in {{§|824|bgb|juris}} BGB besonders geschützt. Ein praktisches Anwendungsbeispiel ist einer der größten deutschen Wirtschaftsprozesse, die Schadensersatzklage von [[Leo Kirch]] gegen die [[Deutsche Bank]].<ref> [http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=35317&pos=0&anz=1 BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 - XI ZR 384/03]</ref><ref>[http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bank-zahlt-kirch-erben-fast-eine-milliarde-euro-a-954613.html ''Einigung in Rechtsstreit: Deutsche Bank zahlt Kirch-Erben mehr als 775 Millionen Euro''] [[Der Spiegel]], 20. Februar 2014</ref>

[[Medienrecht]]lich bedeutsam ist die [[Verbreiterhaftung]].<ref>Thomas Hoeren, Rufus Pichler: [http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/veroeffentlichungen/Haftung.pdf ''Zivilrechtliche Haftung im Online-Bereich''] (ohne Jahr)</ref> Die [[Zulässigkeit von Äußerungen in der Berichterstattung]] über das [[Privatsphäre|Privatleben]] Prominenter wurde durch die Rechtsprechung zu [[Caroline von Hannover]] in den sog. [[Caroline-Urteile]]n präzisiert.

== Siehe auch ==
* [[Telemediengesetz]]
* [[Mobbing|verbales Mobbing]]<ref>Jochen Koubek: [http://medienwissenschaft.uni-bayreuth.de/unterrichtsmaterial/Mobbing2.0Booklet.pdf ''Mobbing 2.0 -Schulfrieden und Schulkonflikte''] Materialien zur Unterrichtsplanung, 18. März 2008</ref>

== Literatur ==
* Andreas Stegbauer: ''Rechtsprechungsübersicht zu den Propaganda- und Äußerungsdelikten'', [[Neue Zeitschrift für Strafrecht|NStZ]] 2012, 79
* [[Robert Stockhammer]]: ''Äußerungsdelikte. Zur Frage der juristischen Gleichstellung von Genozidleugnungen'', Zeitschrift für Genozidforschung, vol. 7, 2, 2006
* [[Matthias Cornils]]: ''Der Begehungsort von Äußerungsdelikten im Internet'', [[Juristenzeitung|JZ 1999]], 394
* [[Martin Löhnig]]: ''Verbotene Schriften im Internet'', [[Juristische Rundschau|JR]] 1997, 496
* Jan Fluschnik: ''Delikt und Äußerungsdelikt – Die zivilrechtliche Haftungsstruktur aus Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld'', Univ.-Diss., Greifswald 2015

== Weblinks ==
{{Wiktionary|Äußerung}}
* [[Wolfgang Mitsch]]: [http://www.iurratio.de/seite-3-medienkonsum-als-straftat/ ''Medienkonsum als Straftat. Verbreiten von Schriften und inhaltsbezogene Handlungen''] iurratio, 27. September 2015
* [http://www.djt.de/fileadmin/downloads/70/djt_70_Thesen_Strafrecht_140804.pdf ''Kultur, Religion, Strafrecht – Neue Herausforderungen in einer pluralistischen Gesellschaft''] 70. [[Deutscher Juristentag]], Hannover 2014
* Susanne Reindl: [http://www.bmi.gv.at/cms/bmi_oeffentlichesicherheit/2006/07_08/files/computerstrafrecht.pdf ''Computerstrafrecht'']  20. April 2006 (zur Rechtslage in Österreich)
* [[Bundesamt für Justiz (Schweiz)|Bundesamt für Justiz]]: [https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/sicherheit/gesetzgebung/archiv/netzwerkkriminalitaet/gutachten-bj-d.pdf ''Gutachten zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Internet Access Providern gem. Art 27 und 322 <sup>bis</sup> StGB'']  (zur Rechtslage in der Schweiz)

== Einzelnachweise ==
<references />

{{Rechtshinweis}}

{{SORTIERUNG:Ausserungsdelikt}}
[[Kategorie:Besondere Strafrechtslehre (Deutschland)]]
[[Kategorie:Deliktsrecht (Deutschland)]]
[[Kategorie:Medienrecht (Deutschland)]]
[[Kategorie:Grundrechte]]
[[Kategorie:Propaganda]]