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Das '''Hamburger Raumgestaltungskonzept''' versteht sich als eine vorbereitete Umgebung – drinnen und draußen –, welche das selbständige explorierende Lernen von Kindern in Kindertageseinrichtung anregen und unterstützen soll.<ref>von der Beek/Buck/Rufenach 2010, 1. Auflage 2001, S. 6.</ref> Es ist das Praxiskonzept einer Theorie frühkindlicher Bildungsprozesse und steht in der Traditionslinie der [[Reformpädagogik]] von [[Friedrich Fröbel]], [[Maria Montessori]] und [[Célestin Freinet]] über den [[Situationsansatz]] bis zu [[Loris Malaguzzi]], dem Begründer der [[Reggio-Pädagogik]].<ref>von der Beek/Buck/Rufenach 2010, 1. Auflage 2001, S. 9; von der Beek 2014a, S. 33.</ref> Dabei ist der Bezug zur Reggio-Pädagogik am wichtigsten und dies aus drei Gründen. Zum einen, weil es vergleichbare wissenschaftliche Erkenntnisse über das Lernen in der frühen Kindheit sind, auf die sich Reggio-Pädagogik und das Hamburger Raumgestaltungskonzept berufen.<ref>Reggio Children/Project Zero 2001.</ref> Zum anderen ist es die Bedeutung des Raumes für die frühkindliche Entwicklung, die in Reggio von allen Reformpädagogiken am meisten betont wird und am konsequentesten praktisch umgesetzt worden ist.<ref>Reggio Children/Domus Academy Research Center 1998.</ref> Zum dritten sind in Reggio die Grundlagen einer partizipatorischen Didaktik entstanden, ein didaktisches Konzept, welches dem Konzept einer Raumgestaltung eine pädagogische Handlungsperspektive vorgibt.<ref>Rinaldi 2006.</ref>

== Bildungstheorie ==

=== Erfahrungslernen ===

Das Hamburger Raumgestaltungskonzept basiert auf einer Bildungstheorie, die das Erfahrungslernen der Kinder in ihren Brennpunkt rückt.<ref>Schäfer 2011, S. 13-24</ref> Mit diesem Lernen aus Erfahrung beginnt der kindliche Bildungsprozess als eine Weise des Lernens, die nicht notwendig auf das Bewusstsein angewiesen ist, das in der frühesten Lebenszeit erst noch  entwickelt werden muss. Sie verbindet den Menschen mit Primaten und höheren Säugetieren. Kinder lernen aus Erfahrung, bevor sie einem Lernen durch Unterweisung überhaupt zugänglich sind.

Ein Konzept des kindlichen Erfahrungslernens trennt das Denken nicht vom Handeln. Beides bildet eine Einheit. Von daher werden auch Körper und Geist nicht auseinander gehalten. Wenn man das scheinbar ungelenke Handeln von Säuglingen oder Kleinkindern nur als ein motorisches – also rein körperliches – Koordinationsproblem betrachtet, dann kann man nicht erfassen, wie sie auf diesem Weg eine Orientierung in ihrer gegebenen Umwelt gewinnen. Trennt man nicht das körperliche Tun als motorisches von einem „geistigen“ Zugreifen auf Welterfahrung ab, dann lässt sich ihr Handeln zugleich als ein explorierendes Denken verstehen. Dahinter steht die Frage, was man mit dem, was so ergriffen wird, machen kann. Handelnd, empfindend, wahrnehmend gewinnen Kinder in den frühen Lebensmonaten eine Orientierung in ihrer Wirklichkeit. Aus diesem Handeln heraus verinnerlichen sie „Bilder“ von ihrer Welt. Diese „Bilder“ legen sie zum einen wieder ihrem Handeln zugrunde, zum anderen benutzen sie diese, um die Erfahrungen, die sie machen, zu denken. 

So kann man die frühe Kindheit und ihre sozialen Agenten als eine Art Werkstatt begreifen, in der Kinder sich durch ihre eigenes Tätigwerden die Bilder von der Welt erzeugen, die in der sozialen Gruppe, in der sie aufwachsen, als bedeutsam gelten. Es geht darum, wie Kinder diese Welt wahrnehmen und wie sie sich aus ihren Erfahrungen das Können und Wissen herausarbeiten, das sie benötigen, um als selbständige und möglichst kreative Personen heranzuwachsen. Aus den kulturellen Handlungs- und Denkvorgaben, die ihnen ihre Umwelt zur Verfügung stellt, erzeugen und differenzieren sie die Werkzeuge, die dafür benötigt werden.

=== Alltagsbezug ===

Das kindliche Erfahrungshandeln und -denken findet in Alltagssituationen statt. Das Erfahrungskönnen und -wissen, welches dabei entsteht, strukturiert als ein implizites Können und Wissen das Tun in diesen Alltagszusammenhängen. Ein wesentlicher Teil der frühen Bildungsprozesse besteht nun darin, solches implizites Wissen nicht nur zu sammeln, sondern auch dem Bewusstsein näher zu bringen und es – wenigstens teilweise – explizit zu machen. Das wichtigste Vehikel auf diesem Weg ist der Eintritt in die Sprache und das damit verbundene sprachliche Denken. Das Erfahrungswissen der Kinder durchläuft also einen Denkweg, der im Laufe ihrer Entwicklung immer ausgefeilter wird.

=== Denkwege ===

Die Denkentwicklung kann dabei als ein Prozess beschrieben werden, in dem sich unterschiedliche Denkfähigkeiten nacheinander und nebeneinander entwickeln. Vier Weisen des Denkens bilden dabei Schwerpunkte: “konkretes Denken” , “gestaltendes”, “erzählendes” und “theoretisches” Denken.<ref>Schäfer/ Alemzadeh/ Eden/ Rosenfelder 2009, S. 84 ff.</ref>  

Konkret ist das Denken kleiner Kinder, weil ihr Handeln eine Weise ist, zu erfassen, wie die Welt funktioniert. Weil das Handeln nur über die Sinne erfasst werden kann, ist das konkrete Denken auch ein gestaltendes Denken. Trotzdem ist es, wenn man die Handlungen von kleinen Kindern sorgfältig beobachtet, sinnvoll, das gestaltende vom konkreten Denken zu unterscheiden. Konkret denken kleine Kinder bei ihren Alltagshandlungen, mit ihrem Körper, wenn sie sich dauernd bewegen und wenn sie etwas ausprobieren. 
Gestaltend denken sie, wenn sie mit  inneren Repräsentationen spielen und damit ihren Eindrücken einen Ausdruck geben. Das tun sie vor allem im bildnerischen, aber auch im konstruktiven und im Rollen spielenden Bereich. 
Mit dem Erwerb der Sprache gewinnen sie die Möglichkeit hinzu, sich eines von allen geteilten Symbolsytems zu bedienen. Das ist dann erzählendes Denken. 
Konkretes, gestaltendes und erzählendes Denken bilden die Grundlage des theoretischen Denkens. Theoretisch ist das Denken, bei dem die Kinder sich auf das Wissen der Kultur beziehen, die sie umgibt, also das, was wir gewohnt sind, mit  kulturellem Wissen zu bezeichnen. In einem Alltagsverständnis gilt letzteres als das "eigentliche" Denken.

=== Implizites Lernen ===

Der Bildungsgedanke des Erfahrungslernens verbindet also implizite und explizite Lernprozesse und sieht gerade die impliziten als die eigentliche pädagogische Herausforderung bei frühkindlichen Bildungsprozessen an.<ref>Schäfer/ Alemzadeh/ Eden/ Rosenfelder 2009, S.82 f.</ref> Er siedelt dabei die impliziten Bildungsprozesse in einem Handeln an, das der alltagsbezogenen Lebensbewältigung dient, das - in unserem kulturellen Kontext - als mehr oder weniger selbstverständlich gilt und deshalb nicht weiter hinterfragt wird. Aus dieser Perspektive wird daher ein Handlungsrahmen zu fordern sein, der die Gestaltung eines pädagogischen Alltags als eine fachliche Aufgabe wahrnimmt. Das Hamburger Raumgestaltungskonzept versteht sich als ein solcher Rahmen.

== Konzeptionelle Grundsätze ==

=== Dialog zwischen Theorie und Praxis ===

Wie sieht nun die Umsetzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen über Lernprozesse in der frühen Kindheit in die Praxis aus? Einerseits müssen Praktikerinnen und Praktiker sich für diese Erkenntnisse interessieren und ihre Praxis ändern wollen, andererseits muss es für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler theoretisch bedeutsam sein, wie sich die veränderte Praxis auf die Kinder auswirkt. Bezogen auf den Raumgestaltungsaspekt heißt das, dass Praktikerinnen durch Raumgestaltung und Materialauswahl das „verkörperte“ Wissen der Kinder ernst nehmen und Wissenschaftlerinnen durch die erweiterten Handlungsmöglichkeiten der Kinder in anregend eingerichteten Umwelten ihre Einsichten in frühkindliche Lernprozesse vertiefen können.<ref>von der Beek 2014b , S. 12</ref> Ohne entsprechende Räume und soziale Beziehungen wird man allenfalls randständig selbständige Lernprozesse der Kinder beobachten können. Das Lernen der Kinder kann man also nicht beobachten, ohne die sozialen und sachlichen Kontexte, in die es eingebettet ist. Laborbedingungen sind das Gegenteil von interessant gestalteten Funktionsräumen und dementsprechend unterschiedlich sieht das Lernen in diesen unterschiedlichen Kontexten aus.

Das Hamburger Raumkonzept ist aus einem solchen intensiven Dialog zwischen Theorie und Praxis hervorgegangen. Bei seiner Entwicklung arbeiteten eine Diplom-Pädagogin, ein Tischler und eine Kita-Leitung zusammen<ref>von der Beek/ Buck/ Rufenach 2001</ref>. Das Bild vom Kind, das ihm zugrunde liegt, wurde von Loris Malaguzzi und seinen Mitarbeiterinnen in Reggio in einer ebensolchen Kooperation geschaffen. Seine theoretischen Grundlagen wurden unter Einbeziehung der Reggio-Pädagogik in einer langfristigen Zusammenarbeit von Angelika von der Beek und Gerd E. Schäfer weiter entwickelt.<ref>Schäfer/ von der Beek 2013</ref> Insbesondere wurden dabei die kindlichen Bildungsprozesse auf der Grundlage kooperativer zwischenmenschlicher Beziehungen in den Blick genommen. Ein differenziertes didaktisches Denken bedarf dieser Wechselseitigkeit. Eine „partizipatorische Didaktik“ in der frühen Kindheit konnte nur in dieser kooperativen Weise entstehen. Sie bildet auch den Hintergrund für das Hamburger Raumgestaltungskonzept. In ihrem Mittelpunkt stehen die Schaffung einer reichhaltigen Umgebung und die Gestaltung dialogischer Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern. Das Hamburger Raumgestaltungskonzept beschäftigt sich mit beidem.

=== Ziele des  Hamburger Raumgestaltungskonzept ===

Das Hamburger Raumgestaltungskonzept bildet die Grundlage für eine Pädagogik, die mit den Köpfen der Kinder arbeitet und nicht über sie hinweg geht. Denn die bundesdeutsche Debatte ist seit Jahren wankelmütig.<ref>von der Beek 2014b, S. 28 f.</ref> Einerseits gibt es praktisch niemanden mehr, der nicht vom „Kind als Forscher“ und der zentralen Bedeutung des selbsttätigen Lernens spricht. Andererseits gibt es eine ständig wachsende Zahl von Förderprogrammen.  

In dieser Wechselwirkung zwischen Theoriebildung und Praxis blickt das Hamburger Raumgestaltungskonzept zunächst auf die reichhaltige Umgebung, also die materiellen Rahmenbedingungen frühkindlicher Bildungsprozesse. Doch erschöpft es sich nicht in Architektur, Raumgestaltung und Vorbereitung reichhaltiger Materialien oder Werkzeuge. Es zielt ebenso auf die Organisation des pädagogischen Alltags, die Klärung der Aufgaben der Erzieherinnen im Bildungsprozess,  dialogische Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern, sowie der Kinder untereinander und speziell dabei die Rolle des wahrnehmenden Beobachtens. Insbesondere schafft es die Grundlage dafür, dass Gelegenheiten entstehen, in welchen Kinder selbständig ein anregendes Umfeld explorieren. 

==== Was meint Raumgestaltung? ====

Die Bildung des impliziten Wissens im Alltagskontext stellt die pädagogische Aufgabe, diesen Alltag auf seine darin eingeschlossenen Strukturen zu hinterfragen und ihn bildungsfreundlich zu gestalten, sowie Hilfestellungen zu geben, diese Implikationen im Laufe der Zeit auch ins Bewusstsein zu bringen und auf ihre Tauglichkeit hin zu hinterfragen. Konkretes Denken durch Handeln, ästhetisches Denken durch Gestalten, erzählendes Denken durch sprachliche Geschichten und theoretisches Denken vor dem Hintergrund kultureller Theorien geben Anhaltspunkte für die Gestaltung von Räumen und die Auswahl von Materialien, durch die Kinder sich differenziert bewegen, bauen und konstruieren, fantasievoll Rollen spielen und malen sowie experimentieren können.

==== Das Raumkonzept ====

Eine pädagogisch reflektierte Raumgestaltung schafft also einen kulturellen Rahmen für all diese impliziten und teilweise expliziten Erfahrungsprozesse. Das Hamburger Raumgestaltungskonzept hat zwei Raumkonzepte entwickelt, eines für Kinder unter drei Jahren<ref>von der Beek 2014a</ref>, eines für Kinder über drei Jahren<ref>von der Beek 2014b</ref>. 

==== Das Raumkonzept für Kinder unter drei Jahren ====

„Aus meiner Sicht gibt es keine Alternative dazu, die Besonderheit von Kindern dieses Alters dadurch anzuerkennen, dass eigene Betreuungsformen mit spezifischen Aufgaben Beschreibungen für Erzieherinnen und Erzieher, einem auf die Bedürfnisse von kleinen Kindern abgestimmten Tagesablauf sowie einer auf ihre Interessen zugeschnittenen Raumgestaltung und Materialauswahl entwickelt werden“.<ref>von der Beek 2014a, S. 35</ref>

Unter anderem geht es um die Gestaltung eines Bereichs für das Ankommen, Abschied nehmen und Abholen und um Raum für die wichtige partizipatorische Koordination von Eltern und Einrichtung. 

Im Zentrum steht dann der Gruppenraum als Basisstation in dem Freiraum und Geborgenheit keinen Widerspruch bilden. Vor allem muss er auch ein Raum der Bewegung und der Begegnung der Kinder untereinander sein. Dabei geht die Raumgliederung vom Boden aus und kann über Einbauten bis unter der Raumdecke führen. Größte Aufmerksamkeit wird darauf gerichtet, dass dieser Raum – und alle anderen Räume natürlich auch - so gestaltet und mit Materialien ausgestattet ist, dass die Entfaltung und Differenzierung der kindlichen Sinne bestmöglich angeregt wird. Dazu gehört auch ein sogenanntes Miniatelier, ein Bereich, der den vielfältigen Möglichkeiten bildnerischen Gestaltens vorbehalten ist. 

Ein weiterer wichtiger Raum für kindliche Weltexploration ist der Sanitärraum, der so eingerichtet sein sollte, dass er nicht nur der Hygiene, sondern auch dem Spiel mit dem Wasser und dem Körper reichlich Gelegenheit gibt. Er ist ein Raum der Körpererfahrung par excellence. 

==== Das Raumkonzept für Kinder über drei Jahren ====

Für diese Altersgruppe wird das Hamburger Raumgestaltungskonzept durch ein Konzept der offenen Arbeit in Funktionsräumen umgesetzt. Funktionsräume sind Räume, die Werkzeuge und Materialen für bestimmte Schwerpunkte kindlicher Tätigkeiten enthalten und die so gestaltet sind, dass Kinder mit größtmöglicher Selbständigkeit diesen Tätigkeiten nachgehen können.

"Als Planungsgrundlage für die Um- und Neugestaltung von Kitas mit beschränkten Möglichkeiten oder mit durchschnittlichen Rahmenbedingungen hat sich Folgendes bewährt An erster Stelle steht die Einrichtung eines Bewegungsraums. Dann kommen Atelier, der Bauraum und schließlich der Rollenspielraum. Stehen nur zwei Räume zur Verfügung, richtet man einen Bewegungsraum ein, weil man ihn so ausstatten kann, dass die Kinder dort bauen und Rollenspiele durchführen können. Wenn es drei Räume gibt, sollten die Kinder einen Bewegungsraum, ein Atelier und einen Bauraum haben. ( ...) Stehen für zwei Gruppen vier Räume zur Verfügung, sollte der Rollenspielraum wiederum Priorität vor anderen Räumen haben".<ref>von der Beek 2014b, S. 25f.</ref>

==== Zusammenhang von Altersmischung und Raumgestaltungskonzept ====

Mit dieser Aufteilung wird einer übergreifenden Altersmischung zwischen Eins und Sechs eine Absage erteilt. Der Grund dafür sind die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder in diesen beiden Altersgruppen und die beschränkten Möglichkeiten der Erzieherinnen, darauf für beide Gruppen pädagogisch angemessen einzugehen.<ref>von der Beek/ Buck/ Rufenach 2010, S. 17 ff.; von der Beek 2014a, S. 61 ff.; von der Beek 2014b, S. 35 ff.</ref>
Neben der Entscheidung für Gruppenarbeit oder offene Arbeit in Funktionsräumen ist daher die Art der Altersmischung für die Organisation des pädagogischen Alltags ausschlaggebend. Das Hamburger Raumgestaltungskonzept geht davon aus, dass eine wirksame Förderung von kindlichen Bildungsprozessen in der Kita nur möglich ist, wenn die altersspezifischen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder im Tagesablauf, in der Organisation, in der Raumgestaltung, in der Materialauswahl und im Beziehungsangebot der Erzieherin berücksichtigt werden. Aus dieser Sicht werden die Bildungsprozesse der Kinder unter Drei am nachhaltigsten unterstützt, wenn sie in Sicht- und Hörweite ihrer Erzieherin, die Wahl zwischen unterschiedlichen Betätigungsmöglichkeiten, das heißt in einem großen oder mehreren, überschaubar miteinander verbundenen kleinen Räumen zur Verfügung haben und das heißt wiederum, gruppenpädagogisch betreut werden.

Die Bildungsprozesse von Kindern zwischen drei und sechs Jahren sowie die von Schulkindern werden am wirksamsten gefördert, wenn sie unter vielen unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten auswählen können und jederzeit die Gelegenheit zum Rückzug haben, sich also gerade nicht in Sicht- und Hörweite der ErzieherInnen aufhalten müssen. Das gilt für Hortkinder natürlich in noch viel höherem Maße als für Elementarkinder! 

==== Wahrnehmendes Beobachten im Hamburger Raumgestaltungskonzept ====

Erst in solchen Situationen, in welchen Alltag, Raumgestaltung und empathische Beziehungen die explorierende Tätigkeit der Kinder unterstützen, kann ein "wahrnehmendes Beobachten" die Bildungsprozesse entdecken, in welchen sie ihre eigenen Voraussetzungen, ihr selbständiges Handeln und Denken und damit ihren individuellen Beitrag zum Bildungsprozess einesetzen können.<ref>von der Beek/ Buck/ Rufenach 2010, S. 14; von der Beek 2014a, S. 10 ff., von der Beek 2014b, S. 30 ff.; Schäfer/ von der Beek 2013, S. 128 f.</ref> Nur da, wo er ins Spiel kommt, kann er auch pädagogisch unterstützt werden. Eine Pädagogik der Angebote und der Instruktionen braucht kein wahrnehmendes Beobachten, beachtet nicht die Beziehungen des pädagogischen Alltags und kommt ohne differenzierte Raumgestaltung aus. All dies wird ersetzt durch gezielte Planung, die Kindern nurmehr einen – so genannten aktiven – Nachvollzug anbietet. Sie kann sich deshalb auch mit Beobachtungsweisen begnügen, welche lediglich die Lernresultate erfassen. Das Hamburger Raumgestaltungskonzept kann nur in einer Weise verstanden werden, in der diese Faktoren unmittelbar miteinander verbunden sind. Und erst in diesem Miteinander bekommt das wahrnehmende Beobachten seine zentrale Bedeutung.

Es versteht sich als ein Beobachten mit doppelter Perspektive – ein Beobachten der kindlichen Tätigkeit einerseits und ein Wahrnehmen dessen, was dieses Tätigsein im Beobachter hervorruft andererseits. Der Grund für diese doppelte Perspektive liegt darin, dass pädagogisches Handeln oftmals mehr durch das beeinflusst wird, was in der Person der Pädagogin oder des Pädagogen hervorgerufen wird, als durch das, was das inhaltliche Ziel im Bildungsprozess ist. Man kann nicht davon ausgehen, dass die Perspektiven immer übereinstimmen. Gerade die situativen Reaktionen, die ein unmittelbares, spontanes Handeln notwendig machen, werden durch Voreinstellungen gelenkt, die vor allem dem Empfinden folgen, das im Erwachsenen hervorgerufen wird. Diese gründen in tiefsitzenden und selten fachlich begründeten Voreinstellung, die in der bisherigen privaten und fachlichen Biographie erworben wurden.Das kann nicht ausgeschaltet, aber – wenn man es wahrnimmt – berücksichtigt werden. Mit diesem Wahrnehmen des Beteiligseins des Beobachters zielt das wahrnehmende Beobachten, so gut es eben geht – auf auf das Sichtbarmachen dieser Voreinstellungen und ihren Einflüssen auf das pädagogische Tun.

Auf der anderen Seite wird auch das Kind in einfühlender Weise beobachtet. Es geht nicht nur darum, sein Verhalten und seine sachlichen Problemlösungen zu registrieren, sondern sich eine Vorstellung davon zu machen, welche eigenen Erfahrungsweisen, Gedanken und Empfindungen bei ihm dabei zum Vorschein kommen und wie diese zur Bildungssituation beitragen. Es geht nicht nur um die Lernergebnisse, sondern auch um das Begreifen der Lernwege der Kinder. 

So verbindet sich das wahrnehmende Beobachten auf zweifache Weise mit der Raumgestaltungskonzept: Dieses bildet zum einen die Voraussetzung für die Entstehung individueller Lernwege der Kinder. Zum anderen gewährt es einen professionellen Raum des Nachdenkens über die individuellen und situativen Besonderheiten dieser Lernwege.

==== Partizipatorische Didaktik ====

Räume, in welchen Kinder ihren selbständigen Explorationen nachgehen können, sind eine Voraussetzung dafür,
dass Erwachsene an den Handlungs- und Denkprozessen der Kinder teilnehmen und sie in ihre pädagogischen Überlegungen einbeziehen können; dass Kinder miteinander in Verbindung treten, um ihr Handeln und Denken wechselseitig voran zu bringen.

Beides – vor dem Hintergrund des wahrnehmenden Beobachtens – bildet den Ausgangspunkt für partizipatorische Projekte, die das Interesse der Kinder über den Alltagszusammenhang hinaus erweitern und sie mit kulturellen Bereichen in Verbindung bringen, die wir als bedeutsam für alle empfinden.<ref>Schäfer/ von der Beek 2013, S. 183 ff.</ref> Es wird von partizipatorischen Projekten gesprochen, weil die Schritte, in diesen Projekten aus keinem systematischen Plan hervorgehen, sondern aus einem Verständigungsprozess zwischen Kindern und Erwachsenen. Da sich an diesem Prozess des wechselseitigen Zuhörens und der Vorschläge also auch die Erwachsenen beteiligen, bringen auch sie ihre Vorstellungen und ihr sachliches Können und Wissen ein. Dafür gibt es jedoch zwei Grundbedingungen: 

die Erwachsenen lassen im Zweifel den Kindern und ihren Ideen der Vortritt, nach dem Motto, alles was Kinder selbst tun können, sollten nicht die Erwachsenen für sie übernehmen;
die inhaltlichen Vorschläge der Erwachsenen müssen von den Kindern auch abgelehnt werden dürfen.

Solche Projekte haben daher kein vorher systematisch festgelegtes sachliches Ziel, sondern sie wackeln sich zu Zielen, die im Verlauf des Prozesses selbst entstehen. Es spricht dann nichts dagegen, wenn sie Vorstellungen entsprechen, die sich auch die Erwachsenen gewünscht haben. Meist jedoch, kommt viel mehr dabei heraus als das, was Erwachsene sich vorher überlegt haben.

==== Erzieherinnen und Erzieher als Expertinnen und Experten ====

Unter den aktuellen reformpädagogischen Ansätzen bietet die von Axel Wieland und Gerhard Regel entwickelte „Offene Arbeit“ die meisten Anknüpfungspunkte für eine Veränderung der herkömmlichen Raumgestaltung.<ref>Regel/ Wieland 1993; Regel 2006; Gruber/ Siegel 2008</ref> Deshalb bezieht sich das Hamburger Raumgestaltungskonzept neben der Reggio-Pädagogik am stärksten auf die offene Arbeit in Funktionsräumen. 

Durch die offene Arbeit ist es möglich, dass sich alle Erzieherinnen fachliche Schwerpunkte schaffen. Ein solches „Fachfrauenprinzip“ bedeutet, dass sich – erstens – eine  Erzieherin für ein Fach interessiert; dass sie – zweitens – es auch praktiziert; und dass sie – drittens Erfahrungen darin sammelt, wie Kinder die Möglichkeiten eines Raumes, seiner Materialien und Werkzeuge nutzen. Letzteres ist ein wesentlicher Grund, die fachlichen Schwerpunkte nicht zu wechseln. Dies schafft die Voraussetzung dafür, von den Kindern zu lernen, welche Herausforderungen sie entdecken, um dann die Möglichkeiten zu stetig zu verbessern, sie dabei zu unterstützen. 

Das Expertentum, welches Erzieher und Erzieherinnen dabei erwerben, besteht also nicht nur einer Fachlichkeit hinsichtlich eines sachlichen Schwerpunktes, sondern – wichtiger noch – in vertieften Einsichten  in die Arten und Weisen, wie Kinder mit den sachbezogenen Möglichkeiten umgehen. Neben sachlichem Können und Wissen gehört also auch eine Differenzierung der Einfühlung in die Wahrnehmungs- und Umgangsweisen der Kinder mit zur Fachlichkeit der Expertinnen. Das heißt auch, dass Fachfrauen oder Experten bzw. Expertinnen nicht in erster Linie Kindern etwas vermitteln, sondern es in allererster Linie selbst tun, sodass Rückkoppelungsprozesse entstehen können: Die Erwachsenen spezialisieren sich auf ein Thema, das den Kindern mehr Wahl- und differenziertere Betätigungsmöglichkeiten bietet und zwar in einem ersten Schritt durch die Einrichtung reichhaltiger Räume und die Bereitstellung anregender Materialien. In einem weiteren Schritt dienen Raum und Materialien dazu, den Erwachsenen die Möglichkeit zu geben, wahrnehmend zu beobachten, danach die Angebote zu differenzieren und nur solche Angebote zu machen, die die Selbsttätigkeit der Kinder unterstützen. In der dritten Phase geben sie den Erziehern die Möglichkeit, mit den Kindern in Projekten zu arbeiten. 

In Anlehnung an das Modell der freigestellten Kunstpädagogen in Reggio, schlägt das Hamburger Raumgestaltungskonzept vor, dass Erzieherinnen zu „Expertinnen“ werden und die brauchen, wie in Reggio, eigene Räume.<ref>von der Beek/ Buck/ Rufenach 2010, S. 14 ff.; von der Beek 2014b, S. 27 f.; Schäfer/ von der Beek 2013, S. 129 f.</ref> So wie in Reggio ein Atelier eine Atelierista hat, sollte im Bewegungsraum eine Expertin für Bewegung tätig sein, im Rollenspielraum eine für Sprache und Spiel usw.. In der Konsequenz der offenen Arbeit in Funktionsräumen liegt es also, dass es für die grundlegenden kindlichen Tätigkeitsbereiche – Bewegung, sinnliches Wahrnehmen und Gestalten, Bauen und Konstruieren, Sprache und Rollenspiel – sowohl geeignete Funktionsräume gibt als auch  erfahrene Expertinnen, die den Kindern bei ihren Anliegen und Fragen zur Verfügung stehen.

== Zusammenfassung ==

Das Hamburger Raumgestaltungskonzept ist also nur als ein Gesamtkonzept zu verstehen: Das Erfahrungslernen junger Kinder bedarf eines anregungsreichen Umfeldes, in dem sie selbständige Erfahrungen machen können. Das ist sein Grundgedanke. Dieses Erfahren der Kinder wird eingebettet in eine dialogisch gestaltete pädagogische Wechselwirkung mit Erwachsenen. Aus ihr gehen Vertiefungen in kulturelle Bereiche hervor, die schwerpunktmäßig in Projekten erfolgen. Die Grundlagen dafür liefert ein wahrnehmendes Beobachten. Über dieses werden die Bedürfnisse, die Stärken und auch die Besonderheiten der Kinder deutlicher und über die Funktionsräume und das Fachfrauenprinzip kann diesen besser Rechnung getragen werden. Dieses wechselseitige Zuhören und Antworten, verbunden mit gemeinsamem Reflektieren durchzieht das ganze Konzept von seiner dialogischen Entstehung, seiner Weiterentwicklung in einer Verbindung interessierter Theoretikerinnen und Theoretiker sowie Praktikerinnen und Praktiker bis in den pädagogischen Umgang hinein. Denken und Handeln werden nicht unterschiedlichen Sphären zugeordnet, sondern bilden eine Einheit.

== Literatur ==
* Rosemarie Gruber und Brunhild Siegel, (Hrsg.): ''Offene Arbeit in Kindergärten. Das Praxisbuch'', Verlag das Netz, Weimar/Berlin 2008. ISBN  978-3-937785-44-8.
* Gerhard Regel und Axel Wieland (Hrsg.): ''Offener Kindergarten konkret.Veränderte Pädagogik in Kindergarten und Hort'', E.B.-Verlag Rissen, Hamburg 1993. ISBN 3-923002-74-2.
* Gerhard Regel: ''Plädoyer für eine offene Pädagogik der Achtsamkeit. Zur Zukunft des offenen Kindergarten'', EB-Verlag, Hamburg 2006. ISBN 978-3-936912-58-6.
* Reggio Children/Domus Academy Research Center: ''Children, Spaces, Relations. Metaproject for an Environment for young Children'', Reggio Children 1998.
* Reggio Children/Project Zero: ''Making learning visible. Children as Individual and Group Learners'', Reggio Children 2001. ISBN 88-87960-25-9.
* Carlina Rinaldi: ''In Dialogue with Reggio Emilia'', Routledge, London/New York 2006. ISBN 0-415-34503-0.
* Gerd E. Schäfer und Angelika von der Beek: ''Didaktik in der frühen Kindheit. Von Reggio lernen und weiterdenken'', Verlag das Netz, Weimar/Berlin 2013. ISBN 978-3-86892-085-7.
* Gerd E. Schäfer und Marjan Alemzadeh: ''Wahrnehmendes Beobachten'', Verlag das Netz, Weimar/Berlin 2012. ISBN 978-3-86892-060-4.
* Gerd E. Schäfer: ''Erfahrungslernen, was ist das?'' In: R. Henneberg, L. Klein und G. E. Schäfer: ''Das Lernen der Kinder begleiten - Bildung, Beziehung, Dialog'', Seelze 2011.
* G. E. Schäfer, M. Alemzadeh, H. Eden und D. Rosenfelder: ''Natur als Werkstatt'', Verlag das Netz, Weimar/Berlin 2009. ISBN  978-3-937785-97-4.
* Vea Vecchi: ''Art and Creativity in Reggio Emilia. Exploring the role and potential of ateliers in early childhood education'', Routledge, London/New York 2010. ISBN 978-0-415-46877-0.
* Angelika von der Beek: ''Bildungsräume für Kinder von Drei bis Sechs'', Verlag das Netz, Weimar/Berlin 2014b (2. Auflage). ISBN  978-3-937785-89-9.
* Angelika von der Beek: ''Bildungsräume für Kinder von Null bis Drei'', Verlag das Netz, Weimar/Berlin 2014a (6. Auflage). ISBN 978-3-937785-38-7.
* Angelika von der Beek: ''Pampers, Pinsel und Pigmente. Ästhetische Bildung von Kindern unter drei Jahren'', Verlag das Netz, Weimar/Berlin 2008. ISBN  978-3-937785-70-7.
* Angelika von der Beek, Matthias Buck und Annelie Rufenach: ''Kinderräume bilden. Ein Ideenbuch für Raumgestaltung in Kitas'', Cornelsen Verlag Scriptor 2010 (1. Auflage 2001). ISBN 978-3-589-25254-1.

== Einzelnachweise ==
<references />