Quelltext der Seite Cyanwasserstoff

{{Weiterleitungshinweis|Blausäure|Zum gleichnamigen Roman von Agatha Christie siehe [[Blausäure&nbsp;(Roman)]].}}
{{Infobox Chemikalie
| Strukturformel            = [[Datei:Hydrogen-cyanide-2D.png|150px|Struktur von Cyanwasserstoff]]
| Suchfunktion              = HCN
| Andere Namen              = 
* Ameisensäurenitril
* Blausäure
* Cyanwasserstoffsäure
* Formonitril
* Hydrogencyanid
* Acidum borussicum
* Zyklon B<ref name="GESTIS" />
| Summenformel              = HCN
| CAS                       = {{CASRN|74-90-8}}
| EG-Nummer                 = 200-821-6
| ECHA-ID                   = 100.000.747
| PubChem                   = 768
| ChemSpider                = 748
| Beschreibung              = farblose, nach Bittermandeln riechende Flüssigkeit<ref name="GESTIS" />
| Molare Masse              = 27,03 g·[[mol]]<sup>−1</sup>
| Aggregat                  = flüssig<ref name="GESTIS" />
| Dichte                    = 0,69 g·cm<sup>−3</sup><ref name="GESTIS">{{GESTIS|Name=Cyanwasserstoff|ZVG=12450|CAS=74-90-8|Abruf=2022-01-20}}</ref>
| Schmelzpunkt              = −13 [[Grad Celsius|°C]]<ref name="GESTIS" />
| Siedepunkt                = 26&nbsp;°C<ref name="GESTIS" />
| Dampfdruck                = 817 h[[Pascal (Einheit)|Pa]] (20&nbsp;°C)<ref name="GESTIS" />
| pKs                       = 9,40<ref>chem.wisc.edu: [http://www.chem.wisc.edu/areas/reich/pkatable/pKa_compilation-1-Williams.pdf pKa Data], Compiled by R. Williams (PDF; 645&nbsp;kB).</ref>
| Löslichkeit               = mit Wasser vollständig mischbar<ref name="GESTIS" />
| Brechungsindex            = 1,2614 (20&nbsp;°C)<ref name="CRC90_3_286">{{CRC Handbook|Auflage=90|Titel=Physical Constants of Organic Compounds|Kapitel=3|Startseite=286}}</ref>
| CLH                       = {{CLH-ECHA|ID=100.000.747|Name=Hydrogen cyanide|Abruf=2016-02-01}}
| Quelle GHS-Kz             = <ref name="GESTIS" />
| GHS-Piktogramme           = {{GHS-Piktogramme|02|06|08|09}}
| GHS-Signalwort            = Gefahr
| H                         = {{H-Sätze|224|300+310+330|372|410}}
| EUH                       = {{EUH-Sätze|-}}
| P                         = {{P-Sätze|210|260|262|273|280|303+361+353|304+340|310|501}}
| Quelle P                  = <ref name="GESTIS" />
| MAK                       = [[Deutsche Forschungsgemeinschaft|DFG]]/Schweiz: 1,9 ml·m<sup>−3</sup> bzw. 2,1&nbsp;mg·m<sup>−3</sup><ref name="GESTIS" /><ref>{{SUVA-MAK |Name=Cyanwasserstoff |CAS-Nummer=74-90-8 |Abruf=2015-11-02}}</ref>
| ToxDaten                  = 
* {{ToxDaten |Typ=TDLo |Organismus=Mensch |Applikationsart=oral |Wert=1,471 mg·kg<sup>−1</sup> |Bezeichnung= |Quelle=<ref name="ChemIDplus">{{ChemID|CAS=74-90-8|Name=Hydrogen cyanide|Abruf=2021-08-17}}</ref> }}
* {{ToxDaten |Typ=TDLo |Organismus=Mensch |Applikationsart=i.v. |Wert=0,055 mg·kg<sup>−1</sup> |Bezeichnung= |Quelle=<ref name="ChemIDplus" /> }}
* {{ToxDaten |Typ=LC50 |Organismus=Mensch |Applikationsart=inhalativ |Wert=3030 ppm nach 1 min |Bezeichnung= |Quelle=<ref name="DoH">Department of Health: ''Hydrogen Cyanide.'' Version 1.2 vom 4. Februar 2004.</ref>}}
* {{ToxDaten |Typ=LC50 |Organismus=Mensch |Applikationsart=inhalativ |Wert=270 ppm nach 6–8 min |Bezeichnung= |Quelle=<ref name="DoH" />}}
* {{ToxDaten |Typ=LC50 |Organismus=Mensch |Applikationsart=inhalativ |Wert=181 ppm nach 10 min |Bezeichnung= |Quelle=<ref name="DoH" />}}
* {{ToxDaten |Typ=LC50 |Organismus=Mensch |Applikationsart=inhalativ |Wert=135 ppm nach 30 min |Bezeichnung= |Quelle=<ref name="DoH" />}}
| Standardbildungsenthalpie = 108,9 kJ/mol<ref name="CRC90_5_19">{{CRC Handbook|Auflage=90|Titel=Standard Thermodynamic Properties of Chemical Substances|Kapitel=5|Startseite=19}}</ref>
}}

'''Cyanwasserstoff''' ('''Blausäure''') ist eine farblose bis leicht gelbliche, brennbare, sehr flüchtige und wasserlösliche [[Flüssigkeit]]. Die Bezeichnung ''Blausäure'' rührt von der früheren Gewinnung aus Eisenhexacyanidoferrat ([[Berliner Blau]]) her, einem [[Lichtechtheit|lichtechten]] tiefblauen Pigment. Blausäure kann als [[Nitril]] der [[Ameisensäure]] angesehen werden (der Nitrilkohlenstoff hat die gleiche Oxidationsstufe wie der [[Carboxygruppe|Carboxylkohlenstoff]]), daher rührt auch der Trivialname ''Ameisensäurenitril''.

Blausäure ist hochgiftig. Ihre tödliche Wirkung wurde in der Geschichte verschiedentlich gegen Menschen eingesetzt, vor allem bei den Massenmorden zur Zeit des Nationalsozialismus im [[KZ Auschwitz]], und fand auch Eingang in die Literatur (Kriminalromane). Industriell wird Blausäure als Vorprodukt und Prozessstoff sowie zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Nach verbreiteter Auffassung geht von Blausäure ein charakteristischer Geruch nach [[Bittermandel]]n aus. Der tatsächliche Geruch der Substanz wird jedoch in der Literatur nicht einhellig so beschrieben und von manchen Menschen abweichend wahrgenommen, z.&nbsp;B. „dumpf“ oder „scharf“. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung nimmt den Geruch von Blausäure überhaupt nicht wahr (siehe auch [[#Handhabung|''Handhabung'']]).

== Eigenschaften ==
Blausäure ist in hochreiner Form eine farblose, leichtbewegliche, mit Wasser und Alkohol in jedem Verhältnis mischbare Flüssigkeit. Der Siedepunkt liegt bei 26&nbsp;°C. Die Substanz verdampft bei Raumtemperatur so schnell, dass ein Teil davon wegen der [[Verdunstungskälte]] erstarren kann.

Blausäure besitzt in verdünnter Form einen betäubend-dumpfen, an bittere Mandeln erinnernden Geruch, der sich aber signifikant von z.&nbsp;B. Bittermandelaroma unterscheidet. In konzentrierter Form riecht Blausäure unangenehm und nicht definierbar, intensiv stechend-scharf und kratzend, reizt die Schleimhäute und die Kehle und hinterlässt einen bitteren Geschmack und kurzzeitiges Brennen in der Nase. Allerdings lähmt die Substanz schon in sehr kleinen Mengen nach kurzer Zeit die Geruchs- und Geschmacksnerven.<ref>{{Literatur |Autor=Karlheinz Lohs |Titel=Synthetische Gifte |Auflage=Vierte, überarbeitete und ergänzte Auflage |Verlag=Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik |Ort=Leipzig |Datum=1974 |ISBN=}}</ref>

Blausäure ist in Wasser eine sehr schwache [[Säure]], die schon von [[Kohlensäure]] aus ihren Salzen, den [[Cyanide]]n, getrieben wird und nur zu einem kleinen Anteil [[Dissoziation (Chemie)|dissoziiert]]:

:<math>\mathrm{HCN + H_2O \rightleftharpoons H_3O^+ + CN^-}</math>

Von den Salzen der Blausäure sind die der Alkali- und Erdalkalimetalle sowie das [[Quecksilber(II)-cyanid]] in Wasser leicht löslich, alle anderen sind schwer löslich.<ref name="Jander">{{Literatur |Autor=Gerhart Jander, Hildegard Wendet |Titel=Lehrbuch der analytischen und präparativen anorganischen Chemie |Auflage=2. verbesserte Auflage |Verlag=S. Hirzel Verlag |Ort=Leipzig |Datum=1954 |Seiten=294ff}}</ref>

Ihr [[pKs-Wert|p''K''<sub>S</sub>-Wert]] wird, je nach Quelle, mit 9,04 bis 9,31 angegeben. Die [[Dissoziationskonstante]] beträgt 4,0·10<sup>−10</sup>.<ref name="Svirbely">Svirbely, W.J., Roth, J.F.: ''The Kinetics of Cyanohydrin Formation in Aqueous Solution.'' In: ''[[J. Am. Chem. Soc.]]'' Band 75, 1953, 3106, [[doi:10.1021/ja01109a020]].</ref> Blausäure ist hochentzündlich, Gemische mit Luft sind im Bereich von 5,4–46,6&nbsp;Vol.-% explosiv. Da Blausäure zudem mit Wasser in jedem Verhältnis mischbar ist, besteht beim Löschen von Bränden die Gefahr einer [[Dekontamination|Kontamination]] des Grundwassers. Daher wird gegebenenfalls ein kontrolliertes Abbrennen in Betracht gezogen.

Blausäure kann in einer autokatalysierten Reaktion spontan polymerisieren oder in die Elemente zerfallen. Diese Reaktion ist stark [[exotherm]] und verläuft explosionsartig. Sie wird durch geringe Mengen an [[Basen (Chemie)|Basen]] initiiert und durch weitere Base, die sich dabei bildet, beschleunigt. Wasserhaltige Blausäure ist dabei instabiler als vollkommen wasserfreie. Es entsteht ein braunes Polymer. Aus diesem Grund wird Blausäure durch Zugabe geringer Mengen an Säuren, wie [[Phosphorsäure|Phosphor-]] oder [[Schwefelsäure]], stabilisiert. Die Säure neutralisiert die Basen und vermeidet eine [[Thermisches Durchgehen|Durchgehreaktion]].

== Geschichte ==

Der Name ''Blausäure'' geht auf das Pigment [[Berliner Blau]] zurück, aus dem die Substanz zuerst hergestellt wurde. 1782 erschien eine Veröffentlichung von [[Carl Wilhelm Scheele]], die die Herstellung von Blausäure sowohl aus gelbem Blutlaugensalz und Schwefelsäure als auch aus Berliner Blau und Schwefelsäure beschreibt. Die Versuche dazu hatte Scheele bereits 1768 begonnen.<ref>Anders Lennartson: ''Isolation of Hydrocyanic Acid from Prussian Blue.'' In: ''The Chemical Works of Carl Wilhelm Scheele.'' Springer, 2017, S. 75–78.</ref> Die Silbe ''Cyan'' wurde von [[Joseph Louis Gay-Lussac]] eingeführt.

== Nachweis ==
* Ein klassisches Verfahren ist der [[Nachweisreaktion|Nachweis]] über die [[Cyanide|Cyanid]]-Ionen: Zu einer [[Alkalische Lösung|alkalischen Lösung]] wird im Unterschuss [[Eisen(II)-sulfat]]-Lösung zugegeben. Sind Cyanid-Ionen vorhanden, bildet sich nach dem Ansäuern [[Berliner Blau]]. Es entweicht Blausäure.
* Bei Zugabe von [[Quecksilber(II)-chlorid]] entsteht [[Chlorwasserstoff]]-Gas. Dieses kann durch einen Säureindikator nachgewiesen werden.
* Ein Becherglas mit der leicht angesäuerten zu prüfenden [[Lösung (Chemie)|Lösung]] wird mit einem [[Filterpapier]] abgedeckt, welches zuvor mit einer [[Wässrige Lösung|wässrigen Lösung]], enthaltend [[Kupfer(II)-acetat]] und [[Benzidin]]acetat, angefeuchtet wurde. Bei Anwesenheit von HCN tritt eine deutliche Blaufärbung des Filterpapiers auf (Benzidinblau). Über diese sehr empfindliche Reaktion können noch 25 mg HCN in 1 m<sup>3</sup> Luft nachgewiesen werden.<ref name="Jander" />

== Giftwirkung ==
{{Hauptartikel|Cyanidvergiftung}}
Blausäure ist extrem giftig, schon 1–2&nbsp;mg Blausäure pro kg Körpermasse wirken tödlich. Die Aufnahme kann, neben der direkten Einnahme, auch über die Atemwege und die Haut erfolgen. Letzteres wird durch [[Schweiß]] begünstigt, da Blausäure eine hohe Wasserlöslichkeit besitzt. In Deutschland wurde die Substanz vom Umweltbundesamt in die [[Wassergefährdungsklasse]] 3 (stark wassergefährdend) eingestuft.<ref name="GESTIS" />
[[Datei:Cytochrome C Oxidase 1OCC in Membrane 2.png|mini|[[Bändermodell (Proteine)|Bändermodell]] von [[Cytochrom-c-Oxidase]]. Cyanwasserstoff blockiert die [[Bindungsstelle]] für [[Sauerstoff]] im [[Aktives Zentrum|aktiven Zentrum]].]]
Die primäre Giftwirkung besteht in der Blockade der [[Sauerstoff]]-[[Aktives Zentrum|Bindungsstelle]] in der [[Atmungskette]] der [[Zelle (Biologie)|Körperzellen]]. Dabei bindet sich das Cyanid irreversibel an das zentrale Eisen(III)-Ion des [[Häme (Stoffgruppe)|Häm-''a''<sub>3</sub>]]-[[Koenzym|Kofaktors]] in der [[Cytochrom-c-Oxidase|Cytochrom-''c''-Oxidase]] in den [[Mitochondrium|Mitochondrien]]. Durch die Inaktivierung des [[Enzym]]s kommt die [[Zellatmung]] zum Erliegen, die Zelle kann den Sauerstoff nicht mehr zur Energiegewinnung verwerten, und es kommt damit zur sogenannten „[[Erstickung#Innere Erstickung|inneren Erstickung]]“. Der Körper reagiert auf den vermeintlichen Sauerstoffmangel mit einer Erhöhung der Atemfrequenz. Da der Sauerstoff im Blut nicht verwertet werden kann und sich in Folge auch im venösen Blut ansammelt, zeigt sich eine hellrote Färbung der Haut. Schließlich sterben die Zellen an Mangel an [[Adenosintriphosphat|ATP]], das normalerweise in der Zellatmung gebildet wird. Die Bindung des Cyanids an Eisen(II)-Ionen ist vergleichsweise schwach. Die Inaktivierung des [[Hämoglobin]]s spielt daher bei Vergiftungen eine untergeordnete Rolle.

Gegengifte sind [[4-Dimethylaminophenol]] (4-DMAP), [[Natriumthiosulfat]], [[Hydroxycobalamin]], [[Amylnitrit|Isoamylnitrit]].

Der in vielen Nahrungsmitteln in geringen Konzentrationen enthaltene Cyanwasserstoff wird vom menschlichen [[Enzym]] [[Rhodanase]] zu dem wesentlich weniger gefährlichen Thiocyanat ([[Rhodanid]]) umgewandelt. <!--Das Medikament [[Natriumthiosulfat]] liefert den für diese Reaktion benötigten [[Schwefel]] und sollte bei Cyanid-Vergiftung sofort anschließend an das 4-DMAP verabreicht werden. So steht das in keinem Zusammenhang zum Enzym-->

== Natürliches Vorkommen ==
[[Datei:Aprikosenkerne.jpg|mini|Aprikosenkerne]]
Die Kerne einiger Steinobstfrüchte ([[Mandel]], insbesondere [[Bittermandel]], [[Aprikose]], [[Pfirsich]], [[Vogel-Kirsche|Kirsche]]) und anderer [[Rosengewächse]] enthalten geringe Mengen an Blausäure; diese dient teilweise als Fraßschutz der [[Same (Pflanze)|Samen]] und auch als chemischer Keimungshemmer, indem die [[Atmung]] der Samen gehemmt wird. Erst nachdem die [[Fruchtwand]] (Endokarp) verrottet ist, kann die Blausäure entweichen und somit den Keimungsprozess aktivieren. Die in den [[Tropen]] vielfach als [[Nahrungsmittel]] genutzte [[Pflanzenknolle|Knolle]] des [[Maniok]] enthält ebenfalls als [[Cyanogene Glykoside|cyanogenes Glykosid]] gebundene Blausäure, die durch die Verarbeitung vor dem Verzehr der [[Pflanze]] entfernt wird. Weitere wichtige Nahrungsmittel mit [[toxikologisch]] relevanten Blausäuregehalten sind [[Yamswurzel]], [[Süßkartoffel]] (gewisse Sorten), [[Zuckerhirse]], [[Bambus]], [[Leinsamen]] und [[Limabohne]]. Unreife [[Bambussprosse]]n, die in östlichen Ländern als Delikatesse gelten, enthalten hohe Blausäuregehalte, Vergiftungsfälle sind bekannt. Durch Zubereitung (intensives Kochen) wird die Blausäure von den [[Glycoside|Glykosiden]] abgespalten und in die Luft abgegeben.

Cyanogene [[Giftpflanzen]] sind unter den [[Gefäßpflanzen|höheren Pflanzen]] weit verbreitet und können bei Verletzung des [[Pflanzengewebe]]s durch [[Pflanzenfresser]] HCN aus [[Cyanogene Glycoside|cyanogenen Glykosiden]] mittels des Enzyms [[Hydroxynitrillyase]] freisetzen. Einige Beispiele für cyanogene Pflanzen sind der tropische [[Goldtüpfelfarn]] (''Phlebodium aureum''), ein Mitglied der [[Tüpfelfarngewächse]], oder der [[Kautschukbaum|brasilianische Gummibaum]] (''Hevea brasiliensis''). Weiß-Klee enthält das Blausäureglyklosid [[Linamarin]], das bei oraler Aufnahme von Pflanzenteilen für kleine Tiere (z. B. [[Schnecken]]) besonders giftig ist, da sich hieraus Blausäure abspalten kann. Einer der bekanntesten Stoffe, die Blausäure abspalten und in Kernen einiger Steinobstfrüchte vorkommen, ist [[Amygdalin]].

'''Blausäure als Neuromodulator und endogene Bildung von Blausäure im menschlichen Organismus'''

Blausäure wird auch endogen im menschlichen [[Organismus]] gebildet und hat offenbar die Rolle eines [[Neuromodulator]]s.<ref>{{Literatur |Autor=Rita Cipollone, Paolo Visca |Titel=Is there evidence that cyanide can act as a neuromodulator? |Sammelwerk=IUBMB Life |Band=59 |Nummer=3 |Datum=2007 |Seiten=187–189 |DOI=10.1080/15216540600981768}}</ref> Weiterhin wird Blausäure z.&nbsp;B. auch durch Gabe von [[Opioide]]n über die Aktivierung von µ-[[Opioidrezeptoren]] generiert.<ref>{{Literatur |Autor=J. L. Borowitz, P. G. Gunasekar, G. E. Isom |Titel=Hydrogen cyanide generation by mu-opiate receptor activation: possible neuromodulatory role of endogenous cyanide |Sammelwerk=Brain Research |Band=768 |Nummer=1-2 |Datum=1997 |Seiten=294–300 |DOI=10.1016/S0006-8993(97)00659-8 |PMID=9369328}}</ref> Die endogene Bildung von Blausäure ist auch in der [[Forensik]] von Bedeutung.<ref>{{Literatur |Autor=T. Grabowska, H. Sybirska |Titel=The role of endogenous Hydrogen cyanide in forensic medical appraisal and interpretation of fire victims |Sammelwerk=Problems of Forensic Sciences |Band=54 |Datum=2003 |Seiten=82–92 |Online=http://www.forensicscience.pl/pfs/54_grabowska.pdf}}</ref> So wird beim Aufbewahren von [[Leiche]]n bei 4&nbsp;°C nach etwa 2 Wochen durch [[Fäulnis]]prozesse und [[Autolyse]] Blausäure gebildet, wobei die [[Konzentration (Chemie)|Konzentration]] nach etwa 6 Wochen ihr Maximum erreicht und danach langsam geringfügig abfällt.

== Herstellung ==
=== Industrielle Erzeugung ===
Für die Herstellung von Cyanwasserstoff sind folgende Verfahren von Bedeutung:
* Bei der Ammonoxidation von Methan ([[Andrussow-Verfahren]]) wird ein Gemisch aus [[Ammoniak]] und [[Methan]] bei rund 1200&nbsp;°C an einem Platinnetz als [[Katalysator]] oxidiert. Die [[Chemische Reaktion|Reaktion]] ist stark [[Exotherme Reaktion|exotherm]].
:<math>\mathrm{2\ CH_4\ +\ 2\ NH_3\ +\ 3\ O_2\longrightarrow\ 2\ HCN\ +\ 6\ H_2O}</math>

* Bei der Ammondehydrierung von Methan ([[Degussa]]-[[BMA-Verfahren]]) werden Ammoniak und Methan mit Hilfe eines Platinkatalysators zu Blausäure und [[Wasserstoff]] umgesetzt. Die [[Chemische Reaktion|Reaktion]] verläuft [[Endotherme Reaktion|endotherm]].<ref>F. Endter: ''Die technische Synthese von Cyanwasserstoff aus Methan und Ammoniak ohne Zusatz von Sauerstoff'', Chemieingenieurtechnik, Nr. 30, 1958, S.&nbsp;305–310, [[doi:10.1002/cite.330300506]].</ref><ref>Wilhelm Keim, Arno Behr, Günter Schmitt: <nowiki>''</nowiki>Grundlagen der Industriellen Chemie,<nowiki>''</nowiki> 1. Auflage, Otto Salle Verlag GmbH &Co., Frankfurt am Main, Verlag Sauerländer AG, Aarau 1986, ISBN 3-7935-5490-2. (Salle), ISBN 3-7941-2553-3. (Sauerländer), S.&nbsp;313–314.</ref>

:<math>\mathrm{CH_4\ +\ NH_3\ \longrightarrow\ HCN\ +\ 3\ H_2}</math>

* Bei der [[Formamid]]-Spaltung in Cyanwasserstoff und Wasser werden [[Katalysator]]en verwendet, die die erwünschte [[Chemische Reaktion|Reaktion]] beschleunigen, während die thermische Spaltung, die zu unerwünschten Produkten führt, verdrängt wird. Hierfür sind geheizte Metalloberflächen – aus [[Messing]] oder [[Eisen]] – geeignet, die mit einer Metalloxidschicht, etwa aus [[Zinkoxid|Zink-]], [[Aluminiumoxid|Aluminium-]], [[Magnesiumoxid|Magnesium-]], [[Chromoxid|Chrom-]] oder [[Zinnoxid]]en, überzogen sind, oder auch [[Sintern|gesinterte]] Formkörper aus [[Aluminiumoxid]] und [[Siliciumdioxid]] oder solche aus [[Edelstahl|Chrom-Nickel-Edelstahl]].<ref>{{Patent| Land=WO| V-Nr=2004050587| Code=A2| Typ=Patentanmeldung| Titel=Blausäure aus Formamid| A-Datum=2003-12-03| V-Datum=2004-06-17| Anmelder=BASF AG| Erfinder=Peter Bassler et al}}</ref><ref>{{Patent| Land=EP| V-Nr=1791787| Code=B1| Titel=Verfahren zur Herstellung von Blausäure| A-Datum=2005-09-02| V-Datum=2010-03-03| Anmelder=BASF SE| Erfinder=Andreas Deckers et al}}</ref>
* Als [[Nebenprodukt]] bei der [[Herstellung]] von [[Acrylnitril]] durch Ammoxidation von [[Propen|Propylen]] ([[Sohio-Verfahren]]). Die Menge an anfallender Blausäure kann dabei durch Zugabe von [[Methanol]] erhöht werden.
* ''Fluhomic''- oder ''Shawinigan''-Verfahren, bei dem [[Kohlenwasserstoffe]] und [[Ammoniak]] in einem [[Lichtbogen]] umgesetzt werden. Dieses Verfahren ist nur von untergeordneter Bedeutung und wird dort ausgeübt, wo [[elektrischer Strom]] preiswert ist.
* Von historischer Bedeutung ist außerdem die [[Thermolyse]] von [[Kaliumhexacyanidoferrat(III)|Kaliumhexacyanoferrat (III)]] ([[Emil Erlenmeyer|Erlenmeyer]]-Verfahren).

=== Im Labor ===
Werden im Labor geringe Mengen Cyanwasserstoff benötigt und steht keine entsprechende Gasdruckflasche zur Verfügung, so kann er leicht aus seinen [[Salze]]n durch Zugabe einer stärkeren [[Säuren|Säure]] gewonnen werden:

:<chem>2 NaCN + H2SO4 -> Na2SO4 + 2 HCN</chem>

oder

:<chem>K4[Fe(CN)6] + 3 H2SO4 -> 2 K2SO4 + FeSO4 + 6 HCN</chem>

Auf Grund dieser leichten Freisetzung von Cyanwasserstoff ist beim Arbeiten mit seinen [[Salze]]n im Labor immer darauf zu achten, dass der [[pH-Wert]] der [[Lösung (Chemie)|Lösung]] nicht sauer wird, da ansonsten eine (unbeabsichtigte) Freisetzung erfolgt.

=== Abfall- und Nebenprodukt ===
Blausäure wird bei fehlerhafter Handhabung von Prozessschritten in der [[Galvanik]] frei.

Beim [[Verbrennung (Chemie)|Verbrennen]] stickstoffhaltiger [[Polymer]]e ([[Kunststoff]]e) kann in erheblichem Umfang Blausäure entstehen.

Beim Rauchen von [[Tabak]] und bei der Verbrennung von [[Esbit]] werden geringe Mengen Blausäure freigesetzt.

== Handhabung ==
=== Genetisch bedingte Wahrnehmungseinschränkung ===
Mehr als ein Viertel der Bevölkerung kann den Geruch von Blausäure nicht wahrnehmen, häufig wird die Wahrnehmung durch Lähmung der Geruchsnervenzellen verhindert.<ref name="cia">[http://www.chemie-im-alltag.de/articles/0090/ ''Tödlicher Giftanschlag auf BASF Mitarbeiter''], Chemie im Alltag, 2006.</ref><ref name="lubw">Schadstoff-Glossar: [http://home.prtr.de/index.php?pos=glossar/schadstoffe/&item=Cyanwasserstoff_HCN_85 ''Cyanwasserstoff''] beim [[Umweltbundesamt (Deutschland)|Umweltbundesamt]] [[Baden-Württemberg]].</ref><ref>{{OMIM|304300|Name=Cyanide, inability to smell}}</ref> Es müssen daher besondere Sicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit Blausäure getroffen werden. Das [[Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit|Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit]] berücksichtigt dies bei ''Eignungsuntersuchungen von Befähigungsscheinbewerbern für Begasungen bzw. Schädlingsbekämpfung''.<ref>Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit:  {{Webarchiv |url=http://www.lgl.bayern.de/arbeitsschutz/arbeitsmedizin/arbeitsmedizinische_untersuchungen/befaehigung_schaedlingsbekaempfung.htm |wayback=20160304134817 |text=''Eignungsuntersuchungen von Befähigungsscheinbewerbern für Begasungen bzw. Schädlingsbekämpfung''}}.</ref>

=== Lagerung ===
Wasserfreie Blausäure muss gekühlt gelagert werden, und Gefäße mit Blausäure dürfen nur in stark gekühltem Zustand vorsichtig geöffnet werden. Anderenfalls stehen diese wegen des niedrigen Siedepunkts unter starkem Druck, wobei beim unvorsichtigen Öffnen schlagartig erhebliche Mengen davon gasförmig entweichen und schlimmstenfalls flüssige Substanz verspritzen kann.
Reinste, wasserfreie Blausäure ist einige Monate beständig. Allerdings darf sie nicht bedenkenlos gelagert werden, da Blausäure nach einer gewissen Zeit explosionsartig polymerisieren kann (Bildung der sogenannten Azulminsäure, ein brauner flockenartiger Feststoff). Die Polymerisierung kann durch Spuren von Alkalien (auch die Glasoberfläche ist hier von Bedeutung) oder Schwermetalloxiden – insbesondere in Kombination mit geringen Mengen Wasser – beschleunigt und durch Zusatz geringer Mengen Mineralsäuren oder Oxalsäure verzögert werden. Eine beginnende Gelb- oder später Braunfärbung ist ein Hinweis darauf, dass mit dieser spontanen Zersetzung bald zu rechnen ist.<ref>Th. Völker: ''Polymere Blausäure.'' In: ''Angewandte Chemie.'' Band 72, 1960, S.&nbsp;379–384, [[doi:10.1002/ange.19600721104]].</ref>

Wässrige Lösungen der Blausäure sind nur eine sehr begrenzte Zeit haltbar, da langsame Hydrolyse unter Bildung von Ameisensäure und Ammoniak eintritt:<ref name="Jander" />
:<chem> HCN + 3 H2O -> HCOOH + NH4OH</chem>

=== Transport ===
Um den Transport dieses [[Gefahrstoff]]es zu vermeiden, wird Blausäure in der Regel sofort am Herstellungsort weiterverarbeitet.

== Verwendung ==
Gemäß [[EINECS]], dem europäischen Verzeichnis der vor Inkrafttreten der REACH-Verordnung vorhandenen chemischen Stoffe, gehört Cyanwasserstoff zur Liste der [[Altstoff]]e und hat die Nummer 200-821-6. Das englische Synonym ''prussic acid'' ist ein Hinweis auf die historische Verwendung.

=== Hinrichtungen/Morde ===
* Die tödliche Wirkung der Blausäure wurde in den [[Zeit des Nationalsozialismus|NS]]-[[Vernichtungslager]]n [[KZ Majdanek|Majdanek]], [[KZ Mauthausen|Mauthausen]] und [[KZ Auschwitz-Birkenau|Auschwitz-Birkenau]] benutzt, um Menschen in großer Zahl zu ermorden. Die Blausäurekonzentrationen waren je nach Entfernung zur Einwurfstelle unterschiedlich, lagen jedoch immer über 300&nbsp;ppm. (Vergleiche ''[[Zyklon B|Zyklon&nbsp;B]]'', ''[[Gaskammer (Massenmord)|Gaskammer]]'', ''[[Holocaust]]'').
* Einige NS-Politiker sowie führende Angehörige der [[Wehrmacht]] entzogen sich gerichtlicher Aufarbeitung ihres Handelns durch [[Suizid]] mit einer Blausäurekapsel.
* Zur Vollstreckung der [[Todesstrafe in den Vereinigten Staaten]] wurde bis 1999 Blausäuregas in der [[Gaskammer (Todesstrafe)|Gaskammer]] eingesetzt; heute ist diese Hinrichtungsmethode dort nur noch zulässig, wenn die [[Giftspritze]] aus anderen Gründen nicht eingesetzt werden kann.
* Bei Attentaten mittels einer Blausäure-Sprühpistole wurden 1957 [[Lew Rebet]] und 1959 [[Stepan Bandera]] durch einen Agenten des [[KGB]] ermordet.

=== Als Biozid ===
{{Hauptartikel|Zyklon B}}
Blausäure wird zur Bekämpfung von Ungeziefer eingesetzt. Hierzu wird ein Trägermaterial, z.&nbsp;B. Kieselgur, mit Blausäure getränkt, und es werden Riechstoffe zur Warnung hinzugefügt.

=== Kampfmittel ===
Als Giftgas wurde Blausäure erstmals durch die französische Armee am 1. Juli 1916 eingesetzt.<ref name="19350615NWT">{{ANNO|nwt|15|06|1935|11|Giftwolken. Giftgase im Weltkrieg und heute|AUTOR=Otto Jekel}}</ref> Aufgrund seiner hohen Flüchtigkeit blieb der Einsatz aber wirkungslos.<ref name="Markus Schnedlitz">{{Literatur |Autor=Markus Schnedlitz |Titel=Chemische Kampfstoffe: Geschichte, Eigenschaften, Wirkung |Verlag=GRIN Verlag |Datum=2008 |ISBN=3-640-23360-3 |Seiten=13 |Online={{Google Buch | BuchID = aXnvpiTmb2sC | Seite = 13 }}}}</ref> Nach anderen Angaben blieb die erhoffte Wirkung aus, weil der Plan den Deutschen durch Verrat bereits bekannt geworden war und der Gasmaskeneinsatz rechtzeitig verbessert werden konnte.<ref name="19350615NWT" /> 1918 wurde Blausäure auch von den USA und Italien eingesetzt.

=== Industrielle Verwendung ===
Blausäure wird in vielen Prozessen in der Industrie und im Bergbau eingesetzt, beispielsweise für die Herstellung von [[Chlorcyan]], [[Cyanurchlorid]], [[Aminosäuren]] (besonders [[Methionin]]), [[Natriumcyanid]] und vieler weiterer Derivate sowie zum Auslaugen von [[Gold]]:

:<math>\mathrm{4 \ Au + 8 \ HCN + O_2 + 4 \ OH^- \longrightarrow 4 \ [Au(CN)_2]^- + 6 \ H_2O}</math>

Die Gold-Lösung wird dann mit Zink reduziert. Der Cyanido-Komplex kann auch durch zugesetzte Kokosnussschalen-[[Aktivkohle]] absorptiv gebunden werden. Aus der so mit dem Cyanidokomplex beladenen Aktivkohle kann das Gold nach dem Verbrennen des organischen Anteils als „Asche“ gewonnen werden. In moderneren Anlagen wird der Cyanido-Komplex aus der abgetrennten beladenen Aktivkohle durch Eluieren mit heißer [[Natriumcyanid]]-Lösung in konzentrierter Form gewonnen (wegen der besseren Handhabung wird hierbei nicht flüssige Blausäure, sondern eine Natriumcyanid-Lösung eingesetzt). Dieses Verfahren führt, wie auch das alternativ nur noch sehr selten eingesetzte [[Goldgewinnung#Amalgamverfahren|Quecksilber-Amalgamverfahren]], zu den teilweise katastrophalen Gewässervergiftungen in den Goldfördergebieten der [[Dritte Welt|Dritten Welt]].

Blausäure wird in großen Mengen zur Herstellung von [[Adiponitril]] und [[Acetoncyanhydrin]], beides Zwischenprodukte der [[Kunststoff]]produktion, verwendet. Bei der Adiponitrilherstellung wird Blausäure mittels eines Nickel-Katalysators an [[1,3-Butadien]] addiert ([[Hydrocyanierung]]). Zur Acetoncyanhydrinherstellung wird Blausäure katalytisch an Aceton addiert. Aus Blausäure werden im industriellen Maßstab in mehrstufigen Verfahren auch die α-[[Aminosäure]] <small>DL</small>-[[Methionin]] (Verwendung in der [[Futtermittel]]-[[Supplementierung]]) und der Heterocyclus [[Cyanurchlorid]] hergestellt. Aus Cyanurchlorid werden [[Pflanzenschutzmittel]] und andere Derivate synthetisiert.

== Weblinks ==
{{Wiktionary|Blausäure}}
{{Commonscat|Hydrogen cyanide|Cyanwasserstoff}}
* {{Flexikon |Name=Zyankali-Intoxikation }}
* {{Inchem |Typ=cicads |ID=cicad61 |Name=Hydrogen Cyanide and Cyanides}}
* [http://www.frot.co.nz/sift/cyanide.htm Cyanogenic Glycosides and Cyanide Toxicity], frot.co.nz
* [https://archive.today/20130106004332/http://www.ifp.tu-bs.de/MS4/bpsp/blaus.htm Blausäure in Nahrungspflanzen – Eine Gefahr für Lebensmittel? Blausäure in Nahrungspflanzen – Eine Gefahr für Lebensmittel?], ifp.tu-bs.de

== Einzelnachweise ==
<references responsive />

{{Normdaten|TYP=s|GND=4127486-6}}

[[Kategorie:Stickstoffverbindung]]
[[Kategorie:Kohlenstoffverbindung]]
[[Kategorie:Wasserstoffverbindung]]
[[Kategorie:Chemische Waffe]]
[[Kategorie:Begasungsmittel]]