Quelltext der Seite Metrische Notation

Eine '''metrische Notation''' (bzw. die dafür verwendeten '''metrischen Zeichen''') dient in der Verslehre der Darstellung [[Metrisches Schema|metrischer Schemata]]. Diese Schemata geben die Regelmäßigkeiten [[Gebundene Rede|gebundener Sprache]] wieder. Je nachdem, woran sich solche Regelmäßigkeit festmacht, gibt es unterschiedliche [[Versprinzip]]ien und dementsprechend auch unterschiedliche Formen metrischer Notation:

* Dem [[Quantitierendes Versprinzip|quantitierenden Versprinzip]] der antiken, altgriechischen und lateinischen Metrik entspricht eine traditionelle, sehr verbreitete Notation, die hauptsächlich [[lange Silbe|Länge]] und [[kurze Silbe|Kürze]] von [[Silbe]]n wiedergibt. Sie wird auch heute zur Darstellung metrischer Schemata in modernen Literaturen verwendet, wobei das Symbol für Länge ({{Vers|/}}) der [[Hebung (Verslehre)|Hebung]] und das für Kürze ({{Vers|-}}) der [[Senkung (Verslehre)|Senkung]] entspricht. Beispiel: {{Vers|/--}} stellt den [[Versfuß]] [[Daktylus]] dar.

* Ebenfalls im Bereich der antiken Metrik ist eine vereinfachende Formelnotation üblich, die Abkürzungen für die gebräuchlichen Versfüße verwendet und [[Versmaß]]e und [[Strophenform]]en durch diese Abkürzung in Kombination mit der Anzahl der Versfüße wiedergibt. Beispiel: „da“ ist Abkürzung für den Daktylus, „da<sup>6</sup>“ bezeichnet daher den aus sechs Daktylen bestehenden [[Hexameter]].

* Für das [[Akzentuierendes Versprinzip|akzentuierende Versprinzip]] vor allem der älteren deutschen Dichtung ist eine von [[Andreas Heusler (Altgermanist)|Andreas Heusler]] entwickelte Notation verbreitet, die sich stark an musikalischen Begrifflichkeiten orientiert und dementsprechend die Verse nicht nach Versfüßen, sondern nach Takten gliedert.

* Dem [[Silbenzählendes Versprinzip|silbenzählenden Versprinzip]] entsprechen Notationsformen, die eine Strophenform durch die Silbenzahl der Verse und das Reimschema wiedergibt. Zur Darstellung von Reimschemata ist noch eine Notationsform verbreitet, die für reimende Verse in Strophen- oder Gedichtform gleiche Kleinbuchstaben verwendet. Beispiel: ''aabb'' wäre die Notation für einen [[paarreim]]enden Vierzeiler.

== Antike Notation ==

=== Entwicklung ===
Die Anfänge metrischer Notation sind von der Entwicklung der Lesehilfen und der Interpunktion kaum zu trennen. Frühe Belege für metrische Markierung finden sich bereits in einer Inschrift auf dem sogenannten [[Nestorbecher]] von Ischia aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. Als Erfinder sowohl der Interpunktion als auch der metrischen Notation gilt jedoch [[Aristophanes von Byzanz]], bedeutender Philologe und Vorsteher der [[Bibliothek von Alexandria]] im 2. Jahrhundert v. Chr. Aristophanes war sicher nicht der erste, der solche Zeichen verwendet hat, da solche schon vorher erwähnt werden, er ist aber der erste, dessen Namen mit der Verwendung von Betonungszeichen verbunden wird. Auf ihn gehen die Betonungszeichen [[Akut]] (&#x00B4;) und [[Gravis (Typografie)|Gravis]] (&#x0060;) zurück, mit denen in der Metrik heute noch Haupt- bzw. Nebenakzent markiert wird.
Die Herkunft weiterer bereits in antiken Texten belegter metrischer Zeichen ist nicht bekannt. Zu diesen gehören insbesondere das eine Länge markierende diakritische Zeichen [[Makron]] (&#x00AF;) und das die Kürze markierende [[Breve (Zeichen)|Breve]] (&#x02D8;). Auf diese gehen die heute in den Schemata verwendeten Symbole {{Vers|/}} und {{Vers|-}} zurück.
Solche Lesehilfen erscheinen im Wesentlichen erst in den Papyri der Kaiserzeit, im 1. Jahrhundert v. Chr. sind vereinzelt [[Prosodie|prosodische]] Hilfen bezeugt.

Auf Aristophanes geht auch die zeilenweise Darstellung von Versen in lyrischen Texte zurück, zuvor waren diese wie Prosa fortlaufend geschrieben worden. Weiter trennte er Abschnitte durch einen [[Paragraphos]] (kurzen Strich zwischen den Zeilen), das Ende der letzten Strophe wurde mit einem [[Koronis (Typographie)|Koronis]] (&#x2E0E;; einer Art verziertem Paragraphos) markiert und sofern ein Gedicht in einem anderen Metrum folgte, wurde ein [[Asteriskos]] (&#x205C;) verwendet.

=== Zeichen ===
Die auf die antiken Notationsformen zurückgehenden heute zur Darstellung metrischer Schemata verwendeten Zeichen sind:

{| class="wikitable"
! style="width:5em;" | Zeichen
! Name
! Bedeutung
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|/}}
| Länge / ''[[elementum longum]]''
| in der Regel eine lange Silbe, kann aber auch in zwei kurze Silben aufgelöst werden
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|-}}
| Kürze / ''[[elementum breve]]''
| wird stets durch eine kurze Silbe realisiert
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|%}}
| Ambivalenz / ''[[elementum anceps]]''
| lange oder kurze einzelne Silbe oder zwei kurze Silben 
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\i}} oder {{Vers|\I}}
| rowspan="3" | Indifferenz / ''[[elementum indifferens]]''
| lange oder kurze einzelne Silbe 
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\k}}
| in der Regel kurze Silbe, kann auch lang sein
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\l}}
| in der Regel lange Silbe, kann auch kurz sein
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|$}}
| rowspan="2" | ''[[elementum biceps]]''
| in der Regel zwei kurze Silben, kann auch durch eine lange Silbe realisiert werden
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|§}}
| in der Regel lange Silbe, kann auch durch zwei kurze Silben realisiert werden
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|-\o}}
|
| zwei oder eine kurze Silbe in modernen Nachbildungen antiker Metrik
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\a\a}}
| [[äolische Basis]]
| zwei Silben, von denen eine kurz sein kann
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\k\l}}
| rowspan="2" | [[Anaklasis (Verslehre)|Anaklase]]
| Vertauschung von Kürze und Länge (z. B. an Stelle eines [[Jambus]])
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\l\k}}
| Vertauschung von Länge und Kürze (z. B. an Stelle eines [[Trochäus]])
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|^}}
| [[Akephalie]] am Versanfang <br/>[[Katalexe]] am Versende 
| fehlendes Element
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\f}}
|
| Separierung von Versfüßen bzw. Metren, alternativ kann auch [[Punkt (Satzzeichen)|Punkt]], [[Komma]] oder {{Vers|!}} verwendet werden
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|!}} oder {{Vers|!!}}
| [[Zäsur]] bzw. [[Dihärese]]
| durch Wortende entstehender Einschnitt im Versfußinneren bzw. am Verfußende
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\w}}
|
| häufiges Wortende
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\B}}
| [[Brücke (Verslehre)|Brücke]]
| verbotenes Wortende
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\v}} oder {{Vers|!!}}
| Versende
| Separierung von Versen im [[Fließtext]], sonst meist durch [[Zeilenfall|Zeilenwechsel]] wiedergegeben
|-
| style="text-align:center" | {{Vers|\s}} oder <span style="font-size:large;">&#x2980;</span>
| Strophenende
| Separierung von Strophen im Fließtext, sonst meist durch neuen Absatz wiedergegeben
|}

Vor allem bei den seltener verwendeten Symbolen ist die Notation oft nicht einheitlich. So wird zum Beispiel die [[äolische Basis]] statt mit {{Vers|\a\a}} auch mit {{Vers|%%}} notiert und umgekehrt Anaklase mit {{Vers|\a\a}} notiert.<ref>Siehe z. B. C. M. J. Sicking: ''Griechische Verslehre.''München 1993, S. 3f.</ref> 

Manchmal wird bei der Notation auch differenziert zwischen den im [[Versschema]] verwendeten Symbolen und den für die Wiedergabe der aktuellen metrischen Gestalt verwendeten Symbolen. Da aber für die Wiedergabe der Längen und Kürzen in einem Vers grundsätzlich {{Vers|/}} und {{Vers|-}} ausreichend sind und die Unterscheidung sich normalerweise aus dem Kontext ergibt, wird in obiger Tabelle nicht zwischen Gebrauch bei Versschema und Versgestalt unterschieden.

=== Formelnotation ===
Zur vereinfachten Darstellung von Versmaßen hat sich eine Formelnotation eingebürgert, die aus einer Abkürzung des jeweiligen Versfußes in Kombination mit deren ([[Hochstellung|hochgestellter]]) Anzahl besteht. Der aus sechs [[Jambus|Jamben]] bestehende [[Jambischer Senar|jambische Senar]] wird dann als {{Versmaß|ja|6}} oder als {{Versmaß|6ja}} notiert. Außerdem gibt es auch Abkürzungen für Versmaße bzw. Verstypen, bei denen die angegebene Zahl sich auf die Anzahl der Silben bezieht, so ist {{Versmaß|alc|9}} der [[Alkäischer Vers|alkäische]] [[Enneasyllabus]].

Die Formelnotation kann auch zur Beschreibung von Strophenformen verwendet werden. So beschreibt
: {{Versmaß|alc|11}} / {{Versmaß|alc|11}} / {{Versmaß|alc|9}} / {{Versmaß|alc|10}}
das Schema der [[Alkäische Strophe|alkäischen Strophe]], 
: {{Versmaß|da|6}} / {{Versmaß|da|5}} 
das [[Elegisches Distichon]] und 
: {{Versmaß|ja|5}} / {{Versmaß|ja|5}} / {{Versmaß|ja|5}} / {{Versmaß|ja|5}} 
oder abgekürzt
: {{Versmaß|ja|5|4}} 
den Vierzeiler aus [[Jambischer Fünfheber|jambischen Fünfhebern]].

Folgende Abkürzungen werden verwendet:
{| class="wikitable"
! Abkürzung
! Versfuß bzw. Versmaß
|-
| <samp>ad</samp> || [[Adoneus]]
|-
| <samp>alc</samp> || [[Alkäischer Vers]] 
|-
| <samp>an</samp> || [[Anapäst]]
|-
| <samp>ar</samp> || [[Archilochius minor]] ({{Versmaß|ar|mi}}) bzw. [[Archilochius maior]] ({{Versmaß|ar|ma}})
|-
| <samp>as</samp> || [[Asclepiadeus minor]] ({{Versmaß|as|mi}}) bzw. [[Asclepiadeus maior]] ({{Versmaß|as|ma}})
|-
| <samp>ba</samp> || [[Baccheus]]
|-
| <samp>cho</samp> || [[Chorjambus]]
|-
| <samp>cr</samp> || [[Kreticus|Creticus]]
|-
| <samp>da</samp> || [[Daktylus]]
|-
| <samp>diph</samp> || [[Diphilius]] <!--Boldoni S. 144-->
|-
| <samp>dis</samp> || [[Distichon]]
|-
| <samp>el</samp> || [[Elegiambus]] <!--Boldoni S. 157-->
|-
| <samp>ga</samp> || [[Galljambus]] <!--Boldoni S. 137-->
|-
| <samp>gl</samp> || [[Glykoneus]]
|-
| <samp>hem</samp> || [[Hemiepes]]
|-
| <samp>ia</samp> || [[Jambus]]
|-
| <samp>io</samp> || [[Ionicus]]
|-
| <samp>ith</samp> || [[Ithyphallicus]]
|-
| <samp>phal</samp> || [[Phaläkeus]] (elfsiliger äolischer Vers)
|-
| <samp>pher</samp> || [[Pherekrateus]]
|-
| <samp>pr</samp> || [[Priapeus]] 
|-
| <samp>r</samp> || [[Reizianischer Vers]] {{Versmaß|r|v}} bzw. [[Reizianisches Kolon]] {{Versmaß|r|c}} 
|-
| <samp>sa</samp> || [[Saturnier]]
|-
| <samp>sapph</samp> || [[Sapphicus]] <!--Boldoni S. 148f.-->
|-
| <samp>tr</samp> || [[Trochäus]]
|-
| <samp>wil</samp> || [[Wilamowitzianus]] <!--Boldoni S. 145-->
|-
| <samp>x</samp> || Einzelsilbe
|}

Die Anzahl der Versfüße kann durch weitere Kürzel für spezielle metrische Formen ergänzt oder auch ersetzt werden. So bezeichnet etwa {{Versmaß|ja|4c}} einen [[Katalexe|katalektischen]] jambischen [[Quaternar]].

{| class="wikitable"
! Kürzel
! Bedeutung
|-
| <samp>c</samp> oder <samp>^</samp> || [[katalektisch]]
|-
| <samp>d</samp> || [[Dimeter]]
|-
| <samp>mi</samp> || a minore
|-
| <samp>ma</samp> || a maiore
|-
| <samp>q</samp> || [[Tetrameter]]
|-
| <samp>t</samp> || [[Trimeter]]
|}

Bei Versmaßen, die unterschiedliche Formen aufweisen, kann die entsprechende Zahl nachgestellt werden. So würde zum Beispiel der 2. [[Glykoneus]] mit {{Versmaß|gl2}} notiert werden. Ein Voranstellen bzw. Hochstellen der Zahl kann zu Verwirrung führen, da auf diese Art auch die Anzahl der Wiederholungen einer metrischen Form notiert wird. 

Bei den [[Füllungsfreiheit|füllungsfreien]] Versformen der älteren deutschen Sprachstufen, etwa des [[Mittelhochdeutsch]]en wird häufig nur Zahl der Hebungen und die [[Kadenz (Verslehre)|Kadenz]] notiert, eventuell in Verbindung mit dem Reimschema. Als Beispiel das Strophenschema des [[Bernerton]]s:
:<samp>4ma 4ma 3wb 4mc 4mc 3wb 4md 3we 4md 3we 4mf 3wx 3mf</samp>
Das heißt, der erste Vers ist ein [[Vierheber]] mit [[Männliche Kadenz|männlicher Kadenz]] (<samp>4m</samp>), der dritte Vers ist ein [[Dreiheber]] mit [[Weibliche Kadenz|weiblicher Kadenz]] (<samp>3w</samp>) und das Reimschema (der jeweils dritte Buchstabe) ist <samp>aab ccb dede fxf</samp>.
Die Kadenz wird dabei mit <samp>m</samp> (männlich), <samp>w</samp> (weiblich) oder <samp>r</samp> (reich) notiert.

== Akzentnotation ==
Im Deutschen und anderen modernen Sprachen gilt in der Metrik das [[Akzentuierendes Versprinzip|akzentuierende Versprinzip]], das heißt statt Länge und Kürze wie in der [[Quantitierendes Versprinzip|quantitierenden]] Metrik der Griechen und Römer ist der Wechsel von betonten und unbetonten Silben ausschlaggebend.
Viele in quantitierender Metrik mögliche Versfüße treten daher praktisch nicht auf. Beispielsweise können zwar durchaus zwei an sich betonte Silben nebeneinander stehen, doch 
* entweder ergibt sich aus dem Rhythmus des Verses, dass die eine gegenüber der anderen betont wird 
* oder zwischen beiden Silben entsteht ein deutlicher Einschnitt, der im Versmaß als Dihärese oder Versgrenze abzubilden ist.
Umgekehrt treten Folge von mehr als zwei unbetonten Silben kaum auf, da in einer längeren Folge schwacher Silben eine Nebenakzent erhält.

Demnach könnte man die Darstellung metrischer Schemata im Deutschen und ähnlichen Sprachen stark vereinfachen und lediglich betont und unbetont unterscheiden bzw. Akzent und evtl. Nebenakzent markieren.
Im 19. Jahrhundert übernahm man daher zunächst die antike Notation und verwendete das Längenzeichen {{Vers|/}} für betonte und das Kürzezeichen {{Vers|-}} für unbetonte Silben, was heute noch so praktiziert wird. 

Alternativ hat man die antike Praxis übernommen, lange Vokale bzw. [[Akzent (Linguistik)|Iktus]] im Text durch [[Apex (Schriftzeichen)|Apex]] zu markieren, und markiert betonte Silben durch einen [[Akut]]-Akzent über dem Silbenvokal:
{{Vers|:Es schlu'g mein He'rz. Geschwi'nd, zu Pfe'rde\! 
:Und fo'rt, wild wi'e ein He'ld zur Schla'cht.}}<ref>[[Johann Wolfgang Goethe]]: ''Willkommen und Abschied.'' v. 1f.</ref>

Abstrahierend wurde dann von [[Friedrich Kauffmann (Philologe)|Friedrich Kauffmann]]<ref>Friedrich Kauffmann: ''Deutsche Metrik nach ihrer geschichtlichen Entwicklung.'' 3. Aufl. Elwert, Marbach 1912.</ref>, [[Wolfgang Kayser]]<ref>Wolfgang Kayser: ''Kleine deutsche Versschule.'' Francke, Bern 1946, mit zahlreichen Folgeauflagen.</ref> und Anderen jede Silbe durch ein "x" dargestellt, wobei der Hauptakzent durch Akut und der Nebenakzent durch [[Gravis (Typographie)|Gravis]] markiert wird. Im Beispiel ergäbe das: 
:{{Vers|x x' x x' x x' x x' x \v x x' x x' x x' x x'}}. 
Noch einfacher hat dann [[Ulrich Pretzel]] Hebung durch "X" und Senkung durch "x" dargestellt. Im Beispiel: 
:{{Vers|x X x X x X x X x \v x X x X x X x X}}. 

{{Anker|Heuslersche Notation}}
=== Heuslersche Notation ===
{{Hauptartikel|Heuslersche Notation}}
Oberflächlich ähnlich, aber mit einem ganz anderen zugrundeliegenden Ansatz ist die von [[Andreas Heusler (Altgermanist)|Andreas Heusler]] in seiner monumentalen, dreibändigen ''Deutschen Versgeschichte'' verwendete Notation, die vor allem im Bereich der [[Germanistische Mediävistik|germanistischen Mediävistik]] und da vor allem bei Untersuchungen zur [[Mittelhochdeutsche Metrik|mittelhochdeutschen Metrik]] heute noch vielfach verwendet wird. 

Heusler gliedert dabei entsprechend der von ihm entwickelten [[Taktmetrik]] den Vers nicht wie bis dahin üblich nach Versfüßen, sondern — ähnlich wie beim [[Takt (Musik)|Takt]] in der Musik — nach Takt gleicher Gesamtlänge, die stets mit einer Hebung beginnen. Den taktfüllenden Silben werden unterschiedliche Längen mit entsprechenden [[Notenwert]]en zugewiesen, wobei eine normale Silbe die Länge einer [[Mora (Einheit)|Mora]] hat, was einer Viertelnote entspricht und durch {{Vers|x}} dargestellt wird. Der Hauptakzent wird durch Akut ({{Vers|x'}}) und der Nebenakzent durch Gravis ({{Vers|x~}}) markiert. Da ein Takt stets mit einer Hebung beginnt, bilden Senkungen am Anfang des Verses einen als [[Versauftakt]] bezeichneten Versteil, die letzten beiden Takte bilden die [[Kadenz (Verslehre)|Kadenz]] und der Rest des Verses das [[Versinneres|Versinnere]].

Die Heuslersche Notation verwendet die folgenden Zeichen:
{| class="wikitable"
! Zeichen
! Notenwert
! [[Mora (Einheit)|Moren]]
! Bedeutung
|-
| {{Vers|\F}}
| 1
| 4
| Vier Viertel
|-
| {{Vers|\G}}
| 3/4
| 3
| Drei Viertel
|-
| {{Vers|\H}}
| 1/2
| 2
| Zwei Viertel
|-
| {{Vers|x.}}
| 3/8
| 3/2
| Dreiachtel
|-
| {{Vers|x}}
| 1/4
| 1
| Viertel
|-
| {{Vers|+}}
| 1/8
| 1/2
| Achtel
|-
| {{Vers|*}}
| 1/16
| 1/4
| Sechzehntel
|-
| {{Vers|\a}}
| 
| 
| unbestimmte Silbe
|-
| {{Vers|^}}
| 1/4
| 1
| pausiertes Viertel
|-
| {{Vers|!}}
| 
| 
| Taktgrenze
|-
| {{Vers|!!}}
| 
| 
| Versende
|-
| {{Vers|.!}}
| 
| 
| einsilbiger Auftakt
|-
| {{Vers|..!}}
| 
| 
| zweisilbiger Auftakt
|-
| {{Vers|x'}}
| 
|
| Viertelsilbe mit Hauptakzent
|-
| {{Vers|x~}}
| 
| 
| Viertelsilbe mit Nebenakzent
<!-- KOPIERVORLAGE
|-
| {{Vers|}}
| 
| 
|
--> 
|}

Der bekannte erste Vers von Goethes ''[[Faust I|Faust]]''<ref>Goethe ''Faust. Eine Tragödie. Zueignung.'' v. 1, [http://www.zeno.org/nid/20004852729 online]</ref> 
:{{Vers|Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten […]}}
würde im bewegten Zweivierteltakt nach Heusler wie folgt notiert werden:
:{{Vers|x ! x' x ! x' x ! x' x ! x~ x ! x' x !! }}

== Silbenzählende Versschemata ==
Beim [[Silbenzählendes Versprinzip|silbenzählenden Versprinzip]] ist der Vers bestimmt durch:
* die Zahl der Silben
* betonte Silbenpositionen im Vers, wobei {{Vers|x'}} eine (obligatorisch) betonte und {{Vers|x}} eine unbetonte oder freie Silbe markiert
* Position einer (obligatorischen) [[Zäsur]]
* männliche bzw. weibliche [[Kadenz (Verslehre)|Kadenz]]
* Form der Verschränkung der Verse im [[Reim]]

Falls [[Alternation (Verslehre)|Alternation]] gilt, das heißt regelmäßiger Wechsel von betonten und unbetonten Silben, sind zum Beispiel bei einem achtsilbigen Vers dann nur zwei rhythmische Realisierungen möglich, nämlich
:{{Vers|xx'xx'xx'xx'}} (steigend)
und
:{{Vers|x'xx'xx'xx'x}} (fallend).

Häufig gibt aber das Versmaß die Rhythmisierung nicht vollständig vor, beispielsweise legt der [[Endecasillabo a minore]] nur Betonungen auf der 4. und 10. von 11 Silben fest:
:{{Vers|xxxx'xxxxxx'x}}
Ein solches Versmaß lässt dann verschiedene Rhythmisierungen zu, wobei betonte und unbetonte Silben in der Rhythmisierung dann auch durch {{Vers|/}} und {{Vers|-}} notiert werden können. Im Fall des Endecassilabo wird eine Zäsur nach der ersten obligatorischen Betonung gefordert, man hat also beispielsweise als mögliche Rhythmisierungen:
* {{Vers|-/-/-!!/-/-/-}} (rein jambische)
* {{Vers|/--/--!!/--/-}} (daktylisch)
* {{Vers|/--/-!!/-/-/-}} (daktylisch-trochäisch)
* usw.
Durch den Wechsel der Rhythmisierung im Gedicht ergibt sich ein lebendiger, abwechslungsreicher Sprachrhythmus im Gegensatz zur Monotonie reiner Alternation.

== Reimschema ==

Das [[Reimschema]] wird durch Kleinbuchstaben <samp>a</samp>, <samp>b</samp>, <samp>c</samp> usw. wiedergegeben, wobei reimenden Versen gleiche Buchstaben entsprechen. Zum Beispiel wäre ein [[Kreuzreim|kreuzreimender]] [[Vierzeiler]] durch {{Reim|abab}} wiederzugeben oder ein bekanntes Reimschema des [[Sonett]]s durch {{Reim|abba  abba cdc dcd}}. [[Nichtreimender Vers|Nichtreimende Verse]] werden im Reimschema üblicherweise durch <samp>w</samp> (für „Waise“, eine andere Bezeichnung für einen nichtreimenden Vers) oder besser durch <samp>x</samp> wiedergegeben, da <samp>w</samp> mit der Bezeichnung der Kadenz verwechselt werden kann, die mit <samp>m</samp> für männliche und <samp>w</samp> für weibliche Kadenz notiert wird. 

Ein jambischer, kreuzgereimter Vierzeiler mit 8 bzw. 9 Silben je Vers lässt sich also vollständig notieren als:
:{{Vers|8ma \v 9wb \v 8ma \v 9wb}}
Wenn der jambische Rhythmus bekannt ist, genügt auch
:{{Vers|8a \v 9b \v 8a \v 9b}}
oder
:{{Vers|8a 9b 8a 9b}}.

Soll allein das Reimschema ohne Angabe von Silbenzahl und Kadenz wiedergegeben werden, so notiert man einfach {{Reim|abab}}.

== Typographie ==
Was die Darstellung der speziellen, in metrischer Notation verwendeter Symbole im Text betrifft, so sind vor allem die Symbole der antiken Notation in Standardschriftarten nicht enthalten. Man verwendet daher in einer typographisch vereinfachenden Schreibweise auch oft den [[Bindestrich]] „-“ zur Darstellung betonter und (aufgrund der optischen Ähnlichkeit mit&nbsp;{{Vers|-}}) den Buchstaben „v“ für unbetonte Silben.

Im [[Unicode]] sind im [[Unicodeblock Verschiedene technische Zeichen]] die folgenden Symbole der antiken metrischen Notation definiert:
{| class="wikitable"
! [[Codepoint]]
! HTML
! Zeichen
! Name
|-
| U+23D1 || &amp;#x23D1; || style="text-align:center" | ⏑ || METRICAL BREVE
|-
| U+23D2 || &amp;#x23D2; || style="text-align:center" | ⏒ || METRICAL LONG OVER SHORT
|-
| U+23D3 || &amp;#x23D3; || style="text-align:center" | ⏓ || METRICAL SHORT OVER LONG
|-
| U+23D4 || &amp;#x23D4; || style="text-align:center" | ⏔ || METRICAL LONG OVER TWO SHORTS
|-
| U+23D5 || &amp;#x23D5; || style="text-align:center" | ⏕ || METRICAL TWO SHORTS OVER LONG
|-
| U+23D6 || &amp;#x23D6; || style="text-align:center" | ⏖ || METRICAL TWO SHORTS JOINED
|}
Die Unterstützung der entsprechenden [[Glyphe]]n in den auf Computern üblicherweise installierten [[Font (Informationstechnik)|Schriftarten]] ist allerdings schlecht, daher werden, wenn keine geeignete Schriftart installiert ist, in obiger Liste in der Spalte „Zeichen“ statt der metrischen Symbole [[Ersetzungszeichen]] zu sehen sein.

Schriftarten, welche die metrischen Symbole von Unicodeblock 2300 unterstützen, sind:
* [[Cardo (Schriftart)|Cardo]]<ref>http://scholarsfonts.net/cardofnt.html</ref>
* [[Code2000]]
* EversonMono von [[Michael Everson]]<ref>{{Webarchiv|url=http://www.evertype.com/emono/ |wayback=20081218153019 |text=Archivierte Kopie |archiv-bot=2019-09-22 10:31:58 InternetArchiveBot }}</ref>

== Literatur ==
* [[Sandro Boldrini]]: ''Prosodie und Metrik der Römer.'' Teubner, Stuttgart & Leipzig 1999, ISBN 3-519-07443-5. 
* [[Ivo Braak]]: ''Poetik in Stichworten.'' 8. Aufl. Bornträger, Stuttgart 2001, ISBN 3-443-03109-9, S. 80–143.
* {{DNP|8|115||Übersichtstabelle zur griechischen und lateinischen Metrik|[[Jürgen Leonhardt]]}}
* {{DNP|8|130|132|Metrische Zeichen|[[Peter Kruschwitz]]}}
* Otto Paul, [[Ingeborg Glier]]: ''Deutsche Metrik.'' 9. Aufl. Hueber, München 1974, S. 18–22.
* Christian Wagenknecht: ''Deutsche Metrik. Eine historische Einführung.'' Beck, München 1981, ISBN 3-406-07947-4, S. 22–30.

== Weblinks ==
* [http://www.gottwein.de/metr/metr01.php#Dihaerese Einführung in die Grundlagen der römischen Metrik] auf gottwein.de

== Einzelnachweise ==
<references />

[[Kategorie:Verslehre]]