Quelltext der Seite Uiguren

[[Datei:Uyghurche.png|mini|Arabisch-uigurischer Schriftzug mit der Bedeutung „uigurisch“]]
'''Uiguren''' (auch ''Uighuren'' oder ''Uyghuren''; Eigenbezeichnung: {{ug|ئۇيغۇر&lrm;|Uyghur}}; {{zh|v=维吾尔族|p=Wéiwú'ěrzú|c=|t=維吾爾族}})<ref group="A" name="UygurVsUyghur">Für die englischsprachige Literatur ist zu beachten, dass die Schreibweise des Ethnonyms für die Uiguren in offiziellen chinesischen Texten „Uygur“ lautet, während die uigurische Diaspora die Schreibweise „Uyghur“ verwendet. Als neutralere Schreibweise wurde auch „Uighur“ vorgeschlagen. (Quelle: {{Literatur |Autor=Colin Mackerras |Titel=Xinjiang in China’s Foreign Relations: Part of a New Silk Road or Central Asian Zone of Conflict? |Sammelwerk=East Asia |Band=32 |Nummer=1 |Datum=2015 |Seiten=25–42 |DOI=10.1007/s12140-015-9224-8}})</ref> sind eine [[Turksprachen|turksprachige]] [[Ethnie]], die ihren Siedlungsschwerpunkt im Gebiet des ehemaligen [[Turkestan]]s hat, insbesondere im heutigen [[Volksrepublik China|chinesischen]] [[Xinjiang|Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang]].

Die Uiguren gehören nahezu alle der [[Glaubensgemeinschaft]] des [[Islam]] an. Überwiegend handelt es sich bei ihnen um Oasenbauern, Kleinhändler und Handwerker. Sie führen Traditionen fort, die ihre Ursprünge im [[Turko-persische Kultur|turko-persischen]] [[Zentralasien]] haben. Im 20. Jahrhundert wurden sie stark vom [[Sowjetunion|sowjetischen]] Zentralasien beeinflusst und passten sich den wechselnden äußeren Regimen über ihr Land an, die von nur kurzzeitig erfolgreichen Unabhängigkeitsbewegungen unterbrochen wurden.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" />

Die meisten der schätzungsweise weltweit über 15 Millionen (Stand: 2010)<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> Uiguren leben heute in dem im Süden Xinjiangs gelegenen [[Tarim-Becken]].<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Sie stellen die Mehrheitsbevölkerung in dieser Region, die 1759 durch die [[Qing-Dynastie|Qing]] erobert wurde und danach letztendlich unter eine locker gehaltene chinesische Herrschaft unter den Qing geriet. Zwar wurde das Tarim-Becken über mehrere Jahrhunderte hinweg vorwiegend von einer turksprachigen Bevölkerung besiedelt, doch erfolgte die Formulierung und formelle Begründung ihrer modernen Identität unter dem Ethnonym „Uiguren“ erst im 20. Jahrhundert.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC">{{Internetquelle |autor=Rian Thum |url=https://oxfordre.com/asianhistory/view/10.1093/acrefore/9780190277727.001.0001/acrefore-9780190277727-e-160?rskey=8gSyAu&result=1 |titel=The Uyghurs in Modern China |werk=Oxford Research Encyclopedia of Asian History |datum=2020-07-11 |abruf=2020-07-11 |sprache=en}} Erste Online-Veröffentlichung: 26. April 2018. Auch verfügbar als: {{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=The Uyghurs in Modern China |Sammelwerk=Oxford Research Encyclopedia, Asian History (oxfordre.com/asianhistory) |Verlag=Oxford University Press |Ort=USA |Datum=2020 |Online=[https://oxfordre.com/asianhistory/oxford/downloaddoclightbox/$002f10.1093$002facrefore$002f9780190277727.001.0001$002facrefore-9780190277727-e-160/The%20Uyghurs%20in%20Modern%20China?nojs=true online] |Format=PDF |KBytes=902}}</ref> Auf einer Konferenz in [[Taschkent]] 1921 nahmen Vertreter der [[Uigurische Sprache|Neu-Uigurisch]] sprechenden Bevölkerungsteile [[Turkestan#Gliederung|Westturkestans]], deren Sprache nicht oder nur zu geringem Anteil direkt auf das [[Altuigurisch]]e zurückgeht, für sich den Namen „Uiguren“ an.<ref name="Meyer-IngwersenInGlückEtRödel2016_MLS_p732">{{Literatur |Autor=Johannes Meyer-Ingwersen |Hrsg=Helmut Glück, Michael Rödel |Titel=Ujgurisch |Sammelwerk=Metzler Lexikon Sprache |Auflage=5 |Verlag=J. B. Metzler |Ort=Stuttgart |Datum=2016 |ISBN=978-3-476-02641-5 |Seiten=732 |DOI=10.1007/978-3-476-05486-9_1 |Umfang=S. i-xxvi, 1-814}}</ref><ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" />

Im 20. Jahrhundert verschärften die aufeinanderfolgenden chinesischen Staaten mit der Zeit ihre Herrschaft über das uigurisch besiedelte Land.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Seit 1949 erhöhte die Volksrepublik China den Prozentsatz der [[Han-Chinesen]] in Xinjiang mit einer aggressiven Siedlungspolitik von 5 % auf 40 %<ref name="Thum_THREE_Kashgar">{{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=Kashgar |Hrsg=Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson |Sammelwerk=Encyclopaedia of Islam, THREE |Verlag=Brill |Datum=2019 |Sprache=en |DOI=10.1163/1573-3912_ei3_com_35379}} Erste Online-Veröffentlichung: 2019, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-41343-6, 2020, 2020-1. Abgerufen am 29. Mai 2020.</ref> und formte aus dem Land im 21. Jahrhundert eine streng überwachte [[Assimilation (Soziologie)|assimilationistische]] Siedlerkolonie, die von einer von Han-Chinesen dominierten [[Bürokratie]] regiert wird.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Seit 2017 geht die chinesische Regierung unter Berufung auf die Notwendigkeit größerer [[Innere Sicherheit|innerer Sicherheit]] mit einer besonders [[Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014|tiefgreifenden und repressiven Strategie gegen Uiguren]] in Xinjiang vor, zu der unter anderem [[Umerziehungslager in Xinjiang|Masseninternierungen]], umfassende [[Umerziehung]]smaßnahmen und erhöhter Druck auf die uigurische [[Diaspora]] gehören.<ref name="GreitensEtAl2019-2020_In_InternationalSecurity_44_3_pp9-47">{{Literatur |Autor=Sheena Chestnut Greitens, Myunghee Lee, Emir Yazici |Titel=Counterterrorism and Preventive Repression: China's Changing Strategy in Xinjiang |Sammelwerk=International Security |Band=44 |Nummer=3 (Winter 2019/2020) |Datum=2019 |Seiten=9–47 |DOI=10.1162/isec_a_00368}} Online veröffentlicht am 6. Januar 2020.</ref><ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur_Zeidan">{{Internetquelle |autor=The Editors of Encyclopaedia Britannica |url=https://www.britannica.com/topic/Uighur |titel=Uighur |hrsg=Encyclopædia Britannica, inc.: [https://www.britannica.com/topic/Uighur Encyclopædia Britannica] |datum=2020-02-05 |abruf=2021-05-05 |sprache=en}} (letzte größere Bearbeitung und Aktualisierung von Adam Zeidan, 5. Februar 2020).</ref>

Vonseiten verschiedener westlicher Wissenschaftler wird als Ziel der chinesischen Politik in Xinjiang die „Sinisierung“ indigener Kulturen und die vollständige „Transformation“ der Gedanken und Verhaltensweisen der uigurischen Gemeinschaft beschrieben,<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /><ref name="derstandard-at_2020-12-09_UMG">{{Internetquelle |url=https://www.derstandard.at/story/2000122338215/unterdrueckung-mit-gesichtserkennung-huawei-testete-software-fuer-uiguren-alarm |titel=Unterdrückung mit Gesichtserkennung: Huawei testete Software für "Uiguren-Alarm" |titelerg=Eine KI sollte Angehörige der Minderheit per Gesichtsscan erkennen und Behörden informieren können, aber nie praktisch eingesetzt worden sein |werk=derstandard.at |datum=2020-12-09 |abruf=2020-12-13}}</ref> sowie eine „bewusste Politik des Auslöschens des uigurischen kulturellen Gedächtnisses“ ([[Rachel Harris (Musikethnologin)|Rachel Harris]], [[SOAS University of London]]),<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> die „Auslöschung eines einheimischen Wissenssystems und der die Grundwerte des uigurischen Lebens ausmachenden Grundelemente: Sprache, Religion und Kultur“ ([[Darren Byler]], [[University of Colorado Boulder]])<ref name="Byler_In_supchina-com_2019-01-02_PNS" /> und der Versuch, die Erfahrungen und Identitäten der Uiguren von ihrer Landschaft zu trennen ([[Rian Thum]], [[University of Nottingham]]).<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> Der in den [[USA]] ansässige Thinktank ''Newlines Institute for Strategy and Policy'' veröffentlichte in Zusammenarbeit mit dem in [[Kanada]] ansässigen ''Raoul Wallenberg Centre for Human Rights'' 2021 einen Bericht von über 30 internationalen Fachleuten,<ref name="news.yahoo.com_AFP_2021-03-09_CCG">{{Internetquelle |url=https://news.yahoo.com/china-committing-genocide-against-uighurs-195539894.html |titel=China committing genocide against Uighurs: report |werk=news.yahoo.com |datum=2021-03-09 |abruf=2021-04-08}} (AFP)</ref><ref name="NISP_2021-03_UG" /> der der chinesischen Führung vorwarf, die staatliche Verantwortung für einen anhaltenden [[Genozid]] gegen die Uiguren zu tragen und gegen die [[Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes|Genozidkonvention]] von 1948 zu verstoßen.<ref name="NISP_2021-03_UG">{{Internetquelle |url=https://3y4moi335jqc3hdi6ss66vpc-wpengine.netdna-ssl.com/wp-content/uploads/Chinas-Breaches-of-the-GC.pdf |titel=The Uyghur Genocide: An Examination of China’s Breaches of the 1948 Genocide Convention |werk=[[Newlines Institute for Strategy and Policy]] |datum=2021-03 |seiten=1–55 |abruf=2021-03-09 |format=PDF}} Verfügbar auf: {{Internetquelle |url=https://newlinesinstitute.org/uyghurs/the-uyghur-genocide-an-examination-of-chinas-breaches-of-the-1948-genocide-convention/ |titel=The Uyghur Genocide: An Examination of China’s Breaches of the 1948 Genocide Convention |werk=[[Newlines Institute for Strategy and Policy|newlinesinstitute.org]] |datum=2021-03-08 |abruf=2021-03-09}}</ref><ref name="derstandard-de_2021-03-09_UBS">{{Internetquelle |url=https://www.derstandard.de/story/2000124779861/unabhaengiger-bericht-spricht-von-chinesischem-genozid-an-uiguren |titel=Vernichtung: Unabhängiger Bericht spricht von chinesischem Genozid an Uiguren |titelerg=Mehr als 50 Experten aus verschiedenen Bereichen kommen zu dem Schluss, dass die muslimische Volksgruppe ausgelöscht werden soll |werk=derstandard.de |datum=2021-03-09 |abruf=2021-03-09}}</ref><ref name="thetimes.co.uk_2021-03-09_CGG">{{Internetquelle |autor=Catherine Philp |url=https://www.thetimes.co.uk/article/china-guilty-of-genocide-over-uighurs-international-lawyers-say-in-report-z5n7b5lcx |titel=China guilty of genocide over Uighurs, international lawyers say in report |titelerg=Campaign led by Xi violates every article of UN convention, US think tank finds |werk=[[The Times|thetimes.co.uk]] |datum=2021-03-09 |abruf=2021-04-08}}</ref><ref name="derstandard-de_2021-03-09_UBS"/> Ein von [[Human Rights Watch]] und der [[Universität Stanford]] 2021 erstellter Bericht<ref name="HRW_et_MillsLegalClinic_2021-04_BTL">{{Literatur |Hrsg=Human Rights Watch & Mills Legal Clinic, Stanford Law School, Stanford University |Titel=“Break Their Lineage, Break Their Roots”: Chinese Government Crimes against Humanity Targeting Uyghurs and Other Turkic Muslims |Ort= |Datum=2021-04 |ISBN=978-1-62313-899-8 |Seiten=1–53 |Sprache=en |Online=https://www.hrw.org/sites/default/files/media_2021/04/china0421_web_2.pdf |Format=PDF}} Zugriff über und auch veröffentlicht als Internetseite: {{Internetquelle |url=https://www.hrw.org/report/2021/04/19/break-their-lineage-break-their-roots/chinas-crimes-against-humanity-targeting |titel=“Break Their Lineage, Break Their Roots” |titelerg=China’s Crimes against Humanity Targeting Uyghurs and Other Turkic Muslims |werk=hrw.org |datum=2021-04-19 |abruf=2021-04-19}}</ref> wirft der chinesischen Regierung vor, nahezu alle in Art. 7 des [[Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs|Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)]] aufgeführten [[Verbrechen gegen die Menschlichkeit]] an den Uiguren und anderen turkstämmigen Muslimen in Xinjiang begangen zu haben und für eine „weit verbreitete und systematische Politik der Masseninternierungen, Folter und kulturellen Verfolgung verantwortlich“ zu sein.<ref name="dw.com_2021-04-19_MGU">{{Internetquelle |autor=William Yang |url=https://www.dw.com/de/hrw-klagt-verbrechen-in-xinjiang-an/a-57252193 |titel=Kritik an Chinas Maßnahmen gegen Uiguren: HRW klagt Verbrechen in Xinjiang an |titelerg=Ein aktueller Bericht von Human Rights Watch und der Universität Stanford konfrontiert Peking mit schweren Vorwürfen wegen Staatsverbrechen in Xinjiang |werk=dw.com |datum=2021-04-19 |abruf=2021-04-19}}</ref><ref name="hrw.org_2021-04-19_VGM">{{Internetquelle |url=https://www.hrw.org/de/news/2021/04/19/china-verbrechen-gegen-die-menschlichkeit-xinjiang |titel=China: Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Xinjiang |titelerg=Masseninhaftierung, Folter, kulturelle Verfolgung von Uiguren und anderen turkstämmigen Muslimen |werk=hrw.org |datum=2021-04-19 |abruf=2021-04-19}}</ref>

Von politischer Seite ordneten verschiedene westliche Staaten im Jahr 2021 das Vorgehen des chinesischen Staates gegenüber den Uiguren Xinjiangs offiziell als „[[Genozid]]“ ein.<ref name="state-gov_2021-01-19_AIX">{{Internetquelle |autor=Michael R. Pompeo |url=https://www.state.gov/determination-of-the-secretary-of-state-on-atrocities-in-xinjiang/ |titel=Determination of the Secretary of State on Atrocities in Xinjiang |titelerg=Press Statement – Michael R. Pompeo, Secretary of State |werk=[[Außenministerium der Vereinigten Staaten|state.gov]] |datum=2021-01-19 |abruf=2021-01-20}}</ref><ref name="handelsblatt-com_2021-02-07_NSM">{{Internetquelle |autor=Dana Heide, Moritz Koch |url=https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/verhaeltnis-zu-china-niederlaender-stufen-die-misshandlung-der-uiguren-als-genozid-ein-und-setzen-damit-berlin-unter-druck/26957362.html |titel=Verhältnis zu China: Niederländer stufen die Misshandlung der Uiguren als Genozid ein – und setzen damit Berlin unter Druck |titelerg=Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler prangert „entsetzliche“ Berichte über Misshandlung der Uiguren an – weicht der Völkermordsdebatte aber aus. Chinas Reaktion wäre heikel für deutsche Firmen |werk=handelsblatt.com |datum=2021-02-27 |abruf=2021-03-02}}</ref><ref name="forbes.com_2021-04-22_BPR">{{Internetquelle |autor=Ewelina U. Ochab |url=https://www.forbes.com/sites/ewelinaochab/2021/04/22/british-parliamentarians-recognize-the-atrocities-against-the-uyghurs-as-genocide/ |titel=British Parliamentarians Recognize The Atrocities Against The Uyghurs As Genocide |werk=[[Forbes (Zeitschrift)|forbes.com]] |datum=2021-04-22 |abruf=2021-04-22}}</ref> Nach Auffassung der [[Bundesregierung (Deutschland)|deutschen Bundesregierung]] zielen die Maßnahmen der chinesischen Politik auf die „Sinisierung“ der religiösen und kulturellen Identitäten der Minderheiten in Xinjiang und [[Tibet]] ab.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /><ref name="auswaertiges-amt-de_2020-12-02_14BM_p264">{{Internetquelle |url=https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2422192/f01891c5efa5d6d89df7a5693eab5c9a/201202-mrb-14-download-data.pdf |titel=14. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik |titelerg=Berichtszeitraum 1. Oktober 2018 bis 30. September 2020 |hrsg=Auswärtiges Amt, Berlin |datum=2020-12-02 |seiten=1-302, hier S. 264 |abruf=2020-12-04 |format=PDF}}</ref> Im März 2021 verhängten die USA, [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]], Kanada und die [[Europäische Union]] miteinander koordiniert [[Sanktion#Internationale Politik|Sanktionen]] über ehemalige und amtierende chinesische [[Funktionär]]e aufgrund mutmaßlicher [[Menschenrechte|Menschenrechtsverstöße]] in Xinjiang.<ref name="aljazeera.com_2021-03-29_CAW">{{Internetquelle |url=https://www.aljazeera.com/news/2021/3/29/china-slams-western-nations-firms-over-xinjiang-cotton-boycott |titel=China attacks Western nations, firms over Xinjiang cotton boycott |titelerg=Officials warn companies against ‘politicising economic behaviour’ amid Western concerns over forced labour in Xinjiang’s cotton industry |werk=aljazeera.com |datum=2021-03-29 |abruf=2021-03-29}}</ref> Die [[Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte|UNO-Menschenrechtskommissarin]] fordert eine gründliche und unabhängige Bewertung der Berichte über willkürliche Internierungen, Misshandlungen, sexuelle Gewalt und Zwangsarbeit in Xinjiang.<ref name="reuters-com_2021-03-28_UNW">{{Internetquelle |autor=Steve Schere (Bericht), Lisa Shumaker (Bearbeitung) |url=https://www.reuters.com/article/china-rights-un/u-n-negotiating-with-china-for-unfettered-access-to-xinjiang-guterres-tells-cbc-idINKBN2BK0GH |titel=U.N. negotiating with China for unfettered access to Xinjiang – Guterres tells CBC |werk=reuters.com |datum=2021-03-28 |abruf=2021-03-29}}</ref> 

Die [[Vereinte Nationen|Vereinten Nationen]] riefen im August 2018 China dazu auf, die Masseninhaftierungen in den damals von China geleugneten Einrichtungen zu beenden<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur_Zeidan" /> und versuchten seit 2018, die Gewährleistung des uneingeschränkten Zugangs zur Region Xinjiang für UN-Vertreter mit der VR China auszuhandeln, um den Vorwürfen von an Uiguren und anderen muslimischen Minoritäten in Xinjiang begangenen Menschenrechtsverletzungen vor Ort durch eine Untersuchung nachzugehen.<ref name="cbc-ca_2021-03-28_USN">{{Internetquelle |autor=Peter Zimonjic, Rosemary Barton, Philip Ling |url=https://www.cbc.ca/news/politics/antonio-guterres-rosemary-barton-china-1.5966385 |titel=UN in 'serious negotiations' with China about letting observers into Xinjiang province: Antonio Guterres |titelerg='There must be due process and full respect' for Canadian detainees' rights, says UN secretary general |werk=cbc.ca |datum=2021-03-28 |abruf=2021-03-29}}</ref> Die VR China lehnte die Durchführung einer Untersuchung durch UN-Vertreter in Xinjiang offiziell ab.<ref name="cbc.ca_2021-03-29_CWU">{{Internetquelle |autor=Richard Raycraft |url=https://www.cbc.ca/news/politics/china-un-xinjiang-human-rights-1.5968002 |titel=China welcomes UN visit to Xinjiang, but opposes investigation |titelerg=Chinese spokesperson says Canada and others seeking to 'destabilize' China |werk=cbc.ca |datum=2021-03-29 |abruf=2021-03-29}}</ref><ref name="dw.com_2021-04-19_MGU" /><ref name="reuters.com_2021-12-11_USP">{{Internetquelle |autor=Stephanie Nebehay |url=https://www.reuters.com/world/china/un-publish-xinjiang-findings-soon-2021-12-10/ |titel=China: U.N. says to publish findings soon on abuses in Xinjiang |werk=reuters.com |datum=2021-12-11 |abruf=2022-01-07}}</ref> Die [[Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte|UNO-Menschenrechtskommissarin]] forderte eine gründliche und unabhängige Bewertung der Berichte über willkürliche Internierungen, Misshandlungen, sexuelle Gewalt und Zwangsarbeit in Xinjiang<ref name="reuters-com_2021-03-28_UNW" /> und gab Ende August 2022 die Veröffentlichung eines [[Rezeptionen, Positionen und Reaktionen zur uigurischen Frage#OHCHR-Bericht zur Lage in Xinjiang|Berichts ihres Büros zur Menschenrechtslage in Xinjiang]] frei, der mögliche Verbrechen der chinesischen Führung gegen die Uiguren und andere ethnische Minderheiten einräumte<ref group="A" name="Konjunktiv" /><ref name="sueddeutsche.de_2022-09-01_UBR">{{Internetquelle |url=https://www.sueddeutsche.de/politik/un-bericht-raeumt-menschenrechtsverletzungen-in-xinjiang-ein-1.5649042 |titel=UN-Bericht räumt Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang ein |werk=sueddeutsche.de |datum=2022-09-01 |abruf=2022-09-01 |kommentar=Quelle: Reuters}}</ref> und den Vorwurf „schwerer Menschenrechtsverletzungen“ in Xinjiang erhob, die dem Bericht zufolge Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnten.<ref group="A" name="Konjunktiv">Der UN-Bericht verwendet in diesem Zusammenhang als sprachliches Mittel die [[Konjunktiv|Möglichkeitsform]], da die im Bericht angesprochenen Verbrechen zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung nicht bereits gerichtlich behandelt und festgestellt waren (Quelle: {{Internetquelle |autor=Cornelius Dieckmann, Anja Wehler Schöck |url=https://www.tagesspiegel.de/politik/bundesregierung-fordert-konsequenzen-un-bericht-sieht-indizien-fuer-schwere-menschenrechtsverletzungen-gegen-uiguren-in-xinjiang/28645744.html |titel=Bundesregierung fordert Konsequenzen: UN-Bericht sieht Indizien für „schwere Menschenrechtsverletzungen“ gegen Uiguren in Xinjiang |werk=tagesspiegel.de |datum=2022-09-01 |abruf=2022-09-01}}).</ref><ref name="ohchr.org_2022-08-31_OAH">{{Internetquelle |url=https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/countries/2022-08-31/22-08-31-final-assesment.pdf |titel=OHCHR Assessment of human rights concerns in the Xinjiang Uyghur Autonomous Region, People’s Republic of China |hrsg=United Nations Human Rights Office Of The High Commissioner |datum=2022-08-31 |abruf=2022-09-01}}</ref><ref name="tagesspiegel.de_2022-09-01_UBS">{{Internetquelle |autor=Cornelius Dieckmann, Anja Wehler Schöck |url=https://www.tagesspiegel.de/politik/bundesregierung-fordert-konsequenzen-un-bericht-sieht-indizien-fuer-schwere-menschenrechtsverletzungen-gegen-uiguren-in-xinjiang/28645744.html |titel=Bundesregierung fordert Konsequenzen: UN-Bericht sieht Indizien für „schwere Menschenrechtsverletzungen“ gegen Uiguren in Xinjiang |titelerg=Minuten vor ihrem Amtsende veröffentlicht die UN-Menschrenrechtskommissarin einen brisanten Bericht: China begehe womöglich Verbrechen gegen die Menschlichkeit |werk=tagesspiegel.de |datum=2022-09-01 |abruf=2022-09-01}}</ref><ref name="bbc.com_2022-09-01_CMH">{{Internetquelle |autor=Matt Murphy, Flora Drury, Tessa Wong |url=https://www.bbc.com/news/world-asia-62744522 |titel=Uyghurs: China may have committed crimes against humanity in Xinjiang - UN |titelerg=The UN has accused China of "serious human rights violations" in a long-awaited report into allegations of abuse in Xinjiang province |werk=bbc.com |datum=2022-09-01 |abruf=2022-09-01}}</ref><ref name="tagesschau.de_2022-09-01_GVF">{{Internetquelle |autor=Benjamin Eyssel |url=https://www.tagesschau.de/ausland/asien/china-menschenrechte-uiguren-101.html |titel=UN-Bericht über China: "Glaubhafte" Vorwürfe von Folter in Xinjiang |titelerg=Der lang erwartete Bericht der UN-Menschenrechtskommissarin Bachelet prangert schwere Menschenrechtsverletzungen in der chinesischen Region Xinjiang an. China weist die Vorwürfe als Lüge zurück |werk=tagesschau.de |datum=2022-09-01 |abruf=2022-09-01}}</ref>

== Namensbedeutung (Uiguren des Mittelalters) ==
{{Siehe auch|Geschichte der Uiguren#Anfänge |titel1=Abschnitt „Anfänge“ in der Geschichte der Uiguren}}
Auf die Bezeichnung „Uiguren“ als [[Ethnonym]] beziehen sich erstmals die Chinesen während der [[Han-Dynastie]].<ref name="West2009_EPAO_p848f">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=848f.}}</ref> Auch Chroniken, die von der [[Nördliche Wei-Dynastie|Nördlichen Wei-Dynastie]] im dritten Jahrhundert v. Chr. erstellt wurden, sowie die [[Tang-Dynastie|Tang]] (618–907) und die [[Song-Dynastie|Song]] (960–1279) sprachen von Uiguren.<ref name="West2009_EPAO_p848f" /> Während die Tang sich im 7. Jahrhundert klar auf die Vorfahren der heutigen Uiguren beziehen, gibt es noch immer einige Diskussionen über die Erwähnungen durch die Han und die Nördlichen Wei, ebenso wie über die [[Antikes Griechenland|griechischen]] und [[Perserreich|iranischen Quellen]] vor unserer Zeitrechnung.<ref name="West2009_EPAO_p848f" />
<!-- FOLGENDEN AUSKOMMENTIERTEN AUSSAGEN FEHLEN BELEGE: Frühe Berichte zur Geschichte der Uiguren stammen aus der Zeit, in der der [[Clan]] der [[Aschina]] in das Gebiet der [[Tang-Dynastie]] floh. Dort formierte sich unter dem Hauptclan der ''Yaġlarkar'' das spätere Volk der Uiguren. Ihr Machtbereich umfasste damals weite Teile des südlichen [[Xinjiang]] und des heutigen [[Gansu]]. Sie waren wohl ein Stammeszusammenschluss verschiedener Steppenvölker, der sowohl Angehörige [[Mongolen|mongolischer]] sowie [[Turkvölker|türkischer]] Herkunft in sich vereinte. Dabei setzte sich schließlich innerhalb dieser Stammesverbindung eine [[Turksprache]] durch. Im Jahre 647 wurden die uigurischen Siedlungsgebiete durch Tang-China besetzt und zum Generalgouvernement Hanhai reorganisiert. Man zählte nun die Uiguren von Seiten Tang-Chinas zu den „zivilisierten Völkern des Reiches“. -->

Zu Beginn des 8. Jahrhunderts gingen die Uiguren aus der großen Konföderation [[Turkvölker|turkischer]] Stämme mit gefestigter eigener politischer Identität hervor, die die Herrschaft über die Steppenregion anstrebten und in den folgenden sechs Jahrhunderten eine aufsehenerregende Machtentfaltung erlebten, indem sie zunächst ein Steppenreich etablierten, nach dessen Auflösung in den Grenzgebieten zwischen China und der Steppe ein wirtschaftlich ausgerichtetes Königreich etablierten und sich schließlich der Steppen-Stammeskonföderation unter [[Dschingis Khan]] anschlossen, bis ihre Existenz als politische Einheit nach dem Untergang des [[Mongolisches Reich|Mongolischen Reiches]] Mitte des 14. Jahrhunderts ein Ende fand. Bei der Bezeichnung „Uiguren“ handelte es sich in diesen mittelalterlichen Zeiten nicht um eine [[Ethnie|ethnische]], [[Tribalismus|tribale]] oder [[Territorium|territoriale]] Bezeichnung, sondern um eine [[Politik|politische]] [[Identität]].<ref name="Brose2017_OREAH_MU8">{{Literatur |Autor=Michael C. Brose |Titel=The Medieval Uyghurs of the 8th through 14th Centuries |Sammelwerk=Oxford Research Encyclopedia of Asian History |Datum=2017-06 |Sprache=en |DOI=10.1093/acrefore/9780190277727.013.232}} Erste Online-Veröffentlichung: 28. Juni 2017.</ref>

Die Uiguren waren laut chinesischen Quellen eine turksprachige Stammesgruppe innerhalb der Steppen-Stammeskonföderation der [[Tiele]],<ref name="Golden_THREE_Oghuz" /><ref name="Scharlipp1992_81–131_S81f" /><ref name="Brose2017_OREAH_MU8" /><ref name="Golden1992_IHT_p155–157">{{Literatur |Autor=Peter B. Golden |Titel=An Introduction to the History of the Turkic Peoples: Ethnogenesis and State-Formation in Medieval and Early Modern Eurasia and the Middle East |Reihe=Turcologica |BandReihe=9 |Verlag=Otto Harrassowitz |Ort=Wiesbaden |Datum=1992 |ISBN=3-447-03274-X |ISSN=0177-4743 |Fundstelle=hier S. 155–157 |Umfang=S. i–xvii, S. 1–483}}</ref> in der sie die – wenn auch nicht unbestrittene – Vorherrschaft innehatten und deren östlicher Zweig der ''Toquz oġuz'' in türkischen und uigurischen Runeninschriften im 8. Jahrhundert in verschiedenen Zusammensetzungen – ''Üch Oġuz'' („Drei Oghusen“), ''Sekiz Oġuz'' („Acht Oghusen“) und ''Toquz Oġuz'' („Neun Oghusen“) – erwähnt wird.<ref name="Golden_THREE_Oghuz">{{Literatur |Autor=Peter B. Golden |Titel=Oghuz |Hrsg=Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson |Sammelwerk=Encyclopaedia of Islam, THREE |Verlag=Brill |Datum=2020 |Sprache=en |DOI=10.1163/1573-3912_ei3_COM_27565}} Erste Online-Veröffentlichung: 2020, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-41344-3, 2020, 2020-2. Abgerufen am 29. Mai 2020.</ref>
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 | Bild1       = Der Grabstein am Šine-Usu Ramstedt 1913 left part of the third plate.png
 | Untertitel1 = Grabstein mit der [[Šine Usu-Inschrift]] (Foto: 1909, oberes Bruchstück, von den vier Himmelsrichtungen aus betrachtet).<ref name="Ramstedt1913_JSFou_30_3_1–63">{{Literatur |Autor=G. J. Ramstedt |Hrsg=Suomalais-Ugrilaisen Seura |Titel=Zwei uigurische „Runen“-Inschriften in der Nord-Mongolei: aufgefunden und mit Transkriptionen, Übersetzung und Bemerkungen veröffentlicht |Sammelwerk=Journal de la Societe Finno-Ougrienne / Suomalais-Ugrilaisen Seuran Aikakauskirja |Band=30 |Nummer=3 |Ort=Helsinki |Datum=1913 |Umfang=S. 1–63, 3 Tafeln}}</ref>
 | Bild2       = Yaglakar clan tamga.png
 | Untertitel2 = [[Tamga (Siegel)|Tamga]] der Yağlaqar.
 | Fußzeile    = In der Nachfolgeschaft des ''Türk''-Reiches verwendeten auch die Uiguren [[Orchon-Runen|alttürkische „Runen“-Schrift]]. Die mit 50 Zeilen umfangreichste der erhaltenen „Runen“-Inschriften ist die der Šine Usu-Stele (errichtet 759).<ref name="Li2018_TDAYB_66_1_177-188" /> Sie zählt zu den bedeutendsten [[Primärquelle]]n der frühen Geschichte der mittelalterlichen Uiguren<ref name="Brose2017_OREAH_MU8" /> und enthält eine in anderen (chinesischen) Quellen teils fehlende Beschreibung über die inneren und äußeren Kriege der Yağlaqar zu Erlangung und Erhalt der Macht (739–759),<ref name="GoldenInPoonawala2016_ES_3–63_p16uFN130" /> darunter die Kriege der Uiguren mit den Türk-Khaganaten der Jahre 742–744.<ref name="Kljastornyj1988_CAJ_32_1-2_73-90">{{Literatur |Autor=S. G. Kljaštornyj |Titel=Die Kiptschaken auf den runischen Denkmälern |Sammelwerk=Central Asiatic Journal |Band=32 |Nummer=1/2 |Verlag=Harrassowitz |Datum=1988 |Seiten=73-90 |JSTOR=41927601}}</ref><ref name="Li2018_TDAYB_66_1_177-188" /> Die Yağlaqar werden darin als Herrscher über die ''on uyğur'' („Zehn [Stämme] Uigur“) und ''toquz oğuz'' („Neun [Stämme] Oghuz“) für eine Dauer von 100 Jahren baschrieben.<ref name="GoldenInPoonawala2016_ES_3–63_p16uFN130">{{Literatur |Autor=Peter B. Golden |Hrsg=Ismail Poonawala |Titel='Eternal Stones': Historical Memory and Notions of History among the Early Turkic Peoples |Sammelwerk=Turks in the Indian subcontinent, Central and West Asia: the Turkish presence in the Islamic world |BandReihe= |Verlag=Oxford University Press |Ort=New Delhi |Datum=2016 |ISBN=978-0-19-809220-9 |Seiten=3–63 |Fundstelle=hier S. 16, 51 (Fußnote 130) |Umfang=S. i–xxviii, 1–385}}</ref> Aufgrund der Phrase ''on uyγur'' („zehn Uigur“) in der Inschrift und in anderen Quellen wurde argumentiert, dass sich die eigentlichen Uiguren aus zehn Untergruppen zusammengesetzt haben könnten.<ref name="Senga1990_JAH_24_1_57-69">{{Literatur |Autor=T. Senga |Titel=The Toquz Oghuz Problem and the Origins of the Khazars |Sammelwerk=Journal of Asian History |Band=24 |Nummer=1 |Verlag=Harrassowitz |Datum=1990 |Seiten=57-69 |JSTOR=41925379}}</ref>
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Als die Uiguren zunächst 742 – in Allianz mit den Stämmen der ''[[Basmıl]]'' und [[Karluken]] – das [[Zweites Türk-Kaganat|östliche oder zweite Reich der Türk]] (682–743/744)<ref name="Golden_THREE_Oghuz" /><ref name="Scharlipp1992_81–131_S81f">{{Literatur |Autor=Wolfgang-Ekkehard Scharlipp |Titel=Die frühen Türken in Zentralasien: Eine Einführung in ihre Geschichte und Kultur |Verlag=Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt |Ort=Darmstadt |Datum=1992 |ISBN=3-534-11689-5 |Kapitel=Kapitel ''Die Uiguren'' |Seiten=81–131 |Fundstelle=hier S. 81f. |Umfang=S. I-XIV, 1-147}}</ref> und daraufhin – diesmal zusammen mit den Karlucken und [[Oghusen]] – das [[Kaganat der Basmıl]] (742–744) stürzten, womit sie das [[Uigurisches Kaganat|Uigurische Kaganat]] (744–840) begründeten,<ref name="Golden_THREE_Oghuz" /> wurden sie zum bekannten Gegenstand der weltgeschichtlichen Ereignisse.<ref name="Scharlipp1992_81–131_S81f" /> Schon längere Zeit bekannt waren sie allerdings den Chinesen, deren Berichte die fast ausschließlichen Quellen über die uigurische Frühgeschichte liefern. Der Name der Uiguren wird in den [[Alttürkische Sprache|alttürkischen]] Runeninschriften zwar bereits erwähnt, doch sind erst aus den uigurischen Inschriften aus der Zeit des Uigurischen Kaganats etwas detailliertere Informationen über Geschichte und Kultur zu entnehmen, wie etwa ihre sich aus den chinesischen Quellen kaum zu erschließende Zugehörigkeit zu den turksprachigen Völkern.<ref name="Scharlipp1992_81–131_S81f" />

Die Stammesföderation der Tiele wird oft auch mit dem aus den Orchon-Inschriften bekannten Stammesbund der [[Tölös]] (auch: Tölis, Töliş) in Verbindung gebracht, bei denen es sich wiederum um die Nachkommen des von den Chinesen als [[Gaoche]] bezeichneten Stammes handeln soll, der in chinesischen Quellen bereits im 5. Jahrhundert erwähnt wird.<ref name="Scharlipp1992_81–131_S81f" />

In chinesischen Quellen wurde den Uiguren des Uigurischen Kaganats auch die chinesische Bezeichnung ''Jiuxing'' (九姓) gegeben.<ref name="CfWeiers1998_zentralasienforschung-de_Uiguren" /> Diese Bezeichnung ''Chiu hsing'' (dt. etwa „neun Familiennamen/Sippen/Clans/Völker“) entspricht offenbar den ''Toquz Oğuz'' der alttürkischen Inschriften und scheint als „Neun Stämme“ verstanden werden zu können.<ref name="Scharlipp1992_81–131_S81f" /> Die chinesische Bezeichnung 九姓 steht möglicherweise in Verbindung zu dem türkischen Ethnonym ''Toquz Oğuz'' (dt. etwa: „neun (Stammes)-Verwandte“), das aus [[Islamische Geschichtsschreibung|muslimischen Quellen]] bekannt ist.<ref name="CfWeiers1998_zentralasienforschung-de_Uiguren">Vgl. {{Internetquelle |autor=Michael Weiers |url=http://www.zentralasienforschung.de/Uiguren.pdf |titel=Uiguren |werk=zentralasienforschung.de |datum=1998 |abruf=2020-12-17 |format=PDF}} Siehe ''Schriftenverzeichnis von Michael Weiers'', URL: http://www.zentralasienforschung.de/bibliographie.pdf, abgerufen am 17. Dezember 2020.</ref><ref>Historische Texte dazu bietet: Wolfgang-Ekkehard Scharlipp, Julius von Klaproth u.&nbsp;a.: Abhandlung über die Sprache und Schrift der Uiguren.</ref><!-- Ordentlich veröffentlichter Beleg scheint hier zu fehlen! --> Die turksprachige Bezeichnung ''Tokuz Oghuz'' wurde in muslimischen Quellen (als „tġzġzz“) wohl aus turkischen Quellen entlehnt und entspricht – allerdings nicht ganz ohne Probleme – der Bezeichnung der Konföderation in chinesischen Quellen als ''Chiu hsing''.<ref name="Golden1992_IHT_p156f" /> Die muslimischen Quellen bezogen die Bezeichnung ''Toquz Oğuz'' dabei sowohl auf die Uiguren des Uigurischen Kaganats in der heutigen Mongolei, als auch auf die Uiguren, die später die dem Uigurischen Kaganat nachfolgenden diasporischen Uiguren-Staaten bildeten.<ref name="Golden1992_IHT_p156f">{{Literatur |Autor=Peter B. Golden |Titel=An Introduction to the History of the Turkic Peoples: Ethnogenesis and State-Formation in Medieval and Early Modern Eurasia and the Middle East |Reihe=Turcologica |BandReihe=9 |Verlag=Otto Harrassowitz |Ort=Wiesbaden |Datum=1992 |ISBN=3-447-03274-X |ISSN=0177-4743 |Fundstelle=hier S. 156f.}}</ref><ref name="CfWeiers1998_zentralasienforschung-de_Uiguren" />

Nach der vom [[Turkologie|Turkologen]] [[James Russel Hamilton]] angebotenen [[Etymologie]] gab es eine als ''tokuz oġuş'' („Neun Stämme“) bezeichnete Stammeskonföderation, wobei der Begriff ''oġuş'' eine Organisationsform unterhalb des Stammes (''bod'') bezeichnete, also möglicherweise als [[Clan]] aufgefasst werden könne. Während der häufigen Verwendung als regelrechter Name für die Föderation habe eine [[Assimilation (Phonologie)|phonetische Fernassimilation]] von ''tokuz oġuş'' zu ''tokuz oġuz'' stattgefunden, wovon letztendlich nur der hintere Namensteil übrig geblieben sei. Einer dieser neun Stämme sollen die Uiguren gewesen sein, die sich ihrerseits in die sogenannten ''on uyġur'' – die zehn Uigurenstämme oder Clans – aufteilten.<ref name="Scharlipp1992_81–131_S81f" /> Der Name „Uigur“ scheint nach Hamilton eine Umschreibung von „Uroġ/Uġor/Oġur“ zu sein, ein Ethnonym, das mit dem [[Oghurische Sprachen|oghurischen Zweig der Turksprachen]] in Verbindung gebracht wird.<ref>James Hamilton: ''Toquz-Oγuz et On-Uyγur'', in: ''Journal Asiatique'' 250, 1962, S. 23–63. Türkische Fassung (Übersetzung von Yunus Koç und İsmet Birkan): {{Literatur |Autor=James Hamilton |Titel=Toḳuz-Oġuz ve On-Uyġur |Sammelwerk=Türk Dilleri Araştırmaları |Band=7 |Datum=1997 |ISSN=1300-5316 |Seiten=187-232 |Online=[http://www.turkdilleri.org/turkdilleri/sayilar/tda7/JHamilton.pdf Online]}}</ref> Die [[Uigurische Sprache#Schrift|altuigurische Sprache]], die im 8. Jahrhundert während des Uigurischen Kaganat gesprochen wurde, ist die gleiche Sprache wie in den [[Orchon-Runen|Orchon-Jenissei-Inschriften]], heute [[Alttürkische Sprache|alt-Türki]] genannt. Die alttürkische Literatursprache, die vor dem 8. Jahrhundert verwendet wurde, soll der uigurischen Literatursprache entsprechen, die bis zum 14. Jahrhundert in den Türki-Bevölkerungen allgemein gebräuchlich war.<ref name="Kamberi">Dolkun Kamberi, Ph. D.: [http://www.sino-platonic.org/complete/spp150_uyghurs.pdf "Uyghurs and Uyghur Identity"]. In: Victor H. Mair, Sino-Platonic Papers. Department of East Asian Languages and Civilizations.Number 150 University of Pennsylvania. Mai, 2005.</ref>

== Heutige Volksgruppe (Uiguren der Modernen Geschichte) ==
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 | Kopfzeile   = Uiguren in ihrem Hauptsiedlungsgebiet
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 | Untertitel1 = Alte Uigurinnen in [[Kaxgar (Stadt)|Kaxgar]] mit bedeckten Köpfen (2008)
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 | Untertitel2 = Uiguren aus [[Turpan]] mit unter der ''doppa'' kurz geschorenem Haar (2008)
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 | Untertitel3 = Uigurische Kinder in der Altstadt von [[Hotan]] (2009)
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 | Kopfzeile   = Uiguren in Kaxgar
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 | Bild1       = Xinjiang, China (27637374063).jpg
 | Untertitel1 = Zwei Bauern auf einem Basar (1986)
 | Bild2       = Uyghur-hunter-Kashgar.jpg
 | Untertitel2 = Ein Jäger mit Schaffellmütze (2005)
}}
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es keine sich selbst als „Uiguren“ bezeichnende Bevölkerungsgruppe, doch herrschte im Tarimbecken bereits seit mehreren Jahrhunderten eine turksprachige Bevölkerung vor. Intellektuelle und Aktivisten aus dieser Bevölkerung, die durch verschiedene Gemeinsamkeiten verbunden war – wie islamischer Glaube, eher sesshafte als nomadische Lebensweise, Ost-Turki-Dialekte als Muttersprache und historischer Hintergrund in der Qing-Provinz Xinjiang – versuchten zu diesem Zeitpunkt, für sich eine neue, ethnonationale Identität zu begründen.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Nachdem 1910 Uiguren im russisch kontrollierten [[Fargʻona|Ferghana]] und [[Siebenstromland|Semiretschje]] die historische Verbindung mit den mittelalterlichen Uiguren für sich angenommen hatten, wurde die Bezeichnung „Uiguren“ auf einer Konferenz in [[Taschkent]] 1921 auch von der „Arbeiter- und Bauernorganisation von Altishahr<ref group="A" name="Altishahr">''Altishahr'' ist eine indigene Bezeichnung für Ostturkestan, Chinesisch-Turkestan oder Süd-Xinjiang. In seinem üblichen Gebrauch umfasst der Begriff „Altishahr“ alle Oasen des Tarim-Beckens, einschließlich Turpan (Turfan). (Quelle: {{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=Modular History: Identity Maintenance before Uyghur Nationalism |Sammelwerk=The Journal of Asian Studies |Band=71 |Nummer=3 |Datum=2012 |Seiten=627–653 |DOI=10.1017/S0021911812000629}})</ref> und der Dsungarei“ angenommen, die sich nun „Organisation der revolutionären Uiguren“ nannte.<ref name="Millward2007_EC_Kap5_S208">{{Literatur |Autor=James Millward |Titel=Eurasian Crossroads: A History of Xinjiang |Verlag=C. Hurst & Co. |Ort=London |Datum=2007 |ISBN=978-1-85065-818-4 |Kapitel=Chapter 5. ''Between China and the Soviet Union (1910s–1940s)'' |Seiten=178–234 |Fundstelle=hier S. 208}}</ref><ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Die Bezeichnung der Islamischen Republik Ostturkestan von 1933 bis 1934 als „Republik Uiguristan“ spiegelte bereits die zunehmende Verwendung des Ethnonyms „Uiguren“ wider, mit dem inzwischen aus dem Tarim-Becken stammende, sesshafte Türken identifiziert wurden<ref name="Thum_THREE_Kashgar" /><ref name="Thum2014_SRU_p176">{{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=The Sacred Routes of Uyghur History |Verlag=Harvard University Press |Ort=Cambridge & London |Datum=2014 |ISBN=978-0-674-59855-3 |Fundstelle=hier S. 176 |JSTOR=j.ctt9qdt35}}</ref> und die Regierung [[Sheng Shicai]]s etablierte das Ethnonym „Uiguren“ von offiziell chinesischer Seite.<ref name="Thum2014_SRU_p176" /> Da ethnische Kategorien wie „Uiguren“ oftmals real existierende kulturelle, sprachliche und teilweise physische Unterschiede zwischen den Bevölkerungen Xinjiangs abbildeten, fanden sie in den späten 1930er und 1940er Jahren allgemeine Anerkennung.<ref name="Millward2007_EC_Kap5_S208" />

Die Vorfahren der Uiguren wurzeln im [[Zentralasien]] des ersten Jahrtausends v. Chr. und sind auf alte Gruppen turksprachiger Stämme zurückzuführen. In chinesischen Quellen werden die Ahnenstämme der Uiguren „[[Rote Di|Di]]“, „[[Chidi]]“, „[[Xiongnu]]“, „[[Dingling]]“ und „[[Gaoche]]“ benannt, die entlang der alten [[Seidenstraße]] nördlich der [[Tian Shan|Tangri-Tagh]]-Berge und entlang der Flüsse [[Selenga]] und [[Orchon]] lebten. Dieses Gebiet wurde später als das Uigurische Khaganat bekannt. Die sozialen und kulturellen Aktivitäten der Uiguren finden sich in historischen und archäologischen Materialien [[Bronzezeit|bronze-]] und [[eisenzeit]]licher Epochen bis zur [[Neuzeit]] wieder.<ref name="Kamberi" /><ref>Barbara A. West: [https://books.google.de/books?hl=en&id=pCiNqFj3MQsC "Encyclopedia of the Peoples of Asia and Oceania".] Infobase Publishing. 2010. Seite 809f.</ref>

Einige Ethnologen sehen in den heutigen Uiguren eine Vermischung turkomongolischer Volksgruppen mit [[Indogermanische Sprachen|indogermanischen]] [[Tocharer]]n und [[Iranische Sprachen|iranischen]] [[Sogder]]n.<ref>Willi Stegner (Hrsg.): ''Taschenatlas Völker und Sprachen'', Seite 133. Klett-Perthes, Gotha 2006</ref><ref>Herbert Tischner: ''Das Fischer Lexikon Völkerkunde'', Seite 103. Fischer, Frankfurt am Main 1959</ref> Eine [[Altaische Sprachen|altaische]] [[Substrat (Linguistik)|Substrat]]-Verwandtschaft sowohl uigurischer als auch alttürkischer Stämme mit den Tocharern bleibt jedoch bisher aus sprachwissenschaftlicher Perspektive aufgrund fehlender [[Epoche (Chronologie)|zeitlicher]] und [[Vergleichende Sprachwissenschaft|komparativer]] [[Kohärenz (Linguistik)|Kohärenzen]] unbewiesen.<ref>Wolfgang Krause, Klaus Düwel, Michael Job, Astrid van Nahl: [https://books.google.de/books?hl=de&id=4WrnBQAAQBAJ&q=Tocharer+Uiguren#v=snippet&q=Tocharer%20Uiguren&f=false "Schriften zur Runologie und Sprachwissenschaft".] In: Band 84 von Reallexikon der Germanischen Altertumskunde – Ergänzungsbände. Walter de Gruyter. 2014. Seite 444.</ref>

== Verbreitung und Demographie ==
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| title    = Uiguren außerhalb Chinas<br />(in China leben rund 10 Millionen Uiguren)<ref name="srf-ch_2019-11-25_MUL">{{Internetquelle |autor=Interview von Samuel Wyss mit Kai Strittmatter |url=https://www.srf.ch/news/international/million-uiguren-in-lagern-eines-der-groessten-menschenrechtsverbrechen-unserer-zeit# |titel=Million Uiguren in Lagern – «Eines der grössten Menschenrechtsverbrechen unserer Zeit» |werk=srf.ch |datum=2019-11-25 |abruf=2020-07-29}}</ref>
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|caption=<div style="font-size:90%;">Quelle: [[Süddeutsche Zeitung]], [[Weltkongress der Uiguren]]</div>
{{Farblegende|#000000|Geschätzte Anzahl von Uiguren}}
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Von der weltweit zusammengerechneten Bevölkerung der Uiguren von 15 Millionen lebten im Jahr 2010 Schätzungen zufolge etwa 500.000 (also gut 3 Prozent) außerhalb Chinas.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Nach Aufständen der uigurischen Gemeinden in den 1990er Jahren flohen Uiguren in Länder wie [[Kasachstan]], [[Kirgisistan]], [[Schweden]], [[Deutschland]], [[Australien]], [[Kanada]] und die [[Vereinigte Staaten|USA]].<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283">{{Literatur |Autor=Saskia Witteborn |Hrsg=Radha Sarma Hegde |Titel=Gendering Cyberspace: Transnational Mappings and Uyghur Diasporic Politics |Sammelwerk=Circuits of Visibility: Gender and Transnational Media Cultures |Verlag=New York University Press |Datum=2011 |ISBN=978-0-8147-3730-9 |Seiten=268-283}}</ref>

Die uigurische Diaspora macht in mehreren Ländern der Welt einen ansehnlichen Bevölkerungsanteil aus.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> Die größten diasporischen uigurischen Gemeinden befinden sich (Stand: 2011 oder früher) in [[Zentralasien]], gefolgt von der [[Türkei]], Australien, den USA, Deutschland, [[Norwegen]] und Schweden.<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> Die meisten Uiguren außerhalb Chinas leben in Zentralasien, an erster Stelle in [[Kasachstan]] (2010 schätzungsweise rund 370.000), aber auch in [[Kirgisistan]] und [[Usbekistan]] (2010 schätzungsweise jeweils rund 50.000).<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> Außer in den neu unabhängig gewordenen zentralasiatischen Republiken existiert eine signifikante Bevölkerungsanzahl von Uiguren auch in der Türkei, in den USA, Kanada, Australien und europäischen Ländern wie Deutschland und [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]].<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Die Uiguren halten sehr engen Kontakt mit den Verwandten auf der ganzen Welt, sowohl mit denen in der Diaspora als auch mit den in der Heimatregion im chinesischen Xinjiang verbliebenen. Besonders erfolgreich erhalten sie die transnationalen Netzwerke mit ihren Verwandten und Bekannten im [[Zentralasien|zentralasiatischen]] Raum und in der Türkei aufrecht.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Außerhalb von China lebende Uigurengruppen gaben höhere Werte für die Gesamtzahl der Uiguren an (25 Millionen).<ref name="Glasse2001_CEI_p480" /> Auch in etablierten westlichen Medien lassen sich Angaben finden, nach denen außerhalb Xinjiangs rund 10 Millionen und weltweit insgesamt 20 Millionen Uiguren leben sollen.<ref name="de-qantara-de_20200515_EKK" />
<div style="clear:both;" class="NavFrame">
<div class="NavHead" style="text-align:center;">Tabelle: Uigurische Bevölkerung in verschiedenen Staaten nach Schätzungen des Joshua Project (Stand: 2010)</div>
<div class="NavContent" style="text-align:left">
{| class="wikitable float-right" style="text-align:center"
|+ Uigurische Bevölkerung in verschiedenen Staaten nach Schätzungen des [[Joshua Project]]
|-
! Staat !! Anzahl Uiguren<br />Stand: 13. Juli 2010<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78">{{Literatur |Autor=Tian Guang, Mahesh Ranjan Debata |Titel=Identity and Mobilization in Transnational Societies: A Case Study of Uyghur Diasporic Nationalism |Sammelwerk=China and Eurasia Forum Quarterly |Band=8 |Nummer=4 |Datum=2010 |ISSN=1653-4212 |Seiten=59-78}}</ref>
|-
| [[China]] || 10.833.000
|-
| [[Kasachstan]] || 372.000
|-
| [[Kirgisistan]] || 53.000
|-
| [[Usbekistan]] || 50.000
|-
| [[Saudi-Arabien]] || 7.000
|-
| [[Iran]] || 5.600
|-
| [[Afghanistan]] || 3.700
|-
| [[Russland]] || 2.900
|-
| [[Turkmenistan]] || 2.100
|-
| [[Vereinigte Staaten|USA]] || 1.000
|-
| [[Türkei]] || 800
|-
| [[Tadschikistan]] || 800
|-
| [[Mongolei]] || 300
|-
| [[Republik China (Taiwan)|Taiwan]] || 200
|-
| [[Ukraine]] || 200
|}
</div></div>

=== Hauptsiedlungsgebiete im früheren Turkestan und Verbreitung in China ===
Die Uiguren leben zum weitaus größten Teil im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang im Nordwesten Chinas und zu einem kleineren Teil in den [[Zentralasien|zentralasiatischen]] Republiken.<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur">{{Internetquelle |autor=The Editors of Encyclopaedia Britannica |url=https://www.britannica.com/topic/Uighur |titel=Uighur |hrsg=Encyclopædia Britannica, inc.: [https://www.britannica.com/topic/Uighur Encyclopædia Britannica] |datum=2020-02-05 |abruf=2020-05-24 |sprache=en}}</ref><ref name="West2009_EPAO_p848" /> Außerhalb von Xinjiang leben rund eine Million (Stand: 2009 oder früher) Uiguren in den größten chinesischen Städten sowie in [[Kasachstan]], [[Kirgisistan]] und [[Tadschikistan]].<ref name="West2009_EPAO_p848" />

Die bedeutendsten uigurischen Städte sind [[Ürümqi]], die Hauptstadt von Xinjiang, und [[Kaxgar (Stadt)|Kaxgar]], ein altes Handelszentrum an der [[Seidenstraße|historischen Seidenstraße]].<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" />

==== Gesamtchina ====
{| class="wikitable float-right" style="text-align:center"
|+ Uigurische Ethnie in China nach Volkszählungen, 1953–2010<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255">{{Literatur |Autor=Colin Mackerras |Hrsg=Czeslaw Tubilewicz |Titel=Ethnic minorities |Sammelwerk=Critical Issues in Contemporary China: Unity, Stability and Development |Auflage=2 |Verlag=Routledge (Taylor & Francis) |Ort=London & New York |Datum=2017 |ISBN=978-1-138-91734-7 |Seiten=237-255}}</ref>
|-
! Jahr!! Anzahl Uiguren
|-
| 1953 || {{0}}3.610.462
|-
| 1964 || {{0}}3.996.311
|-
| 1982 || {{0}}5.963.491
|-
| 1990 || {{0}}7.207.024
|-
| 2000 || {{0}}8.399.393
|-
| 2010 || 10.069.346
|}
Anfang des 21. Jahrhunderts lebten in China rund 10 Millionen Uiguren.<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /><ref name="stats-gov-cn_CSYB19" /> Bis zum Jahr 2020 haben sechs landesweite [[Volkszählung]]en in der Volksrepublik China stattgefunden, in den Jahren 1953, 1964, 1982, 1990, 2000 und 2010.<ref name="JacobEtAlInJacobEtAl2015_IEL_39-61" /> Laut der Volkszählung von 2010 lebten zu diesem Zeitpunkt 10.069.346 Angehörige der ethnischen Minderheit der Uiguren in China, mit geographischer Hauptverbreitung in Xinjiang.<ref name="stats-gov-cn_CSYB19">{{Internetquelle |url=http://www.stats.gov.cn/tjsj/ndsj/2019/indexeh.htm |titel=China Statistical Yearbook 2019 |hrsg=China Statistics Press |abruf=2020-06-01 |sprache=en}}, Compiled by National Bureau of Statistics of China (国家统计局), {{Internetquelle |url=http://www.stats.gov.cn/tjsj/ndsj/2019/html/E2519.jpg |titel=Tabelle: "25-19 Geographic Distribution and Population of Ethnic Minorities" |abruf=2020-05-31}}</ref><ref name="stats.gov.cn_CSYB20_E2519.jpg">{{Internetquelle |url=http://www.stats.gov.cn/tjsj/ndsj/2020/indexeh.htm |titel=China Statistical Yearbook 2020 |werk=stats.gov.cn |abruf=2021-10-22 |sprache=en}}, Compiled by National Bureau of Statistics of China (国家统计局), {{Internetquelle |url=http://www.stats.gov.cn/tjsj/ndsj/2020/html/E2519.jpg |titel=Tabelle: "25-19 Geographic Distribution and Population of Ethnic Minorities" |abruf=2021-10-22}}</ref> Sie machen 0,75 % der Gesamtbevölkerung Chinas aus (nach Volkszählung von 2010).<ref name="JacobEtAlInJacobEtAl2015_IEL_39-61">{{Literatur |Autor=W. James Jacob, Jing Liu, Che-Wei Lee |Hrsg=W. James Jacob, Sheng Yao Cheng, Maureen K. Porter |Titel=Policy Debates and Indigenous Education: The Trialectic of Language, Culture, and Identity |Sammelwerk=Indigenous Education: Language, Culture and Identity |Verlag=Springer |Ort=Dordrecht u. a. |Datum=2015 |ISBN=978-94-017-9354-4 |Seiten=39–61 |DOI=10.1007/978-94-017-9355-1}}</ref><ref name="cfWest2009_EPAO_p167">Cf. {{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=167}}</ref>

Die Uiguren zählen heute zahlenmäßig zu einer der größten der 55 oder 56 offiziell anerkannten nationalen Minderheiten Chinas<ref name="West2009_EPAO_p848">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=848}}</ref><ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /><ref name="PostonEtXiongInAttaneEtGu2014_ACP_p113-137" /> und werden (nach der Volkszählung von 2010) nur von den [[Zhuang]], [[Hui-Chinesen|Hui]] und [[Mandschu]] übertroffen.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /><ref name="PostonEtXiongInAttaneEtGu2014_ACP_p113-137" /> Mit 77,62 % (Stand: 2010) lebt der bei weitem überwiegende Teil der uigurischen Bevölkerung in China in ländlichen Gebieten, im Vergleich zum Durchschnitt der Minderheiten von 68 % und zu einem Anteil bei Han-Chinesen von 48,13 %. In der Zeitspanne zwischen den letzten beiden Volkszählungen ist das Bevölkerungswachstum der Uiguren mit + 1,8 % höher gewesen als das anderer nationaler Minderheiten (0,6 %) oder als das der Han-Chinesen (0,7 %).<ref name="PostonEtXiongInAttaneEtGu2014_ACP_p113-137">{{Literatur |Autor=Dudley L. Poston, Qian Xiong |Hrsg=Isabelle Attané, Baochang Gu |Titel=Are China’s Minority Nationalities Still on the Margins? |Sammelwerk=Analysing China's Population: Social Change in a New Demographic Era |Reihe=INED Population Studies |NummerReihe=3 |Verlag=Springer |Ort=Dordrecht |Datum=2014 |ISBN=978-94-017-8986-8 |Seiten=113–137 |DOI=10.1007/978-94-017-8987-5}} Erstmals online veröffentlicht am 7. Oktober 2014.</ref>

==== Xinjiang ====
{{Hauptartikel|Xinjiang#Bevölkerung|titel1=Xinjiang (Bevölkerung)}}
'''Traditionell uigurisches Hauptsiedlungsgebiet'''
{{Mehrere Bilder
 | align       = right
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 | Kopfzeile   = Xinjiangs Norden (Dsungarei, Turpansenke) und Süden (Tarimbecken)
 | Breite1     = 213
 | Breite2     = 227
 | Bild1       = Xinjiang regions.png
 | Untertitel1 = Heutige chinesische Provinz Xinjiang mit [[Dsungarei]] (gelb) und [[Turpan-Senke|Turpansenke]] (rot) im Norden und [[Tarimbecken]] (blau) im Süden<ref name="Grbovic2019_ZR_67_2_85–98">{{Literatur |Autor=Vladan Grbović |Titel=Ethnodemographic specifications of Xinjiang (P.R. of China) |Sammelwerk=Zbornik radova – Geografski fakultet Univerziteta u Beogradu |Band=67 |Nummer=2 |Datum=2019 |ISSN=1450-7552 |Seiten=85–98 |DOI=10.5937/zrgfub1902085G}} Online veröffentlicht am 28. Dezember 2019.</ref>
 | Bild2       = Altai, Tienschan-Orte.png
 | Untertitel2 = Die physische Karte zeigt die geografische Trennung von Dsungarei und Tarimbecken mit der Taklamakan durch das Tian-Shan-Gebirge
 | Fußzeile    = Das uigurische Hauptsiedlungsgebiet im Süden Xinjiangs wird von vielen Uiguren ''Altishahr'' genannt<ref name="Thum2014_SRU_p2f" /><ref name="Beller-Hann2008_CMX_p38-40" />
}}
Das heute von China kontrollierte Gebiet in Zentralasien, in dem die Uiguren und ihre Vorfahren die Mehrheit der Einwohner gestellt haben, ist bei vielen Uiguren als ''[[Altishahr]]'' (''Altä Şähär''<ref name="Beller-Hann2008_CMX_p38-40" />) bekannt (uigurisch für: „sechs Städte“).<ref name="Thum2014_SRU_p2f" /><ref group="A" name="Altishahr" /> Die die Bezeichnung ''Altishahr'' verwendenden Uiguren sind jedoch von der politischen Macht über die [[Kartographie]] ausgeschlossen, und die Bezeichnung ''Altishahr'' kommt im bekannten Kartenmaterial nicht vor. Unter der Herrschaft und im politischen System der Chinesen dient die Wissensvermittlung der Stützung des [[Status quo]]. In diesem Umfeld bestehen uigurische Bezeichnungen wie ''Altishahr'' nur in der [[Umgangssprache]] fort, während im offiziellen öffentlichen Diskurs nur die chinesische Bezeichnung „Xinjiang“ und seine uigurische [[Transliteration]] „Shinjang“ als Namen für die Region akzeptiert werden.<ref name="Thum2014_SRU_p2f">{{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=The Sacred Routes of Uyghur History |Verlag=Harvard University Press |Ort=Cambridge & London |Datum=2014 |ISBN=978-0-674-59855-3 |Fundstelle=hier S. 2f. |JSTOR=j.ctt9qdt35}}</ref> Der Name ''Altishahr'' wurde typischerweise für die Benennung der Oasensiedlungen südlich vom Tien-Shan-Gebirge verwendet, wodurch zumindest die diesen Siedlungen gemeinsamen Merkmale betont wurden, wenn nicht sogar ihre territoriale Einheit.<ref name="Beller-Hann2008_CMX_p38-40">{{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Titel=Community Matters in Xinjiang, 1880–1949: Towards a Historical Anthropology of the Uyghur |Reihe=China Studies |BandReihe=17 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2008 |ISBN=978-90-04-16675-2 |ISSN=1570-1344 |Fundstelle=hier S. 38–40}} Online abrufbar unter: https://brill.com/view/title/15037.</ref>

Xinjiang<ref group="A" name="Xinjiang-Bezeichnungen">Die Region war im Laufe der Geschichte unter vielen verschiedenen Namen bekannt, unter anderem als ''Turkestan'', ''Ostturkestan'', ''Chinesisch-Turkestan'', ''Uighurstan'', ''Innerasien'' und ''Provinz Xinjiang''. (Quelle: {{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=848}} Cf. {{Literatur |Autor=W. Barthold-[C. E. Bosworth] |Hrsg=P. J. Bearman, Th. Bianquis, C. E. Bosworth, E. van Donzel & W. P. Heinrichs |Titel=Turkistan |Sammelwerk=The Encyclopaedia of Islam. New Edition |Band=10 („T-U“) |Verlag=Brill |Ort=Leiden |Datum=2000 |ISBN=90-04-12761-5 |Seiten=679-680}} Cf. {{Literatur |Autor=Cyril Glassé |Titel=The concise encyclopædia of Islam: Revised edition |Verlag=Stacey International |Ort=London |Datum=2001 |ISBN=1-900988-06-2 |Seiten=480}}). Frühere Studien über die Region verwendeten für den chinesischen Begriff ''Xinjiang'' oft die Schreibweise ''Sinkiang''. Ethnisch nicht zu den Han-Chinesen zählende Völker in der Region und Emigrantengemeinschaften wie in Kasachstan, in der Türkei oder in Deutschland verwenden die Bezeichnung ''Xinjiang'' wegen ihrer [[Imperialismus|imperialen]] Konnotation nicht, sondern nennen die Region ''Sharqi Turkistan'' („Ostturkestan“). (Quelle: {{Literatur |Autor=Michael Dillon |Titel=Muslim communities in contemporary China: The resurgence of Islam after the Cultural Revolution |Sammelwerk=Journal of Islamic Studies |Band=5 |Nummer=1 |Datum=1994-01 |Seiten=70–101 |JSTOR=26196674}}).</ref> ([[Uigurische Sprache|uigurisch]]: ''Shärqiy Türkistan'' oder ''Sharki Turkistan'', zu Deutsch „Ostturkistan“<ref group="A" name="Ostturkestan">„Ostturkestan“ (oder die neuere politische Herrschaft widerspiegelnd: „Chinesisch-Turkestan“) war der gebräuchliche Name für die ausgedehnte Berg-, Wüsten- und Oasenregion östlich und nördlich des [[Tien Shan|Tien-Shan]]-Gebirges sowie östlich und nördlich des [[Pamir (Gebirge)|Pamir]]- und [[Kunlun]]-Gebirges, die das [[Tarim-Becken]] und die Region [[Dsungarei]] im Norden einschließt. (Quelle: {{Literatur |Autor=W. Barthold-[C. E. Bosworth] |Hrsg=P. J. Bearman, Th. Bianquis, C. E. Bosworth, E. van Donzel & W. P. Heinrichs |Titel=Turkistan |Sammelwerk=The Encyclopaedia of Islam. New Edition |Band=10 („T-U“) |Verlag=Brill |Ort=Leiden |Datum=2000 |ISBN=90-04-12761-5 |Seiten=679-680}}). Obwohl die Bezeichnungen „Ostturkestan“ und „Chinesisch-Turkestan“ auch für ganz Xinjiang benutzt werden, bezieht sich der Begriff „Chinesisch-Turkestan“ im eigentlichen Sinne nur auf das Tarim-Becken. (Quelle: {{Literatur |Autor=Larry W. Moses |Hrsg=Richard V. Weekes |Titel=Uygur |Sammelwerk=Muslim Peoples: A World Ethnographic Survey |Band=2 („Maba – Yoruk“) |Auflage=2 |Verlag=Greenwood Press |Ort=Westport/Connecticut |Datum=1984 |ISBN=0-313-24640-8 |Seiten=830-833}}) Während die Bezeichnung „Ostturkestan“ seit dem 19. Jahrhundert in der Wissenschaft gebräuchlich ist und sich bisweilen auch auf westlich ans heutige Xinjiang angrenzende Gebiete ausdehnt, ist die uigurische Entsprechung ''Shärqiy Türkistan'' für die uigurisch geprägten Landesteile, aus denen die uigurische Bevölkerung der Provinzhauptstadt Ürümqi zu großen Teilen stammt, in China aus politischen Gründen verboten. (Quelle: {{Internetquelle |autor=Paula Schrode |url=http://www.tethys.caoss.org/islam-und-religiose-praxis-in-ostturkestan/ |titel=Islam und religiöse Praxis in Ostturkestan |hrsg=tethys.caoss.org (Tehtys – Central Asia Everyday) |datum=2008-04-12 |abruf=2020-05-26}}). Ebenso wie der Begriff Ostturkestan ist auch der Begriff „Uiguristan“ (''Uyghuristan''), der von einigen uigurischen Aktivisten verwendet wird, in China offiziell verboten. Der einzige, in China zugelassene politische Begriff ist daher der mit der Bedeutung „neues Territorium“ behaftete Name ''Xinjiang''. (Quelle: {{Literatur |Autor=Nathan Light |Hrsg=William M. Clements |Titel=Uyghur Folklore |Sammelwerk=The Greenwood encyclopedia of world folklore and folklife |Band=2 (Southeast Asia and India, Central and East Asia, Middle East) |Verlag=Greenwood Press |Ort=Westport, Conn. |Datum=2006 |ISBN=0-313-32849-8 |Seiten=335–348 |Umfang=S. i-xviii, 1-482}}).</ref>) blieb auch nach der im 18. Jahrhundert durch China erfolgten [[Annexion]] hauptsächlich von turksprachigen Muslimen bevölkert, von denen die meisten zu den Uiguren (chinesisch: ''Hui Hui'', „schwarze Hui“<ref name="Glasse2001_CEI_p480">{{Literatur |Autor=Cyril Glassé |Titel=The concise encyclopædia of Islam: Revised edition |Verlag=Stacey International |Ort=London |Datum=2001 |ISBN=1-900988-06-2 |Seiten=480}}</ref><ref group="A" name="Hui">Zwar scheint sich die chinesische Bezeichnung ''Hui'' in ihrer frühesten Anwendung auf die uigurische Bevölkerung bezogen zu haben, doch änderte sich die Bedeutung in den frühen Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends, um die kulturellen, sprachlichen, religiösen und geografischen Merkmale der islamischen Welt begrifflich zu umfassen. (Quelle: {{Literatur |Autor=Dror Weil |Hrsg=Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson |Titel=Libraries of Arabic and Persian texts in late imperial China |Sammelwerk=Encyclopaedia of Islam, THREE |Verlag=Brill |Datum=2020 |Sprache=en |Kommentar=Erste Online-Veröffentlichung: 2018, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-41346-7, 2020, 2020-4. Abgerufen am 29. Mai 2020. |DOI=10.1163/1573-3912_ei3_COM_35858}}) Obwohl der Name Hui also eine Ableitung vom Namen ''Uigure'' ist, bezeichnet er ein Volk, das ethnisch eher den Han-Chinesen als den Turkvölkern zuzuordnen ist und zum größten Teil außerhalb von Xinjang lebt. (Quelle: {{Literatur |Autor=Cyril Glassé |Titel=The concise encyclopædia of Islam: Revised edition |Verlag=Stacey International |Ort=London |Datum=2001 |ISBN=1-900988-06-2 |Kapitel=Stichwort: „Xinjiang“ |Seiten=480}}). Aufzeichnungen aus der [[Song-Dynastie#Nördliche Song 960–1126|Dynastie der Nördlichen Song]] erwähnen den Namen Hui als Kurzform der Gruppe Huihui, den Vorfahren der heutigen Uiguren. Dagegen erhielten die Hui ihren Namen nicht aufgrund von Abstammung, sondern weil sie als Muslime eine ähnliche Religion wie die ebenfalls muslimischen und Huihui genannten Vorfahren der Uiguren hatten. Als Vorfahren der Hui vermutet man hingegen [[Araber|arabische]], [[Iran|persische]] und [[Mongolen|mongolische]] Einflüsse. ({{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=293}})</ref> ) gehörten.<ref name="Castets2003_ChinaPerspectives_49_34-48" /> Trotz einer langen Geschichte des Austauschs mit China erhielten sich diese Menschen vor allem durch kulturelle und religiöse Bande die Verbundenheit mit der zentralasiatischen Welt.<ref name="Castets2003_ChinaPerspectives_49_34-48">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=The Uyghurs in Xinjiang – The Malaise Grows: After September 11th 2001, the Chinese regime strove to include its repression of Uyghur opposition within the international dynamic of the struggle against Islamic terrorist networks |Sammelwerk=China Perspectives |Band=49 |Datum=2003 |Seiten=34–48 |Online=[https://journals.openedition.org/chinaperspectives/648 online] |DOI=10.4000/chinaperspectives.648}} Veröffentlicht am 1. Oktober 2003, online seit 17. Januar 2007. Übersetzung aus dem französischen Original: Philip Liddell. Französisches Original: {{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Le nationalisme ouïghour au Xinjiang: expressions identitaires et politiques d’un mal-être. Après le 11 septembre 2001, le régime chinois s’est efforcé d’insérer la répression de l’opposition ouïghoure dans la dynamique internationale de lutte contre les réseaux terroristes islamistes |Sammelwerk=Perspectives chinoises |Band=78 |Nummer=1 |Datum=2003 |Seiten=34–48 |Online=[https://journals.openedition.org/perspectiveschinoises/156 online]}}</ref> Die Uiguren bildeten seit langem die Mehrheitsbevölkerung in Xinjiang, wo sie ihren Lebensunterhalt als Kaufleute und [[Oase]]nbauern bestritten.<ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601" /><ref name="cfDePlanhol_1975_S23f">cf. {{Literatur |Autor=Xavier de Planhol |Titel=Kulturgeographische Grundlagen der islamischen Geschichte |Reihe=Die Bibliothek des Morgenlandes – Gegründet von G. E. von Grunebaum |HrsgReihe=J. van Ess |Verlag=Artemis |Ort=Zürich & München |Datum=1975 |ISBN=3-7608-4522-3 |Seiten=23 f. |Originaltitel=Les fondements géographiques de l'histoire de l'islam |Originalsprache=fr |Originaljahr=1968 |Originalort=Paris |Übersetzer=[[Heinz Halm]]}}</ref><ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /> Bereits seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts hatten die Uiguren allmählich die Oasen des [[Tarimbecken]]s [[Türkisierung|türkisiert]], das das Zentrum einer [[Sesshaftigkeit|sesshaften]] [[Indogermanische Sprachen|indo-europäischen]] [[Zivilisation]] gewesen war.<ref name="DePlanhol_1975_S233">cf. {{Literatur |Autor=Xavier de Planhol |Titel=Kulturgeographische Grundlagen der islamischen Geschichte |Reihe=Die Bibliothek des Morgenlandes – Gegründet von G. E. von Grunebaum |HrsgReihe=J. van Ess |Verlag=Artemis |Ort=Zürich & München |Datum=1975 |ISBN=3-7608-4522-3 |Seiten=233 |Originaltitel=Les fondements géographiques de l'histoire de l'islam |Originalsprache=fr |Originaljahr=1968 |Originalort=Paris |Übersetzer=Heinz Halm}}</ref> Als sie im Verlauf des 9. Jahrhunderts in Ostturkistan, vorwiegend im Turpangebiet, ansässig wurden, assimilierten sie sich an die in dieser Region herrschenden Verhältnisse und wurden allmählich endgültig sesshaft, zuerst und hauptsächlich in den Oasen.<ref name="Zieme7975_AF_3_JG_109-143">{{Literatur |Autor=Peter Zieme |Titel=Ein uigurischer Erntesegen |Sammelwerk=Altorientalische Forschungen |Band=3 |Nummer=JG |Datum=1975 |ISSN=2196-6761 <!-- |Seiten=109–143 |DOI=10.1524/aofo.1975.3.jg.109 |Format=PDF |KBytes=1100-->}}</ref>

Traditionell teilten sich die verschiedenen turksprachigen Gemeinden die unterschiedlichen Bewirtschaftungsnischen in der Region: Während sesshafte Uiguren die Oasen im Süden des [[Tian Shan|Tian-Shan]]-Gebirges – und damit die Oasen des [[Tarimbecken|Tarim-]], [[Turpan]]- und [[Kumul|Kumul-]]Beckens – bevölkerten, bildeten die [[Tian Shan|Tian-Shan]]-Gebirgskette und die Steppen im Norden die Heimat der [[Kasachen|kasachischen]] und [[Kirgisen|kirgisischen]] [[Nomaden]].<ref name="Castets2003_ChinaPerspectives_49_34-48" /><ref name="cfWest2009_EPAO_p437">Cf. {{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=437}}</ref><ref group="A" name="UigurenVsGöktürk-Oguz">In Bezug auf die Antike findet der Name „Uiguren“ oft Verwendung, um die turksprachigen Zentralasiaten, die zur Bewirtschaftung der Oasen um diese herum sesshaft wurden und Städte gründeten, von den Stammesföderationen der [[Kök-Türken|Gök-Türken]] und [[Oghusen|Oğuzen]] zu unterscheiden, die größtenteils [[Nomadismus|nomadisch]] blieben. (Quelle: {{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=848}}) Nachdem die Göktürken („Himmelstürken“) in einer ersten Phase (682–742) noch frei durch die mongolische Steppe gestreift waren, wurde in der darauffolgenden Phase (742–840) die [[Sesshaftigkeit|Sedentarisation]] durch Heirat der [[Adel|Vornehmen]] mit chinesischen Frauen und der Handel mit China über [[Altweltkamele#Altweltkamele in der Kultur|Kamel]]-[[Karawane]]n eingeleitet. Nachdem die Uiguren Stadtbewohner, Kaufleute und Osasenbauern geworden waren, verlor die Steppe mit der Zeit an Bedeutung und die als heilig verehrte ''yayla'' (Sommerweidegebiet der Nomaden in den Hochländern und Gebirgen) von [[Ötüken|Otüken]] wurde von [[Kirgisen]] in Besitz genommen. {{Literatur |Autor=Xavier de Planhol |Titel=Kulturgeographische Grundlagen der islamischen Geschichte |Reihe=Die Bibliothek des Morgenlandes – Gegründet von G. E. von Grunebaum |HrsgReihe=J. van Ess |Verlag=Artemis |Ort=Zürich & München |Datum=1975 |ISBN=3-7608-4522-3 |Seiten=23 f. |Originaltitel=Les fondements géographiques de l'histoire de l'islam |Originalsprache=fr |Originaljahr=1968 |Originalort=Paris |Übersetzer=Heinz Halm}}</ref><ref group="A" name="MongolTadschikUsebekTatarHanManschuHui">Neben diesen turksprachigen Bevölkerungsgruppen lebten auch die nomadischen [[Mongolen]] im Norden und Osten, eine [[Tadschiken|tadschikische]] Gemeinde im [[Pamir (Gebirge)|Pamir]]-Gebirge und einige [[Usbeken|usbekische]] und [[Tataren|tatarische]] Händler in den großen Oasen. Nachdem die Region von der [[Qing-Dynastie]] erobert wurde, kamen Han-Chinesen zur Besiedlung in die Region und die [[Mandschu|mandschurische]] Bevölkerung wurde [[Demobilisation|demobilisiert]] oder dorthin entsandt, um die Kontrolle über den Norden der Provinz und über die chinesischen Muslime ([[Hui-Chinesen|Hui]]) zu gewährleisten (Quelle: {{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=The Uyghurs in Xinjiang – The Malaise Grows: After September 11th 2001, the Chinese regime strove to include its repression of Uyghur opposition within the international dynamic of the struggle against Islamic terrorist networks |Sammelwerk=China Perspectives |Band=49 |Datum=2003 |Seiten=34–48 |Online=[https://journals.openedition.org/chinaperspectives/648 online] |DOI=10.4000/chinaperspectives.648}} Veröffentlicht am 1. Oktober 2003, online seit 17. Januar 2007. Übersetzung aus dem französischen Original: Philip Liddell. Französisches Original: {{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Le nationalisme ouïghour au Xinjiang: expressions identitaires et politiques d’un mal-être. Après le 11 septembre 2001, le régime chinois s’est efforcé d’insérer la répression de l’opposition ouïghoure dans la dynamique internationale de lutte contre les réseaux terroristes islamistes |Sammelwerk=Perspectives chinoises |Band=78 |Nummer=1 |Datum=2003 |Seiten=34–48 |Online=[https://journals.openedition.org/perspectiveschinoises/156 online]}}).</ref>

Nach der Eroberung Ostturkestans durch [[Qing-Dynastie|Qing-China]] im Jahr 1759 hatte die Qing-Regierung sechstausend uigurische Familien aus verschiedenen Städten der Region Kaxgar, die sich den Invasoren besonders hartnäckig widersetzt hatten, in den [[Ili|Ili-Bezirk]] ([[Dsungarei]]) umgesiedelt. Auf diese Weise war eine neue Ili- oder Gulja-Gruppe von Uiguren geschaffen worden. Im Jahr 1884 hatte China dann den Ili-Bezirk in die damals neue Militärverwaltungsregion Xinjiang eingegliedert, und im Laufe der Zeit war der Name „Xinjiang“ zur Bezeichnung für die gesamte Region Ostturkestan festgelegt geworden.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24">{{Literatur |Autor=Risalat U. Karimova |Titel=On History of Cultural Traditions Transformation: Arts and Crafts of the Uyghurs of Kazakhstan |Sammelwerk=Oriente Moderno, Nuova Serie |Band=96 |Nummer=1 |Verlag=Istituto per l'Oriente C. A. Nallino |Datum=2016 |Seiten=3–24 |JSTOR=44280758}}</ref>

===== Heutige Verbreitung der Uiguren =====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = „Uigurischer“ Süden und „kasachischer“ Norden Xinjiangs
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 | Bild1       = Seidenstrasse GMT Ausschnitt Zentralasien.jpg
 | Untertitel1 = Bis heute leben Uiguren in den Oasen entlang der alten nördlichen und südlichen Seidenstraße (gelb) um das Tarimbecken herum<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" /><ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
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 | Untertitel2 = Im Bezirk Ili in der Dsungarei leben heute drei Viertel der Kasachen Xinjiangs<ref name="Mackerras2004_HAQ_8_1_p4-14" />
}}
Auch in jüngerer Zeit leben die Uiguren Chinas in und nahe bei den vielen Oasen, die entlang der von [[Dunhuang]] nach Kaxgar abzweigenden Routen der alten nördlichen und südlichen Seidenstraße um das Tarim-Becken in Xinjiang herum verstreut sind,<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" /><ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> insbesondere in den Städten [[Kaxgar (Stadt)|Kaxgar]] (auch: Kashgar, Kaschgar, chin. ''Kashi''), [[Yarkant]] (auch: Yarkand, chin. ''Shache''), [[Hotan (Stadt)|Hotan]] (auch: Khotan, chin. ''Hetian''), [[Aksu (Stadt)|Aksu]] (auch: Aqsu), [[Kuqa]] (auch: Kucha, Kutscha), [[Korla (Bayingolin)|Korla]] und weiter östlich in [[Turpan]] (auch: Turfan) und [[Kumul]] (auch: Qumul, chin. Hami) und in den umliegenden Dörfern.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> In heutiger Zeit wird Kaxgar als kulturelles Zenztrum der Uiguren betrachtet. Oftmals wird auch die gesamte Oase, in der sich die Stadt befindet, oder gar die gesamte Region des östlichen Tarim-Beckens als „Kaxgar“ angesprochen.<ref name="Thum_THREE_Kashgar" />

Nördlich des Tarim-Beckens leben Uiguren in Oasen an den Nord- und Südhängen des Tian-Shan-Gebirges und zu beiden Seiten des [[Bogda Shan|Bogda-Shan]]-Gebirges, das Turpan vom Norden Xinjiangs trennt.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" /> Nördlich des Tian-Shan-Gebirges (auch: ''Tangri Tagh'') leben Uiguren in [[Ürümqi]] (auch: Urumtschi, chin. Wūlǔmùqí) und [[Gulja (Stadt)|Gulja]] (auch: Kuldscha, Ghulja, chin. Yining) und in der umliegenden landwirtschaftlichen Umgebung.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

Südlich der Taklamakan-Wüste besiedeln Uiguren die Nordhänge des [[Kunlun]]-Gebirges. Eine ziemlich große Gruppe hat ihren Siedlungsschwerpunkt in Dörfern westlich der Wüsten- und Sumpflandschaft des Lop Nur.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" /> Die das Tarimbecken und die Wüste [[Taklamakan]] umgebenden Oasenstädte sind bis heute (Stand: 2008) vorwiegend uigurisch geprägt.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" />

Einige Uiguren sind in die im Norden Xinjiangs Gebiete gelegenen Gebiete um das [[Dsungarei|Dsungarische Becken]] gezogen und leben in Städten in den Regionen [[Tarbagataigebirge|Tarbagatai]] und [[Altai]].<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

Im Gegensatz zum Tarimbecken und der Taklamakan-Wüste ist der Norden Xinjiangs auch heute noch kasachisch besiedelt, wobei 75 % der Kasachen (Stand: 2004 oder früher) im [[Kasachischer Autonomer Bezirk Ili|Kasachischen Autonomen Bezirk Ili]] leben.<ref name="Mackerras2004_HAQ_8_1_p4-14" />

===== Sinisierung Xinjiangs =====
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 | Kopfzeile   = Proportionale demographische Verschiebung des Bevölkerungsanteils der Han-Chinesen gegenüber dem der Uiguren in Xinjiang
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 | Bild1       = Xinjiang Demographic.jpg
 | Untertitel1 = 1952 bis 2004 (Uiguren in dunkelblau, Han-Chinesen in rot)
 | Bild2       = Proportionale Verschiebung zwischen han-chinesischer und uigurischer Bevölkerung in Xinjiang von 1944 bis 2000.png
 | Untertitel2 = 1944 bis 2000 (nach Berechnungen von Anwar Rahman, 2005)<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap10_p135fuTable15" />
 | Fußzeile    = '''Bild rechts''': Für 1999 und 2000 wurden den Han-Chinesen die Arbeiter aus chinesischen Inlandprovinzen zugerechnet, die zur wirtschaftlichen Ausbeutung von Ressourcenfeldern in Xinjiang leben, aber unter die Gerichtsbarkeit der chinesischen Zentralbehörden fallen, also bei der Volkszählung in Xinjiang unberücksichtigt blieben. Im Jahr 1998 betrug ihre Anzahl 1126500 Menschen (bestätigt vom Xinjiang Statistical Year Book, 1999).<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap10_p135fuTable15">{{Literatur |Autor=Anwar Rahman |Titel=Sinicization Beyond the Great Wall: China's Xinjiang Uighur Autonomous Region |Verlag=Matador (Troubador Publishing) |Ort=Leicester |Datum=2005 |ISBN=1-904744-88-5 |Kapitel=Chapter 10.: Demographic Reversal |Seiten=131–140 |Fundstelle=S. 135 f., Table 15 (''Proportional change between Han and Uighur populations in Xinjiang from 1944 to 2000'')}}</ref>
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|caption = '''Bevölkerungswachstum in Xinjiang und im [[Xinjiang Produktions- und Aufbau-Korps]] (XPCC)'''<br /><small>Quelle: The National Bureau of Statistics</small><ref name="scmp.com_2021-05-12_XPJ">{{Internetquelle |autor=Sidney Leng, Cissy Zhou |url=https://www.scmp.com/economy/global-economy/article/3133228/china-census-xinjiangs-population-jumps-183-cent-over-past |titel=China census: Xinjiang’s population jumps 18.3 per cent over past decade as sprawling XPCC conglomerate expands operations |titelerg=Xinjiang has one of the fastest growing populations in China, jumping 18.3 per cent between 2010 and 2020. The sprawling Xinjiang Production and Construction Corps (XPCC) has been a major driver of population growth, employing 3.25 million people in 2019 |werk=scmp.com |datum=2021-05-12 |abruf=2021-06-15}}</ref>
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Der noch immer vorherrschenden uigurischen Prägung in der Region wirkt die kontinuierlich voranschreitende [[Sinisierung]] (uigurisch: ''chinlashturush'') entgegen, die insbesondere aus dem Zuzug von [[Han (Ethnie)|Han-Chinesen]] (auch: Han; oder: ethnische Chinesen) resultiert, der von staatlicher Seite forciert wird. Infolge dieser Politik lösten die Han-Chinesen laut offiziellen Quellen die Uiguren als größte ethnische Gruppe Xinjiangs ab (Stand: 2008).<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Waren im Jahr 1949 noch 75 % der Einwohner Xinjiangs Uiguren und lediglich 6 % ethnische Han-Chinesen (nach anderen Angaben: vor 1953 4,94 % Han-Chinesen<ref name="Lin_EoI_SE_OL_Sinkiang" /><ref name="LinInBosworthEtAl1997_EOI_09_648-650" />), so waren Anfang der 2010er Jahre von den 22 Millionen Einwohnern der Region bereits 45 % Han-Chinesen, während der Anteil der Uiguren auf 40 % gesunken war.<ref name="Castets2018_LGDD_45_92-95">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Le Xinjiang: entre enjeux stratégiques et risque sécuritaire |Sammelwerk=Les Grands Dossiers de Diplomatie, Areion Group, Paris |Nummer=45 ''(Géopolitique de la Chine)'' |Datum=2018-06 |ISSN=2115-256X |Seiten=92–95 |Online=[https://www.pressreader.com/france/les-grands-dossiers-de-diplomatie/20180601/281629601285779 online]}}</ref><ref name="Castets_monde-diplomatique-fr_2019-03" /><ref name="spiegel-de_2018-07-26_SSU">{{Internetquelle |autor=Bernhard Zand |url=https://www.spiegel.de/international/world/china-s-xinjiang-province-a-surveillance-state-unlike-any-the-world-has-ever-seen-a-1220174.html |titel=China's Xinjiang Province: A Surveillance State Unlike Any the World Has Ever Seen |titelerg=In western China, Beijing is using the most modern means available to control its Uighur minority. Tens of thousands have disappeared into re-education camps. A journey to an eerily quiet region |hrsg=[[Spiegel.de|Spiegel Online]] |datum=2018-07-26 |abruf=2020-05-28 |sprache=en}}</ref> 

Laut chinesischen Staatsmedien legte das regionale Statistikamt (''Xinjiang statistics bureau'') am 14. Juni 2021 neue Census-Daten der siebten Volkszählung vor, nach denen von den mit Stand von Oktober 2020 nunmehr insgesamt 25,85 Millionen ständigen Einwohnern Xinjiangs 42,24 % (10,92 Millionen) der ethnischen Gruppe der Han-Chinesen angehörten, während 44,96 % (11,62 Millionen) auf die Uiguren als größte ethnische Gruppe der Region fielen, deren Anzahl damit gegenüber der sechsten Volkszählung im Jahr 2010 um 16,2 % (1,62 Millionen) gestiegen war.<ref name="german.china.org.cn_2021-06-15_BXU">{{Internetquelle |url=http://german.china.org.cn/txt/2021-06/15/content_77568721.htm |titel=Volkszählung: Bevölkerung Xinjiangs um 18,5 Prozent in vergangenen zehn Jahren gestiegen |titelerg=Die Bevölkerung des nordwestchinesischen Uigurischen Autonomen Gebietes Xinjiang der Uigur ist von 2010 bis 2020 um 18,52 Prozent gestiegen, wie die siebte Volkszählung des Landes ergab |werk=german.china.org.cn |datum=2021-06-15 |abruf=2021-06-15}}</ref><ref name="chinadaily.com.cn_2021-06-15_XPS">{{Internetquelle |autor=Xing Wen, Mao Weihua |url=http://www.chinadaily.com.cn/a/202106/15/WS60c7e417a31024ad0bac6a92.html |titel=Xinjiang's population sees stable increase over past decade |werk=chinadaily.com.cn |datum=2021-06-15 |abruf=2021-06-15}} (China Daily)</ref><ref name="cfglobaltimes.cn_2021-09-26_CRF">Vgl.: {{Internetquelle |autor=Liu Xin |url=https://www.globaltimes.cn/page/202109/1235140.shtml |titel=China releases first white paper specifically on Xinjiang population |titelerg=Minority groups’ population rises over 10m in 60 years, refuting West’s hype |werk=globaltimes.cn |datum=2021-09-26 |abruf=2021-10-22}}</ref><ref name="cfscio.gov.cn_2021-09-26">Vgl.: {{Internetquelle |url=http://www.scio.gov.cn/zfbps/32832/Document/1713594/1713594.htm |titel=Full Text: Xinjiang Population Dynamics and Data |titelerg=Xinjiang Population Dynamics and Data: The State Council Information Office of the People’s Republic of China: September 2021 |werk=scio.gov.cn (国务院新闻办公室网站) /中华人民共和国国务院新闻办公室 (The State Council Information Office of the People’s Republic of China)|datum=2021-09-26 |abruf=2021-10-22}} (Quelle:国新网)</ref> Auch laut einem im September 2021 vom Informationsbüro des chinesischen Staatsrats veröffentlichten [[Weißbuch|Whitebook]], das speziell die Bevölkerung Xinjiangs behandelt, zeigten vorläufige Daten der im Jahr 2020 durchgeführten, siebten landesweiten Volkszählung Chinas, dass die Bevölkerung in den zehn Jahren seit der sechsten Volkszählung um 4,04 Millionen,<ref name="scio.gov.cn_2021-09-26_XPD">{{Internetquelle |url=http://www.scio.gov.cn/zfbps/32832/Document/1713594/1713594.htm |titel=Full Text: Xinjiang Population Dynamics and Data |titelerg=Xinjiang Population Dynamics and Data: The State Council Information Office of the People’s Republic of China: September 2021 |werk=scio.gov.cn (国务院新闻办公室网站) /中华人民共和国国务院新闻办公室 (The State Council Information Office of the People’s Republic of China)|datum=2021-09-26 |abruf=2021-10-22}} (Quelle:国新网)</ref><ref name="globaltimes.cn_2021-09-26_CRF">{{Internetquelle |autor=Liu Xin |url=https://www.globaltimes.cn/page/202109/1235140.shtml |titel=China releases first white paper specifically on Xinjiang population |titelerg=Minority groups’ population rises over 10m in 60 years, refuting West’s hype |werk=globaltimes.cn |datum=2021-09-26 |abruf=2021-10-22}}</ref> von denen 14,93 Millionen zu ethnischen Minoritäten zählten.<ref name="globaltimes.cn_2021-09-26_CRF" /> Von 2000 bis 2020 hat sich somit das Bevölkerungswachstum in Xinjiang verlangsamt, lag aber dem Whitebook zufolge weiterhin um 1,15 Prozentpunkte über dem nationalen Durchschnitt der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (Compound annual growth rate, CAGR).<ref name="scio.gov.cn_2021-09-26_XPD" /> In den Präfekturen Kaxgar, Hotan, Aksu und Kizilsu lebten nach den vorläufigen Daten 74,01 Prozent der uigurischen Gesamtbevölkerung Xinjiangs, die in diesen vier Präfekturen Südxinjiangs 83,74 Prozent der Gesamtbevölkerung stellten.<ref name="scio.gov.cn_2021-09-26_XPD" /><ref name="globaltimes.cn_2021-09-26_CRF" /> In Kaxgar und Hotan hatte die uigurische Bevölkerung den Daten zufolge die Anzahl von 2 Millionen überschritten und sich in Aksu dieser Marke angenähert.<ref name="scio.gov.cn_2021-09-26_XPD" />

Nach Gründung der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang kam es seit den 1950er Jahren zu einer sehr umfangreichen [[Immigration]] von Han-Chinesen nach Xinjiang.<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /><ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /> Die kommunistische Regierung entsandte ab 1953 die Massenwellen von Han-Siedlern nach Xinjiang, um die Region zu sinisieren und unter Kontrolle zu behalten.<ref name="Lin_EoI_SE_OL_Sinkiang" /><ref name="LinInBosworthEtAl1997_EOI_09_648-650" /> Ein wichtiges Instrument für diese Migration war das [[Xinjiang Produktions- und Konstruktions-Corps|Produktions- und Aufbaukorps]] (''shengchan jianshe bingtuan'' 生产建设兵团; abgekürzt: XPCC oder ''Bingtuan''), das 1954 aus demobilisierten Han-Truppen gegründet wurde.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /><ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97">{{Literatur |Autor=Björn Alpermann |Titel=Tibeter und Uiguren in China: Minderheitenpolitik und Widerstand |Sammelwerk=China heute |Band=35 |Nummer=2 (190) |Datum=2016 |ISSN=0932-6855 |Seiten=87–97 |Online=[http://www.china-zentrum.de/fileadmin/downloads/china-heute/2016/China_heute_190_Bjoern_Alpermann_-_Tibeter_und_Uiguren_in_China_-_Minderheitenpolitik_und_Widerstand.pdf Online] |Format=PDF |KBytes=}}</ref> Dieses militärisch organisierte und auf Landwirtschaft ausgerichtete, korporale Instrument wurde für ökonomische, administrative und sicherheitspolitische Aufgaben eingerichtet, und sollte alle Arten wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung unterstützen, die Landesverteidigung in dem sensiblen Grenzgebiet stärken<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /><ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" /><ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX">{{Internetquelle |autor=Kristin Shi-Kupfer |url=https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54592/china-xinjiang |titel=China – Xinjiang |titelerg=Durch einen massiven Ausbau des Sicherheitsapparats und Repression hat die chinesische Führung gewalttätige Attacken gegen Han-Chinesen und staatliche Einrichtungen eingedämmt. Seit Beginn des Jahres 2017 greift die lokale Regierung massiv in die Lebensgestaltung der muslimischen Uiguren ein |archiv-url=https://web.archive.org/web/20180109004524/https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54592/china-xinjiang |archiv-datum=2018-01-09 |offline=2021-03-10_NeueVersion |hrsg=[[Bundeszentrale für politische Bildung|bpb.de]] |datum=2017-12-17 |abruf=2020-06-13}}</ref> und die Kontrolle über die Uiguren sicherstellen.<ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" /> Seine vorwiegend (im Jahr 2014: 86,1 %) han-chinesischen Mitglieder, genießen Sonderkonditionen und sind besser gestellt als der überwiegende Rest der Bevölkerung Xinjiangs.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /><ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" /><ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" /> Vor 1953 hatten die Han-Chinesen in Xinjiang nur einen Anteil von 4,94 % an der Bevölkerung, während die Uiguren 75,42 % der Bevölkerung ausmachten.<ref name="Lin_EoI_SE_OL_Sinkiang" /><ref name="LinInBosworthEtAl1997_EOI_09_648-650" /> Im Jahr 1949 hatte der Anteil der Uiguren in Xinjiang 75 % betragen.<ref name="CastetsInGilquin2010_p289-312" /><ref name="Castets2003_ChinaPerspectives_49_34-48" /> Der Anteil an Han-Chinesen im Jahr 1949 in Xinjiang wird mit 5 % angegeben.<ref name="Thum_THREE_Kashgar" /> 1953 gab es 4,54 Millionen Angehörige nationaler Minderheiten in Xinjiang. Laut der Volkszählung aus diesem Jahr zählte man davon 3,64 Millionen zu den Uiguren.<ref>{{Literatur |Autor=George B. Cressey |Titel=The 1953 Census of China |Sammelwerk=[[The Far Eastern Quarterly]] |Band=14 |Nummer=3 |Datum=1955 |Seiten=387–388 |DOI=10.2307/2942333}}</ref> Der Anteil der Han-Chinesen in Xinjiang betrug im Jahr 1953 weit unter 10 %.<ref name="CastetsInJaffrelotEtLequesne2009_MIC_p73-84" /> Im Jahr 1964 war der Anteil der Han-Chinesen in Xinjiang bereits auf über 30 % gestiegen.<ref name="CastetsInJaffrelotEtLequesne2009_MIC_p73-84" /> Der Anteil der Uiguren in Xinjiang betrug 1964 noch 54 %.<ref name="CastetsInGilquin2010_p289-312" /><ref name="Castets2003_ChinaPerspectives_49_34-48" /> Die Einwanderung der Han-Chinesen nach Xinjiang ab den 1950er Jahren hielt bis in die 1970er Jahre an und erreichte im Jahr 1978 einen Höhepunkt.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /> Bei der Volkszählung von 1982 war der Bevölkerungsanteil der Han-Chinesen dann auf 41 % gestiegen, während der Anteil der Uiguren auf 45,48 % gefallen war. Dies führte indirekt zu einer Entislamisierung in Xinjiang.<ref name="Lin_EoI_SE_OL_Sinkiang" /><ref name="LinInBosworthEtAl1997_EOI_09_648-650" /> Seit 1982 schwankt der Anteil der Han-Chinesen etwas nach oben und unten.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /> Besonders ausgeprägt war der Zustrom der Han-Chinesen nach Xinjiang nach 1990.<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /> Im späten 20. Jahrhundert<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /> und im Jahr 2000 betrug der Anteil der Han-Chinesen in Xinjiang mit rund 7,5 Millionen Han-Einwohnern etwa 40 %.<ref name="CastetsInJaffrelotEtLequesne2009_MIC_p73-84" /> Die Han-chinesischen Einwanderer kamen besonders aus den östlicher gelegenen Provinzen [[Sichuan]], [[Henan]] und [[Gansu]], in geringerem Maße auch aus [[Shaanxi]] und [[Anhui]].<ref name="CastetsInJaffrelotEtLequesne2009_MIC_p73-84">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Hrsg=Christophe Jaffrelot, Christian Lequesne |Titel=Migrations intérieures et colonisation dans le Grand Ouest de la Chine |Sammelwerk=L’Enjeu mondial: Les migrations |Verlag=Presses de Sciences Po-L’Express |Ort=Paris |Datum=2009 |ISBN=978-2-7246-1131-1 |Seiten=73-84}}</ref> Im Jahr 2004 machten die Uiguren mit 19,6 Millionen Einwohnern 45,7 % der Bevölkerung in Xinjiang aus.<ref name="CastetsInGilquin2010_p289-312" /><ref name="Castets2003_ChinaPerspectives_49_34-48" /> Als Ergebnis der aggressiven Siedlerpolitik der chinesischen Regierung seit 1949 lag der Anteil der Han-Chinesen in Xinjiang somit im Jahr 2010 bei rund 40 %.<ref name="Thum_THREE_Kashgar" /><ref name="Castets2015_QI_75_p105-109">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=La Chine face au terrorisme islamique |Sammelwerk=Questions internationales / La Documentation française, Paris |Nummer=75 (Les nouveaux espaces du jihadisme) |Datum=2015 |ISSN=1761-7146 |Seiten=105–109 |Online=[https://www.vie-publique.fr/catalogue/23183-les-nouveaux-espaces-du-jihadisme online]}}</ref> In dem Jahrzehnt zwischen 2010 und 2020 war das die Wirtschaft Xinjiangs dominierende XPCC ein wichtiger Motor des Bevölkerungswachstums der Region.<ref name="scmp.com_2021-05-12_XPJ" />

Außerhalb von China lebende Uigurengruppen behaupten, dass sich fast alle Han-Chinesen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Xinjiang niedergelassen haben, was den Prozentsatz von ursprünglich 4 % auf den heutigen Wert erhöht habe.<ref name="Glasse2001_CEI_p480" />
<div style="clear:both;" class="NavFrame">
<div class="NavHead" style="text-align:center;">Tabellen: Bevölkerungswachstum der Uiguren in Xinjiang (1953–2020), Anteil der Han-Chinesen in Xinjiang (1953–2010) und demographische Entwicklung der Uiguren in Xinjiang (1949–2004)</div>
<div class="NavContent" style="text-align:left">
<div style="float:right; margin-left:4em;">
{| class="wikitable" style="float:right;"
|+Demographische Entwicklung der Uiguren<br />in Xinjiang zwischen 1949 und 2004<br />(in Millionen Menschen)<ref name="CastetsInGilquin2010_p289-312">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Hrsg=Michel Gilquin |Titel=Les musulmans du Xinjiang |Sammelwerk=Atlas des minorités musulmanes en Asie méridionale et orientale |Verlag=CNRS éditions |Ort=Paris |Datum=2010 |ISBN=978-2-271-06892-7 |Seiten=289-312}} Dort mit Quellenhinweis: "Fenjin de sishi nian: 1949–1989, Xinjiang fenci (The advancing 40 years. 1949–1989. Xinjiang volume). Urumchi. Zhongguo tongji chubanshe, 1989, S. 332; 2005 Xinjiang tongji nianjian. op. cit., S. 107, 109."</ref><ref name="Castets2003_ChinaPerspectives_49_34-48_Tab1">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=The Uyghurs in Xinjiang – The Malaise Grows: After September 11th 2001, the Chinese regime strove to include its repression of Uyghur opposition within the international dynamic of the struggle against Islamic terrorist networks |Sammelwerk=China Perspectives |Band=49 |Datum=2003 |Seiten=34–48 |Fundstelle=hier: Table 1 ''(Demographic strength of the main Xinjiang nationalities)'' |Online=[https://journals.openedition.org/chinaperspectives/648 online] |DOI=10.4000/chinaperspectives.648}} Veröffentlicht am 1. Oktober 2003, online seit 17. Januar 2007. Übersetzung aus dem französischen Original: Philip Liddell. Dort mit Quellenhinweis: "Source: Fenjin de sishi nian: 1949–1989. Xinjiang fenci (The advancing 40 years. 1949–1989. Xinjiang Volume), Zhongguo tongji chubanshe, Urumchi, 1989, S. 332; 2002 Xinjiang tongji nianjian (Xinjiang Statistical Yearbook), Pékin, Zhongguo tongji chubanshe, 2002, pp. 107, 109."</ref><ref name="Castets2004_LEdCERI_110_Tab1">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Opposition politique, nationalisme et islam chez les Ouïghours du Xinjiang |Sammelwerk=Les études du CERI |Nummer=110 |Datum=2004-10 |Seiten=1–45 |Fundstelle=hier: S. 44 |Kommentar=Tableau 1 ''Evolution démographique des principales nationalités au Xinjiang entre 1949 et 2000 (en milliers de personnes)'' |Online=[https://www.sciencespo.fr/ceri/fr/content/opposition-politique-nationalisme-et-islam-chez-les-ouighours-du-xinjiang online]}} Dort mit Quellenhinweis: "Source : Fenjin de sishi nian : 1949–1989. Xinjiang fenci (The advancing 40 years. 1949–1989. Xinjiang volume), Urumchi, Zhongguo tongji chubanshe, 1989, S. 332; 2002 Xinjiang tongji nianjian (Annuaire statistique du Xinjiang), Pékin, Zhongguo tongji chubanshe, 2002, pp. 107, 109."</ref><ref name="Castets2006_p264_Tab1">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Entre colonisation et développement du Grand Ouest : impact des stratégies de contrôle démographique et économique au Xinjiang |Sammelwerk=Outre-terre |Band=3 |Nummer=16 |Datum=2006 |Seiten=257–272 |Fundstelle=hier: S. 264 |Kommentar=Tableau 1 ''Évolution démographique des principales nationalités au Xinjiang entre 1949 et 2004'' |Online=[https://www.sciencespo.fr/ceri/fr/content/opposition-politique-nationalisme-et-islam-chez-les-ouighours-du-xinjiang online] |DOI=10.3917/oute.016.0257}} Dort mit Quellenhinweis: "Source : Fenjin de sishi nian : 1949–1989. Xinjiang fenci (The advancing 40 years, 1949–1989. Xinjiang volume), remqi, Zhongguo tongji chubanshe, 1989, S. 332; 2005 Xinjiang tongji nianjian, op. cit., S. 107, 109."</ref>
|-
! Jahr!! Bevölkerung/<br />Insgesamt !! Bevölkerung/<br />Uiguren !! Anteil der Uiguren<br />an Gesamtbevölkerung
|-
| 1949 || {{0}}4,330 || 3,291 || 75%{{0|,0}}
|-
| 1964 || {{0}}7,440 || 4,020 || 54%{{0|,0}}
|-
| 1982 || 13,082 || 5,950 || 45,5%
|-
| 1990 || 15,291 || 7,249 || 47,4%
|-
| 2000 || 18,494 || 8,523 || 46,1%
|-
| 2004 || 19,631 || 8,976 || 45,7%
|}
{| class="wikitable" style="float:right; margin-right:1em;"
|+ Anteil der Han-Chinesen<br />in Xinjiang 1953–2010<br />(nach Volkszählungen)<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" />
|-
! Jahr!! Anteil der Han-Chinesen<br />an Gesamtbevölkerung
|-
| 1953 || {{0}}6,94 %
|-
| 1964 || 31,93 %
|-
| 1982 || 40,41 %
|-
| 1990 || 37,58 %
|-
| 2000 || 40,57 %
|-
| 2010 || 40,11 %
|}
{| class="wikitable" style="float:right; margin-right:1em;"
|+ Bevölkerungswachstum der Uiguren<br />in Xinjiang 1953–2020<br />(nach Volkszählungen)<ref name="scio.gov.cn_2021-09-26_XPD" />
|-
! Jahr!! Bevölkerung/<br />Uiguren !! Jährliche Wachstumsrate (CAGR)<br />zum vorigen Zensus
|-
| 1953 || 3.607.600 || ---
|-
| 1964 || 3.991.600 || 0,92%
|-
| 1982 || 5.955.900 || 2,25%
|-
| 1990 || 7.191.800 || 2,38%
|-
| 2000 || 8.345.600 || 1,50%
|-
| 2010 || 10.001.300 || 1,83%
|-
| 2020 || 11.624.300 || 1,52%
|}
<div style="clear:right;"></div>
</div></div></div>

===== Wirtschaftliches und ethnisches Nord-Süd-Gefälle =====
{| class="wikitable float-right" style="text-align:center"
|+ [[Bruttoinlandsprodukt]] (BIP) pro Kopf der wichtigsten subregionalen Verwaltungseinheiten von Xinjiang im Jahr 2000<ref name="Castets2004_LEdCERI_110_21u44Tab2">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Opposition politique, nationalisme et islam chez les Ouïghours du Xinjiang |Sammelwerk=Les études du CERI |Nummer=110 |Datum=2004-10 |Seiten=1–45 |Fundstelle=hier: S. 21, 44 |Kommentar=Tableau 2 ''Produit intérieur brut par habitant dans les principales unités administratives infra-régionales du Xinjiang en Rmb en 2000'' |Online=[https://www.sciencespo.fr/ceri/fr/content/opposition-politique-nationalisme-et-islam-chez-les-ouighours-du-xinjiang online]}} Dort mit Quellenhinweis: "Source : 2002 Xinjiang tongji nianjian, op. cit., pp. 106, 110-115, 713, 715; 2002 Zhongguo tongji nianjian, op. cit., S. 51."</ref><ref name="cfCastets2006_p265f_Tab2">Cf. {{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Entre colonisation et développement du Grand Ouest : impact des stratégies de contrôle démographique et économique au Xinjiang |Sammelwerk=Outre-terre |Band=3 |Nummer=16 |Datum=2006 |Seiten=257–272 |Fundstelle=hier: S. 265f |Kommentar=Tableau 2 ''Entre colonisation et développement du Grand Ouest : le Xinjiang'' |Online=[https://www.sciencespo.fr/ceri/fr/content/opposition-politique-nationalisme-et-islam-chez-les-ouighours-du-xinjiang online] |DOI=10.3917/oute.016.0257}} Dort mit Quellenhinweis: "Source : 2002 Xinjiang tongji nianjian, op. cit., S. 51; 2005 Xinjiang tongji nianjian, op. cit., S. 106–116, 122-124, 689-700."</ref>
|-
! Verwaltungseinheit !! Anteil Uiguren<br />an Bevölkerung !! Anteil Han-Chinesen<br />an Bevölkerung !! BIP pro Kopf<br />in [[Renminbi|CNY]]
|-
| [[Karamay]] (Stadt) || 13,6 % || 77,9 % || 43.926
|-
| [[Ürümqi]] (Stadt)|| 12,8 % || 73,2 % || 16.493
|-
| [[Turpan (Regierungsbezirk)|Turpan]] (Regierungsbezirk) || 69,6 % || 23,5 % || 12.831
|-
| [[Shihezi]] (Stadt) || {{0}}1,2 % || 74,8 % ||{{0}}9.738
|-
| [[Changji]] (Autonomer Bezirk) || {{0}}4 %{{0|,0}}|| 74,8 % ||{{0}}8.399
|-
| [[Kumul]] (Regierungsbezirk) || 18,4 % || 68,7 % ||{{0}}7.351
|-
| [[Gulja (Autonomer Regierungsbezirk)|Yining (Gulja)]] (Autonomer Bezirk) || 15,9 % || 44,9 % ||{{0}}5.344
|-
| [[Aksu (Regierungsbezirk)|Aksu]] (Regierungsbezirk) || 74,9 % || 25 %{{0|,0}}||{{0}}4.939
|-
| [[Kaxgar (Regierungsbezirk)|Kaxgar]] (Regierungsbezirk) || 89,2 % ||{{0}}9,1 % ||{{0}}2.411
|-
| [[Hotan]] (Regierungsbezirk) || 96,7 % ||{{0}}3 %{{0|,0}}||{{0}}1.843
|-
| Durchschnitt / Xinjiang || 46 %{{0|,0}}|| 39,2 % ||{{0}}7.913
|-
| Durchschnitt / China || || || {{0}}7.543
|}
{{Mehrere Bilder
 | align       = right
 | Richtung    = horizontal
 | Breite1     = 132
 | Breite2     = 150
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 | Bild1       = Grapes and oil, Liuyuan-Turfan 2012.jpg
 | Untertitel1 = Landwirtschaft ([[Chunche|Trockenhäuser]] und [[Rebstock|Rebstöcke]]) und Erdöl-Förderung (zwischen [[Liuyuan]] und Turpan)
 | Bild2       = Tuha Oil Field, Turpan, Xinjiang, China.jpg
 | Untertitel2 = Erdölindustrie in den [[Turpan-Hami-Ölfelder]]n (auch: „Tuha-Ölfelder“, chin. 吐哈油田) in der [[Turpan-Senke]]
 | Bild3       = Tarim Desert Highway - Branch to Tazhong Oil Field, Xinjiang, China.jpg
 | Untertitel3 = [[Tarim Desert Highway]] mit Verkehrsschild zu den 12 Kilometer entfernten [[Tarim-Ölfelder]]n (chin. 塔里木油田) und nach [[Niya (Hotan)|Niya]]
}}
Während die südlichen Landesteile Xinjiangs noch vornehmlich [[Landwirtschaft|agrarisch]] geprägt sind, haben sich im Norden in den letzten Jahrzehnten auch einige industrielle Zentren und überwiegend chinesisch dominierte Städte entwickelt.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Die Region ist reich an [[Bodenschätze]]n wie [[Erdöl]], [[Erdgas]] und [[Kohle]], deren Ausbeutung zum [[Wirtschaftswachstum]] beitragen.<ref name="spiegel-de_2018-07-26_SSU" /><ref name="VanWieDavis2008_AAAAR_35_1_15-29">{{Literatur |Autor=Elizabeth Van Wie Davis |Titel=Uyghur Muslim Ethnic Separatism in Xinjiang, China |Sammelwerk=Asian Affairs: An American Review |Band=35 |Nummer=1 |Datum=2008 |Seiten=15–29 |JSTOR=27821503}}</ref> Der Anteil Xinjiangs an den kontinentalen Ölreserven liegt bei 30 %, derjenige an den Gasreserven 34 %.<ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" /> Xinjiang gilt zudem als Tor zu zentralasiatischen Energieressourcen und kann China über [[Pipeline]]-Verträge mit den ölreichen Nachbarstaaten in Zentralasien und Russland verbinden, um den Energiebedarf der boomenden chinesischen Wirtschaft zu decken.<ref name="VanWieDavis2008_AAAAR_35_1_15-29" /> Neben seiner Bedeutung durch die Energieressourcen nimmt Xinjiang auch eine strategische Kernposition in der geo-ökonomischen [[One Belt, One Road|Initiative der „Neuen-Seidenstraße“]] Chinas ein.<ref name="Castets2018-07-04_theconversation-com_OOX">{{Internetquelle |autor=Rémi Castets (Mitarbeit: Sylvain Antichan) |url=https://theconversation.com/ou-ghours-des-oasis-du-xinjiang-aux-champs-de-guerre-dafghanistan-et-de-syrie-98889 |titel=Ouïghours: des oasis du Xinjiang aux champs de guerre d’Afghanistan et de Syrie |hrsg=theconversation.com |datum=2018-07-04 |abruf=2020-06-02 |sprache=fr}}</ref><ref name="Castets2016_Diplomatie_S32-37" /><ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" /> Im Zeitraum 1978–2000 überstieg Xinjiangs [[Wachstumsrate]] den chinesischen Durchschnitt,<ref name="Castets2004_LEdCERI_110_21u44Tab2" /> und die Wirtschaft der Region verfügt im heutigen landesweiten Vergleich Chinas über ein recht gutes Niveau.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /> Die einst [[Industrialisierung|unindustrialisierte]] und zu den ärmsten Regionen in China gezählte Region gehört heute unter den „fernwestlichen Provinzen“ Chinas zu denjenigen mit dem höchsten Pro-Kopf-[[Bruttoinlandsprodukt]] (BIP). Um die Jahrtausendwende belegte Xhinjiang unter den 31 chinesischen Verwaltungseinheiten auf substaatlicher Ebene in Bezug auf das Pro-Kopf-BIP den 12. Platz.<ref name="Castets2004_LEdCERI_110_21u44Tab2" />

Diese positiven [[Makroökonomie|makroökonomischen]] Daten verbergen jedoch tiefgreifende, an ethnische Zugehörigkeit gekoppelte [[Soziale Ungleichheit|soziale Ungleichheiten]],<ref name="Castets2004_LEdCERI_110_21u44Tab2" /><ref name="Castets2018_LGDD_45_92-95" /> die die Verbitterung unter Uiguren aufrechterhalten.<ref name="Castets2004_LEdCERI_110_21u44Tab2" /> Zwar profitieren die Uiguren mit der gesamten Region in gewisser Weise von der dank massiver Investitionen des chinesischen Staates gewährleisteten wirtschaftlichen Dynamik und den damit verbundenen Verbesserungen des Lebensumfelds.<ref name="Castets2004_LEdCERI_110_21u44Tab2" /><ref name="Castets2018_LGDD_45_92-95" /> Doch kamen die hohen Investitionen, die vorrangig für die Kolonisierungsgebiete bestimmt waren, vor allem den han-chinesischen Siedlern zugute und schlossen tendenziell die nationalen Minderheiten von Xinjiang von der Teilhabe an dem durch die Entwicklung der Region geschaffenen Wohlstand aus.<ref name="Castets2006_p265f_Tab2" /><ref name="Castets2004_LEdCERI_110_21u44Tab2" /><ref name="spiegel-de_2018-07-26_SSU" /><ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" /><ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" /> Die Art und Weise der Investitionen für die Entwicklung des Westens durch die chinesische Zentralregierung führte eher zu einer Zunahme der ökonomischen Marginalisierung der Minderheiten. In Xinjiang spielte dabei das Produktions- und Aufbaukorps eine besonders wichtige Rolle, indem diese Han-chinesisch dominierte Organisation zur Marginalisierung der Uiguren beitrug.<ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" /> Faktisch blieb das pro-Kopf-BIP der han-chinesischen Siedlungen weitaus höher als in den noch weiterhin mehrheitlich uigurisch bewohnten Gebieten.<ref name="Castets2006_p265f_Tab2">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Entre colonisation et développement du Grand Ouest: impact des stratégies de contrôle démographique et économique au Xinjiang |Sammelwerk=Outre-terre |Band=3 |Nummer=16 |Datum=2006 |Seiten=257–272 |Fundstelle=hier: S. 265f |Kommentar=Tableau 2 ''Entre colonisation et développement du Grand Ouest : le Xinjiang'' |Online=[https://www.sciencespo.fr/ceri/fr/content/opposition-politique-nationalisme-et-islam-chez-les-ouighours-du-xinjiang online] |DOI=10.3917/oute.016.0257}} Dort mit Quellenhinweis: "Source : 2002 Xinjiang tongji nianjian, op. cit., S. 51; 2005 Xinjiang tongji nianjian, op. cit., S. 106–116, 122-124, 689-700."</ref><ref name="Castets2004_LEdCERI_110_21u44Tab2" /> Die meisten Uiguren sind, gemessen an urbanen südchinesischen Standards, verhältnismäßig arm.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /> Viele Uiguren, die für einen von Han-Chinesen dominierten Arbeitsmarkt schlecht ausgebildet sind oder trotz beruflicher Qualifikation [[Diskriminierung|diskriminiert]] werden, können von dem starken Wirtschaftswachstum nicht profitieren.<ref name="Castets2018_LGDD_45_92-95" /><ref name="Castets_monde-diplomatique-fr_2019-03">{{Internetquelle |autor=Rémi Castets |url=https://www.monde-diplomatique.fr/2019/03/CASTETS/59639 |titel=Déjà un million de personnes passées par les camps de rééducation du Xinjiang: Les Ouïgours à l’épreuve du « vivre-ensemble » chinois |titelerg=S’il est difficile d’évaluer le nombre de Ouïgours embastillés ou passés par les centres de rééducation — on parle d’un million —, il est certain qu’un système de surveillance sans précédent traque les musulmans du Xinjiang, qui ne sont pas sanctionnés pour ce qu’ils ont fait, mais pour ce qu’ils pourraient faire. M. Xi Jinping veut promouvoir cette politique de répression et de sinisation comme un modèle sécuritaire |hrsg=[[Le Monde diplomatique|monde-diplomatique.fr]] |datum=2019 |abruf=2020-05-27 |sprache=fr}} (Printversion: März 2019, S. 6–7). Deutschsprachige Fassung verfügbar als: {{Internetquelle |autor=Rémi Castets |url=https://monde-diplomatique.de/artikel/!5576876 |titel=Bleierne Zeit in Xinjiang |titelerg=Folter, Umerziehungslager, digitale Kontrolle: Die muslimische Minderheit der Uiguren in China wird brutal unterdrückt |werk=[[Le Monde diplomatique|monde-diplomatique.de]] |datum=2019-03-07 |abruf=2020-11-07}} (Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche: Andreas Bredenfeld).</ref><ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" /><ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" /> Das schwache Abschneiden der Regierungsbezirke [[Aksu (Regierungsbezirk)|Aksu]], [[Kaxgar (Regierungsbezirk)|Kaxgar]], [[Kizilsu]] und [[Hotan]], in denen drei Viertel der uigurischen Bevölkerung von Xinjiang konzentriert sind, weist darauf hin, dass ein erheblicher Teil dieser Bevölkerung Einkommen im Bereich der chinesischen und der von internationalen Organisationen festgelegten [[Armutsgrenze]] hat.<ref name="Castets2006_p265f_Tab2" /> Das Fortbestehen ökonomischer Ungleichheiten entlang der ethnischen Linien in Xinjiang in Verbindung mit der strengen Kontrolle der chinesischen Führung über politische Institutionen führte in der Tendenz zu einem Umfeld, in dem die Uiguren Xinjiangs die von Han-Chinesen dominierte Regierung als [[Kolonialismus|Kolonialregime]] betrachteten.<ref name="Castets2015_CAA_2_3_p221–245">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=The Modern Chinese State and Strategies of Control over Uyghur Islam |Sammelwerk=Central Asian Affairs |Band=2 |Nummer=3 |Datum=2015 |Seiten=221–245 |Online=[https://brill.com/view/journals/caa/2/3/article-p221_1.xml?language=en online] |DOI=10.1163/22142290-00203001}}</ref>

Der südwestliche Teil Xinjiangs, der vor allem die Regionen um das Tarimbecken und die nördlich ans Tien-Shan-Gebirge (uigurisch: ''Tängri Tagh'') angrenzende [[Ili]]-Region umfasst, ist weiterhin vorwiegend von turksprachigen Ethnien besiedelt und gehört auch aus historischer Sicht zu „Ostturkestan“. Die Bevölkerung dieser Region kann sowohl wegen ihrer jahrhundertelang währenden historischen Verbundenheit mit den kulturellen und politischen Zentren der muslimischen Welt, als auch wegen ihrer selbstempfundenen [[Identität]] in erster Linie als Teil Zentralasiens und der turksprachigen Welt verstanden werden. Insbesondere betonen Uiguren häufig die sprachliche und kulturelle Nähe zu den [[Usbeken]].<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" />
<div style="clear:both;" class="NavFrame">
<div class="NavHead" style="text-align:center;">Tabelle: Jahreslohn in Xinjiang nach Sektor und ethnischer Zusammensetzung</div>
<div class="NavContent" style="text-align:left">
{| class="wikitable float-right" style="text-align:center"
|+ Durchschnittlicher Jahreslohn von Mitarbeitern und Arbeitnehmern in Xinjiang<br />nach Sektor und ethnischer Zusammensetzung der Hauptindustrien<ref name="Cote2015_AsianEthnicity_16_2_136-151_Tab4">{{Literatur |Autor=Isabelle Côté |Titel=The enemies within: targeting Han Chinese and Hui minorities in Xinjiang, Asian Ethnicity |Sammelwerk=Asian Ethnicity |Band=16 |Nummer=2 (Second Order Minorities) |Datum=2015 |Seiten=136–151 |Kommentar=Table 4 ''Average annual wage of staff and workers in Chinese Yuan by sector and ethnic composition of main industries in Xinjiang.'' |DOI=10.1080/14631369.2015.1003688}} (Online veröffentlicht am 22. Januar 2015).</ref><br /><small>(Quelle: Xinjiang 2000 Population Census Assembly, L2-1; 3-29.)</small>
|-
! Sektor !! Uiguren !! Han-Chinesen !! Durchschnittslohn in Xinjiang<br />in [[Renminbi|CNY]]
|-
| Land- und Fischereiwirtschaft, Tierhaltung und Forstwirtschaft || 59,87 % || 25,13 % || 16.944
|-
| Bergbau und Steinbrüche || 14,36 % || 75,83 % || 42.765
|-
| Gewinnung und Distribution von Strom und Öl || 18,98 % || 70,83 % || 38.268
|-
| Baugewerbe || 7,30 % || 89,54 % || 25.319
|-
| Transportwesen || 18,24 % || 72,31 % || 41.549
|-
| Bank- und Versicherungswesen || 14,44 % || 75,33 % || 50.568
|-
| Immobilienwesen || 8,10 % || 85,17 % || 21.644
|-
| Forschung und Wissenschaft || 10,75 % || 82,20 % || 32.684
|-
| Bildung und Kultur || 40,26 % || 41,66 % || 29.884
|-
| Regierungsbehörden || 30,98 % || 53,60 % || 31.811
|-
| Gesamtbevölkerung || 45,21 % || 40,58 % || 27.753
|}
</div></div>

==== Zentralasiatische Republiken ====
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|Description = Ethnische Gruppen in Zentralasien
}}
Heute existieren uigurische Gemeinschaften in fast allen neuen unabhängigen zentralasiatischen Republiken, wobei die größere Anzahl von Uiguren in [[Kasachstan]] lebt und die kleinste Gruppe in [[Tadschikistan]].<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132">{{Literatur |Autor=Ablet Kamalov |Hrsg=Colin Mackerras, Michael Clarke |Titel=[Chapter 6:] Uyghurs in the Central Asian Republics Past and present |Sammelwerk=China, Xinjiang and Central Asia: History, Transition and Crossborder Interaction Into the 21st Century |Reihe=Routledge Contemporary China Series |BandReihe=38 |Verlag=Routledge (Taylor & Francis) |Ort=London & New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-415-45317-2 |Seiten=115-132 |Umfang=1–212}}</ref> Insgesamt lebten zu beginn des 21. Jahrhunderts in [[Usbekistan]], Kasachstan und [[Kirgisistan]], die inzwischen unabhängig sind, aber ehemals dem [[Russisches Kaiserreich|russischen Reich]] und später der [[Sowjetunion]] angehört hatten, insgesamt mindestens 300.000 Uiguren.<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /> Einige Jahre vor der Auflösung der Sowjetunion im späten 20. Jahrhundert war für deren Gebiet ([[Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik]] und [[Kirgisische Sozialistische Sowjetrepublik]]) die Zahl von 227.000 Uiguren angegeben worden, von denen allein in [[Taschkent]] 20.000 lebten.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" />

Das [[Siebenstromland|Semirechye-Tal]] (im heutigen Kasachstan) und das [[Ferghanatal]] (in Usbekistan und Kirgisistan) sind die zwei Hauptregionen in Zentralasien, die bis in die jüngste Zeit dicht von Uiguren besiedelt waren.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die uigurische Bevölkerung in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens auf rund 200.000 geschätzt und konzentrierte sich auf die diejenigen Gebiete Kasachstans und des Ferghanatals, die der chinesischen Grenze am nächsten lagen.<ref name="Brophy2005_IA_7_2_163-184">{{Literatur |Autor=David Brophy |Titel=Taranchis, Kashgaris, and the 'Uyghur Question' in Soviet Central Asia |Sammelwerk=Inner Asia |Band=7 |Nummer=2 |Verlag=Brill |Datum=2005 |Seiten=163–184 |JSTOR=23615693}}</ref> Die beiden Hauptgruppen der Uiguren Zentralasiens unterschieden sich in der Herkunft, da es sich bei den Uiguren im Semirechye-Tal um nördliche Uiguren ([[Taranchi]]) aus der Region [[Gulja (Kreis)|Kulja]] (Gulja) handelte, während die Uiguren des Ferghana-Tals aus dem im südlichen Ostturkestan liegenden Kaschgarien eingewandert waren. Diese beiden Gemeinschaften stammten nicht nur aus verschiedenen Regionen des uigurischen Heimatlandes, sondern unterschieden sich auch in der Geschichte, die zu ihrer Gründung geführt hatte.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

Während sich die meisten uigurischen Gemeinden Zentralasiens aufgrund der geographischen Nähe zu Xinjiang (Ostturkestan) und aufgrund von Migrationsbewegungen gebildet hatten, die durch interne Ereignisse und auch durch internationale Beziehungen verursacht worden waren, bilden die im Grenzgebiet des [[Ili (Fluss)|Ili-Tals]] lebenden Uiguren eine Ausnahme, indem sie im 19. Jahrhundert vom russischen Reich annektiert wurden und so dem heutigen Kasachstan zufielen.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> Größtenteils waren die Uiguren erst nach 1880 – als Flüchtlinge nach verschiedenen Unruhen – in der Sowjetunion angekommen und später wieder nach 1950.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" />

Zur früheren uigurischen Diaspora war es im 19. Jahrhundert durch politische Umwälzungen in Xinjiang gekommen, die zur Auswanderung von Tausenden Ostturkestanis in russisches Territorium geführt hatten. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts führte die von Russland geförderte industrielle Entwicklung in [[Siebenstromland|Yettisu]] (Semirechye) und Ferghana auch zu einem Zustrom von Zehntausenden Saison- oder Wanderarbeitern aus Süd-Xinjiang, die nun auf den Baumwollfeldern, im Melonenanbau sowie im Öl- und Kohlebergbau im russisch kontrollierten Turkestan arbeiteten. Viele sogenannte „sowjetischen“ Uiguren der späteren Auswanderungswelle waren dann Flüchtlinge, die in den 1950er und 1960er Jahren aus China flohen.<ref name="Brophy2005_IA_7_2_163-184" />

Zur Zeit der [[Russische Revolution]] im frühen 20. Jahrhunderts hatte diese Emigrantengemeinschaft noch rund 100.000 Menschen gezählt. Zwar war ihre Anzahl im Vergleich zu den Uiguren in Xinjiang immer gering und sie blieben in der Geschichte der Region auch bis in die Gegenwart eine unauffällige und wenig bekannte Randgemeinschaft. Doch spielten sie für die Verbindung zwischen Xinjiang und der islamischen und sowjetischen Welt eine sehr wichtige Rolle in der Geschichte.<ref name="Brophy2016_UNR_p2">{{Literatur |Autor=David Brophy |Titel=Uyghur Nation: Reform and Revolution on the Russia-China Frontier |Verlag=Harvard University Press |Ort=Cambridge & London |Datum=2016 |ISBN=978-0-674-66037-3 |Fundstelle=hier S. 2 |JSTOR=j.ctvjghx68 |Umfang=i-xiv, 1-347}}</ref> Während die Interaktionen zwischen Turksprachen-Sprechern auf beiden Seiten der Grenze zwischen chinesisch und russisch kontrolliertem Territorium anhielten, kam es mit der [[Russische Revolution|russischen Revolution]] zu dramatischen Veränderungen in der zentralasiatischen Gesellschaft, die im chinesisch kontrollierten Ostturkestan beziehungsweise Xinjiang ausblieben. Die Erfahrung dieser Umwälzungen im Zuge der Revolution von 1917 in der kleinen ostturkestanischen Diaspora auf russisch-kontrolliertem Gebiet erlangte daher große Bedeutung auch für die politische Geschichte der weitaus größeren uigurischen Gemeinschaft auf chinesisch-kontrolliertem Gebiet. Die sowjetische Ethnopolitik förderte innerhalb der breiteren türkischsprachigen Gemeinschaft die Wiederbelebung des Ethnonyms „Uiguren“ und wurde eine notwendige Voraussetzung für das Wiederauftauchen der „uigurischen“ Idee.<ref name="Brophy2005_IA_7_2_163-184" />

===== Kasachstan (mit dem Semirechyegebiet) =====
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 | Bild1       = Lansdell-1885-p231-The-Chief-Taranchi-Mosque-in-Kuldja.jpg
 | Untertitel1 = Hauptmoschee der ''[[Taranchi]]'' (Uiguren) in der Zitadelle von [[Gulja (Stadt)|Kulja (Gulja)]] in chinesischer Bauweise (Foto: 1882)<ref name="Lansdell1885_RCA_Kap16__p231f">{{Literatur |Autor=Henry Lansdell |Titel=Russian Central Asia: Including Kuldja, Bokhara, Khiva And Merv |Band=I |Verlag=S. Low, Marston, Searle and Rivington |Ort=London |Datum=1885 |Kapitel=Chapter XVI: A Sunday In Kuldja |Seiten=221-237 |Fundstelle=hier S. 231 f.}}</ref>
 | Bild2       = Semiretschje1900.PNG
 | Untertitel2 = [[Russisches Kaiserreich|Russisches]] [[Siebenstromland|Semirechye]]-Gebiet (um 1900)
 | Bild3       = A Taranchi Lansdell 1885 Figure on page 165.png
 | Untertitel3 = Portrait eines ''Taranchi'' (um 1882)<ref name="Lansdell1885_RCA_Kap12_162-173_p168f">{{Literatur |Autor=Henry Lansdell |Titel=Russian Central Asia: Including Kuldja, Bokhara, Khiva And Merv |Band=I |Verlag=S. Low, Marston, Searle and Rivington |Ort=London |Datum=1885 |Kapitel=Chapter XII: The Province Of Semirechia (Continued) |Seiten=162-173 |Fundstelle=hier S. 168 f.}}</ref>
 | Fußzeile    = Nachdem während der Bürgerkriege des Bezirks Gulja im Jahr 1867 einige Hundert Taranchis zu ihrem Schutz die Grenze zum [[Russisches Kaiserreich|Russischen Kaiserreich]] überquert hatten, erhielten sie von den Behörden Land, landwirtschaftliches Gerät und Geld für die Kolonisierung im [[Siebenstromland|Semirechye]]-Gebiet, worauf sie sich zu einer blühenden Kolonie entwickelten.<ref name="Lansdell1885_RCA_Kap12_162-173_p168f" /> Von 1881 bis 1884 fand die Umsiedlung vieler Gulja-Uiguren in den russischen Teil des [[Ili (Fluss)|Ili-Tals]] statt, wo sie in der Folge als Semirechye-Uiguren eine der drei wichtigsten Ethnien bildeten.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Uiguren als eine der Ethnien Kasachstans
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 | Bild1       = Uigurs and Tatars Kazakhstan 2007.jpg
 | Untertitel1 = Die linke Briefmarke (Kasachstan, 2007) aus der Reihe „Völker Kasachstans“ („Қазақстан Халықтары“) zeigt Uiguren („Ұйғырлар“) in traditionellen Kostümen, die rechte Tataren („Татарлар“)
 | Bild2       = Vozrast Etnosy KZ.jpg
 | Untertitel2 = Anteil der Ethnien an den Altersgruppen der kasachischen Bevölkerung. Uiguren (hellblau) sind nach Kasachen (dunkelblau), Russen (rot), Usbeken (grün) und Ukrainern (violett) aufgeführt; sonstige Gruppen in Orange (Stand: 2013)
}}
In Kasachstan identifizierten sich bei der Volkszählung im Jahr 1999 210.300 Menschen (1,4 Prozent der Gesamtbevölkerung des Staates) als ethnische Uiguren.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /><ref name="West2009_EPAO_p380">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=380}}</ref><ref name="Morrison_THREE_Kazakhstan">{{Literatur |Autor=Alexander Morrison |Titel=Kazakhstan |Hrsg=Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson |Sammelwerk=Encyclopaedia of Islam, THREE |Verlag=Brill |Datum=2018 |Sprache=en |DOI=10.1163/1573-3912_ei3_COM_33107}} Erste Online-Veröffentlichung: 2018, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-35667-2, 2018, 2018-6. Abgerufen am 15. Juli 2020.</ref> Die Uiguren bildeten damit nach den [[Kasachen]], [[Russen]], [[Ukrainer]]n, [[Usbeken]], [[Deutsche]]n und [[Tataren]] die siebtgrößte ethnische Gruppe Kasachstans. Sie leben verdichtet im südöstlichen Teil Kasachstans, vorwiegend im [[Oblast]] [[Almaty (Gebiet)|Almaty]] (in den Distrikten [[Audany Uighyr|Uyghur]], Chilik, [[Audany Enbekshikazakh|Enbekshikazakh]] und [[Audany Panfilov|Panfilov]]) sowie in und um die [[Almaty|Stadt Almaty]] selbst. Es existiert eine Infrastruktur uigurischer Kulturinstitutionen und die kasachische Regierung unterstützt den [[Sekundärer Bildungsbereich|sekundären Bildungsbereich]] in uigurischer Sprache und uigurische Kulturinstitutionen.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

Im späten 19. Jahrhundert zogen Uiguren erstmals in bedeutender Anzahl westwärts über die Grenze nach Kasachstan. Sowjetischen Berichten zufolge sollen sie nach einem Aufstand vor den [[Repressalie]]n der kaiserlich-chinesischen Qing-Armeen geflohen sein und somit Schutz bei den Russen gefunden haben. Chinesischen Berichten zufolge sollen sie dagegen von der kaiserlich-russischen Armee gewaltsam dazu gebracht worden sein, weil sie die kasachische Steppe in Ackerland umwandeln sollten:<ref name="Harris2012_Ethnomusicology_56_3_450-475">{{Literatur |Autor=Rachel Harris |Titel=Tracks: Temporal Shifts and Transnational Networks of Sentiment in Uyghur Song |Sammelwerk=Ethnomusicology |Band=56 |Nummer=3 |Verlag=University of Illinois Press |Datum=2012 |Seiten=450-475 |DOI=10.5406/ethnomusicology.56.3.0450}}</ref>

Nach der Eroberung Ossturkestans durch Qing-China waren Tausende uigurische Familien aus der Kaxgar-Region in die Ili-Region umgesiedelt worden („Gulja-Uiguren“).<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> Die kaiserlich-russischen Streitkräfte nutzten dann jedoch die örtlichen Unruhen, drangen 1871 in das nördliche [[Ili (Fluss)|Ili-Tal]] von Xinjiang ein und richteten unter einem zentralasiatischen muslimischen Herrscher ein Marionettenregime ein.<ref name="Harris2012_Ethnomusicology_56_3_450-475" /> Damit hatte Russland das Ili-Tal 1871 im Konflikt mit den rivalisierenden Mächten Großbritannien und Qing-China um Einfluss und territorialen Besitz in Zentralasien faktisch besetzt.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> Die russische Besetzung des (uigurischen) [[Sultanat Ili Taranchi|Sultanats Ili Taranchi]] 1871 und die Umsiedlung der Sultan-Familie aus der Sultanatshauptstadt Kulja in die russische [[Zitadelle]] [[Almaty|Werny]] (heutige Stadt Almaty in Kasachstan) bildeten den Ausgangspunkt für das Anwachsen der Gemeinschaft der Semirechye-Uiguren. Doch die erste große regionale Bevölkerungsbewegung über die Grenze zwischen dem Qing- und dem russischen Reich fand erst zwischen 1881 und 1884 statt, als eine große Anzahl Menschen übersiedelte, um zu verhindern, dass die kaiserlichen Armeen des Qing-Reiches dessen Teil des Ili-Tals wieder einnahmen.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> 1881 mussten die Russen die Ili-Region zwar wieder an China abtreten.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> Doch nach der Rückeroberung des Ili-Tals durch den chinesischen General Zuo Zongtang für die Qing schlossen Russen und Qing miteinander den [[Vertrag von Sankt Petersburg (1881)|Vertrag von Sankt Petersburg]], der auch beinhaltete, dass die Qing einen Teil des westlichen Ili-Tals an Russland abtreten, um chinesische Muslime und uigurische Flüchtlinge umzusiedeln.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /><ref name="Harris2012_Ethnomusicology_56_3_450-475" /> Die Russen konnten einen kleinen Grenzstreifen behalten. Dieser umfasste einige Dörfer (Kaljat, Ketmen, Klein- und Groß-Achinoho, Tiermen, Dardamty, Shunkar, Aktam, Dobun und andere) im Gebiet des heutigen [[Scharkent|Zharkent]] (Jarkent, Scharkent, Yarkend) und der heutigen uigurischen Gebiete Kasachstans.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> Die Rückkehr des Kulja-Gebiets in den Machtbereich der Qing ging somit mit der Umsiedlung einer beträchtlichen Anzahl uigurischer Familien einher,<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> die im Rahmen der vertraglich ermöglichten Umsiedlung uigurischer Bauern zwischen 1881 und 1884 in großer Zahl nach Kasachstan umsiedelten,<ref name="Harris2012_Ethnomusicology_56_3_450-475" /><ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> organisiert von der russischen Regierung.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> Denn nachdem der Vertrag von Sankt Petersburg (1881) zwischen Russland und China 132.000 Einwohnern des Ili-Tals die freie Wahl ihrer Staatsbürgerschaft ermöglichte, befürchteten die meisten „[[Taranchi]]“ (Uiguren) Repressalien durch die Qing-Regierung und entschieden sich gegen eine Integrierung in das Qing-Reich.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /><ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> Stattdessen entschieden sich nach offiziellen Angaben von 1883 75.000 von ihnen für die russische Staatsbürgerschaft und Umsiedlung in das [[Semirechye]]-Gebiet im heutigen Kasachstan.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> Sie siedelten am rechten Ili-Ufer zwischen Horgos und Borohotszir sowie in Zharkent, Akkent sowie am linken Ili-Ufer an verschiedenen Orten, vom Dorf Dubuna bis zum Talgar, also an den Ufern der Flüsse Aksu, Bayan-Kazak, Saryfbulak, [[Schilik|Chilik]], Koram, Daban, Karaturuk, Lep und [[Talghar (Fluss)|Talgar]]. Die Einwanderung hielt offenbar bis in das Jahr 1884 an und umfasste einigen Forschern zufolge schließlich 80.000 Uiguren.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> Nach anderen Angaben waren bis 1884 über 45.000 Uiguren aus dem Gebiet von Kulja in den russischen Teil des Ili-Tals gezogen.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> Sie gründeten im russischen Teil des Ili-Tals (Semirechye) die Stadt Zharkent und etwa 80 bis 90 kleinere Siedlungen ([[Qishlaq]]).<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /><ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> In Yarkend, Aksu, Charyn, Koram und Karassu wurden sechs Distrikte ([[Wolost]]) für die uigurischen Migranten eingerichtet, sowie vier Siedlungen in Werny. Seitdem bilden die Uiguren eine der drei wichtigsten ethnischen Gruppen im russischen Teil des Ili-Tals, neben den Kasachen und Russen.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

Da der Hauptbesiedlungsvorgang der Gulja-Uiguren in einem eng befristeten Ereignis stattfand, bildeten sie an den neuen Wohnorten geschlossene Siedlungen. Ihre neue Heimat in Semirechye ähnelte in ihren natürlichen und klimatischen Bedingungen ihrem Herkunftsgebiet im Ili-Distrikt. Die uigurischen Immigranten hielten daher an ihren gewohnten Wirtschaftsformen fest und konnten in den ersten Jahrzehnten im russischen Reich ihre Kultur unverändert beibehalten.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" />

===== Usbekistan und Kirgisistan (mit dem Ferghanatal) =====
[[Datei:Fergana Valley map-de.svg|mini|hochkant=2|[[Ferghanatal]], unter anderem mit den Orten [[Osch]] und [[Andijon|Andischan]]]]
In Usbekistan leben Uiguren im Ferghanatal und in der [[Provinz Taschkent|Region Taschkent]]. Im Ferghanatal verdichten sie sich im Distrikt Pakhtabad im [[Provinz Andijon|Vilayet Andijon]] und in der Stadt [[Andijon]] (Andischan). Kurz vor Zusammenbruch der Sowjetunion ergab die Volkszählung von 1989 eine Gesamtzahl von 23.000 Uiguren in Usbekistan, darunter 14.009 im Oblast Andijon, 7964 im Oblast Taschkent und 1107 in der Hauptstadt [[Taschkent]]. Die überwiegende Mehrheit der Ferghana-Uiguren sind Nachkommen von Migranten aus dem südlichen Xinjiang (Kaschgarien).<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

In Kirgisistan lebten im Jahr 1999 nach offiziellen Angaben 46.733 Uiguren (rund 1 Prozent der Gesamtbevölkerung des Staates). Die uigurischen Gemeinden befanden sich in zwei Regionen des Landes, wobei sich die 32.300 Uiguren zählenden nördlichen Gemeinden (in den Oblasten [[Gebiet Tschüi|Chu]], [[Gebiet Talas|Talas]], [[Gebiet Naryn|Naryn]] und [[Gebiet Yssykköl|Yssykköl]] sowie in der Hauptstadt [[Bischkek]]) in ihren kulturellen Traditionen von den 14.433 Uiguren zählenden südlichen Gemeinden (in den Oblasten [[Gebiet Osch|Osch]], [[Gebiet Dschalalabat|Dschalalabat]] und [[Batken]]d) unterscheiden.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

Innerhalb der nordkirgisischen Gruppe stammen die Uiguren der Region Yssykköl über Migration der 1950er und 1960er Jahren aus Kasachstan und China, während die in Bischkek und Umgebung (Dörfer [[Lebedinovka]], Pokrovka, Malovodnoye und andere) lebenden Uiguren während der letzten Migrationswelle aus Kulja (Gulja) und Kaxgar gekommen sind. In der südkirgisischen Gruppe bilden die im Oblast Osch lebenden Uiguren gemeinsam mit den Uiguren der usbekischen [[Provinz Andijon]] eine spezielle Gruppe von Uiguren aus dem Ferghana-Tal.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

Heute sind die Ferghana-Uiguren mit der Möglichkeit konfrontiert, sich durch Assimilation als ethnische Gruppe aufzulösen. Sowohl in dem zu Usbekistan, als auch in dem zu Kirgisistan gehörenden Teil des Ferghanatals standen Uiguren unter dem starken kulturellen Einfluss der Usbeken. Es kam bereits zur Sowjetzeit zu einer starken Usbekisierung der Ferghana-Uiguren, die zum Einen durch die engen kulturellen und sprachliche Verbindungen zwischen Uiguren und Usbeken begünstigt wurde. Zum Anderen wurden die Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen in Usbekistan sowohl während, als auch nach der Sowjetzeit unter Druck der lokalen Regierung dazu gezwungen, ihre offizielle Staatsangehörigkeit in „Usbekisch“ abzuändern. Verstärkend wirkte für diesen Prozess der Assimilation der Uiguren in Usbekistan zudem der Mangel an Infrastruktur zur Entwicklung und Erhaltung der uigurischen Sprache. Zudem erklärte Präsident [[Islom Karimov]] mit Rücksicht auf Empfindlichkeiten die als strategischer Partner Usbekistans fungierende VR China, dass in Usbekistan keine uigurische Bevölkerung existiere.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

Die Bildung der uigurischen Gemeinde im Ferghanatal unterschied sich von der des Semirechye-Gebiets. Ander als die innerhalb weniger Jahre vollzogene und eine beträchtliche Anzahl von Uiguren einschließende Umsiedlung nach Semirechye, lässt sich das Migrationsgeschehen von Uiguren in das Ferghanatal durch die Infiltration kleiner Gruppen von Uiguren charakterisieren, die aus Kaxgar, Aksu und Yarkant auswanderten.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

Zu den Beweggründen für die Emigration von Uiguren ins Ferghanatal zählten nicht nur politische (wie die Expansion Chinas und die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen religiöser Gruppen), sondern auch ökonomische (wie Landmangel und Handelsbeziehungen). Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Vorfahren der Ferghana-Uiguren entlang der Flüsse [[Qoradaryo|Kara Darya]] und [[Naryn (Fluss)|Naryn]] im östlichen Teil des Ferghana-Tals bereits eine Reihe von Siedlungen errichtet.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" /> Ähnlich wie bei den Uiguren in Semirechye erfolgte die Errichtung von Siedlungen auch bei den Uiguren im Ferghanatal in Übereinstimmung mit ihren [[Verwandtschaftsbeziehung]]en.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

===== Turkmenistan und Tadschikistan =====
In Turkmenistan lebt die kleinste und isolierteste Gruppe zentralasiatischer Uiguren. Die uigurische Gemeinde hat ihre Ursprünge in der im Jahr 1890 erfolgten Abwanderung einer relativ kleinen Gruppe von 272 uigurischen Familien (1.308 Menschen) von Semirechye in die Oase Murgab. Sie siedelten in der [[Mary welaýaty|Region Mary]] im heutigen Turkmenistan im Ort [[Baýramaly|Bairam-Ali]]. Nach inoffiziellen Angaben des uigurischen Kulturzentrums von Turkmenistan lebten zu Beginn der 1990er Jahre 1.400 Uiguren in Turkmenistan, davon 704 in Bairam-Ali (1,6 Prozent der Gesamtbevölkerung des Ortes). Einige Uiguren-Gruppen leben auch in [[Mary (Turkmenistan)|Mary]] und im Dorf [[Türkmengala|Turkmen-Kala]]. Der Assimilationsprozess von Uiguren durch die turkmenische Mehrheit entgegen wirkt einem Anstieg der Anzahl turkmenischer Uiguren entgegen, die praktisch alle Verbindungen zu uigurischen Gemeinschaften in anderen Teilen Zentralasiens verloren haben. Zwar wurden zu Beginn der Sowjetzeit in Bairam-Ali und Umgebung einige uigurische Schulen eröffnet, doch gilt heute das Verschwinden der uigurischen Sprache in Turkmenistan als absehbar.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

Im heutigen Tadschikistan lebt keine nennenswerte Anzahl von Uiguren, wenn auch in der Hauptstadt [[Duschanbe]] eine kleine uigurische Gemeinde mit uigurischem Kulturverein existiert.<ref name="KamalovInMackerrasEtClarke2009_Kap6_115-132" />

=== Diaspora außerhalb des früheren Turkestans und Chinas ===
Bei den Uiguren, die sich im Ausland niedergelassen haben, handelt es sich um [[Emigranten]] aus Xinjiang. Die Auswanderung der Uiguren aus Xinjiang reicht in der Geschichte länger zurück und erfolgte in mehreren Wellen. Diese Wellen erfolgten in der Regel, wenn sich die Bedingungen für die Uiguren verschlechtert hatten oder – im umgekehrten Fall – wenn die Ausreise erleichtert wurde.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Prominente Uiguren der frühen Diaspora
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 | Bild1       = İsa Yusuf Alptekin.jpg
 | Untertitel1 = [[İsa Yusuf Alptekin]]
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 | Untertitel2 = [[Mehmet Emin Buğra]]
 | Fußzeile    = Sowohl İsa Yusuf Alptekin als auch Mehmet Emin Buğra gingen während ihrer Auswanderung nach [[Indien]] und später in die [[Türkei]], wo sie eine [[Uigurische Unabhängigkeitsbewegung|separatistische uigurische Bewegung]] anführten<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />
}}
Einige Uiguren emigrierten Mitte der 1930er Jahre, nachdem die [[Islamische Republik Ostturkestan|Erste Ostturkestanische Republik]] nach kurzer Dauer aufgelöst wurde, und reisten hauptsächlich in die Türkei und nach Saudi-Arabien ein.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Nach der Auferlegung der [[Kommunismus|kommunistischen]] Herrschaft im Jahr 1949 – und dem Ende der [[Republik Ostturkestan|Zweiten Republik Ost-Turkestan]] – führte massive Einwanderung von Han-Chinesen nach Xinjiang dazu, dass [[sezession]]istische Bewegungen und [[Antikommunismus|antikommunistische]], [[Russophobie|antirussische]] und antichinesische Revolten turksprachiger Rebellen in Xinjiang immer weniger Erfolgschancen hatten.<ref name="BosworthInBearmanEtAl2002_EOI_11_286-288">{{Literatur |Autor=C. E. Bosworth |Hrsg=P. J. Bearman, Th. Bianquis, C. E. Bosworth, E. van Donzel & W. P. Heinrichs |Titel=Yarkand |Sammelwerk=The Encyclopaedia of Islam. New Edition |Band=11 („W–Z“) |Verlag=Brill |Ort=Leiden |Datum=2002 |ISBN=90-04-12756-9 |Seiten=286-288}}</ref> Einige hundert Uiguren, die Xinjiang Ende 1949 nach der kommunistischen Machtübernahme in China verließen, ließen sich zunächst im [[Jammu und Kashmir (Bundesstaat)|indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir]] nieder und zogen dann in die Türkei, wo sie mit Unterstützung der türkischen Führung uigurische [[Diaspora]]-Organisationen gründeten.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Vermutlich zogen einige uigurische Familien vom chinesischen Festland nach [[Taiwan (Insel)|Taiwan]], als die kommunistische Regierung im Jahr 1949 die Macht übernahm.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833">{{Literatur |Autor=Larry W. Moses |Hrsg=Richard V. Weekes |Titel=Uygur |Sammelwerk=Muslim Peoples: A World Ethnographic Survey |Band=2 („Maba – Yoruk“) |Auflage=2 |Verlag=Greenwood Press |Ort=Westport/Connecticut |Datum=1984 |ISBN=0-313-24640-8 |Seiten=830-833}}</ref> In den 1950er Jahren wurden Augenzeugenberichten zufolge Verfolgungen muslimischer Sezessionisten durch das neue chinesische Regime durchgeführt.<ref name="Lin_EoI_SE_OL_Sinkiang" /><ref name="LinInBosworthEtAl1997_EOI_09_648-650" /> 1962 flüchteten mehr als 60.000 Einwohner der [[Ili|Region Ili]] in Xinjiang – darunter viele Uiguren – aus China in das zu dieser Zeit zur Sowjetunion gehörende [[Kasachische Sozialistische Sowjetrepublik|Kasachstan]]. Sie wurden dabei von dem Elend getrieben, das im Zusammenhang mit dem [[Großer Sprung nach vorn|Großen Sprung nach vorn]] stand.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> 1966 wurden als Teil der chinaweiten Kampagne der [[Kulturrevolution]] zur Zerstörung der alten Traditionen alle [[Religion]]en in China verboten, ohne Xinjiang davon auszunehmen. [[Koran]]exemplare und islamische Bücher wurden verbrannt, [[Moschee]]n zerstört oder geschlossen und religiöse Führer von den [[Rote Garden (China)|Roten Garden]] verfolgt. Der Leidensdruck durch die Maßnahmen war bei den Muslimen sehr hoch. Infolgedessen wurden Tausende Muslime ins [[Exil]] in muslimische Länder getrieben, in Zentralasien, im [[Naher Osten|Nahen Osten]] und auf dem [[Indischer Subkontinent|indischen Subkontinent]].<ref name="Lin_EoI_SE_OL_Sinkiang">{{Internetquelle |autor=Chang-Kuan Lin |url=https://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/*-SIM_7052 |titel=Sinkiang |werk=Encyclopaedia of Islam, Second Edition |hrsg=P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs |sprache=en |abruf=2020-05-29}} Erste Online-Veröffentlichung: 2012, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-16121-4, 1960–2007. {{DOI|10.1163/1573-3912_islam_SIM_7052}}</ref><ref name="LinInBosworthEtAl1997_EOI_09_648-650">{{Literatur |Autor=Chang-Kuan Lin |Hrsg=C. E. Bosworth, E. van Donzel, W. P. Heinrichs & [the late] G. Lecomte |Titel=Sinkiang |Sammelwerk=The Encyclopaedia of Islam. New Edition |Band=9 („SAN – SZE“) |Verlag=Brill |Ort=Leiden |Datum=1997 |ISBN=90-04-10422-4 |Seiten=648-650}}</ref> Nach dem Einleiten von Reformen und der [[Politik der offenen Tür]] durch [[Deng Xiaoping]] Ende der 1970er Jahre konnte eine höhere Anzahl von Uiguren als zuvor Xinjiang verlassen. Mehrere Tausend von ihnen ließen sich dann seit den 1980er Jahren in verschiedenen Teilen der Welt nieder, in manchen Fällen mit Hilfe des [[Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen|Hohen Flüchtlingskommissars der UN]] (UNHCR).<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Viele Uiguren verließen somit ihre Heimat infolge der kommunistischen Machtübernahme. Eine große Anzahl uigurischer Flüchtlinge ließ sich in [[Saudi-Arabien]] nieder. Weitere Gruppen leben in [[Republik China (Taiwan)|Taiwan]], im [[Indien|indischen]] Teil [[Kaschmir]]s in [[Srinagar]], in den [[Vereinigte Staaten|USA]] und in [[Pakistan]] (Stand: 1989).<ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601" />

Zu Beginn der 1990er Jahre kam es zur Auswanderung [[Antikolonialismus|antikolonialer]] Kreise.<ref name="Castets2016_Diplomatie_S32-37" /> In dieser Zeit begannen Uiguren in [[Europa|europäische]] und [[amerika]]nische [[Industriestaat]]en zu immigrieren.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> Die aktivsten säkularen nationalistischen Aktivisten wurden verhaftet oder flüchten in die Diaspora. Die islamisch-nationalistische Strömung war in der militanten uigurischen Szene der Diaspora eher marginal. Sie war im Wesentlichen säkular-nationalistisch geprägt.<ref name="Castets2018-07-04_theconversation-com_OOX" /> Diese Auswanderungswelle dürfte [[Militanz|militante]] Strömungen der uigurischen [[Diaspora]] gefördert oder erneuert haben, sowohl in Zentralasien, als auch in der [[Türkei]] und in der damals entstehenden westlichen Diaspora (hauptsächlich [[Deutschland]], USA und [[Australien]]).<ref name="Castets2016_Diplomatie_S32-37">{{Literatur |Autor=Rémi Castets |Titel=Les racines du problème ouïghour et ses derniers développements: Le Xinjiang connaît à nouveau unse recrudescence des trobles. Sa stabilisation est aujord’hui vitale dans la mesure où ses ressources énergétiques et sa position sur les nouvelles routes de la Soie en font un territoire clé pur le développement économique et la stratégie de puissance de la Chine |Sammelwerk=[[Diplomatie (Magazin)|Diplomatie]], Areion Group, Paris |Nummer=80 |Datum=2016 |ISSN=1761-0559 |Seiten=32–37 |Online=[https://www.areion24.news/produit/diplomatie-80/ online]}} (Printversion: Nr. 80, Mai-Juni 2016, S. 32–37).</ref>

Auch heute (Stand: 2019) handelt es sich bei der uigurische Diaspora in Europa mit einigen Tausend Flüchtlingen um eine relativ kleine Gruppe.<ref name="theatlantic-com_2019-08-20_UCE">{{Internetquelle |autor=Ellen Halliday |url=https://www.theatlantic.com/international/archive/2019/08/china-threatens-uighurs-europe/596347/ |titel=Uighurs Can't Escape Chinese Repression, Even in Europe |titelerg=Activists are sharing their stories and grief—and Beijing is paying attention |werk=theatlantic.com |datum=2019-08-20 |abruf=2020-06-14}}</ref> Dazu kommen einige Tausend weitere Uiguren in der Türkei,<ref name="theatlantic-com_2019-08-20_UCE" /> wo sie seit den 1960er Jahren eine sichere Zuflucht gefunden haben.<ref name="reuters-com_2019-03-27_WPU" /> Einige reisten mit einem Studentenvisum nach Frankreich, Ungarn und in die nordischen Länder ein und blieben dann dort, während andere mit [[Menschenschmuggel|Menschenschmugglern]] nach Europa gelangten..<ref name="theatlantic-com_2019-08-20_UCE" />

{{Anker|Politische Organisation in der Diaspora}}'''Politische Organisation in der Diaspora'''
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Präsidenten des [[Weltkongress der Uiguren|Weltkongresses der Uiguren]]
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 | Bild1       = Rebiya Kadeer VOA Chinese Rabiye.jpg
 | Untertitel1 = [[Rebiya Kadeer]], ehemalige WUC-Präsidentin
 | Bild2       = Andrew Bremberg and Dolkun Isa in February 2020 (cropped).jpg
 | Untertitel2 = [[Dolkun Isa]], amtierender WUC-Präsident
}}
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 | Kopfzeile   = Demonstrationen in der westlichen Diaspora am 10. Juli 2009 anlässlich der [[Unruhen in Ürümqi vom 5. bis 7. Juli 2009|Unruhen in Ürümqi vom 5. bis 7. Juli]]
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 | Bild1       = Uyghur protest Berlin, July 2009 3.jpg
 | Untertitel1 = [[Berlin]]
 | Bild2       = Uyghurprotest DC 2.jpg
 | Untertitel2 = [[Washington, D.C.]]
 | Fußzeile    = Das Foto in Berlin zeigt ein Plakat der [[Gesellschaft für bedrohte Völker|GfbV]] gegen Unterdrückung oder Zerstörung von Kultur, Architektur, Sprache und Religion der Uiguren durch China
}}
Zwar verliefen die ersten Jahre des 21. Jahrhunderts in Bezug auf die uigurische Frage für den chinesischen Staat auf seinem Territorium ruhiger als die 1990er Jahre. Andererseits gelang es jedoch der uigurische Diaspora, ihre traditionelle Uneinigkeit zumindest soweit zu überwinden, dass 2004 in München der [[Weltkongress der Uiguren]] (WUC) gegründet würde, der ein Zentrum für antichinesische Aktivitäten bildete.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /> Die uigurische Diaspora unternahm im Westen große Anstrengungen, ihren Einfluss im 21. Jahrhundert zu verbreiten.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Im Ausland lebende Führer wie [[Rebiya Kadeer]] oder [[Dolkun Isa]] hatten sich allmählich an den politischen Standards des Westens ausgerichtet und ihre politischen Handlungen nach der [[Gewaltfreiheit|gewaltfreien]] Lobbyarbeit der tibetischen Diaspora gestaltet, um die Unterstützung von ausländischen Positionen und Regierungen zu gewinnen. Diese Strategie hatte 2004 den WUC hervorgebracht.<ref name="Castets2018-07-04_theconversation-com_OOX" /> Der WUC ist dabei nicht muslimisch, sondern weltlich ausgerichtet.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />
Die erfolgreiche Geschäftsfrau Kadeer, die 1997 von den chinesischen Behörden wegen angeblicher staatsfeindlicher Aktivitäten in China inhaftiert,<ref name="Castets2018-07-04_theconversation-com_OOX" /><ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> dann freigelassen und nach Washington geflüchtet war, wurde 2006 WUC-Präsidentin<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /> und verkörperte lange Zeit den WUC.<ref name="Castets2018-07-04_theconversation-com_OOX" /> In der Rebiya-Kadeer-Frage wurden Uiguren aus aller Welt geeint.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Die Uiguren sind ein Beispiel dafür, dass der Wunsch ethnischer Minderheiten sehr deutlich politisiert und internationalisiert werden kann, die eigene kulturelle Identität oder ethnische Kultur gegen die Kräfte der [[Globalisierung]] oder mehrere andere ethnische Kulturen, die mächtig und einflussreich sein können, zu bewahren. Im heutigen China trifft dies besonders deutlich auf ethnische Minderheiten mit gut organisierten Diasporas zu. Unter ihnen ist zwar die tibetische Kultur der bei weitem bekannteste Fall, doch folgen ihnen die Uiguren, die ihr internationales Profil im 21. Jahrhundert verstärken konnten.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239">{{Literatur |Autor=Colin Mackerras |Hrsg=Xiaowei Zang |Titel=Ethnic minority languages and cultures |Sammelwerk=Handbook on Ethnic Minorities in China |Reihe=Handbooks of Research on Contemporary China series |Verlag=Edward Elgar Publishing |Ort=Cheltenham & Northampton |Datum=2016 |ISBN=978-1-78471-735-3 |Kapitel=Chapter 10 |Seiten=214–239 |DOI=10.4337/9781784717360.00017}}</ref>

Die chinesische Führung ließ sich in dem Konflikt nicht ernsthaft auf Verhandlungen mit den im Exil lebenden Vertretern der ethnischen Gruppe der Uiguren ein,<ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" /> sondern griff stattdessen ihre Repräsentanten persönlich und diffamierend an.<ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" /><ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Die chinesischen Behörden verglichen Rebiya Kadeer schnell in ihrer Bedeutung als politisch verantwortliche Figur mit dem tibetischen [[Tenzin Gyatso|Dalai Lama]], indem sie sie bezichtigten, den großen Aufstand in Xinjiangs Hauptstadt Ürümqi im Juli 2009 angestiftet zu haben. Ihre Anschuldigung, die Präsidenten des WUC sei eine Terroristin, wurde allerdings von westlichen Kommentatoren praktisch allgemein zurückgewiesen.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />

Die im Ausland lebende Uiguren sind heute oft stolz auf ihr soziales, kulturelles und historisches Erbe. Sie sind dort nicht nur geschäftlich aktiv, sondern haben sich hohe Berufsqualifikationen in Bereichen wie [[Wissenschaft]], [[Technologie]], [[Medizin]], [[Wirtschaft]], [[Recht]], [[Unternehmensführung]] und anderem erworben.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Die Stärke und Präsenz der Uiguren in der jeweiligen Aufnahmegesellschaft ist auch an den ethnischen Verbänden oder Vereinen erkennbar, die die Uiguren in den Ländern ihrer Diaspora gebildet haben. Durch diese Organisationen halten sie ihre familiären und sozioökonomischen Netzwerke mit dem Heimatland und anderen Uiguren auf der ganzen Welt aufrecht.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Die disporischen politischen Organisationen mit Sitz in der Türkei, in Deutschland und in den USA hatten zwar nur geringen unmittelbaren Einfluss auf die Uiguren in Xinjiang, kämpften aber darum, die Situation der Uiguren in China zu einem politischen Gegenstand weltweiten Interesses zu machen.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" />

==== Diaspora in der Türkei ====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = [[Flagge der uigurischen Unabhängigkeitsbewegung|Ostturkestan-Flaggen]] in der europäischen Diaspora
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 | Bild1       = İstanbul 6897.jpg
 | Untertitel1 = Gewürzhändler am [[Mısır Çarşısı|Ägyptischen Basar]] im [[Istanbul]]er Stadtteil Eminönü (1. August 2009)
 | Bild2       = People of Xinjiang protesting against the chinese government.jpg
 | Untertitel2 = Demonstration in [[Bern]] gegen Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung (10. Dezember 2020)
}}
In den 1950er Jahren erreichte eine erste Gruppe Uiguren aus Xinjiang über Pakistan die Türkei. 1968 folgte eine zweite Welle uigurischer Einwanderer in die Türkei über [[Afghanistan]].<ref name="Andrews1989_2002_EGR_p77-81" /><ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601" />

Unter den vielen Gruppen von [[Immigration|Immigranten]], die seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert nach [[Anatolien]] übersiedelten, stellten die Flüchtlinge aus [[Turkestan]], die während der 1950er Jahre in die Türkei gelangten, eine der auffälligsten dar. Ihre vergleichsweise ausgeprägt [[mongolide]] [[Physiognomie]] machte sie leicht von der angestammten Bevölkerung in der Türkei unterscheidbar und führte nicht selten zu ihrer Verwechslung mit Chinesen oder Japanern.<ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601">{{Literatur |Autor=Ingvar Svanberg |Hrsg=Peter Alford Andrews, unter Mitarb. von Rüdiger Benninghaus |Titel=Turkestani Refugees |Sammelwerk=Ethnic Groups in the Republic of Turkey |Reihe=Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients |BandReihe=B |HrsgReihe=Heinz Gaube, Wolfgang Röllig |NummerReihe=60.1 |Verlag=Reichert |Ort=Wiesbaden |Datum=2002 |ISBN=3-89500-297-6 |Seiten=591–601 |JahrEA=1989}} Die Auflage von 2002 ist ein unveränderter Reprint der Erstauflage.</ref> Zusammen mit anderen Immigrantengruppen mit mongoliden Merkmalen wurden sie in der Türkei gewöhnlich als „Tataren“ (türkisch: ''Tatarlar'') angesprochen, bezeichneten sich selbst jedoch als „Turkestani“ (türkisch: ''Türkistanlılar''). Gemeinsam war diesen Gruppen neben ihrer Zugehörigkeit zum [[Sunniten|sunnitischen]] [[Islam]] [[Hanafiten|hanefitischer]] Rechtsschule, dass sie verschiedene, aber bis zu einem gewissen Grad gegenseitig verständliche zentralasiatische Turksprachen sprechen und – meist in den 1950er Jahren – aus dem ehemals „Turkestan“ genannten Gebiet kamen, das später zwischen der Volksrepublik China (Region Xinjian), der Sowjetunion (die [[Unionsrepublik#Die Unionsrepubliken der Sowjetunion|sozialistischen Sowjetrepubliken]] [[Kasachische Sozialistische Sowjetrepublik|Kasachische SSR]], [[Turkmenische Sozialistische Sowjetrepublik|Turkmenische SSR]], [[Kirgisische Sozialistische Sowjetrepublik|Kirgisische SSR]] und [[Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik|Usbekische SSR]]) und Nord-Afghanistan aufgeteilt wurde. Aus wissenschaftlicher Sicht gehören sie allerdings verschiedenen ethnischen Gruppen an, namentlich den [[Usbeken]], [[Turkmenen (Zentralasien)|Turkmenen]], [[Kirgisen]], [[Kasachen]] und Uiguren.<ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601" />

In der Türkei gab es bis 1921, als die heutigen Uiguren ([[Türkische Sprache|türkisch]]: ''Uygur'' oder im Plural ''Uygurlar''), ihre Selbstbezeichnung als ''Uyğur'' annahmen, verschiedene nach ihren Wohnorten gewählte Selbstbezeichnungen wie ''Käşkarlık'', ''Turpallık'', ''Kommulluk'' oder andere.<ref name="Andrews1989_2002_EGR_p77-81">{{Literatur |Hrsg=Peter Alford Andrews, unter Mitarb. von Rüdiger Benninghaus |Titel=Uygurs |Sammelwerk=Ethnic Groups in the Republic of Turkey |Reihe=Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients |BandReihe=B |HrsgReihe=Heinz Gaube, Wolfgang Röllig |NummerReihe=60.1 |Verlag=Reichert |Ort=Wiesbaden |Datum=2002 |ISBN=3-89500-297-6 |Seiten=77–81 |JahrEA=1989}} Die Auflage von 2002 ist ein unveränderter Reprint der Erstauflage.</ref> In der engverbundenen Ansammlung von Wohnsiedlungen, Lederfabriken und kleinen Läden in [[Zeytinburnu]], die vorwiegend von Migranten der 1940er Jahre aus dem heutigen Xinjiang besiedelt war, fand der Ethnologe [[Dru C. Gladney]] in ihrer Selbstbezeichnung noch Ethnonyme wie ''Kashgarlik'', ''Turfanlik'', ''Khotanlik'' oder ''Aksulik'' vor sowie weitere Geburtsort-Bezeichnungen, die auf die das Tarimbecken umgebenden Oasenstädte oder die Taklamakanwüste verwiesen.<ref name="Gladney1990_CAS_9_1_1-28">{{Literatur |Autor=Dru C. Gladney |Titel=The Ethnogenesis of the Uighur |Sammelwerk=Central Asian Survey |Band=9 |Nummer=1 |Datum=1990 |Seiten=1–28 |DOI=10.1080/02634939008400687}}</ref>

Andrews wies in seiner umfassenden [[Ethnographie]] der Türkei (1989) darauf hin, dass die Uiguren bei der Volkszählung in der Türkei nicht gesondert ausgewiesen wurden, da es sich bei ihnen (wie bei den Türken selbst) um Sprecher einer Turksprache handelte.<ref name="Andrews1989_2002_EGR_p77-81" /> In der Türkei sprechen die Uiguren (Stand: 1989) ''Uigurisch'' oder ''Osttürkisch'' (türkisch: ''Türki'', ''Uyğur Tili''), das zur Gruppe der Östlichen Turksprachen innerhalb der Sprachfamilie der Turksprachen gehört und sich in zwei [[Dialekt|Hauptdialekte]] (Nord und Süd) sowie in vier weitere, recht „isolierte“ Dialekte aufteilen lässt. Sie hielten in der Türkei an ihrer Sprache für den Gebrauch untereinander fest.<ref name="Andrews1989_2002_EGR_p77-81" /> Uiguren in der Türkei konnten ihre Identität teilweise besser bewahren als jene in Xinjiang. So lernten sie in der Türkei beispielsweise in den Schulen mehr über die Geschichte der Uiguren als in Xinjiang und organisierten zu vielen Anlässen im Jahr kulturelle Aktivitäten mit Inhalten zur uigurischen Zivilisation. Während Uiguren etwa in Istanbul in aller Regel ein oder mehrere uigurische Lieder singen konnten, darunter auch sehr alte, traf dies für die Uiguren in Xinjiang nicht zu.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p61" /> Die sprachliche Nähe zwischen Uigurisch und [[Türkische Sprache|Türkisch]] kann mit derjenigen zwischen [[Niederländische Sprache|Niederländisch]] und [[Deutsche Sprache|Deutsch]] verglichen werden.<ref name="derstandard.at_2021-05-07_UMT" />

Svanberg (in der Ethnographie von Andrews veröffentlicht) gab für das Jahr 1980 eine Anzahl von 700 Uiguren in der Türkei an, die in [[Istanbul]] (rund 50 Familien in der Kasachen-Siedlung in [[Safraköy]], weitere in [[Örnektepe]]), [[Izmir]], [[Adana]] und [[Kayseri]] (mit der größten Gruppe von rund 100 Familien in [[Yenimahalle]]) lebten. Typisch für die Uiguren in Istanbul war es, dass sie ihren Lebensunterhalt durch Handel und Handwerk bestritten, während die Uiguren Kayseris dafür Mützen und insbesondere [[Takke|Gebetskappen]] (türkisch: ''takke'') nähten.<ref name="Andrews1989_2002_EGR_p77-81" /><ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601" /> Neben Zeytinburnu gilt heute (Stand: 2021) auch der Stadtteil [[Sefaköy]] (in [[Küçükçekmece]]) als Heimat der uigurischen Exilgemeinde von [[Istanbul (Provinz)|Istanbul]].<ref name="derstandard.at_2021-05-07_UMT" />

Heute wird darauf hingewiesen, dass die Uiguren in Gemeinsamkeit mit den Türken traditionell eine eher offene Variante des sunnitischen Islam praktizieren.<ref name="derstandard.at_2021-05-07_UMT" /> Andrews wies jedoch (1989) darauf hin, dass die Uiguren in der Türkei in ihrer Religionsangehörigkeit dem [[Sunniten|sunnitischen]] [[Islam]] in strikt [[Hanafiten|hanefitischer]] Ausprägung folgten und sich allein durch die Striktheit ihrer Befolgung religiöser Bräuche, nach denen Frauen in [[Geschlechtertrennung|Seklusion]] mit Männern lebten, wohl schon vom Rest der türkischen Gesellschaft abhoben.<ref name="Andrews1989_2002_EGR_p77-81" /><ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601" /> Die „Turkestani“-Immigranten waren im ''Batı Türkistan Kültür Derneği'' und im von den Uiguren dominierten ''Doğu Türkistan Göçmenler Derneği'' organisiert, über die [[Folklore]]vorführungen und Teilnahmen an verschiedenen politischen Kundgebungen veranstaltet und Propaganda zum Thema Turkestan verbreitet wurde. Auch führten Uiguren und Kasachen ein recht aktives kulturelles Leben mit oft [[Panturkismus|panturkistischer]] Richtung.<ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601" /> Neben den sprachlich und kulturell ohnehin augenscheinlichen Ähnlichkeiten zwischen Uiguren und Türken kann auch die Ideologie des Panturanismus (verstanden als ein von der Türkei bis nach Ostturkestan länderübergreifendes Türkentum) zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Verbindung der beiden Völker zusätzlich propagandistisch überhöht haben.<ref name="derstandard.at_2021-05-07_UMT" /> Der Politiker Isa Yusuf Alptekin, der eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der [[Uigurische Unabhängigkeitsbewegung|uigurischen Autonomiebestrebungen]] darstellt, war in den 1950er Jahren in die Türkei geflüchtet und wurde nach seinem Tod im Jahr 1995 neben den türkischen Staatsführern [[Turgut Özal]] und [[Adnan Menderes]] bestattet.<ref name="derstandard.at_2021-05-07_UMT" /> Wie Alptekin hatte auch Mehmet Emin Buğra nach seiner Auswanderung in die Türkei von dort eine separatistische uigurische Bewegung angeführt.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Unmittelbar nach dem Aufstand in Ürümqi von Juli 2009 wurde in [[Kayseri]] ein großes Flüchtlingslager errichtet, das von einer uigurischen Hilfsorganisation betrieben wird. Manche Uiguren haben mittlerweile das Lager verlassen, während andere hinzugekommen sind. Heute (Stand: 2019 oder früher) leben über 2000 Uiguren im Kayseri-Lager. Die meisten Uiguren in Kayseri waren ursprünglich [[Fabrikarbeiter|Fabrik-]] und [[Bauarbeiter]], die in Lagern und Zelten für [[Wanderarbeiter]] in Ürümqi gelebt hatten.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" />

Anfang Juli 2015 nahm die Türkei rund 175 Uiguren auf, die von China nach [[Thailand]] geflüchtet waren. Zuvor kam es in [[Ankara]] und [[Istanbul]] zu teilweise gewalttätigen Protesten nationalistischer Türken gegen die chinesischen Behörden, die angeblich die uigurische Minorität daran hindern, das religiöse Fasten im [[Ramadan]] einzuhalten.<ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" />

Das in Istanbul ansässige [[East Turkestan National Center]] gab die Anzahl der in der Türkei lebenden Uiguren nach einer Nachrichtenagenturangabe von 2019 mit 35.000 an.<ref name="reuters-com_2019-03-27_WPU">{{Internetquelle |autor=Murad Sezer |url=https://www.reuters.com/article/us-china-xinjiang-turkey-widerimage/without-papers-uighurs-fear-for-their-future-in-turkey-idUSKCN1R81ED |titel=Without papers, Uighurs fear for their future in Turkey |werk=reuters.com |datum=2019-03-27 |abruf=2020-06-14}}</ref> Anfang 2021 bezifferte die Deutsche Welle die Anzahl der Uiguren, die vorwiegend in den letzten vorangegangenen Jahren in die Türkei geflohen waren, auf 50.000.<ref name="dw-com_2021-02-28_LIA">{{Internetquelle |autor=Tunca Öğreten |url=https://www.dw.com/de/uiguren-in-der-t%C3%BCrkei-ein-leben-in-angst/a-56662323 |titel=Uiguren in der Türkei: ein Leben in Angst |werk=dw.com |datum=2021-02-28 |abruf=2021-02-28}}</ref><ref name="moroccoworldnews.com_2021-05-01_DCB_dw">{{Internetquelle |autor=Youssra El Badmoussi |url=https://www.moroccoworldnews.com/2021/05/341160/did-china-buy-turkeys-silence-on-the-uyghur-muslims/c |titel=Did China Buy Turkey’s Silence on the Uyghur Muslims? |titelerg=Turkey is silent while international powers are accusing China of genocide against the Uyghurs. Observers are suggesting realpolitik is the reason |werk=moroccoworldnews.com |datum=2021-05-01 |abruf=2021-05-02}} Dort mit Verweis auf: {{Internetquelle |autor= Tunca Ögreten |url=https://www.dw.com/en/uighur-exiles-living-in-fear-in-turkey/a-56729456 |titel=Uighur exiles living in fear in Turkey |titelerg=Tens of thousands of Uighurs have fled to Turkey to escape Chinese persecution. Yet life in exile is challenging |werk=dw.com |datum=2021-02-28 |abruf=2021-05-02}}</ref> Damit handelt es sich bei den Uiguren in der Türkei um die weltweit größte uigurische Diaspora.<ref name="derstandard.at_2021-05-07_UMT">{{Internetquelle |autor=Philipp Mattheis |url=https://www.derstandard.at/story/2000126448088/uigurische-minderheit-in-der-tuerkei-als-spielball-der-politik |titel=Verhältnis zu China: Uigurische Minderheit in der Türkei als Spielball der Politik |titelerg=In der Türkei lebt die größte uigurische Diaspora. Viele sind enttäuscht von der Regierung in Ankara, die um gute Beziehungen zu China bemüht ist |werk=derstandard.de |datum=2021-05-07 |abruf=2021-05-07}}</ref>

==== Diaspora in Deutschland ====
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 | Fußzeile    = Gemeinsame Demonstration der Gruppe „Hongkongers in Germany Concern Group“ (HKGCG) und des WUC<ref name="uyghurcongress-org_2020-01-14_FFF">{{Internetquelle |url=https://www.uyghurcongress.org/de/press-release-freedom-from-frear-sanktioniert-die-chinesische-diktatur-hkgcg-und-wuc-kundigen-demonstration-an-fur-den-19-01-2020-ab-13-30-uhr/ |titel=Press Release: Freedom from Frear, Sanktioniert die chinesische Diktatur! HKGCG und WUC kündigen Demonstration an für den 19.01.2020 ab 13.30 Uhr |werk=uyghurcongress.org |datum=2020-01-14 |abruf=2020-11-21}}</ref> für die Rechte der Uiguren vor dem [[Brandenburger Tor]] in [[Berlin]] (19. Januar 2020)
}}
[[Datei:Uyghur protest in Munich 2008.jpg|mini|Pro-uigurische Demonstrationen in München (21. August 2008)]]
Die exil-uigurische Diaspora in Deutschland nimmt eine besondere Stellung ein und ist mit 2000 Mitgliedern die größte Europas.<ref name="Schäfer2022_SWP-Studie_2022-S09_p1-33">{{Literatur |Autor=Carsten Schäfer |Titel=Chinas Diasporapolitik unter Xi Jinping: Inhalte, Grenzen und Herausforderungen |Reihe=SWP-Studie |BandReihe=2022/S 09 |Verlag=Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit |Ort=Berlin |Datum=2022-09 |ISSN=1611-6372 |Seiten=1–33 |DOI=10.18449/2022S09}}</ref> Sie ist in jüngster Zeit unter anderem durch den deutlichen Anstieg von Asylanträgen (2020: 193 Asylanträge) gewachsen.<ref name="Schäfer2022_SWP-Studie_2022-S09_p1-33" /> Auch zuvor kamen viele Uiguren in Deutschland als [[Asylbewerber|Asylsuchende]] ins Land. Sie stammen oftmals aus kleineren Städten und ländlich geprägten Gebieten in Xinjiang. Viele lebten auch in jüngster Zeit (Stand: 2011 oder früher) noch immer in Asylunterkünften, während andere als [[Flüchtling]]e in Deutschland anerkannt wurden und eine Vielzahl von Beschäftigungen ausüben, darunter in der [[Informationstechnologie]], in der politischen Interessenvertretung, im Reinigungsgewerbe oder in der [[Gastronomie]], auch als Besitzer von Restaurants.<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" />

Eine besonders hohe Zahl an Uiguren in Deutschland lebt in und in der Nähe der Stadt [[München]].<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> Im Jahr 2009 waren 500 der 600<ref name="br-online-de_2009-07-08_EHM" /> im Jahr 2019 700 der 1.500<ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /><ref name="zeit-de_20200216_ZAC" /><ref name="zeit-de_2019-12-09_UBW" /> und im Jahr 2022 800 der 2000<ref name="Schäfer2022_SWP-Studie_2022-S09_p1-33" /> in Deutschland lebenden Uiguren in München ansässig.<ref name="Schäfer2022_SWP-Studie_2022-S09_p1-33" /><ref name="br-online-de_2009-07-08_EHM" /><ref name="br-de_2019-12-18_MEH">{{Internetquelle |url=https://www.br.de/nachrichten/bayern/muenchen-exil-hauptstadt-der-uiguren-in-deutschland,Rl0DAHQ |titel=München – Exil-Hauptstadt der Uiguren in Deutschland |titelerg=München gilt als politisches Zentrum der im Ausland lebenden Uiguren. In keiner anderen europäischen Stadt leben so viele wie hier. 700 sind es derzeit – Tendenz steigend, denn die muslimische Minderheit wird in ihrer Heimat China massiv verfolgt |werk=br.de |datum=2019-12-18 |abruf=2020-06-09}}</ref><ref name="zeit-de_20200216_ZAC" /><ref name="zeit-de_2019-12-09_UBW" /> München gilt zugleich als größte uigurische Gemeinde in der gesamten europäischen Diaspora.<ref name="br-online-de_2009-07-08_EHM" /><ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /><ref name="zeit-de_20200216_ZAC" /><ref name="zeit-de_2019-12-09_UBW" /> Bei den meisten Uiguren handelte es sich laut einem Vertreter des [[Weltkongress der Uiguren|Weltkongresses der Uiguren]] (WUC) um [[Politische Verfolgung|politische Flüchtlinge]].<ref name="br-online-de_2009-07-08_EHM">{{Webarchiv |url=http://www.br-online.de/aktuell/news/uiguren-muenchen-unruhen-ID1247061430286.xml |text=''Uiguren: „Exil-Hauptstadt“ München'' |wayback=20090710063825}}, br-online.de, Stand: 8. Juli 2009.</ref><ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /> Die Geschichte der Uiguren in München reicht in die Zeiten des [[Kalter Krieg|Kalten Krieges]] in den 1970er Jahren zurück, als der US-amerikanische Sender [[Radio Free Europe|Radio Liberty]] mit München als seinem Hauptquartier in Richtung Sowjetunion ausstrahlte. Er hatte auch ein uigurisches Programm, zu dem [[Dissident]]en aus Xinjiang beitrugen, wodurch München seinen Ruf als politisches Zentrum der Exil-Uiguren erwarb.<ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /> Bei den Uiguren der 1970er Jahre in München handelte es sich um die ersten Uiguren, die in den Westen gingen.<ref name="zeit-de_2019-12-09_UBW">{{Internetquelle |autor=Elisabeth Kagermeier |url=https://www.zeit.de/gesellschaft/2019-12/uiguren-china-verfolgung-exil-muenchen/komplettansicht |titel=Uiguren: Die blauen Wölfe |titelerg=In keiner europäischen Stadt leben so viele Uiguren wie in München. Sie sind froh, dass nun die ganze Welt über Chinas Lager weiß – frei fühlen können sie sich nicht |werk=zeit.de |datum=2019-12-09 |abruf=2020-06-09}}</ref> München gilt jedoch nicht nur als „Exil-Hauptstadt der Uiguren in Deutschland“, sondern mit dem dort ansässigen WUC, der Dachorganisation für 32 uigurische Gruppen in 18 Ländern, auch als ein „Hauptquartier des uigurischen Widerstandes gegen China“.<ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /><ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> Der WUC engagiert sich für die Unabhängigkeit „Ost-Turkestans“<ref name="Schäfer2022_SWP-Studie_2022-S09_p1-33" /> und organisiert nicht nur Demonstrationen und kulturelle Feste, sondern unterstützt auch Uiguren auf der Flucht.<ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /> München ist als Sitz der Dachorganisation WUC auch Sitz kleinerer Gruppen wie dem [[Uigurischer Frauenverein München|Uigurischen Frauenverein München]]. Auch die [[Ostturkestanische Union in Europa]] agiert von München aus und organisiert regelmäßig Demonstrationen vor dem chinesischen Konsulat. WUC, Uigurischer Frauenverein München und Ostturkestanische Union in Europa wähnen sehen als Repräsentation der Uiguren in China an und treten oft zusammen auf Protest- und Kulturveranstaltungen in Aktion.<ref name="Schäfer2022_SWP-Studie_2022-S09_p1-33" />

Viele Uiguren in der Diaspora sind Mitglieder von politischen Organisationen der Diaspora wie dem WUC und verbinden oft im Rahmen dieser Organisationen ihr privates mit öffentlichem Engagement, nehmen an Demonstrationen gegen [[Menschenrechte|Menschenrechtsverletzungen]] in China teil, bringen ihren Kindern uigurische Sprache und kulturelle Traditionen bei oder organisierten Gemeinschaftsfeiern für Festtage, wie die Frühlingsfeier [[Nouruz|Nowruz]],<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> die in München in den 2000er Jahren von der Ostturkistanischen Union in Europa e.&#8239;V. veranstaltet worden sein soll.<ref name="ari-magazin-com_2006-02-07_NBU">{{Internetquelle |url=http://www.ari-magazin.com/deutsch/index.php3?dernekler=1&anahaber=1&nr=165 |titel=Newrozfest bei Uighuren... |werk=ari-magazin.com (ARImagazin /Ari Dergisi, Ausgabe 57) |datum=2006-02-07 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20060216130035/http://www.ari-magazin.com/deutsch/index.php3?dernekler=1&anahaber=1&nr=165 |archiv-datum=2006-02-16 |abruf=2020-06-15 |offline=1}}</ref>

Die Organisation des WUC geht laut Medienangaben auf Dolkun Isa zurück, den Anführer pro[[Demokratie|demokratischer]] Proteste an der [[Universität Xinjiang]].<ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /> Isa, heute Präsident des WUC,<ref name="de-qantara-de_20200515_EKK" /><ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /> war 1994 zunächst in die Türkei und dann 1996 nach Deutschland geflüchtet.<ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /> Die chinesische Regierung betrachtet ihn als Terroristen und lässt ihn von [[Interpol]] verfolgen.<ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /> Sie hatte eine „Red Notice“ gegen Isa erlassen, die erst 2018 gelöscht wurde.<ref name="de-qantara-de_20200515_EKK" /> Isas Angaben nach soll er in [[Italien]] beim Betreten des Senats aufgrund der „Red Notice“ verhaftet,<ref name="de-qantara-de_20200515_EKK" /><ref name="cfShi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX">Cf. {{Internetquelle |autor=Kristin Shi-Kupfer |url=https://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54592/china-xinjiang |titel=China – Xinjiang |hrsg=[[Bundeszentrale für politische Bildung|bpb.de]] |datum=2017-12-17 |abruf=2020-06-13}}</ref> aber dank der deutschen Regierung nicht nach China abgeschoben worden sein.<ref name="de-qantara-de_20200515_EKK" /> Er gab weiter an, dass er ohne den Einsatz der deutschen Regierung gewaltsam nach China zurückgeschickt worden und „verschwunden oder getötet worden“ wäre.<ref name="de-qantara-de_20200515_EKK">{{Internetquelle |autor=Sven Lilienström |url=https://de.qantara.de/inhalt/unterdrueckung-der-uiguren-in-xinjiang-es-kann-kein-business-as-usual-mit-china-geben?nopaging=1 |titel=Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang: Es kann kein "Business as usual" mit China geben |titelerg=Die "China Cables" enthüllten die systematische Verfolgung der Uiguren in Nordwestchina. Hierüber sprach Sven Lilienström mit dem Präsidenten des Weltkongresses der Uiguren Dolkun Isa, der leitenden ICIJ-Journalistin für das Projekt "China Cables" Bethany Allen-Ebrahimian sowie der Whistleblowerin Asiye Abdulaheb |hrsg=[[Qantara.de|de.qantara.de]] |datum=2020-05-15 |abruf=2020-06-06}}</ref>

Seit 2016, als noch 23 Uiguren Asylanträge in Deutschland stellten,<ref name="br-de_2019-12-18_MEH" /> nimmt die Anzahl der Uiguren aus China zu, die in Deutschland Asyl beantragen.<ref name="dw-com_2019-11-29_IMU">{{Internetquelle |url=https://www.dw.com/de/immer-mehr-uiguren-wollen-asyl-in-deutschland/a-51460797 |titel=Menschenrechte: Immer mehr Uiguren wollen Asyl in Deutschland |titelerg=In China wird die muslimische Minderheit mit wachsender Härte verfolgt. Das spiegelt sich auch in den Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wider |werk=dw.com |datum=2019-11-29 |abruf=2020-06-09}}</ref> Die Anzahl der in Deutschland Asyl beantragenden Uiguren stieg von 68 im Jahr 2018 auf 193 im Jahr 2019.<ref name="zeit-de_20200216_ZAC">{{Internetquelle |url=https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-02/uiguren-china-asylantraege-deutschland |titel=Uiguren: Zahl der Asylanträge von Chinesen in Deutschland hat sich verdoppelt |titelerg=Unter den Schutzsuchenden sind 193 Uiguren. Die muslimische Minderheit wird von der Regierung verfolgt. Mehr als eine Million von ihnen leben in Umerziehungslagern |werk=zeit.de |datum=2020-02-16 |abruf=2020-06-09}}</ref> Unter den chinesischen Asylantragstellern war dabei der Anteil der Uiguren besonders stark gestiegen.<ref name="zeit-de_20200216_ZAC" /> Auch waren dabei die Chancen auf Asylgenehmigung mit rund 96 % für Uiguren überdurchschnittlich hoch im Vergleich zur Gesamtzahl der Chinesen mit weniger als 19 %.<ref name="zeit-de_20200216_ZAC" /><ref name="dw-com_2019-11-29_IMU" /> Wie die Anzahl der uigurischen Asylbewerber steigt auch deren [[Gesamtschutzquote|Schutzquote]] bereits seit 2016 an.<ref name="zeit-de_2019-12-09_UBW" />

==== Diaspora in den USA ====
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|Description = [[Anwar Yusuf Turani]] (rechts), Gründer und aktueller Ministerpräsident der [[Exilregierung der Republik Ostturkistan]],<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> mit US-Präsident [[Bill Clinton]] (4. Juni 1999)
}}
<div class="tright" style="clear:none;">[[Datei:Erkin Sidiq.jpg|mini|Erkin Sidick (Erkin Sidiq), uigurisch-US-amerikanischer Chefingenieur der [[NASA]], Menschenrechtsaktivist<ref name="rtl-de_2020-10-23_FCI_YT">{{Internetquelle |url=https://www.rtl.de/cms/schwere-vorwuerfe-gegen-china-menschenversuche-an-den-uiguren-um-corona-zu-bekaempfen-4636693.html |titel=Für Corona-Impfstoff und Medikamente: Schwere Vorwürfe gegen China: Menschenversuche an den Uiguren? |werk=rtl.de |datum=2020-10-23 |abruf=2020-10-26}} Eingebettetes Video: ''Menschenversuche an den Uiguren?'' (Länge: 3 Minuten, 41 Sekunden), Interviews von Pia Schroers mit Erkin Sidick und anderen Wissenschaftlern. Videoinhalt auch verfügbar als: ''[https://www.youtube.com/watch?v=qPWaJBmDDA4 China infiziert angeblich heimlich Uiguren mit Corona – ntv]'', veröffentlicht vom YouTube-Kanal [https://www.youtube.com/channel/UCSeil5V81-mEGB1-VNR7YEA ntv Nachrichten] am 12. Oktober 2020 (Länge: 4 Min, 39 Sekunden).</ref> und erster Ehrenvorsitzender der 2009 in Istanbul gegründeten [[Uyghur Academy]] (UA)<ref name="UA_2020-06-03_AUA">{{Internetquelle |url=https://akademiye.org/en/?page_id=40 |titel=About UA |werk=akademiye.org (Uyghur Academy) |datum=2020-06-03 |abruf=2020-10-26 |sprache=en}}</ref> ]]</div>
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 | Fußzeile    = Veranstaltung gegen den „Genozid in Ostturkestan“ mit Kulturprogramm ([[Washington, D.C.]], 3. August 2014)
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 | Kopfzeile   = Ethnisch-uigurische Journalisten des Senders Radio Free Asia
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 | Untertitel1 = [[Radio Free Asia|RFA]]-Journalisten (von links nach rechts): [[Shohret Hoshur]], [[Eset Sulaiman]], [[Mamatjan Juma]], [[Gulchehra Hoja]], [[Kurban Niyaz]], [[Jilil Kashgary]] (12. Dezember 2018)
 | Bild2       = Hoja Pompeo 0520feat01-13.jpg
 | Untertitel2 = Gulchehra Hoja (zweite von links) und zwei weitere Uiguren, deren Verwandte in China inhaftiert oder verurteilt wurden, mit US-Außenminister [[Mike Pompeo]] (rechts) (16. April 2020)
 | Fußzeile    = Laut RFA sollen Verwandte von mindestens fünf Uigurisch sprechenden RFA-Journalisten (Shohret Hoshur, Gulchehra Hoja, Mamatjan Juma, Kurban Niyaz, Eset Sulaiman) in China inhaftiert oder verschwunden sein, nachdem diese Reporter über Misshandlungen in China berichtet hatten<ref name="nytimes-com_2018-03-01_AUB" /><ref name="washingtonpost-com_2018-02-28_CDR" />
}}
Uiguren sind auch in beträchtlicher Zahl in die USA ausgewandert.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> In den 1990er Jahren emigrierte eine Anzahl von Uiguren in die USA, bei denen es sich zum größten Teil um politische Flüchtlinge handelte, die damit auf eine anhaltende und rücksichtslose chinesische Repression reagierten. Auch die Uiguren aus der zentralasiatischen Region flüchteten in sichere Staaten wie die USA, um dort Asyl zu beantragen.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> Die Migrationsroute der Uiguren führt aufgrund der von den chinesischen Behörden auferlegten Beschränkungen zunächst in die zentralasiatischen Länder, in die Türkei, nach Deutschland und von dort in die [[USA]].<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Obwohl die Uiguren in den USA als kleine Diaspora-Gruppe gelten, haben sie sich durch ihr ethnisches Bewusstsein als Uiguren hervorgetan und wurden zu einer der erfolgreichsten Diaspora-Gemeinschaften in den USA. Die Mitglieder der uigurischen Diaspora in Amerika zeichnen sich durch besonderen Erfolg in einer Vielzahl von Branchen und Dienstleistungen aus, wie [[Journalismus]], Recht, [[Elektronik]], [[Telekommunikation]] und [[Computer]], [[Stromerzeugung]] und [[Bankwesen]]. Die Bevölkerung der heute (Stand: 2010) rund 1000 Uiguren in den USA konzentriert sich vorwiegend in Orten wie [[Washington, D.C.]], [[Virginia]], [[Maryland]] und der [[Kalifornien|kalifornischen]] Stadt [[Los Angeles]]. Das Fortbestehen ihrer Verbundenheit mit der uigurischen Kultur auch in der Diaspora zeigt sich in ihren traditionellen Festen und Zeremonien sowie in anderen soziokulturellen Aktivitäten. Neben uigurischen Magazinen, Zeitungen und Literatur existieren auch Internet-Websites, die ausschließlich für Uiguren erstellt wurden und ebenfalls separatistisch für die Schaffung eines uigurischen Staates ausgerichtet sind.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" />

Die in die USA eingewanderten Uiguren legen ihren Fokus auf [[Menschenrechtsverletzung]]en und [[Opposition (Politik)|Opposition]] gegen China, nicht jedoch auf den Islam.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Zu den uigurischen Organisationen in den USA gehört die [[Uyghur American Association]] (UAA) mit Sitz in Washington und die ebenfalls in Washington ansässige Exilregierung der Republik Ostturkestan (The Government-in-Exile of East Turkistan Republic). Die Exilregierung der Republik Ostturkistan wurde am 14. September 2001 von ihrem derzeitigen Ministerpräsidenten [[Anwar Yusuf Turani]] gegründet, um in Amerika Öffentlichkeitsarbeit über die Geschichte, Kultur und aktuelle politische Situation der Uiguren in „Ostturkistan“ (Xinjiang) zu betreiben. Die UAA ist ein prominenter uigurischer Kulturverein und dient als Dachorganisation für die in verschiedenen Teilen der USA und Kanadas lebenden Uiguren. Hauptziele der UAA sind zum Ersten die Förderung von Aktivitäten zum besseren Verständnis der uigurischen Kultur und des Informationsaustauschs zwischen Uiguren in Amerika und Uiguren in anderen Teilen der Welt. Zum Zweiten strebt die Vereinigung die weltweite Sammlung aller Uiguren zum Kampf für eine unabhängige Republik Ostturkistan an. Die UAA betreibt seit 2004 das [[Uyghur Human Rights Project]] (UHRP), das darauf abzielt, Druck auf China auszuüben, um die Verfolgung von Uiguren und politischen Gefangenen zu beenden, negative Folgen von Entwicklungsprojekten in vorwiegend uigurisch besiedelten Teilen Xinjiangs zu überwachen und in Zusammenarbeit mit den USA und anderen weltweit einflussreichen Staaten wie Deutschland und Großbritannien wichtige Informationen über die Uiguren auszutauschen.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> Die UAA war maßgeblichen Anteil an der Internationalisierung der Rebiya Kadeer-Frage. Die intensive Lobbyarbeit der UAA, der Appell uigurischer Diaspora-Organisationen und Menschenrechtsgruppen wie [[Amnesty International]] und [[Human Rights Watch]] sowie der Druck der US-Regierung führte einen Tag vor dem Besuch der US-Außenministerin [[Condoleezza Rice]] in China im April 2005 zur Entlassung Kadeers durch die chinesischen Behörden.<ref name="GuangEtDebata2010_CEFQ_8_4_59-78" /> Der chinesische Staat reagierte mit Verärgerung darüber, dass der WUC-Präsidentin Rebiya Kadeer [[Asyl]] in den USA gewährt wurde.<ref name="Mackerras2015_EA_32_1_25-42">{{Literatur |Autor=Colin Mackerras |Titel=Xinjiang in China’s Foreign Relations: Part of a New Silk Road or Central Asian Zone of Conflict? |Sammelwerk=East Asia |Band=32 |Nummer=1 |Datum=2015 |Seiten=25–42 |DOI=10.1007/s12140-015-9224-8}}</ref>

Die Uiguren in den USA verfügen über etwas andere Charakteristika in Bezug auf ihren Status vor der Auswanderung als etwa jene in Deutschland, da viele Uiguren in den USA im Gegensatz zu denen in Deutschland als Studenten aus städtischen Zentren in Xinjiang und mit Bildungshintergrund in die USA kamen<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /><ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p61">{{Literatur |Autor=Anwar Rahman |Titel=Sinicization Beyond the Great Wall: China's Xinjiang Uighur Autonomous Region |Verlag=Matador (Troubador Publishing) |Ort=Leicester |Datum=2005 |ISBN=1-904744-88-5 |Kapitel=Chapter 4.: Uighurs |Seiten=33–64 |Fundstelle=S. 61}}</ref> und einige einen [[Akademischer Grad|Akademischen Grad]] in verschiedenen Berufsrichtungen vorweisen konnten.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p61" /> Uiguren in und um [[Washington, D.C.]] engagieren sich üblicherweise aktiv für politische Interessen und nutzen ihre Netzwerke, um ihre Angelegenheiten in Regierungskreisen öffentlich bekannt zu machen. So sensibilisiert die Charta der UAA zum Beispiel für die kulturelle und politische Situation in Xinjiang und bietet Uiguren ein virtuelles Forum, um lokal und weltweit miteinander in Kontakt zu treten. Andere Programme wie das UHRP konzentrieren sich ausschließlich auf Menschenrechte, [[Religionsfreiheit]] und [[Demokratie]] in Xinjiang.<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" />

Bei dem von den USA finanzierten und in Washington ansässigen Nachrichtensender [[Radio Free Asia]] arbeiten mehrere Uigurisch sprechende oder ethnisch-uigurische Journalisten für den uigurischen Dienst des Senders, der eine aggressive Berichterstattung über die Situation in Region Xinjiang anbietet.<ref name="nytimes-com_2018-03-01_AUB" /> Sie haben die harten Bedingungen in den Lagern Xinjiangs und Todesfälle in [[Polizeigewahrsam]] dokumentiert.<ref name="rfa-org_2017-12-21_TUS">{{Internetquelle |autor=Shohret Hoshur (Bericht), Alim Seytoff (Übersetzung), Joshua Lipes (Bearbeitung) |url=https://www.rfa.org/english/news/uyghur/students-12212017141002.html |titel=Two Uyghur Students Die in China’s Custody Following Voluntary Return From Egypt |werk=rfa.org |datum=2017-12-21 |abruf=2020-11-19}}</ref><ref name="nytimes-com_2018-03-01_AUB">{{Internetquelle |autor=Austin Ramzy |url=https://www.nytimes.com/2018/03/01/world/asia/china-xinjiang-rfa.html |titel=After U.S.-Based Reporters Exposed Abuses, China Seized Their Relatives |werk=nytimes.com |datum=2018-03-01 |abruf=2020-11-18}}</ref> Nachdem die chinesische Regierung seit 2017 massenhaft Uiguren und andere Mitglieder von Minderheitengruppen in politischen Umerziehungslagern inhaftiert hatte und die RFA-Reporter über das breit angelegte Vorgehen des chinesischen Staates berichtete hatten, wurden laut RFA-Angaben von Februar 2018 enge Verwandte von mindestens fünf der Journalisten des uigurischen Dienst von RFA von chinesischen Behörden festgenommen oder verschwanden. Bei mindestens drei der Reporter (Shohret Hoshur, Gulchehra Hoja und Mamatjan Juma) handelte es sich laut RFA um US-amerikanische Staatsbürger, während mindestens ein Reporter (Kurban Niyaz) als dauerhafter Einwohner der USA über eine [[Niederlassungserlaubnis]] ([[United States Permanent Resident Card|Green Card]]) verfügte.<ref name="nytimes-com_2018-03-01_AUB" /><ref name="washingtonpost-com_2018-02-28_CDR">{{Internetquelle |autor=Simon Denyer |url=https://www.washingtonpost.com/world/china-detains-relatives-of-us-reporters-in-apparent-punishment-for-xinjiang-coverage/2018/02/27/4e8d84ae-1b8c-11e8-8a2c-1a6665f59e95_story.html |titel=China detains relatives of U.S. reporters in apparent punishment for Xinjiang coverage |werk=washingtonpost.com |datum=2018-02-28 |abruf=2020-11-19}}</ref>

==== Andere Staaten ====
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 | Bild1       = 北京學運領袖之一吾爾開希代表大愛憲改聯盟參加2016台灣立委選舉 02.jpg
 | Untertitel1 = Der politische uigurische Aktivist [[Wu’er Kaixi|Urkesh]] (Wu'erkaixi) für [[Voice of America|VOA]] im Exil in [[Republik China (Taiwan)|Taiwan]] (Januar 2016)
 | Bild2       = Pillar of Shame 2.jpg
 | Untertitel2 = Podest einer Skulptur („[[Säule der Schande]]“) als Mahnmal für die [[Tian’anmen-Massaker|Niederschlagung der Tian’anmen-Proteste 1989]] (Foto: 2005)
 | Fußzeile    = Urkesh war einer der bekanntesten Studentenführer der Tiananmen-Proteste von 1989<ref name="He2017_OREAH_1TM" /><ref name="taz-de_2020-02-18_WGU" /> und eine der meistgesuchten Personen auf der Fahndungsliste nach deren Niederschlagung,<ref name="He2017_OREAH_1TM" /> die das Ende der [[Geschichte der Uiguren#Lockerungen in den 1980er Jahren|politischen Reformperiode in China]] markierte.<ref name="Roberts_2021-02-10_foreignaffairs.com_RCG">{{Internetquelle |autor=Sean R. Roberts |url=https://www.foreignaffairs.com/articles/china/2021-02-10/roots-cultural-genocide-xinjiang |titel=The Roots of Cultural Genocide in Xinjiang |titelerg=China’s Imperial Past Hangs Over the Uyghurs |werk=foreignaffairs.com |datum=2021-02-10 |abruf=2021-05-07}}</ref>
}}
Der in [[Peking|Beijing]] geborene und vor allem unter seinem chinesischen Namen [[Wu’er Kaixi|Wu'erkaixi]] bekannt gewordene uigurische Aktivist Urkesh kann als ein Beispiel für Uiguren gelten, die außerhalb von Xinjiang eine wichtige Rolle eingenommen haben. Uiguren wie die Familie von Urkesh hat es aus verschiedenen Gründen in Städte im [[Eigentliches China|Inneren China]] gezogen.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Urkesh gehörte zunächst zu den prominentesten Studentenführern der [[Tian’anmen-Massaker|Tiananmen-Proteste von 1989]],<ref name="He2017_OREAH_1TM" /><ref name="taz-de_2020-02-18_WGU">{{Internetquelle |autor=Fabian Kretschmer |url=https://taz.de/Minderheiten-in-China/!5661414/ |titel=Minderheiten in China: Willkür gegen Uiguren |titelerg=„China Cables“: Geleakte Regierungslisten zeigen, mit welch absurden Begründungen Menschen in der Provinz Xinjiang in Lagerhaft gehalten werden |werk=taz.de |datum=2020-02-18 |abruf=2021-03-23}}</ref> war nach der Niederschlagung der Tiananmen-Proteste die zweitmeist gesuchte Person auf der Fahndungsliste<ref name="He2017_OREAH_1TM">{{Internetquelle |autor=Rowena Xiaoqing He |url=https://oxfordre.com/asianhistory/view/10.1093/acrefore/9780190277727.001.0001/acrefore-9780190277727-e-157 |titel=The 1989 Tiananmen Movement and Its Aftermath |werk=Oxford Research Encyclopedia of Asian History |datum=2017-12-19 |abruf=2021-01-07 |sprache=en}} [[doi:10.1093/acrefore/9780190277727.013.157]]. Erste Online-Veröffentlichung: 19. Dezember 2017.</ref> und setzte seinen pro-demokratischen Aktivismus gegen die chinesische Regierung dann als bekannter [[Dissident]] aus dem [[Exil]] in [[Republik China (Taiwan)|Taiwan]] fort,<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /><ref name="taz-de_2020-02-18_WGU" /> wo er seit 1996 lebt<ref name="deutschlandfunkkultur-de_2019-05-29_EIT">{{Internetquelle |autor=Axel Dorloff, Steffen Wurzel |url=https://www.deutschlandfunkkultur.de/tiananmen-massaker-in-china-erinnern-ist-tabu-auch-nach-30.979.de.html?dram:article_id=449961 |titel=Tiananmen-Massaker in China: Erinnern ist tabu, auch nach 30 Jahren |werk=deutschlandfunkkultur.de |datum=2019-05-29 |abruf=2020-06-21}}</ref><ref name="zeit-de_2014-06-04_WKP">{{Internetquelle |autor=Felix Lee |url=https://www.zeit.de/politik/ausland/2014-06/tiananmen-massaker-studentenanfuehrer-wuer-kaixi/komplettansicht |titel=Wu'er Kaixi plädiert für gewaltfreien Widerstand |hrsg=zeit.de |datum=2014-06-04 |abruf=2020-11-21}}</ref> und auch gegen die Politik [[Xi Jinping]]s und den seiner Ansicht nach seit etwa 1950 andauernden Versuch der KPCh, „den Geist der Uiguren zu brechen“, eintritt.<ref name="welt-de_2020-01-11_CDP">{{Internetquelle |autor=Kevin Knauer |url=https://www.welt.de/politik/ausland/article204899212/Chinesischer-Dissident-Wu-er-Kaixi-Praesident-Xi-Jinping-ist-ein-Mafia-Boss.html |titel=Chinesischer Dissident: „Präsident Xi Jinping ist ein Mafia-Boss“ |werk=welt.de |datum=2020-01-11 |abruf=2020-11-21}}</ref> Als Ursache für die rücksichtslose Unterdrückung der muslimischen Bevölkerung Xinjiangs sieht er vorauseilendem Gehorsam der Regionalregierung gegenüber der chinesischen Zentralregierung an.<ref name="taz-de_2020-02-18_WGU" /> Seine wiederholten Bemühungen bei chinesischen Behörden in [[Macau]], [[Tokio]], [[Washington, D.C.|Washington]] und [[Hongkong]] in den Jahren 2009 bis 2013 um eine Rückkehr nach China für ein Treffen mit seinen Eltern, denen eine Ausreise zu diesem Zweck untersagt wurde, lehnten die chinesischen Behörden beharrlich ab.<ref name="He2017_OREAH_1TM" />

In den späten 1940er Jahren wanderten Tausende Uiguren aus Sorge vor Verfolgung durch die chinesischen Kommunisten nach [[Pakistan]] aus. In [[Gilgit (Stadt)|Gilgit]], einer Grenzstadt zwischen [[Kaxgar (Regierungsbezirk)|Kaxgar]] und [[Rawalpindi (Distrikt)|Rawalpindi]], lebten zu Beginn des 21. Jahrhunderts viele ihrer Nachkommen. Zu dieser Zeit lebten auch einige hundert uigurische Studenten in Pakistan und studierten in den meisten Fällen an den staatlich betriebenen Schulen die islamische Religion. Die in Pakistan lebenden Uiguren sind in gewisser Hinsicht recht weit in die Lokalbevölkerung assimiliert, indem beispielsweise Eheverbindungen zwischen Uiguren und Pakistani sehr verbreitet sind und die meisten Uiguren – unabhängig von Alter oder Geschlecht – in ihrer Gemeinschaft [[Urdu]] als Sprache gegenüber Uigurisch bevorzugen. Viele Uiguren Pakistans betreiben kleine Geschäfte.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p60">{{Literatur |Autor=Anwar Rahman |Titel=Sinicization Beyond the Great Wall: China's Xinjiang Uighur Autonomous Region |Verlag=Matador (Troubador Publishing) |Ort=Leicester |Datum=2005 |ISBN=1-904744-88-5 |Kapitel=Chapter 4.: Uighurs |Seiten=33–64 |Fundstelle=hier S. 60}}</ref>

In [[Saudi-Arabien]] lebten zu Beginn des 21. Jahrhunderts schätzungsweise zumindest einige hundert Uiguren. In wirtschaftlicher Hinsicht sind die Uiguren in Saudi-Arabien recht gut in die Gesellschaft vor Ort integriert und besetzen in einigen Fällen wichtige Funktionen in der öffentlichen Verwaltung und in großen Privatunternehmen. Uiguren in Saudi-Arabien verfügen über großen Einfluss auf die uigurischen Auswanderer in anderen Staaten. Trotz des strengen staatlichen Verbots von politischen Aktivitäten in Saudi-Arabien unterstützen Uiguren aus Saudi-Arabien die uigurische Bewegung weltweit und nachdrücklich und unterstützen uigurische Emigranten bei der Niederlassung in ihren neuen Aufnahmeländern.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p60" />

== Geschichte ==
{{Hauptartikel|Geschichte der Uiguren}}

== Kultur und Gesellschaft ==
=== Historische Kultureinflüsse in der Region ===
[[Datei:Silk Road in the I century AD - de.svg|mini|hochkant=2|Das Netz der antiken ''[[Seidenstraße]]'' im 1. Jahrhundert n. Chr. mit den im Norden über [[Turpan]] und [[Gulja (Stadt)|Gulja]] (Yining) und im Süden entweder über [[Aksu (Stadt)|Aksu]] und [[Kaxgar (Stadt)|Kaxgar]] oder über [[Hotan (Stadt)|Hotan]] und Kaxgar führenden Handelsrouten]]
Die uigurische [[Zivilisation]] hat sich innerhalb der zentralasiatischen Oasen-Städte der [[Seidenstraße]] entwickelt, namentlich in Aksu, Kaxgar, Hotan und Turpan.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /> Entlang der Seidenstraße kam es durch prosperierenden Handel zu einem vielfältigen Austausch unterschiedlichster Kulturen und Interessen. In der Region trafen sich aus dem Norden und Nordosten stammende nomadische Hirten wie die [[Mongolen]] ebenso wie aus dem Süden von Indien und Tibet kommende [[Hindusimus|Hindus]] und Buddhisten, während aus dem Osten Han-Chinesen kamen und aus dem Westen wiederum [[Tocharer]], [[Sogdien|Sogdier]] und [[Iranische Völker|Iraner]]. Diese verschiedenen Menschen und Völkerschaften trieben Handel und siedelten sich an.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> Im Laufe ihrer Geschichte war die Region Xinjiang insbesondere aufgrund ihrer zentralen Lage entlang der „Seidenstraße“ in hohem Maße von kulturellem Austausch zwischen Ost und West geprägt.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /> Zahllose Menschen reisten als Händler, Migranten und [[Pilger]] weiter entlang diesem Netz von Handelswegen, auf denen sowohl zwischen den einzelnen Oasen, als auch zwischen den Berg- und Steppenregionen Zentralasiens der Transport von Menschen Religionen, Ideen, Technologien und Gütern stattfand.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

=== Heutige Situation ===
Dass die Region auch heute noch auf einer „eurasischen Kreuzung“ liegt, lässt sich besonders an den verschiedenen politischen, kulturellen und religiösen Einflüssen erkennen, die ihren Niederschlag in der lokalen [[Architektur]], Sprache und [[Identität]]sbildung gefunden haben.<ref name="Kobi2016_CCC_p211-214">{{Literatur |Autor=Madlen Kobi |Titel=Constructing, Creating and Contesting Cityscapes: A Socio-Anthropological Approach to Urban Transformation in Southern Xinjiang, People’s Republic of China |Reihe=Alltagskulturen Chinas und seiner Nachbarn |Verlag=Harrassowitz Verlag |Ort=Wiesbaden |Datum=2016 |ISBN=978-3-447-10590-3 |Fundstelle=hier S. 211–214 |DOI=10.2307/j.ctvc7717d |JSTOR=j.ctvc7717d |Umfang=I-XII, 1-214}}</ref> Auch die Vielfalt an Genres und Stilformen von [[Volksmusik]], [[Poesie]], [[Tanz]], [[Kunst]] und [[Erzählung]]en der Uiguren ist ein Ausdruck ihrer ebenfalls vielfältigen und komplexen Geschichte.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

Die Uiguren gelten als die den Han-Chinesen kulturell und sprachlich divergierendste ethnische Gruppe in China. Die [[uigurische Sprache]] ist eine eigenständige [[Turksprachen|Turksprache]] und grundlegend verschieden von den vorherrschenden [[Chinesische Sprachen|chinesischen Sprachen und Dialekten]]. Die uigurische Kunst und Architektur blickt vielmehr auf Traditionen [[Osmanische Architektur|osmanischer]] und [[Islamische Kunst|türkischer Kunstgeschichte]] zurück, als dass sie mit den [[Chinesische Kunst|künstlerischen Praktiken Zentralasiens]] vergleichbar wäre.<ref name="Mackerras2004_HAQ_8_1_p4-14">{{Literatur |Autor=Colin P. Mackerras |Titel=Ethnicity in China: The Case of Xinjiang |Sammelwerk=Harvard Asia Quartely |Band=8 |Nummer=1 |Datum=2004 |ISSN=1522-4147 |Seiten=4–14 |Online=[https://research-repository.griffith.edu.au/handle/10072/5439 online]}}</ref><ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" />

In China stellen die Uiguren die bevölkerungsreichste ethnische Gruppe der muslimischen Turkvölker dar. Die vier anderen Turkvolk-Nationalitäten sind nach Bevölkerungsanzahl geordnet die Kasachen, Kirgisen, Usbeken und Tataren.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Den Uiguren kulturell und sprachlich sehr ähnlich sind die Usbeken. Tatsächlich werden Usbeken und Uiguren in Teilen Zentralasiens als Angehörige derselben ethnischen Gruppe angesehen,<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> und auch die Uiguren heben die sprachliche und kulturelle Nähe zu den Usbeken oft hervor.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" />

In den 1980er Jahren bis in die 2010er Jahre erlangte ein modernes Konzept „uigurischer Bräuche“ in Xinjiang Popularität, das aber nach 2016 seinen Niedergang erlebte. Denn der Versuch uigurischer Intellektueller zwischen der modernen chinesischen Gesellschaft und den uigurischen Gemeinschaften zu vermitteln und durch kulturelles Schaffen eine spezifisch uigurische Moderne vorzustellen, endete abrupt mit der Inhaftierung vieler ihrer [[Protagonist]]en und dem allgemeinen harten Durchgreifen des Sicherheitssektors gegen Minderheiten und ihre Kultur in Xinjiang ab 2017.<ref name="Steenberg2021_AE_22_1_171-187" />

=== Identität ===
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Traditionelle Kopfbedeckungen der Uiguren in Kaxgar
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 | Bild1       = Uyghur-Dopa-Maker.jpg
 | Untertitel1 = [[Doppa]]-Macher
 | Bild2       = Xinjiang, China (27637374043).jpg
 | Untertitel2 = Pelzmützen-Verkauf auf dem Freiluft-Bazaar
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Traditionelle Mode der Uiguren in Kaxgar
 | Breite1     = 282
 | Breite2     = 158
 | Bild1       = Barbier in Kaxgar.jpg
 | Untertitel1 = Pflege der Barttracht beim Barbier (2008)
 | Bild2       = Uyghur Women (41529168662).jpg
 | Untertitel2 = Kleid mit farbenfrohem Muster auf dem Großen Bazaar (2017)
}}
Aus [[Emisch und etisch|etischer]] Perspektive können Uiguren entweder als eine der offiziell anerkannten Minderheitsnationalitäten (少数民族) der VR China betrachtet werden – wie etwa auch [[Tibeter]] und Mongolen – oder aber als einzige der zentralasiatischen Nationalitäten ([[Nation]]en) – wie etwa Usbeken und [[Tadschiken]] –, die keinen eigenen unabhängigen [[Nationalstaat]] besitzt. Kulturell sind die Uiguren als zentralasiatisch einzuordnen, doch liegt ihre Heimat zum größten Teil innerhalb der heutigen Staatsgrenzen Chinas.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" />

Aus [[Emisch und etisch|emischer]] Perspektive sehen sich die Uiguren den zentralasiatischen Völkern kulturell und ethnisch als nahestehend an.<ref name="bbc.com_2022-05-24_WAU">{{Internetquelle |url=https://www.bbc.com/news/world-asia-china-22278037 |titel=Who are the Uyghurs and why is China being accused of genocide? |werk=bbc.com |datum=2022-05-24 |abruf=2022-05-25}}</ref> Ein bedeutender Aspekt der heutigen uigurischen Kultur ist der Wunsch nach Unabhängigkeit. Angesichts der kulturellen und religiösen Unterschiede zwischen uigurischen Chinesen einerseits und stärker sinisierten Minderheiten und Han-Chinesen andererseits, steht der Wille zur Unabhängigkeit für die uigurische Identität im Vordergrund.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

Das Feiern religiöser Feste wie ''roza heyt'' ([[Fest des Fastenbrechens]]), ''qurban heyt'' ([[Islamisches Opferfest|Opferfest]]) und ''noruz'' ([[Nouruz|Neujahrsfest]]), [[Hochzeit]]en, [[Bestattung]]sriten, Zusammenkünfte zur [[Chitan|Beschneidung von Jungen]], Ausflüge auf die [[Nachtmarkt|Nachtbazare]] und in für uigurisches Publikum bestimmte [[Diskothek]]en sind Ereignisse, die die Mehrheit der Uiguren gemeinsam miteinander unternehmen, auch unabhängig davon, ob sie sprachlich bevorzugt in einer sinisierten Umgebung agieren. Diese vielfältigen Aktivitäten werden nur von Uiguren gemeinsam besucht und tragen daher zur Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls unter Uiguren bei, während Han-Chinesen nur gelegentlich als Gäste teilnehmen.<ref name="CabrasEtGuill2017_ChinaPerspectives_2017-4-112_41-48" />

In Bezug auf die politische Organisation herrschten vom 9. bis zum 13. Jahrhundert n. Chr. uigurische Könige über einen Großteil des nördlichen Turpan-Beckens, und im 17. Jahrhundert konsolidierten [[Naqschbandīya]]-Sufis die Macht über das südliche Tarim-Becken, bis [[Qing-Dynastie|Qing]]-Soldaten sie Mitte des 18. Jahrhunderts stürzten.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10" /> Xinjiang wurde damit recht spät in das chinesische Reich eingegliedert.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10" /><ref name="Lee2015_AJCFS_MIC" /> Die Uiguren hatten andere historische Beziehungen zur Han-Mehrheit und zum chinesischen Staat als etwa die Hui-Chinesen und waren im Gegensatz zu diesen nicht geografisch über ganz China verteilt, sondern in Xinjiang konzentriert. Insbesondere Oasenstädte im Süden von Xinjiang, wie Kaxgar und Yarkant, bildeten Ballungszentren.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10" /> Als Folge sprachlicher, ethnischer, religiöser und historischer Kulturbildung, haben die Uiguren einen starken Identitätssinn entwickelt, der sich weitgehend von jenem der Han- und Hui-Migranten in Xinjiang abgrenzen lässt.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10" />

==== Äußerlich erkennbare Abhebung von der Mehrheitsgesellschaft ====
Die muslimischen Turkvolk-Minderheiten von Xinjiang, wie Uiguren und Kasachen, sind [[Türken]] weitaus ähnlicher als chinesischstämmigen Ethnien.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /><ref name="Mackerras2004_HAQ_8_1_p4-14" /> Die Uiguren sprechen eine eigene Sprache, die sich als Turksprache von den chinesischen Sprachen abhebt.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10" /> Die [[Enzyklopädie|Fachenzyklopädie]] ''Muslim Peoples: A World Ethnographic Survey'' beschrieb die [[phänotyp]]ische Merkmale der uigurischen Ethnie noch 1984 als „relativ große Menschen mit braunen Haaren, brauner oder hellerer Augenfarbe, Adlernasen und heller Haut“. Nach Angaben der Enzyklopädie waren unter uigurischen Männern „dicke Schnurrbärte und Bärte der türkischen Völker Zentralasiens“ beliebt.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" />

Infolge der Abhebung von den Chinesen und Ähnlichkeit zu den Völkern Zentralasiens identifizieren sich die Uiguren stark mit turksprachigen Muslimen in Zentralasien.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10">{{Literatur |Autor=Matthew S. Erie |Titel=China and Islam: The Prophet, the Party, and Law |Verlag=Cambridge University Press |Ort=New York |Datum=2016 |ISBN=978-1-107-05337-3 |Seiten=8–10 |DOI=10.1017/9781107282063}}</ref>

==== Tracht und Mode ====
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 | Bild1       = 1963-03 1963年 吐鲁番盆地葡萄.jpg
 | Untertitel1 = Frau bei der Traubenernte in der Turpan-Senke ([[China Pictorial]], 1963)
 | Bild2       = Silk Road 1992 (4367474491) Girl selling grapes in Xinjiang.jpg
 | Untertitel2 = Plakat in Xinjiang (1992)
 | Bild3       = East Turkestan (14880805603).jpg
 | Untertitel3 = Tänzerin bei einer „Ostturkestan“- Veranstaltung in [[Washington, D.C.|Washington]] (2014)
 | Fußzeile    = Auf den Bildern sieht man die bei Turkvölkern traditionell für Frauen typische Haartracht von mehreren kleinen Zöpfen<ref name="cfVambery_1885_1970_S337f">Vgl. {{Literatur |Autor=Hermann Vámbéry |Titel=Das Türkenvolk – in seinen ethnologischen und ethnographischen Beziehungen |Verlag=Biblio Verlag |Ort=Osnabrück |Datum=1970 |ISBN=3-7648-0642-7 |Fundstelle=hier S. 337 f. |Umfang=I-XII, 1-638}} Reprint vom Original aus dem Jahr 1885.</ref>
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Richtung    = horizontal
 | Kopfzeile   = Frauenmode in Ostturkestan (Anfang 20. Jh.)
 | Breite1     = 251
 | Breite2     = 189
 | Bild1       = Zirä aus Kaschgar Le Coq 1916 Tafel 8 Figur 10.png
 | Untertitel1 = In Kaxgar hergestellter und in [[Maralbexi|Maralbaschī]] erworbener Ohrring (''zīrä''-Typ) mit reicher Filigranarbeit (6,1 cm hoch)<ref name="LeCoq1916_VAO_21–17">{{Literatur |Autor=Albert von Le Coq |Titel=Volkskundliches aus Ost-Turkistan |Verlag=Reimer |Ort=Berlin |Datum=1916 |Kapitel=Kap. IV. ''Schmuck'' |Seiten=21–27 |Kommentar=Königlich Preussische Turfan-Expeditionen |Umfang=S. i–vii, 1–72, 25 Tafeln}}</ref>
 | Bild2       = Häsirä Chan aus Kutscha Le Coq 1916 Tafel 9 Figur 1.png
 | Untertitel2 = Eine junge Frau aus [[Kuqa]] mit der typischen Schminkweise, die die Augenbrauen verbindet<ref name="LeCoq1916_VAO_17–20">{{Literatur |Autor=Albert von Le Coq |Titel=Volkskundliches aus Ost-Turkistan |Verlag=Reimer |Ort=Berlin |Datum=1916 |Kapitel=Kap. III. ''Körperpflege'' |Seiten=17–20 |Kommentar=Königlich Preussische Turfan-Expeditionen |Umfang=S. i–vii, 1–72, 25 Tafeln}}</ref>
 | Fußzeile    = '''Bild links''': Ohrringe waren der beliebteste Frauen-Schmuck im ganzen Gebiet, bestanden stets aus einem Ring starken runden Silberdrahtes, der mit reichem Filigranschmuck verziert werden konnte, und wurden gern zusammen mit hinter den Ohren gesteckten Blumen (wie [[Ringelblumen]]) getragen.<ref name="LeCoq1916_VAO_21–17" /><br />'''Bild rechts''': Zwar galt für Mädchen und Frauen ein stärkerer Einsatz importierter chinesischer Schminke (''úpā'') – wie in der [[Halbwelt]] üblich – als unsittlich, doch war demgegenüber der Brauch sehr verbreitet, mit einer blauschwarzen Farbe (''ósma'') die Augenbrauen mit einem Strich so nachzuziehen, dass der [[Augenbraue#Schönheitsideale|Eindruck von über der Nasenwurzel zusammengewachsenen Brauen]] entstand<ref name="LeCoq1916_VAO_17–20" />}}
Noch im 19. Jahrhundert herrschte in der ostturkestanischen weiblichen Altishahri-Bevölkerung (heutige Uiguren) die gleiche Haartracht wie bei den übrigen Turkvölker, wobei die Mädchen einen langen, mit Bändern geflochtenen Zopf trugen, der frei am Rücken herabhing, die Frauen dagegen mehrere kleine Zöpfe.<ref name="Vambery_1885_1970_S337f">{{Literatur |Autor=Hermann Vámbéry |Titel=Das Türkenvolk – in seinen ethnologischen und ethnographischen Beziehungen |Verlag=Biblio Verlag |Ort=Osnabrück |Datum=1970 |ISBN=3-7648-0642-7 |Fundstelle=hier S. 337 f. |Umfang=I-XII, 1-638}} Reprint vom Original aus dem Jahr 1885.</ref>

1984 berichtete Schwarz, dass die meisten stadtbewohnenden uigurischen Männer westliche Kleidung angenommen haben wie [[Anzug|Anzüge]] und die ''käpkä'', eine Schirmmütze nach russischer Art, während traditioneller Eingestellte weiterhin eine runde ''doppa'' (Mütze) trugen. Während sich viele jüngere Männer bereits barhäuptig bewegten, hielten ältere Männer noch weiterhin am Brauch fest, ihre Köpfe in der Öffentlichkeit zu bedecken, ob mit einer ''doppa'' oder einer ''käpkä''. Die Doppa wurde dabei in der Regel nicht zusammen mit chinesischen Stoffschuhen getragen, sondern nur mit Lederschuhen.<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" />

Frauen trugen laut Schwarz (1984) fast überall, so auch in großen Städten, das traditionelle, locker sitzende Baumwollkleid, in der Regel mit großen Blumenmustern, sowie dazu ein Kopftuch oder eine ''doppa'' als Kopfbedeckung.<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" /> In den 1990er Jahren begann eine lokale Wiederbelebung des Islams in Xinjiang, die paradoxerweise durch die zunehmende staatliche Kontrolle von Religion und Kultur nach den [[Geschichte der Uiguren#Unruhen in Ürümqi 2009 und weitere Entwicklung|Unruhen in Ürümqi von 2009]] beschleunigt wurde. Indem die Regierung versuchte, von ihr als Bedrohung durch Separatismus empfundene Strömungen zu unterdrücken, entfremdete sie die Uiguren noch weiter und förderte somit deren Frömmigkeit nicht nur in der Religionsausübung, sondern auch in ihrem äußerlichen Erscheinungsbild.<ref name="Harris2014_PI_3_1-2_103–124" /> So konnte man laut der Ethnologin und Politologin Smith Finley im Jahr 2004, als das Wiederaufleben des Islams an Tempo zunahm, im uigurischen Bezirk von Ürümqi häufig Frauen und selbst junge Mädchen sehen, die [[Niqab]] oder [[Hidschāb]] trugen.<ref name="Smith-Finley_In_chinafile-com_2018-12-28_NWD" /> Bis 2009 bildeten Frauen, die sich auf diese Weise vollständig verschleierten, jedoch eine winzige Minderheit und hoben sich sowohl von dem traditionellen leichten Kopftuch ab, das über den Haaren hinter dem Nacken zusammengebunden war, als auch von den vielen – in der Regel gebildeten – Frauen, die sich mit unbedecktem Kopf in der Öffentlichkeit bewegten.<ref name="Harris2014_PI_3_1-2_103–124" /> Nach 2009 kam es zu einer Veränderung, die sich in einer sichtbaren und umstrittenen Kleidungswahl von Frauen ausdrückte.<ref name="Harris2014_PI_3_1-2_103–124" /> Im uigurischen Teil Ürümqis bedeckten sich nun zahlreiche junge Frauen in der Öffentlichkeit mit einer von den Uiguren „arabischer Stil“ genannten Kleidung, einige auch mit körperlangen schwarzen Roben und darunter mit dem Niqab-Gesichts[[schleier]], während andere alternativen Moden folgten und ihre Köpfe mit [[Fälschung|Imitaten]] karierter [[Burberry]]-Schals bedeckten.<ref name="Harris2014_PI_3_1-2_103–124" /> Noch im Jahr 2016 trugen viele junge Frauen in Ürümqi in Anlehnung an den globalen Modetrend für muslimische Frauen eine Kopfbedeckung im Turban-Stil oder eine abgewandelte Version des Hidschāb, während sich im Süden bereits die repressiven Maßnahmen des chinesischen Staates auf die Kleidung und Mode der Bevölkerung auszuwirken begannen.<ref name="Smith-Finley_In_chinafile-com_2018-12-28_NWD" />

Mit der Implementierung der „De-Extremisierungs“-Verordnungen seit 2017 wirkte sich die erzwungene Säkularisierung auch auf die Körper der uigurischen Bevölkerung aus, indem aufdringliche staatliche Kontrollen auf religiöse Kleidung dazu führten, dass Schleier und Kopftücher verschwanden, Frauen kürzere Kleidung und Männer kein [[Barthaar]] mehr trugen. Im Sommer 2018 waren in Ürümqi kaum noch mehr als hauchdünne [[Chiffon]]-Kopftücher zu sehen, während in Kaxgar bereits keinerlei Kopfbedeckungen mehr zu finden waren. Entsprechend waren bis auf die Alten auch die uigurischen Männer, die bis dahin Bärte oder zumindest einen [[Schnurrbart]] getragen hatten, glatt rasiert.<ref name="Smith-Finley_In_chinafile-com_2018-12-28_NWD" />

==== Verhältnis zu Han-Chinesen und zur Minderheitenpolitik Chinas ====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Stereotype von Uiguren im [[Xinjiang Uyghur Autonomous Region Museum|Xinjiang Museum]] in Ürümqi
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 | Bild1       = Uyghur display room (13 ethnicities of the X.U.A.R.) at the Xinjiang Museum.jpg
 | Bild2       = Ethno-tourism in China.jpg
 | Fußzeile    = '''links''': Ausstellung ''13 Ethnien des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang'' (Juni 2012), die im Bereich über die uigurische Minderheit eine junge tanzende Uigurin und einen Musik spielenden Uiguren zeigt.<!-- ohne anderen Beleg als Bildquelle --> – Die chinesische Regierung fördert das ethno-touristische Image der Uiguren als singende und tanzende, aber rückständige Minderheit.<ref name="CabrasEtGuill2017_ChinaPerspectives_2017-4-112_41-48" /><ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="Harris2017_WorldOfMusic-NS_6_2_35-55" /><ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /><br />'''rechts''': Ethno-touristisches Arrangement in der „Ausstellung ethnische Minoritäten“ (2018), das einen Kebab grillenden uigurischen Straßenverkäufer, eine neben ihm mit dem [[Victory-Zeichen]] posende Touristin und einen die beiden fotografierenden Touristen darstellt.<ref name="cfFiskesjö_in_culturalpropertynews.org_2021-06-23_BC">Vgl. {{Internetquelle |autor=Magnus Fiskesjö |url=https://culturalpropertynews.org/bulldozing-culture-chinas-systematic-destruction-of-uyghur-heritage-reveals-genocidal-intent/ |titel=Bulldozing Culture: China’s Systematic Destruction of Uyghur Heritage Reveals Genocidal Intent |werk=culturalpropertynews.org |datum=2021-06-23 |abruf=2022-05-29}}</ref><ref name="cfTobin2022_ERS_45_16_93-121_Fig1">Das Arrangement wurde im gleichen Museum bereits 2015 von David Tobin fotografisch belegt, siehe Figure 1 (''Figure 1. “Uyghur Culture”. Exhibit from Xinjiang Regional Museum, 2015. Photograph by the author.''), in: {{Literatur |Autor=David Tobin |Titel=Genocidal processes: social death in Xinjiang |Sammelwerk=Ethnic and Racial Studies |Band=45 |Nummer=16 |Datum=2022 |DOI=10.1080/01419870.2021.2001556 |Seiten=93-121}} Online veröffentlicht am 22. November 2021.</ref> – Der Kebab-Verkäufer ist das häufigste stereotype Klischee für Uiguren in China und wird oft abfällig gebraucht.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p195f" /> Bereits 2015 führte ihn die Ausstellung „Uigurische Kultur“ des Museums als verschwindendes Relikt der „Minderwertigkeit“ vor, das der Unterhaltung moderner Han-chinesischer „Grenzbauern“ dient. Als angestrebtes Leitbild der VR China kann laut Tobin die Sinisierung „rückständiger Grenzbarbaren“ durch eine von Han-Chinesen durchgeführte Modernisierung angesehen werden.<ref name="Tobin2022_ERS_45_16_93-121">{{Literatur |Autor=David Tobin |Titel=Genocidal processes: social death in Xinjiang |Sammelwerk=Ethnic and Racial Studies |Band=45 |Nummer=16 |Datum=2022 |DOI=10.1080/01419870.2021.2001556 |Seiten=93-121}} Online veröffentlicht am 22. November 2021.</ref>
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = „Uigurisches Haus“ im Tourismuskomplex FCV in [[Shenzhen]]
 | Breite1     = 220
 | Breite2     = 220
 | Bild1       = Uyghur House in China Folk Culture Village.jpg
 | Untertitel1 = Uigurisches Haus (2013)
 | Bild2       = Uyghur House.jpg
 | Untertitel2 = Innenraum des Hauses (2017)
 | Fußzeile    = 1991 wurden in den [[China Folk Culture Villages|China Folk Culture Villages (FCV)]] ethnografische Ausstellungen eingerichtet, in denen dem Publikum Darbietungen geboten werden<ref name="StanleyEtChung1995_JME_7_25-40" /> und zumeist junge und hübsche „Bewohner“ traditionelle Fertigkeiten ihrer Ethnie in Handwerk, Gesang, Musik, Tanz oder anderer Folklore zeigen.<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392" /> Zu den ausgestellten nationalen Minderheiten zählen auch die Uiguren.<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392" />
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{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Uigurinnen als neues „exotisches“ Schönheitsideal in China
 | Breite1     = 226
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 | Bild1       = 迪麗熱巴20200802上海腾讯视频推介会.jpg
 | Untertitel1 = [[Dilraba Dilmurat]] (2020)
 | Bild2       = Madina Memet in 2016.jpg
 | Untertitel2 = [[Madina Memet]] (2016)
 | Fußzeile    = Chinesische Staatsmedien beschrieben in jüngerer Zeit [[Prominenz|prominente]] ethnisch-uigurische Schauspielerinnen wie Dilraba Dilmurat und Madina Memet als „exotische“ Schönheiten mit zentralasiatischen Merkmalen wie großen Augen, [[Epikanthus medialis|doppelten Augenlidern]] und hohen Nasenrücken, die ein neues, stärker [[Eurasien|eurasiatisch]] geprägtes chinesisches [[Schönheitsideal]] verkörperten, das sich dem verwestlichten Geschmack einer neuen chinesischen Generation anpasse und im [[Filmwirtschaft|Filmgeschäft]] von einem [[Marktnische|Nischendasein]] zum [[Mainstream]] bewege<ref name="chinadaily-com-cn_2017-10-12_USN">{{Internetquelle |url=https://www.chinadaily.com.cn/culture/2017-10/12/content_33154166.htm |titel=Uygur stars new face of entertainment industry |werk=[[China Daily|chinadaily.com.cn]] |datum=2017-10-12 |seiten=1 |abruf=2020-11-26}}, {{Internetquelle |url=https://www.chinadaily.com.cn/culture/2017-10/12/content_33154166_2.htm |titel=Uygur stars new face of entertainment industry |datum=2017-10-12 |seiten=2 |abruf=2020-11-26}}, {{Internetquelle |url=https://www.chinadaily.com.cn/culture/2017-10/12/content_33154166_3.htm |titel=Uygur stars new face of entertainment industry |datum=2017-10-12 |seiten=3 |abruf=2020-11-26}} (CGTN)</ref><ref name="globaltimes-cn_2016-06-06_BXU">{{Internetquelle |url=https://www.globaltimes.cn/content/987135.shtml |titel=The beauties of Xinjiang Uyghur Autonomous Region |hrsg=[[Global Times|globaltimes.cn]] |datum=2016-06-06 |abruf=2020-11-26}}</ref><ref name="news-cgtn-com_2019-11-10_UAF">{{Internetquelle |autor=Wang Xiaonan |url=https://news.cgtn.com/news/2019-11-10/Uygur-actors-From-niche-to-mainstream-in-China-LtFsi781Es/index.html |titel=Uygur actors: From niche to mainstream in China |hrsg=[[CGTN (Fernsehsender)|news.cgtn.com]] |datum=2019-11-10 |abruf=2020-11-26}}</ref>
}}
[[Datei:Umerziehungs- und Hafteinrichtungen in Xinjiang seit 2017 ASPI-Studie vom 24 September 2020.png|440px|mini|'''[[Umerziehungslager in Xinjiang|Mutmaßliche Umerziehungs- und Hafteinrichtungen in Xinjiang]], die seit 2017 erbaut oder erheblich erweitert wurden'''<br />(Quelle: ASPI-Studie vom 24. September 2020)<ref name="xjdp-aspi-org-au_2020-09-24">{{Internetquelle |url=https://xjdp.aspi.org.au/ |titel=The Xinjiang Data Project |werk=xjdp.aspi.org.au |datum=2020-09-24 |abruf=2020-11-01}}</ref><ref name="Ruser2020-09_ASPI_DXD" /><br />
<small>Legende:<br />
- [[Datei:Green pog.svg|10px]]: '''Umerziehungseinrichtung geringer Sicherheitsstufe'''<br />
- [[Datei:Yellow ffff00 pog.svg|10px]]: '''Umerziehungseinrichtung höherer Sicherheitsstufe'''<br />
- [[Datei:Orange ff8040 pog.svg|10px]]: '''Hafteinrichtung'''<br />
- [[Datei:Red pog.svg|10px]]: '''Gefängnis mit höchsten Sicherheitsvorkehrungen'''<br />
- [[Datei:Black pog.svg|10px]]: Umerziehungs- oder Hafteinrichtung ohne Einordnung der Sicherheitsstufe<br />
- [[Datei:Black triangle2.svg|10px]]: Gebirge<br />
- [[Datei:Solid blue.svg|10px]]: Stadt</small>]]
{{Siehe auch|Geschichte der Uiguren#Autonomiebestrebungen und staatliche Repression seit 1949|titel1=Abschnitt „Autonomiebestrebungen und staatliche Repression seit 1949“ in der Geschichte der Uiguren}}
Während die Handhabung der Minderheitenfrage durch die Kommunistische Partei Chinas für die meisten der 55 offiziell anerkannten Minoritäten Chinas im Großen und Ganzen als recht erfolgreich bewertet werden kann, ist sie für zwei der Minderheiten – namentlich die [[Tibeter]] und die Uiguren – nicht oder nur sehr unzureichend gelungen.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /> Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Tibetern und Uiguren einerseits und den anderen ethnischen Minderheiten andererseits besteht darin, dass die separatistischen Bewegungen unter diesen beiden weitaus hartnäckiger waren. Außerdem sind die Unterschiede zwischen ihnen und den im Staat dominierenden Han-Chinesen größer und tiefergehend als bei den meisten anderen Minderheiten. Wesentlich stärker ausgeprägt als bei anderen Minderheiten ist bei ihnen eindeutig das Bestehen auf einer starken Identität einerseits und die Abneigung – insbesondere unter politischen und kulturellen Eliten – zur Akzeptanz der chinesischen Hoheitsgewalt. Zwischen ihnen als ethnischen Minderheiten auf der einen Seite und den Han-Chinesen sowie dem chinesischen Staat auf der anderen Seite herrscht eine vergleichsweise hohe Intoleranz.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /> Im Gegensatz zu den ebenfalls muslimischen Hui-Chinesen verbinden sich die Uiguren selten ehelich mit Han-Chinesen.<ref name="Lee2015_AJCFS_MIC">{{Internetquelle |autor=Raymond Lee |url=https://studies.aljazeera.net/sites/default/files/articles/reports/documents/2015826105410922580China.pdf |titel=Muslims in China and their Relations with the State |hrsg=studies.aljazeera.net (Al Jazeera Centre for Studies) |datum=2015-08-26 |abruf=2020-06-01 |format=PDF; 385 kB}} Auch veröffentlicht als: {{Internetquelle |autor=Raymond Lee |url=https://studies.aljazeera.net/en/reports/2015/08/2015826102831723836.html |titel=Reports: Muslims in China and their Relations with the State |titelerg=The article explains why the Uyghurs are under China's harsh restriction and analyzes the future policies the PRC will adopt and possible reactions from the Uyghur side. The recent rise of violent incidents in Xinjiang entailed Beijing to adopt austere regulation on Uyghur's religious right |hrsg=studies.aljazeera.net (Al Jazeera Centre for Studies) |datum=2015-08-26 |abruf=2020-06-01}}</ref>

Junge Uiguren sind heute von Restriktionen staatlicher Politik sowohl in Bezug auf ihre Religion als auch in Bezug auf ihre Kultur betroffen.<ref name="ElterishInSmith-FinleyEtZang2015_CUU_75-94" /> Zwar unterliegen uigurische und muslimische Schüler und Schülerinnen trotz des allgemeinen chinesischen Gesetzes, nachdem religiöse Praktiken in Schulen nicht erlaubt sind, offenbar einer flexibleren Handhabung und können [[Hidschāb]] (im Fall der Mädchen) und ''doppa'' (im Fall der Jungen) in der Schule auf ihren Köpfen tragen oder in separaten Cafeterien Nahrung ohne Schweinefleisch erhalten.<ref name="Postiglione2017_EES_p128fFN24p138">{{Literatur |Autor=Gerard A. Postiglione |Titel=Education, Ethnicity, Society and Global Change in Asia: The Selected Works of Gerard A. Postiglione |Verlag=Routledge (Taylor & Francis Group) |Ort=London & New York |Datum=2017 |ISBN=978-1-138-23433-8 |Kapitel=Kapitel 7 (Dislocated education: the case of Tibet) |Seiten=114–142 |Fundstelle=128f., Fußnote 24, Seite 138 |Umfang=276 Seiten}}</ref> Uigurischen Studenten wird jedoch die Praktizierung des Islam im öffentlichen Raum verboten. So dürfen sie weder die Moschee besuchen, noch im Koran lesen oder während des Fastenmonat Ramadan fasten. Uiguren an Universitäten werden davon abgehalten, den ''doppa'' genannten, traditionellen uigurischen „Hut“ zu tragen. Das gleiche gilt für den ''burut'' genannten Oberlippenbart, der für viele uigurischen Männer ein Symbol für Männlichkeit darstellt. Diese religiösen und kulturellen Restriktionen stellen eine Bedrohung für das Fortbestehen ihrer ethnischen Identität dar.<ref name="ElterishInSmith-FinleyEtZang2015_CUU_75-94">{{Literatur |Autor=Ablimit Baki Elterish |Hrsg=Joanne Smith Finley, Xiaowei Zang |Titel=The construction of Uyghur urban youth identity through language use |Sammelwerk=Language, Education and Uyghur Identity in Urban Xinjiang |Reihe=Routledge Studies On Ethnicity In Asia |Verlag=Routledge |Ort=London & New York |Datum=2015 |ISBN=978-1-138-84772-9 |Seiten=75-94}}</ref>

Während die ebenfalls muslimischen Hui-Chinesen oft als vorbildliche Minderheit wahrgenommen werden, die sich als „gute Muslime“ an der Staatsmacht beteiligen, werden die Uiguren im Gegensatz dazu als „schlechte Muslime“ dargestellt, allerdings in Verkennung der historischen Realität, da auch die Beziehung zwischen den Hui im Nordwesten Chinas zu dem historischen chinesischen Staat keineswegs ruhig verlaufen war.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10" />

In der nationalen Vorstellung Chinas bestand die Rolle ethnischer Minderheiten darin, China als multiethnische, vielfältige und „farbenfrohe“ Gesellschaft darzustellen.<ref name="Barabantseva2012_ModernChina_38_1_78-109" /> Verschiedene Aspekte der Politik der KPCh in Bezug auf Tourismus, Kulturerbe und ethnische Minoritäten spiegeln sich in zwei Themenparks zum Kulturerbe wider, die Ende des 20. Jahrhunderts in [[Shenzhen]] (Provinz [[Guangdong]]), einer neu gebauten Stadt nahe der Grenze zu Hong Kong, geschaffen wurden.<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392" /> In der [[Sonderwirtschaftszone]] in Shenzhen wurde mit Kapital aus Hong Kong und offizieller chinesischer Unterstützung nahe dem Shenzhen Bay Hotel ein Tourismuskomplex mit ethnografischen Ausstellungen eingerichtet, zu dem die „[[Splendid China Miniature Scenic Spots]]“ (seit 1989) und die [[China Folk Culture Villages|China Folk Culture Villages (FCV)]] (''Zhongguo Minsu Wenhua''; seit 1991) gehören.<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392" /><ref name="StanleyEtChung1995_JME_7_25-40" /> Wenn auch das ursprüngliche Ziel darin bestanden hatte, internationale Besucher nach China zu locken,<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392" /> wurden doch beide Standorte fast vollständig vom Inlandstourismus in Anspruch genommen.<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392" /><ref name="StanleyEtChung1995_JME_7_25-40" /> Im Themenpark FCV sollen Architektur, [[Volkskunst]] (Musik, Tänze, Handwerk) und Kultur von über 20 der mehr als 50 nationalen Minoritäten (''shao shu minzu'') Chinas präsentiert werden.<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392" /><ref name="StanleyEtChung1995_JME_7_25-40" /> Für jede vertretene ethnische Minderheit – so auch für die Uiguren – bilden in der Regel mindestens zwei Gebäude ein Themenpark-„Dorf“, in dem mehrere Darsteller dem fortlaufenden Publikumsstrom Darbietungen vorführen.<ref name="StanleyEtChung1995_JME_7_25-40">{{Literatur |Autor=Nick Stanley, Siu King Chung |Titel=Representing the past as the future: The Shenzhen Chinese Folk Culture Villages and the marketing of Chinese identity |Sammelwerk=Journal of Museum Ethnography |Nummer=7 (May 1995) |Datum=1995-05 |Seiten=25–40 |JSTOR=40793563}}</ref> Die „Bewohner“, bei denen es sich um meist junge, gutaussehend und lebhaft wirkende Vertreter der jeweiligen Ethnie handelt, demonstrieren traditionelle Fertigkeiten in Handwerk, Gesang in eigener Sprache, Musik, Tanz oder anderen Folkloreaspekten. Die ethnische Minderheit der Uiguren ist unter anderem mit einer Moschee und einem uigurischen Haus vertreten, das zu den Replika-Gebäuden gehört, bei denen Elemente der traditionellen Architektur, Bauweise und Materialien berücksichtigt wurden. Tatsächlich handelt es sich bei den Darbietungen jedoch um ein Gemisch von authentischen und künstlichen Elementen. Die FCV verkörpern den Kern der KPCh in Bezug auf Demokratie, religiöse Freiheit und Unterstützung ethnischer Kulturen und wurden dazu ausgelegt, der eigenen Bevölkerung sowie der Weltöffentlichkeit ein Bild der Toleranz des chinesischen Sozialismus zu vermitteln.<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392" /> Doch nimmt keine der Darstellungen nennenswert Bezug auf islamische soziale oder religiöse Merkmale. Die uigurische Moschee dient lediglich als [[Basar]] für den Verkauf uigurischer Produkte wie Textilien oder Teppiche. Die Ausübung des Islam bleibt mit dem allgemeinen Konzept der Ausstellung unvereinbar und es wird keine Möglichkeit geboten, die Religion mit der ihr anhängenden Bevölkerung in Verbindung zu bringen.<ref name="StanleyEtChung1995_JME_7_25-40" /> Die uigurische Moschee hat dabei wie auch das tibetanische Kloster keine religiöse Funktion, sondern wird als politisches Symbol und als touristischer Blickfang instrumentalisiert und die Integration der Minoritäten zur Darstellung einer „glücklichen chinesischen Familie“ und der Eintracht der Völker Chinas genutzt.<ref name="SofieldEtLi1998_ATR_25_2_362-392">{{Literatur |Autor=Trevor H.B. Sofield, Fung Mei Sarah Li |Titel=Tourism development and cultural policies in China |Sammelwerk=Annals of Tourism Research |Band=25 |Nummer=2 |Datum=1998-04 |Seiten=362-392 |DOI=10.1016/S0160-7383(97)00092-3}}</ref>

Die Darstellung der ethnischer Minderheiten in China schlägt sich insbesondere auf zwei verschiedene Arten in einer starren und restriktiven Form nieder:<ref name="Barabantseva2012_ModernChina_38_1_78-109">{{Literatur |Autor=Elena Barabantseva |Titel=Who Are "Overseas Chinese Ethnic Minorities"? China's Search for Transnational Ethnic Unity |Sammelwerk=Modern China |Band=38 |Nummer=1 (Special Issue: New and Old Diversities in Contemporary China) |Verlag=Sage Publications, Inc. |Datum=2012-01 |Seiten=78-109 |DOI=10.1177/0097700411424565 |JSTOR=23216935}}</ref>

Eine Form ist die [[Versicherheitlichung]] der ethnischen Minderheiten, bei der diese – insbesondere Uiguren und Tibeter – routinemäßig als Bedrohung für die [[Innere Sicherheit|nationale Sicherheit]] und Integrität Chinas betrachtet werden.<ref name="Barabantseva2012_ModernChina_38_1_78-109" /> Die uigurische Gesellschaft in China wird mit Terrorismus in Verbindung gebracht.<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> Seit 2013 verschärften die Behörden ihre Bemühungen, physische Anzeichen und kulturelle Praktiken unter Uiguren zu identifizieren, die der Staat als religiöse Überzeugungen eingeordnet hatte, die nach Ansicht der Behörden dem Staat zuwiderliefen und daher von ihnen mit „Extremismus“ in Verbindung gebracht wurden. Besonders gut veranschaulicht die Kampagne „Project Beauty“ im Jahr 2013 die Bemühungen des Staates, unter den Uiguren die Verwendung kultureller uigurischer Ausdrucksformen ausfindig zu machen, die der Staat als „extremistisch“ erachtete. Die Kampagne strebte an, den Kleidungsstil uigurischer Frauen zu ändern, indem uigurische Frauen gezwungen wurden, im religiösen Sinn weniger sittsame Kleidung zu tragen und „ihre Schönheit zu zeigen“, indem sie auf Verschleierung und muslimisch geprägte Frauenbekleidung verzichteten. „Project Beauty“ war zwar eine Kampagne der ganzen Region Xinjiang, wurde aber im uigurisch geprägten Süden mit besonderem Nachdruck umgesetzt. In Kaxgar wurden [[Kontrollpunkt|Checkpoints]] für weibliche Gesichtsbedeckung eingerichtet, und [[Videoüberwachungsanlage|CCTV-Kameras]] überwachten Frauen auf der Straße. Frauen, die beim Tragen von Schleiern in der Öffentlichkeit registriert wurden, erhielten einen Eintrag bei den Behörden und wurden gezwungen, sich an einer Umerziehung zu beteiligen, indem sie Propagandafilme ansehen mussten, in denen Frauen sich dafür einsetzten, die „Schönheit ihrer Gesichter“ in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die staatliche Überwachung der Kleidung und anderer Merkmale der Religiosität unter dem Vorwand der Bekämpfung des „Extremismus“ war dabei jedoch nicht nur auf den öffentlichen Raum beschränkt, sondern wurde von regelmäßigen Hausdurchsuchungen und einem Großaufgebot von Han-chinesischen Parteikadern unterstützt, die die uigurische Landbevölkerung in Tausenden Dörfern langfristig überwachten.<ref name="Roberts2020_EES_p166f">{{Literatur |Autor=Sean R. Roberts |Titel=The War on the Uyghurs: China's Internal Campaign against a Muslim Minority |Reihe=Princeton Studies in Muslim Politics |NummerReihe=78 |Verlag=Princeton University Press |Ort=Princeton/New Jersey |Datum=2020 |ISBN=978-0-691-20221-1 |Kapitel=Kapitel 5 (The self-fulfilling prophecy, 2013–2016) Abschnitt: Escalating Violence, Counterterrorism, and Counter-Extremism, 2013 |Seiten=161–197 |Fundstelle=hier S. 166f. |DOI=10.1515/9780691202211 |Umfang=328 Seiten}}</ref> Auch im Ausland lebende chinesische Uiguren werden in der auf Misstrauen beruhenden offiziellen Position Chinas unter potenziellen Sicherheitsbedenken behandelt. Anders als bei Chinas Behandlung im Ausland lebender Han-Chinesen, deren gemeinsame „[[Blutsverwandtschaft|Blutsbande]]“, Kultur, Werte, Interessen und [[Patriotismus]] betont wird, wendet sich der Staat an im Ausland lebende chinesische Uiguren unter der Annahme, dass sie eine Bedrohung für die [[Innere Sicherheit|chinesische Sicherheit]] darstellen könnten.<ref name="Barabantseva2012_ModernChina_38_1_78-109" /> Insbesondere setzte China die Führung der uigurischen Diaspora in Verbindung mit Terrorismus.<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> Der staatliche chinesische Fernsehsender [[CGTN (Fernsehsender)|CGTN]] gab 2019 an, dass die uigurische Identität in China für die Uiguren eine Bürde darstelle, die darauf beruhe, dass Terroranschläge dazu geführt hätten, dass das spezifische Erscheinungsbild der Gesichter von Uiguren von Menschen aus dem [[Eigentliches China|Inneren China]] leicht mit bestimmten [[Stereotyp]]en verbunden werde und insbesondere seit den Unruhen in Ürümqi 2009 Uiguren gegenüber Angst und Vorbehalte herrschen würden.<ref name="news-cgtn-com_2019-11-10_UAF" />

Die andere Form ergibt sich dadurch, dass staatlich geförderter Tourismus und kulturelle Darbietungen das Bildes glücklicher, [[Unschuld|unschuldiger]], [[Feminisierung (Soziologie)|feminisierter]], erotisierter und „gelehriger“ ethnischer Minderheiten verbreiten.<ref name="Barabantseva2012_ModernChina_38_1_78-109" /> Von den Uiguren in China wird vielfach das Bild eines überhöht feminisierten Gegenübers gezeichnet.<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /><ref name="Harris2017_WorldOfMusic-NS_6_2_35-55" /> Wie in vielen anderen Ländern definiert und normiert sich in China die Mehrheitsgesellschaft, indem sie ihre Minderheiten durch visuelle Formen der Verkleinerung maßregelt.<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> Während Minderheiten beispielsweise als Gruppen wahrgenommen werden, die Trachten oder Kostüme tragen, tragen Mitglieder von Mehrheiten dieser Wahrnehmung nach Kleidung. Und während Minoritäten als Menschen dargestellt werden, die in ihrer „primitiven“ Lebensweise glücklich sind, werden Mehrheiten so dargestellt, dass sie eine Sehnsucht der Rückkehr zur Natur empfänden und sich gleichzeitig über ihren Status als moderne Persönlichkeiten bewusst seien.<ref name="Gladney2004_DCR_Kap4_51-84">{{Literatur |Autor=Dru C. Gladney |Titel=Dislocating China: Reflections on Muslims, Minorities, and Other Subaltern Subject |Verlag=C. Hurst & Co. |Ort=London |Datum=2004 |ISBN=1-85065-324-0 |Kapitel=4 (Making, Marking, and Marketing Identity) |Seiten=51-84}}</ref><ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> Sowohl in der kollektiven Vorstellung als auch im politischen Diskurs in China werden Uiguren – wie die anderen ethnischen Minderheiten – als Vertreter für ein von der modernen Entwicklung abgeschnittenes Volk und als ein Symbol für Folklore aufgefasst und sind in erster Linie für ihre Tanz- und Musikdarbietungen bekannt.<ref name="CabrasEtGuill2017_ChinaPerspectives_2017-4-112_41-48">{{Literatur |Autor=Giulia Cabras, Elizabeth Guill |Hrsg=French Centre for Research on Contemporary China |Titel=Between Resistance and Adaptation: The Place of the Uyghur Language in the Sinicised Zone of Ürümchi |Sammelwerk=China Perspectives |Nummer=2017/4 (112) |Datum=2017 |Seiten=41-48 |JSTOR=26380537}}</ref><ref name="Gladney1994_JAS_53_1_92-123" /> Ein gutes Beispiel boten die öffentlichen Aufführungen der ethnischen Vielfalt in der Gala „Colourful China“, die vor der Eröffnung der [[Olympische Sommerspiele 2008|Olympischen Spiele 2008 in Peking]] in Hongkong stattfanden. Diese Veranstaltung stellte die Minderheitengemeinschaften wie die Uiguren als exotische Gegenüber dar, die in der Zeit stehengeblieben seien und keinen Kontakt zur Moderne hätten. Dem chinesischen Multikulturalismus mit seinen farbenfrohen Spektakeln lag eine klare Abgrenzung in der hierarchischen Ordnung und Positionierung von Minderheiten zugrunde, die auch [[Sexualisierung|sexualisierte]] und triebhafte Darstellungen der Minderheiten benutzte.<ref name="WittebornInHegde2011_GC_268-283" /> Obwohl uigurische Frauen als Muslime in der Öffentlichkeit in sexueller Hinsicht konservativer auftraten als Han-Chinesinnen, wurden sie bereits in den 1980er Jahren wie andere Minderheiten erotisiert, indem sie als sinnlich und erotisch dargestellt wurden.<ref name="Gladney2004_DCR_Kap4_51-84" /><ref name="GladneyInNyiriEtBreidenbach2005_Chap9_237-291">{{Literatur |Autor=Dru C. Gladney |Hrsg=Pál Nyíri, Joana Breidenbach |Titel=Chapter 9: Alterity Motives |Sammelwerk=China Inside Out: Contemporary Chinese Nationalism and Transnationalism |Reihe=CEUP collection |Verlag=Central European University Press |Ort=Budapest |Datum=2005 |ISBN=978-963-7326-14-1 |Seiten=237-291 |Online=https://books.openedition.org/ceup/1240?lang=de}}</ref><ref name="Gladney1994_JAS_53_1_92-123">{{Literatur |Autor=Dru C. Gladney |Titel=Representing Nationality in China: Refiguring Majority/Minority Identities |Sammelwerk=The Journal of Asian Studies |Band=53 |Nummer=1 |Verlag=Association for Asian Studies |Datum=1994-02 |Seiten=92-123 |DOI=10.2307/2059528}}</ref> Die Exotik bezüglich der Minderheiten wird in jüngeren chinesische Staatsmedien auch auf die körperlichen Attribute prominenter Uigurinnen als „exotische Schönheiten“ bezogen.<ref name="chinadaily-com-cn_2017-10-12_USN" /><ref name="globaltimes-cn_2016-06-06_BXU" /><ref name="news-cgtn-com_2019-11-10_UAF" /> Zwar fördern chinesische Behörden das folkloristische Image der Uiguren als singendes und tanzendes Volk in besonderem Maße, doch haben die von der Regierung geförderten kulturellen Aktivitäten oftmals die Verbindung zu ihrer Herkunftsgemeinschaft verloren und wurden auf Shows reduziert, die für Han-Chinesen und ausländische Touristen ausgelegt wurden.<ref name="CabrasEtGuill2017_ChinaPerspectives_2017-4-112_41-48" />
Der Staat kriminalisierte kulturelle Aktivitäten der Uiguren als Formen des „religiösen Extremismus“ und führte ihre Kultur gleichzeitig Touristengruppen in Form von Gesangs- und Tanzspektakeln vor.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC">{{Internetquelle |autor=Rachel Harris |url=https://cgpolicy.org/articles/uyghur-heritage-and-the-charge-of-cultural-genocide-in-xinjiang/ |titel=Op-Ed: Uyghur Heritage and the Charge of Cultural Genocide in Xinjiang |werk=[[Center for Global Policy|cgpolicy.org]] |datum=2020-09-24 |abruf=2020-11-18}}</ref> Während große Teile der uigurischen Bevölkerung im Rahmen staatlich überwacht und interniert werden, stellten inszenierte Aufführungen die uigurische Kultur Xinjiangs als ein fröhliches Klischee dar, in dem junge Uigurinnen tanzend und lächelnd Touristen begrüßten.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Ähnlich wie im Fall von rassistischen Stereotypen über [[Afroamerikaner]] in den USA wurde die exotisierte Darstellung der Uiguren als Menschen, die gerne singen und tanzen, zunächst mit der Wahrnehmung einer potenziell von ihnen ausgehenden Gefährlichkeit – im Sinne von [[Kriminalität]] wie etwa [[Drogenhandel]] – verbunden. Ab dem Jahr 2008 fand erstmals auch die Idee Eingang in die Vorstellung der chinesischen Mehrheitsbevölkerung, dass von den Uiguren eine „existenzielle Bedrohung“ ausginge. Dieser Wandel in der Wahrnehmung der Uiguren von einer als „minderwertig, halbkriminell und exotisch“ (Sean R. Roberts) angesehenen Gruppe hin zu einer „existenziellen Bedrohung“, erfuhr durch die [[Geschichte der Uiguren#Unruhen in Ürümqi 2009 und weitere Entwicklung|Unruhen von Ürümqi im Jahr 2009]] Auftrieb, als es sowohl zu ethnischer Gewalt von Uiguren gegenüber Han-Chinesen als auch umgekehrt und im Gefolge zu einer erheblichen [[Dämonisierung]] der Uiguren kam.<ref name="Roberts_in_jacobinmag.com_2021-04-29_DEU">Sean R. Roberts, in: {{Internetquelle |autor=Interview von Matthew Byrd mit Sean R. Roberts |url=https://jacobinmag.com/2021/04/uyghur-oppression-ccp-surveillance-reeducation-war-on-terror |titel=Demanding an End to Uyghur Oppression |titelerg=We can oppose the saber-rattling and militarism of the US’s China hawks without downplaying the oppression of the Uyghur people |werk=[[Jacobin|jacobinmag.com]] |datum=2021-04-29 |abruf=2021-05-02}}</ref> Diese öffentliche Wahrnehmung bestimmter Minderheitengruppen Chinas wie die der Uiguren führte zu einer umfassenden Kontrolle ihres sozialen Lebens. Von den Einschränkungen betroffen war beispielsweise ihr Zugang zum Internet und zu Hotelzimmern, sowie ihre Möglichkeit zur [[Mobilität|freien Bewegung]] oder auch zum [[Elektrofotografie|Fotokopieren]] und Drucken.<ref name="Barabantseva2012_ModernChina_38_1_78-109" />

==== Separatistischen Bewegungen entgegenwirkende Faktoren ====
Dem Unabhängigskeitsstreben der Nationalisten entgegen wirken verschiedene Faktoren. Erstens wird die Sprache in ihrer die uigurischen Gemeinschaften vereinenden Wirkung dadurch beeinträchtigt, dass die Uiguren in verschiedenen Staaten unterschiedliche Schriften wie [[Arabische Schrift|Arabisch]], [[Kyrillisches Alphabet|Kyrillisch]] oder [[Lateinisches Schriftsystem|Lateinisch]] zur Niederschrift der Sprache verwenden und so ihre Kommunikation zwischen den Staaten erschwert wird. Zweitens behindern sich gegensätzliche Programme der unterschiedlichen uigurischen politischen Gruppen wie [[Pan-Turkismus]], uigurischer [[Nationalismus]], [[Säkularismus]] und [[Islamismus]] gegenseitig beim Verfolgen gemeinsamer uigurischer Ziele. Drittens scheuen alle in der jüngeren Zeit neu unabhängig gewordenen Turkvolkrepubliken aus [[Geopolitik|geopolitischen]] Gründen vor der Unterstützung aufkeimender Unabhängigkeitsbewegungen wie die der chinesischen Minderheiten zurück, aus der Sorge, damit lukrativen [[Handelsabkommen]] oder politischer Unterstützung von der [[Vereinte Nationen|UNO]] im Weg zu stehen. Viertens führte die Angst vor muslimischen Bewegungen weltweit nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 allgemein zu einer Hemmung einiger uigurischer Bewegungen, insbesondere wenn diese ihre Religion als Zentrum der uigurischen Identität behandelten.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

==== Sinisierung der kulturellen Identität seit 2017 ====
{{Hauptartikel|Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014}} 
[[Datei:Turpan roadside party propaganda.jpg|mini|KPCh-Propaganda am Straßenrand nahe dem Turpan-Museum in Turpan (2018). Es zeigt eine von Weinreben und Blumen umgebene Frau mit Kopftuch, die ein kleines Kind im Arm wiegt und vermittelt auf Uigurisch und Chinesisch die Hauptbotschaft: 我把党来比母亲 (dt. etwa: „Ich vergleiche die Partei mit meiner Mutter“)<br>Dieser Slogan der Xi-Jinping-Ära greift die Mutterfigur als Kern der uigurischen Gemeinschaft an. Seine öffentliche Präsentation als traditioneller chinesischer [[Scherenschnitt]] verdrängt sinnbildlich die turkvölkische Kultur und ersetzt sie durch eine Form der ethnischen Han-Kultur.<ref name="Tobin2020_SCN_Kap5_139-165_p146Fig5-3">{{Literatur |Autor=David Tobin |Titel=Securing China's Northwest Frontier: Identity and Insecurity in Xinjiang |Verlag=Cambridge University Press |Ort=Cambridge |Datum=2020 |ISBN=978-1-108-48840-2 |Kapitel=Chapter 5: Performing Inclusion of the Uyghur Other |Seiten=139-165 |Fundstelle=hier S. 146 f., Fig. 5.3 |Umfang=S. i-x, 1-286 |DOI=10.1017/9781108770408.006}}</ref>]]
Vor allem seit 2017 treibt die chinesische Regierung Bemühungen voran, die uigurische Kultur unter eigene Kontrolle zu bringen, zu sinisieren und von der weiteren islamischen Welt abzutrennen.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /> Ziel der Angriffe ist dabei auch das uigurische kulturelle Erbe in einem Ausmaß, das die UNESCO als kulturelle Säuberung bezeichnet hat.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> Zahlreiche Anzeichen wie die staatlichen Angriffe auf bedeutende kulturelle Ziele der Uiguren und die alle Lebensbereiche der Uiguren berührende staatliche Zerstörungswelle sprechen dabei dafür, dass der chinesische Staat eine breitangelegte Anstrengung unternimmt, die Erfahrungen und Identitäten der Uiguren von ihrer Landschaft zu trennen.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> Nach Ansicht der deutschen Bundesregierung strebt die chinesische Regierung mit ihren Maßnahmen eine Sinisierung der religiösen und kulturellen Identität der uigurischen Minderheit in Xinjiang an.<ref name="auswaertiges-amt-de_2020-12-02_14BM_p264" />

Die aktuelle chinesische Politik wird auch an Tilgungen der uigurischen Geschichte durch staatliche Behörden sichtbar, mit denen die uigurische Identität den Tatsachen widersprechend umgeschrieben wird.<ref name="AndersonEtByler2019_ChinaPerspectives_2019-3_17-26" /> So erklärte im August 2018 Yasheng Sidike als Bürgermeister und stellvertretender KPCh-Chef von Ürümqi, dass die „Uiguren keine Nachfahren der Türken, geschweige denn irgendetwas, was mit dem türkischen Volk zu tun hat“ seien, sondern „Mitglieder der chinesischen Familie“.<ref name="AndersonEtByler2019_ChinaPerspectives_2019-3_17-26_SCIO2018_FN3">{{Literatur |Autor=Amy Anderson, Darren Byler |Hrsg=Centre d'étude français sur la Chine contemporaine |Titel=“Eating Hanness”: Uyghur Musical Tradition in a Time of Re-education |Sammelwerk=China Perspectives |Nummer=2019/3 |Datum=2019 |ISSN=2070-3449 |Seiten=17–26 |DOI=10.4000/chinaperspectives.9358 |Zitat=“The many ethnic cultures of Xinjiang have their roots in the fertile soil of Chinese civilisation, advancing their own cultural development while enriching the overall culture of China. All ethnic cultures in Xinjiang have borrowed from Chinese culture from the very beginning” (State Council Information Office 2018).}} Online verfügbar seit: 1. September 2019, {{ISSN|1996-4617}}. Mit Verweis auf: “Uyghurs are not descendants of Turks: Urumqi mayor”, Global Times, von Shan Jie, 26. August 2018, URL: http://www.globaltimes.cn/content/1117158.shtml (abgerufen am 22. Juli 2019).</ref><ref name="globaltimes-cn_2018-08-26_UAN">{{Internetquelle |autor=Shan Jie |url=https://www.globaltimes.cn/content/1117158.shtml |titel=Uyghurs are not descendants of Turks: Urumqi mayor |hrsg=globaltimes.cn |datum=2018-08-26 |abruf=2021-01-09}}</ref> Im Jahr 2019 forderten die staatlichen Behörden in einem vom [[Staatsrat der Volksrepublik China]] herausgegebenen [[White Paper]]<ref name="AndersonEtByler2019_ChinaPerspectives_2019-3_17-26_SCIO2018" /><ref name="foreignpolicy.com_2021-04-15_YAX_WP" /> der Regierung zur ethnischen Politik in Xinjiang, die „chinesische“ Kultur solle fortan als Kern aller anderen ethnischen Kulturen betrachtet werden und die Identität als Chinese sei als allen anderen Identitäten vorangehend anzusehen.<ref name="AndersonEtByler2019_ChinaPerspectives_2019-3_17-26_SCIO2018">{{Literatur |Autor=Amy Anderson, Darren Byler |Hrsg=Centre d'étude français sur la Chine contemporaine |Titel=“Eating Hanness”: Uyghur Musical Tradition in a Time of Re-education |Sammelwerk=China Perspectives |Nummer=2019/3 |Datum=2019 |ISSN=2070-3449 |Seiten=17–26 |DOI=10.4000/chinaperspectives.9358 |Zitat=“The many ethnic cultures of Xinjiang have their roots in the fertile soil of Chinese civilisation, advancing their own cultural development while enriching the overall culture of China. All ethnic cultures in Xinjiang have borrowed from Chinese culture from the very beginning” (State Council Information Office 2018).}} Online verfügbar seit: 1. September 2019, {{ISSN|1996-4617}}. Mit Verweis auf: “Cultural Protection and Development in Xinjiang.”, State Council Information Office of the PRC, 2018, URL: http://english.gov.cn/archive/white_paper/2018/11/15/content_281476391524846.htm (abgerufen am 22. Juli 2019). Vgl.: {{Internetquelle |url=http://english.www.gov.cn/archive/white_paper/2018/11/15/content_281476391524846.htm |titel=Cultural Protection and Development in Xinjiang |hrsg=english.www.gov.cn |datum=2018-11-15 |abruf=2021-01-09}} (Xinhua). Die Bearbeitung folgt hier Anderson & Byler (2019). Die dort zitierte Aussage aus dem White Paper konnte beim Abruf der Original-URL auf english.www.gov.cn am 9. Januar 2021 dort nicht ohne Abweichungen im Wortlaut und Sinn gefunden werden. Web-Archivversionen lagen zur Bearbeitung nur rückwirkend bis zum 1. Dezember 2019 vor und wiesen ebenfalls Abweichungen zum Zitat auf.</ref><ref name="foreignpolicy.com_2021-04-15_YAX_WP">{{Internetquelle |autor=Peter Mattis |url=https://foreignpolicy.com/2021/04/15/xinjiang-uyghurs-intentional-genocide-china/ |titel=Argument: Yes, the Atrocities in Xinjiang Constitute a Genocide |titelerg=Beijing’s own words and actions highlight the intent to end the Uyghurs as a people |werk=foreignpolicy.com |datum=2021-04-15 |abruf=2021-04-16}} Dort mit Verweis auf: {{Internetquelle |url=http://english.www.gov.cn/archive/whitepaper/201907/21/content_WS5d33fed5c6d00d362f668a0a.html |titel=Full Text: Historical Matters Concerning Xinjiang |hrsg=english.www.gov.cn (The State Council, The People's Republic Of China) |datum=2019-07-21 |abruf=2021-04-16}} (Xinhua). Dort wiederum Download verfügbar: {{Internetquelle |url=http://english.www.gov.cn/atts/stream/files/5d664fb3c6d0cc300eea7730 |titel=Historical Matters Concerning Xinjiang: The State Council Information Office of the People’s Republic of China: July 2019: First Edition 2019 |hrsg=english.www.gov.cn (The State Council, The People's Republic Of China) |datum=2019-07-21 |abruf=2021-04-16 |kommentar=ISBN 978-7-119-12076-8, Foreign Languages Press, Beijing, 2019}}</ref>

=== Uigurische Vor- und Familiennamen ===
==== Historische Einflüsse auf die Namensgebung ====
Im Laufe des langen geschichtlichen Bildungsprozesses der uigurischen Namen haben diese einen starken Wandel erfahren. Zu den historischen Einflussfaktoren, die sich auf die Namenskultur der Uiguren ausgewirkt haben, zählen zum Ersten die unterschiedlichen [[Wirtschaft#Wirtschaftsformen|Wirtschaftsformen]] wie [[Nomadismus]], [[Sesshaftigkeit]], [[Urbanisierung]] und [[Industrialisierung]]. Weitere dieser Einflussfaktoren liegen vor in den [[Glaube|religiösen Überzeugungen]] wie [[Schamanismus]], [[Zoroastrismus]], [[Buddhismus]], [[Nestorianismus|nestorianisches Christentum]] und [[Islam]]. Und schließlich gehören in die Reihe dieser Einflussgrößen auch die unterschiedlichen [[Zivilisation]]en wie die [[Reitervölker|eurasisch-nomadische]], die Zivilisation der Oasen des Tarim-Beckens, die Han-chinesische, die indische, die persische, die griechisch-[[Hellenismus|hellenistische]], die arabisch-islamische und die moderne russisch-europäische.<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />

==== Herkunftssprachen der Namen ====
Die Namen in Xinjiang entsprechen im Allgemeinen der bemerkenswerten Vermischung der Kulturen, die an diesem alten Begegnungspunkt der östlichen und westlichen Zivilisationen aufeinandergetroffen sind. Die bei den Turkvölkern in Xinjiang heutzutage üblicherweise verwendeten Namen enthalten viele Ableitungen aus dem Arabischen oder Persischen, die auf den tiefgreifenden Einfluss der islamischen Kultur verweisen. Andererseits sind auch russische und chinesische Einflüsse auf die Wahl der Namen zu erkennen, worin sich die Bindung der Region an diese beiden starken kulturellen Traditionen niederschlägt.<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007">{{Literatur |Autor=Äsäd Sulayman |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=Hybrid Culture in Xinjiang: Problems Surrounding Uyghur Name/Surname Practices and their Reform |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=109–130 |Umfang=S. i-xxiv, 1-249}}</ref>

Laut dem ''Uyğur Kishi Isimliri'' (Führer für uigurische Namen) von Mutällip Sidiq Qahiri machten aus dem Arabischen abgeleitete Namen im Jahr 1998 über 80 Prozent aller uigurischen Namen aus.<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007citQahiri1998cfQahiri2010">{{Literatur |Autor=Äsäd Sulayman |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=Hybrid Culture in Xinjiang: Problems Surrounding Uyghur Name/Surname Practices and their Reform |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=109–130 |Fundstelle=hier S. 113 |Umfang=S. i-xxiv, 1-249}} Mit Verweis auf: {{Literatur |Autor=Mutällip Sidiq Qahiri |Titel=Uyġur kiši isimliri |Verlag=Qäšqär uyġur näšriyati |Ort=Qäšqär |Datum=1998 |ISBN=7-5373-0671-0 |Sprache=ug |Umfang=S. 1–586 + 5 S. Tafeln}} [Original in arabisch-uigurischer Schrift]. Vgl. auch: {{Literatur |Autor=Mutällip Sidiq Qahiri |Titel=Uyğur kiši isimliri qamusi [Ein neu-uigurisches Onomastikon] |Verlag=Šinjang uniwersiteti näšriyati |Ort=Ürümči |Datum=2010 |ISBN=978-7-5631-2422-0 |Sprache=ug |Umfang=S. 1–891 + 14 [18] Seiten}} [Original in arabisch-uigurischer Schrift].</ref>

{| class="wikitable float-right" style="text-align:center"
|+ Vorislamische uigurische Vornamen<br />für Mädchen (gelb) und Jungen (grün)<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />
|-
! Name !! Bedeutung !! Name !! Bedeutung
|-
| class="hintergrundfarbe8" style="text-align:center;"| Chechäk || Blume || class="hintergrundfarbe9" style="text-align:center;"| Bars || Tiger
|-
| class="hintergrundfarbe8" style="text-align:center;"| Yultuz || Stern || class="hintergrundfarbe9" style="text-align:center;"| Qaplan || Leopard
|-
| class="hintergrundfarbe8" style="text-align:center;"| Aykhan || Mond || class="hintergrundfarbe9" style="text-align:center;"| Alp || Held
|-
| class="hintergrundfarbe8" style="text-align:center;"| Hidligh || süßlich duftend || class="hintergrundfarbe9" style="text-align:center;"| Bilgä || klug
|}
==== Bedeutungen der Namen und Bedeutung der Namensgebung ====
In der vorislamischen Phase der Uiguren vor Mitte des 9. Jahrhunderts n. Chr., als sich diese Religion noch nicht aus dem Westen bis zu ihnen hin ausgebreitet hatte, führten die Uiguren eine Geburtszeremonie aus, bei der sie für das Neugeborene einen Namen wählten, der den Namenstraditionen der alten Turkvölker oder der Alt-Uiguren entsprach. Die Bräuche der uigurischen Namen und Nachnamen folgten in dieser Zeit den alten turki-uigurischen Namenstraditionen des [[Erstes Türk-Kaganat|Ersten]] und [[Zweites Türk-Kaganat|Zweiten]] Türk-Kaganats (552-744) sowie des [[Uigurisches Kaganat|Uigurischen Kaganats]] (744-840). In dieser Tradition herrschte der Glaube vor, dass der Vorname auf [[Magie|magische]] Weise Wirkung auf die Zukunft des Namensträgers ausüben würde. In dieser alten Tradition verkörperten uigurische Namen somit die vielen guten Wünsche der Eltern für die Eigenschaften ihrer Kinder, wobei den Mädchen über die Namen in der Regel Attribute der Schönheit zugewiesen wurden, während die Namen für Jungen ihre Stärke, ihren Genius oder Ähnliches ausdrücken sollten. Nicht nur während des Uigurischen Kaganats, sondern auch noch in der Zeit des Königreichs von [[Kocho (Gaochang)|Chotscho]] (850-1250) wurden für Vornamen häufig Wörter verwendet wie ''tömür'' („Eisen“), ''qara'' („schwarz, stark, groß“) und ''buqa'' („Bulle“) oder solche mit der Bedeutung von „Raubtieren“ (im Sinne von [[Beutegreifer]]n und [[Greifvögel]]n) wie ''börä'' („Wolf“), ''arslan'' („Löwe“), ''toghril'' („Adler“), ''shingqur'' („Falke“), ''tunga'' („Leopard“), ''adigh'' („Bär“) und ''Qaplan'' („Leopard“).<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />
{| class="wikitable float-right" style="text-align:center"
|+ Uigurische Namensbildungen unter Einfluss arabischer und islamischer Kultur<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />
|-
! Name !! Bedeutung
|-
| Ibrahim ibni Yusuf Khotani || Ibrahim, Sohn von Yusuf, geboren in Hotan
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| Molla Ismätulla binni Molla Nemätulla Möjizi || Molla Ismätulla, dessen Vater Molla Nemätulla und dessen Pseudonym Möjizi ist
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| Äysa Hashim oghli || Isa, Sohn von Hashim
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| Märiyam Saqim qizi || Märiyam, Tochter von Saqim
|}
Im zweiten Jahrtausend übte schließlich die arabische und islamische Kultur starken Einfluss aus und bewirkte im Hinblick auf die Namensgebung, dass die vergebenen uigurischen Namen in erster Linie aus den persönlichen Namen gebildet wurden, die sich im Koran und anderen islamischen religiösen Büchern vorfanden. Zudem fingen Manche und insbesondere Intellektuelle an, in schriftlichen Dokumenten die patronymischen Formen ''ibn'' oder ''bin'' (Arabisch für: „Sohn“ bzw. „Vater“) und ''oghli'' oder ''qizi'' (Uigurisch für: „Sohn von ...“ bzw. „Tochter von ...“) zu übernehmen.<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />

==== Nach- oder Familiennamen ====
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts blieb die Verwendung von [[Familienname|Nachnamen oder Familiennamen]] bei Uiguren, die traditionell nur [[Vorname]]n vergeben, unüblich.<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />

Erst ab den 1930er Jahren begannen manche Intellektuelle und einzelne Uiguren, die eigene Erfahrungen aus den ehemals sowjetischen zentralasiatischen Republiken oder in der Türkei mitbrachten, für sich neben ihrem persönlichen Namen auch einen Nachnamen zu verwenden. Dazu verwendeten sie [[Russifizierung|russifizierte]] Nachnamen-[[Suffix]]e oder nahmen die turkische [[patronym]]ische Form ''oghli'' (männlich) oder ''qizi'' (weiblich). Andere Intellektuelle lehnten die russische Art der Familiennamen ab und übernahmen das persische [[Pseudonym]] (im Sinne von: Künstlername) ''-i'', das turkische Intellektuelle seit dem Mittelalter verwendeten. Die russifizierte Form der Familiennamen konnte sich für die uigurische Bevölkerungsmehrheit – trotz einer gewissen Beliebtheit bei Intellektuellen während der [[Drei-Bezirke-Revolution]] (1944–1949) – nicht durchsetzen.<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />
{| class="wikitable float-right" style="text-align:center"
|+ Schema „instabiler Familiennamen“<br>über mehrere Generationen<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />
|-
! Generation 1 !! Generation 2 !! Generation 3
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| Sidiq Tömür || Abdurehim Sidiq || Tahir Abdurehim
|}
Nach 1949 fand die Bildung „instabiler Familiennamen“ unter Uiguren allmählich starke Verbreitung, indem der Vorname des Vaters als Familienname übernommen und für offizielle Dokumente direkt nach dem eigenen Namen geschrieben wurde. Wirkliche Familiennamen im eigentlichen Sinne blieben selten und waren meist vom Persischen abgeleitet. Die Verwendung von Familiennamen beziehungsweise ihrer patronymisch gebildeten Ersatzformen blieb auf Situationen beschränkt, in denen eine förmliche Identifikation benötigt wird, wie dies vor allem für amtliche Zwecke oder bei Reisen der Fall war. Die einfache Form der Bildung eines Nachnamenersatzes durch das schlichte Anhängen des Namens der Vaters an den seines Sohnes oder seiner Tochter stellte die häufigste Form der patronymisch gebildeten Nachnamenersatzformen dar und implizierte eine [[Genealogie|genealogische]] Verwandtschaftsbeziehung. Beispielsweise die Namen Äsäd Sulayman oder Rahilä Sulayman würden dabei die Bedeutung „Äsäd, Sohn des Sulayman“ beziehungsweise „Rahilä, Tochter des Sulayman“ beinhalten. Anders als bei den in den meisten europäischen Nationalstaaten üblichen Systemen stabiler Familiennamen muss sich der Familienname in diesem System also notwendigerweise beim Übergang in die jeweils nächste Generation ändern.<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts engagieren sich uigurische Intellektuelle für Reformen, um Problemen entgegenzuwirken, die mit der Standardisierung und chinesischen [[Transliteration]] uigurischer Vor- und Nachnamen auftreten.<ref name="SulaymanInBeller-HannEtAl2007" />

==== Verbote religiöser Namen seit 2017 ====
{{Mehrere Bilder
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 | Breite1     = 114
 | Breite2     = 107
 | Bild1       = Part of the list of banned ethnic minority names in Xinjiang.jpg
 | Untertitel1 = 2017 bekannt gewordene Liste behördlich verbotener Namen in Xinjiang<ref name="VOA_2017-04-26_CIB" />
 | Bild2       = Mutällip Sidiq Qahiri 2010 Uyğur kiši isimliri qamusi.jpg
 | Untertitel2 = Das neu-uigurische [[Onomastikon]]<ref name="Qahiri2010_UKIQ">{{Literatur |Autor=مۇتەللىپ سىدىق قاھىرى [Mutällip Sidiq Qahiri] |Titel=ئۇيغۇر كىشى ئىسىملىرى قامۇسى [Transkription: „Uyğur kiši isimliri qamusi“; dt.: „Ein neu-uigurisches Onomastikon“] |Verlag=شىنجاڭ ئۇنىۋېرسىتېتى نەشرىياتى [Šinjang uniwersiteti näšriyati] |Ort=Ürümqi |Datum=2010 |ISBN=978-7-5631-2422-0 |Sprache=ug |Umfang=S. 1–891 + 14 [18] Seiten}} [Original in arabisch-uigurischer Schrift]</ref> wurde 2017 verboten<ref name="taz-de_2019-05-02_RVC" />}}
{{Hauptartikel|Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014}}
Ein Schwerpunkt des mit Belangen der Inneren Sicherheit begründeten Vorgehens der KPCh seit Ende 2016 und 2017 lag in der ideologischen und politischen Umerziehung.<ref name="GreitensEtAl2019-2020_In_InternationalSecurity_44_3_pp9-47"/> Seit Anfang 2017 griffen die regionalen Behörden massiv in die Lebensgestaltung der Uiguren ein. Nach dem Verbot von religiösen Hochzeitszeromien oder dem Tragen „abnormaler“ Bärte kam es auch zu einem Verbot muslimisch religiöser Namen bei Neugeborenen.<ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" /> Die chinesischen Behörden untersagten Eltern der ethnisch-uigurischen Minderheit, ihren neugeborenen Kindern Namen wie zum Beispiel [[Mohammed]] zu geben oder Namen, die nach Ansicht der chinesischen Behörden „extrem religiöse“ Bedeutung haben.<ref name="VOA_2017-04-26_CIB">{{Internetquelle |autor=Joyce Huang |url=https://www.voanews.com/east-asia-pacific/china-issues-ban-many-muslim-names-xinjiang |titel=China Issues Ban on Many Muslim Names in Xinjiang |hrsg=[[Voice of America|voanews.com]] |datum=2017-04-26 |abruf=2020-06-12}}</ref> Das Verbot des Namens [[Mohammed|Muḥammad]] gehörte in den Kontext der möglicherweise striktesten Kampagne von Einschränkungen religiöser Bräuche für Uiguren in der VR China.<ref name="Thum_THREE_Khotan">{{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=Khotan |Hrsg=Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson |Sammelwerk=Encyclopaedia of Islam, THREE |Verlag=Brill |Datum=2020 |Sprache=en |DOI=10.1163/1573-3912_ei3_COM_35551}} Erste Online-Veröffentlichung: 2020, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-43593-3, 2021, 2021-1. Abgerufen am 28. Oktober 2020.</ref> Später wurden auch Jugendliche dazu verpflichtet, als „übermäßig“ religiös eingestufte Namen abzulegen und stattdessen neue anzunehmen.<ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" />

Das 2010 erschienene, neu-uigurische [[Onomastikon]] des uigurischen Wissenschaftlers Mutällip Sidiq Qahiri<ref name="Qahiri2010_UKIQ">{{Literatur |Autor=مۇتەللىپ سىدىق قاھىرى [Mutällip Sidiq Qahiri] |Titel=ئۇيغۇر كىشى ئىسىملىرى قامۇسى [Transkription: „Uyğur kiši isimliri qamusi“; dt.: „Ein neu-uigurisches Onomastikon“] |Verlag=شىنجاڭ ئۇنىۋېرسىتېتى نەشرىياتى [Šinjang uniwersiteti näšriyati] |Ort=Ürümqi |Datum=2010 |ISBN=978-7-5631-2422-0 |Sprache=ug |Umfang=S. 1–891 + 14 [18] Seiten}} [Original in arabisch-uigurischer Schrift]</ref> wurde in China verboten und 2017 auf die [[Buchzensur in der Volksrepublik China#Liste verbotener Bücher|Liste gefährlicher Bücher]] gesetzt.<ref name="taz-de_2019-05-02_RVC" /> Dieses wichtigste Werk Qahiris, der Schaffer grundlegender Werke über Namen und Begriffsfamilien der uigurischen Sprache ist, listet in einem „Namenslexikon“-ähnlichen und nach Begriffsfeldern geordneten Teil uigurische Personennamen auf und erklärt ihre Herkunft, Bedeutung und Aussprache. Gegen Qahiri wurde laut [[Radio Free Asia]] in einem KPCh-internen Verfahren eine hohe Strafe verhängt.<ref name="fr-de_2019-01-12_WMV">{{Internetquelle |autor=Peter Rutkowski |url=https://www.fr.de/politik/mein-vater-11415087.html |titel=Uiguren: "Wo ist mein Vater?" |hrsg=fr.de |datum=2019-01-12 |abruf=2020-07-14}}</ref><ref name="taz-de_2019-05-02_RVC">{{Internetquelle |autor=Friederike Mayer |url=https://taz.de/Uiguren-im-Exil/!5587603/ |titel=Uiguren im Exil: Ein Baum ohne Wald |titelerg=Regelmäßig verschwinden in China Uiguren. Tahir Qahiri kämpft für die Freiheit seines Vaters – und gegen die eigene Verzweiflung |hrsg=taz.de |datum=2019-05-02 |abruf=2020-07-14}}</ref>

=== Sprache ===
==== Linguistische Beziehungen des Alt-Uigurischen ====
Die (Alten) Uiguren gehören zu den frühesten Sprechern einer Turksprache in Zentralasien und werden bereits in chinesischen Aufzeichnungen des 3. Jahrhunderts erwähnt.<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /> [[Alttürkische Sprache|Alt-Türkisch]] und [[Alt-uyghurische Sprache|(Alt-)Uigurisch]] werden oft als [[Synonym]]e verwendet.<ref name="SinorInBosworthEtAsimov2000_HCCA_340–343" /> Das Altuigurische als Variante des Alttürkischen ist die am besten bezeugte Sprache des vorislamischen Zentralasien und zugleich die erste ausführlich dokumentierte türkische Literatursprache, woraus sich ihre große Bedeutung sowohl für die [[Turkologie]] und [[Allgemeine Linguistik|allgemeine Sprachwissenschaft]] ergibt, als auch für die vielfältige Kulturgeschichte der Seidenstraße.<ref name="Wilkens2021_HAU_Abstract">{{Literatur |Autor=Jens Wilkens |Hrsg=Akademie der Wissenschaften zu Göttingen |Titel=Handwörterbuch des Altuigurischen: Altuigurisch – Deutsch – Türkisch / Eski Uygurcanın El Sözlüğü: Eski Uygurca – Almanca – Türkçe |Verlag=Universitätsverlag Göttingen |Ort=Göttingen |Datum=2021 |ISBN=978-3-86395-481-9 |Fundstelle=Abstract auf dem Einband |Online=[https://www.univerlag.uni-goettingen.de/bitstream/handle/3/isbn-978-3-86395-481-9/Wilkens_handwoerterbuch.pdf?sequence=1& PDF] |Umfang=i–ix, 1–929 |DOI=10.17875/gup2021-1590}} Lizenz: Creative Commons Attribution CC BY-SA 4.0.</ref>

Die Sprache wurde sowohl von den ''[[Kök-Türken|Türk]]'' (Köktürken) als auch von den (Alten) Uiguren gesprochen, die die ''Türk'' auf dem Gebiet der Mongolei verdrängten. Es handelt sich dabei um die Sprache, in der die frühesten erhaltenen turksprachigen und darüber hinaus auch die ältesten [[Altaische Sprachen|altaisprachigen]] (im Sinne von: [[Altaische Sprachen#Die Turksprachen|Turksprachen]], [[Altaische Sprachen#Die mongolischen Sprachen|mongolische Sprachen]] und [[Altaische Sprachen#Die tungusischen Sprachen|tungusischen Sprachen]]) Texte verfasst wurden. Ihre wichtigsten Sprachdenkmäler sind in der Mongolei entdeckte Grabstelen mit „Runen“-Inschriften aus der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts, während kleinere, erhaltene Sprachfragmente möglicherweise schon aus dem sechsten Jahrhundert stammen.<ref name="SinorInBosworthEtAsimov2000_HCCA_340–343" /> Diese alttürkischen oder uigurischen Sprachdenkmäler sind somit nicht nur für die Geschichts-,<ref name="SinorInBosworthEtAsimov2000_HCCA_340–343" /> sondern auch für die Sprachwissenschaft außerordentlich bedeutend.<ref name="SinorInBosworthEtAsimov2000_HCCA_340–343" /><ref name="Brose2017_OREAH_MU8" /> Zwei der in der Mongolei gefundenen alttürkischen Inschriften – die zu Ehren von Bayan Chor (auch: Moyun Čor) nach seinem Tod errichtete Inschrift von [[Šine-Usu-Inschrift|Šine-Usu]] und diejenige von Suji (Süüǰi) – wurden von den Uiguren errichtet.<ref name="SinorInBosworthEtAsimov2000_HCCA_340–343" /><ref name="Brose2017_OREAH_MU8" /> Die in Ostturkestan – vor allem in der Region Turpan – gefundenen alttürkischen Manuskripten bezeichnen die Sprache, in der sie geschrieben sind, mit den synonym verwendeten Namen ''türk tili'' und ''uyγur tili'' (dt. etwa: Sprache der ''Türk'', gleichbedeutend mit: Sprache der Uiguren). In [[Kolophon (Schriftstück)|Kolophonen]] einer Kopie des buddhistischen [[Suvarṇaprabhāsa Sūtra]] aus dem Ende des 17. Jahrhunderts wird sogar den Begriff „türk-uigurische Sprache“ (''türk uyγur tili'' verwendet).<ref name="SinorInBosworthEtAsimov2000_HCCA_340–343">{{Literatur |Autor=D. Sinor |Hrsg=C. E. Bosworth, Muhammad Seyfeydinovich Asimov |Titel=Old Turkic And Middle Turkic Languages |Sammelwerk=History of civilizations of Central Asia |Reihe=Multiple History Series |Band=4 (The Age of achievement, A.D. 750 to the end of the fifteenth century; Pt. II: the achievements) |Verlag=UNESCO Publishing |Ort=Paris |Datum=2000 |ISBN=978-92-3-103654-5 |Seiten=340–343 |Kommentar= ISBN 92-3-103654-8 |Online=[https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000120455 unesdoc.unesco.org] |Umfang=1–690}}</ref>

Von den drei Dialekten, die innerhalb der alttürkischen Sprache unterschieden werden können, wurde der erste von den ''Türk'' gesprochen, der zweite von den (Alten) Uiguren (auch in manichäischen Schriften verwendet) und der dritte in Ostturkestan (typisch für buddhistische Schriften, üblich auch in [[profan]]en Schriften, Rechtsdokumenten und medizinischen Schriften). Die Unterscheidung dieser drei Dialekte wird üblicherweise anhand der [[Variation (Linguistik)|Variation]] von ''ń'' ([[Palatalisierung|palatisiertes]] „n“) ~ ''n'' ~ ''y'' vorgenommen, etwa am Beispiel des Wortes für „schlecht“: ''ańïγ'' ~ ''anïγ'' ~ ''ayïγ''. Nach der Abwanderung aus der Mongolei in das Tarimbecken gaben einige uigurische Gruppen ihren ursprünglichen ''anïγ''-Dialekt auf und übernahmen stattdessen den in der Region bei einigen anderen turksprachigen Völkern gebräuchlichen ''ayïγ''-Dialekt.<ref name="SinorInBosworthEtAsimov2000_HCCA_340–343" />

Der Wortschatz des Alttürkischen enthält eine beträchtliche Anzahl von [[Lehnwort|Lehnwörtern]], die aus dem Chinesischen, [[Sogdische Sprache|Sogdischen]], [[Tocharische Sprachen|Tocharischen]], [[Sanskrit]] (direkt oder indirekt) und aus einigen weiteren Sprachen entlehnt wurden. Diese Entlehnungen treten am häufigsten in buddhistischen Texten auf und enthalten Fachbegriffe, die vor allem aus dem Sanskrit oder der chinesischen Sprache stammen. Bemerkenswerter Weise fehlen Entlehnungen aus dem Mongolischen, während aber einige [[Ugrische Sprachen|ugrische]] und [[Samojedische Sprachen|samojedische]] Begriffe von frühem Kontakt zu den betreffenden Völkern zeugen. Im ''anïγ''-Dialekt sind hingegen verhältnismäßig wenige Lehnwörter enthalten.<ref name="SinorInBosworthEtAsimov2000_HCCA_340–343" />

==== Linguistische Beziehungen des Neu-Uigurischen ====
{{Mehrere Bilder
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 | Bild1       = Uyghur language geographical extent.svg
 | Untertitel1 = Verbreitung der [[Uigurische Sprache|uigurischen Sprache]] in China (rot) mit Kennzeichnung spärlich besiedelter Gebiete (rosa)
 | Bild2       = Ethnolinguistic map of China 1983.png
 | Untertitel2 = Verbreitung der [[Turksprachen]] (hell-rosa) in China mit Kennzeichnung spärlich besiedelter Gebiete (weiß)
}}
[[Datei:UEY ULY Elipbesi Kichik.jpg|mini|Für frühes Lernalter visualisierte uigurische Begriffe (Wörter in arabisch- und lateinisch-uigurischer Schrift)]]
Die [[uigurische Sprache]] gehört zur Sprachfamilie der [[Turksprachen]] innerhalb der Gruppe der [[Altaische Sprachen|Altaischen Sprachen]].<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /><ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p5">{{Literatur |Autor=Henry G. Schwarz |Titel=The Minorities of northern China |Reihe=Studies on East Asia |BandReihe=17 |HrsgReihe=Henry G. Schwarz |Verlag=Western Washington University |Ort=[[Bellingham (Washington)|Bellingham, Washington]] |Datum=1984 |ISBN=0-914584-17-0 |Kapitel=Chapter 1: Uigur |Seiten=1–16 |Fundstelle=S. 5 |DOI=10.25710/0wac-7e95 |Umfang=S. i-xiii, 1–309}}</ref> Innerhalb der Turksprachen wird das Uigurische in den Zweig der [[Karlukische Sprachen|karlukischen Sprachen]] eingeordnet<ref name="West2009_EPAO_p848" /> und steht dem [[Usbekische Sprache|Usbekischen]] besonders nahe.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /><ref name="West2009_EPAO_p857">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=857}}</ref>

Die meisten Uigurisch-Sprecher leben heute in Xinjiang, während das ehemals sowjetische Gebiet Zentralasiens eine weit kleinere Gruppe beheimatet. Uigurisch weist gemeinsame Merkmale, aber auch deutliche Unterschiede im Vergleich zu anderen Turksprachen auf.<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p5" /> So ist beispielsweise das allen Altaischen Sprachen gemeinsame Merkmal der [[Vokalharmonie]] im Uigurischen und dort insbesondere innerhalb von [[Wortstamm|Wortstämmen]] verhältnismäßig schwach ausgeprägt. Ein weiteres Merkmal der uigurischen [[Phonetik]] ist das Erweichen von [[Vokal]]en und [[Konsonant]]en. Von anderen Turksprachen hebt sich Uigurisch zudem durch das Vorhandensein einer weit höheren Anzahl von [[Homonym]]en ab (wie etwa ''at'' für „Pferd“ und „Name“). Neben einem mit anderen Turksprachen gemeinsamen [[Wortschatz]], der auch einige altertümliche Wörter aufweist (wie etwa ''al–'' für „nehmen“) hat Uigurisch andere altertümliche, aber nicht mehr aus anderen Turksprachen bezeugte Wörter bewahrt und weist auch rein uigurische Wörter auf. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal liegt mit der Bedeutungsänderung älterer oder übersetzter Wörter vor. Von anderen Turksprachen, soweit diese nicht ebenfalls in China gesprochen werden, unterscheidet sich Uigurisch zudem und durch seine große und schnell wachsende Anzahl chinesischer [[Lehnwort|Lehnwörter]]. Allerdings enthielt der uigurische Wortschatz noch im Jahre 1944 zu 49 Prozent aus originär uigurischen, zu 33,4 Prozent aus arabischen und zu 7,5 Prozent aus persischen Wörtern, während Russisch und andere europäische Sprachen 5,5 Prozent und Chinesisch lediglich 2 Prozent des Wortschatzes stellten.<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p6f">{{Literatur |Autor=Henry G. Schwarz |Titel=The Minorities of northern China |Reihe=Studies on East Asia |BandReihe=17 |HrsgReihe=Henry G. Schwarz |Verlag=Western Washington University |Ort=[[Bellingham (Washington)|Bellingham, Washington]] |Datum=1984 |ISBN=0-914584-17-0 |Kapitel=Chapter 1: Uigur |Seiten=1–16 |Fundstelle=S. 6 f. |DOI=10.25710/0wac-7e95 |Umfang=S. i-xiii, 1–309}}</ref>

Die Entlehnung aus dem Arabischen ins Uigurische nahm ihren Anfang im 14. und 15. Jahrhundert und diente in erster Linie als religiös-islamisches Vokabular. Die persischen Lehnwörter bezeichnen zu über der Hälfte [[Konkretum|konkrete]] Ideen und Namen von Gegenständen, während es sich beim Rest um arabische Lehnwörter handelt, die zunächst ins Persische aufgenommen und dann ins Uigurische übernommen wurden. Russische und andere europäische Lehnwörter sind verhältnismäßig jüngsten Datums und dienen hauptsächlich als technisches Vokabular (wie etwa ''aptomobil'' für „Auto[mobil]“) oder für einige politische Begriffe (wie etwa ''puroletariyat'' für „Proletariat“). Chinesische Lehnwörter schließlich können in solche alten Typs – die bereits vor 1949 verwendet wurden – und solche neuen Typs unterschieden werden. Diejenigen des alten Typs waren eher in der ländlichen Bevölkerung vertreten, da in den Städten lebende uigurische Intellektuelle chinesische Lehnwörter verachteten.<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p6f" />

Die neuuigurische [[Schriftsprache]] wurde ab 1921 in Russisch-Turkestan gebildet und ab 1949 auch als Schriftsprache der Uiguren in Xinjiang übernommen.<ref name="Meyer-IngwersenInGlückEtRödel2016_MLS_p732" /> Bevor 1921 beschlossen wurde, den verschiedenen türkischen Dialekten der heutigen modernen Uiguren den gebräuchlichen Namen „Uiguren“ zu geben, waren die Uiguren von Russisch-Turkestan ''Taranchi'' („Bauern“) genannt worden, während die Sprache der Uiguren Xinjiangs unter den Bezeichnungen für die verschiedenen Oasen-Dialekte, in denen sie lebten, bekannt war, wie beispielsweise ''Qasgharliq'' (dt. etwa: „Kaxgarisch“) oder ''Turfanliq'' (dt. etwa: „Turpanisch“).<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" /> Obwohl die Sprache heute „Uigurisch“ genannt wird und ein uigurischer nationaler Mythos einer direkten Abstammung von den Alten Uiguren besteht,<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> geht diese neuigurische Sprache nicht auf das zu den nordtürkischen Sprachen gehörende Altuigurisch zurück<ref name="Meyer-IngwersenInGlückEtRödel2016_MLS_p732" /> und es liegt keine direkte Abstammung der heutigen Uiguren von den Uiguren des 8. Jahrhunderts vor,<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" /> vermutlich nur mit Ausnahme der „Gelben Uiguren“,<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" /><ref group="A" name="GelbeUiguren_Säriq">Die Säriq oder „Gelben Uiguren“ leben vorwiegend in der [[Gansu|Provinz Gansu]] und werden von den Han-Chinesen Yugur genannt. Sie praktizieren den [[Lamaismus|Lamaistischen]] Buddhismus und hängen sozusagen noch der Lebensweise des ersten uighurischen Reichs (744–840) an. (Quelle: {{Internetquelle |autor=Rainer Feldbacher |url=http://www.gfbv.it/3dossier/asia/uigur-feld.html |titel=China: Die Situation der Uighuren in Xinjiang |hrsg=[[Gesellschaft für bedrohte Völker|gfbv.it]] |datum=2016-02 |abruf=2020-06-19}}) Sie wurden als möglicherweise direkte Nachkommen der Uiguren aus dem 8. Jahrhundert angesehen. (Quelle: {{Literatur |Autor=Larry W. Moses |Hrsg=Richard V. Weekes |Titel=Uygur |Sammelwerk=Muslim Peoples: A World Ethnographic Survey |Band=2 („Maba – Yoruk“) |Auflage=2 |Verlag=Greenwood Press |Ort=Westport/Connecticut |Datum=1984 |ISBN=0-313-24640-8 |Seiten=830-833}})</ref> in deren Sprache das Altuigurisch fortlebt, während eine weitere direkte sprachliche Herleitung zu den [[Salar]]en unklar ist.<ref name="Meyer-IngwersenInGlückEtRödel2016_MLS_p732" /> Die meisten Sprachklassifikationen stellten das moderne Uigurisch nicht nur in sprachverwandtschaftliche Verbindung zu bestimmten usbekischen und kirgisischen Dialekten, sondern auch zu weitaus kleineren Sprachgruppen wie den „Gelben Uiguren“ (Säriq) und Salaren.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" /> Uigurisch geht demnach ebenso wie das ihm sehr ähnliche Usbekisch auf die [[Tschagataische Sprache]] zurück, die als türkische Literatursprache des islamischen Zentralasiens vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts diente.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63">{{Literatur |Autor=Karl Reichl |Titel=Oral Epics Along the Silk Road: The Turkic Traditions of Xinjiang |Sammelwerk=CHINOPERL |Band=38 |Nummer=1 |Datum=2019 |ISSN=0193-7774 |Seiten=45–63 |DOI=10.1080/01937774.2019.1633161}}</ref>

==== Politische Beziehungen ====
Im Gegensatz zu den Hui-Chinesen sprechen die meisten Uiguren keine [[Chinesische Sprachen|Chinesische Sprache]].<ref name="Lee2015_AJCFS_MIC" /> Trotz der lange zurückreichenden Besiedlung Xinjiangs durch die Uiguren, gerieten sie erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts unter chinesischer Herrschaft.<ref name="Lee2015_AJCFS_MIC" /><ref name="Erie2016_CAI_p8-10" /> Keinem der chinesischen Herrscher gelang es in den folgenden 250 Jahren jedoch, das uigurische Volk in das chinesische zu assimilieren.<ref name="Lee2015_AJCFS_MIC" /><ref group="A" name="SinisierungsversucheRepression" />
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 | Bild1       = Front-Gate of Urumqi No.1 High School.JPG
 | Untertitel1 = Eingangsbereich einer Mittelschule in Ürümqi (乌鲁木齐市第一中学) (2009)
 | Bild2       = Urumqi Senior High school.jpg
 | Untertitel2 = Weiterführende einer weiterführenden Schule in Ürümqi (乌鲁木齐市高级中学) (2019)
 | Fußzeile    = Der Name der Schule ist in beiden Fällen im Eingangsbereich sowohl in chinesischer Schrift und Sprache als auch in Uigurisch angebracht
}}
Mit zunehmender Höhe im Bildungssystem nimmt der Anteil des Chinesischen als Unterrichtssprache zu. Uigurische Sprachschulen sind in der Mittelschule weitaus seltener als in der Grundschule. Auf Universitätsniveau ist Chinesisch bei weitem die dominierende Unterrichtssprache. Der Trend geht dabei weiter in Richtung Chinesisch.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Im Hochschulbereich erfolgt der Unterricht letztlich in [[Mandarin (Sprache)|Mandarin]]. An der Xinjiang-Universität waren Kurse sowohl auf Chinesisch als auch auf Uigurisch unterrichtet worden, bis ein Regierungserlass im Jahr 2002 bestimmt hat, dass die meisten Kurse nur auf Chinesisch abgehalten werden.<ref name="JacobEtAlInJacobEtAl2015_IEL_39-61" /><ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Es wurde kritisiert, dass die Verengung praktisch des gesamten Universitätsunterrichts in Mandarin einen Hauptbestandteil der Kultur der ethnischen Minderheit der Uiguren untergrabe. Die Unterrichtssprache und der mangelnde Bezug des zentralisierten und standardisierten Lehrplans zu den Gemeinschaften der ethnischer Minderheiten insbesondere in ländlichen Gebieten gelten Kritikern als Hauptgründe dafür, dass die Prüfungsergebnisse der Minoritäten schwach ausfallen und Schüler, die ethnischen Minderheiten angehören, die Schulbildung vollständig abbrechen.<ref name="JacobEtAlInJacobEtAl2015_IEL_39-61" /> Heutzutage schicken viele uigurische Eltern ihre Kinder in chinesischsprachige Schulen, ''mínkǎohàn'' (民考汉) genannt, damit diese bessere Chinesischkenntnisse erwerben und dadurch bessere Jobchancen erhalten. Dies führt teilweise zu dem Vorwurf anderer Uiguren, die solche ''minkaomin''-Schüler oft als zu stark von der Han-Kultur beeinflusst ansehen oder sie im schlimmsten Fall als Abtrünnige der uigurischen Kultur betrachten und behandeln können. Die ''minkaomin''-Schüler selbst schämen sich manchmal für ihren Minderheitenhintergrund oder ihren „kulturellen Mangel“. Andere betrachten sich durch ihre chinesische Ausbildung als moderner, fortschrittlicher oder internationalistischer als diejenige aus Schulen mit Unterricht in Minderheitensprache,<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> ''mínkǎomín'' (民考民) genannt.<ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" /> Allmählich erfasst alle chinesischen Minderheitenregionen der als sogenannte „zweisprachige Bildung“ (''shuāngyǔ jiàoyù'' 双语教育) propagierte Trend einer immer breiteren und früheren Einführung des Chinesischen als Unterrichtssprache. Diese Sinisierung des Bildungssystems wird zumindest vordergründig damit plausibel begründet, dass die Beherrschung der „Verkehrssprache der Mehrheitsgesellschaft“ die Arbeitsmarktchancen erhöht und so bei der Überwindung der wirtschaftlichen Rückständigkeit der Minderheiten und ihrer Regionen helfen könne. Tatsächlich liegen die Uiguren durchschnittlich weit hinter den Bildungsstandards der Han-chinesischen Bevölkerung zurück.<ref name="Alpermann2016_ch_35_2_p87-97" />

Heute sprechen viele chinesische [[Tadschiken]] in einer weitgehend uigurisch besiedelten Region des Landes neben ihrem [[Indogermanische Sprachen|indoeuropäischen]] [[Tadschikische Sprache|Tadschikisch]] auch Uigurusch, während sie aber nur sehr geringe Kenntnisse in Han-Chinesisch oder anderen Sprachen erwerben.<ref name="West2009_EPAO_p776">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=776}}</ref><ref group="A" name="SinisierungsversucheRepression">Während verschiedener Phasen der chinesischen Geschichte haben die dominierenden Han-Chinesen versucht, die gesamte Bevölkerung ihres Landes zu [[Sinisierung|sinisieren]]. Zu den verschiedenen Techniken, die sie zur Erreichung dieses Ziels angewendet haben, gehörte auch die Umsiedlung chinesischer Familien in die Regionen der ethnischen Minderheiten, das Verbot anderer Sprachen und Kulturen sowie die Missachtung der Rechte und Bräuche der Minoritäten. Allen Methoden zum Trotz hielten die chinesischen Tadschiken an ihrer Kultur und Sprache oder gar an einer allumfassenden tadschikischen Identität fest. (Quelle: {{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=776}}) Ähnliches gilt für die Uiguren. Die Geschichte hat gezeigt, dass sich die aus Han-Chinesen zusammensetzende Führung der Volksrepublik China sowie die ebenfalls von Han-Chinesen dominierte Regierung auf Provinzebene üblicherweise repressive Mittel anwendet, um etwa ihre Vormachtstellung in Xinjiang zu sichern. (Quelle: {{Internetquelle |autor=Raymond Lee |url=https://studies.aljazeera.net/sites/default/files/articles/reports/documents/2015826105410922580China.pdf |titel=Muslims in China and their Relations with the State |hrsg=studies.aljazeera.net (Al Jazeera Centre for Studies) |datum=2015-08-26 |abruf=2020-06-01 |format=PDF; 385 kB}} {{Internetquelle |autor=Kilic Kanat |url=https://www.hudson.org/research/10480-repression-in-china-and-its-consequences-in-xinjiang |titel=Repression in China and Its Consequences in Xinjiang |hrsg=[[Hudson Institute|hudson.org]] |datum=2014-07-28 |abruf=2020-06-01}})</ref>

Auch viele der den Uiguren als Muslime kulturell nahestehenden [[Usbeken]] in China sprechen die uigurische Sprache.<ref name="West2009_EPAO_p861">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=861}}</ref>

Die realexistierenden Bedingungen der Modernisierung haben zwar den Aufstieg des Chinesischen ([[Hochchinesisch|Modernes Standardchinesisch, ''Putonghua'']]) gegenüber den Sprachen der ethnischen Minderheiten begünstigt, und Anfang des 21. Jahrhunderts ergab eine Studie der [[Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften|Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften]], dass nur noch fünf ethnische Sprachen in den öffentlichen Bereichen wie Regierung, Rechtswesen, Verlagswesen, Medien und Bildung aktiv waren. Doch zählte Uigurisch (zusammen mit [[Tibetische Sprache|Tibetisch]], [[Mongolische Sprache|Mongolisch]], [[Koreanische Sprache|Koreanisch]] und [[Kasachisch]]) zu diesen noch aktiv verwendeten Sprachen.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />

Der Wortschatz des modernen Uigurisch ist dabei äußerst reich an [[Entlehnung]]en, die Zeugnisse des Kontakts der Uigurisch-Sprecher zu verschiedenen Sprachen und Bevölkerungen der Gegenwart und Vergangenheit sind. In jüngster Zeit geraten im urbanen Sprachgebrauch einerseits Begriffe des Standard-Uigurischen in Vergessenheit und werden oftmals durch chinesische Begriffe ersetzt, andererseits wird in der informellen Sprache oft zwischen Uigurisch und Chinesisch gewechselt. Während aber Entlehnungen aus dem Arabischen, Persischen und Russischen von den Uigurisch-Sprechern als integraler Teil des [[Vokabular]]s der uigurischen Sprache betrachtet werden, wurden chinesische phonetische Entlehnungen von konservativen Sprachpflegern angegriffen. Dieser sprachliche Purismus wendet sich also nur gegen Entlehnungen aus dem Chinesischen, das als verbreitete dominante Sprache als einzige Sprache eine Gefahr für das Überleben und die Entwicklung der ethnischen Sprache darstellt.<ref name="CabrasEtGuill2017_ChinaPerspectives_2017-4-112_41-48" />

==== Sinisierungs-Druck auf die uigurische Sprache seit 2017 ====
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 | Kopfzeile   = Propagierung der Verwendung von [[Guoyu|guóyǔ]] (2018)
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 | Bild1       = Turpan school entrance language sign.jpg
 | Untertitel1 = Ein Schild am Eingang einer Schule in Turpan fordert in vereinfachter chinesischer Schrift (进入校园 请使用国语) dazu auf, mit dem Betreten des Schulgeländes ''Guoyu'' zu sprechen
 | Bild2       = Kashgar Ihlas entrance August 2018.jpg
 | Untertitel2 = Politische Propaganda in chinesischer und uigurischer Sprache und Schrift an der Wand des Eingangsbereichs zum Ihlas-Supermarkt im Stadtzentrum Kaxgars
 | Fußzeile    = '''Bild rechts''': Das obere rote Banner besagt: „Kommunikation beginnt mit Mandarin“, wobei der chinesische Begriff „[[Hochchinesisch|Putonghua]]“ (Mandarin) als „gemeinsame Sprache“ (''ortaq til'') ins Uigurische übersetzt wurde.<br />Auf dem [[Schreibtafel#Whiteboard|Whiteboard]] unten rechts befindet sich eine handschriftliche Liste chinesischer Vokabeln mit uigurischer Übersetzung und der Überschrift: 学国语每日一句 (deutsch etwa: „Lerne Guoyu – einen Satz pro Tag“).
}}
{{Hauptartikel|Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014}}
Infolge der ideologischen und politischen Veränderungen zielte die „De-Extremifizierung“ in Xinjiang nicht nur auf gewaltbereiten religiösen „Extremismus“ ab, sondern insgesamt auf die islamische und auf die ethnische Kultur der Uiguren.<ref name="SmithFinley_CAS_38_1_2019_p1–26" /> Im Sommer 2017 erfolgten behördliche Bestimmungen, die Uigurisch als Unterrichtssprache verboten.<ref name="Shi-Kupfer_bpb-de_2017-12-17_CX" />

Seit 2017 wurde es in der Heimat der Uiguren zunehmend zur Norm für uigurische Staatsangestellte, statt der uigurischen Sprache die chinesische zu benutzen. Entsprechend schrieb der stellvertretende KPCh-Sekretär im Bezirk Qaghaliq in Kaxgar, Memtimin Ubul, am 27. Oktober 2018 öffentlich in einer an über 750.000 Leser verteilten Erklärung, dass jeder Staatsangestellte, der in der Öffentlichkeit Uigurisch spricht, als „Person mit zwei Gesichtern“ einzustufen sei. Diese Anklage hat zur Inhaftierung Hunderter bis möglicherweise Tausender uigurischer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens geführt, zusätzlich zu der außerordentlich hohen und teilweise auf über eine Million geschätzte Anzahl von Menschen, die in die Internierungslager zur „Transformation durch Erziehung“ geschickt wurden. Ab dieser Erklärung war es in Xinjiang fortan für uigurische Staatsangestellte offiziell unpatriotisch, in uigurischer Sprache zu sprechen oder zu schreiben. Der „Patriotismus“ der Uiguren erforderte nach dieser Denkart die aktive Ablehnung der uigurischen Lebensweise. Dies lief laut [[Darren Byler]] hinaus auf die Auslöschung eines einheimischen Systems des Wissen und der grundlegenden, das uigurische Leben ausmachenden Elemente von Sprache, Religion und Kultur.<ref name="Byler_In_supchina-com_2019-01-02_PNS">{{Internetquelle |autor=Darren Byler |url=https://supchina.com/2019/01/02/the-patriotism-of-not-speaking-uyghur/ |titel=The ‘patriotism’ of not speaking Uyghur |werk=supchina.com |datum=2019-01-02 |abruf=2021-01-11}}</ref> Die staatliche Kampagne zur Sinisierung der uigurischen Kultur schlägt sich auch in visueller Propaganda nieder, wie sie im Jahr 2018 in Xinjiang dokumentiert wurde. [[Joanne Smith Finley]] führt dazu als Beispiel ein außen an der Ürümqi-Grundschule Nr. 1 angebrachtes Plakat an, auf dem chinesische und uigurische Kinder aufgefordert wurden, ihre Lehrer zu respektieren und „ihre persönliche Qualität zu verbessern“ und auf dem die Begrüßungsformel (dt. etwa: „Hallo“) in chinesischer Sprache („您好 nin hao“; also in chinesischen Schriftzeichen und in latinisierter Transkription) und in uigurischer Sprache („Yahximu siz“; also in latinisierter Transkription) angegeben wird, die ursprünglich mitangegebene uigurische Schrift (also die uigurisch-modifizierte Form der arabischen Schrift) aber nachträglich hinaus [[Retusche|retuschiert]] wurde.<ref name="SmithFinley_CAS_38_1_2019_p1–26" /><ref name="Smith-Finley_In_chinafile-com_2018-12-28_NWD" /> Statt der Zweisprachigkeit diente die latinisierte Form der uigurischen Phrase dabei nur noch als notwendiger Zwischenschritt für den Unterricht der Kinder von [[Mandarin (Sprache)|Mandarin-Chinesisch]], die auch nicht mehr als „Han-Sprache“ (chines.: 汉语 ''hànyǔ''; uigur.: ''Hanzuche''), sondern fortan als „Nationalsprache“ (chines.: 国语 ''guóyǔ''; uigur.: ''dolet tili'') bezeichnet wurde.<ref name="SmithFinley_CAS_38_1_2019_p1–26" /><ref name="Byler_In_supchina-com_2019-01-02_PNS" /> Chinesisch sollte nicht mehr länger die Sprache der ethnischen Han-Chinesen sein, sondern auch der umerzogenen patriotischen Uiguren.<ref name="Byler_In_supchina-com_2019-01-02_PNS" />

=== Schrift ===
==== Schrift in der Geschichte ====
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 | Kopfzeile   = Uigurische „Runen“-Inschriften
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 | Bild1       = Der Grabstein am Šine-Usu Ramstedt 1913 left part of the third plate.png
 | Untertitel1 = Teil der Šine-Usu-Inschrift auf der 759 errichteten Stele<ref name="Ramstedt1913_JSFou_30_3_1–63" />
 | Bild2       = Der Grabstein am Sudži Ramstedt 1913 first plate.png
 | Untertitel2 = Sudži-Inschrift<ref name="Ramstedt1913_JSFou_30_3_1–63" />
}}
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 | Kopfzeile   = [[Bilderhandschrift]]fragment in [[Sogdische Schrift|sogdischer Schrift]] aus [[Kocho (Gaochang)|Kocho]] (11. Jh.)
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 | Bild1       = Leaf from a Manichaean Book.jpg
 | Untertitel1 = Vorderseite (MIK III 6368 [[verso]]) mit [[Hymnodie]]szene und -text<ref name="Gulacsi2001_MAB_p8u93ff">{{Literatur |Autor=Zsuzsanna Gulácsi |Titel=Manichaean art in Berlin collections: a comprehensive catalogue of Manichaean artifacts belonging to the Berlin State Museums of the Prussian Cultural Foundation, Museum of Indian Art, and the Berlin-Brandenburg Academy of Sciences, deposited in the Berlin State Library of the Prussian Cultural Foundation |Reihe=Corpus fontium Manichaeorum. Series archaeologica et iconographica |NummerReihe=1 |Verlag=Brepols |Ort=Turnhout |Datum=2001 |ISBN=2-503-50649-6 |Umfang=i–vii, 1–283 |Fundstelle=hier S. 8, 93 ff.}}</ref><ref name="Gulacsi2005_MMB_135fu156">{{Literatur |Autor=Zsuzsanna Gulácsi |Titel=Mediaeval Manichaean book art: a codicological study of Iranian and Turkic illuminated book fragments from 8th – 11th century east Central Asia |Reihe=Nag Hammadi and Manichaean studies |HrsgReihe=Stephen Emmel, Johannes van Oort |BandReihe=57 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2005 |ISBN=90-04-13994-X |Umfang=i–xvi, 1–240 |ISSN=0929-2470 |Fundstelle=hier S. 135, Fig. 5/2 b, S. 136, Fig. 5/3 b, S. 156, Fig. 5/13 b und d}}</ref> in (alt-)uigurischer Sprache<ref name="manichaeism.de_other-resources">{{Internetquelle |url=https://www.manichaeism.de/other-resources/ |titel=Other resources |hrsg=manichaeism.de (International Association of Manichaean Studies = IAMS) |abruf=2021-04-14}}</ref><ref name="Wilkens2021_HAU_Titelabb">{{Literatur |Autor=Jens Wilkens |Hrsg=Akademie der Wissenschaften zu Göttingen |Titel=Handwörterbuch des Altuigurischen: Altuigurisch – Deutsch – Türkisch / Eski Uygurcanın El Sözlüğü: Eski Uygurca – Almanca – Türkçe |Verlag=Universitätsverlag Göttingen |Ort=Göttingen |Datum=2021 |ISBN=978-3-86395-481-9 |Fundstelle=Titelabbildung |Online=[https://www.univerlag.uni-goettingen.de/bitstream/handle/3/isbn-978-3-86395-481-9/Wilkens_handwoerterbuch.pdf?sequence=1& PDF] |Umfang=i–ix, 1–929 |DOI=10.17875/gup2021-1590}} Lizenz: Creative Commons Attribution CC BY-SA 4.0.</ref>
 | Bild2       = Manicheans.jpg
 | Untertitel2 = Rückseite (MIK III 6368 [[recto]]) mit „Auserwählten“ [[Mani (Religionsstifter)|Manis]] bei Erfüllung ihrer Schreibaufgaben<ref name="Gulacsi2001_MAB_p8u93ff" /><ref name="Gulacsi2005_MMB_3u96u135fu156">{{Literatur |Autor=Zsuzsanna Gulácsi |Titel=Mediaeval Manichaean book art: a codicological study of Iranian and Turkic illuminated book fragments from 8th – 11th century east Central Asia |Reihe=Nag Hammadi and Manichaean studies |HrsgReihe=Stephen Emmel, Johannes van Oort |BandReihe=57 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2005 |ISBN=90-04-13994-X |Umfang=i–xvi, 1–240 |ISSN=0929-2470 |Fundstelle=hier S. 3, 96, 133, 135, Fig. 5/2 a, S. 136, Fig. 5/3 a, S. 156, Fig. 5/13 a und "d" [tatsächlich: c]}}</ref>
 | Fußzeile    = Der wissenschaftlichen Rekonstruktion nach bilden Vorder- und Rückseite des auf der zweiten [[Deutsche Turfanexpeditionen|deutschen Turfanexpedition]] unter [[Albert von Le Coq]] in Kocho gefundenen Fragments das obere Drittel eines manichäischen [[Kodex]]blattes.<ref name="Gulacsi2005_MMB_155ff">{{Literatur |Autor=Zsuzsanna Gulácsi |Titel=Mediaeval Manichaean book art: a codicological study of Iranian and Turkic illuminated book fragments from 8th – 11th century east Central Asia |Reihe=Nag Hammadi and Manichaean studies |HrsgReihe=Stephen Emmel, Johannes van Oort |BandReihe=57 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2005 |ISBN=90-04-13994-X |Umfang=i–xvi, 1–240 |ISSN=0929-2470 |Fundstelle=hier S. 155 ff.}}</ref> Nach Peter Zieme (1992) kann der Kodex aufgrund des darin offenbar erwähnten uigurischen Herrschers mit dem Khan-Beinamen ''Kün Ay Tängritä Kut Bolmish Ulug Kut Ornanmish Alpin Ärdämin El Tutmish Alp Arslan Kutlug Köl Bilgä Tängri Xan'' auf dessen Regierungszeit (etwa 1007–1024) datiert werden.<ref name="Gulacsi2005_MMB_p55">{{Literatur |Autor=Zsuzsanna Gulácsi |Titel=Mediaeval Manichaean book art: a codicological study of Iranian and Turkic illuminated book fragments from 8th – 11th century east Central Asia |Reihe=Nag Hammadi and Manichaean studies |HrsgReihe=Stephen Emmel, Johannes van Oort |BandReihe=57 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2005 |ISBN=90-04-13994-X |Umfang=i–xvi, 1–240 |ISSN=0929-2470 |Fundstelle=hier S. 55}}</ref>
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{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Historische Geschäfts-Dokumente in [[Uigurisches Alphabet|uigurischer Schrift]] und Sprache
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 | Bild1       = Mannerheim - Across Asia from West to East in 1906-08 (1909, 1940, 1969) vol 2.pdf{{!}}page=198
 | Untertitel1 = Steuervertrag (mit Siegel)<ref name="RamstedtInMannerheim1940_1969_AAW2_1-12" />
 | Bild2       = Mannerheim - Across Asia from West to East in 1906-08 (1909, 1940, 1969) vol 2.pdf{{!}}page=202
 | Untertitel2 = Vertrag zum Landkauf (ohne Siegel)<ref name="RamstedtInMannerheim1940_1969_AAW2_1-12" />
 | Fußzeile    = <small>Links: Der Text zum Steuervertrag beginnt (in Transkription) mit ''taqigu jil jitinč aj sekiz j'girmike mn tojinčoq tüšike bansij biz üčegü...'' (dt. etwa: „Im Jahr des Huhnes, dem siebten Monat, dem achtzehnten Tag, ich, Tojincok, Tüšike und Bansei, wir drei ...“).<br />Rechts: Der Text zum Landkaufvertrag beginnt mit ''jont jil törtünč aj sekiz j'girmike biz jeng-ke m(a)usi edgü bir ogul-qa'' (dt. etwa: „Im Jahr des Pferdes, dem vierten Monat, den achtzehnten Tag, wir, Jeng und Mausi-Edgü, einziger Sohn ...“)<ref name="RamstedtInMannerheim1940_1969_AAW2_1-12" /> – Die eigentlich in vertikalen Zeilen angeordnete Schrift ist hier im Winkel von 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn gekippt dargestellt.</small>
}}
Die vor über 1000 Jahren vollzogene [[Urbanisierung]] der Uiguren ging Hand in Hand mit einer langen [[Literatur|literarischen]] Tradition.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

In der Nachfolgeschaft des ''Türk''-Reiches verwendeten auch die mittelalterlichen Uiguren [[Orchon-Runen|turkische Runenschrift]]. Steinstelen mit Inschriften dienen heute als bedeutende [[Primärquelle]]n. Erhalten sind die Inschriften von Tes (errichtet 750), [[Tariat-Inschrift|Tariat]] (= Terkh; errichtet 752–753), [[Šine-Usu-Inschrift|Šine-Usu]] (= Moyun Čor; errichtet 759), Kara-Balgasun (I und II) und [[Süüǰi-Inschrift|Süüǰi]] (auch: Suği oder Sudži). Die zu Ehren von ''Bayan Chor'' nach seinem Tod errichtete und 1909 von [[Gustaf John Ramstedt|G. J. Ramstedt]] entdeckte Šine-Usu-Inschrift ist mit 50 Zeilen die umfangreichste.<ref name="Li2018_TDAYB_66_1_177-188">{{Literatur |Autor=Yong-Sŏng Li |Titel=On bIdgẄčIr In The 3rd Line Of The South Side Of The Šine-Usu Inscription |Sammelwerk=Türk Dili Araştırmaları Yıllığı-Belleten |Band=66 |Nummer=1 |Datum=2018 |ISSN=2651-5113 |Seiten=177-188 |DOI=10.32925/tday.2018.7}} Koreanische Originalversion: 檀國大學校 附設 北方文化硏究所 第 19回 國際學術大會 – 북방민족 고유문자와 몽골 고고학 II – [the 19th (World) International Conference for Institute of Northern Cul-tures [at Dankook University] – Northern Race Native letters and Mongol Archaeology II –], Cheonan, Korea, 16. März 2018. Eine bearbeitete koreanische Version wurde veröffentlicht als: 中央아시아 硏究 [Chung’ang Asia Yŏn’gu] (Central Asian Studies), 23/1, Paju 2018, S. 33–46.</ref> Sie hat die Geschichte der militärischen Siege und Aktivitäten von Bayan Chor aufgezeichnet und zählt zu den bedeutendsten Primärquellen der frühen Geschichte der mittelalterlichen Uiguren.<ref name="Brose2017_OREAH_MU8" />

Die vom 8. bis 11. Jahrhundert erfolgte Annahme der in besonderem Maße schreibkundigen Religion des [[Manichäismus]] durch die führende uigurische Elite der Uiguren, die ihre Winterhauptstadt in Kocho nahe der heutigen Turfan-Oase gegründet hatten, brachte die Einführung einer westasiatischen Buchkultur in die Region Turfan mit sich (heute als manichäische Buchkunst Turfans bekannt).<ref name="Gulacsi2005_MMB_1">{{Literatur |Autor=Zsuzsanna Gulácsi |Titel=Mediaeval Manichaean book art: a codicological study of Iranian and Turkic illuminated book fragments from 8th – 11th century east Central Asia |Reihe=Nag Hammadi and Manichaean studies |HrsgReihe=Stephen Emmel, Johannes van Oort |BandReihe=57 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2005 |ISBN=90-04-13994-X |Umfang=i–xvi, 1–240 |ISSN=0929-2470 |Fundstelle=hier S. 1}}</ref> Aus den archäologischen Funden des manichäischen Turfan sind mannigfache Sprach-, Schrift- und Schreiberzeugnissen höchster Güte erhalten, die zusammen eine komplexe und hoch entwickelte literarische Kultur belegen.<ref name="Gulacsi2005_MMB_94" /> Von der bis 1904 der wissenschaftlichen Welt unbekannten und erst von [[Friedrich Wilhelm Karl Müller]] identifizierten [[Manichäisches Alphabet|manichäischen Schrift]]<ref name="Gulacsi2005_MMB_22">{{Literatur |Autor=Zsuzsanna Gulácsi |Titel=Mediaeval Manichaean book art: a codicological study of Iranian and Turkic illuminated book fragments from 8th – 11th century east Central Asia |Reihe=Nag Hammadi and Manichaean studies |HrsgReihe=Stephen Emmel, Johannes van Oort |BandReihe=57 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2005 |ISBN=90-04-13994-X |Umfang=i–xvi, 1–240 |ISSN=0929-2470 |Fundstelle=hier S. 22}}</ref> wurden Bilderhandschriftfragmente nicht nur in [[Mittelpersische Sprache|mittelpersischer]], [[Parthische Sprache|parthischer]] und [[Sogdische Sprache|sogdischer]], sondern auch in (alt-)uigurischer Sprache gefunden. Auch die [[Sogdische Schrift]] diente sowohl zum Schreiben sogdischer, als auch (alt-)uigurischer Sprache, während von der seltenen „Runen“-Schrift nur Zeugnisse (alt-)uigurischer Texte erhalten sind.<ref name="Gulacsi2005_MMB_94">{{Literatur |Autor=Zsuzsanna Gulácsi |Titel=Mediaeval Manichaean book art: a codicological study of Iranian and Turkic illuminated book fragments from 8th – 11th century east Central Asia |Reihe=Nag Hammadi and Manichaean studies |HrsgReihe=Stephen Emmel, Johannes van Oort |BandReihe=57 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2005 |ISBN=90-04-13994-X |Umfang=i–xvi, 1–240 |ISSN=0929-2470 |Fundstelle=hier S. 94}}</ref>

Einer Theorie zufolge hatte das früheste [[Uigurisches Kaganat|uigurische Khanat]] die Schrift der schreibkundigen Sogdier übernommen, um eigene Texte zu erstellen.<ref name="West2009_EPAO_p853">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=853}}</ref><ref name="West2009_EPAO_p577" /> Grundlage der [[Uigurisches Alphabet|uigurischen Schrift]] wäre demnach die Schrift der [[Sogdien|Sogdier]], die wiederum bedeutende Elemente ihres [[Alphabet]]s aus dem [[Aramäische Schrift|Aramäischen]] entlehnt hatten.<ref name="West2009_EPAO_p577" />

Die uigurische Schrift wurde von den [[Naimanen]] zum Schreiben ihrer [[Mongolische Sprache|mongolischen Sprache]] verwendet. Nachdem [[Dschingis Khan]] die Naimanen unterworfen hatte, übernahm er die Naimanen-Schrift zum Schreiben der mongolischen Sprache.<ref name="West2009_EPAO_p577">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=577}}</ref>

Historische Geschäftsdokumente in uigurischer Schrift und Sprache waren zum Beispiel von [[Carl Gustaf Emil Mannerheim]] auf dessen Ostturkestan-Reise Anfang des 20. Jahrhunderts gesammelt worden. Schriften dieser Art waren bei den Uiguren des 10. bis 14. Jahrhunderts offenbar weit verbreitet. Das uigurische Volk, das größtenteils in den Städten und Oasen entlang der beiden Gebirgshänge des Tian-Shan lebte, hatte zu diesem Zeitpunkt in Ostturkestan eine recht hochstehende Zivilisation entwickelt und hielt gewöhnlicherweise alle Arten von Geschäftsereignissen und sonstigen Verbindlichkeiten schriftlich fest. Viele solcher Verträge und Kaufverträge wurden in der Nähe der heutigen Stadt Turpan gefunden. Der russische Gelehrte [[Wilhelm Radloff]] hatte eine Sammlung solcher Dokumente angelegt und übersetzt, die nach seinem Tod vervollständigt und 1928 in Leningrad veröffentlicht wurde.<ref name="RamstedtInMannerheim1940_1969_AAW2_1-12">{{Literatur |Autor=G. J. Ramstedt |Hrsg=Gustaf Mannerheim |Titel=Four Uigurian Documents |Sammelwerk=Across Asia from west to east in 1906–1908 / C. G. Mannerheim |Reihe=Kansatieteellisiä julkaisuja |BandReihe=8 |HrsgReihe=Suomalais-Ugrilaisen Seura |NummerReihe=2 |Band=2 |Verlag=Anthropological Publications |Ort=Oosterhout N. B. |Datum=1969 |ISSN=0356-5777 |Seiten=1–12 |JahrEA=1940}} Die Auflage von 2002 ist ein unveränderter Reprint der Erstauflage aus Helsinki.</ref>

Etwa in der Zeit vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, als der Islam in der Region seinen Einfluss verfestigte, kam es zur Aufgabe der uigurischen Schriftzeichen, die durch arabische Buchstaben ersetzt wurden.<ref name="Vambery_1885_1970_S342f">{{Literatur |Autor=Hermann Vámbéry |Titel=Das Türkenvolk – in seinen ethnologischen und ethnographischen Beziehungen |Verlag=Biblio Verlag |Ort=Osnabrück |Datum=1970 |ISBN=3-7648-0642-7 |Fundstelle=hier S. 342 f. |Umfang=I-XII, 1-638}} Reprint vom Original aus dem Jahr 1885.</ref>

Zu den in der Zeitspanne vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart verwendeten Schriften der (Alten und modernen) Uiguren zählen unter anderem:<ref name="Kamberi2005_SPP_150_1-44_p10u30-41">{{Literatur |Autor=Dolkun Kamberi |Hrsg=Victor H. Mair |Titel=Uyghurs and Uyghur Identity |Sammelwerk=Sino-Platonic Papers |Nummer=150 |Verlag=University of Pennsylvania. Department of East Asian Languages and Civilizations |Datum=2005-05 |Fundstelle=S. 10, 30-41 |Online=[http://www.sino-platonic.org/complete/spp150_uyghurs.pdf online] |Format=PDF |KBytes=2200 |Umfang=44 Seiten}} Auch veröffentlicht als: {{Literatur |Autor=Dolkun Kamberi |Hrsg=Radio Free Asia |Titel=Uyghurs and Uyghur Identity |Datum=2005 |Online=https://www.rfa.org/english/bookshelf/UyghurIdentity.pdf |Format=PDF |KBytes=5000}}</ref>
* die [[Brahmi-Schrift]]<ref name="Kamberi2005_SPP_150_1-44_p10u30-41" />
* die [[Orchon-Runen]] (auch: „uigurische Runen“)<ref name="Kamberi2005_SPP_150_1-44_p10u30-41" />
* die [[Uigurisches Alphabet|mittelalterliche uigurische Schrift]]<ref name="Kamberi2005_SPP_150_1-44_p10u30-41" />
* die uigurische, sogdische und manichaeische Schrift<ref name="Kamberi2005_SPP_150_1-44_p10u30-41" />
* das auf der arabisch-persischen Schrift basierende uigurische Tschagatai-Schiftsystem<ref name="Kamberi2005_SPP_150_1-44_p10u30-41" />
* das auf der arabischen Schrift basierende moderne uigurische Schriftsystem (heute gültig)<ref name="Kamberi2005_SPP_150_1-44_p10u30-41" />
* das auf der lateinischen Schrift basierende moderne uigurische Schriftsystem<ref name="Kamberi2005_SPP_150_1-44_p10u30-41" />
* das auf der kyrillischen Schrift basierende moderne uigurische Schriftsystem<ref name="Meyer-IngwersenInGlückEtRödel2016_MLS_p732" />
{{Mehrere Bilder
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 | Richtung    = horizontal
 | Kopfzeile   = Arabisch-uigurische Schrift
 | Breite1     = 220
 | Breite2     = 220
 | Bild1       = 500 Yuan (人民幣) - People's Bank of China (1951) KKNews - Obverse & Reverse.jpg
 | Untertitel1 = 500-[[Renminbi|Yuan]]-Banknote von 1951 mit dem Schriftzug „جۇڭگو خەلق بانكىسى“ in uigurischer Sprache für „[[Chinesische Volksbank]]“
 | Bild2       = Chinese minority languages 05.JPG
 | Untertitel2 = Großes Wörterbuch Chinesisch-Uigurisch mit dem Titel in Uigurisch („خەنزۇچە - ئۇيغۇرچە چوڭ لۇغەت“) und Chinesisch („汉维大词典“) (Frankfurter Buchmesse, 2009)
}}

==== Schrift in der Gegenwart ====
Heute verwenden die Uiguren in den verschiedenen Staaten ihres Siedlungsgebietes unterschiedliche Schriften wie Arabisch, Kyrillisch oder Lateinisch zur Niederschrift der Sprache.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

Als die Neu-Uigurische Schriftsprache ab 1921 in Russisch-Turkestan entstand, geschah dies zunächst unter Verwendung der arabischen Schrift,<ref name="Meyer-IngwersenInGlückEtRödel2016_MLS_p732" /> die sich für die [[Transkription]] von Wörtern aus Turksprachen schlecht eignet.<ref name="Vambery_1885_1970_S316">Vgl. {{Literatur |Autor=Hermann Vámbéry |Titel=Das Türkenvolk – in seinen ethnologischen und ethnographischen Beziehungen |Verlag=Biblio Verlag |Ort=Osnabrück |Datum=1970 |ISBN=3-7648-0642-7 |Fundstelle=hier S. 316 |Umfang=I-XII, 1-638}} Reprint vom Original aus dem Jahr 1885.</ref>

In der Zeit zwischen den 1930er und den 1980er Jahren wurde das für das Neu-Uigurische verwendete Schriftsystem viermal reformiert oder vollständig ersetzt.<ref name="Millward2007_EC_Kap6_S235" /> Während für das Neu-Uigurische in der Sowjetunion auf eine 1925 erfolgte Reform der arabischen Schrift im Jahr 1930 der Übergang zur lateinischen und schließlich 1946/1947 zur kyrillischen Schrift erfolgte, wurde in China letztendlich die Verwendung einer reformierten arabischen Schrift durchgesetzt.<ref name="Meyer-IngwersenInGlückEtRödel2016_MLS_p732" />

Mit den in den Jahren 1937 und 1954 erfolgten Reformen konnte die Eignung der arabischen Schrift für das Neu-Uigurische erhöht werden. Gleichzeitig bewirkten die Reformen der in China verwendeten arabischen Schrift für das Neu-Uigurische eine Absetzung von den anderen auf der arabischen Schrift fußenden Schriften Zentralasiens und im Mittleren Osten, womit das „Uigurisch“-Sein als primäre Identität der nicht-nomadischen Muslime Xinjiangs gegenüber dem „Turkisch“-Sein etabliert wurde.<ref name="Millward2007_EC_Kap6_S235">{{Literatur |Autor=James Millward |Titel=Eurasian Crossroads: A History of Xinjiang |Verlag=C. Hurst & Co. |Ort=London |Datum=2007 |ISBN=978-1-85065-818-4 |Kapitel=Chapter 6. ''In the People's Republic of China (1950s-1980s)'' |Seiten=235–284 |Fundstelle=hier S. 235}}</ref>

Um dem Lesen islamischer Texte entgegenzuwirken und stattdessen das Lesen wissenschaftlicher und pädagogischer Texte aus der Sowjetunion zu fördern, folgten die chinesischen Behörden Xinjiangs im Jahr 1956 zunächst dem Beispiel der Sowjetunion, die für die Sprachen der auf ihrem Territorium lebenden Turkvölker (neben Uigurisch also auch Usbekisch, Kasachisch und Kirgisisch) Schriftsysteme eingeführt hatte, die auf der kyrillischen Schrift beruhten.<ref name="Millward2007_EC_Kap6_S235f" />

1960 reagierte die chinesische Führung dann aber auf die inzwischen erfolgte Abkühlung der chinesisch-sowjetischen Beziehungen mit der Abwendung von den kyrillischen Schriften und der Einführung neuer Schriftsysteme für in Xinjiang lebende Turkvölker. Obwohl diese [[Orthographie]]n auf dem [[Lateinisches Alphabet|lateinischen Alphabet]] (auch: römisches Alphabet) unter Zuhilfenahme einiger Sonderzeichen beruhten, stellten sie eher eine [[Pinyin]]isierung als eine [[Umschrift|Romanisierung]] dar, da sie für die Zuordnungen von Buchstaben zu Lauten statt der internationalen Standards für die Romanisierung von Turksprachen den nationalen Standard des [[Pinyin|Hanyu Pinyin]] (offizielle Romanisierung des Hochchinesischen in der VR China) heranzogen.<ref name="Millward2007_EC_Kap6_S235f">{{Literatur |Autor=James Millward |Titel=Eurasian Crossroads: A History of Xinjiang |Verlag=C. Hurst & Co. |Ort=London |Datum=2007 |ISBN=978-1-85065-818-4 |Kapitel=Chapter 6. ''In the People's Republic of China (1950s-1980s)'' |Seiten=235–284 |Fundstelle=hier S. 235 f.}}</ref> Die kommunistische Führung in China verfolgte mit der Durchsetzung der Verwendung einer neuen lateinischen Schrift das Ziel, die kulturellen Unterschiede nach der Formalisierung der uigurischen Sprache sowohl zu berücksichtigen als auch zu kontrollieren.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Die Reform zielte darauf ab, den Kontakt der Uiguren in China zu den Turkvölkern in der Sowjetunion zu stören und durch die Erleichterung der Einführung chinesischen Vokabulars in Turksprachen die „Fusion und Assimilation“ von Minderheiten in die chinesische Mehrheitsgesellschaft voranzutreiben.<ref name="Millward2007_EC_Kap6_S235f" /> Ein in den 1970er Jahren unternommener Versuch zur Einführung der lateinischen Schrift wurde jedoch 1980 wieder aufgegeben.<ref name="Meyer-IngwersenInGlückEtRödel2016_MLS_p732" />

In der auf die Ära der Kulturrevolution folgenden Reformphase führte China 1984 wieder offiziell eine leicht von der arabischen Schrift abgewandelte Schrift für die Uiguren ein, verbreitete sie mit hoher Wirksamkeit und nannte sie ''kona yäziq'' („alte Schrift“), während die zuvor verwendete pinyinisierte lateinische Schrift die Bezeichnung ''yengi yäziq'' („neue Schrift“) erhielt.<ref name="Millward2007_EC_Kap6_S235f" /> Im heutigen China verwenden die meisten Minderheiten die chinesischen Schriftzeichen zum Schreiben. Zu den wenigen Ausnahmen gehören die Uiguren, die wie die ebenfalls turksprachigen Minderheiten der Kasachen und Kirgisen das [[Arabisches Alphabet|Arabische Alphabet]] verwenden. Wie die gesprochenen und geschriebenen Sprachen der anderen offiziell anerkannten Minderheiten ist auch das Uigurische in arabischer Schrift in China in den Bereichen Recht und Gesetz, Verwaltung, Bildung, politisches und soziales Leben und in anderen Bereichen weit verbreitet. So wird etwa der Name „[[Chinesische Volksbank]]“ auf jeder Banknote, von 100 Yuan [[Renminbi|RMB]] herab bis 1 Jiao, auch in der uigurischen Form geschrieben.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />

Während der [[Kulturrevolution]] war die modifizierte arabische Schrift in Xinjiang staatlich verboten. Im Zuge der Kampagnen zur „De-Extremifizierung“ seit 2017<ref name="Smith-Finley_In_chinafile-com_2018-12-28_NWD_chinalawtranslate">{{Internetquelle |autor=Joanne Smith Finley |url=https://www.chinafile.com/reporting-opinion/viewpoint/now-we-dont-talk-anymore |titel=‘Now We Don’t Talk Anymore’: Inside the ‘Cleansing’ of Xinjiang |werk=chinafile.com |datum=2018-12-28 |abruf=2020-11-20 |sprache=en}} Mit Verweis auf: {{Internetquelle |url=https://www.chinalawtranslate.com/en/xinjiang-uyghur-autonomous-region-regulation-on-de-extremification/ |titel=Xinjiang Uyghur Autonomous Region Regulation on De-extremification |werk=chinalawtranslate.com |datum=2017-03-30 |abruf=2021-01-14 |sprache=en}}</ref> kam es in Xinjiang erneut zu einer Rückdrängung der uigurischen Schrift in verschiedenen Bereichen durch den chinesischen Staat.<ref name="Smith-Finley_In_chinafile-com_2018-12-28_NWD" />

{| cellspacing="0" cellpadding="0" style="background:#F2F2F2"
|+ Artikel 1 der [[Allgemeine Erklärung der Menschenrechte|Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte]] als Schriftbeispiel für verschiedene moderne uigurische Schriftsysteme sowie in deutscher Fassung<ref name="omniglot-com_writing_uyghur-htm">{{Internetquelle |url=https://www.omniglot.com/writing/uyghur.htm |titel=Uyghur vertical script Uyghur (Уйғурчә / Uyghurche / ئۇيغۇرچە ) |werk=omniglot.com |abruf=2021-03-07 |sprache=en}}</ref>
|-valign="top"
!scope="row" style="text-align:left;white-space:nowrap"| [[Uyghur Ereb Yëziqi|Arabisches Alphabet (UEY = ''Uyghur Ereb Yëziqi'')]]: &nbsp;
| <span lang="ug" dir="ltr">ھەممە ئادەم تۇغۇلۇشىدىنلا ئەركىن، ئىززەت۔ھۆرمەت ۋە ھوقۇقتا باب۔باراۋەر بولۇپ تۇغۇلغان. ئۇلار ئەقىلگە ۋە ۋىجدانغا ئىگە ھەمدە بىر۔بىرىگە قېرىنداشلىق مۇناسىۋىتىگە خاس روھ بىلەن مۇئامىلە قىلىشى كېرەك.</span>
|-valign="top"
!scope="row" style="text-align:left;white-space:nowrap"| [[Uyghur Siril Yëziqi|Kyrillisches Alphabet (USY = ''Uyghur Siril Yëziqi'')]]: &nbsp;
| <span lang="ug" dir="ltr">Һәммә адәм туғулушидинла әркин, иззәт-һөрмәт вә һоқуқта баббаравәр болуп туғулған. Улар әқилгә вә виҗданға игә һәмдә бир-биригә қериндашлиқ мунасивитигә хас роһ билән муамилә қилиши керәк.</span>
|-valign="top"
!scope="row" style="text-align:left;white-space:nowrap"| [[Uyghur Yëngi Yëziqi|Pinyin-basiertes Alphabet (UYY = ''Uyghur Yëngi Yëziqi'')]]: &nbsp;
| <span lang="ug" dir="ltr">Ⱨəmmə adəm tuƣuluxidinla ərkin, izzət-ⱨɵrmət wə ⱨoⱪuⱪta babbarawər bolup tuƣulƣan. Ular əⱪilgə wə wijdanƣa igə ⱨəmdə bir-birigə ⱪerindaxliⱪ munasiwitigə has roⱨ bilən mu’amilə ⱪilixi kerək.</span>
|-valign="top"
!scope="row" style="text-align:left;white-space:nowrap"| [[Uyghur Latin Yëziqi|Lateinisches Alphabet (ULY = ''Uyghur Latin Yëziqi'')]]: &nbsp;
| Hemme adem tughulushidinla erkin, izzet-hörmet we hoquqta babbarawer bolup tughulghan. Ular eqilge we wijdan'gha ige hemde bir-birige qërindashliq munasiwitige xas roh bilen muamile qilishi kërek.
|-valign="top"
!scope="row" style="text-align:left;white-space:nowrap"| [[Deutsche Sprache|Deutsch]]: &nbsp;
| Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.
|}

=== Religion und Religionsrecht ===
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Buddhistische Malereien in den Höhlen von Bäzäklik nahe Turpan
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 | Bild1       = Turpan-bezeklik-cuevas-d01.jpg
 | Untertitel1 = Blick auf die Eingänge der [[Tausend-Buddha-Höhlen von Bäzäklik]], einem Komplex von [[Höhlentempel in Asien|buddhistischen Höhlentempeln]], rund 10 Kilometer nördlich von [[Kocho (Gaochang)|Chocho]] und rund 20 Kilometer östlich von Turpan gelegen.
 | Bild2       = Central Asian Buddhist Monks.jpeg
 | Untertitel2 = Ein zentralasiatischer Mönch mit [[Europide|europider]] [[Morphologie (Biologie)|Erscheinung]] als Lehrer eines ostasiatischen Mönches (Fresko aus dem 9. Jahrhundert n. Chr.).
}}
{{Mehrere Bilder
 | align       = right
 | Richtung    = horizontal
 | Kopfzeile   = [[Mahmūd al-Kāschgharī]] und sein Werk [[Mahmūd al-Kāschgharī#Dīwān lughāt at-turk|Dīwān Lughāt al-Türk]]
 | Breite1     = 254
 | Breite2     = 186
 | Bild1       = 2015-09-11-080312 - Upal, Mausoleum des Uigurischen Philologen Muhamad Al Kashgari.JPG
 | Untertitel1 = Denkmal des Philologen Muhammad Al Kashgari in [[Opal (Xinjiang)|Opal]] bei Kaxgar (2015)<br />Im Dorf befindet sich mit dem ''[[Mähmud Qäshqäri mazâr]]'' seine Grabstätte, eine historische Pilgerstätte der Uiguren<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" /><ref name="SugawaraInSugawaraEtDawut2016_153–174" />
 | Bild2       = Mahmud al-Kashgari map.jpg
 | Untertitel2 = Weltkarte aus dem „Divan-i Lughat Turk“ mit beschrifteten Ländern und Städten sowie mit Bergen (rot), Sand (gelb), Flüssen (blau), Seen und Ozeanen (grün)<ref name="GoldenInBemmannEtSchmauder2015_p522f">{{Literatur |Autor=Peter B. Golden |Hrsg=Jan Bemmann, Michael Schmauder |Titel=The Turkic World in Maḥmûd al-Kâshghar |Sammelwerk=Complexity of Interaction along the Eurasian Steppe Zone in the first Millennium CE |Reihe=Bonn Contributions to Asian Archaeology (BCAA) |BandReihe=7 |HrsgReihe=Jan Bemmann |Verlag=Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie – Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn |Ort=Bonn |Datum=2015 |ISBNformalFalsch=978-3-936490-14-7 |Seiten=503–555 |Fundstelle=hier S. 522, Fig 1, 523, Fig. 2 |Online=[https://www.academia.edu/12226908/The_Turkic_World_in_Mahmud_Kashghari The Turkic World in Maḥmûd al-Kâshgharî academia.edu] |Umfang=1–705}}</ref>
 | Fußzeile    = Obwohl das im 11. Jahrhundert (1072–1074) abgeschlossene Werk „Divan-i Lughat Turk“ („Kompendium der Sprachen der Türken“) geradezu als der große Beitrag zur Entwicklung der muslimischen Kultur in der Region angesehen wird, wurde die [[Konversion (Religion)|Konversion]] zum Islam in der Region nicht vor dem 16. Jahrhundert vollendet.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" />
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Richtung    = horizontal
 | Kopfzeile   = [[Emin-Minarett|Sugong- oder Emin-Minarett]] und -Moschee in Turpan
 | Breite1     = 207
 | Breite2     = 233
 | Bild1       = Emin Minaret (40010270790).jpg
 | Untertitel1 = Das nachträglich restaurierte Bauwerk mit Minarett und Moschee bildet eine Art Minarett-Moschee-Komplex.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" />
 | Bild2       = Turfan Emin 2.jpg
 | Untertitel2 = Das außen mit 16 Mustern verzierte, sich stark konisch verjüngende Lehmziegel-Minarett ist mit 44 m Höhe das höchste Minarett Chinas<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" />
 | Fußzeile    = <small>Der Islam erreichte Turpan nach dem Sturz der [[Yuan-Dynastie]]. In den fast 1.000 Jahren zuvor hatten [[Buddhismus|Buddhisten]], [[Manichäismus|Manichäer]], [[Sogdien|Sogdier]], Uiguren und Chinesen im weiteren Gebiet dieser Oase ihre Einflüsse auf Architektur und Malerei ausgeübt. Die verschiedenen Besatzer haben jeweils ihre Benennungen hinterlassen. Der im Entwurf einem uigurischen Meister namens ''Ibrahim'' zugeschriebene Turm wurde vom örtlichen Führer ''Amin Khoja'' finanziert (daher der chinesische Name „Amin-“ oder „Emin-Minarett“) und 1778, ein Jahr nach seinem Tod, von dessen Sohn ''Sugong'' (daher der uigurische Name „Sugongta“, dt. etwa: „Turm von Sugong“) fertiggestellt. Das heutige Minarett wurde zunächst als Gedächtnis-[[Pagode]] für den Vater genutzt.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" /></small>
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Richtung    = horizontal
 | Kopfzeile   = Islamisches und buddhistisches Nebeneinander bei Kultstätten
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 | Breite3     = 116
 | Bild1       = Islamisches Grab mit Radsysmbol Le Coq 1916 Tafel 2 Figur 1.png
 | Untertitel1 = Islamisches Grab mit Radysmbol (Turfan)<ref name="LeCoq1916_VAO_p1u65_Taf2-1" />
 | Bild2       = Vihara bei Kutscha - daneben islamisches Heiligtum Le Coq 1916 Tafel 2 Figur 1.png
 | Untertitel2 = [[Vihara]] und islamisches Heiligtum (Kuqa)<ref name="LeCoq1916_VAO_p1_Taf2-2u2-3" />
 | Bild3       = Islamisches Heiligtum bei Kutscha Le Coq 1916 Tafel 2 Figur 3.png
 | Untertitel3 = Islamisches Heiligtum (Kuqa)<ref name="LeCoq1916_VAO_p1_Taf2-2u2-3" />
 | Fußzeile    = '''links''': Das islamische Grab aus dem 19. Jahrhundert ist ein Beleg für das Auftreten des buddhistischen Radsymbols bei modernen islamischen Kultbauten<ref name="LeCoq1916_VAO_p1u65_Taf2-1">{{Literatur |Autor=Albert von Le Coq |Titel=Volkskundliches aus Ost-Turkistan |Verlag=Reimer |Ort=Berlin |Datum=1916 |Fundstelle=hier S. 1, 65, Tafel 2, Figur 1 [im Text aber als "Taf. 2,2" angesprochen] |Kommentar=Königlich Preussische Turfan-Expeditionen |Umfang=S. i–vii, 1–72, 25 Tafeln}}</ref><br />'''Mitte und rechts''': Das islamische Heiligtum ''miṅg tän ātám'' („Vater der tausend Körper“) bei Kuqa steht direkt neben einem großen [[Vihara]]. In ähnlicher Weise stehen auch andere islamische Heiligtümer manchmal auf oder neben Stätten, wo sich früher buddhistische Tempel oder Kultorte befanden oder noch befinden.<ref name="LeCoq1916_VAO_p1_Taf2-2u2-3">{{Literatur |Autor=Albert von Le Coq |Titel=Volkskundliches aus Ost-Turkistan |Verlag=Reimer |Ort=Berlin |Datum=1916 |Fundstelle=hier S. 1, Tafel 2, Figur 2 [im Text aber als "Taf. 2,1" angesprochen], Figur 3 |Kommentar=Königlich Preussische Turfan-Expeditionen |Umfang=S. i–vii, 1–72, 25 Tafeln}}</ref>}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Islam in Xinjiang (2010)
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 | Bild1       = Islam in China, with 0.2 (Yang Zongde 2010).png
 | Untertitel1 = Verbreitung der Muslime in China im Jahr 2010 nach Provinzen<ref name="Junqing2013_JISMOR_8_26–36">{{Literatur |Autor=Min Junqing |Titel=The Present Situation and Characteristics of Contemporary Islam in China |Sammelwerk=Journal of the Interdisciplinary Study of Monotheistic Religions (JISMOR) |Band=8 |Datum=2013-03 |Seiten=26–36 |Online=[http://www.cismor.jp/uploads-images/sites/3/2014/03/The-Present-Situation-and-Characteristics-of-Contemporary-Islam-in-China.pdf cismor.jp]}} Hier S. 27, 29 (Tabelle 2: Muslim populations in various provinces, autonomous regions, and municipalities, and their percentage of local total population), 36 (Fußnote 3), dort mit Verweis auf: Yang Zongde, ''Study on Current Muslim Population in China'', in: Jinan Muslim, Nr. 2, 2010.</ref>
 | Bild2       = Uyghurs praying.jpg
 | Untertitel2 = Betende Uiguren in der [[Heytgah-Moschee]] zum [[Fest des Fastenbrechens|Eid al-Fitr]] (2010)
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Morgengebet vor der [[Heytgah-Moschee]] zum [[Fest des Fastenbrechens|Eid al-Fitr]] (2010)
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 | Bild1       = The Thousands Ruk'u on Eid-ul Fitr at Id Kah Mosque.jpg
 | Bild2       = The Islamic Faithful along the Id Kah Mosque on Eid Ul-Fitr (5016459553).jpg
 | Fußzeile    = Gläubige etwa um 8 Uhr zum Abschluss des [[Ramadan]] am 10. September 2010
}}
Die Uiguren gehören einer sunnitischen Islamauslegung an, die stark von den Sufi-Traditionen beeinflusst ist, insbesondere von Praktiken der [[Wallfahrtsort#Islam|Schrein]]-Pilgerfahrt und Formen der rituellen ''[[Semah|sama’]]''-Versammlung.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" /> Die muslimische Identität stellt heute ein zentrales Element der uigurischen Ethnizität dar.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" />

Die Uiguren und ihre Vorfahren einerseits<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /> und die Region Ostturkestan im Zentrum der „Seidenstraße“ mit ihrem lebhaften Verkehr religiöser Ideen in früheren Jahrhunderten andererseits<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> weisen eine lange und vielfältige religiöse Tradition auf.<ref name="West2009_EPAO_p848" /><ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /> Vor der Zeit intensiver kultureller Kontakte scheinen [[Animismus (Religion)|animistische]] Vorstellungen und [[Ahnenkult]]-Formen vorherrschende religiöse Elemente in der Region gewesen zu sein.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> Die Vorfahren der Uiguren waren Teil eines Volkes, das [[Schamanismus]] und frühe zentralasiatische Religionen annahm. Neben dem Schamanismus gehörte auch der [[Zoroastrismus]] zu ihren frühesten Religionen.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /> Die Uiguren kamen dabei unter den benachbarten zentralasiatischen Turkvölkern (wie Kasachen und Kirgisen) am stärksten mit den [[Weltreligion]]en in Kontakt, namentlich seit dem frühen Mittelalter neben dem Zoroastrismus auch mit dem [[Manichäismus]] (jedoch nicht vor dem Ende des [[Zweites Türk-Kaganat|Zweiten Östlichen Türk-Kaganats]]<ref name="ÖlmezInNevskayaEtErdal2015_122–130">{{Literatur |Autor=Mehmet Ölmez |Hrsg=Irina Nevskaya, Marcel Erdal |Titel=Some Specific Features of the Language of Siberian Runic Inscriptions |Sammelwerk=Interpreting the Turkic Runiform Sources and the Position of the Altai Corpus |Reihe=Studien zur Sprache, Geschichte und Kultur der Turkvölker |BandReihe=21 |HrsgReihe=Pál Fodor, György Hazai, Barbara Kellner-Heinkele, Simone-Christiane Raschmann |Verlag=Klaus Schwarz Verlag |Ort=Berlin |Datum=2015 |ISBN=978-3-87997-417-7 |Seiten=122–130 |Fundstelle=hier S. 126 |DOI=10.1515/9783112208953-013 |Umfang=1–224}} Online erstmals veröffentlicht am 10. August 2020.</ref>), dem [[Nestorianismus|nestorianischen]] [[Christentum]] und dem aus südlicher Richtung vordringenden [[Buddhismus]],<ref name="Omar2006_ZfE_131_2_263–276">{{Literatur |Autor=Dilmurat Omar |Titel=Das Überleben des Schamanismus im chinesischen Zentralasien: Beispiele des modernen Synkretismus als Forschungsproblem der Religionsethnologie |Sammelwerk=Zeitschrift für Ethnologie |Band=131 |Nummer=2 |Datum=2006 |Seiten=263–276 |JSTOR=25843055}}</ref> wobei den beiden letztgenannten bedeutende Erfolge gelungen waren, bevor der Islam an Einfluss gewann.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /> Der Islam erreichte im 8.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /> bis 10. Jahrhundert<ref name="Omar2006_ZfE_131_2_263–276" /> Zentralasien.<ref name="Omar2006_ZfE_131_2_263–276" />
Der Islam konnte schließlich im 15.<ref name="West2009_EPAO_p848" /><ref name="SemetEtWilkens2012_ZDMG_162_1_51-170">{{Literatur |Autor=Ablet Semet, Jens Wilkens |Titel=Die Geschichte Xinjiangs im Spiegel der uigurischen Dichtung am Beispiel ausgewählter Gedichte von Abdurehim Ötkür |Sammelwerk=Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft |Band=162 |Nummer=1 |Datum=2012 |ISSN=0341-0137 |Seiten=151–170 |JSTOR=10.13173/zeitdeutmorggese.162.1.0151}}</ref> bis 16. Jahrhundert<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176" /><ref name="Omar2006_ZfE_131_2_263–276" /> den Buddhismus verdrängen und wurde seitdem in seiner sunnitischen Form nach vorwiegend [[Hanafiten|hanafitische]] [[Madhhab|Rechtsschule]] die beherrschende Religion.<ref name="Omar2006_ZfE_131_2_263–276" /> Der Süden Xinjiangs war dabei bereits etwa seit dem 11. Jahrhundert islamisch geprägt,<ref name="SemetEtWilkens2012_ZDMG_162_1_51-170" /><ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> wohingegen der Osten Xinjiangs – wie etwa die Region Turpan – im 15. Jahrhundert islamisiert wurde und damit relativ spät.<ref name="SemetEtWilkens2012_ZDMG_162_1_51-170" /> In den auf das 11. Jahrhundert folgenden Jahrhunderten wurde der Islam hauptsächlich durch mystische Orden und Sufi-Netzwerke wie den [[Khwājagān]] und ihrem sunnitisch orientierten und in der Regel eine strikte Einhaltung der [[Scharia]] fördernden Ableger der [[Naqschbandīya]] verbreitet.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" />

Die Uiguren gehören zwar – wie andere zentralasiatische Turkvölker – traditionell der hanafitische Rechtsschule an, sind sich allerdings in den meisten Fällen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Rechtsschule nicht bewusst. Selbst das [[Schisma]] zwischen [[Sunniten]] und [[Schiiten]] vergegenwärtigen sie sich meist nicht. Da die Islamisierung der Region überwiegend durch Sufi-[[Proselytismus]] erreicht wurde, kam es dort von Beginn an zu keiner scharfen Gegenüberstellung zwischen Sunnitismus und Schiismus.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> Während von den 55 anerkannten Minderheiten Chinas lediglich etwa 50 % für einen von der Han-Kultur abweichenden Glauben eintreten, gelten die Uiguren als das vorderst zu nennende Gegenbeispiel, indem sie zu einem weitaus höheren Anteil religiös gläubig, also überwiegend muslimisch, sind.<ref name="JacobEtAlInJacobEtAl2015_IEL_39-61" /> Die Ausübung islamischer Glaubenspraktiken ist ein Element ihres zentralasiatischen Erbes.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10" />

Der vorislamische Glaube beeinflusst jedoch weiterhin die uigurische Islampraxis, insbesondere unter den [[Sufismus|Sufis]] im südlichen Xinjiang. Viele städtische Uiguren identifizieren sich heute als „Sunniten“, womit sie „anders als Sufis“ meinen.<ref name="Erie2016_CAI_p8-10" /> Das Fortbestehen von Vorstellungen unter den heutigen Einwohnern der Region, die dem Animismus und Ahnenkult der frühen Zeit ähneln, veranlasste Gelehrten zu der Theorie einer archaischen „schamanischen Schicht“ unter der islamischen Oberfläche.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> Zu den vorislamischen Bräuchen der Uiguren gehört auch das Nowruz-Fest, das sich damit unter den von den Uiguren gefeierten Festtagen als nicht-islamischer Feiertag absetzt. Nowruz ist ein altertümlicher Feiertag Zentralasiens und wird traditionell mit [[Zarathustra|Zoroaster]] in Verbindung gebracht wird, der eine vor-[[Monotheismus|monotheistische]] Philosophie der Wissenschaft und der [[Naturreligion]] verkörpert. Für die vielen zentralasiatischen Völker, die dieser Tradition folgen, beginnt das Jahr mit der [[Frühjahrstagundnachtgleiche]]. Die Verbindungen zum vorislamischen Glauben wurzeln bei den Uiguren in der Volkskultur, und eine Studie in der uigurischen Diaspora in der Türkei, die mit in Xinjiang geborenen und aufgewachsenen Uiguren gemacht wurde, weist darauf hin, dass der vorislamische und traditionelle Volksfeiertag Nowruz besonders in den weniger gebildeten Schichten verteidigt wird.<ref name="MakofskyEtAl2019_AJSS_6_2_155-176">{{Literatur |Autor=David Makofsky, Bayram Unal, Maimaitijiang Abudugayiti |Titel=Social Class and Islamic Identity: Chinese Uyghur Students and Working Class in Turkey |Sammelwerk=Athens Journal of Social Sciences |Band=6 |Nummer=2 |Datum=2019-04 |Seiten=155–176 |DOI=10.30958/ajss.6-2-5}}</ref> Am 23. Februar 2010 wurde dem Tag der Tagundnachtgleiche (21. März jeden Jahres) von den UN der Status als „Internationaler Nowruz-Tag“ (mit den je nach Land variierenden Sprech- und Schreibweisen ''Nowruz'', ''Novruz'', ''Navruz'', ''Nooruz'', ''Nevruz'', ''Nauryz'' mit der Bedeutung „Neu-Tag“) verliehen,<ref name="undocs-org_A-RES-64-253_2010-05-10">{{Internetquelle |url=http://undocs.org/A/RES/64/253 |titel=Resolution adopted by the General Assembly on 23 February 2010: 64/253. International Day of Nowruz &#91;A/RES/64/253&#93; |hrsg=undocs.org [United Nations / General Assembly / Sixty-fourth session / Agenda item 49] |datum=2010-05-10 |abruf=2020-06-15 |format=PDF; 96kB}}</ref><ref name="un-org_WiNawdwci">{{Internetquelle |url=https://www.un.org/en/observances/international-nowruz-day |titel=What is Nowruz and why do we celebrate it? |hrsg=un.org |abruf=2020-06-15}}</ref> was auch Erwähnung in chinesischen Staatsmedien fand, wo Nowruz als traditionell-uigurischer und nicht exklusiv-uigurischer Festtag vorgestellt wurde.<ref name="globaltimes-cn_2010-02-23_Hn">{{Internetquelle |autor=Liu Xuan |url=http://www.globaltimes.cn/content/515031.shtml |titel=Happy nowruz |hrsg=[[Global Times|globaltimes.cn]] |datum=2010-03-23 |abruf=2020-06-15}}</ref>

In China sind die Minderheiten allgemein sowohl im Glauben als auch in der Praxis religiöser als die Han-Chinesen. Neben den Tibetern zeichnen sich die Uiguren in China durch die starke Rolle aus, die die Religion traditionell in ihren Gesellschaften spielte und weiterhin spielt. Während bei den Han-Chinesen die staatsorientierte Ideologie des [[Konfuzianismus]] religiöse Körperschaften immer daran hinderte und weiterhin hindert, Einfluss oder gar Kontrolle auf die formelle Staatsführung auszuüben, ist es bei einigen Minderheiten zu starkem religiösen Einfluss auf die staatliche Politik gekommen. So durch den tibetischen Dalai Lama als früheres Oberhaupt sowohl der Religion als auch der Regierung, aber auch durch den islamischen Klerus, der sowohl sozial als auch politisch hohe Bedeutung für die muslimischen ethnischen Gruppen hatte.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Unter der modernen chinesischen Herrschaft war das Gebiet des ehemaligen Osstturkistans dann nie religiös frei. Seit Regierungsübernahme durch die Volksrepublik China in der Region Xinjiang im Jahr 1949 verfolgte die chinesische Führung eine Politik der religiösen Repression, die auf die vollständige Assimilation der Uiguren an die Han-chinesischen Einwanderer abzielte.<ref name="Kanat2014-07-28_hudson-org_RIC">{{Internetquelle |autor=Kilic Kanat |url=https://www.hudson.org/research/10480-repression-in-china-and-its-consequences-in-xinjiang |titel=Repression in China and Its Consequences in Xinjiang |hrsg=[[Hudson Institute|hudson.org]] |datum=2014-07-28 |abruf=2020-06-01}}</ref> In der Hochphase der [[Maoismus|maoistischen]] Ära in den 1950er und 1960er Jahren wurden alle mit dem Islam verbundenen uigurischen Traditionen als [[konterrevolution]]är bezeichnet und sämtliche traditionellen Feiertage – sowohl jene der Han-Chinesen als auch der Uiguren, ausgesetzt.<ref name="AndersonEtByler2019_ChinaPerspectives_2019-3_17-26" /> Nach dem Ende der Kulturrevolution und dem Tod Mao Zedongs im Jahr 1976 änderte sich die Situation radikal und es kam im Jahrzehnt nach 1979 zu einem erheblichen Wiederaufleben muslimischer Gemeinschaften und islamischer religiöser Aktivitäten in China. Uiguren und Hui aus Nordwestchina, die ins [[Eigentliches China|innere China]] reisten, regierten mit Empörung, als sie nach der Kulturrevolution erkennen mussten, dass Moscheen in Gebieten abgerissen worden waren, in denen traditionelle chinesische buddhistische Tempel verschont geblieben worden waren.<ref name="Dillon1994_JIS_5_1_70-101">{{Literatur |Autor=Michael Dillon |Titel=Muslim communities in contemporary China: The resurgence of Islam after the Cultural Revolution |Sammelwerk=Journal of Islamic Studies |Band=5 |Nummer=1 |Datum=1994-01 |Seiten=70–101 |JSTOR=26196674}}</ref>

Für die gesamte Region Xinjiang mit ihren verschiedenen Ethnien ist der Islam die in außerordentlichem Maße vorherrschende Religion. Nach offiziellen Angaben lebten im Jahr 2000 8,1 Millionen religiöse Menschen in Xinjiang, in fast allen Fällen Muslime, und es waren 20.000 Moscheen und rund 29.000 Angehörige des [[Klerus]] verzeichnet. Dabei handelte es sich um offiziell gesponserte und vom Staat finanziell unterhaltene Moscheen, sowie teilweise um staatlich unterstützte [[Imam]]e. Die einst zahlreichen Anti-Regierungs-Moscheen waren dagegen seit der 1996 gestarteten „Kampagne des harten Schlags“ stark geschwächt worden. Im Süden Xinjiangs ist der Islam allerdings weitaus stärker als im Norden der Region. Ein Grund liegt darin, dass der Süden uigurisches Gebiet ist, während der Norden durch Kasachen besiedelt wird, die als nachlässiger in der Ausübung islamischer Praktiken gelten als Uiguren. Zwar existierten auch kasachische Moscheen, doch lebten viele Kasachen weiterhin nomadisch und besuchten Moscheen daher wohl auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit.<ref name="Mackerras2004_HAQ_8_1_p4-14" />

In den von wirtschaftlicher Entwicklung und Urbanisierung geprägten 1990er Jahren kam es zu einer Wiederbelebung des Islam und uigurische Dorfbewohner begannen, neue Formen der Gemeinschaft aufzubauen, die oft einen länderübergreifend waren und mit technologisch Mitteln herbeigeführt waren. Um den Anstieg der religiösen Frömmigkeit und den engeren Verbindungen zwischen Uiguren und dem Nahen Osten entgegenzuwirken, rief der chinesische Staat eine Reihe zunehmend repressiver und gewalttätiger „Antiextremismus-Kampagnen“ ins Leben, in denen übliche religiöse Ausdrucksformen schrittweise verboten wurden, darunter das Lesens religiöser Bücher (auch des Korans), religiöse Kleidungsstile, das Ramadan-Fasten, tägliche Gebete und der Moscheebesuch.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" /> Obwohl die Uiguren überwiegend einem traditionellen, [[Synkretismus (Religionswissenschaft)|synkretistischen]] [[Volksislam]] folgten,<ref name="de-qantara-de_2014-11-13_UK">{{Internetquelle |autor=Ulrich von Schwerin |url=https://de.qantara.de/inhalt/unterdrueckung-der-uiguren-unter-kontrolle |titel=Unterdrückung der Uiguren: Unter Kontrolle |hrsg=[[Qantara.de|de.qantara.de]] |datum=2014-11-13 |abruf=2020-05-22}}</ref> der teilweise auch als liberaler und weniger extremistisch oder weniger orthodox beschrieben werden kann,<ref name="de-qantara-de_2020-01-27_USI">{{Internetquelle |autor=Luise Sammann (Interview mit Kristin Shi-Kupfer) |url=https://de.qantara.de/inhalt/interview-mit-der-sinologin-kristin-shi-kupfer-die-uiguren-sollen-ihrer-identität-beraubt?nopaging=1 |titel=Interview mit der Sinologin Kristin Shi-Kupfer: "Die Uiguren sollen ihrer Identität beraubt werden" |werk=[[Qantara.de|de.qantara.de]] |datum=2020-01-27 |abruf=2020-05-23}}</ref> unterlagen sie in China nach den sukzessiven Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit seit den späten 1990er Jahren und vor allem seit 2001 strikteren Bestimmungen als andere Muslime.<ref name="de-qantara-de_2014-11-13_UK" /> Seit den 1990er Jahren hat in Xinjiang die staatliche Kontrolle über die Religion den Dialog mit ihr offenbar zunehmend ersetzt. Diese Kontrolle wurde so überzogen und die damit verbundenen Strafen so ungerecht oder übertrieben, dass sie auch im kontraproduktiven Sinne gewirkt und eine Zunahme von Gewalttaten gefördert haben kann.<ref name="Castets2015_CAA_2_3_p221–245" /> Diese Politik löste eine Reihe von gewalttätigen Vorfällen aus, die die chinesischen Staatsmedien schnell als extremistischen Terror deklarierten.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" /> Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 hatte die chinesische Führung unmissverständlich darauf bestanden, dass es sich bei den uigurischen Separatisten um Terroristen handle, die vom [[Islamismus#Fundamentalismus/Neofundamentalismus|islamischen Fundamentalismus]] inspiriert seien. Westliche Experten bestritten dagegen schon im Jahr 2004, dass die Quelle der Konfrontation mit den Han-Chinesen oder dem chinesischen Staat im Islam zu suchen sei, räumten jedoch ein, dass der Islam vermutlich für die Zukunft eine wachsende Rolle in der nationalistisch uigurischen Bewegung spielen werde.<ref name="MackerrasInTubilewicz2017_CIC_237-255" /><ref name="cfsueddeutsche-de_2010-05-17_FES">Cf. {{Internetquelle |autor=Barbara Vorsamer [Interview mit Gudrun Wacker (SWP) und Eberhard Sandschneider (DGAP)] |url=https://www.sueddeutsche.de/politik/unruhen-in-china-frust-entlaedt-sich-in-gewalt-1.764489-0 |titel=Unruhen in China: Frust entlädt sich in Gewalt |titelerg=Mindestens 140 Tote bei den Unruhen in der westchinesischen Provinz Xinjiang: Der Konflikt zwischen Uiguren und Han-Chinesen eskaliert. Er rückt einen seit vielen Jahren schwelenden Konflikt ins Blickfeld – die internationale Gemeinschaft hat bisher oft weggeschaut. Ein Gespräch mit Experten |hrsg=sueddeutsche.de |datum=2010-05-17 |abruf=2020-05-22}}</ref>

==== Schriftreligion ====
Die Mehrheit der Uiguren gehört heute dem [[Sunniten|sunnitischen]] [[Islam]] [[Hanafiten|hanafitischer]] Rechtsschule an.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /><ref name="West2009_EPAO_p848" /> Die Bekehrung des uigurischen Herrschers in Kaxgar im 10. Jahrhundert bildete den Ursprung des Islams nicht nur für die Uiguren, sondern für alle Turkvölker. Obwohl die Intensität der Bindung an den Islam unter den Uiguren unterschiedlich ist, bleibt sie im Allgemeinen und vor allem im südlichen Xinjiang stärker als bei den Hui-Chinesen.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />

Das Festhalten der Uiguren an den Grundsätzen des sunnitischen Islam kann als ein zentrales Merkmal ihrer Identität in der heutigen Welt angesehen werden. Der religiöse Glaube hat Einfluss auf die Ernährung und Auswahl der Nahrungsmittel der Uiguren genommen. In den meisten Fleischgerichten [[Nahrungstabu#Schweinefleisch|meiden sie Schweinefleisch]] und ziehen stattdessen [[Lammfleisch]] vor. Auch [[Märchen]], Musik und Tanz der Uiguren wurden von ihrer Religion beeinflusst.<ref name="West2009_EPAO_p853"/>

Die Form der Islampraxis der meisten Uiguren wird als im weltweiten Vergleich verhältnismäßig liberal beschrieben. Nur wenige Frauen [[Schleier#Verschleierung im Islam|bedecken sich demnach mit einem Schleier]], wenngleich Frauen und Männer außerhalb des Heims körperlichen Kontakt vermeiden.<ref name="West2009_EPAO_p853" /> Andererseits beschreiben Wissenschaftler die uigurischen Immigranten in der Türkei der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als strikt sunnitisch und sich offenbar schon allein durch die strengere Geschlechtertrennung von den Türken abhebend.<ref name="Andrews1989_2002_EGR_p77-81" /><ref name="SvanbergInAndrews1989_2002_EGR_p591-601" />

==== „Volksrecht“ und Religionsrecht ====
Bei den muslimischen Turkvölkern haben islamische Rechtsinstitutionen eine lange Geschichte und konnten sich noch bis in die sozialistische Zeit halten. Die Qing-Dynastie herrschte in indirekter Weise, die solchen Institutionen ein gewisses Maß an politischer Autonomie ermöglichten. In den Oasenstädten rund um die Taklamakan-Wüste in Xinjiang setzten die [[Qādī|Qadis]] eine Kombination aus [[Scharia]] und uigurischem [[Gewohnheitsrecht]] vor ''qadihana'' (uigurisch für: „Haus des Qadi“) genannten Gerichten um. Im Jahr 1874 hob das Qing-Gericht die Anwendung des islamischen Rechts bei der Behandlung von [[Strafrecht|Strafsachen]] auf, ließ jedoch weiterhin das islamische Recht und die lokale Sitte für die [[Privatrecht|Behandlung nicht-krimineller Angelegenheiten]] durch Qadis zu. Bis in die frühen 1950er Jahre beglaubigten Qadis noch häufig juristische Dokumente, obwohl chinesische Verwaltungsbeamte zunehmend versuchten, solche Rechtsformen zu standardisieren. In uigurischen Fabeln sind oft Qadis zu sehen, manchmal in Form des Volksweisen [[Geschichten von Afanti|Afanti]], was die starke Stellung der Institution des Qadi im uigurischen [[Kollektives Unbewusstes|kollektiven Bewusstsein]] demonstriert. Die muslimischen Turkvolk-Gemeinschaften – so die Uiguren oder auch die [[Salar]]en – unterhielten islamische Rechtsinstitutionen weitaus länger aufrecht als chinesische Muslime in der Provinz Gansu. Die lockere geografische Verteilung und die geringere Bevölkerungsdichte ihrer Gemeinden machten die Hui-Chinesen dort anfälliger für den Druck der [[Sinisierung|Hanifizierung]] als es bei den Uiguren in ihrem konzentrierten Siedlungsgebiet in Xinjiang der Fall war.<ref name="Erie2016_CAI_p50f">{{Literatur |Autor=Matthew S. Erie |Titel=China and Islam: The Prophet, the Party, and Law |Verlag=Cambridge University Press |Ort=New York |Datum=2016 |ISBN=978-1-107-05337-3 |Seiten=50f. |DOI=10.1017/9781107282063}}</ref>

Wie der „Volksglaube“ ''(minjian xinyang)'' ist auch das „Volksrecht“, einschließlich des Religionsrechts, nicht über formelles Recht geregelt. Das Religionsrecht einiger ethnischer Gruppen, die transnationale Verbindungen haben und nicht unbedingt an nationaler Gerichtsbarkeit festhalten, erwies sich für die sozialistische Herrschaft als störend. Zu diesen ethnischen Gruppen gehörten an erster Stelle die Uiguren und Tibeter und in geringerem Maße die Mongolen und Hui.<ref name="Erie2016_CAI_p14">{{Literatur |Autor=Matthew S. Erie |Titel=China and Islam: The Prophet, the Party, and Law |Verlag=Cambridge University Press |Ort=New York |Datum=2016 |ISBN=978-1-107-05337-3 |Seiten=14 |DOI=10.1017/9781107282063}}</ref>

==== Volksglaube oder „heterodoxer“ Islam – Geisterglaube, Heiligenverehrung, rituelle Heilung ====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Geisterpuppen und Speise- und Trankopfer (Kaxgar, Anfang 20. Jh.)
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 | Bild1       = Geisterpuppe ǧinn Kaschgar Le Coq 1916 Seite 6 Figur 1.png
 | Untertitel1 = Geisterpuppe (''ǧinn'')<ref name="LeCoq1916_VAO_1–6" />
 | Bild2       = Grab mit ǧinn und Speisenäpfen Kaschgar Le Coq 1916 Tafel 1 Figur 4.png
 | Untertitel2 = Fuß eines Grabes mit dort aufgestellten „ǧinn“ und Speisenäpfen<ref name="LeCoq1916_VAO_1–6" />
 | Fußzeile    = Bei der Bevölkerung in Kaxgar wurde im Rahmen der [[Deutsche Turfanexpeditionen|Deutschen Turfanexpeditionen]] der Brauch dokumentiert, dass an vielen muslimischen Gräbern eine oder mehrere Puppen (arab. Plural: ''ǧinn'') aufgestellt wurden. Diese Geisterpuppen bestanden aus einem Stab (Ästchen), um den Lumpen gewickelt wurden; Ein Gesicht wurde grob durch einige Striche angedeutet. Man brachte ihnen, besonders zur Festzeit, Speisen und Tränke auf Tellern und in Näpfen – gedeutet als Versöhnungsopfer –, die später nicht wieder benutzt werden durften.<ref name="LeCoq1916_VAO_1–6">{{Literatur |Autor=Albert von Le Coq |Titel=Volkskundliches aus Ost-Turkistan |Verlag=Reimer |Ort=Berlin |Datum=1916 |Kapitel=Kap. I. ''Religion und Aberglauben'' |Seiten=1–6 |Kommentar=Königlich Preussische Turfan-Expeditionen |Umfang=S. i–vii, 1–72, 25 Tafeln}}</ref>
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = [[Tumor (Amulett)|Tumar]]-Amulette in Turkestan zum Schutz gegen Geister
 | Breite1     = 209
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 | Bild1       = Im Haar getragenes Amulett - sac tumari - eines jungen Mädchens Le Coq 1916 Tafel 1 Figur 5.png
 | Untertitel1 = Im Haar getragenes Amulett (''sāč tūmārī'') eines jungen Mädchens ([[Kocho (Gaochang)|Qara Chōdscha]], Anfang 20. Jh.)<ref name="LeCoq1916_VAO_1–6" />
 | Bild2       = Stamps of Uzbekistan, 2004-15.jpg
 | Untertitel2 = Diese Briefmarke aus Usbekistan aus dem Jahr 2004 zeigt ein ''Tumor''-Amulett aus Samarkand (19. Jh.) als Motiv
 | Fußzeile    = Zum Schutz gegen die ''ǧinn'' – die als stets übelwollend erachtet wurden – band man in Ostturkestan Amulette (arab. ''tūmār'', dt. etwa „Rolle“ für eine beschriebene Rolle Papier oder Pergament) an Haare oder Körperglieder von Menschen und Tieren. Die meisten Amulette bestanden aus kleinen Dosen oder Beuteln, in denen Koranverse oder ähnlich beschriebene Rollen oder Blätter aufbewahrt wurden.<ref name="LeCoq1916_VAO_1–6" /><br />'''Bild links''': Dieses auf den [[Deutsche Turfanexpeditionen|Deutschen Turfanexpeditionen]] dokumentierte ''sāč tūmārī'' besteht aus einer [[dreieck]]igen und an allen Seiten zugenähten Tasche aus farbigem [[Samt]], mit von [[Koralle]]n und [[Perle]]n besetzten Schnüren. In der Tasche befindet sich ein beschriebenes Blättchen Papier. Die gleichen Amulette band man auch an den Schwanz wertvoller Pferde.<ref name="LeCoq1916_VAO_1–6" /><br />'''Bild rechts''': In Zentralasien sollte Schmuck mit [[Heilig|sakraler]] Funktion wie Tumar-Amulette vor allem die Unversehrtheit der Mädchen gewährleisten, als zukünftige [[Mutter|Mütter]] und junge Frauen während ihrer [[Geschlechtsreife|fruchtbaren]] Zeit. Neben Schläfe und vorderen Teilen des Gesichts sowie Hals und Handgelenken wurden auch verletzlichste Stellen des Körpers wie Brust, Achselregion und Bauch geschmückt und somit geschützt. [[Edelmetall|Edle Metalle]] und [[Schmuckstein|edle Steine]] besaßen ebenso einen codierten Schutzwert wie etwa die Form und die Motive der Verzierungen. So besaß [[Silber]] nach altem Volksglauben reinigende und magische Eigenschaften, während Korallen Reichtum und Überfluss anzogen. Daher fungierte Schmuck als Amulett und begleitete Frauen in dieser Form von der Geburt bis zum Tod. Amulette besaßen oft ein Gehäuse aus Silber (seltener [[Gold]], mit dem das Amulett selbst bezahlt wurde) und enthielten ein auf Papier geschriebenes Gebet, das die schützenden Eigenschaften des Amuletts weiter verstärken sollte.<ref name="DabylovnaJanabayeva2019_">{{Literatur |Autor=Галия Дабыловна Джанабаева |Hrsg=Марья С. Розанова |Titel=Искусство народов Центральной Азии – Монография |Verlag=George Washington University |Ort=Washington |Datum=2019 |ISBN=978-0-9996214-3-1 |Fundstelle=S. 66–68 |Kommentar=Программа изучения Центральной Азии (Central Asia Program) |Online=[https://capgwu.b-cdn.net/wp-content/uploads/2019/03/Iskusstvo-nar-Zentr-Azii_v.pdf capgwu.b-cdn.net] |Umfang=S. 1–89}} (Vgl. auch englischsprachige Fassung: {{Literatur |Autor=Galiya Dabylovna Janabayeva |Titel=Arts Of The Peoples Of Central Asia |Verlag=The George Washington University |Ort=Washington, D.C. |Datum=2019 |ISBN=978-0-9996214-5-5 |Fundstelle=93–95 |Kommentar=Institute for European, Russian and Eurasian Studies Elliott School of International Affairs, Central Asia Program |Online=[https://capgwu.b-cdn.net/wp-content/uploads/2019/09/Arts-of-the-peoples-of-CA_eng_web.pdf capgwu.b-cdn.net] |Umfang=S. 1–103}}) (Downloads der russischsprachigen und der englischsprachigen Fassung sind verfügbar auf URL: https://centralasiaprogram.org/archives/15964).</ref>
}}
Die Formen der Islamausübung bei den Uiguren wie allgemein in Zentralasien gelten als typische Beispiele für einen Islam, der in der Wissenschaft – wie in der sowjetischen – teilweise als „[[Heterodoxie|heterodox]]“ und teilweise mit anderen Begriffen wie „traditionell“, „[[Volksglaube]]“ oder „inoffiziell“ bezeichnet wurde, um ihn von einem „[[Orthodoxie|orthodoxen]]“, „reinen“ oder „offiziellen“ Islam abzugrenzen, der auf der Auslegung des [[Koran]]s und der [[Hadith]]e beruhe.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> Die offizielle chinesische Wissenschaft machte einen Unterschied zwischen einigen Erscheinungsformen lokaler Bräuche (''örp-adät'') und religiösen Bräuchen. Die lokalen Bräuche wurden von der chinesischen Wissenschaft als tolerabel oder sogar positiv eingeordnet, da sie zur Bildung einer bunten ethnischen Gruppe in der VR China beitragen sollten. Viele religiöse Bräuche verurteilte die chinesische Wissenschaft hingegen als rückständig und an das Erbe des [[Feudalismus]] gekoppelt, das es im [[Kommunismus]] zu überwinden gelte.<ref name="Beller-Hann2001_AE_2_1_9–23" />

Zu den vielen kulturellen Elementen, die die alten und die modernen Uiguren wie andere turkstämmige Gruppen Zentralasiens mit den Mongolen gemein haben, bei denen der Schamanismus in der Geschichte eine Blütezeit erlebt hatte, zählen auch Elemente alter schamanistischer Vorstellungen und Praktiken, wenngleich solche Ursprünge in der islamischen Kultur nicht immer explizit als solche anerkannt werden.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646">{{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Hrsg=Mariko Namba Walter, Eva Jane Neumann Fridman |Titel=Uyghur Healers (China) |Sammelwerk=Shamanism: an encyclopedia of world beliefs, practices, and culture |Verlag=ABC-CLIO |Ort=Santa Barbara, Denver und Oxford |Datum=2004 |ISBN=1-57607-645-8 |Seiten=642–646 |Umfang=i–xxxi, 1–1055}}</ref> Wie der kasachische, kirgisische, usbekische und tadschikische „Schamanismus“ weist auch die kulturelle Gruppe der uigurischen „Schamanen“ andererseits eine starke Überlagerung mit dem Islam auf, der ihre Praktiken beeinflusst hat – im Gegensatz zu den mongolischen und [[Tuwiner|tuwinischen]] Gruppen, bei denen der Buddhismus als Religion dominiert und seit dem 16. Jahrhundert mit dem „Schamanismus“ koexistierte.<ref name="NFridmanEtWalterInWalterEtNeumannFridman2004_S527" /> Besser als von „Schamanismus“ ist im Fall der Uiguren von einer Reihe tief in den lokalen Volksglauben integrierter Heilmethoden zu sprechen.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" /> Tatsächlich hält die uigurische Gesellschaft noch in weiten Teilen an traditionellen Praktiken wie [[Heiligenverehrung|Heiligenkult]] und ritueller Heilung fest, auch wenn diese in der uigurischen Gesellschaft zugleich sehr umstritten sind.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433">{{Literatur |Autor=Paula Schrode |Titel=The Dynamics of Orthodoxy and Heterodoxy in Uyghur Religious Practice |Sammelwerk=Die Welt des Islams (New Series) |Band=48 |Nummer=3/4 (''The Dynamics of Orthodoxy and Heterodoxy in Islam'') |Datum=2008 |Seiten=394–433 |JSTOR=27798274}}</ref> Die Heilungszeremonien und damit verbundene Rituale haben zumindest einen Teil ihrer Bedeutung beibehalten und genießen einerseits wie andere „traditionelle“ Volkspraktiken das Ansehen eines integralen Teils des Islam und der muslimischen Lebensweise, werden aber gleichzeitig sowohl von Vertretern der islamischen Schrifttradition (als „ketzerisch“), als auch vom sozialistischen Staat und vielen uigurischen Intellektuellen (als „rückständig“) abgelehnt.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" /> Diese Heilpraktiken beruhen auf dem Glauben an die Existenz verschiedener Arten von Geistern, die wohlwollend oder schadenstiftend wirken können. Nach uigurischer Vorstellung können schadenstiftende Geister Krankheiten herbeiführen, während wohlwollende Geister vom Heiler während der Heilzeremonie zur Hilfe herbeigerufen werden können.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" />

Die Verehrung der Toten steht bereits seit langem im Mittelpunkt der volksreligiösen Praktiken der Turki-Bevölkerung oder Uiguren. Der Ahnenkult der Uiguren mit seinen Erscheinungsformen ist eng verwandt mit ähnlichen Praktiken unter den türkisch und iranisch sprechenden Völkern des muslimischen Zentralasiens und unterscheidet sich stark von den Ahnenkult-Bräuchen unter Han-Chinesen. Unter den Uiguren ist die Vorstellung weit verbreitet, dass das Wohlergehen der Lebenden eng mit dem Wohlergehen der Toten verbunden ist und dass die Toten die Lebenden beeinflussen können.<ref name="Beller-Hann2001_AE_2_1_9–23">{{Literatur |Autor=I. Bellér-Hann |Titel='Making the Oil Fragrant': Dealings with the Supernatural among the Uyghurs in Xinjiang |Sammelwerk=Asian Ethnicity |Band=2 |Nummer=1 |Datum=2001 |Seiten=9–23 |DOI=10.1080/14631360120017988}} Online veröffentlicht am 27. Mai 2010. Auch veröffentlicht als: {{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Titel=Negotiating Identities: Work, Religion, Gender, and the Mobilisation of Tradition among the Uyghur in the 1990s |Reihe=Halle Studies in the Anthropology of Eurasia |BandReihe=31 |HrsgReihe=Christoph Brumann, Kirsten Endres, Chris Hann, Thomas Hauschild, Burkhard Schnepel, Dittmar Schorkowitz, Lale Yalçın-Heckmann |Verlag=LIT |Ort=Berlin (Münster) & Zürich |Datum= |ISBN=978-3-643-90745-5 |Kapitel=Chapter 8: 'Making the Oil Fragrant': Dealings with the Supernatural among the Uyghurs in Xinjiang |Seiten=197–220 |Umfang=S. i–xvii, S. 1–269}}</ref> Dem besonderen Umgang mit dem Tod liegt in der uigurischen Gesellschaft ein genereller Glaube an die Existenz unsichtbarer, aber ständig anwesender „Geister“ (''roh'', Pl. ''rohlar'') zugrunde. Dabei sind nach uigurischer Vorstellung sowohl Geister verstorbener Menschen allgegenwärtig und von alltäglicher Relevanz, als auch nichtmenschliche Geister (''[[Dschinn|djin]]''/''ǧin'', Pl. ''djinlar''/''ǧinlar'').<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Dieser Glaube an die Existenz und das Vorhandensein verschiedener Arten [[Spiritualität|spiritueller]] Wesen, die gegenwärtig sind und in das Leben der Menschen eingreifen, spielt unter Uiguren eine wichtige Rolle. Eine ganze Reihe religiöser Praktiken beruht auf solchen Vorstellungen und besteht darin, diese Geister auf unterschiedliche Weise als Gegner, Partner oder Fürsprecher für [[Gott]] (''alla'' oder ''xuda'') anzusprechen. Es können dabei drei Bereiche von Praktiken des Geisterglaubens unterschieden werden, die eng ineinander greifen:<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" />

;1. – Häusliche Riten für die Geister verstorbener Verwandter und enger Familienangehöriger<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /><ref name="NFridmanEtWalterInWalterEtNeumannFridman2004_S527" /><ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" />
Als „häuslicher Kult“ (nicht: „schamanischer“) kann ein zentraler Bereich des Geisterglaubens der Uiguren bezeichnet werden, in dessen Zentrum die Geister toter Verwandter und enger Bekannter stehen, wie etwa Eltern, Großeltern und anderer Personen, die man zu ihren Lebzeiten kannte. Bei den sich mit dem Bereich des Todes beschäftigenden sowie anderen offiziellen und inoffiziellen islamischen Ritualen handelt es sich weniger um einen wirklichen [[Ahnenkult]], als vielmehr um die Bewahrung bestimmter Aspekte der Totenvererhrung. Vorrangig sollen sie das Wohlwollen der Toten sicherstellen, damit deren Hilfe für das Wohlergehen und den Wohlstand der Lebenden gewonnen werden kann. Zentrale Bestandteile dieser Kultform sind die „Speisung“ der Geister mit dem Duft von [[Weihrauch]], dem Geruch von heißen Öl bei der Zubereitung zeremonieller Kuchen und den damit in Verbindung stehenden Gebeten. Nach uigurischer Vorstellung helfen Geister, deren Erinnerung man derart mithilfe von Gebeten und [[Opfer (Religion)|Opfergaben]] zelebriert, ihrer Familie, während vernachlässigte Geister der Familie Unglück bereiten können.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" />

;2. – Riten an den Gräbern muslimischer Heiliger (''ävliya'')<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" />
{{Siehe auch|Uiguren#Schreine (mazar)|titel1=Abschnitt „Schreine (''mazar'')“ in diesem Artikel}}
Menschliche Geister – verstanden als „[[Seele]]n“ verstorbener Menschen – nehmen einen wichtigen Platz im spirituellen Denken der Uiguren ein. Wie allgemein im zentralasiatischen Islam spielen Heiligengräber als Pilgerorte (''mazar'' für „Grabstätte“; auch ''ziyarätgah'' für „Pilgerort“ oder ''muqäddäs djay'' für „heiliger Ort“) bei den Uiguren eine große Rolle.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> In erster Linie wird die [[Heiligenverehrung]] (''tavap qilish'') in Rahmen individueller Besuche am Grab (''ziyarät'') ausgeübt oder in Form größerer [[Wallfahrt|Pilgerfahrten]], die an einem bestimmten Kalendertag im Jahr stattfinden. Der Pilger umwandelt die Grabstätte – wie es auch bei der [[Kaaba]] in [[Mekka]] Brauch ist –, küsst den [[Sarkophag]] oder den Heiligen repräsentierende Gegenstände, legt Tücher auf das Grab und zündet Lichter an. Meist erhofft sich der Pilger dadurch die Erfüllung weltlicher Anliegen.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Je nach Bedeutung des Heiligen können die Besuche der Grabstätte aber auch entweder als einfache Akte der Verehrung oder im Zusammenspiel mit dem Besuch weiterer entsprechender Wallfahrtsorte auch als Ersatz für die [[Hāddsch]] anerkannt werden.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /><ref name="Byler_In_chinachannel-org_2018-11-02_DRD" /> Auch das ''mazar'' selbst erhält durch den dort wohnenden Geist (''roh'') des Heiligen einen besonderen Status, an dem spirituelle Spezialisten wie [[Wahrsager]] bevorzugt ihre Dienste anbieten und an dem die Erde in der Nähe des Heiligtums als heilkräftig gilt.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Die Heiligen (''ävliya'') weisen oft eine Verbindung zu Sufi-Linien auf.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" />
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = [[Steppenraute]] für spirituelle Abwehr- und Reinigungsriten
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 | Bild1       = Peganum harmala; Kentau.jpg
 | Untertitel1 = Verkauf auf einem Markt (in der Stadt [[Kentau]], Kasachstan)
 | Bild2       = Peganum-harmala-incense.jpg
 | Untertitel2 = Erhitzen der Samen über Gasflamme als [[Weihrauch]] (Ort unbekannt)
 | Fußzeile    = Die auch [[halluzinogen]] wirkende Steppenraute, bei Uiguren angewendet in der alltäglichen Praxis durch Verbrennen (''isriq selish''), soll mittels reinigendem und abwehrendem Rauch gefährliche Geister – etwa aus Wohn- und Geschäftsräumen – vertreiben und zugleich gute Geister („Engel“) anziehen<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" />
}}
;3. – Umgang mit Geistern nichtmenschlichen Ursprungs (''ǧinlar'', ''šaytunlar'', ''albastilar'' u. a.)<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" />
Alle ''djin'' werden als unberechenbar und im Falle ihrer Verärgerung als gefährlich angesehen, wobei aber einigen (''albasti'' und ''šaytun'') ein immerzu „böser“ und gefährlicher Charakter zugeschrieben wird. Weiterhin glauben die Uiguren an die Existenz weiterer, als „Engel“ (''pärishtä'', von pers. ''fereshte'') bezeichneter, nichtmenschlicher Geister, denen sie hingegen einen „guten“ und wohlwollenden Charakter zuschreiben.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" />

Mit der Existenz der ''djin'' und ihrer scheinbaren Willkür wird nach uigurischem Glauben plötzliches und unverschuldetes Unglück oder Unheil erklärt. Mittels bestimmter Maßnahmen und Riten versuchen Uiguren [[Gegenzauber|Schaden abzuwehren]],<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> indem sie beispielsweise vermeintlich bevorzugte Aufenthaltsstätten der ''djin'' (beispielsweise Friedhöfe,<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /><ref name="LeCoq1916_VAO_1–6" /> [[Rituelle Reinheit|unreine]] Orte oder bestimmte Bäume wie [[Ulmen]] meiden) oder bestimmte Pflanzen (''isriq selish'') verbrennen, deren Rauch vermeintlich [[Rituelle Reinheit|reinigende]] und [[Gegenzauber|abwehrende]] Wirkung hat.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> [[Steppenraute]] (''adrasman''), [[Wacholder]] (''archa'') und [[Kulturapfel|Apfel]] (Holz und Blätter) sollen nicht nur gefährliche Geister vertrieben, sondern gleichzeitig auch Engel angezogen werden. So übernimmt ''isriq selish'' bei Anlässen wie der Eröffnung eines Ladens, dem Einzug in eine Wohnung oder vor Feiertagen eine Funktion bei der Reinigung der entsprechenden Räumlichkeiten.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" />

;Traditionelle Heiler oder „Schamanen“
Der Umgang mit Geistern nichtmenschlichen Ursprungs fällt vor allem in den Zuständigkeitsbereich religiöser Spezialisten, die in der Literatur oft als „Schamanen“ bezeichnet werden.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> Tatsächlich gibt es in den uigurisch geprägten Landesteilen Xinjiangs traditionelle uigurische Heiler und Heilerinnen (''baxši''/''perixon''/''daxan'' genannt), deren Praktiken Parallelen zu den [[Schamanismus#Der klassisch sibirische Schamanismus oder Animismus|„klassischen“ sibirischen Schamanen]] aufweisen und in [[Ekstase|ekstatischen Tänzen]] und [[Trance]]zuständen bestehen, mit denen die Heiler nach uigurischer Vorstellung Kontakt zu den Geistern herstellen.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Bei den heutigen Uiguren gibt es jedoch nicht nur klassische „Schamanen“ mit ihren typisch schamanischen ekstatischen Tänzen und Trancezuständen, sondern verschiedene Bezeichnungen für Heiler, die neben diesen Techniken noch ein breites Spektrum anderer Methoden anwenden.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /><ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Damit stellen sie den Kontakt mit der Geisterwelt her und bieten verschiedene Dienste an wie Wahrsagerei, Glückbringen und Heilen. Je nach ihren Schwerpunkten und Methoden sind diese Spezialisten entweder bekannt als ''daxan''/''baxši''/''perixon'' (jeweils als „Schamane“ übersetzt), als ''palči''/''qumilaqči'' (meist als „[[Seher]]“ oder „Wahrsager“ übersetzt) oder als ''ǧadugär''/''sehirči'' („Zauberer“).<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> Die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Schamanen (''perixan'', ''baxşi'') hat dazu geführt, dass andere Spezialisten vernachlässigt wurden, deren Methoden weniger spektakulär waren.<ref name="Beller-Hann2001_IA_3_1_71–96">{{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Titel=Rivalry and Solidarity among Uyghur Healers in Kazakhstan [Corrected title: Rivalry and Solidarity among Uyghur Healers in Uzbekistan] |Sammelwerk=Inner Asia |Band=3 |Nummer=1 |Datum=2001 |Seiten=71–96 |JSTOR=23615449}}</ref> Während die Kräfte der ''bakhshı'' genannten Schamanen-Heiler als außerordentlich und selten erachtet werden, handelt es sich bei den ''qumılaqchı'' Genannten um „schwächere“ Heiler, die in der Regel spirituelle Heilung mit Wahrsagerei verbinden und eine traditionelle Methode der Weissagung mit ''qumılaq'' genannten Bohnen oder kleinen Steinen (früher Schafkot) verwenden.<ref name="Penkala-Gawecka2014_Shaman_22_1-2_57–81">{{Literatur |Autor=Danuta Penkala-Gawęcka |Titel=The Way of the Shaman and the Revival of Spiritual Healing in Post-Soviet Kazakhstan and Kyrgyzstan |Sammelwerk=Shaman |Band=22 |Nummer=1–2 |Datum=2014 |ISSN=1216-7827 |Seiten=57–81 |Online=[http://www.isars.org/wp-content/uploads/2020/12/ShamanVol22_2014_dld.pdf isars.org] |Format=PDF |KBytes=}}</ref> Die verschiedenen Bezeichnungen und ihre Übersetzungen werden jedoch offenbar recht willkürlich verwendet und entsprechen keinen klar definierten Berufen, zumal viele dieser Spezialisten gleichzeitig unterschiedliche Rollen mit entsprechend unterschiedlichen Techniken einnehmen. Zudem ist die Verwendung verschiedener Begriffe auch regional bedingt, so dass beispielsweise in der Umgebung von Kaxgar der Begriff ''daxan'' vorherrscht, während Heiler in der Region Turpan vorwiegend als ''molla'' bezeichnet werden, womit der Unterschied zwischen den Berufen Heiler und [[Imam]] verwischt wird. Vereinfacht können die genannten religiösen Spezialisten statt als „Schamanen“ allgemein als „traditioneller Heiler“ oder kurzweg als „Heiler“ bezeichnet werden.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" />

Sowohl bei der [[Diagnose]] zur Ursache des zu heilenden Übels, bei dem es sich um sehr unterschiedliche soziale und körperliche Störungen handeln kann,<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> als auch bei der [[Therapie]] zu deren Heilung legt der Heiler eine „[[Schamanistische Kosmologie|Kosmologie]]“ zugrunde, die davon ausgeht, dass Geister Einfluss auf das Leben und Schicksal menschlicher Individuen ausüben und auch umgekehrt die Möglichkeit besteht, diese Geister durch rituelle Handlungen zu beeinflussen.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> In dieser Vorstellung leiden die Menschen unter dem negativen Einfluss von Geistern und können oft auch über die Geister der Verstorbenen geheilt werden. Die „[[Magie|magischen]]“ Praktiken sind im Idealfall in der Nähe des Schreins (''mazar'') eines Heiligen durchzuführen, wo der Geist des ''ävliya'', der über besondere Kraft verfügt, um Unterstützung angerufen wird.<ref name="Schrode2008_WDINS_48_3-4_394–433" /> Einige Heiler klassifizieren schädliche Geister nach ihrer religiösen Ausrichtung und verwenden verschiedene [[Beschwörung]]sformeln, je nachdem, ob als muslimisch, [[Christentum|christlich]], [[Jüdische Religion|jüdisch]] oder „[[Häresie|ketzerisch]]“ (außerhalb der [[Abrahamitische Religionen|abrahamitischen Religionen]] stehend) eingestufte Geister ausgetrieben werden sollen. Die Schutzgeister können als islamische Heilige aufgefasst werden, insbesondere als anerkannte [[Schutzpatron]]e für verschiedene Berufe.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" /> Heilrituale in der Region sind lediglich für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ausreichend ausführlich dokumentiert. Über deren Praxis in jüngster Zeit (Stand: 2004) ist dagegen nur wenig bekannt.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" />
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Uigurische Geisterbeschwörer/Heiler innerhalb der Schamanismus-Konzepte der Welt
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 | Untertitel1 = Zauberer/Wahrsager und Jünger mit Trommel in Ost-Turkestan (1915)<ref name="SykesEtSykes1920_TDO_KapX_191–208_p313-315">{{Literatur |Autor=Ella Sykes, Percy Sykes |Titel=Through deserts and oases of central Asia |Verlag=Macmillan |Ort=London |Datum=1920 |Kapitel=XVII (Manners and Customs in Chinese Turkestan) |Seiten=308–323 |Fundstelle=hier S. 313–315}} Verfügbar als Facsimile auf: Internet Archive, URL: https://archive.org/details/cu31924023243391.</ref>
 | Bild2       = Shaman Buryatia.jpg
 | Untertitel2 = [[Burjaten]]-Schamane mit Trommel im Zeremonialgewand (1904)
 | Bild3       = Schamanismus-früher-und-heute.png
 | Untertitel3 = Weltkarte Schamanismus um 1500 (nach Klaus E. Müller) sowie dokumentierte Beispiele für traditionelle Schamanen und ähnliche Geisterbeschwörer um den Beginn des 21. Jahrhunderts herum.
 | Fußzeile    = '''Bild links''': Für Ostturkestan ist aus dem Jahr 1915 dokumentiert, wie eine Frau mit dem Gesuch einen Sohn zu gebären zunächst einen Schrein mit einem Gebet anrief und Erde aus dem Grabmal schluckte, um sich dann mit ihrem Wunsch an einen ''bakhshi'' (Zauberer) zu wenden. Der ''bakhshi'' spielte auf der Trommel und sang Kauderwelsch, während die Bittstellerin tanzte, bis ihr schwindlig wurde und sie nach der Zeremonie eine Gebühr zahlte, Almosen verteilte und Speisen am Grab ihrer Ahnen opferte.<ref name="SykesEtSykes1920_TDO_KapX_191–208_p313-315" /><br />'''Bild in der Mitte''': Das klassische sibirische Schamanentum dient oft als [[Paradigma]] für verschiedenste Schamanismus-Konzepte<br />'''Bild rechts''': Für die „Uiguren“ ist in Nordwestchina demnach um 1500 die Kategorie „[[Schamanismus#Besessenheitsschamanismus|Besessenheit-Schamanismus]]“ im „islamischen Einflussbereich“ (blau) angegeben und für das 21. Jh. „lokale Gemeinschaften mit weitgehend intakten traditionellen Strukturen, in denen Geisterbeschwörer noch einige ihrer ursprünglichen Funktionen ausüben. Ihre Funktionen sind jedoch durch moderne Einflüsse bereits mehr oder weniger beeinflusst.“
}}
;Abgrenzung zum „Schamanismus“-Begriff und Integration in den Islam
Zwar ist bei den Uiguren ein Glaube an spirituelle Wesen verbreitet, die mit dem Leben der Menschen interagieren. Im Gegensatz zur Darstellung vieler ethnographischer Werke aus der [[Sowjetunion]] und China jedoch, die vor dem Hintergrund marxistisch beeinflusster Kulturtheorien von „dem Schamanismus“ als einer eigenen Religionsform ausgingen, stellt die Person des Geisterheilers oder Schamanen bei den Uiguren keine zentrale Instanz dieses Weltbilds dar, wie mit dem Begriff „Schamanismus“ in den meisten Darstellungen suggeriert wird.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Im Fall der Vorstellungen der modernen Uiguren ist angesichts ihrer komplexen Ethnogenese und in der Region gegenüber vielen religiösen Einflüssen besonders exponierten Lage umstritten, ob der Begriff „Schamanismus“ angewendet werden sollte, der von der gut erforschten Natur des Glaubens vorislamischer turkstämmiger Gruppen bekannt ist, aber ein integrales System mit eigener Kosmologie, religiöser Hierarchie und eigenen Praktiken suggeriert, während bei den Uiguren eine lange Geschichte der Islamisierung besteht und jegliche indigene Konzeptualisierung fehlt.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" />

Das von einigen Gelehrten unter „Schamanismus“ subsumierte Phänomen kann im Fall der Uiguren besser als eine Reihe von Heilmethoden beschrieben werden, die tief in den lokalen Volksglauben integriert wurden.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" /> Die rituellen Praktiken der Schamanen der Uiguren konzentrieren sich auf Heilung und verwandte Rituale.<ref name="NFridmanEtWalterInWalterEtNeumannFridman2004_S527" /> Diese Heilpraktiken der modernen Uiguren bilden ein [[Synkretismus|synkretistisches]] Gefüge, in dem vorislamische Elemente und möglicherweise der Einfluss anderer Traditionen untrennbar miteinander verbunden sind.<ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" /> Gleichzeitig sind sie untrennbar mit dem Islam und der muslimischen Lebensweise verbunden.<ref name="NFridmanEtWalterInWalterEtNeumannFridman2004_S527" /><ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" /> Der Einfluss des Sufismus als einer ekstatischen Islam-Form nimmt ebenso eine wichtige Rolle ein wie der Einfluss des sich auf die Geister toter Verwandter und enger Familienangehöriger beziehende „häusliche Kult“. Für [[Exorzismus]]zeremonien und Heilrituale, die schädliche Geister aus dem Körper des Kranken austreiben sollen (''päri oynatiş'', dt.: „den Päri zum Tanzen bringen“; oder: ''oyun'', dt. „Tanz“),<ref name="NFridmanEtWalterInWalterEtNeumannFridman2004_S527" /><ref name="Beller-HannInWalterEtNeumannFridman2004_S642–646" /><ref name="Beller-Hann2008_CMX_p470">{{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Titel=Community Matters in Xinjiang, 1880–1949: Towards a Historical Anthropology of the Uyghur |Reihe=China Studies |BandReihe=17 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2008 |ISBN=978-90-04-16675-2 |ISSN=1570-1344 |Fundstelle=hier S. 470}} Online abrufbar unter: https://brill.com/view/title/15037.</ref> kommen unter anderem Beschwörungsformeln für islamische Heilige, andere Exorzismusformeln und aus Koranversen bestehende arabische Gebete zum Einsatz.<ref name="NFridmanEtWalterInWalterEtNeumannFridman2004_S527">{{Literatur |Autor=Eva Jane N. Fridman, Mariko Namba Walter |Hrsg=Mariko Namba Walter, Eva Jane Neumann Fridman |Titel=Overview: Eurasia |Sammelwerk=Shamanism: an encyclopedia of world beliefs, practices, and culture |Verlag=ABC-CLIO |Ort=Santa Barbara, Denver und Oxford |Datum=2004 |ISBN=1-57607-645-8 |Seiten=523–528 |Fundstelle=hier S. 527 |Umfang=i–xxxi, 1–1055}}</ref> Bei den Uiguren dienen die Geisterheiler oder Schamanen somit lediglich als eine praktische Institution im lokalen Islam. Sie bieten dem einzelnen Ratsuchenden die Möglichkeit, sich in einer konkreten Situation aus dem Angebot der „heterodoxen“ Dienstleistungen zu bedienen, die somit für ihn eine wichtige Ergänzung zum Angebot des örtlichen Imams darstellen, falls dieser die entsprechenden Techniken nicht selbst anbietet.<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP">{{Internetquelle |autor=Paula Schrode |url=http://www.tethys.caoss.org/islam-und-religiose-praxis-in-ostturkestan/ |titel=Islam und religiöse Praxis in Ostturkestan |hrsg=tethys.caoss.org (Tehtys – Central Asia Everyday) |datum=2008-04-12 |abruf=2020-05-26}}</ref>

==== Unterdrückung und Sinisierung religiöser Ausdrucksformen seit 2017 ====
{{Siehe auch|Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014#Einschränkung des religiösen Lebens |titel1=Abschnitt „Einschränkung des religiösen Lebens“ in der Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Unkenntlich gemachte Moschee-Abbildungen (Turpan, 2018)
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 | Bild1       = Turpan covered up Islamic imagery 2.jpg
 | Untertitel1 = Rot übermalt, mit roter-Plakette
 | Bild2       = Turpan covered up Islamic imagery 6.jpg
 | Untertitel2 = Weiß übermalt, mit roter-Plakette
 | Bild3       = Turpan covered up Islamic imagery 4.jpg
 | Untertitel3 = Überklebt, mit roter-Plakette
 | Bild4       = Turpan covered up Islamic imagery.jpg
 | Untertitel4 = Rot übersprüht und überklebt
 | Fußzeile    = Über den Türen vieler Haushalte in diesem überwiegend uigurisch bewohnten Viertel befinden sich unkenntlich gemachte Bilder von Moscheen.<br />
An vielen Häusern und Schaufenstern Turpans war 2018 eine von der Regierung ausgestellte rote Plakette mit der Aufschrift 平安家庭 („friedlicher Haushalt“) angebracht.<ref name="palladiummag-com_2018-11-29_WIX">{{Internetquelle |autor=Vadim Mikhailov |url=https://palladiummag.com/2018/11/29/a-week-in-xinjiangs-absolute-surveillance-state/ |titel=A Week in Xinjiang’s Absolute Surveillance State |werk=palladiummag.com |datum=2018-11-29 |abruf=2021-01-11 |sprache=en}} Beim Namen des Autors handelt es sich laut Artikel zum Schutz seiner Identität um ein Pseudonym.</ref> Die drei ersten Fotos zeigen im Eingangsbereich die rote Plakette mit der Aufschrift 平安家庭 (und teils mit 社会稳定 und 长治久安)
}}
Seit 2017 hat der chinesische Staat mit der systematischen Einschränkung persönlicher Ausdrucksformen islamischer Kultur und islamischen Glaubens in Xinjiang begonnen.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /> 2019 erklärte Shorat Zakir als Gouverneur Xinjiangs gegenüber der internationalen Presse, China werde auch weiterhin am „sehr erfolgreichen Programm der De-Radikalisierung“ in Xinjiang festhalten.<ref name="dw-com_20190108_CWM">{{Internetquelle |autor=William Yang (aus Taipeh) |url=https://www.dw.com/de/china-will-muslime-auf-linie-bringen/a-46998765?maca=de-VEU_Focus-Artikel_DE_Welt-28577-xml-media |titel=Religion in China: China will Muslime auf Linie bringen |titelerg=China gibt sich offen und tut so, als hätte es in der vom Islam geprägten Region Xinjiang nichts zu verbergen. Gleichzeitig sollen die geschätzt 23 Millionen Muslime in China möglichst folgsame Parteichinesen werden |datum=2019-01-08 |abruf=2021-01-14}}</ref> Im Zuge der offiziellen Einführung und des Ausbaus des Systems der „Berufsbildungszentren“ (''zhiye jineng jiaoyu peixun zhongxin'' 職業 技能 教育 培訓 中心) in Xinjiang, das Anfang 2017 intensiviert wurde und in der Öffentlichkeit als Kampagne der „Umerziehung“ (''zai jiaoyu'' 再教育) der Uiguren bezeichnet wird, wurde das [[Chinesisches Neujahrsfest|chinesische Mond-Neujahr]] zum größten kulturellen Jahresereignis der Uiguren. Indem über 1,1 Million vorwiegend han-chinesische Staatsangestellte in den uigurischen Dörfern stationiert und bis zu eine Million Uiguren und andere turkstämmige Muslime inhaftiert wurden, ersetzte das chinesische Neujahrsfest zusammen mit anderen chinesischen Festen wie dem [[Drachenbootfest]] die traditionellen heiligen Feiertage der Uiguren, [[Islamisches Opferfest|Eid al-Adha]] (''qurban heyt'') und [[Fest des Fastenbrechens|Eid al-Fitr]] (''roza heyt''), die stattdessen – ebenso wie das traditionelle uigurische Frühlingsfest [[Nouruz|Nawruz]] – den Uiguren verboten und als Anzeichen für „religiösen Extremismus“ stigmatisiert wurden.<ref name="AndersonEtByler2019_ChinaPerspectives_2019-3_17-26">{{Literatur |Autor=Amy Anderson, Darren Byler |Hrsg=Centre d'étude français sur la Chine contemporaine |Titel=“Eating Hanness”: Uyghur Musical Tradition in a Time of Re-education |Sammelwerk=China Perspectives |Nummer=2019/3 |Datum=2019 |ISSN=2070-3449 |Seiten=17–26 |DOI=10.4000/chinaperspectives.9358}} Online verfügbar seit: 1. September 2019, {{ISSN|1996-4617}}.</ref> Selbst an und in Moscheen wurden überdimensionale rote Banner mit Regierungspropaganda wie dem politischen Slogan „爱党 爱国“ (dt.: „Liebe die Partei, liebe das Land“) angebracht.<ref name="SmithFinley_CAS_38_1_2019_p1–26" /><ref name="Smith-Finley_In_chinafile-com_2018-12-28_NWD" /><ref name="deutschlandfunkkultur-de_20190420_KIH">{{Internetquelle |url=https://www.deutschlandfunkkultur.de/chinas-krieg-gegen-die-uiguren-kuenstliche-intelligenz-als.1264.de.html?dram:article_id=446745 |titel=Chinas Krieg gegen die Uiguren: Künstliche Intelligenz als Herrschaftsinstrument |titelerg=Axel Dorloff im Gespräch mit Vera Linß und Martin Böttcher |werk=deutschlandfunkkultur.de |datum=2019-04-20 |abruf=2021-01-14}}</ref><ref name="hrw-org_2019-02-25_CTM">{{Internetquelle |autor=Farida Deif |url=https://www.hrw.org/news/2019/02/25/chinas-treatment-muslims-defining-moment-organization-islamic-cooperation |titel=China’s Treatment of Muslims a Defining Moment for the Organization of Islamic Cooperation |werk=hrw.org |datum=2019-02-25 |abruf=2020-11-23}}</ref><ref name="dw-com-zh_20190415_a-48333320">{{Internetquelle |autor=达扬（摘编） |url=https://www.dw.com/zh/德语媒体消失的清真寺/a-48333320 |titel=德语媒体：消失的清真寺 |titelerg=中国在新疆开设所谓“再教育营”，关押上百万维吾尔人的做法，一直遭到人权组织和西方国家的谴责。近来有活跃人士指出，新疆一些历史悠久的清真寺也遭到破坏 |werk=dw.com |datum=2019-04-15 |abruf=2021-01-14}}</ref><ref name="taiwandaily-net_20200925_Kashgar2018-09">{{Internetquelle |url=https://www.taiwandaily.net/文革以來最慘-新疆1-6萬清真寺遭毀/ |titel=文革以來最慘 新疆1.6萬清真寺遭毀 |werk=taiwandaily.net |datum=2020-09-25 |abruf=2021-01-14}}</ref>

Seit dieser Zeit rückten die staatlichen Behörden in Xinjiang die Bedeutung „anti-terroristischer“ (''fankong'' 反恐) und „entextremisierter“ (''qujiduanhua'' 去極端化) Kulturarbeit in den Vordergrund, die als „Aufrechterhaltung der Stabilität“ (''weiwen'' 維穩) bekannt ist und „Präventivmaßnahmen gegen Terrorismus“ (''yufangxing fankong'' 預防性反恐) beinhaltet. In diesem Zusammenhang errichteten die Regionalbehörden ein alle Uiguren und anderen turkstämmigen Muslime Nordwestchinas betreffendes System von außergerichtlichen Internierungen und Zwangserziehungs-Programmen, das darauf abzielt ihre islamischen „Tumore auszurotten“ und ihre „Herzen und Gedanken zu waschen“, um sie mit han-chinesischen Kulturwerten und chinesischen politischen Überzeugungen zu ersetzen.<ref name="AndersonEtByler2019_ChinaPerspectives_2019-3_17-26" /> Die Kampagne gegen religiösen Extremismus in Xinjiang richtet sich in der Praxis jedoch nicht gegen eine für Radikalisierung und gewalttätige Aktionen anfällige Minderheit, sondern pauschal gegen alle Ausdrucksformen des islamischen Glaubens.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Gleichzeitig wurde laut dem englischsprachigen KPCh-Organ [[Global Times]] ein [[Fünfjahresplan]] erstellt und Anfang Januar 2019 mit Islam-Vertretern aus acht Provinzen und Regionen auf einer Arbeitssitzung in Peking mit dem Ziel besprochen, die sogenannte „Sinisierung des Islams“ in China voranzutreiben. Nach Ansicht verschiedener Fachleute wie dem Experten für chinesische Minderheitenpolitik, David Stroup ([[Universität von Oklahoma]]) oder dem Historiker Haiyun Ma ([[Frostburg State University]] in [[Maryland]]) bildet die Beseitigung ausländischen Einflusses das Hauptmotiv für den Fünfjahresplan zur „Sinisierung des Islams“. Arabische Einflüsse sollen laut Ma aus dem Leben der Muslime in China ausgemerzt und ihre kulturellen Verbindungen zu islamischen Ländern auf ein Minimum reduziert oder ganz unterbrochen werden, um die muslimische Bevölkerung unter dem Vorwand der Globalisierung zu isolieren. Im November 2018 berichtete die Global Times, dass die Erfahrungen aus dem Vorgehen in Xinjiang auch in anderen Regionen mit nennenswertem muslimischem Bevölkerungsanteil angewandt werden sollen.<ref name="dw-com_20190108_CWM" />

=== Mündliche Überlieferung und Literatur ===
==== Interaktion zwischen mündlicher und schriftlicher Überlieferung ====
Anhand des Beispiels der [[Epos|epischen Dichtung]] der Uiguren lässt sich zeigen, dass bei den Uiguren eine Wechselbeziehung zwischen [[Mündliche Überlieferung|oraler]] und [[Schriftliche Überlieferung|literarischer]] Überlieferung besteht.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" /><ref name="DawutEtAndersonInLexinEtAl2016_Kap24_406–420" /> Der Umstand, dass die Uiguren das sprachliche und literarische Erbe der [[Tschagataische Sprache|tschagataischen Sprache]] fortführen, macht die Tatsache verständlich, dass auch in der mündlichen epischen Überlieferung der Uiguren [[Alphabetisierung (Lesefähigkeit)|Alphabetisierung]] und schriftliche Literatur eine bedeutende Rolle gespielt haben. Zahlreiche Erzählungen sind von der mündlichen zur schriftlichen Form übergegangen und umgekehrt. Eine große Anzahl von Volksepen<!-- der Ausdruck "Volksepen" wurde hier mit Unsicherheit für "popular epics" (Quelle) verwendet --> und Romanzen<!-- der Ausdruck "Romanzen" wurde hier mit Unsicherheit für "romances" (Quelle) verwendet --> fanden Niederschrift oder Übertragung in [[Manuskript|handschriftliche]] oder [[Buchdruck|gedruckte]] Form und beeinflussten selbst wiederum mündlich übermittelte Versionen.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" />

In dieser kulturellen Region, die seit Jahrhunderten mit dem hohen Literaturstand sowohl in tschagataiischer als auch in persischer Sprache in Kontakt stand, standen schriftliche und mündliche Überlieferung, das Auswendiglernen fester Textformen und die Kunst des [[Freestyle]]s (im Sinne von „Composition in Performance“) in enger Verbindung miteinander.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" /> So hatten etwa improvisierende Live-Aufführungen hatten einen außerordentlich großen Einfluss auf verschiedene literarische Formen wie beispielsweise niedergeschriebene ''dastan''-Erzählungen. Viele Schriftsteller und Dichter haben [[Inspiration]]en aus Themen und [[Bildsprache (Literatur)|Bildsprache]] der Volksepen gewonnen. Gleichzeitig beeinflusste und beeinflusst aber auch die schriftliche in umgekehrter Richtung die mündliche Überlieferung, so dass eine [[Reziprozität (Soziologie)|reziproken]] Beziehung zwischen oraler und literarischer Tradition besteht.<ref name="DawutEtAndersonInLexinEtAl2016_Kap24_406–420" /> Die mündliche epische Dichtung der Uiguren unterscheidet sich in dieser Hinsicht deutlich von der solcher turksprachigen Völker, deren traditionelle Kultur eher nomadisch als urban geprägt war oder ist.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" />

==== Mündliche Überlieferung ====
[[Datei:Kyrgyz Manaschi, Karakol.jpg|mini|''manastschi'' in [[Karakol]], der den [[Manas (Epos)|Manas]]-Epos vom Kampf gegen die Uiguren erzählen kann (2002).<br />Die ''dastan'' genannten „[[epos]]&shy;ähnlichen“ Erzählungen sind außer bei den Uiguren auch bei anderen Turkvölkern verbreitet<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" />]]
Die wichtigsten [[Genre]]s der in den letzten 200 Jahren aufgezeichneten uigurischen [[Mündliche Überlieferung|oralen]] [[Folklore]] waren:<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* [[Volksmärchen]] (bekannt als ''čöčäk'')<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* [[Volkslied]]er mit [[Vierzeiler|Quatrain]]-[[Strophe]]n (bekannt als ''qoshaq'')<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* [[Sprichwort|Sprichwörter]] (''maqaltämsil'')<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* [[Humor|humorvolle]] [[Anekdote]]n (''lätipä'')<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

Die Sprichwörter, Märchen und meisten ''qoshaq'' fanden allein über mündliche Überlieferung Verbreitung. Zu den humorvollen [[Erzählung]]en gehören dagegen neben den lokalen mündlich-überlieferten Erzählungen über und von historischen Persönlichkeiten auch die internationalen Geschichten von [[Nasreddin|Nasreddin Effendi]] (''Näsirdin Äpändi''), die sowohl mündlich als auch schriftlich zirkulierten. In diesem Zeitraum der letzten 200 Jahre entnahmen viele Sänger einige ihrer ''qoshaq''-, ''[[Ghasel|ghazal]]''- (eine [[Sonett|sonettartige]] Textform) und ''[[Dastan (Erzählung)|dastan]]''-Gedichte schriftlichen Quellen.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Morgenländische Geschichtssammlungen als ''dastan''-Quelle
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 | Bild1       = One Thousand and One Nights17 (cropped).jpg
 | Untertitel1 = [[Scheherazade]] und der Sultan aus der Rahmenhandlung von [[Tausendundeine Nacht]], illustriert von [[Sani ol molk]] (19. Jh.)
 | Bild2       = Anonymous - Page from Tales of a Parrot (Tuti-nama), Eleventh night, The parrot addresses Khujasta at the beginning of the eleventh night - 1962.279.87.a - Cleveland Museum of Art.tiff
 | Untertitel2 = Der Papagei und Khujasta aus der Rahmenhandlung von [[Papageienbuch|Tuti Nameh]], Manuskript (16. Jh.)
 | Fußzeile    = Viele uigurische ''dastan'' (Liebes- und Abenteuergeschichten) wurden von Handlungen und Motiven aus den orientalischen Geschichtensammlungen wie [[Tausendundeine Nacht]] oder [[Papageienbuch]] angeregt<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" />
}}
Der aus dem Persischen stammende Begriff ''dastan'' (mit der Grundbedeutung: „Geschichte“) wird von den Uiguren wie von einer Reihe anderer turksprachiger Völker über Zentralasien hinaus zur Bezeichnung einer „[[epos]]-ähnlichen“ Erzählung verwendet. Vorgetragen werden sie von einer Art uigurischer „Geschichtensänger“, die heute in der Regel ''dastanchi'' genannt werden. Es existieren zwei Einschränkunegn für die Bezeichnung „Epos“ auf uigurische ''dastan'':<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" /> Zum Ersten besteht die überwiegende Mehrheit der uigurischen ''dastan'' aus einer Mischung, die sich sowohl aus [[Vers]] ([[Poesie]]) als auch aus [[Prosa]] zusammensetzt.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" /><ref name="DawutEtAndersonInLexinEtAl2016_Kap24_406–420">{{Literatur |Autor=Rahile Dawut, Elise Anderson |Hrsg=Theodore Levin, Saida Daukeyeva, Elmira Köchümkulova |Titel=Chapter 24: ''Dastan'' Performance among the Uyghurs |Sammelwerk=The Music of Central Asia |Verlag=Indiana University Press |Ort=Bloomington & Indianapolis |Datum=2016 |ISBN=978-0-253-01751-2 |Seiten=406–420 |Sprache=en}}</ref> Der auffälligste Unterschied zwischen Prosa und Poesie besteht darin, dass die Prosa gesprochen wird, während die Verse gesungen werden,<ref name="DawutEtAndersonInLexinEtAl2016_Kap24_406–420" /><ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" /> was sowohl für die [[Prosimetrum|prosimetrischen]] Epen und ''dastan'', als auch für andere turksprachige mündliche Überlieferungen in Zentralasien und im Nahen Osten typisch ist.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" />

Diese [[Prosimetrum|prosimetrische]] Erzählung ist in der [[Weltliteratur]] weit verbreitet. Der Prototyp des Epos im [[Westliche Welt|westlichen]] [[Kanon der Literatur|Kanon]] ist jedoch durch die [[homer]]ischen Gedichte definierbar, bei denen es sich um lange Erzählungen in Versform handelt. Da in der turksprachigen mündlichen Überlieferung ein- und dieselbe heroische Erzählung sowohl in Versform vorliegen kann, als auch im Prosimetrum, ohne dass die beiden Varianten dabei in Inhalt, Stil und Konzeption voneinander abweichen, ist es jedoch konsequent, den [[Genre#Genres der Literatur|Genrebegriff]] „Epos“ nicht auf die Variante in Versform zu beschränken, sondern auch für die prosimetrische Variante anzuwenden. Zum Zweiten unterscheiden sich die uigurischen ''dastan'' von den [[Homerische Epen|homerischen Epen]], die in einer Welt der Vergangenheit spielen und die Tapferkeit und Taten von [[Held]]en in den Vordergrund rücken, auch dadurch, dass es sich bei vielen ''dastan'' eher um Liebes- und Abenteuergeschichten als um Heldenerzählungen handelt. Viele Handlungen und Motive dieser Erzählungen stammen aus dem Pool [[orient]]alischer (oder: „[[Morgenland|morgenländischer]]“) Geschichten, die beispielsweise über Geschichtensammlungen wie [[Tausendundeine Nacht]] oder das [[Papageienbuch|Tuti Nameh]] („Papageienbuch“) Verbreitung fanden. Die in Versform verfassten Anteile dieser Liebes- und Abenteuer-''dastan'' sind in der Regel [[Monolog]]e oder [[Dialog]]e, in denen die [[Protagonist]]en ihre [[Emotion|Gefühle]] ausdrücken. Sowohl in ihren Handlungen und Motive als auch in ihren Stil weisen diese ''dastan'' zahlreiche Ähnlichkeiten mit dem Genre auf, das in der mittelalterlichen Literatur in der Regel als „[[Höfischer Roman|Roman]]“ bezeichnet wird.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" />

Fachleute der Region unterscheiden zwischen heroischen ''dastan'' (''qährimanliq dastanliri'', zum Beispiel ''Chin Tömür Batur '' und ''Yüsüp-Ähmäd''<ref group="A" name="Yüsüp-Ähmäd">Eine von Rahilä Dawut und Mutallip Iqbal 2010 in Hotan gefilmte Performance der Einleitung von ''Yüsüp-Ähmäd'' durch Turdimämät Nasir kann auf der Internetseite ({{Internetquelle |titel=Audio & Video Tracks: CHAPTER 24: Dastan Performance among the Uyghurs |url=https://www.musicofcentralasia.org/Tracks/Chapter/24 |abruf=2021-06-17 |abruf-verborgen=1}}) zu einem Buchkapitel ({{Literatur |Autor=Rahile Dawut, Elise Anderson |Hrsg=Theodore Levin, Saida Daukeyeva, Elmira Köchümkulova |Titel=Chapter 24: ''Dastan'' Performance among the Uyghurs |Sammelwerk=The Music of Central Asia |Verlag=Indiana University Press |Ort=Bloomington & Indianapolis |Datum=2016 |ISBN=978-0-253-01751-2 |Seiten=406–420}}) eines Werks von Dawut und Anderson (2016) frei abgespielt werden. Die Aufnahmen auf dieser Internetseite wurden von Dawut und ihrem Team bei zeitgenössischen Schrein-Festivals im südlichen Xinjiang aufgenommen und sind Beispiele für die oftmals hochmusikalischen, mündlich aufgeführten Texte über das Leben der Sufi-Heiligen, die sich die Pilger an den Schreinen in Lesungen anhören oder die sie in Form von ''tazkira''-Manuskript-Kopien erwerben. Das in der literarischen Tradition der persisch geprägten Gesellschaften bekannte Genre ''tazkira'' (oder ''tazkirah'') umfasst die Aussprüche, Schriften und Biographien muslimischer Heiliger und Dichter. Es ist auch aus der zentralasiatischen literarischen Tradition von [[Tschagataische Sprache|Tschagatai]] bekannt und stellt ein gemeinsames Erbe aller zentralasiatischen türkischen Muslime dar, einschließlich der muslimischen Bevölkerung Xinjiangs. (Quellen: {{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Titel=Silk Road Connectivities and the Construction of Local History in Eastern Xinjiang |Sammelwerk=Comparativ – Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung |Band=28 |Nummer=4 |Jahr=2018 | Seiten=93-119}}) Und: {{Literatur |Hrsg=Rachel Harris |Titel=Soundscapes of Uyghur Islam |Reihe=Framing The Global |HrsgReihe=Hilary E. Kahn, Deborah Piston-Hatlen |Verlag=Indiana University Press |Ort=Bloomington, Indiana |Datum=2020 |ISBN=9780253050182 |Umfang=i–xi, 1–249 |Fundstelle=hier S. 87, 100, Fußnote 13}}</ref>), Liebes-''dastan'' (''muhäbbät dastanliri''), religiösen ''dastan'' (''diniy dastanlar'') und historischen ''dastan'' (''tarixiy dastanlar'', zum Beispiel ''Seyit Nochi'' und ''Yachibäg''). Die heutige Verbreitung als mündlich vorgetragene Erzählungen ist nur schwer zu bemessen. Viele ''dastanchi'' tragen religiöse ''dastan'' vor, insbesondere bei ''mazar''-Festen, die zu Ehren von Heiligen an ihren Grabstätten abgehalten werden. Der politische Druck durch die chinesische Regierung hat jedoch dazu sowohl auf die Ausrichtung von ''mazar''-Festivals als auch auf das Vortragen religiöser ''dastan'' abschreckende oder sogar unterdrückende Wirkung entfaltet. Eine große Anzahl dieser religiösen ''dastan'' ist – meist in schriftlicher Form – auch in anderen Überlieferungen als der uigurischen nachweisbar.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" /> So sind die von [[Wilhelm Radloff]] in Kasachstan gesammelten „Büchergesänge“ ''Kiyiknamä'' („Der Hirsch“), ''Qiyamätnamä'' („Das Ende der Welt“) und ''Imam Hüseyning shehitnamisi'' („Imam Husseins Märtyrertum“) auch aus im Repertoire der uigurischen ''dastanchi'' enthalten.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63_">{{Literatur |Autor=Karl Reichl |Titel=Oral Epics Along the Silk Road: The Turkic Traditions of Xinjiang |Sammelwerk=CHINOPERL |Band=38 |Nummer=1 |Datum=2019 |ISSN=0193-7774 |Seiten=45–63 |DOI=10.1080/01937774.2019.1633161}} Dort mit Verweis auf: Wilhelm Radloff, ''Proben der Volkslitteratur der türkischen Stämme Süd-Sibiriens. III. Kirgisische [= Kasachische] Mundarten'', St. Petersburg, Akademia Nauk 1870, S. 665–766 (Textband), 751–856 (Übersetzungsband).</ref>

Für das südliche Xinjiang ist belegt, dass zahlreiche ''dastanchi'' Epen wie ''Abdurakhman Pasha'' aus schriftlichen Versionen gelernt, die Sprache und den Inhalt im Laufe ihrer eigenen Aufführungen aber leicht verändert haben, während im Gegenzug zeitgenössische mündliche Vorführungen oftmals in die Schriftform übergehen, indem Wissenschaftler sie [[Tonaufnahme|aufzeichnen]], [[Transkription (Linguistik)|transkribieren]], [[Übersetzung (Linguistik)|übersetzen]] und weiter verbreiten. Einige ''dastanchi'' erlangten behördliche Anerkennung. So wurde der aus [[Karakax]] stammende Shamämät Pasar'akhun (1912–2009) als repräsentativer Erbe der ''dastan''-Tradition im März 2008 auf der Liste zum Schutz der immateriellen Kultur der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang und im Juni 2009 auch auf der Nationalen Liste zum Schutz der immateriellen Kultur der Volksrepublik China anerkannt. Ein weiteres Beispiel ist der 1955 in Karax geborene Ubulhäsän Muhämmät, der im März 2008 als repräsentativer Erbe der ''dastan''-Tradition auf der Liste zum Schutz der immateriellen Kultur der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang und 2013 auf der nationalen Liste anerkannt wurde.<ref name="DawutEtAndersonInLexinEtAl2016_Kap24_406–420" />

Weitere Genres der uigurische Folklore sind [[Rätsel]] (''tepishmaq'') und weniger verbreitete Erzählformen, die als ''rivayät'' (Legende), ''hikayät'' (Anekdote oder Geschichte), ''äpsanä'' (Mythos oder Legende) oder ''qissä'' (längere Geschichte) geführt und nicht mit dem spezifischeren ''čöčäk''-Genre zusammengefasst werden.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

==== Schriftliche Überlieferung (Literatur) ====
Die uigurische Literatur befasste sich im Laufe ihrer Geschichte vorwiegend mit religiösen Themen, angefangen von der Zeit ihrer Bekehrung zum Manichäismus, über das nestorianische Christentum und dann den Buddhismus bis hin zum Islam.<ref name="West2009_EPAO_p853" /> Die Uiguren verfügen über eine umfangreiche literarische Hinterlassenschaft. Erhalten sind neben einzelnen christlichen Zeugnissen wie etwa Fragmenten der Georgspassion in erster Linie manichäische und buddhistische Texte. Beim buddhistischen Schrifttum handelt es sich in der Regel um Übersetzungsschriften aus ganz unterschiedlichen Sprachen wie dem [[Tocharische Sprachen|Tocharischen]] oder dem [[Tibetische Sprache|Tibetischen]].<ref name="Kollmar-Paulenz_RPP_Uighurs_RGG_Uighuren">{{Literatur |Autor=Karénina Kollmar-Paulenz |Titel=Uighurs |Hrsg=Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski, Eberhard Jüngel |Sammelwerk=Religion Past and Present |Verlag=Brill |Datum= |Sprache=en |DOI=10.1163/1877-5888_rpp_SIM_125210}} Erste Online-Veröffentlichung: 2011, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-14666-2, 2006–2013. Abgerufen am 18. Juni 2020. Deutschsprachige Fassung: {{Literatur |Autor=Karénina Kollmar-Paulenz |Titel=Uighuren |Hrsg=Hans Dieter Betz et al. |Sammelwerk=Religion in Geschichte und Gegenwart |Verlag=Brill |Datum= |DOI=10.1163/2405-8262_rgg4_SIM_125210}} Abgerufen am 18. Juni 2020.</ref>

Neben der religionsbezogenen Literatur existieren aus den Überlieferungen der uigurischen Gelehrten seit rund 1000 Jahren aber auch [[Volksmärchen]], uigurische [[Legende]]n und historische Abhandlungen.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

Im Prozess der Sesshaftwerdung in Ostturkestan ab dem 9. Jahrhundert übernahmen und evolvierten die Uiguren, deren ursprüngliche Lebensweise im Nomadentum sich nun bedeutend geändert hatte, bemerkenswert schnell und umfangreich die bereits in der Region bestehenden kulturellen Traditionen. Im Verein mit der weiteren Verbreitung des Buddhismus entfaltete sich ihr künstlerisches und literarisches Schaffen.<ref name="Zieme7975_AF_3_JG_109-143" />
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Alishir Nawa'i und „Laila and Majnun“ als eines seiner Werke
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 | Bild1       = File-0111Navoii.jpeg
 | Untertitel1 = [[Mir ʿAli Schir Nawāʾi|Alishir Nawa'i]] auf einer etwa aus dem Jahr 1500 stammenden Miniatur
 | Bild2       = Laila and Majnun at School.jpg
 | Untertitel2 = Seite eines Manuskripts von [[Nezami|Niẓāmīs]] „Laila and Majnun“ von 1432 aus [[Herat]], das Laila and „Majnun“ in der Schule zeigt
 | Fußzeile    = Der 1441 in Herat (heutiges Afghanistan) geborene Alishir Nawa'i schrieb sein romantisches „Laila and Majnun“-[[Masnawī]] nach dem Vorbild der gleichnamigen Masnawīs von Niẓāmī und von [[Amir Chusrau|Amīr K̲h̲usraw]].<ref name="Subtelny_EoI_SE_OL_mir-ali-shir-nawai" /><ref name="Subtelny_THREE_ali-shir-navai-COM_23837" />
}}
Nach dem 14. Jahrhundert begann für die uigurische Literatur mit der Entwicklung der [[Tschagataische Sprache|Tschagatai-Sprache]] und der schrittweisen Schaffung der Tschagatai-Literatur eine neue Ära, deren bedeutendste Dichter Altay, [[Sakkākī|Sekkaki]] und [[Lutfī|Lutfi]] waren.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p45" /> Insbesondere Lutfi, der neben einer großen Anzahl von Kurzgedichten auch das Langgedicht ''[[Gul u Nawrūz|Gül We Newruz]]'' schrieb, blieb späteren Generationen als größter ''[[Ghasel|ghazal]]''-Meister vor [[Mir ʿAli Schir Nawāʾi|Alishir Nawa'i]] bekannt.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p45" /><ref name="Birnbaum_EoI_SE_OL_Lutfi">{{Internetquelle |autor=E. Birnbaum |url=https://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/lutfi-COM_0589 |titel=Luṭfī |werk=Encyclopaedia of Islam, Second Edition |hrsg=P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs |sprache=en |abruf=2020-05-29}} Erste Online-Veröffentlichung: 2012, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-16121-4, 1960–2007. {{DOI|10.1163/1573-3912_islam_COM_0589}}</ref>

Im 15. Jahrhundert brachte die die Uiguren einschließende turkstämmige Bevölkerung den bedeutenden Dichter und Denker Alishir Nawa'i (auch bekannt als: Mīr ʿAlī Shīr) hervor,<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p45" /><ref name="Subtelny_THREE_ali-shir-navai-COM_23837" /> der nicht nur eine wichtige kulturelle und politische Persönlichkeit während der Regierungszeit des letzten großen [[Timuriden]]-Herrschers [[Sulṭān Ḥusayn Bāyqarā]] (reg. 1469–1506) darstellte, sondern auch als herausragender tschagatai-türkischer Poet unter dem [[Pseudonym]] Navāʾī schrieb.<ref name="Subtelny_THREE_ali-shir-navai-COM_23837" /> Heute beanspruchen sowohl die Uiguren als auch die Usbeken, deren einander sehr ähnliche Sprachen beide auf die Tschagataische Sprache zurückgehen, Alishir Nawa'ials, dessen Sprache das Tschagataiische war, als ihren Nationaldichter.<ref name="Reichl2019_CHINOPERL_38_1_45–63" /> ʿAlī Shīr entstammte einer kultivierten, turkstämmigen Familie uigurischer ''bak̲h̲s̲h̲ī'' (oder: turksprachiger Kanzleischreiber<ref group="A" name="bakhshi">Der Ausdruck ''bak̲h̲s̲h̲ī'' bezeichnete unter Mongolen und Uiguren zunächst einen buddhistischen Priester oder Mönch. Später, nach der Konversion [[Ghazan Ilchan|Ghazan Ilchans]] zum Islam und der Zurückdrängung des Buddhismus, bezeichnete er in Zentralasien zunehmend Schreiber, die in uigurischer oder mongolische Sprache schrieben (zunächst in uigurischer Schrift = allgemein ''bitikči''). (Quelle: {{Internetquelle |autor=B. Spuler |url=https://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/bakhshi-SIM_1090 |titel=Bak̲h̲s̲h̲ī |werk=Encyclopaedia of Islam, Second Edition |hrsg=P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. 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Heinrichs |sprache=en |abruf=2020-05-29}} Erste Online-Veröffentlichung: 2012, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-16121-4, 1960–2007. {{DOI|10.1163/1573-3912_islam_SIM_5208}}</ref><ref name="Subtelny_THREE_ali-shir-navai-COM_23837">{{Literatur |Autor=Maria E. Subtelny |Titel=ʿAlī Shīr Navāʾī |Hrsg=Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson |Sammelwerk=Encyclopaedia of Islam, THREE |Verlag=Brill |Datum=2011 |Sprache=en |DOI=10.1163/1573-3912_ei3_COM_23837}} Erste Online-Veröffentlichung: 2011, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-20353-2, 2011, 2011-1. Abgerufen am 29. Mai 2020.</ref> die lange Zeit im Dienst der [[Dynastie|dynastischen]] Familie der Timuriden gestanden hatte.<ref name="Subtelny_THREE_ali-shir-navai-COM_23837" /> Er schrieb mehrere tausend [[Lyrik|lyrische]] Kurzgedichte sowie fünf [[Epik|epische]] Erzählgedichte.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p45" /> Unter letzteren befinden sich auch die beiden heute noch von den Uiguren hochgeschätzten [[Masnawī]]-[[Romanze (Literatur)|Liebesgeschichten]] ''[[Farhād va Shīrīn|Farhad We Sherin]]'' (oder: ''Farhād va Shīrīn''; dt.: „Farhad und Sherin“) und ''[[Madschnūn Lailā|Leyli We Mejnun]]'' (oder: ''Laylī va Majnūn''; dt.: „Leyli und Mejnun“),<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p45">{{Literatur |Autor=Anwar Rahman |Titel=Sinicization Beyond the Great Wall: China's Xinjiang Uighur Autonomous Region |Verlag=Matador (Troubador Publishing) |Ort=Leicester |Datum=2005 |ISBN=1-904744-88-5 |Kapitel=Chapter 4.: Uighurs |Seiten=33–64 |Fundstelle=S. 45}}</ref><ref name="Subtelny_EoI_SE_OL_mir-ali-shir-nawai" /><ref name="Subtelny_EoI_SE_OL_mir-ali-shir-nawai" /> beide jeweils nach dem Vorbild der in etwa gleichnamigen romantischen Masnawī von [[Nezami|Niẓāmī]] und von [[Amir Chusrau|Amīr K̲h̲usraw]].<ref name="Subtelny_EoI_SE_OL_mir-ali-shir-nawai" /><ref name="Subtelny_THREE_ali-shir-navai-COM_23837" /> Nawa'is Werke hatten unschätzbare Auswirkungen auf sämtliche Turkvölker und Turksprachen. Der tiefgreifende Einfluss seines Schaffens erfasste nicht nur spätere zentralasiatische Autoren, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Tschagatai schrieben, sondern auch die Entwicklung der [[Aserbaidschanische Literatur|aserbaidschanischen Literatur]] (insbesondere die Poesie [[Fuzūlī|Fuḍūlīs]]) sowie die der [[Turkmenen (Zentralasien)|turkmenischen]] (Dichter [[Magtymguly Pyragy|Makhdūm Qulī]] im 18. Jh.), uigurischen, tatarischen und [[Türkische Literatur#Osmanische Zeit|osmanisch-türkischen Literatur]].<ref name="Subtelny_EoI_SE_OL_mir-ali-shir-nawai" /><ref name="Subtelny_THREE_ali-shir-navai-COM_23837" />

Im 17. und 18. Jahrhundert belebte eine Gruppe dynamischer Dichter die uigurische Literatur mit ihren Werken neu, als deren berühmteste ''Muhabatnama We Mehnetnama'' (dt. etwa: „Liebe und Bitterkeit verflochten“) von [[Hirkit]], ''Gül We Bulbul'' (dt. „Rose und Nachtigall“) von [[Shah Yari]] und ''Muhabatnama'' (dt. etwa: „Liebesbrief“) von [[Molla Abdureyim]] zu nennen sind.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p45" />

Die uigurische Literatur (in Abgrenzung von der altuigurischen Literatur auch als ''neuuigurische Literatur'' bezeichnet) ist im Westen über nahezu alle literarischen [[Genre]]s hinweg fast unbekannt. Ein wachsendes Interesse an der uigurischen Literatur ist in jüngster Zeit allerdings in der Türkei zu verzeichnen, wo die uigurische Literatur Gegenstand von literarischen, [[Linguistik|linguistischen]] und [[Turkologie|turkologischen]] Forschungsstudien wurde.<ref name="SemetEtWilkens2012_ZDMG_162_1_51-170" />

Neben der [[Dichtung]] stellt vor allem das volkstümliche Lied eine bevorzugte Ausdrucksform uigurischen Kunstschaffens dar. Lieder eignen sich besonders gut für die Vermittlung versteckter oder auch ausdrücklicher politischer Botschaften, da sie sich dem Zugriff der [[Zensur (Informationskontrolle)|Zensur]] weitgehend entziehen.<ref name="SemetEtWilkens2012_ZDMG_162_1_51-170" />

Eine Legende besagt, die heutigen Uiguren seien die Nachkommen einer mystischen Vereinigung zwischen einer [[Hunnen]]prinzessin und einem [[Wolf]].<ref name="West2009_EPAO_p849">{{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=849}}</ref>
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Die Figur des [[Nasreddin|Nasrettin/Afanti]] von Anatolien bis Zentralasien
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 | Bild1       = Harikalar Diyari Nasrettin Hoca 05981 nevit.jpg
 | Untertitel1 = Vergnügungspark in [[Ankara]] (2007)
 | Bild2       = MASamarkandNasreddin.jpg
 | Untertitel2 = Skulptur in [[Samarkand]] (1992)
 | Bild3       = 驴背上的阿凡提.jpg
 | Untertitel3 = Skulptur in [[Kargilik]] (2012)
}}
Die in uigurischen [[Fabel]]n häufig auftauchenden Qadis treten manchmal in Form des auch aus der mündlichen Überlieferung bekannten Volksweisen [[Geschichten von Afanti|Afanti]] (''Näsirdin Äpändi'', ''Nasreddin ependi'') in Erscheinung:<ref name="Erie2016_CAI_p50f" /><ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> Kinderliteratur in Form von Büchern mit traditionellen uigurischen und zentralasiatischen Märchen wie ''Nasreddin Ependi'' ist auch im sinisierten Gebiet Ürümqis erhältlich.<ref name="CabrasEtGuill2017_ChinaPerspectives_2017-4-112_41-48" /> Als ''Ependi'' oder ''Apendi'' (kirgisische Variante) und als ''Apandi'' (Usbekisch), ''Afandi'' oder ''Avanti'' (Neu-Uigurisch) ist in Zentralasien die Figur des „[[Nasreddin|Nasrettin Hoca]]“ bekannt, die als Held von [[Anekdote]]n und [[Witz]]en aus der türkischen Tradition stammt, sich in allen Regionen der osmanischen Herrschaft verbreitet und inzwischen Erzählstoff [[Krimtataren|krimtatarischen]] (''Ahmet Akaj''), usbekischen (''Navoi'') oder kirgisischen (''Aldarkösö'') Ursprungs eingebunden hat. Das moderne chinesische Wort ''Afanti'' („Betrüger“) entstand somit durch uigurische Abwandlung aus dem türkischen ''efendi'' (hier als Ausdruck der respekterweisenden Ansprache),<ref name="Marzolph2012_EOI-II_Nasr-al-Din-Khodja">{{Internetquelle |autor=U. Marzolph |url=https://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/*-SIM_5842 |titel=Naṣr al-Dīn K̲h̲od̲j̲a |werk=Encyclopaedia of Islam, Second Edition |hrsg=P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs |sprache=en |abruf=2020-05-30}} Erste Online-Veröffentlichung: 2012, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-16121-4, 1960–2007. [[doi:10.1163/1573-3912_islam_SIM_5842]].</ref><ref name="Dor2013_EOI THREE_Apendi">{{Literatur |Autor=Rémy Dor |Titel=Apendi |Hrsg=Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson |Sammelwerk=Encyclopaedia of Islam, THREE |Verlag=Brill |Datum=2013 |Sprache=en |DOI=10.1163/1573-3912_ei3_COM_27260}} Erste Online-Veröffentlichung: 2013, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-25269-1, 2013, 2013-4. Abgerufen am 15. Juli 2020.</ref> das in Zentralasien anstelle des in der Türkei oder auch bei den [[Serbokroaten]] und [[Magyaren|Ungarn]] verwendeten religiösen Titels „[[Hodscha|Hoca]]“ gewählt wurde, aus dem durch [[Metathese (Phonetik)|Lautverschiebung]] im Arabischen auch „Joha“ wurde.<ref name="Dor2013_EOI THREE_Apendi" /> Je nach Region unterscheiden sich innerhalb des weiten Verbreitungsgebiets zwar die Details der Umgebung in den Anekdoten, indem beispielsweise der türkische Mantel durch den usbekischen ''[[chapan]]'', das [[Anatolien|anatolische]] Haus durch die kirgisische [[Jurte]] oder der westliche [[Schah|''padişah'']] durch den, oft durch [[Tamerlan]] verkörperten, östlichen „''[[khan]]''“ ersetzt wird. Doch sind die Anekdoten und der Charakter der kleinen, schlauen, auf einem Esel reitenden Figur von Anatolien bis nach Xinjiang annähernd unverändert geblieben, die sich in ihrer Lage zu helfen weiß, aus Situationen Lehren zieht oder sich gegen die Mächtigen stellt und somit ein Modell zum Bestehen einer im Alltag harten Welt bietet.<ref name="Dor2013_EOI THREE_Apendi" />

=== Gesellschafts- und Wirtschaftsformen ===
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 | Bild1       = Teahause (8266389671).jpg
 | Untertitel1 = Ältere uigurische Männer im Teehaus (2005)
 | Bild2       = Serving guests in Turpan.jpg
 | Untertitel2 = Bewirtung von Gästen mit Tee, ''nan''-Brot und ''[[sangza]]'' im Innenhof eines uigurischen Haushalts nahe Turpan (2018)
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Ausstellungen im Karez-Museum in Turpan
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 | Bild1       = Turpan-karez-museo-d01.jpg
 | Untertitel1 = Historisches Bewässerungssystem (''karez'' oder [[Qanat]])
 | Bild2       = 葡萄干是这样弄滴 - panoramio.jpg
 | Untertitel2 = Traubenanbau oder [[Rosinen]]herstellung
 | Bild3       = Turpan-karez-museo-d07.jpg
 | Untertitel3 = Trocknung der Weintrauben
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 | Bild1       = 1965-10 1965年 新疆哈密瓜.jpg
 | Untertitel1 = [[Kumul|Kumul- oder Hami]]-Melonen (1965)
 | Bild2       = China (3998203764).jpg
 | Untertitel2 = [[Wassermelone]]n-Verkäufer, westlich von Turpan, an der Straße nach Ürümqi (2008)
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Baumwoll-Ernte im Tarimbecken ([[China Pictorial]], 1964 und 1965)
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 | Bild1       = 1965-02 1965 新疆维吾尔族和田专区棉花采摘.jpg
 | Untertitel1 = Pflücker in [[Hotan]]
 | Bild2       = 1965-3 1965年 新疆墨玉县棉花.jpg
 | Untertitel2 = Pflücker in [[Karakax]]
 | Bild3       = 1964-01 1964年 塔里木盆地棉花.jpg
 | Untertitel3 = Berg von Baumwolle aus dem Tarimbecken
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Händlerauslagen mit Obst und Schalenobst in Kaxgar (2015)
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 | Bild1       = Kashgar Bazaar (23412139614).jpg
 | Untertitel1 = [[Trockenobst]] und [[Nussfrucht|Nüsse]]
 | Bild2       = Kashgar Bazaar (23957836331).jpg
 | Untertitel2 = [[Granatapfel|Granatäpfel]]
 | Bild3       = Kashgar (23969639021).jpg
 | Untertitel3 = [[Echte Walnuss|Walnüsse]]
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Weinbau in der trockenen Region Xinjiang
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 | Bild1       = Average annual precipitation in China(English).png
 | Untertitel1 = Durchschnittliche Jahresniederschläge
 | Bild2       = China grapevine.png
 | Untertitel2 = [[Weinbau]]gebiete in China
 | Bild3       = Turpan Loulan Wine Industry Co vineyards.jpg
 | Untertitel3 = Traditioneller Weinbau auf einer [[Pergola]] in Turpan
}}
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 | Bild1       = Raisin du Xinjiang.jpg
 | Untertitel1 = Weinrebe in Xinjiang
 | Bild2       = Raisin house.jpg
 | Untertitel2 = [[Chunche]] für [[Rosine]]nproduktion durch Trocknen im Wüstenwind Turpans
 | Bild3       = Raisin house int.jpg
 | Untertitel3 = Trockenhaus in Turpan von innen
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Wollerzeugung- und Verarbeitung in Xinjiang ([[China Pictorial]])
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 | Bild1       = 1963-01 1963年 新疆细毛羊.jpg
 | Untertitel1 = Feinwolliges Schaf (1963)
 | Bild2       = 1964-08 1964年 新疆织毯.jpg
 | Untertitel2 = Teppichherstellung (1964)
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Angebotenes Vieh auf einem Viehmarkt in Kaxgar (2017)
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 | Bild1       = Rows of Sheep (41552421612).jpg
 | Untertitel1 = Schafe
 | Bild2       = Tethered Goats (40890348614).jpg
 | Untertitel2 = Ziegen
 | Bild3       = Yaks For Sale (40879801864).jpg
 | Untertitel3 = [[Yak]]s
}}
Traditionell existiert bei den Uiguren ein auf Uigurisch ''jäma'ät'' (dt. etwa: „Gemeinschaft“) genanntes, [[Hierarchie|hierarchisches]] System, das von angesehenen und frommen älteren Männern dominiert wird und dessen Bezeichnung primär auf die Moscheengemeinschaft hindeutet. Dieses überlappt sich mit geografischen Einheiten – wie dem ''yeza'' (Dorf) oder der ''mähällä'' (Nachbarschaft) – und den engen Netzwerken der Gegenseitigkeit – wie [[Gastfreundschaft]], gemeinsamen Essen, gegenseitige Unterstützung –, die von Frauen mit ihren Nachbarinnen und ihrer Großfamilie aktiv gepflegt werden.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" />

==== Geschichte ====
In historischer Perspektive war der Lebensunterhalt der Uiguren auf die Tierhaltung begründet, und die Uiguren erlangten großes Geschick bei der Aufzucht von Pferden, Schafen und anderem Vieh. Historischen chinesischen Aufzeichnungen zufolge wurde eine enorme Anzahl von Tieren stetig in die [[Zentralchinesische Ebene|chinesische Zentralebene]] getrieben. An einem Tauschhandel, den die Uiguren mit der Tang-Dynastie (618–907 n. Chr.) herstellten, waren mehrere Zehntausend Pferde beteiligt, und jedes Jahr wurden 300.000 bis 500.000 Bolzen Seidenstoff gegen uigurisches Vieh ausgetauscht.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p40">{{Literatur |Autor=Anwar Rahman |Titel=Sinicization Beyond the Great Wall: China's Xinjiang Uighur Autonomous Region |Verlag=Matador (Troubador Publishing) |Ort=Leicester |Datum=2005 |ISBN=1-904744-88-5 |Kapitel=Chapter 4.: Uighurs |Seiten=33–64 |Fundstelle=S. 40}}</ref> Im 8. Jahrhundert gelang den Uiguren als Gegenleistung für ihre Militärhilfe, einen für sie vorteilhaften Tauschhandel mit der geschwächten [[Tang-Dynastie]] (618–907 n. Chr.) zu erwirken, bei dem sie mit erheblichem Profit beispielsweise uigurische Pferde gegen chinesische [[Seide]] eintauschten.<ref name="Golden1992_IHT_p159">{{Literatur |Autor=Peter B. Golden |Titel=An Introduction to the History of the Turkic Peoples: Ethnogenesis and State-Formation in Medieval and Early Modern Eurasia and the Middle East |Reihe=Turcologica |BandReihe=9 |Verlag=Otto Harrassowitz |Ort=Wiesbaden |Datum=1992 |ISBN=3-447-03274-X |ISSN=0177-4743 |Fundstelle=hier S. 159 |Umfang=S. i-xvii, S. 1-483}}</ref><ref name="Brose2017_OREAH_MU8" /><ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p40" /> Ein solcher Tauschhandel betraf jeweils mehrere Zehntausend Pferde neben anderem uigurischen Vieh, das Jahr für Jahr gegen 300.000 bis 500.000 Ballen Seidenstoff eingetauscht wurde.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p40" />

Nahezu unmittelbar, nachdem die Uiguren im 9. Jahrhundert aus der mongolischen Steppe nach Xinjiang geflüchtet waren, begannen sie mit dem Übergang vom [[Nomadismus]] – im Sinne von Wanderweidewirtschaft – als vorherrschender Lebensweise zur sesshaften [[Landwirtschaft]]. Vorherrschend wurde schließlich eine Lebensweise mit der Oase als Zentrum und einem Schwerpunkt auf [[Bewässerungsfeldwirtschaft]] und [[Karawanenhandel]], wenngleich auch einige Uiguren noch über eine gewisse Zeit hinweg Nomaden blieben.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" /> Zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert begannen die Uiguren im Tarimbecken so eine fortgeschrittene Landwirtschaft zu betreiben. In der Folge züchteten sie Weizen, Mais, Gemüse und Obst an. Die von den Uiguren in Turpan gezüchteten [[Wassermelone]]n erlangten große Berühmtheit. Die Felder wurden über große Entfernungen hinweg über ein von den Uiguren gebautes und ''[[Qanat|karez]]'' genanntes Wasserkanalsystem bewässert, das noch heute in Xinjiang verwendet wird.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p40" /> Von den 1.600 ''karez'' Xinjiangs gehören nach chinesischen Angaben 1.100 zum [[Bewässerungssystem von Turpan]] (davon 538 zur Stadt Turpan)<ref name="china-org-cn_2005-07-19_UMP" /><ref name="whc-unesco-org_tentativelists-5347" /> und viele andere zu Kumul.<ref name="china-org-cn_2005-07-19_UMP" /> Sie verwandelten das trockene Turpan-Becken in eine Region des Weintraubenanbaus. So betrug die Weinproduktion im Jahr 2004 trotz geringer Niederschläge (16 mm pro Jahr) 600.000 Tonnen.<ref name="china-org-cn_2005-07-19_UMP">{{Internetquelle |autor=Guo Xiaohong |url=http://www.china.org.cn/english/2005/Jul/135361.htm |titel=US$30 Mln to Protect Karezes |werk=[[China Internet Information Center|china.org.cn]] |datum=2005-07-19 |abruf=2021-01-29}}</ref> 2008 wurde das ''karez''-Bewässerungssystem auf der [[Tentativliste]] der VR China zur Nominierung für das [[UNESCO-Welterbe]] eingetragen.<ref name="whc-unesco-org_tentativelists-5347">{{Internetquelle |url=http://whc.unesco.org/en/tentativelists/5347/ |titel=Karez Wells |titelerg=Ref.: 5347; Date of Submission: 28/03/2008 |werk=whc.unesco.org |abruf=2021-01-29}}</ref>

Neben Baumwolle als einem der wichtigsten lokalen Produkte von kommerziellem Wert besaßen auch Teppiche kommerziellen Wert. Zentren der Teppichanfertigung waten die Städte Hotan, Kaxgar und Turpan.<ref name="Rahman2005_SBGW_Kap4_33–64_p40" />

Die Uiguren blieben nun bis ins 20. Jahrhundert hinein fast sämtlich sesshafte Bauern oder Stadtbewohner, die auf kleinen unabhängigen Bauernhöfen [[Melonen]], [[Baumwolle]], [[Mais]], [[Pfirsiche]], [[Pflaumen]] und [[Weizen]] erzeugten. Alle diese Feldfrüchte waren im chinesischen Tiefland unbekannt. Ein etwas gehobeneres Leben führten Uiguren in der Stadt als Vermieter, Kaufleute, Ladenbesitzer, Karawanenhalter, muslimische Shaiks, Dichter und in vielen anderen Berufen.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" />

Im 20. Jahrhundert erfuhren die uigurischen Gemeinschaften in Xinjiang erhebliche Umbrüche wie Unruhen und Kriege, die Eingliederung in die VR China von 1955, Landreformen, [[Verstaatlichung|Kommunisierung]], der Aufstieg einer gebildeten Mittelschicht, ethnischer Nationalismus und die Wirren der Kulturrevolution.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" />

Die Gründung der VR China und der nach 1951 eingeleitete gesellschaftliche Wandel führten zu einer Umwälzung der althergebrachten Verhältnisse. Die Zunahme von Einfluss und Macht von China in Xinjiang veränderte die traditionelle Lebensweise der uigurischen Bevölkerung stark. Die meisten uigurischen Bauern, die zuvor unabhängig gewesen waren, wurden in [[Volkskommune|Kommunen]] zusammengeschlossen. Mit Programmen zur Wiederaufforstung von Berghängen sollten riesige Flächen für die Bewässerung erschlossen werden, und durch eine stärkere Industrialisierung der Region kam es zu einer Umstrukturierung und Durchmischung der Bevölkerung.<ref name="MosesInWeekes1984_2_Uygur_830-833" />

In den 1980er Jahren erhielten die Bauern wieder eigenes Land, unterlagen aber in vielen Belangen weiterhin den Weisungen des [[Interventionismus|interventionistischen]] Staatsapparats. Dieser gibt beispielsweise die Auswahl der anzubauenden Pflanzen und die Beteiligung an der ''khasha'' ([[Zwangsarbeit|Pflichtarbeit]]) vor.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" />

In den 1990er Jahren fand eine [[Urbanisierung]] und wirtschaftliche Entwicklung in großem Maßstab statt, die einerseits eine massive Einwanderung von Han-chinesischen Migranten und andererseits eine erhebliche Migration von Uiguren vom Land in die Stadt mit sich brachte. Dabei wurden manchmal ganze Lokalgemeinschaften an neue Standorte versetzt, um Entwicklungsprojekte zu erleichtern.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" />

==== Gegenwart ====
Die gesellschaftliche Organisation der Uiguren ist auf das Dorf ausgerichtet. Sie leben vorwiegend als sesshafte Dorfbewohner in einem Oasenverbund, der sich aus den Tälern und unteren Hängen des [[Tien Shan]], [[Pamir (Gebirge)|Pamirs]] und in Beziehung stehend Gebirgssystemen zusammensetzt. Da diese Region zu den [[Arides Klima|trockensten]] der Welt gehört, wenden die Uiguren seit Jahrhunderten ein Bewässerungssystem an und erhalten so die Wasserversorgung für ihre [[Landwirtschaft]].<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /> Wie auch über ihre frühere Geschichte hinweg leben die Uiguren heute in einer Region mit fruchtbaren, [[Sand#Begrifflichkeiten|sandigen Böden]]. Bewässerung findet durch Schnee und Regen in den die Region umgebenden Bergen und durch die Wüstenoasen statt, um die sie ihre kleineren Ortschaften und größeren Städte errichtet haben.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

Ein Großteil der uigurischen Bevölkerung betreibt [[Ackerbau]] und [[Viehzucht]].<ref name="tethys-caoss-org_2008-04-12_IRP" /> Als Hauptnahrungspflanzen ([[Food Crops]]) bauen die Uiguren Weizen, Mais, Kaoliang (eine Form von [[Sorghumhirsen|Sorghum]]) und [[Melone]]n an.<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /><ref name="cfWest2009_EPAO_p853">Cf. {{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Seiten=853}}</ref> Weizen, [[Reis]], Mais, [[Wassermelone]]n, [[Maulbeeren]], [[Birnen]], [[Feigen]], [[Granatäpfel]], [[Echte Walnuss|Walnüsse]] und vor allem [[Weintraube|Trauben]] und Baumwolle gedeihen im Klima Xinjiangs sehr gut.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

Eine der wichtigsten oder die wichtigste [[Industriepflanze]] ([[Cash Crops]]) der Uiguren ist die bereits seit langer Zeit in der Region angebaute Baumwolle.<ref name="West2009_EPAO_p853" /><ref name="britannica-com_2018-08-09_Xinjiang" /> In der [[Turpan-Senke]] und im Tarimbecken werden bedeutende Erträge von Baumwolle mit hoher Stapellänge erzeugt.<ref name="britannica-com_2018-08-09_Xinjiang" /> Aus Xinjiang stammen (Stand: 2020) laut dem [[Center for Strategic and International Studies]] (CSIS) 85 Prozent der chinesischen und 20 Prozent der weltweit produzierten Baumwolle.<ref name="CSIS_Lehr2020-07_CB_AFL">{{Internetquelle |autor=Amy K. Lehr |url=https://www.csis.org/analysis/addressing-forced-labor-xinjiang-uyghur-autonomous-region-toward-shared-agenda |titel=Addressing Forced Labor in the Xinjiang Uyghur Autonomous Region: Toward a Shared Agenda |werk=[[Center for Strategic and International Studies|csis.org]] |datum=2020-07-30 |abruf=2020-12-16}} Gesamter Report veröffentlicht als PDF-Datei: {{Internetquelle |autor=Amy K. Lehr |url=https://csis-website-prod.s3.amazonaws.com/s3fs-public/publication/200730_Lehr_XinjiangUyghurForcedLabor_brief_FINAL_v2.pdf |titel=Addressing Forced Labor in the Xinjiang Uyghur Autonomous Region: Toward a Shared Agenda |werk=[[Center for Strategic and International Studies|csis.org]] |datum=2020-07 |abruf=2020-12-16 |format=PDF}} (CSIS BRIEFS)</ref><ref name="Zenz2020-12_CGP_IB_CLX">{{Internetquelle |autor=Adrian Zenz |url=https://cgpolicy.org/briefs/coercive-labor-in-xinjiang-labor-transfer-and-the-mobilization-of-ethnic-minorities-to-pick-cotton/ |titel=Coercive Labor in Xinjiang: Labor Transfer and the Mobilization of Ethnic Minorities to Pick Cotton |werk=[[Center for Global Policy|cgpolicy.org]] |datum=2020-12-14 |abruf=2020-12-16}} Gesamter Report veröffentlicht als PDF-Datei: {{Internetquelle |autor=Adrian Zenz |url=https://cgpolicy.org/wp-content/uploads/2020/12/20201214-PB-China-Zenz-1-1.pdf |titel=Coercive Labor in Xinjiang: Labor Transfer and the Mobilization of Ethnic Minorities to Pick Cotton |werk=[[Center for Global Policy|cgpolicy.org]] |datum=2020-12 |abruf=2020-12-16 |format=PDF}} (Intelligence Brief)</ref><ref name="stern-de_AFP_2020-12-15_M5U">{{Internetquelle |url=https://www.stern.de/news/bericht--mindestens-570-000-uiguren-in-china-zu-arbeit-auf-baumwollfeldern-gezwungen-9533918.html |titel=Bericht: Mindestens 570.000 Uiguren in China zu Arbeit auf Baumwollfeldern gezwungen |werk=stern.de |datum=2020-12-15 |abruf=2020-12-15}} (AFP)</ref><ref name="sueddeutsche-de_2020-12-15_HUZ">{{Internetquelle |autor=Lea Deuber, Christoph Giesen |url=https://www.sueddeutsche.de/politik/zwangsarbeit-china-uiguren-baumwolle-1.5148052-0#seite-2 |titel=Hunderttausende Uiguren zwangsweise bei Baumwollernte eingesetzt |titelerg=Ein Großteil der chinesischen Baumwolle wird unter Zwang gepflückt, vor allem von Uiguren – dies legen Regierungsdokumente und Berichte staatlicher Medien nahe. Das dürfte auch deutsche Hersteller unter Druck setzen |werk=sueddeutsche.de |datum=2020-12-15 |abruf=2020-12-15}}</ref> 2018 wurden 10 Prozent der chinesischen Exporterlöse durch die Ausfuhr von Rohbaumwolle, Garn, Textilien und Bekleidung erzielt.<ref name="CSIS_Lehr2020-07_CB_AFL" /><ref name="Zenz2020-12_CGP_IB_CLX" /> Trotz zunehmender Mechanisierung des Baumwollpflückens mussten 2019 noch rund 70 Prozent der Baumwollfelder Xinjiangs von Hand gepflückt werden, insbesondere die hochwertige und überwiegend in den uigurischen Regionen im südlichen Xinjiang angebaute Langstapelbaumwolle.<ref name="Zenz2020-12_CGP_IB_CLX" /><ref name="sueddeutsche-de_2020-12-15_HUZ" /> Während die chinesischen Kooperativen wenige Jahre zuvor noch vorwiegend freiwillige han-chinesische [[Saisonarbeit]]er aus westlichen und zentralen Provinzen Chinas zur Baumwollernte in Xinjiang eingesetzt hatten, soll – laut einem [[Center for Global Policy|CGP]]-Bericht des China-Forschers [[Adrian Zenz]] von Dezember 2020 – inzwischen vermutlich ein Großteil der chinesischen Baumwolle vorwiegend von Uiguren und teilweise unter Zwang gepflückt werden. Über ein Drittel der Baumwolle aus Xinjiang wird von dem staatlichen Produzenten [[Xinjiang Produktions- und Aufbau-Korps|Xinjiang Production and Construction Corps]] (XPCC) angebaut, der in der Vergangenheit auch Häftlinge bei der Ernte eingesetzt hat.<ref name="sueddeutsche-de_2020-12-15_HUZ" /> 2018 haben alleine die Präfekturen Aksu und Hotan chinesischen Regierungsdokumenten und Staatsmedien zufolge zusammen 210.000 Arbeiter zum Baumwollpflücken in die Regionen des paramilitärischen XPCC entsandt.<ref name="Zenz2020-12_CGP_IB_CLX" /><ref name="bbc-co-uk_2020-12_CTC">{{Internetquelle |autor=John Sudworth |url=https://www.bbc.co.uk/news/extra/nz0g306v8c/china-tainted-cotton |titel=China’s ‘tainted’ cotton |werk=bbc.co.uk |datum=2020-12 |abruf=2020-12-16}}</ref> Anfang Dezember 2020 hatten die US-Behörden für die Baumwolle und daraus hergestellte Produkte des XPCC ein Importverbot wegen des Verdachts von Zwangsarbeit verhängt, obwohl laut der CGP-Studie rund 80 Prozent der vom XPCC angebauten Baumwolle maschinell gepflückt werden.<ref name="sueddeutsche-de_2020-12-15_HUZ" />

Etwa die Hälfte der gesamten Anbaufläche Xinjiangs erzeugt zudem [[Weizen#Anbau|Winter-]] und [[Weizen#Anbau|Frühlingsweizen]], so dass die Region in Bezug auf die Versorgung mit Brotgetreide autark ist. Mais wird mehr im Süden Xinjiangs als im Norden angebaut.<ref name="britannica-com_2018-08-09_Xinjiang">{{Internetquelle |autor=Victor C. Falkenheim, Chiao-Min Hsieh, The Editors of Encyclopaedia Britannica |url=https://www.britannica.com/place/Xinjiang |titel=Xinjiang |werk=Encyclopædia Britannica |hrsg=Encyclopædia Britannica, inc. |datum=2018-08-09 |abruf=2020-12-14 |sprache=en}}</ref>

Xinjiang gehört außerdem zu einer der wichtigsten Obstregionen Chinas. Die Region ist bekannt für ihre süßen [[Hami-Melonen]] – eine Form von [[Zuckermelone]]n –, kernlosen [[Turpan-Trauben]], [[Korla (Bayingolin)|Korla]]-Birnen und [[Ili-Äpfel]]. Des Weiteren produziert Xinjiang [[Zuckerrübe]]n für die bedeutende [[Zuckerfabrikation]] im Nordwesten Chinas sowie zunehmend im großen Maßstab auch Hopfen und [[Seidenraupe]]n-Kokons für die nationalen Märkte und den Export.<ref name="britannica-com_2018-08-09_Xinjiang" />

[[Wein]] wird in China erst seit den 1980er Jahren in großem Maßstab [[Weinbau|angebaut]] und [[Weinherstellung|hergestellt]] und bis 1990 nur in den Provinzen [[Hebei]], [[Shandong]] und Xinjiang und unter Kontrolle einzelner großer staatlicher Unternehmen produziert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gründete China jedoch spektakulär erfolgreiche [[Joint Venture]]s mit dem Ausland und der Boom im Weinbau soll nach dem Wunsch Chinas im Westen des Landes die vom Wirtschaftswachstum ausgeschlossenen Provinzen wie Xinjiang als „vorrangige Investitionsregionen“ wirtschaftlich entwickeln. Mit dem Weinbau erhoffen sich die örtlichen Behörden eine Begrenzung der [[Landflucht]] und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erreichen. Die Reben wurden in extremsten Umgebungen gepflanzt wie den sehr trockenen Regionen Xinjiangs mit dem als „Ofen“ Chinas bekannten und 150 Meter unter dem Meeresspiegel liegenden Turpan. Gegen die Trockenheit der Wüstenregionen wie Xinjiang wird Bewässerung eingesetzt und die [[Rebe]]n müssen in Xinjiang im Winter unter erheblichen Kosten begraben werden, um Frostschäden zu vermeiden.<ref name="Petric_monde-diplomatique-fr_2014-07">{{Internetquelle |autor=Boris Pétric |url=https://www.monde-diplomatique.fr/2014/07/PETRIC/50619 |titel=Transformer le désert chinois en vigne |titelerg=Après le reflux de la crise financière, les exportations mondiales de vin atteignent de nouveaux sommets. Elles représentaient plus de 22 milliards d’euros en 2012. Le vignoble se réduit en Europe, mais s’étend rapidement en Asie. Les Chinois sont devenus les premiers consommateurs de vin rouge et se révèlent également des producteurs de plus en plus avisés |hrsg=[[Le Monde Diplomatique|monde-diplomatique.fr]] |datum=2014 |abruf=2020-12-15 |sprache=fr}} (Printversion: Juli 2014, S. 17).</ref>

In jüngerer Zeit wird auch wieder vermehrt Viehzucht betrieben, insbesondere nördlich des [[Tian Shan|Tian-Shan]]-Gebirges.<ref name="britannica-com_2018-08-09_Xinjiang" />

Viele Uiguren finden Beschäftigung in der [[Erdölgewinnung]], im [[Bergbau]] und in der [[Verarbeitendes Gewerbe|verarbeitendes Industrie]] der städtischen Zentren.<ref name="britannica-com_2020-02-25_Uighur" /> Zu den seit Alters her fortbestehenden uigurischen Traditionen gehört die Praxis des [[Teppich]]-[[Weben]]s. In den als Zentren der Teppichproduktion geltenden Städte Kaxgar und Turpan wird die feine [[Wolle]] uigurischer [[Hausschaf|Schafe]] zum Weben verwendet.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

=== Ernährung und Küche ===
Das traditionelle uigurische Essen ist für seine Vielfalt bekannt.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" /> Die Zutaten, Gerichte, Zubereitungsmethoden und der Wortschatz in Bezug auf uigurische Lebensmittel verweisen auf eine stattgefundene kulturelle Vermischung. Uigurische Lebensmittel und die damit in Verbindung stehenden sprachlichen Ausdrücke zeigen viele historische Zusammenhänge mit Zentralasien und Indien auf. Sie sind kulturelle und linguistische Belege für die Verbindung der uigurischen Küche sowohl mit den jenseits des [[Pamir (Gebirge)|Pamir]] gelegenen Ländern, als auch darüber hinaus mit der weitergefassten islamischen Welt, in der Persisch als Verkehrssprache fungierte. Die uigurische Theorie und Praxis von [[Halāl]] und [[Harām]] ist in Bezug auf den Islam Teil eines globalen Diskurses und somit ein Merkmal der Universalität.<ref name="Millward2000_IA_2_2_121–135">{{Literatur |Autor=James A. Millward |Titel=Historical Perspectives on Contemporary Xinjiang |Sammelwerk=Inner Asia |Band=2 |Nummer=2 (Special Issue: Xinjiang) |Verlag=Brill |Datum=2000 |Seiten=121–135 |JSTOR=23615553}}</ref>

Gleichzeitig stellt sie in Bezug auf die han-chinesische Kultur einen lokalen Gegensatz dar und ist Schauplatz des ethnischen Widerstands. Andererseits bestehen in der uigurischen Küche naheliegenderweise auch Verbindungen zu China.<ref name="Millward2000_IA_2_2_121–135" />

==== Hauptnahrungsmittel ====
Als [[Grundnahrungsmittel]] der Uiguren können auf Grundlage von Mehl erzeugte Nahrungsmittel sowie Fleisch angesehen werden, die durch große Mengen von Obst ergänzt werden.<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /> Nach anderer Einteilung bilden die Weizenprodukte die Grundnahrungsmittel der Uiguren und werden vor allem durch Fleisch und Obst ergänzt.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

===== Lebensmittel auf Mehlbasis =====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Brot als uigurisches Grundnahrungsmittel in Kaxgar
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 | Bild1       = KashgarNaan.jpg
 | Bild2       = Naan prepared in tandyr oven, Kashgar, Xinjiang.jpg
 | Fußzeile    = Zubereitung von ''[[Naan (Lebensmittel)|nan]]'' (links: 2000; rechts: 2002)
}}
Als Grundnahrungsmittel der uigurischen Ernährung und Küche sind an erster Stelle „Lebensmittel auf Mehl-Grundlage“ (''un tamaq'') zu nennen wie [[Nudel (Lebensmittel)|Nudeln]], [[Knödel]], [[Brot]] (''[[Naan (Lebensmittel)|nan]]'') und Ähnliches.<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" />

In der alltäglichen Nahrungszubereitung kommen verschiedene Getreidesorten zum Einsatz. Dazu zählen [[Weizen]], [[Reis]], [[Mais]] und [[Sorghumhirsen|Sorghum]].<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" /> Die Dominanz von Weizen hat die uigurische Küche mit anderen Regionen in Nordchina gemein, während im Süden Chinas Reis vorherrscht.<ref name="theguardian-com_2022-09-11_EUL" />

Das bei den Uiguren nach wie vor beliebteste Getreide ist der Weizen, dessen Mehl zur Zubereitung von ''nan''-Brot, ''samsa'', ''pitir-manta'', ''manta'', ''chuchure'', ''ugre'', ''halva'', ''huang mian'', ''toksun soman'', ''suyuqax'' und ''umaq'' dient. Reis dient dagegen vorwiegend zur Zubereitung von uigurischem ''polo''.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

* Beim ''nan''-Brot handelt es sich um ein typisch uigurisches Lebensmittel mit 3000-jähriger Geschichte, das heute in über 20 Sorten einen Bestandteil der uigurischen Kultur und zusammen mit [[Milchtee]] verzehrt noch immer ein typisch uigurisches [[Frühstück]] bildet. Die Herstellung und der Verzehr von ''nan''-Brot lassen sich chinesischen Wissenschaftlern zufolge „bis zu den Ursprüngen der uigurischen Kultur“ zurückverfolgen. Ursprünglich verwendeten die Uiguren für dieses Brot den Begriff ''emek'' (vgl. türkisch: ''ekmek''), übernahmen mit dem Einzug des Islam in ihrem Gebiet dann aber das persische Wort ''nan'', das weite Verbreitung in Arabien und Kleinasien erfuhr. Archäologische Funde von ''nan''-Brot in altertümlichen Grabstätten wie etwa im Tarim-Becken deuten darauf hin, dass es bereits vor 1400 Jahren zu den gebräuchlichen Nahrungsmitteln der Region gehörte. Auch schriftlich ist ''nan''-Brot bereits historisch nachgewiesen. So werden in [[Mahmūd al-Kāschgharī]]s [[Mahmūd al-Kāschgharī#Dīwān lughāt at-turk|Dīwān lughāt at-turk]] („Sammlung der Sprachen der Türken“, 11. Jahrhundert) allein 16 Sorten von geröstetem ''nan''-Brot aufgeführt.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768">{{Literatur |Autor=Ayixiamuguli Ayoufu, Degang Yang, Dilshat Yimit |Titel=Uyghur food culture |Sammelwerk=Asia Pacific Journal of Clinical Nutrition |Band=26 |Nummer=5 |Verlag= |Datum=2017 |Seiten=764-768 |ISSN=1440-6047 |DOI=10.6133/apjcn.042016.12}}</ref>

===== Fleisch =====
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 | Kopfzeile   = Fleisch als uigurisches Grundnahrungsmittel in Kaxgar
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 | Bild1       = Fat Tail Sheep carcasses.JPG
 | Untertitel1 = Ein [[Uiguren#gösh kawap|Kebab]]-Verkäufer auf dem Sonntags-Viehmarkt (2009) verwendet Fleisch vom [[Fettschwanzschafe|Fettschwanzschaf]]
 | Bild2       = Kashgar Live Stock Market (24010977136).jpg
 | Untertitel2 = Viehmarkt (2015)
}}
[[Fleisch]] (insbesondere [[Lammfleisch|Lamm- oder Hammelfleisch]]) stellt ein weiteres Grundnahrungsmittel dar<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /> und dominiert die uigurische Ernährung stark.<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11">{{Literatur |Autor=Henry G. Schwarz |Titel=The Minorities of northern China |Reihe=Studies on East Asia |BandReihe=17 |HrsgReihe=Henry G. Schwarz |Verlag=Western Washington University |Ort=[[Bellingham (Washington)|Bellingham, Washington]] |Datum=1984 |ISBN=0-914584-17-0 |Kapitel=Chapter 1: Uigur |Seiten=1–16 |Fundstelle=S. 11 |DOI=10.25710/0wac-7e95 |Umfang=S. i-xiii, 1–309}}</ref>
[[Datei:Dapanji Uyghur Style.jpg|mini|''da panji'']]
Neben Lammfleisch gehört auch Rindfleisch und Hühnerfleisch zu den beliebtesten Fleischsorten der uigurischen Küche, während Taubenfleisch seltener verzehrt wird.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" /> Das Fehlen von Schweinefleisch auf der Speisekarte der uigurischen Küche lässt sich auf die überwiegend muslimische Prägung der uigurischen Kultur zurückführen, während die geringe Rolle von Fisch in der uigurischen Ernährung damit erklärt werden kann, dass die Region Xinjiang als Heimat der Uiguren weit vom Meer entfernt liegt, so dass Rind, Lamm und Huhn als Fleischlieferanten dominieren.<ref name="theguardian-com_2022-09-11_EUL">{{Internetquelle |autor=Jay Rayner |url=https://www.theguardian.com/food/2022/sep/11/jay-rayner-restaurant-review-etles-uyghur-london-you-will-be-very-well-fed |titel=Etles Uyghur, London: ‘You’ll be well fed, and learn a little along the way’ – restaurant review |werk=[[The Guardian|theguardian.com]] |datum=2022-09-11 |abruf=2022-09-11 |sprache=en}}</ref>

Fleisch wird zur Zubereitung verschiedener Gerichte verwendet. Dazu zählen unter anderem Lammbraten, Kebab, Fleischbällchen, Hammelsuppe, gekochtes Hammelfleisch mit Salz, Hammelfleisch mit Nüssen, oder ''[[Dapanji|da panji]]'' (auf einem großen Teller gereichtes, gebratenes Hähnchen mit Kartoffeln).<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

Für Uiguren bildet Fleisch einen wesentlichen und begehrten Bestandteil der täglichen Ernährung. Eine Mahlzeit ohne Fleisch wird bei ihnen als unvollständig und geschmacklich minderwertig angesehen.<ref name="SmithFinley2013_ASR_p93f">{{Literatur |Autor=Joanne N. Smith Finley |Titel=The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur-Han Relations in Contemporary Xinjiang |Reihe=Brill's Inner Asian Library |BandReihe=30 |HrsgReihe=Michael R. Drompp, Devin DeWeese |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2013 |ISBN=978-90-04-25491-6 |Fundstelle=hier S. 93 f. |DOI=10.1163/9789004256781 |Umfang=S. i–xxx, 1-454}}</ref><ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" /> Während Forsyth (1873) für Kaxgar und Vámbéry (1885) für Ostturkestan darauf verwiesen, dass sowohl die Land- wie auch die Stadtbevölkerung angesichts der für alle Bevölkerungsschichten erschwinglichen Verfügbarkeit von Fleisch die Turkvölker Zentralasiens in ihrem Fleisch- und Fischkonsum bei weitem übertraf und darin den Europäern glich,<ref name="Vambery_1885_1970_S338">{{Literatur |Autor=Hermann Vámbéry |Titel=Das Türkenvolk – in seinen ethnologischen und ethnographischen Beziehungen |Verlag=Biblio Verlag |Ort=Osnabrück |Datum=1970 |ISBN=3-7648-0642-7 |Fundstelle=hier S. 338 |Umfang=I-XII, 1-638}} Reprint vom Original aus dem Jahr 1885.</ref><ref name="Forsyth1875_RMY_p92">{{Literatur |Autor=T. D. Forsyth |Titel=Report of a mission to Yarkund, under command of Sir T. D. Forsyth: with historical and geographical information regarding the possessions of the ameer of Yarkund |Verlag=Foreign Department Press |Ort=Kalkutta |Datum=1875 |Fundstelle=hier S. 92 |Umfang=i–iii, 1–573}}</ref> weist Schwarz (1984) darauf hin, dass die Uiguren in ihrem hohen Fleischkonsum den Kasachen und Mongolen ähneln.<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" /> Der tatsächliche [[Fleischkonsum|Konsum von Fleisch]] in Xinjiang variiert jedoch stark je nach Einkommen und ist auch vom Geschlecht abhängig.<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /><ref name="SmithFinley2013_ASR_p93f" /> Die Menge des Fleischverzehrs stellt somit eine wichtige Aussage über die [[Soziale Klasse|sozialen Klasse]] dar, und eine geringe Menge im Haushalt zum Verzehr zubereiteten Fleisches dient der Bevölkerung als negatives Anzeichen für den [[Sozialer Status|sozialen Status]] der Betroffenen.<ref name="SmithFinley2013_ASR_p93f" /> Dies stellt auch einen der Gründe dafür dar, dass uigurische Gastgeber anstreben, ihre Gäste mit einer Auswahl an „prestigeträchtigen Lebensmitteln“, insbesondere Fleischgerichten, zufriedenzustellen.<ref name="SmithFinley2013_ASR_p93f_Beller-Hann2008_p205">{{Literatur |Autor=Joanne N. Smith Finley |Titel=The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur-Han Relations in Contemporary Xinjiang |Reihe=Brill's Inner Asian Library |BandReihe=30 |HrsgReihe=Michael R. Drompp, Devin DeWeese |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2013 |ISBN=978-90-04-25491-6 |Fundstelle=hier S. 93 f. |DOI=10.1163/9789004256781 |Umfang=S. i–xxx, 1-454}} Mit Verweis auf: {{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Titel=Community Matters in Xinjiang, 1880–1949: Towards a Historical Anthropology of the Uyghur |Reihe=China Studies |BandReihe=17 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2008 |ISBN=978-90-04-16675-2 |ISSN=1570-1344 |Seiten=205}}</ref> Zudem existiert laut Smith Finley (2013) unter Uiguren ein [[Stereotyp]], nachdem Han-Chinesen zu Hause selten Fleisch zu sich nehmen, mit der [[Implikation]], dass der leichtere und „weiblichere“ Körperbau von Han-Männern, verglichen mit dem stärkeren, breiteren Körperbau von uigurischen Männern, das Ergebnis von geringerem Fleischkonsums sei.<ref name="SmithFinley2013_ASR_p93f" />

Beim gebratenem Fleisch und Kebap handelt es sich wie beim ''nan''-Brot um ein typisches Lebensmittel der heutigen, durch Trockenheit geprägten Region Xinjiang. Deren Verzehr lässt sich als Bestandteil der uigurischen Esskultur und als typische Speise von nomadisierenden Völkern geschichtlich weit zurückverfolgen und ist beispielsweise archäologisch für den [[Qarqan|Kreis Qiemo]] sowie schriftlich in Mahmūd al-Kāschgharīs „Dīwān lughāt at-turk“ belegt. Aus dem „Dīwān lughāt at-turk“ lassen sich sowohl lexikalische Hinweise auf ein insbesondere für gebratenes Fleisch verwendetes Knoblauch-Gewürz (''enliqi''), auf Fleisch am Holzspieß (''takelidi'') als auch auf wie beim bekannten uigurischen Lammbraten in einer Grube gebratenes Fleisch (''suigulunchu'') ableiten.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

Archäologische Befunde lassen darauf schließen, dass Fleisch das Hauptnahrungsmittel der Alten Uiguren war, als deren Hauptsiedlungsgebiet sich in der nördlich der Wüste Gobi gelegenen Region Mobei befand, während Reis erst allmählich Eingang in ihre Ernährung fand. Historische Quellen legen zudem nahe, dass auch die ethnisch mit den Alten Uiguren verwandten [[Geschichte der Uiguren#Anfänge|Tiele]] wie die heutigen Modernen Uiguren eine auf Milch- und Fleischprodukten basierende Ernährung besaßen.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

===== Obst =====
Des Weiteren werden, insbesondere im Sommer, auch große Mengen an [[Obst]] verzehrt,<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /> entweder frisch oder auch in getrockneter Form.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" /> Das Obst der Uiguren stammt aus der Region Xinjiang und umfasst Trauben, Äpfel, Wassermelonen, Aprikosen und Feigen.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

==== Gemüse ====
Im Gegensatz zum Obst wird [[Gemüse]], das größtenteils von Han-Chinesen eingeführt wurde und dessen Namen noch oftmals erkennbar chinesischen Ursprungs sind, bei den Uiguren in weitaus geringeren Mengen zu sich genommen.<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238">{{Literatur |Autor=M. Cristina Cesaro |Titel=Consuming Identities: Food and Resistance among the Uyghur in Contemporary Xinjiang |Sammelwerk=Inner Asia |Band=2 |Nummer=2 (Special Issue: Xinjiang) |Verlag=Brill |Datum=2000 |Seiten=225–238 |JSTOR=23615558}}</ref>
Zu den gewöhnlich verwendeten lokalen Gemüsesorten zählen Zwiebeln, [[Chinakohl]], [[Kartoffel]]n und Paprika<!-- laut Quelle: "green peppers"-->.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

==== Getränke und Joghurt ====
Im Gegensatz zu den Han-Chinesen in Xinjiang, die als Getränk [[Grüner Tee|grünen Tee]] bevorzugen, wird von Uiguren an erster Stelle [[schwarzer Tee]] (in China 紅茶, also „Roter Tee“ genannt) getrunken, den sie oftmals mit ''chay dora'' „heilen“, einer Gewürzmischung, der auch [[Therapie|therapeutische]] Eigenschaften zugeschrieben werden.<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /> Neben Schwarzem Tee zählt auch Milchtee mit Salz zu den beliebtesten Getränken der Uiguren.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

Abgesehen von den verschiedenen Teesorten gehören zum Repertoire der uigurischen Kultur auch Saft, das aus Honig hergestellte Getränk ''kawas'' sowie das alkoholische Getränk ''musallas''.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

Während die meisten dieser Getränke aus heimischen Ausgangsstoffen und mit regionaltypischen Verfahren hergestellt werden und so einen für die Region charakteristischen Geschmack aufweisen, müssen die für die Herstellung von anderen beliebten Getränken erforderlichen Teepflanzen von außen eingeführt werden, da sie im ariden Klima Xinjiangs nicht gedeihen. Die Entwicklung neuartiger Milch-, Früchte- und Kräutertees wurde durch den über die Seidenstraße nach Xinjiang gelangten chinesischen Tee ermöglicht, dem dann lokale Zutaten beigefügt wurden.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

Großer Beliebtheit erfreut sich bei den Uiguren zudem hausgemachter Joghurt.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

==== Gewürze und geschmacksverbessernde Zusätze ====
Bei der Zubereitung der wichtigsten uigurischen Nahrungsmittel kommen verschiedene Gewürze zum Einsatz. In erster Linie dienen in der uigurischen Küche als Gewürze schwarzer Pfeffer, roter Pfeffer, [[Kreuzkümmel]] und gehackte Zwiebeln.<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

Geschmacksverbessernde Wirkung kann durch [[Karotte]]n, [[Honig]], [[Konfitüre]] oder Fruchtsaft erzielt werden, sowie durch Zugabe von Butter, Joghurt oder [[Stutenmilch]].<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />

==== Speisen ====
===== Typisch uigurische Gerichte =====
Zu den „typisch“ uigurischen Gerichten werden gezählt:<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" />
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Typisch uigurische Speisen in einem Restaurant in [[Tokio]] (2012)
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 | Bild1       = Polu.jpg
 | Untertitel1 = ''polo''
 | Bild2       = Uyghur Lagman.jpg
 | Untertitel2 = ''[[Laghman (Speise)|läghmän]]''
 | Bild3       = Kawap.jpg
 | Untertitel3 = [[Schisch Kebab|''kawap'']]
}}
* ''polo'' – [[Pilaw|''pilaf'']]-Reis mit [[Karotte]]n und gebratenem Hammelfleisch.<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /><ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" /> ''Polo'' wird sowohl von Uiguren als auch von Han-Chinesen als das wohl typischste uigurische Gericht erachtet. Es ist die Speise, die üblicherweise Gästen serviert wird oder auf Hochzeiten, Bestattungsfeiern und ähnlichen Bräuchen des Lebenszyklus zum Einsatz kommt.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p190" /> Die chinesische Bezeichnung für ''polok'' lautet ''zhuafan'' (dt. etwa: „mit Fingern zu essender Reis“)<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p190" /><ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" /> und transportiert eine abfällige [[Konnotation]], die sich mit einem han-chinesischen [[Stereotyp]] deckt, der Uiguren als rückständig und unzivilisiert betrachtet.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p190">{{Literatur |Autor=M. Cristina Cesàro |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=''Polo, Läghmän, So Säy'': Situating Uyghur Food Between Central Asia and China |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=185–202 |Fundstelle=hier S. 190}}</ref> ''Polo'' kann als authentisch zentralasiatisches Gericht eingestuft werden, da es in ganz Zentralasien verbreitet ist (als ''polau'', ''plof'', ''ash'' usw.). Auch das iranische ''polow'' ist nachweislich mit dem uigurischen ''polo'' verwandt. Während dieses Gericht von Uiguren als ihre repräsentativste und mit einer symbolischen Bedeutung ihrer Identität behaftete Speise angesehen wird, findet es sich daher gleichwohl in mehr oder weniger ähnlicher Form im größten Teil Zentralasiens, was den zentralasiatischen Charakter der Uiguren der Moderne unterstreicht.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192">{{Literatur |Autor=M. Cristina Cesàro |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=''Polo, Läghmän, So Säy'': Situating Uyghur Food Between Central Asia and China |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=185–202 |Fundstelle=hier S. 192}}</ref>
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 | Bild1       = La mian, noodles.JPG
 | Untertitel1 = Die Herstellung von [[Lamian (Teigwaren)|Lamian]]-Nudeln durch Ziehen und Falten des langen, starken Teigstranges gleicht der Herstellung uigurischer ''läghmän''
 | Bild2       = Kashgar everyday life Kashgar old city IGP3939.jpg
 | Untertitel2 = Mann beim Ziehen und Falten eines langen, starken Teigstranges und fertig geformte [[Mantı|Manta]] (im Vordergrund) in der Altstadt von Kaxgar (2015)
}}
* ''[[Laghman (Speise)|läghmän]]'' – handgezogene Nudeln aus Weizenmehl,<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /><ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192f" /><ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" /> gekocht und verspeist mit ''säy'' (verballhornt aus chin. ''cai''), einer unter starker Hitze kurz angebratenen Beilage, die üblicherweise aus Tomaten, Zwiebeln, grünem Paprika, Hammel und anderem Gemüse besteht.<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /><ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192f" /> Im Gegensatz zu dem höchst repräsentativen Charakter von ''polo'' wird ''läghmän'' (oder: ''längmän'') als die gewöhnlichste Speise unter Uiguren angesehen.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192f" /> In diesem in besonderer Weise mit Xinjiang verbundenen Gericht vermengen sich zentralasiatisch-islamische mit chinesischen Einflüssen.<ref name="Millward2000_IA_2_2_121–135" /> Obwohl ''läghmän'' inzwischen in Xinjiang und Zentralasien ein üblicherweise mit Uiguren assoziiertes Gericht ist und in Kirgistan und Usbekistan sogar als „uigurisches ''läghmän''“ bezeichnet wird, sind die Nudeln wohl ursprünglich von chinesischer oder muslimisch-chinesischer (''Hui'') Herkunft.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192f" /> Vermutlich sind sie eng verwandt mit den vorwiegend in den nordchinesischen Provinzen verbreiteten chinesischen handgezogenen [[Lamian (Teigwaren)|Lamian]]-Nudeln, die ebenfalls durch wiederholtes Ziehen und Falten eines langen starken Streifens sehr elastischen Teigs hergestellt werden<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192f" /><ref name="Millward2000_IA_2_2_121–135" /> und bereits in Aufzeichnungen des frühen 16. Jahrhunderts Erwähnung finden.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192f" /> Nach der Eroberung durch die Qing waren die ethnischen Hui- und Han-chinesischen Immigranten von [[Shaanxi]] und [[Gansu]], die sich nicht von Reis, sondern von Weizenprodukten wie Nudeln ernährten, die ersten und zahlreichsten Chinesen in Xinjiang.<ref name="Millward2000_IA_2_2_121–135" /> Beim uigurischen Namen ''läghmän'' handelt es sich seinem [[Phonetik|phonetischen]] Aufbau zufolge vermutlich um ein Lehnwort, da turksprachige Ausdrücke in der uigurischen Sprache nicht mit „l“ beginnen. Als wahrscheinlichste [[Etymologie]] wird die Ableitung vom chinesischen ''lengmian'' („kalte Nudeln“) oder ''lamian'' („gezogene Nudeln“) angenommen.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192f" /> Während ''läghmän'' in Restaurants und Imbissständen ausschließlich von Männern und durch diese spektakulär wirkende Technik hergestellt werden, verwenden uigurische Frauen – die im Haushalt üblicherweise für die Zubereitung des Essens zuständig sind – eine andere Methode, indem sie einen dünnen Teigstreifen ziehen und falten, was eine für einen Familienhaushalt ausreichende Menge an Nudeln hervorbringt.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p192f">{{Literatur |Autor=M. Cristina Cesàro |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=''Polo, Läghmän, So Säy'': Situating Uyghur Food Between Central Asia and China |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=185–202 |Fundstelle=hier S. 192f.}}</ref> Die Gemüse-Fleisch-Mischung, zu der die gekochten Nudeln hinzugefügt werden, ist als ''Chaocai'' (dt. etwa: „schnelle Pfanne“) einerseits eine [[chinesische Kochtechnik]], enthält aber anderseits Hammelfleisch, anstelle des von Han-Chinesen favorisierten Schweinefleischs oder des im Nordwesten Chinas zu diesen dicken Nudeln verzehrten Rindfleischs. Viele Köche in Xinjiang bereiten ''läghmän'' sowohl mit runden Zwiebeln (''piaz'' in Zentralasien, Indien etc.) als auch mit Grünen Zwiebeln (meist in chinesischen Gerichten bevorzugt) zu. Gewürzt wird die Mischung wird mit in Zentralasien und Indien allgegenwärtigen, aber in der traditionellen chinesischen Küche selten verwendeten trockenen Gewürzen (trockener Chili in Pulverform, [[Kreuzkümmel]] und manchmal Koriander). Andererseits enthält das Gemüse in der Regel auch frische grüne oder scharfe Paprikaschoten (uig.: ''laza'', von chin. ''lazi'') und das Gericht kann mit chinesischen Gewürzen gewürzt werden wie [[Sojasauce]], [[Dunkler Reisessig]] oder sogar [[Sternanis]] oder [[Weißer Pfeffer (Hujiao)]].<ref name="Millward2000_IA_2_2_121–135" /> Unabhängig von ihrem Ursprung werden ''läghmän'' heute nicht nur von Uiguren, sondern auch von anderen zentralasiatischen Völkern und von Han-Chinesen als „traditionelles“ uigurisches Gericht angesehen und besitzen auch tatsächlich einen eigenen spezifischen Geschmack, der sie von anderen zentralasiatischen und chinesischen Nudeln abhebt.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p194">{{Literatur |Autor=M. Cristina Cesàro |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=''Polo, Läghmän, So Säy'': Situating Uyghur Food Between Central Asia and China |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=185–202 |Fundstelle=hier S. 194}}</ref> ''Läghmän'' sind ein gutes Beispiel für Signatur-Gerichte, also Speisen, die für eine bestimmte „Küche“ aus [[Emisch und etisch|emischer]] (Insider-)Perspektive als charakteristisch angesehen werden.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p188">{{Literatur |Autor=M. Cristina Cesàro |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=''Polo, Läghmän, So Säy'': Situating Uyghur Food Between Central Asia and China |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=185–202 |Fundstelle=hier S. 188}}</ref>
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Uigurische Straßengrills
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 | Bild1       = Mutton bbq.jpg
 | Untertitel1 = ''kawap''-Straßenverkäufer in Ürümqi (2005)
 | Bild2       = Xinjiangkebab.jpg
 | Untertitel2 = Kebab-Zubereitung in Kaxgar (2007)
 | Bild3       = Uiguren in Hangzhou.JPG
 | Untertitel3 = Uigurischer Straßengrill in [[Hangzhou]] (2009)
}}
{{Anker|gösh kawap}}
* (''gösh'') ''kawap'' – Hammelfleischstücke am Spieß,<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /><ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" /> gegrillt auf einer [[Feuerschale]] (Kohlenbecken) und gewürzt.<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /> Ähnlich wie ''läghmän'' sind auch ''kawap[lar]'' (dt.: Kebab[s]) keineswegs eine exklusiv-uigurische kulinarische Speise, sondern unter ähnlichen oder entsprechenden Namen in ganz Zentralasien anzufinden, ebenso wie in der [[Türkei]] (''kebap[lar]''), [[Griechenland]] (souvlaki, giros) und über den [[Balkanhalbinsel|Balkan]] hinaus bis nach [[Kroatien]] (''čevapčiči'', ''rašnijči'') und [[Slowenien]], wo der türkische Einfluss in die Zeit des [[Osmanisches Reich|Osmanischen Reiches]] zurückreicht.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p194f">{{Literatur |Autor=M. Cristina Cesàro |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=''Polo, Läghmän, So Säy'': Situating Uyghur Food Between Central Asia and China |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=185–202 |Fundstelle=hier S. 194f.}}</ref> Als allgemeiner Begriff bezeichnet ''kawap'' im Uigurischen gegrilltes – oder gebackenes – Fleisch, in der Regel Hammelfleisch. Die am meisten verbreitete Form in Xinjiang ist das ''ziq kawap'' (dt. etwa: „Kebab-Spieß“), bei dem der Spieß mit Hammelfleischstücken auf einem charakteristischen Kohlenbecken gegrillt und mit gemahlenem Kreuzkümmel und manchmal gemahlenem Chili gewürzt wird.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p194f" /><ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /> Eine andere Form, ''qiyma kawap'', besteht aus magerem Hammelhackfleisch, gemischt mit zerstückelten Zwiebeln, Eiern, Mehl, gemahlenem Kreuzkümmel, schwarzem Pfeffer und Chili. Die Mischung wird auf einen Spieß gewickelt, gegrillt und ähnelt sehr dem türkischen ''[[köfte kebap]]'', das in den meisten Kebap-Läden Europas angeboten wird. Eine weitere Form, ''tonur kawap'' besteht aus einem ganzen Schaf, das in einem ''tonur'' – dem [[Lehmofen]], in dem ''nan'' gebacken wird – gebacken wird und als sehr teures und zeitaufwändiges Gericht und üblicherweise auf [[Bankett (Festessen)|Banketts]] serviert wird.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p194f" /> Uiguren betrachten ''kawap'' als typisch uigurische Speise.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p195f" /> Das Kebab der Uiguren ist ein gutes Beispiel für Gerichte, die als ethnischer Marker fungieren, also aus [[Emisch und etisch|etischer]] (Outsider-)Perspektive dazu verwendet werden, um eine bestimmte Gruppe [[Metonymie|metonymisch]] zu definieren.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p188" /> Han-Chinesen assoziieren den chinesisch ''yangrouchuan'' (dt. etwa: „Hammelspieß“) genannten Kebab in ihrer Vorstellung tendenziell so eng mit den Uiguren, dass der Kebab-Verkäufer (uigurisch: ''kawapchilar'') zum häufigsten – oft abfällig gebrauchten – stereotypen Klischee für Uiguren in China geworden ist. Trotz der negativen Konnotation des Stereotyps für Uiguren sind die uigurischen Hammelspieße selbst bei den Han-Chinesen sehr beliebt und bereits seit Ende der 1980er Jahre sind die uigurischen Kebab-Verkäufer in ganz China zu finden.<ref name="CesaroInBeller-HannEtAl2007_185-202_p195f">{{Literatur |Autor=M. Cristina Cesàro |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=''Polo, Läghmän, So Säy'': Situating Uyghur Food Between Central Asia and China |Sammelwerk=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Seiten=185–202 |Fundstelle=hier S. 195f.}}</ref>
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Weitere uigurische Speisen in einem Restaurant in [[Tokio]] (2012)
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 | Bild1       = Chochure.jpg
 | Untertitel1 = ''chöchürä''
 | Bild2       = Suyuqash.jpg
 | Untertitel2 = ''suyuq ash''
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 | Untertitel3 = ''[[Mantı|manta]]''
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 | Untertitel4 = ''gösh nan''
}}
===== Weitere uigurische Gerichte =====
Zu weiteren uigurischen Gerichten, die alle Nudeln enthalten, die mit Hammelfleisch und weitaus geringeren Mengen an Gemüse kombiniert werden, zählen unter anderem:<ref name="Cesaro2000_IA_2_2_225-238" /><ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" /><ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />
* ''chöchürä'' oder ''chuchure'' (gefüllte [[Teigtasche]]n mit Suppe<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />)
* ''qoldama''
* ''suyuq ash'' oder ''suyqash'' (eine Nudelsuppe<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />)
* ''ügrä'' oder ''ugre'' (Suppe mit nadelförmigen Nudeln<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />)
* ''pitir manta'' und ''[[Mantı|manta]]'' (Teigtaschen mit dünner beziehungsweise normaler Fleischfüllung<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />)
* ''[[Samosa|samsa]]'' (geröstete Teigtaschen mit Füllung<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />)
* ''gösh nan''
* ''pörä''
* ''xoshän''

Außerdem sind zu nennen:
* ''halva'' (süßer Brei, der vorwiegend aus Maismehl hergestellt und mit gehackten Rüben, Zwiebeln und Tomaten gekocht wird)<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />
* ''umaq'' (Brei, der vorwiegend aus Maismehl hergestellt und mit gehackten Rüben, Zwiebeln, Tomaten und Salz gekocht wird<ref name="AyoufuEtAl2017_APJCN_26_5_764-768" />)

==== Beilagen ====
Viele Gerichte wie ''polo'', ''manta'', ''kawap'' oder ''[[Chorba|shorpa]]'' (Suppe mit Fleisch) werden fast immer zusammen mit dem ungesäuerten und knusprigen ''nan'' gegessen. Als weitere vegetarische Beilagen dienen ''gänpän'' (Reis), ''suyqash'', ''läghmän'', ''pechinä'' (Kekse), ''qatlima'' ([[Pfannkuchen]] mit [[Green onions|grünen Zwiebeln]]), ''poshkal'' ([[Ölkuchen|Presskuchen]]) und zum Nachtisch die weithin beliebten ''[[Halva|halwa]]'' (Süßware aus Mehl, Zucker und Öl).<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11" />

==== Politisierung und Kriminalisierung uigurisch-muslimischer Ernährungsweise seit 2017 ====
Infolge der seit 2017 bekanntgewordenen [[Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014|Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China]] verlangt der chinesische Staat der uigurischen Bevölkerung den Konsum von Alkohol und Schweinefleisch als patriotisches Bekenntnis ab, während deren Verweigerung als Zeichen des Extremismus ausgelegt wird.<ref name="Schluessel2020_LOS_p219f">{{Literatur |Autor=Eric Schluessel |Titel=Land Of Strangers: The Civilizing Project in Qing Central Asia |Verlag=Columbia University Press |Ort=New York & Chichester |Datum=2020 |ISBN=9780231197540 |Fundstelle=hier S. 219 f.}}</ref>

=== Architektur und Stadtgeschichte ===
Die islamische Architektur in Xinjiang hat viele Gemeinsamkeiten mit derjenigen in den Xinjiang umgebenden Ländern Zentral-, Süd- und Westasiens.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274">{{Literatur |Autor=Nancy Shatzman Steinhardt |Titel=China's Early Mosques |Reihe=Edinburgh Studies in Islamic Art |HrsgReihe=Robert Hillenbrand |Verlag=Edinburgh University Press |Ort=Edinburgh |Datum=2018 |ISBN=978-0-7486-7041-3 |Kapitel=Chapter 9 Xinjiang: Architecture of Qing China and Uyghur Central Asia |Fundstelle=259-274 |JSTOR=10.3366/j.ctvxcrp18 |Umfang=S. i-xxiv, 1-331}}</ref>
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = [[Heytgah-Moschee]] in Kaxgar (2015)
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 | Bild1       = Kashgar, China Bebop Drone 2015-09-13T194843+0000 18F943.jpg
 | Untertitel1 = Außenansicht
 | Bild2       = Id Kah Mosque Kashgar Xinjiang China 新疆 喀什 喀什清真寺 - panoramio (2).jpg
 | Untertitel2 = Innenansicht
 | Fußzeile    = Ein Schild in arabischer Schrift über dem Eingang der Heytgah-Moschee wurde inzwischen entfernt und es wurden im Eingangsbereich [[Beschusshemmender Schild|Schilde der Bereitschaftspolizei]] platziert. Seit August 2015 hat Staatsführer [[Xi Jinping]] im Rahmen einer neuen Han-zentristischen Assimilierungspolitik den bereits im September 2014 von ihm geforderten vier Identifikationsebenen aller Chinesen (chinesisches Mutterland, chinesische Nation, chinesische Kultur und Weg des Sozialismus chinesischer Prägung) als fünfte Identifikationsebene die [[Kommunistische Partei Chinas|KPCh]] hinzugefügt. Dies spiegelt sich in der Entfernung der früheren Beschilderung über den Moschee-Eingängen wider. Dort steht statt „Liebe das Land, liebe die Religion“ nun „Liebe die Partei, liebe das Land“.<ref name="SmithFinley_CAS_38_1_2019_p1–26">{{Literatur |Autor=Joanne Smith Finley |Titel=Securitization, insecurity and conflict in contemporary Xinjiang: has PRC counter-terrorism evolved into state terror? |Sammelwerk=Central Asian Survey |Band=38 |Nummer=1 (Securitization, insecurity and conflict in contemporary Xinjiang) |Datum=2019 |Seiten=1–26 |Online=[https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/02634937.2019.1586348 online] |DOI=10.1080/02634937.2019.1586348}} Online veröffentlicht am 11. März 2019.</ref>
}}
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 | Kopfzeile   = [[Apak-Hodscha-Mausoleum]] in Kaxgar (2015)
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 | Bild1       = 2015-09-10-093741 - Mausoleum von Abakh Hodscha vom Friedhof aus.jpg
 | Untertitel1 = Mausoleum vom Friedhof aus gesehen
 | Bild2       = 2015-09-10-101437 - Abakh Hodscha-Moschee.JPG
 | Untertitel2 = Apak-Hodscha-Moschee
 | Fußzeile    = Aus dem ''mazar''-Schrein als einstigem Pilgerziel und Schauplatz von Festlichkeiten des Volkes hat der Staat inzwischen eine museale Touristenattraktion gemacht.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />
}}
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 | Kopfzeile   = Mazar von [[Yusuf Khass Hajib Balasaguni|Yusuf Khass Hajib]] in Kaxgar (2017)
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 | Bild1       = Mausoleum of Yusuf Khass Hajib main building.jpg
 | Untertitel1 = Hauptgebäude des Mausoleums
 | Bild2       = Mausoleum of Yusuf Khass Hajib tomb.jpg
 | Untertitel2 = Grabmal im Mausoleum
 | Bild3       = Mausoleum of Yusuf Khass Hajib Introduction.jpg
 | Untertitel3 = Infotafel in Uigurisch, Chinesisch und Englisch
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = [[Altyn-Moschee|Altun-Moschee]] und Grabmal der [[Aman Isa Khan]] in [[Yarkant]] (2015)
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 | Bild1       = 2015-09-12-123007 - Moschee beim Grabmal der Amann Shahan Isa Khan.jpg
 | Untertitel1 = [[Altyn-Moschee|Altun-Moschee]]
 | Bild2       = 2015-09-12-104010 - Grabmal der Amann Shahan Isa Khan (1526-1560).jpg
 | Untertitel2 = Kuppel im Mausoleum der [[Aman Isa Khan]]
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 | Kopfzeile   = [[Jiaman-Moschee]] („Kuqa-Moschee“) in [[Kuqa]] (2007)
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 | Bild1       = Kuqa May 2007 407.jpg
 | Untertitel1 = Außentor
 | Bild2       = Kuqa May 2007 408.jpg
 | Untertitel2 = Innenseite in [[Qibla]]-Richtung mit [[Mihrāb]] und [[Kanzel]]
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{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Yarkant (2005)
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 | Bild1       = Yarkand-puerta-antigua-ciudadela-d01.jpg
 | Untertitel1 = Altes Stadttor
 | Bild2       = Yarkand-calles-d03.jpg
 | Untertitel2 = Straßenaspekt in der Altstadt
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{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = [[Erdaoqiao]]-Gegend in Ürümqi (2017)
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 | Bild1       = Erdaoqiao Market Minaret (26634900417).jpg
 | Untertitel1 = [[Nachbildung|Replik]] des [[Kalon-Minarett|Kalon-Minaretts in Buchara]]
 | Bild2       = Erdaoqiao Market (27639547078).jpg
 | Untertitel2 = [[Erdaoqiao]]-Markt und [[Xinjiang International Grand Bazaar|Großer Basar]]
 | Fußzeile    = Die [[Erdaoqiao]]-Gegend (''Dong Kövrük'') mit der städtischen Hauptmoschee und dem neuen Großen Basar ist das Zentrum des uigurischen Stadtteils und ein Beispiel für die neuere Tourismus- und [[Einkauf (Konsum)|Shopping]]-Stadtentwicklung<ref name="Harris2014_PI_3_1-2_103–124">{{Literatur |Autor=Rachel Harris |Titel=The changing Uyghur religious soundscape |Sammelwerk=Performing Islam |Band=3 |Nummer=1–2 |Datum=2014 |Seiten=103–124 |DOI=10.1386/pi.3.1-2.103_1}}</ref>
}}
==== Stadtgeschichte ====
Zwar waren die ursprünglichen Uiguren in Steppen lebende Nomaden, doch blicken sie auf eine sehr lange Stadtgeschichte zurück und gehören zu den ersten Turkvölkern, die in den Oasenstädten Zentralasiens sesshaft wurden.<ref name="West2009_EPAO_p853" /> Der Übergang zum Handel mit China erforderte Städtebau, da sich in den bei den Nomadengesellschaften üblichen [[Zelt]]siedlungen die Waren nicht verstauen ließen.<ref name="DePlanhol_1975_S23f">{{Literatur |Autor=Xavier de Planhol |Titel=Kulturgeographische Grundlagen der islamischen Geschichte |Reihe=Die Bibliothek des Morgenlandes – Gegründet von G. E. von Grunebaum |HrsgReihe=J. van Ess |Verlag=Artemis |Ort=Zürich & München |Datum=1975 |ISBN=3-7608-4522-3 |Seiten=23 f. |Originaltitel=Les fondements géographiques de l'histoire de l'islam |Originalsprache=fr |Originaljahr=1968 |Originalort=Paris |Übersetzer=Heinz Halm}}</ref> Diese lange Geschichte der Urbanisierung muss durch ein [[Subsistenz]]system gefördert worden sein, durch das ein ausreichend großer Nahrungsmittelüberschuss erzeugt werden konnte, um die Arbeitsleistung der Bevölkerungsmehrheit für [[Handwerk]], [[Handel]] und religiöse oder säkulare Bürokratien freigeben zu können. Noch heute bildet sich die lange Historie der islamischen und vorislamischen Urbanisierung in der Architektur von Turpan, Kaxgar und Ürümqi ab. [[Moschee]]n, [[Minarett]]e, [[Basar]]e und Gräber prägen die städtischen und ländlichen Landschaften von Xinjiang als Zeugnisse der historisch weit zurückreichenden uigurischen Ansässigkeit.<ref name="West2009_EPAO_p853" />

==== Architektur ====
Die bedeutendsten islamischen Baudenkmäler Xinjiangs stehen in enger Verbindung zur Architektur des westlicher gelegenen Zentralasiens.<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" />

Die Uiguren (und ähnlich auch die Hui-Chinesen und andere ethnische Minderheiten in China) verfügen mit ihren Moscheen über eine herausragende Architekturgeschichte.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Anfang des 21. Jahrhunderts befanden sich 23.000 der rund 34.000 Moscheen Chinas in Xinjiang.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" /> Wegen des [[Bilderverbot#Islam|religiös bedingten Verbots der Darstellung von Menschen und Tieren]] finden sich in den Moscheen keine entsprechenden [[Skulptur]]en und [[Gemälde]]. Anders als die meisten Moscheen der Hui folgen die Moscheen der Uiguren eher dem zentralasiatischen Stil. Zwei Merkmale sind für uigurische Moscheen im südlichen Teil Xinjiangs bezeichnend. Zum Einen sind dies die zwar überdachten, aber manchmal mehr oder weniger nach außen geöffneten Gebetsräume, die nicht im traditionellen arabischen Stil gewölbt sind. Zum Zweiten ist es das Vorhandensein zahlreicher Säulen entlang der Halle, die an der Verbindungsstelle mit dem Dach charakteristisch gestaltet sind.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />

Kaxgar ist die bedeutendste Oasenstadt im Westen Xinjiangs.<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /> Im Jahr 2005 waren 77 Prozent der Bevölkerung von Kaxgar, Xjinjiangs größter Stadt, uigurische Muslime.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" /> In Kaxgar allein befanden sich im Jahr 2005 351 Moscheen.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" /><ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA">{{Literatur |Autor=Nancy Steinhardt |Titel=China, Islamic architecture in |Hrsg=Kate Fleet, Gudrun Krämer, Denis Matringe, John Nawas, Everett Rowson |Sammelwerk=Encyclopaedia of Islam, THREE |Verlag=Brill |Datum=2015 |Sprache=en |DOI=10.1163/1573-3912_ei3_COM_26219}} Erste Online-Veröffentlichung: 2015, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-28213-1, 2015, 2015-4. Abgerufen am 15. Juli 2020.</ref>
* Die aus dem 15. Jahrhundert stammende und mehrfach – auch in der Zeit der Volksrepublik China – renovierte [[Heytgah-Moschee]] gilt als größte Moschee Chinas und als gutes Beispiel für eine uigurische Moschee nach zentralasiatischem Vorbild.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Sie liegt in der Altstadt von Kaxgar und gilt als eines der beiden eindrucksvollsten erhaltenen Beispiele islamischer Architektur im Tarim-Becken.<ref name="Thum_THREE_Kashgar" />
* Das andere Beispiel ist das [[Apak-Hodscha-Mausoleum|Mausoleum von Apak Hodscha (Ābā Khvāja)]] (uigur.: ''Apakh Khoğa Mazār''; chin.: 阿巴和加麻札) im Dorf Haohan (浩罕村) am nördlichen Stadtrand Kaxgars.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /><ref name="Koscielniak2017_AC_49_249–281">{{Literatur |Autor=Krzysztof Kościelniak |Titel=The Afaq (Apak) Khoja Mausoleum in Kashgar as a symbol of Uyghur’s identity (ca 1640–2015) |Sammelwerk=Analecta Cracoviensia |Band=49 |Datum=2017 |Seiten=249–281 |DOI=10.15633/acr.2415}}</ref> Es wurde 1640 als Grab des Naqshbandī Sufi Muḥammad Yūsuf – dem Vater Apak Hodschas<ref name="Koscielniak2017_AC_49_249–281" /><ref name="Thum2012_CAS_31_3_293–310">{{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=Beyond resistance and nationalism: local history and the case of Afaq Khoja |Sammelwerk=Central Asian Survey |Band=31 |Nummer=3 (Local History As An Identity Discipline) |Datum=2012 |Seiten=293–310 |DOI=10.1080/02634937.2012.722366}} (Erste Online-Veröffentlichung am 2. Oktober 2012).</ref> – erbaut,<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /><ref name="Koscielniak2017_AC_49_249–281" /> in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts von den Kirgisen zerstört, 1693/1694 von Apak Hodschas Sohn Yahya wiederaufgebaut, 1795 renoviert, 1947 von einem Erdbeben erneut zerstört<ref name="Koscielniak2017_AC_49_249–281" /> und im Jahr 1956 restauriert.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /><ref name="Koscielniak2017_AC_49_249–281" /> Es gilt als das prächtigste Mausoleum von Altishahr.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Wie bei der Heytgah-Moschee handelt es sich auch hierbei um ein Bauwerk der Superlative.<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /><ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" /> Es ist der größte islamische Architekturkomplex und für Manche das heiligste muslimische Gebäude<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /><ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" /> oder die heiligste muslimische Stätte in Xinjiang.<ref name="Koscielniak2017_AC_49_249–281" /> Zudem stellt es ein Symbol uigurischer Identität dar.<ref name="Koscielniak2017_AC_49_249–281" /> Dort begraben liegt neben vielen seiner Nachfahren auch Apak Hodscha (auch: ''Hazrat'' Apak) selbst, der Priesterkönig von Kaxgar, der nicht nur über Ostturkestan herrschte, sondern auch über Jünger in China und Indien verfügte. Ihm wurde noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Kraft zum Heilen und sogar zur Wiedererweckung der Toten ebenso zugeschrieben wie die Bekehrung Tausender vom Buddhismus zum Islam. Die Einwohner Kaxgars betrachteten ihn als zweitwichtigste Figur nach [[Mohammed]] und als ebenso bedeutend wie ''Hazrat'' Isa ([[Jesus Christus]]).<ref name="SykesEtSykes1920_TDO_KapIV_191–208_p68f">{{Literatur |Autor=Ella Sykes, Percy Sykes |Titel=Through deserts and oases of central Asia |Verlag=Macmillan |Ort=London |Datum=1920 |Kapitel=IV (Round about Kashgar) |Seiten=68 f. |Fundstelle=hier S. 320}} Verfügbar als Facsimile auf: Internet Archive, URL: https://archive.org/details/cu31924023243391.</ref> Das Hauptmausoleum ist ein [[Qubba]]-Bauwerk.<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /> Seit dem Jahr 2000 ist die Durchführung von Ritualen und Zeremonien zu Ehren von Apak Hodscha im Mausoleum untersagt. Heute wurde das Mausoleum als große [[Sightseeing]]-Attraktion der VR China eingestuft und von vielen chinesischen und westlichen Touristen als wichtiges Highlight angesehen, während es weiterhin – insbesondere uigurische – Muslime gibt, die die Stätte als Heiligtum betrachten.<ref name="Koscielniak2017_AC_49_249–281" /> Die museale Umfunktionierung des Apak-Hodscha-Mazar-Schreins, der einst ein Ort großer Versammlungen gewesen war, ließ die Pilgerreise zu ihm abflauen. Nur wenige Mitglieder der ländlichen Umgebung des ''mazar''-Schreines konnten sich die für sie teure Eintrittskarte leisten. Auch fanden sie nun keine religiösen Autoritäten in einer heiligen Stätte mit sichtbaren Opfergaben und Heiligtümern mehr vor, sondern eine säkularisierte Umgebung voller Han-chinesischer Touristen, Souvenirverkäufer und Führer. Pilgerfeste und Übernachtungsaktivitäten wurden seitdem gänzlich verhindert.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />
* Das als ''[[Yusuf-Has-Hajip-Mazar|Mazha von Yūsuf]]'' (oder: ''Yusuf-Has-Hajip-Mazar''<ref name="chinadragontours-com_yusuf-has-hajip-mazar-in-kashgar">{{Internetquelle |autor=Doreen Zhang |url=https://www.chinadragontours.com/yusuf-has-hajip-mazar-in-kashgar.html |titel=Yusuf Has Hajip Mazar in Kashgar |werk=chinadragontours.com |abruf=2020-12-20}}</ref>) bekannte muslimische Grab aus dem Jahr 1069 macht Kaxgar zur einzigen Stadt in Xinjiang mit einem Baudenkmal aus dem 11. Jahrhundert.<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /><ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" /> [[Yusuf Khass Hajib Balasaguni|Yusuf Khass Hajib]] ist ein hochverehrter uigurischer Literat aus der Zeit der Karachaniden, der sein Werk „[[Kutadgu Bilig]]“ über Staatskunst für turkische Herrscher 1069 in Kaxgar fertiggestellt hat und der noch im Xinjiang der Gegenwart als nationaler Held gefeiert wird. Zu Yusufs Ehren wurde ein moderner Schrein erbaut und dessen Standort in die touristischen Reiserouten Kaxgars aufgenommen.<ref name="Millward2007_EC_Kap2_S54">{{Literatur |Autor=James Millward |Titel=Eurasian Crossroads: A History of Xinjiang |Verlag=C. Hurst & Co. |Ort=London |Datum=2007 |ISBN=978-1-85065-818-4 |Kapitel=Chapter 2. ''Central Eurasia Ascendant (9th–16th centuries)'' |Seiten=40–77 |Fundstelle=hier S. 54}}</ref> Zwar wird [[Satoq Bugra Khan]], einem [[Karachaniden]], zugeschrieben, den Islam nach West-Xinjiang gebracht zu haben, doch finden sich nur in Kaxgar Spuren dieser Geschichte des 10. Jahrhunderts in den erhaltenen Baudenkmälern.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" />

[[Keriya]] (chin.: Yutian) im Süden Xinjiangs:
* Die Moschee des Ortes galt als weiteres und schönes Beispiel für uigurische Moscheen.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Die in der Nähe Hotans gelegene ''[[Yutian-Aitika-Moschee]]'' (auch: ''Keriya-Etika-Moschee'',<ref name="businessinsider-com_2019-04-28_BPS">{{Internetquelle |autor=Alexandra Ma |url=https://www.businessinsider.com/photos-show-china-destroys-mosques-to-install-police-state-on-muslims-2019-4?r=DE&IR=T |titel=Before-and-after photos show how China is destroying historical sites to monitor and intimidate its Muslim minority |werk=businessinsider.com |datum=2019-04-28 |abruf=2020-11-20}}</ref> ''Keriya-Aitika-Moschee''<ref name="bellingcat-com_2019-04-28_AHM">{{Internetquelle |autor=Nick Waters |url=https://www.bellingcat.com/news/rest-of-world/2019/04/05/are-historic-mosques-in-xinjiang-being-destroyed/ |titel=Are Historic Mosques In Xinjiang Being Destroyed? |werk=bellingcat.com |datum=2019-04-05 |abruf=2020-11-20}}</ref> oder ''Keriya-Id-Kah-Moschee''<ref name="docs-uhrp-org_2019-10_DMD" />) als größte Moschee ihres Bezirks mit etwa 800-jähriger Geschichte wurde von der Bevölkerung als Versammlungsort bei islamischen Festen genutzt, bis sie offenbar im März 2018 abgerissen wurde.<ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> Der Abriss der wichtigsten Moscheen von [[Kargilik (Großgemeinde)|Kargilik]] und [[Keriya]] folgte einer großangelegten Kampagne der Behörden von Xinjiang zur „Rektifikation der Moscheen“ ab Ende 2016.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Yarkant, das eine geringere Bevölkerung hat und weniger bekannt ist als das nordwestlich gelegene Kaxgar, verfügt über ein Stadttor und eine Moschee mit Portal und Gebetshalle. In Yarkant wurde im 16. und 17. Jahrhundert ebenfalls islamische Architektur in den Stilen errichtet, für die Kaxgar bekannt ist:<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /><ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" />
* Ein Beleg dafür ist die ''[[Große Moschee von Shache]]'', die heute auch als ''Yarkant-Moschee'' bekannt ist.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" />
* Die als schön geltende ''[[Altyn-Moschee|Altun-Moschee]]'' stammt aus dem Jahr 1533 und wurde mehrfach renoviert.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />
* Ganz in der Nähe der Gebetshalle der Altun-Moschee befinden sich die Gräber von [[Abdurixithan Khan]] und seiner Frau [[Aman Isa Khan]], der das Zusammenstellen, Bearbeiten und Sammeln der anerkannten kanonischen Form der [[Mugham|Zwölf Muqam]] zugeschrieben wird.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />

In [[Kuqa]], einer zentral in Xinjiang gelegenen Stadt mit [[Höhlentempel in Asien|buddhistischen Höhlentempeln]] aus dem 4. und 5. Jahrhundert ([[Tausend-Buddha-Höhlen von Kumtura]]), befinden sich eine Moschee und ein Mausoleum, deren Bau in der [[Ming-Dynastie]] begonnen wurde:<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" />
* Die [[Jiaman-Moschee]] (bekannt als „Kuqa-Moschee“) wurde im 16. Jahrhundert von [[Khoja Isḥāq Walī]], dem Gründer des Karataglik-Ordens und [[Makhdumzada|Sohn]] des mächtigen iranischen [[Naqschbandīya|Naqshbandī]]-Ṣūfī-Meisters [[Makhdūm-i Aʿẓam]], gegründet, 1931 vollständig zerstört und von 1931 bis 1934 sofort wieder aufgebaut.<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /><ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" /> Zu dem Komplex zählen auch ein Minarett, das [[Mausoleum von Isḥāq Walī]] und zweitgrößte Gebetshalle in Xinjiang, deren Decke von 88 schlanken Säulen aus [[Maulbeeren|Maulbeerbaumholz]] mitgetragen wird.<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /><ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_259-274" />
* Das [[Mausoleum von Molana'eshiding Khoja]] ist die Ruhestätte von [[Eshiding Khoja]] aus Buchara, der den [[Tschagatai-Khanat]]-[[Khan]] [[Tughlugh Timur|Tughluq Temür]] im Jahr 1347 zum Islam [[Konversion (Religion)|bekehrt]] hatte,<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /> worauf auch die rund 160.000 Einwohner des Khanats 1352 zum Islam übergetreten waren.<ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_92-118_p104f">{{Literatur |Autor=Nancy Shatzman Steinhardt |Titel=China's Early Mosques |Reihe=Edinburgh Studies in Islamic Art |HrsgReihe=Robert Hillenbrand |Verlag=Edinburgh University Press |Ort=Edinburgh |Datum=2018 |ISBN=978-0-7486-7041-3 |Kapitel=Chapter 4 Mongols, Mosques and Mausoleums |Seiten=92–118 |Fundstelle=hier S. 104 f. (im Abschnitt: „Muslim Tombs in Yuan China“) |JSTOR=10.3366/j.ctvxcrp18 |Umfang=S. i-xxiv, 1-331}}</ref> Das [[Tughluq-Timur-Mausoleum|Mausoleum von Tughluq Temür]] selbst befindet sich dagegen westlich von Kuqa im Kreis [[Huocheng]] (Yining/Almaliq/Ili) und ist ein muslimisches Mausoleum aus der Zeit der mongolischen [[Yuan-Dynastie]] in China.<ref name="Steinhardt_EOI THREE_CIA" /><ref name="ShatzmanSteinhardt2018_CEM_92-118_p104f" />

==== Zerstörung historischer und heiliger uigurischer Stätten seit 2016 ====
{{Hauptartikel|Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014}}
Seit China ab 2017 oder 2018 die Region Xinjiang zu einem Polizeistaat umgewandelt hat und schätzungsweise bis zu 1,5 Millionen seiner turkisch-muslimischen Bürger inhaftiert und Indoktrination und Zwangsarbeit ausgesetzt wurden, erfolgte auch ein Angriff auf das uigurische Kulturerbe durch den chinesischen Staat. Im Zuge des chinesischen Vorgehens in Xinjiang wurden Tausende von Kulturgütern – Moscheen und heilige Schreine – abgerissen und die um sie herum bestehenden uigurischen Gemeinden entwurzelt.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Obwohl zahlreiche Objekte des uigurischen religiösen Erbes – sowohl Moscheen und als auch Schreine – auf Chinas eigenen nationalen und regionalen Listen des Kulturerbes aufgeführt sind und anerkannte Kulturerbestätten nach nationalem Recht geschützt werden sollten, erfolgte der gänzliche oder teilweise Abriss Tausender Moscheen und Schreine seit 2016 einschließlich solcher geschützter Stätten. Die Zerstörung dieser Stätten hatte nicht nur eine Säuberung der Landschaft von religiöser Architektur zum Ziel, sondern gehört auch zur politischen Linie, bewusst das uigurische kulturelle Gedächtnis auszulöschen.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> Allein in den Jahren von 2017 oder 2018 bis 2020 hat der chinesische Staat auf diese Weise historische und heilige Stätten der Uiguren in einem Ausmaß zerstört und [[Profanierung|entweiht]], das in der Geschichte der chinesisch dominierten Region (Ostturkistan, Altishahr oder Xinjiang) beispiellos ist. Zwar richteten internationale Medien ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Zerstörung von Moscheen. Die ''mazar'' genannten Schreine, bei denen es sich um eine andere Art heiliger Stätten handelt, die aber für Außenstehende weniger leicht einzuordnen sind, stellten jedoch ein wohl noch bedeutenderes Ziel der Entweihung dar.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61">{{Literatur |Autor=Rian Thum |Hrsg=Ivan Franceschini, Nicholas Loubere |Titel=The Spatial Cleansing of Xinjiang: Mazar Desecration in Context |Reihe=Made in China Journal |BandReihe=5 |NummerReihe=2 (May–August 2020: ''Spectral Revolutions: Occult Economies in Asia'') |Verlag=ANU Press |Ort=Acton |Datum=2020 |ISSN=2652-6352 |Kapitel=China Columns |Seiten=48–61 |DOI=10.22459/MIC.05.02.2020.04}} (Sammelwerk auch als PDF; 21,4 MB. Kapitel ''China Columns'' auch als PDF; 1,57 MB), Lizenz: Creative Commons Attribution CC BY-NC-ND 4.0. Auch online erschienen: {{Internetquelle |autor=Rian Thum |url=https://madeinchinajournal.com/2020/08/24/the-spatial-cleansing-of-xinjiang-mazar-desecration-in-context/ |titel=The Spatial Cleansing of Xinjiang: Mazar Desecration in Context |werk=madeinchinajournal.com |datum=2020-08-24 |abruf=2020-11-08 |sprache=en}}</ref>

Durch dieses Vorgehen zerstört der chinesische Staat das physische islamische Erbe Xinjiangs.<ref name="GrootInGolleyEtAl2019_p98-112">{{Literatur |Autor=Gerry Groot |Hrsg=Jane Golley, Linda Jaivin, Paul J. Farrelly, Sharon Strange |Titel=Internment and Indoctrination — Xi’s ‘New Era’ in Xinjiang |Sammelwerk=Power |Reihe=China Story Yearbook |Verlag=ANU Press |Ort=Acton |Datum=2019 |ISBN=978-1-76046-280-2 |Kapitel=4 |Seiten=98–112 |DOI=10.22459/CSY.2019}} (Sammelwerk auch als PDF; 19 MB. Kapitel 4 auch als PDF; 1,2 MB), Lizenz: Creative Commons Attribution CC BY-NC-ND 4.0. Auch online erschienen: {{Internetquelle |autor=Gerry Groot |url=https://www.thechinastory.org/yearbooks/yearbook-2018-power/chapter-4-internment-and-indoctrination-xis-new-era-in-xinjiang/ |titel=Chapter 4 – Internment and Indoctrination — Xi’s ‘New Era’ in Xinjiang |werk=The China Story Project (https://www.thechinastory.org/) > The China Story (中国的故事) Yearbook (https://www.thechinastory.org/yearbooks/) > Yearbook 2018: Power (https://www.thechinastory.org/yearbooks/yearbook-2018-power/) |hrsg=Australian Centre on China in the World 中华全球研究中心/中華全球研究中心 (CIW) |abruf=2020-05-29 |sprache=en}} [https://www.thechinastory.org/legal/ Lizenz]: Creative Commons Attribution CC BY 3.0</ref> Die Zerstörung von Moscheen und muslimischen Friedhöfen in der Region spricht zusammen mit anderen Maßnahmen laut [[Darren Byler]] (Universität Colorado) und anderen Experten dafür, dass der chinesische Staat die Uiguren religiös entwurzeln und ihr kulturelles Erbe vernichten will.<ref name="dw-com_2020-02-17_NBC">{{Internetquelle |autor=William Yang, Sandra Petersmann (Mitarbeit: Mitarbeit: Naomi Conrad, Julia Bayer, Cherie Chan, Esther Felden, Mathias Stamm und Nina Werkhäuser) |url=https://www.dw.com/de/exklusiv-neue-beweise-für-chinas-willkürliche-unterdrückung-der-uiguren/a-52398868 |titel=DW-Investigativrecherche: Exklusiv: Neue Beweise für Chinas willkürliche Unterdrückung der Uiguren |titelerg=Eine geheime Gefangenenliste aus Xinjiang gibt erschütternde Einblicke in die staatliche Unterdrückung von Uiguren. Chinas Regierung spricht vom Kampf gegen den Terror. Das geleakte Dokument beweist etwas anderes |werk=dw.com |datum=2020-02-17 |abruf=2020-06-11}}</ref>

Die Entweihung der ''mazar''-Schreine ist laut dem Historiker Rian Thum Bestandteil einer umfangreichen Serie an staatlichen Richtlinien und Bemühungen, die darauf ausgerichtet sind, die von Uiguren erbaute Umgebung auszulöschen und zu ersetzen, die Geographie der Uiguren neu umzugestalten, die räumlichen Grundlagen der uigurischen Kultur zu beseitigen und geografisch eingebettete Ausdrucksformen der uigurischen Kultur zu entwurzeln. Dabei bleibe kaum ein Teil des uigurischen Lebens von der staatlichen Zerstörung der von den Uiguren erschaffenen Umwelt unberührt, was Thum als Beleg dafür deutet, dass das staatliches Vorgehen gegen kulturell herausragende Institutionen wie ''mazar''-Schreine im Rahmen der übergeordneten staatlichen Anstrengungen darauf abzielen, die Erfahrungswelt und Identität der Uiguren von ihrer Landschaft abzutrennen.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

Insgesamt soll nach einer Studie der australischen Denkfabrik ASPI nahezu jede dritte heilige islamische Stätte in Xinjiang zerstört worden sein, darunter Schreine, Friedhöfe und [[Pilger]]wege.<ref name="spiegel-de_2020-09-25_MWZ">{{Internetquelle |url=https://www.spiegel.de/politik/ausland/uiguren-in-china-moscheen-werden-zerstoert-camps-gebaut-a-9b53e0af-ad6f-4959-9c17-75183a5d8254 |titel=Uiguren in China: Moscheen werden zerstört, Camps gebaut |titelerg=Recherchen eines australischen Thinktanks kommen zu einem erschütternden Ergebnis: Tausende Gotteshäuser der Uiguren in China wurden zerstört. Zudem soll es deutlich mehr Lager geben als bisher bekannt |hrsg=spiegel.de |datum=2020-09-25 |abruf=2020-09-28}}</ref><ref name="spiegel-de_2020-10-10_W2B" /> Laut Nathan Ruser, Hauptautor des ASPI-Reports, besteht die Erklärung für diese Zerstörungen nach den Ergebnissen der Untersuchungen darin, dass uigurische und andere indigene Stätten vernichtet würden, während historische Stätten, die in Zusammenhang mit der Kontrolle Xinjiangs durch die Han-Chinesen stehen, verschont blieben.<ref name="spiegel-de_2020-10-10_W2B">{{Internetquelle |autor=Interview von Georg Fahrion mit Nathan Ruser |url=https://www.spiegel.de/politik/ausland/china-unterdrueckt-uiguren-die-politik-der-internierungen-ist-auf-dauer-angelegt-a-713073b1-8d0e-4018-97cd-788da3d7973d |titel=Satellitenbilder aus Xinjiang: Wie ein 23-Jähriger die brutale Politik Chinas bewies |titelerg=Neue Lager, Tausende zerstörte Moscheen: Mit Satellitenbildern hat ein australischer Thinktank belegt, wie China die Uiguren unterdrückt. Hinter der Enthüllung steckt ein junger Wissenschaftler |werk=spiegel.de |datum=2020-10-10 |abruf=2020-10-17}}</ref> Die gezielte Auslöschung materieller Elemente der indigenen uigurischen und islamischen Kultur in Xinjiang scheint laut der ASPI-Studie eine zugleich zentral vorangetriebene und zugleich lokal umgesetzte Politik zu sein, deren finales Ziel in der „Sinisierung“ (中国化) indigener Kulturen und letztendlich in der vollständigen „Transformation“ (转化) der Gedanken und des Verhaltens der uigurischen Gemeinschaft besteht.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" />

===== Moscheen =====
{{Manueller Rahmen
|content = {{Graph:Chart|width=550|height=150|xAxisTitle=Präfektur|yAxisTitle=Anzahl|legend=Legende|type=rect|x=Uru,Wuj,Ili,Kiz,Kar,Bei,Bor,Shu,Tur,Hot,Kum,Kax,Tum,Tac,Bay,Cha,Shi,Tie,Aks,Alt,Ara
|y1=58,0,217,853,0,0,0,0,419,1309,91,3385,32,126,346,83,0,0,1477,22,0
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|caption = '''Geschätzte Anzahl der Moscheen in Xinjiang (je Präfektur), die vorwiegend ab 2017 zerstört oder beschädigt wurden'''<br />Stand: 2019/2020; Quelle: ASPI, 24. September 2020<ref name="xjdp-aspi-org-au_2020-09-24_Charts">{{Internetquelle |url=https://xjdp.aspi.org.au/ |titel=The Xinjiang Data Project |werk=xjdp.aspi.org.au |datum=2020-09-24 |abruf=2020-11-03}} https://xjdp.aspi.org.au/data/?tab=charts</ref><ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /><br /><small>Präfekturen: Uru=[[Ürümqi]], Wuj=[[Wujiaqu]], [[Ili]], Kiz=[[Kizilsu]], Kar=[[Karamay]], Bei=[[Beitun]], Bor=[[Bortala]], Shu=[[Shuanghe (Xinjiang)|Shuanghe]], Tur=[[Turpan]], Hot=[[Hotan]], Kum=[[Kumul]],<br />Kax=[[Kaxgar (Stadt)|Kaxgar]], Tum=[[Tumxuk]], Tac=[[Tacheng]], Bay=[[Bayingolin]], Cha=[[Changji]], Shi=[[Shihezi]], Tie=[[Tiemenguan]], Aks=[[Aksu (Regierungsbezirk)|Aksu]], Alt=[[Altay (Regierungsbezirk)|Altay]], Ara=[[Aral (Xinjiang)|Aral]]</small>
}}
[[Datei:叶城老城区的清真寺4.jpg|mini|Die 1540 erbaute [[Große Moschee (Kargilik)|Große Moschee in Kargilik]] im Jahr 2012.<br />Das Portal wurde 2018 durch eine Miniaturrekonstruktion ersetzt.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38_15-19">{{Internetquelle |autor=Nathan Ruser, James Leibold, Kelsey Munro, Tilla Hoja |url=https://www.aspi.org.au/report/cultural-erasure |titel=Cultural erasure |titelerg=Tracing the destruction of Uyghur and Islamic spaces in Xinjiang |werk=Australian Strategic Policy Institute |datum=2020-09-24 |abruf=2020-09-28 }} Auch verfügbar als PDF: {{Internetquelle |autor=Nathan Ruser, unter Mitarbeit von: James Leibold, Kelsey Munro, Tilla Hoja |url=https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/ad-aspi/2020-09/Cultural%20erasure_0.pdf?NlJYOaEV6DF3IfupGsdb73xtX0wCNokg |titel=Cultural erasure |titelerg=Tracing the destruction of Uyghur and Islamic spaces in Xinjiang |werk=Australian Strategic Policy Institute: ASPI International Cyber Policy Centre |datum=2020-09 |abruf=2020-06-01 |format=PDF; 7,61 MB |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20200926061505/https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/ad-aspi/2020-09/Cultural%20erasure_0.pdf?NlJYOaEV6DF3IfupGsdb73xtX0wCNokg |archiv-datum=2020-09-26 |archiv-bot=2022-08-18 17:40:58 InternetArchiveBot }}: Policy Brief, Report No. 38/2020, {{ISSN|2209-9689}}, S. 1–45, hier: S. 15-19 (Abschnitt: „Case study: The demolition and miniaturisation of Kargilik’s Grand Mosque“).</ref> ]]
Statt auf die geringe Anzahl von Menschen abzuzielen, die als anfällig für Radikalisierung und gewalttätige Aktionen eingestuft werden könnten, richtete sich die staatlich geführte Kampagne gegen den religiösen Extremismus in Xinjiang gegen alle Ausdrucksformen des islamischen Glaubens und entfernte weite Teile der islamischen Architektur aus den uigurischen Städten.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> So kommt es im Zuge der jüngsten Welle massiver Einschränkung der Religionsausübung in Xinjiang durch den chinesischen Staat heute auch zum Abriss vieler Moscheen.<ref name="Krumbein2019_SWP-Aktuell2019-A 27_CIW">{{Literatur |Autor=Frédéric Krumbein |Titel=China im Wettstreit mit den USA um globalen Einfluss |Sammelwerk=SWP-Aktuell |Nummer=7 |Datum=2019-04 |Seiten=1–4 |Online=[https://www.swp-berlin.org/publikation/china-im-wettstreit-mit-den-usa-um-globalen-einfluss/ online] |DOI=10.18449/2019A27}}</ref><ref name="deutschlandfunk-de_2018-09-13_PUX">{{Internetquelle |autor=Axel Dorloff |url=https://www.deutschlandfunk.de/uiguren-in-china-politische-umerziehungslager-in-xinjiang.724.de.html?dram:article_id=428050 |titel=Uiguren in China – Politische Umerziehungslager in Xinjiang |werk=deutschlandfunk.de |datum=2018-09-13 |abruf=2020-05-19}}</ref><ref name="sueddeutsche-de_2019-04-12_WMV">{{Internetquelle |autor=Dunja Ramadan, Sebastian Gierke |url=https://www.sueddeutsche.de/politik/china-und-die-uiguren-wo-die-moscheen-verschwinden-1.4407686 |titel=China und die Uiguren: Wo die Moscheen verschwinden |werk=sueddeutsche.de |datum=2019-04-12 |abruf=2020-05-20}}</ref> Diese jüngste Flut von Abrissen und Entweihungen prominenter Moscheen, darunter auch die wichtigsten Moscheen von [[Kargilik (Großgemeinde)|Kargilik]] und [[Keriya]], folgte einer großangelegten Kampagne der Behörden von Xinjiang zur „Rektifikation der Moscheen“ ab Ende 2016,<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> bei der Tausende Moscheen niedergerissen wurden.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> Laut einer Angabe des Komitees für ethnische und religiöse Angelegenheiten von Kaxgar aus dem Jahr 2016 wurden dabei fast 70 Prozent der Moscheen in der Stadt Kaxgar und eine unbekannte Anzahl von Moscheen in anderen Teilen Xinjiangs abgerissen. Die Zerstörung der Moscheen war kurz auf die Einführung von Gebetsverboten in der Öffentlichkeit erfolgt, durch die Häuser und Moscheen als einzige erlaubte Räume für religiöse Andachten verblieben waren.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> Viele dieser Moscheen waren mit der Begründung für abbruchreif erklärt worden, es handele sich um unsichere Konstruktionen, die eine Sicherheitsbedrohung für die Betenden darstelle. Bei anderen wurden die charakteristischen architektonischen Merkmale wie Kuppeln und Minarette im Zuge der Kampagne zur „Sinisierung“ des Islam entfernt.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Einem im September 2020 publizierten Untersuchungs-Bericht<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38">{{Internetquelle |autor=Nathan Ruser, James Leibold, Kelsey Munro, Tilla Hoja |url=https://www.aspi.org.au/report/cultural-erasure |titel=Cultural erasure |titelerg=Tracing the destruction of Uyghur and Islamic spaces in Xinjiang |werk=Australian Strategic Policy Institute |datum=2020-09-24 |abruf=2020-09-28 }} Auch verfügbar als PDF: {{Internetquelle |autor=Nathan Ruser, unter Mitarbeit von: James Leibold, Kelsey Munro, Tilla Hoja |url=https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/ad-aspi/2020-09/Cultural%20erasure_0.pdf?NlJYOaEV6DF3IfupGsdb73xtX0wCNokg |titel=Cultural erasure |titelerg=Tracing the destruction of Uyghur and Islamic spaces in Xinjiang |werk=Australian Strategic Policy Institute: ASPI International Cyber Policy Centre |datum=2020-09 |abruf=2020-06-01 |format=PDF; 7,61 MB |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20200926061505/https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/ad-aspi/2020-09/Cultural%20erasure_0.pdf?NlJYOaEV6DF3IfupGsdb73xtX0wCNokg |archiv-datum=2020-09-26 |archiv-bot=2022-08-18 17:40:58 InternetArchiveBot }}: Policy Brief, Report No. 38/2020, {{ISSN|2209-9689}}, S. 1–45.</ref> des australischen Thinktanks [[Australian Strategic Policy Institute]] (ASPI) zufolge sollen chinesische Behörden in Xinjiang schätzungsweise rund 16.000 muslimische Gotteshäuser beschädigt oder zerstört haben, die meisten davon seit dem Jahr 2017. Diese Studie, die sich auf Satellitenbilder und statistische Modelle berief, schätzte die Anzahl der vollständig zerstörten Moscheen auf 8500 ein, womit die Menge der verbliebenen muslimischen Gotteshäuser mit 15.500 auf die niedrigste Zahl seit der chinesischen Kulturrevolution in den 1960er Jahren gesunken sei.<ref name="spiegel-de_2020-09-25_MWZ" />

Anfang Mai 2019 hatte bereits eine vom [[The Guardian|Guardian]] und [[Bellingcat]] geleitete Investigation neue Belege enthüllt, die die großangelegte Zerstörung von Moscheen in Xinjiang durch den chinesischen Staat als weitere repressive Maßnahme gegen die muslimischen Minderheiten der Region offenlegten. Demnach lagen Belege für über zwei Dutzend islamisch-religiöse Stätten vor, die seit 2016 in Xinjiang teilweise oder vollständig abgerissen worden waren. Unter den zerstörten Moscheen befand sich demnach auch die ''Yutian-Aitika-Moschee'' als große Gemeindemoschee in der Nähe von Hotan. Diese größte Moschee in ihrem Bezirk, deren Geschichte bis etwa 1200 n. Chr. zurückreichte, hatte den Einheimischen als Versammlungsort zu islamischen Festen gedient, bis sie offenbar im März 2018 abgerissen wurde.<ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC">{{Internetquelle |autor=Lily Kuo |url=https://www.theguardian.com/world/2019/may/07/revealed-new-evidence-of-chinas-mission-to-raze-the-mosques-of-xinjiang |titel=Revealed: new evidence of China's mission to raze the mosques of Xinjiang |werk=[[The Guardian|theguardian.com]] |datum=2019-05-06 |abruf=2020-06-03 |sprache=en}}</ref> Zusammen mit einem weiteren Bericht des UHRP von Oktober 2019<ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> war damit 2019 der Abriss oder Umbau von über 100 uigurischen Moscheen und mehreren Schreinen durch Fallanalysen belegt worden, bei denen zur Verifizierung Satellitenaufnahmen für jede Stätte verwendet worden waren.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /><ref name="docs-uhrp-org_2019-10_DMD">{{Internetquelle |autor=Bahram K. Sintash |url=https://docs.uhrp.org/pdf/UHRP_report_Demolishing_Faith.pdf |titel=Demolishing Faith: The Destruction and Desecration of Uyghur Mosques and Shrines |werk=[[The Uyghur Human Rights Project|docs.uhrp.org]] |datum=2019-10 |abruf=2020-11-19 |format=PDF |sprache=en}}</ref>

Nach der großangelegten behördlichen Kampagne zur „Rektifikation der Moscheen“ ab Ende 2016 wurden die bedeutendsten Moscheen von Kargilik und Keriya abgerissen:<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

* Die [[Yutian-Aitika-Moschee|Moschee in Keriya]], ein hoch aufragendes architektonisches Denkmal, das in Teilen möglicherweise auf das Jahr 1237 zurückgehen soll, war in den 1980er und 1990er Jahren umfassend renoviert worden, noch im Jahr 2016 fotografiert worden<ref name="Harris_theguardian-com_2019-04-07_BML" /> und diente als größte Moschee des Bezirks der Bevölkerung als Versammlungsort bei islamischen Festen.<ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /><ref name="Harris_theguardian-com_2019-04-07_BML">{{Internetquelle |autor=Rachel Harris |url=https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/apr/07/bulldozing-mosques-china-war-uighur-culture-xinjiang |titel=Opinion: Bulldozing mosques: the latest tactic in China’s war against Uighur culture |titelerg=The levelling of ancient sites in Xinjiang, alongside mass detention, is part of an attempt to destroy an entire society |werk=theguardian.com |datum=2019-04-07 |abruf=2020-12-22}}</ref> Der Online-Aktivist [[Shawn Zhang]] hatte zunächst Satellitenaufnahmen der im Jahr 2018 bereits abgeschlossenen Zerstörung des in den 1990er Jahren wiederaufgebauten Torhauses veröffentlicht,<ref name="Harris_theguardian-com_2019-04-07_BML" /><ref name="ShawnZhang_medium-com_2019-04-23">{{Internetquelle |autor=Shawn Zhang |url=https://medium.com/@shawnwzhang/clarification-of-keriya-etika-mosques-current-situations-9678a6975a51 |titel=Clarification of Keriya Etika Mosque’s Current Situation |werk=medium.com |datum=2019-04-23 |abruf=2020-12-23}}</ref><ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> die dann durch Bellingcat bestätigt wurde,<ref name="bellingcat-com_2019-04-28_AHM" /><ref name="ShawnZhang_medium-com_2019-04-23" /> während die möglicherweise 800 Jahre alte Gebetshalle demnach erhalten geblieben ist.<ref name="bellingcat-com_2019-04-28_AHM" /><ref name="ShawnZhang_medium-com_2019-04-23" />

* Eine in Xinjiang relativ selten angewendete Methode, die aber für mehrere bedeutende Moscheen in Kaxgar – darunter in Kargilik und Yarkant – belegt wurde, stellte die „Miniaturisierung“ von Moscheen dar. Ein Beispiel dafür ist die 1540 erbaute [[Große Moschee (Kargilik)|Große Moschee in Kargilik]] (''Yecheng kagilik jame''/加满清真寺),<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38_15-19" /> die im Zentrum der Altstadt von Kargilik lag, die größte Moschee in der Region war, wöchentlich Menschenversammlungen aus verschiedenen Dörfern anzog und sich durch ihre hohen Türme, einen beeindruckenden Eingangsbereich und ihren von Blumen und Bäume gebildeten Innengarten auszeichnete.<ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> Sie war zwar in den 2000er Jahren als regional geschütztes Kulturerbe in Xinjiang ausgewiesen, also mit dem zweithöchsten Schutzniveau für historische Relikte versehen worden. Dessen ungeachtet wurden jedoch im Zuge der Repression ab 2017 zunächst die Mosaikkunstwerke weitgehend übermalt, die arabische Schrift und das Halbmondmotiv entfernt und ein großes rotes Propagandabanner der Regierung mit der Aufschrift „Liebe die Partei, liebe die Nation“ (Stand: September 2018) über dem Portal angebracht.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38_15-19" /> Zwischen 2018 und 2019 wurden schließlich der historische Eingangsbereich – eine Art [[Torhaus]] – und andere Gebäude abgerissen<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38_15-19" /><ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> und stattdessen eine dürftige Rekonstruktion in Miniaturformat errichtet, bei der die Portalbreite von 22 auf 6 Meter reduziert worden war.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38_15-19"/> Die Zerstörung wurde von dem Online-Aktivisten Shawn Zhang, dem Guardian, Bellingcat und der Denkfabrik ASPI dokumentiert.<ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /><ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38_15-19" />
===== Schreine (''mazar'') =====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Schreinverehrung in Ostturkestan (1915)
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 | Bild1       = Throwing mud at a Shrine as a cure for skin disease.jpg
 | Untertitel1 = Das Aufputzen von Schlamm auf einen Schrein in Kaxgar als Anruf um Schutz gegen Hautkrankheiten<ref name="SykesEtSykes1920_TDO_KapX_191–208_p320">{{Literatur |Autor=Ella Sykes, Percy Sykes |Titel=Through deserts and oases of central Asia |Verlag=Macmillan |Ort=London |Datum=1920 |Kapitel=XVII (Manners and Customs in Chinese Turkestan) |Seiten=308–323 |Fundstelle=hier S. 320}} Verfügbar als Facsimile auf: Internet Archive, URL: https://archive.org/details/cu31924023243391.</ref>
 | Bild2       = The celebrated "Pigeon Shrine" near Khotan.jpg
 | Untertitel2 = Schreinwächter (''mulla'') mit Tochter vor Taubenhäusern des nahegelegenen ''Kaptar Mazzar'' („Taubenschrein“) bei Hotan<ref name="SykesEtSykes1920_TDO_KapX_191–208_p205-207" />
 | Fußzeile    = '''Bild links''': Bestimmte Schreine waren berühmt für die Heilung spezifischer Krankheiten. Bei Hautkrankheiten wurde ein als ''Sigm'' bekannter Schrein in Kaxgar häufig aufgesucht. Dort entnahm der Bittsteller Schlamm aus einem Brunnen und warf ihn mit einem Gebet an den Heiligen an die Wand des Schreins, wonach sich der Bittsteller ohne zurückzublicken entfernen musste.<ref name="SykesEtSykes1920_TDO_KapX_191–208_p320" /><br />'''Bild rechts''': Der berühmte ''mazar'' war ein kleiner Friedhof, der mit Stangen markiert war, an denen Lumpen und Schaffellstücke hingen. Der Legende nach lag dort der im Kampf gegen die Armee von Hotan gefallene Imam Shakir Padshah begraben, der versucht hatte, die buddhistischen Einwohner zum Islam zu konvertieren. Die Schwärme heiliger Tauben, die am Schrein lebten und von Gläubigen mit Opfergaben gefüttert wurden, sollen der Legenda nach die Nachfahren von einem aus dem Herzen des toten Heiligen aufgeflogenen Taubenpaares gewesen sein.<ref name="SykesEtSykes1920_TDO_KapX_191–208_p205-207">{{Literatur |Autor=Ella Sykes, Percy Sykes |Titel=Through deserts and oases of central Asia |Verlag=Macmillan |Ort=London |Datum=1920 |Kapitel=X (Through the Desert to Khotan) |Seiten=191–208 |Fundstelle=hier S. 205–207}} Verfügbar als Facsimile auf: Internet Archive, URL: https://archive.org/details/cu31924023243391.</ref>
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = [[Mazar Tagh]], nördlich von Hotan
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 | Breite2     = 148
 | Breite3     = 150
 | Bild1       = Mazar Tagh BLP190 PHOTO392 28 277.jpg
 | Untertitel1 = Nordwestseite des Forts am Mazar Tagh mit Archäologen (1913)
 | Bild2       = Mazar Tagh BLP471 PHOTO1125 16 479.jpg
 | Untertitel2 = Nordwestseite des Forts am Mazar Tagh (2008)
 | Bild3       = Islamic shrine at Mazar Tagh.jpg
 | Untertitel3 = Islamischer Schrein vor dem tibetanischen Fort aus dem 8. Jh. (2008)
 | Fußzeile    = Der Name ''Mazar Tagh'' bedeutet „Hügel des heiligen Schreins“ und verweist laut [[Aurel Stein]], der hier bereits Anfang des 20. Jahrhunderts einen Schrein vorfand, darauf, dass ein so auffälliges Naturmerkmal wie die sich abrupt mitten aus der Wüste erhebende Hügelkette lokale Verehrung angezogen haben muss<ref name="Stein1921_Serindia_3_p1284f">{{Literatur |Autor=Aurel Stein |Titel=Serindia: Detailed Report Of Explorations In Central Asia And Westernmost China |TitelErg=carried out and described under the orders of H. M. Indian Government by Aurel Stein |Band=III (Text) |Verlag=Clarendon Press |Ort=Oxford |Datum=1921 |Kapitel=XXXII (From Mazār-Tāsgh To Marāl-bāshi – Section I. – The Ruined Fort On Mazār-Tāgh) |Fundstelle=hier S. 1284 f.}} Verfügbar als Facsimile auf: National Institute of Informatics – Digital Silk Road Project: Digital Archive of Toyo Bunko Rare Books, URL: http://dsr.nii.ac.jp/toyobunko/VIII-5-B2-9/V-3/page-hr/0246.html.en (S. 1284) und http://dsr.nii.ac.jp/toyobunko/VIII-5-B2-9/V-3/page-hr/0247.html.en (S. 1285).</ref>
}}
Beim ''mazar'' handelt es sich um eine Stätte in der Landschaft, die für die Gläubigen eine besonders [[Numen|numinöse]] Authentizität besitzt, also von ihnen als Verbindung zum und Anwesenheit des Göttlichen aufgefasst wird. Die Heiligkeit des ''mazar'' übertrifft aus Sicht der Gläubigen selbst diejenige der Moschee als bauliche Anlage.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> ''Mazar''-Schreine beinhalten fast immer irgendeine physische Konstruktion. Dabei kann es sich beispielsweise um hohe Kuppeln mit grünen, glasierten Dachziegeln handeln oder auch nur um einige Flaggen an krummen Stangen aus Zweigen. Bei den meisten ''mazar''-Schreinen handelt es sich aus Sicht der Gläubigen um Grabstätten von Heiligen, nur in sehr wenigen Fällen um andere Orte [[Transzendenz|transzendenten]] Kontakts wie [[Baumkult|heilige Bäume]], [[heilige Quelle]]n, Fußabdrücke oder Verweilorte heiliger Menschen oder Orte, an denen heilige Persönlichkeiten verschwunden sein sollen. Unabhängig von der physischen und narrativen Form eines bestimmten ''mazar'' bezeichnet der Begriff „mazar“ in der Praxis die aus Sicht der Gläubigen unmittelbarste, greifbarste Manifestation des Heiligen in physischer und geografischer Gestalt.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

Den meisten ''mazar''-Schreinen wird nachgesagt, als Gräber die sterblichen Überreste eines Menschen zu beherbergen, der seiner unsterblichen Persönlichkeit durch die Errungenschaften im Leben – beispielsweise durch wissenschaftliches Schaffen, Heldentaten oder Wunderwirkung – Nähe zu Gott verliehen hat und diese Nähe nun mit den Lebenden teilen kann.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> Der Begriff ''mazar'' bezeichnet in Zentralasien somit in der Regel Grabmäler islamischer Heiliger, bei denen es sich um mythische oder reale Figuren handeln kann.<ref name="Harris&Dawut2002_BJE_11_1_101-118" /> In diesen unzähligen [[Mausoleum|Mausoleen]] Xinjiangs findet Verehrung der Heiligen findet statt.<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" /> Während die ''mazar''-Schreine für im städtischen Umfeld lebende Uiguren an Bedeutung verloren haben, dienen sie in ländlichen Gegenden, in denen nach wie vor die Mehrheit der Uiguren lebt, oftmals als Gemeinde-Anlagen, historische Archive, Arenen für Debatten und unabhängige soziale Akteure. Sie werden beispielsweise für die Bitte um Fruchtbarkeit oder Heilung aufgesucht.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> Die Uiguren rufen dort den Schutz des jeweiligen Heiligen an, beispielsweise für eine gute Ernte, für die Geburt eines Sohnes und vieles mehr. Einige hundert dieser Gräber liegen in den Wüsten und Oasen von Xinjiang verstreut und bilden eine heilige Landschaft, deren Pfaden uigurische Bauern Jahr für Jahr auf ihren [[Pilger]]reisen folgen.<ref name="Harris&Dawut2002_BJE_11_1_101-118" /> Pilger erhalten dort Informationen über die Geschichte der begrabenen Heiligen des Schreins und damit über ihr eigenes Land.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />
{{Mehrere Bilder
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 | Richtung    = horizontal
 | Kopfzeile   = [[Sultan Sutuq Bugra Khan Mazar|Sultan-Sutuq-Bugra-Khan-Mazar]] in Artux
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 | Bild1       = Beispiele für mazar-Schreine in Xinjiang, die seit 2017 beschädigt wurden.png
 | Untertitel1 = '''Beispiele für ''mazar''-Schreine in Xinjiang, die seit 2017 beschädigt wurden''' <small>(Quelle: ASPI, 2020)</small><ref name="xjdp-aspi-org-au_2020-09-24_Shrine-minor damage-major damage">{{Internetquelle |url=https://xjdp.aspi.org.au/ |titel=The Xinjiang Data Project |werk=xjdp.aspi.org.au |datum=2020-09-24 |abruf=2020-11-01}} URL: https://xjdp.aspi.org.au/data/?tab=data&camp=none&cultural=,4&mosque=none, https://xjdp.aspi.org.au/data/?tab=data&camp=none&cultural=,3&mosque=none</ref><ref name="Ruser2020-09_ASPI_DXD">{{Internetquelle |autor=Nathan Ruser |url=https://xjdp.aspi.org.au/resources/documenting-xinjiangs-detention-system/ |titel=Research Report: Documenting Xinjiang’s detention system |werk=Australian Strategic Policy Institute |datum=2020-09-24 |abruf=2020-10-16}} Auch verfügbar als PDF: {{Internetquelle |autor=Nathan Ruser |url=https://cdn.xjdp.aspi.org.au/wp-content/uploads/2020/09/25125443/documenting-xinjiangs-detention-system.cleaned.pdf |titel=Documenting Xinjiang’s detention system |werk=Australian Strategic Policy Institute: ASPI International Cyber Policy Centre |datum=2020-09 |abruf=2020-10-16 |format=PDF}} {{ISSN|2209-9689}}, S. 1–16.</ref><small><br />Legende: [[Datei:Green Fire.svg|10px]]: leicht beschädigter Schrein /<br />[[Datei:Purple Fire.svg|10px]]: schwer beschädigter Schrein /<br />[[Datei:Black triangle2.svg|10px]]: Gebirge / [[Datei:Solid blue.svg|10px]]: Stadt</small><br />Der ''Sultan Sutuq Bugra Khan Mazar'' (in [[Artux]]) ist beschriftet.
 | Bild2       = Tomb of Sultan Satuk Bughra Khan (27778560748).jpg
 | Untertitel2 = Das Grabmal des [[Satoq Bugra Khan]] in [[Artux]] (2017). Der ''mazar''-Schrein steht unter nationalem Schutz und wurde seit 2017 nur leicht beschädigt.<ref name="xjdp-aspi-org-au_2020-09-24_Shrine-minor damage">{{Internetquelle |url=https://xjdp.aspi.org.au/ |titel=The Xinjiang Data Project |werk=xjdp.aspi.org.au |datum=2020-09-24 |abruf=2020-11-10}} URL: https://xjdp.aspi.org.au/data/?tab=data&camp=none&cultural=,2&mosque=none</ref> Bemühungen des Staates, ihn zu einem Ort des Massentourismus zu machen, blieben zwar beschränkt erfolgreich, doch wurde die Pilgerreise eingeschränkt<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Richtung    = horizontal
 | Kopfzeile   = Toyoq-Mazar (''Eshabulkehf'') in der Nähe von Turpan
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 | Bild1       = The cave and its surroundings02.jpg
 | Untertitel1 = Der Schrein in der Toyoq-Schlucht und (Bildausschnitt links oben) die Höhle der legendären [[Sieben Schläfer von Ephesus|Sieben Schläfer]] ''(Eshabulkehf)'' innerhalb der Ringmauern<ref name="Dawut2009_TheSilkRoad_6_2_p56-67" /><ref name="LeCoq1907_ZfE_39_4-5_509–524">{{Literatur |Autor=A. v. Le Coq |Titel=Bericht über Reisen und Arbeiten in Chinesisch-Turkistan |Sammelwerk=Zeitschrift für Ethnologie |Band=39 |Nummer=4/5 |Verlag=Dietrich Reimer Verlag |Datum=1907 |Seiten=509–524 |JSTOR=23030243}}</ref>
 | Bild2       = The Arabic story of Companions of the Cave, Qissat Ahl el-Kahaf, 1494 CE, origin unknown.jpg
 | Untertitel2 = „Höhlengefährten“-Geschichte (Qissat Ahl el-Kahaf) in Arabisch von 1494.<br />Durch Verbinden der Lokalgeschichte mit der [[Sieben Schläfer von Ephesus|Ashāb al-kahf]]-Legende steigerte die lokale Bevölkerung den Einfluss des Schreins.<ref name="Dawut2009_TheSilkRoad_6_2_p56-67" />
 | Fußzeile    = Den bedeutenden Schrein besucht noch immer (Stand: 2020) eine etwas größere Anzahl von Pilgern, wenn auch nicht mehr in großen Versammlungen, ermöglicht wohl durch eine weniger strikte Eintrittskartenpraxis.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> Vor Einzug des Islams war die Toyoq-Schlucht eine der wichtigen heiligen Stätten des Buddhismus und Manichäismus. [[Aurel Stein]] zufolge wurden heilige Stätten des Islam oft an solchen des alten Buddhismus und Hinduismus erbaut.<ref name="Dawut2009_TheSilkRoad_6_2_p56-67" />
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{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = [[Mähmud Qäshqäri mazâr]] in [[Opal (Xinjiang)|Opal]] bei Kaxgar (2015)
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 | Bild1       = 2015-09-11-102922 - Upal, Mausoleum des Uigurischen Philologen Muhamad Al Kashgari.jpg
 | Bild2       = 2015-09-11-083124 - Upal, Mausoleum des Uigurischen Philologen Muhamad Al Kashgari.JPG
 | Bild3       = 2015-09-11-085249 - Upal, Mausoleum des Uigurischen Philologen Muhamad Al Kashgari.JPG
 | Bild4       = 2015-09-11-084246 - Upal, Friedhof hinter Mausoleum Muhamad Al Kashgari.JPG
 | Fußzeile    = ''mazar'' (Mausoleum) des [[Philologie|Philologen]] [[Mahmūd al-Kāschgharī|Mähmut Qäshqäri]] (drei linke Bilder) und dahinterliegender Friedhof (rechts).<br />Um das Dorf Opal, am Rande des Opal-Tals, gibt es so viele ''mazar''-Schreine, die legendäre Geschichten oder historische Motive vermitteln, dass das gesamte Opaltal als riesiger heiliger Komplex angesehen werden kann.<ref name="SugawaraInSugawaraEtDawut2016_153–174" />
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Einige ''mazar''-Schreine, wie der ''[[Sultan Sutuq Bugra Khan Mazar]]'' (oder: 苏里坦·苏突克·博格拉汗麻扎), also das Grabmal des [[Satoq Bugra Khan]], der im 11. Jahrhundert einen Heiligen Krieg um die Einführung des Islam in die Region geführt hatte, sind oder waren Schauplätze alljährlicher Festlichkeiten. Einen wesentlichen Bestandteil dieser Feste, an denen tausende Menschen teilnehmen können, bildet die Aufführung von Musik, die sowohl der Unterhaltung als auch den Ritualen dient, darunter die „klassische“ ''muqam''-Tradition, ''dastan'' (Geschichtenerzählen), Trommel-und-[[Schalmei]]-Tanzmusik und [[Dhikr|Sufi-Zikr-Rituale]]. Diese Praxis der Pilgerfahrt und Durchführung von Festen an den Gräbern ist in Zentralasien und Afghanistan weit verbreitet.<ref name="Harris&Dawut2002_BJE_11_1_101-118" />

Es können nach Größe und Beschaffenheit verschiedene Arten von ''mazar''-Schreine unterschieden werden:<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" />
* Zunächst gibt es monumentale Schreine, die aus einem oder mehreren Gräbern, einer Moschee und einem Gebäude für Mystiker (''khanaqâh'') bestehen. Davon sind die sieben wichtigsten den üblichen uigurischen Beschreibungen zufolge der ''Altunluq mazâr'' in der Altstadt von Yarkant, der ''Apaq Khoja mazâr'' im Dorf Häzrät bei Kaxgar, der ''Imam Asim mazâr'' in der Nähe des Dorfes Jiya im Landkreis Lop, der ''Imam Jä'färi Sadiq mazâr'' nördlich von Niya, der ''Ordam Padishahim mazâr'' südöstlich von Harap in der Nähe des Landkreises Yengisar, der ''[[Toyoq Mazar|Tuyuq Khojam mazâr]]'' (auch: ''Äshabul Kähf'') in Yalquntagh im Landkreis [[Piqan]], und der ''[[Sultan Sutuq Bugra Khan Mazar|Sutuq Bughrakhan mazâr]]'' im Dorf Suntagh nahe bei Artux.<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" />
* Einige andere Schreine konnten bereits im Jahr 2013 nicht zu den offiziellen Mausoleen gezählt werden, da keine Pilgerfahrten mehr stattfanden und der religiöse Charakter verloren gegangen war, obwohl es sich um authentische historische Stätten handelte.<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" /> Dazu zählte der ''[[Mähmud Qäshqäri mazâr]]'' im Dorf [[Opal (Xinjiang)|Opal]] (乌帕尔) im Kreis [[Shufu]] östlich von Kaxgar,<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" /><ref name="SugawaraInSugawaraEtDawut2016_153–174" /> der die Grabstätte von [[Mahmūd al-Kāschgharī|Mähmut Qäshqäri]] (Maḥmūd al-Kāschgharī) birgt, dem Autor des etwa 1077 fertiggestellten [[Mahmūd al-Kāschgharī#Dīwān lughāt at-turk|Dīwān Lughāt al-Türk]] („Kompendium der Sprachen der Türken“). Im halboffiziellen Reiseführer für Xinjiang (新疆概览) wird dieses „Mausoleum von Mähmut Qäshqäri“ (马赫穆德・喀什噶里陵墓) inzwischen als „malerischer Ort“ uns als „Mausoleum für einen herausragenden nationalen Gelehrten von Chinas uigurischer Nationalität“ vorgestellt.<ref name="SugawaraInSugawaraEtDawut2016_153–174">{{Literatur |Autor=Jun Sugawara |Hrsg=Jun Sugawara, Rahile Dawut |Titel=Opal, a Sacred Site on the Karakoram Highway: A Historical Approach Based on Mazar Documents |Sammelwerk=Mazar: Studies on Islamic Sacred Sites in Central Eurasia |Verlag=Tokyo University of Foreign Studies Press |Ort=Fuchu, Tokio |Datum=2016 |ISBN=978-4-904575-51-2 |Seiten=153–174}}</ref> Weitere Beispiele für diese Gruppe der Schreine waren der ''[[Qomul Wangliri mazâr]]'' am Eingang der Altstadt von Kumul oder auch der ''[[Yusuf-Has-Hajip-Mazar|Yüsüp Khas Hajip Mazâr]]'' in der Stadt Kaxgar.<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" />
* Abgesehen von diesen großen heiligen Komplexen besuchen Pilger häufig unzählige, oftmals in abgelegenen ländlichen Gebieten liegende „sekundäre“ Schreine, bei denen es sich um kleinere Stätten mit einfacher Architektur handelt.<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" />
* Schließlich existiert als weitere Art von Schrein das kleine lokale ''mazar'', das oft nur aus einem einzelnen Grab oder manchmal nur aus einer heiligen Quelle oder Höhle mit einer rudimentären Schreinstruktur besteht.<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17">{{Literatur |Autor=Alexandre Papas |Hrsg=Rahile Dawut, Lisa Ross, Beth R. Citron, Alexander Papas |Titel=Pilgrimages to Muslim Shrines in West China |Sammelwerk=Living Shrines of Uyghur China: Photographs by Lisa Ross |Verlag=Monacelli Press |Ort=New York |Datum=2013 |ISBN=978-1-58093-350-6 |Seiten=11-17}}</ref>

Während der Kulturrevolution waren ''mazar''-Schreine in ganz Xinjiang vollständig geschlossen worden. Als in den 1980er Jahren die Beschränkungen des chinesischen Staates für kulturelle und religiöse Praktiken im Land gelockert wurden, belebte dies die ''mazar''-Schreine wieder. Dies geschah in zwei unterschiedlichen Formen. Einige, wie der [[Ordam Mazar]] (oder: ''Ordam Padishah Mazar'', 奥达木麻扎), erlebten [[Graswurzelbewegung|aus der Basis der Bevölkerung heraus]] eine Wiederbelebung der Festlichkeiten und der gewöhnlichen Pilgerreise. Andere, besonders der [[Apak-Hodscha-Mausoleum|Afaq Khoja Mazar]] in Kaxgar, wurden vom chinesischen Staat zu musealen Touristenattraktionen umgewandelt. Diese Musealisierung stellte die früheste Welle von Zersetzung der ''mazar''-Schreinkultur im China der Reformzeit dar.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

Einige der bekanntesten und kulturell bedeutendsten Stätten wie der [[Imam Jafar Sadiq Mazar]] (oder: ''Je'firi Sadiq Mazar'', 伊玛木·加甫尔·萨迪克麻扎), der [[Imam Asim Mazar]] (伊玛目·阿斯木麻扎) und möglicherweise der ''Ordam Mazar'', zu denen zuvor jedes Jahr große Pilgerreisen stattfanden, wurden nicht formell unter Schutz gestellt und seit 2017 von den chinesischen Behörden abgerissen.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /><ref name="xjdp-aspi-org-au_2020-09-24_Shrine-destroyed" /> Laut dem Historiker Rian Thum hatten die Behörden in Xinjiang die hohe Bedeutung der ''mazar''-Schreine erkannt. An den Umständen der Zerstörung beispielsweise des ''Imam Jafar Sadiq Mazar'' lasse sich zeigen, dass in diesem Fall der ''mazar'' selbst und nicht der wirtschaftliche Wert des Landes die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen habe. Der vollständige Abriss und die Entweihung betraf zunächst ''mazar''-Schreine, die zuvor große Menschenmengen angezogen haben, einen regionales Ansehen erreicht haben und nicht musealisiert wurden, während die meisten kleinen ''mazar''-Schreine von den 2018 begonnenen Zerstörungen und Entweihungen verschont blieben (Stand: 2020).<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

Neben der vollständigen Auslöschung wie im Fall des ''Imam Jafar Sadiq Mazar'' und des ''Ordam Padishah Mazar'' kam es noch zu einer weiteren Form des Übergriffs auf uigurische heilige Stätten durch den chinesischen Staat. Dieser bestand in der Welle von ''mazar''-Schließungen in den vorangegangenen drei Jahrzehnten, die ebenfalls zu einer Form von Zerstörung führten: Denn ''mazar''-Schreine werden ständig durch Pilgerfahrten erschaffen und neu erschaffen. Ihre Bauanlage sammelt dabei Material an, indem die Pilger Fahnenstangen, Stoffbahnen, Schafhörner, Öllampen, Tierhäute und andere kurzlebige Opfergaben bringen und sich Opfergaben und angesammelten Fahnenstangen bis zu zehn Meter hoch auftürmen. Die Schließung der Schreine unterbricht diese kontinuierliche Erschaffung der heiligen Stätte und entweiht das ''mazar'', indem sie es seiner äußeren Sichtbarmachung der Verehrung durch die Gemeinschaft beraubt.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

[[Datei:Beispiele für mazar-Schreine in Xinjiang, die seit 2017 zerstört wurden.png|440px|mini|'''Beispiele für ''mazar''-Schreine in Xinjiang, die seit 2017 zerstört wurden'''<br />(Quelle: ASPI-Studie vom 24. September 2020)<ref name="xjdp-aspi-org-au_2020-09-24_Shrine-destroyed">{{Internetquelle |url=https://xjdp.aspi.org.au/ |titel=The Xinjiang Data Project |werk=xjdp.aspi.org.au |datum=2020-09-24 |abruf=2020-11-01}} URL: https://xjdp.aspi.org.au/data/?tab=data&camp=none&cultural=,4&mosque=none</ref><ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /><br /><small>Legende: [[Datei:Fire.svg|10px]]: Zerstörter Schrein / [[Datei:Black triangle2.svg|10px]]: Gebirge / [[Datei:Solid blue.svg|10px]]: Stadt<br />Die beiden am stärksten verehrten Schreine des Ordam Padishah (bei [[Yengisar]]) und des Imam Je'firi Sadiq (bei [[Niya (Hotan)|Niya]]) sind beschriftet. Auch der Schrein des Imam Asim (bei [[Hotan]]) hat in der Vergangenheit große Ansammlungen von Pilgern (''seyla'') beherbergt und ist in der Abbildung beschriftet.</small><ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />]]
Insgesamt haben alle der vermutlich fünf ''mazar''-Schreine, die laut einer Untersuchung des Historikers Thum unter den insgesamt Hunderten oder Tausenden uigurischen ''mazar''-Schreinen ein außergewöhnlich hohes und historisch weit zurückreichendes regionales Ansehen als heilige Stätten erlangt hatten, ihre traditionelle Funktion als ''mazar''-Schreine verloren. Zwei von ihnen wurden seit 2017 vollständig zerstört, namentlich der ''Imam Jafar Sadiq Mazar'' und der ''Ordam Padishah Mazar''.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> Die restlichen drei überdauerten zwar physisch, wurden aber zu Museumsattraktionen für Han-Chinesen und ausländische Touristen umgeformt, namentlich der [[Apak-Hodscha-Mausoleum|Afaq Khoja Mazar]] in Kaxgar,<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> der von der lokalen Bevölkerung mit der Legende der [[Sieben Schläfer von Ephesus|Sieben Schläfer]] (''Ashāb al-kahf'', ''Eshebul Kahf'' oder ''Eshabulkehf'') verbundene<ref name="Dawut2009_TheSilkRoad_6_2_p56-67">{{Literatur |Autor=Rahilä Dawut |Titel=Shrine Pilgrimage among the Uighurs |Reihe=The Silk Road |BandReihe=6 |NummerReihe=2 |Datum=2009 |ISSN=2152-7237 |Seiten=56-67}}</ref> ''[[Toyoq Mazar]]'' (oder ''Tuyuq Khojam Mazar'') in der Nähe von Turpan<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> sowie der ''[[Sultan Sutuq Bugra Khan Mazar]]'' in [[Artux]],<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> der somit seine [[Spiritualität|spirituelle]] Dimension verloren hat, auch wenn ihn einzelne Pilger noch immer besuchen und die angrenzende Freitagsmoschee noch funktionsfähig ist.<ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" />

'''Je'firi Sadiq Mazar'''

Gläubige pilgerten vor seiner Zerstörung rund 70 km in die Wüste zu dem Schrein, um die Gegenwart von Imam Je'firi Sadiq aufzusuchen, der als Gründungsvater und Held gilt und vor rund 1000 Jahren an dieser Stelle gestorben war, als er den Islam in die Region gebracht haben soll.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> Die Zerstörung scheint laut Thum als Selbstzweck gedient zu haben und nicht einem wirtschaftlich wertvollen Ziel wie es bei der Zerstörung einiger Friedhöfe der Fall gewesen war. Thum zufolge waren die chinesischen Behörden schon seit Jahrzehnten wegen der großen Festivals (''seyla'') beunruhigt, die von einigen ''mazar''-Schreinen angeregt worden waren und die wie andere unabhängige Versammlungen aus Sicht der chinesischen Beamten das Potenzial bargen, alternativen Quellen politische Macht zu verschaffen oder sich zu Protesten zu entwickeln. In diesen Jahrzehnten hatte der Staat bereits bewiesen, Versammlungen auch ohne vollständige Zerstörung eines ''mazar'' verhindern zu können.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

'''Ordam Padishah Mazar'''

So hatten die Behörden beispielsweise bereits seit 1997 – dem Jahr vor dem eintausendsten Todestag von [[Ali Arslan Khan]] (oder: Arslan Khan) – eine Massenpilgerfahrt zum ''Ordam Padishah Mazar'' verhindert,<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /> dem Ort, der sowohl von heutigen Pilgern als auch in historischen Quellen als heiligste Stätte der Uiguren beschrieben wird und als einziger stärker verehrt wurde als der ''Je'firi Sadiq Mazar''.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> An diesem ''mazar''-Schrein versammelten sich seit über 400 Jahren bis zu Zehntausende Pilger, um Ali Arslan Khans zu gedenken, der ein Enkelsohn des ersten islamischen Königs der Uiguren war und im Jahr 998 n. Chr. an dieser Stelle im Kampf um die Eroberung des buddhistischen Königreichs Hotan als [[Märtyrer]] gefallen war.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" /><ref name="NYT_2020-09-25_CEM" /> Die offizielle Schließung des ''Ordam Mazar'' im Jahr 1997 wurde mit dem Verbot illegaler religiöser Aktivitäten (非法 宗教 活动) und feudalen Aberglaubens (封建 迷信) gerechtfertigt, womit die mystischen Traditionen des uigurischen Volkes mit Vorstellungen von Rückständigkeit und psychischen Erkrankungen verbunden wurden. ''Ordam Mazar'' und seine Verbindung zu mystischen Ausdrucksformen des islamischen Glaubens standen sinnbildlich für die „drei Übel“ (三 股 势力) von Terrorismus, Separatismus und religiösem Extremismus.<ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38" />

Das gleiche Vorgehen wie im Fall des ''Ordam Padishah Mazar'' wäre dem Staat somit laut Rian Thum auch beim ''Je'firi Sadiq Mazar'' möglich gewesen, zu dem Pilgerfahrten ebenfalls bereits seit Jahren verboten waren. Wie beim ''Je'firi Sadiq Mazar'' liegt das Land um den ''Ordam Padishah Mazar'' und ist unfruchtbar, und in beiden Fällen wurde der Schrein durch nichts ersetzt. Die Zerstörung der heiligsten Stätte der Uiguren scheint somit laut der Analyse von Rian Thum Selbstzweck und eigentliches Ziel gewesen zu sein und sei Bestandteil der umfassenderen Bemühungen der chinesischen Regierung, die materielle Kultur und Geschichte der Uiguren zu definieren und zu kontrollieren.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

'''Imam Asim Mazar'''

Auch von dem Schrein des Imam Asim, der ebenfalls große Scharen an Pilgern zu den ''seyla''-Versammlungen angezogen hatte,<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="NYT_2020-09-25_CEM" /><ref name="PapasInRossEtAl2013_p11-17" /><ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> wurden die Pilger bereits im Jahr 2014 fast vollständig ferngehalten, bis das Gelände im Jahr 2019 zu großen Teilen zerstört wurde.<ref name="NYT_2020-09-25_CEM">{{Internetquelle |autor=Chris Buckley, Austin Ramzy |url=https://www.nytimes.com/interactive/2020/09/25/world/asia/xinjiang-china-religious-site.html |titel=China Is Erasing Mosques and Precious Shrines in Xinjiang |werk=nytimes.com |datum=2020-09-25 |abruf=2020-11-09}}</ref><ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> Die dazugehörige Moschee, [[Tekke|Khaniqah]] uns andere Gebäude wurden abgerissen, der eigentliche ''mazar''-Schrein seiner Flaggen, Opfergaben und Holzgeländer beraubt und faktisch entweiht.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" /> Nur das Grab, dem nachgesagt wurde, die sterblichen Überreste eines heiligen Kriegers aus dem 8. Jahrhundert zu enthalten, blieb erhalten. Während sich am Schrein des Imam Asim vor der Zerstörung jahrzehntelang jedes Frühjahr Tausende uigurischer Muslime versammelt hatten, wurde er nach seiner Zerstörung nicht mehr von Pilgern besucht.<ref name="theguardian-com_2019-05-06_NEC" />
[[Datei:Wang Yi visit protests Oslo 2020 (161645).jpg|mini|Prouigurische Demonstranten vor der Residenz des norwegischen Premierministers während des Besuchs des chinesischen Außenministers [[Wang Yi]] am 27. August 2020 in [[Oslo]] halten unter anderem ein Plakat mit dem Porträt von [[Rahilä Dawut]] in die Höhe (ganz rechts).]]
Im Jahr 2002 veröffentlichte [[Rahile Dawut]] (Rahilä Dawut), eine bedeutende, prominente und international anerkannte Ethnologin von der [[Xinjiang University]] mit Forschungsschwerpunkt uigurische Folklore und Geographie heiliger Stätten, eine monumentale Studie über die religiöse Geographie der Uiguren,<ref name="Dawut2002_uyghur_mazarliri">{{Literatur |Autor=راھىلە داۋۇت [Rahile Dawut] |Titel=ئۇيغۇر مازارلىرى [dt. etwa: „Uigurische Gräber“] |Verlag=شىنجاڭ خەلق نەشىرىياتى [Volksverlag Xinjiang] |Datum=2002 |ISBN=7-228-06259-0 |Sprache=ug |Umfang=S. 1–264}} [Geschrieben in arabisch-uigurischer Schrift].</ref><ref name="Byler_In_chinachannel-org_2018-11-02_DRD" /><ref name="deutschlandfunkkultur-de_2020-08-27_AEK" /><ref name="elle.com_2021-05-21_SBS">{{Internetquelle |autor=Brent Crane |url=https://www.elle.com/culture/a36421114/rahile-dawut-disappearance-china/ |titel=Stolen By The State |titelerg=Four years ago, a famous Uyghur anthropologist disappeared. What happened? Her daughter is trying to find out |werk=elle.com |datum=2021-05-21 |abruf=2021-06-09}}</ref> in der sie hunderte von ''mazar''-Schreinen kartographierte.<ref name="Byler_In_chinachannel-org_2018-11-02_DRD" /> Sie untersuchte dabei neben diesem Netzwerk der Pilgerstätten auch die Überzeugungen der Menschen über die Geschichte jedes Schreins sowie die Rituale, die sie in den Schreinen vollzogen.<ref name="Byler_In_chinachannel-org_2018-11-02_DRD">{{Internetquelle |autor=Darren Byler |url=https://chinachannel.org/2018/11/02/dawut-dawut/ |titel=The Disappearance of Rahile Dawut |titelerg=A vanished professor, remembered by students and colleagues |werk=chinachannel.org |datum=2018-11-02 |abruf=2020-11-18}}</ref> Da China vielen Uiguren keine Reise nach [[Mekka]] gestattet, indem die Pässe beschränkt sind und eine strikte Quote durchgesetzt wird, können sie durch den Besuch einer Reihe der in dem Buch von Dawut beschriebenen ''mazar''-Schreine ein dem [[Hāddsch]] ähnliches Lebensziel erreichen, ohne jemals China verlassen zu haben.<ref name="Byler_In_chinachannel-org_2018-11-02_DRD" /> Aus diesem Grund wurde das Buch selbst zu einem begehrten Objekt in der Region. Es bestärkte uigurische Gläubige darin, die Wege ihrer Vorfahren zu verfolgen und diente ihnen als Führer für die Pilgerfahrt.<ref name="Byler_In_chinachannel-org_2018-11-02_DRD" /><ref name="thediplomat-com_2020-11-23_WIU">{{Internetquelle |autor=Ruth Ingram |url=https://thediplomat.com/2020/11/where-is-uyghur-folklore-expert-rahile-dawut/ |titel=Where Is Uyghur Folklore Expert Rahile Dawut? |titelerg=Uyghur scholar Rahile Dawut, missing since 2017, was awarded the 2020 Scholars at Risk “Courage to Think” award |werk=thediplomat.com |datum=2020-11-23 |abruf=2020-11-28}}</ref> Sowohl die Bereitschaft von Uiguren, an dieser Schreintradition weiter teilzunehmen, als auch das Interesse an Dawuts Werk belegen nach wissenschaftlicher Einschätzung die hohe Bedeutung der Schreine für Uiguren. Laut dem Historiker Rian Thum zeigte Dawuts Werk auf, dass Schreine „eher ein allgegenwärtiges als ein außergewöhnliches Merkmal der uigurischen Landschaft sind“.<ref name="Byler_In_chinachannel-org_2018-11-02_DRD" /> Die Verfügbarkeit des Buches soll seit 2016 zurückgegangen sein.<ref name="thediplomat-com_2020-11-23_WIU" /> Dawut, die als eine der am meisten verehrten Akademikerinnen aus der uigurischen Minderheit in China gilt,<ref name="nytimes-com_2018-08-10_SSD">{{Internetquelle |autor=Chris Buckley, Austin Ramzy |url=https://www.nytimes.com/2018/08/10/world/asia/china-xinjiang-rahile-dawut.html |titel=Star Scholar Disappears as Crackdown Engulfs Western China |werk=nytimes.com |datum=2018-08-10 |abruf=2020-11-18}}</ref> 1998 als eine der ersten uigurischen Frauen in China einen [[Ph.D.]]-Titel erhalten und 2007 das [[Ethnic Minorities Folklore Research Center]] an der Xinjiang University gegründet hatte, verschwand im Dezember 2017<ref name="Byler_In_chinachannel-org_2018-11-02_DRD" /><ref name="elle.com_2021-05-21_SBS" /> und ist seitdem nicht mehr (Stand: 2021) in der Öffentlichkeit gesehen worden.<ref name="Byler_In_supchina-com_2020-04-01_HIS" /><ref name="elle.com_2021-05-21_SBS" /> Ihr Verbleib ist seitdem (Stand: 2021) für Wissenschaft und westliche Medien unbekannt und wird mit der Inhaftierungswelle in China in Verbindung gebracht.<ref name="nytimes-com_2018-08-10_SSD" /><ref name="Byler_In_supchina-com_2020-04-01_HIS">{{Internetquelle |autor=Darren Byler |url=https://supchina.com/2020/04/01/a-uyghur-daughter-alone-in-america-during-a-pandemic/?emci=79950bcc-ad7a-ea11-a94c-00155d03b1e8&emdi=34595d60-b27a-ea11-a94c-00155d03b1e8&ceid=1725333 |titel=‘Heaviness in the stomach’: A Uyghur daughter alone in America on her birthday during a pandemic |werk=supchina.com |datum=2020-04-01 |abruf=2020-11-18}}</ref><ref name="thediplomat-com_2020-11-23_WIU" /><ref name="deutschlandfunkkultur-de_2020-08-27_AEK">{{Internetquelle |autor=Axel Dorloff |url=https://www.deutschlandfunkkultur.de/unterdrueckte-uiguren-in-china-das-ausloeschen-einer-kultur.979.de.html?dram:article_id=483086 |titel=Unterdrückte Uiguren in China: Das Auslöschen einer Kultur |werk=deutschlandfunkkultur.de |datum=2020-08-27 |abruf=2020-11-11}}</ref><ref name="elle.com_2021-05-21_SBS" /> Laut [[Scholars at Risk]] (SAR), von denen Dawut im Jahr 2020 mit dem ''Courage to Think''-Award ausgezeichnet wurde,<ref name="thediplomat-com_2020-11-23_WIU" /><ref name="scholarsatrisk-org_2020-11-10_RDH" /> wird vermutet, dass sie von staatlichen Behörden an einem unbekannten Ort festgehalten wird.<ref name="scholarsatrisk-org_2020-11-10_RDH">{{Internetquelle |url=https://www.scholarsatrisk.org/2020/11/rahile-dawut-to-receive-courage-to-think-award/ |titel=Rahile Dawut honored with Courage to Think Award |werk=[[Scholars at Risk|scholarsatrisk.org]] |datum=2020-11-10 |abruf=2020-11-29}}</ref> Laut Rachel Harris war Rahile Dawut kurz vor der Abriss- und Umbauwelle von über 100 uigurischen Moscheen und mehreren Schreinen im November 2017 als eine von hunderten verschwundenen Intellektuellen und kulturellen Führungspersönlichkeiten inhaftiert worden und weiterhin (Stand: September 2020) im Internierungslager verblieben. Die Kampagne des chinesischen Staates gegen die uigurische Kultur habe somit nicht nur auf deren physische Infrastruktur, sondern auch auf die führenden menschlichen Vertreter dieser Kultur abgezielt.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> Nachdem Dawut auch nach Monaten nicht wieder in Erscheinung trat, wertete Rian Thum ihr Verschwinden als „besten Beweis“ dafür, dass „praktisch alle Ausdrucksformen der einzigartigen Kultur der Uiguren“ inzwischen für Uiguren in China gefährlich seien.<ref name="nytimes-com_2018-08-10_SSD" />

===== Muslimische Friedhöfe =====
[[Datei:Bauerngräber, Ebene nördlich von Schah-Yar Le Coq 1916 Tafel 3 Figur 2.png|mini|Bauerngräber auf der Ebene nördlich von [[Xayar|Schāh-Yār]] zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Grabdenkmäler (''gör'', ''γör'') der Armen bestanden aus einem Rechteck aus Lehm, auf dem die Nachbildung eines Sarges im gleichen Material (''tuluq''; wörtl.: „Rollstein, Rollwalze“) aufgesetzt wurde. Oft wiesen diese Grabstätten eine Bedachung auf<ref name="LeCoq1916_VAO_p2uTaf3Fig2">{{Literatur |Autor=Albert von Le Coq |Titel=Volkskundliches aus Ost-Turkistan |Verlag=Reimer |Ort=Berlin |Datum=1916 |Seiten=21–27 |Fundstelle=hier S. 2, Tafel 3, Figur 2 |Kommentar=Königlich Preussische Turfan-Expeditionen |Umfang=S. i–vii, 1–72, 25 Tafeln}}</ref> ]]
Gleichzeitig mit dem Abriss und Umbau vieler Moscheen erfolgte auch die Zerstörung und die Versetzung vieler uigurischer Friedhöfe.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> In den Jahren 2018 bis 2020 wurden in Xinjiang über 100 Friedhöfe zerstört.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="RiversInCNN_2020-01-03_MT1" /> Dadurch wurde in einigen Fällen den Grundstückserschließern oder dem Staat wertvolles städtisches Land zur Verfügung gestellt. Einige Aspekte des Vorgehens Chinas auf heilige Stätten standen somit in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Anreizen.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> Das extrem enggesteckte zeitliche Rahmen, in dem menschliche Überreste entfernt und zur Bestattung an anderer Stelle freigegeben – vorausgesetzt, Verwandte erhoben Anspruch darauf – und die Friedhöfe planiert wurden, ließen den Einheimischen – soweit diese nicht ohnehin in Lagern inhaftiert waren – nur wenig Zeit, die Knochen ihrer Familienmitglieder an sich zu nehmen.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Die Nachrichtenagentur AFP hatte bereits 2019 in einer Investigationsrecherche mit Vorortuntersuchung zusammen mit den Satellitenbildauswertern von [[Earthrise Alliance]] die Zerstörung von mindestens 45 uigurischen Friedhöfen seit 2014 dokumentiert,<ref name="scmp-com_2019-10-12_NSM">{{Internetquelle |url=https://www.scmp.com/news/china/politics/article/3032646/no-space-mourn-destruction-uygur-graveyards-xinjiang |titel=‘No space to mourn’: the destruction of Uygur graveyards in Xinjiang |werk=[[South China Morning Post|www.scmp.com]] |datum=2019-10-12 |abruf=2020-11-09}} (AFP). Auch als Printversion erschienen: ''Even in death, Uygurs feel long reach of the state'', South China Morning Post.</ref><ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> davon 30 seit 2017.<ref name="scmp-com_2019-10-12_NSM" /> Der Fernsehsender [[CNN]] dokumentierte dann Anfang Januar 2020 in einer Investigativrecherche in Zusammenarbeit mit uigurischen Quellen und durch Auswertung von Satellitenaufnahmen über 100 Friedhöfe, die zumeist in den vorangegangenen zwei Jahren zerstört worden waren.<ref name="RiversInCNN_2020-01-03_MT1">{{Internetquelle |autor=Matt Rivers |url=https://edition.cnn.com/2020/01/02/asia/xinjiang-uyghur-graveyards-china-intl-hnk/index.html |titel=More than 100 Uyghur graveyards demolished by Chinese authorities, satellite images show |werk=edition.cnn.com |datum=2020-01-03 |abruf=2020-11-09}} (AFP)</ref><ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /><ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Es existiert keine scharfe Abgrenzung zwischen gewöhnlichen Gräbern und ''mazar''-Schreinen, da diese ebenfalls meist Gräber sind und zudem in der Bevölkerung der Wunsch weit verbreitet ist, in der Nähe eines ''mazar''-Schreins begraben zu werden. Die Gräber von heiligen oder berühmten Persönlichkeiten sind oft umgeben von den Gräbern derer, die über ausreichende Prominenz in ihren Gemeinden verfügten, um Zugang zu erstklassigem heiligem Land für ihre Grabstätte zu erhalten. Aufgrund der Eminenz dieser Personen und der Bedeutung der Heiligen, neben denen sie liegen, werden ihre Gräber schließlich selbst als Teil der ''mazar''-Schreine behandelt. Bei der Zerstörung der Friedhöfe kam es daher zu einer Überschneidung der staatlichen „Säuberung“ sozusagen intimer Räume mit individueller oder stark lokaler Bedeutung einerseits mit der Zerstörung der politischen und symbolischen Macht der ''mazar''-Schreine andererseits. Zwar scheint die Zerstörungswelle durch den Staat sich überproportional stark gegen die bekanntesten ''mazar''-Schreine zu richten, doch wurde auch eine große Anzahl sehr kleiner ''mazar''-Schreine zerstört, aber nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als ''marar''-Schreine, sondern weil sie sich auf einem von den über 100 uigurischen Friedhöfen befanden, die der chinesische Staat seit 2017 beseitigt hat.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

Während die Behörden versuchten, die Zerstörung oder Versetzung von Friedhöfen mit Anforderungen der Stadtentwicklung zu rechtfertigen, werden diese Maßnahmen von der Wissenschaftlerin Rachel Harris als Teil der umfassenderen Bemühungen des Staates gewertet, die uigurischen Gemeinschaften zu stören und die Weitergabe der uigurischen Kultur zu unterbrechen.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> Laut Harris wurden Uiguren kollektiv unter Verdacht gestellt und alle uigurische Akademiker mit ausländischen Beziehungen als „Intellektuelle mit zwei Gesichtern“ bezeichnet, die dem Staat nicht treu seien und umerzogen werden müssten.<ref name="nytimes-com_2018-08-10_SSD" /> So hatte der Xinjiang-Beamte für religiöse Angelegenheiten, Maisumujiang Maimuer (买苏木江·买木尔), bereits 2017 in den staatlichen Medien ausdrücklich über „Personen mit zwei Gesichtern“ erklärt, das Ziel bestehe darin, „ihre Abstammung zu brechen, ihre Wurzeln zu brechen, ihre Verbindungen zu brechen und ihre Herkunft zu brechen“:<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="cn-nytimes-com_2019-01-07_CTP">{{Internetquelle |autor=Austin Ramzy |url=https://cn.nytimes.com/china/20190107/china-xinjiang-uighur-intellectuals/en-us/ |titel=China Targets Prominent Uighur Intellectuals to Erase an Ethnic Identity |werk=cn.nytimes.com |datum=2019-01-07 |abruf=2020-11-19}} Dort mit Verweis auf: {{Internetquelle |url=https://www.weibo.com/ttarticle/p/show?id=2309351000444139144631708028 |titel=买苏木江·买木尔：誓与“两面人”斗争到底 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20190707104805/https://www.weibo.com/ttarticle/p/show?id=2309351000444139144631708028 |archiv-datum=2019-07-07 |offline=2021-04-16 |werk=weibo.com |datum=2017-08-10 |abruf=2021-04-16}} (新华社中国网事 / Nachrichtenagentur Xinhua)</ref><ref name="afp.com_2018-10-25_ICI">{{Internetquelle |autor=Text: Ben Dooley, Bilder: Johannes Eisele, Greg Baker |url=https://www.afp.com/en/inside-chinas-internment-camps-tear-gas-tasers-and-textbooks |titel=Inside China’s internment camps: tear gas, Tasers and textbooks |werk=afp.com |datum=2018-10-25 |abruf=2021-04-16}}</ref><ref name="HRW_et_MillsLegalClinic_2021-04_BTL_p1">{{Literatur |Hrsg=Human Rights Watch & Mills Legal Clinic, Stanford Law School, Stanford University |Titel=“Break Their Lineage, Break Their Roots”: Chinese Government Crimes against Humanity Targeting Uyghurs and Other Turkic Muslims |Ort= |Datum=2021-04 |ISBN=978-1-62313-899-8 |Seiten=1–53; hier: S. 1 |Sprache=en |Online=https://www.hrw.org/sites/default/files/media_2021/04/china0421_web_2.pdf |Format=PDF}} Zugriff über und auch veröffentlicht als Internetseite: {{Internetquelle |url=https://www.hrw.org/report/2021/04/19/break-their-lineage-break-their-roots/chinas-crimes-against-humanity-targeting |titel=“Break Their Lineage, Break Their Roots” |titelerg=China’s Crimes against Humanity Targeting Uyghurs and Other Turkic Muslims |werk=hrw.org |datum=2021-04-19 |abruf=2021-04-19}}</ref>

{{Zitat
 |Text=Break their lineage, break their roots, break their connections, and break their origins. Completely shovel up the roots of »two-faced people,« dig them out, and vow to fight these two-faced people until the end.
 |Sprache=en
 |Autor=Maisumujiang Maimuer, Xinjiang-Beamter für religiöse Angelegenheiten
 |Quelle=Xinhua Weibo, 10. August 2017
 |ref=<ref name="HRW_et_MillsLegalClinic_2021-04_BTL_p1" />}}

Mit Entwicklungs- und [[Versicherheitlichung]]sprojekten dieser Art versuchte der chinesische Staat laut Harris, die kulturelle Landschaft Xinjiangs umzugestalten und die Wünsche und Handlungen ihrer Einwohner zu transformieren.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

===== Altstädte =====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Altstadt von Kaxgar (2015)
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 | Bild1       = Kashgar everyday life Kashgar old city IGP4070.jpg
 | Untertitel1 = Blick auf die Altstadt durch das rekonstruierte Haupt-Stadttor, vor dem regelmäßig kommerzialisierte traditionelle Tänze für Touristen abgehalten werden<ref name="Drexel2020-06_uhrp-org_KCF_p47">{{Internetquelle |autor=William Drexel |url=https://uhrp.org/sites/default/files/UHRP-Kashgar-Coerced-Report-06_03_20%20Final.pdf |titel=Kashgar Coerced: Forced Reconstruction, Exploitation, and Surveillance in the Cradle of Uyghur Culture |werk=[[The Uyghur Human Rights Project|uhrp.org]] |datum=2020-06 |abruf=2020-11-19 |format=PDF |sprache=en}} Hier S. 47.</ref>
 | Bild2       = Kashgar Old Town (23756211090).jpg
 | Untertitel2 = Reste der im Abriss befindlichen alten Altstadt
 | Bild3       = Kashgar old city IGP3789.jpg
 | Untertitel3 = Aspekt mit schlichter Gebäudehülle, die dem Abriss entgangen ist
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Neue Altstadt von Kaxgar (2015)
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 | Bild1       = Kashgar (23684395969).jpg
 | Bild2       = Kashgar everyday life Kashgar old city IGP3825.jpg
 | Fußzeile    = Flaggen der VR China und neue Fassadengestaltung in synthetischer Bauweise, die wegen ihrer blockartigen, hellbraunen Strukturen mit Zierbögen als „islamische Lego“-Architektur beschrieben wurde<ref name="Drexel2020-06_uhrp-org_KCF_p46">{{Internetquelle |autor=William Drexel |url=https://uhrp.org/sites/default/files/UHRP-Kashgar-Coerced-Report-06_03_20%20Final.pdf |titel=Kashgar Coerced: Forced Reconstruction, Exploitation, and Surveillance in the Cradle of Uyghur Culture |werk=[[The Uyghur Human Rights Project|uhrp.org]] |datum=2020-06 |abruf=2020-11-19 |format=PDF |sprache=en}} Hier S. 28f., 46.</ref><ref name="Holdstock2019_CFP_Kap7_183-214_p205">{{Literatur |Autor=Nick Holdstock |Titel=China’s Forgotten People: Xinjiang, Terror and the Chinese State |Verlag=I. B. Tauris (Bloomsbury Publishing) |Ort=London & New York |Datum=2019 |ISBN=978-1-78831-979-9 |Kapitel=Chapter 7 (Urumqi and After: Learning the Wrong Lessons) |Seiten=183–214 |Fundstelle=205 |JahrEA=2015}}</ref>
}}
{{Mehrere Bilder
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 | Fußzeile    = Straßenaspekte der neugestalteten Altstadt
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 | Bild1       = Areya Road (41539328341).jpg
 | Untertitel1 = Um sezessionistischen Bestrebungen entgegenzuwirken, verlangt die chinesische Regierung, dass an jedem Gebäude entlang der Areya-Straße chinesische Staatsflaggen hängen
 | Bild2       = Kashgar Back Street (26663111927).jpg
 | Untertitel2 = Trotz des allgegenwärtigen chinesischen Einflusses spielt sich in den Seitengassen das Alltagsleben der Uiguren weiter ab
}}

'''Kaxgar'''

Die Altstadt von Kaxgar war bis Anfang der 2000er Jahre von der chinesischen Entwicklung weitgehend unberührt geblieben und stellte einen der besterhaltenen vormodernen Stadtkerne Zentralasiens dar. Sie zeichnete sich durch enge Gassen und niedrige Innenhof-Häuser aus, die aus Ziegeln und Lehmziegeln errichtet waren.<ref name="Thum_THREE_Kashgar" />

Der uigurische Stadtkern von Kaxgar wurde zwischen 2001 und 2017 abgerissen.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> In den 1990er Jahren hatte ein schrittweiser Prozess von Zerstörung und Wiederaufbau der Altstadt von Kaxgar begonnen, der 2013 abgeschlossen wurde.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="Drexel2020-06_uhrp-org_KCF">{{Internetquelle |autor=William Drexel |url=https://uhrp.org/sites/default/files/UHRP-Kashgar-Coerced-Report-06_03_20%20Final.pdf |titel=Kashgar Coerced: Forced Reconstruction, Exploitation, and Surveillance in the Cradle of Uyghur Culture |werk=[[The Uyghur Human Rights Project|uhrp.org]] |datum=2020-06 |abruf=2020-11-19 |format=PDF |sprache=en}}</ref> Der Abriss des größten Teils der Altstadt durch den chinesische Staat erfolgte ab 2009.<ref name="Thum_THREE_Kashgar" /> Das [[Europäisches Parlament|Europaparlament]] (EP) hatte im März 2011 in einer Entschließung zu der Lage und dem Kulturerbe in Kaxgar Stellung bezogen zu dem im Jahr 2009 von der chinesischen Regierung angekündigten Städtebauprogramm mit der Bezeichnung „Sanierung baufälliger Häuser in Kaxgar“, das die Planung beinhalte, „85 Prozent der traditionellen Altstadt abzureißen, durch moderne Wohnblocks zu ersetzen und die letzten historischen Überbleibsel der Stadt in gemischt sino-uigurische Touristenorte zu verwandeln“. Das EP hatte die chinesische Regierung in der Entschließung aufgefordert, die kulturelle Zerstörung des architektonischen Erbes von Kaxgar umgehend zu beenden, alle Zwangsumsiedlungen und die durch den Abriss von Wohngebieten bedingte soziale Ausgrenzung der uigurischen Bevölkerung von Kaxgar einzustellen, die kulturelle Identität der uigurischen Bevölkerung zu schützen und die sehr stark durch die uigurische Identität geprägten kulturellen Traditionen Kaxgars und Xinjiangs – wie von der Verfassung gefordert – zu fördern. Das EP hatte dabei unter anderem die Erwägungen vertreten, dass die chinesische Zentralregierung fortwährend eine repressive Politik gegenüber Volksgruppen und deren Kultur in Xinjiang betreibe, die Bevölkerungsgruppen der Uiguren und der Hui unter anhaltenden Menschenrechtsverletzungen zu leiden hatten und ihnen oftmals eine angemessene politische Vertretung und kulturelle Selbstbestimmung vorenthalten werde. Die Stadt Kaxgar stelle nach den Erwägungen des EP „eine weltweit bedeutsame Stätte mit einem einzigartigen architektonischen Erbe von historischer und geografischer Bedeutung“ dar, die „für die kulturelle Identität der in der Region ansässigen Bevölkerungsgruppen der Uiguren und der Hui wie auch für die kulturelle Vielfalt Chinas von hohem symbolischem Wert“ sei, von der chinesischen Zentralregierung aber daran gehindert worden sei bei der UNESCO den Status als Welterbe zu beantragen. Zudem vertrat das EP die Erwägung, „dass sich aus der Begründung des Sanierungsprogramms, es handele sich dabei um Baumaßnahmen für den Erdbebenschutz“, nicht ergebe, dass traditionelle Gebäude vollständig abgerissen werden müssen, sondern auch ihre Sanierung unter Bewahrung des kulturellen Erbes möglich gewesen sei.<ref name="europarl-europa-eu_P7_TA-2011-0100">{{Internetquelle |url=https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52011IP0100&from=DE |titel=P7_TA(2011)0100: Lage und Kulturerbe in Kashgar (Autonome Uigurische Region Xinjiang, China) |titelerg=Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2011 zu der Lage und dem Kulturerbe in Kaschgar (Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang, VR China) |werk=[[EUR-Lex|europarl.europa.eu]] ([[Amtsblatt der Europäischen Union|ABl.]], C 199E vom 7. Juli 2012, S. 185) |datum=2011-03-10 |abruf=2020-12-19 |format=PDF}} Abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv%3AOJ.CE.2012.199.01.0185.01.DEU&toc=OJ%3AC%3A2012%3A199E%3ATOC.</ref>

Die Heytgah-Moschee als wichtigstes Kulturerbe blieb zwar erhalten, doch wurden andere historische Stätten zusammen mit weiten Teilen der Wohngebiete zerstört.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Die Mehrheit der Einwohner wurde an andere Orte umgesiedelt, schätzungsweise 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung wurden im Lagersystem inhaftiert und ihre Kinder in „Waisenhäuser“ eingewiesen.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="ft-com_2018-07-10_UCF">{{Internetquelle |autor=Emily Feng |url=https://www.ft.com/content/f0d3223a-7f4d-11e8-bc55-50daf11b720d |titel=Uighur children fall victim to China anti-terror drive |titelerg=Thousands in Xinjiang placed in de facto orphanages after parents detained |werk=ft.com |datum=2018-07-10 |abruf=2020-11-19}}</ref> Die Altstadt wurde in Form eines weitgehend entvölkerten [[Tourismus|Touristenziels]] wiedereröffnet.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> An Stelle der abgerissenen Altstadt hatte der Staat nachgebildete Gebäude errichtet, die Touristen anziehen und den chinesischen Behörden den räumlichen Zugang erleichtern sollen.<ref name="Thum_THREE_Kashgar" /> Ehemalige Moscheen wurden zu Touristenbars umfunktioniert.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="Drexel2020-06_uhrp-org_KCF_p36f">{{Internetquelle |autor=William Drexel |url=https://uhrp.org/sites/default/files/UHRP-Kashgar-Coerced-Report-06_03_20%20Final.pdf |titel=Kashgar Coerced: Forced Reconstruction, Exploitation, and Surveillance in the Cradle of Uyghur Culture |werk=[[The Uyghur Human Rights Project|uhrp.org]] |datum=2020-06 |abruf=2020-11-19 |format=PDF |sprache=en}} Hier S. 36f.</ref><ref name="RuserEtAl2020-09_ASPI_PolicyBrief_Rep38_p10">{{Internetquelle |autor=Nathan Ruser, James Leibold, Kelsey Munro, Tilla Hoja |url=https://www.aspi.org.au/report/cultural-erasure |titel=Cultural erasure |titelerg=Tracing the destruction of Uyghur and Islamic spaces in Xinjiang |werk=Australian Strategic Policy Institute |datum=2020-09-24 |abruf=2020-09-28 }} Auch verfügbar als PDF: {{Internetquelle |autor=Nathan Ruser, unter Mitarbeit von: James Leibold, Kelsey Munro, Tilla Hoja |url=https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/ad-aspi/2020-09/Cultural%20erasure_0.pdf?NlJYOaEV6DF3IfupGsdb73xtX0wCNokg |titel=Cultural erasure |titelerg=Tracing the destruction of Uyghur and Islamic spaces in Xinjiang |werk=Australian Strategic Policy Institute: ASPI International Cyber Policy Centre |datum=2020-09 |abruf=2020-06-01 |format=PDF; 7,61 MB |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20200926061505/https://s3-ap-southeast-2.amazonaws.com/ad-aspi/2020-09/Cultural%20erasure_0.pdf?NlJYOaEV6DF3IfupGsdb73xtX0wCNokg |archiv-datum=2020-09-26 |archiv-bot=2022-08-18 17:40:58 InternetArchiveBot }}: Policy Brief, Report No. 38/2020, {{ISSN|2209-9689}}, S. 1–45, hier S. 10.</ref><ref name="Smith-Finley_In_chinafile-com_2018-12-28_NWD">{{Internetquelle |autor=Joanne Smith Finley |url=https://www.chinafile.com/reporting-opinion/viewpoint/now-we-dont-talk-anymore |titel=‘Now We Don’t Talk Anymore’: Inside the ‘Cleansing’ of Xinjiang |werk=chinafile.com |datum=2018-12-28 |abruf=2020-11-20 |sprache=en}}</ref>

Der chinesische Staat wendete bei seiner Umgestaltung ein ähnliches Muster an wie bei den ''mazar''-Schreinen, die er durch „[[Musealisierung#Beurteilung von Musealisierung|Musealisierung]]“ in ihrer ursprünglichen Funktion für die uigurische muslimische Bevölkerung entweiht und stattdessen zu einer Freizeitattraktion für han-chinesische und ausländische Touristen gemacht hatte. In entsprechender Weise verwandelte der chinesische Staat auch die ''supa'', die er in uigurischen Dörfern zerstörte, zu künstlichen Formen entlang der Straßen des touristischen [[Simulacrum]]s, mit dem er die authentische historische Altstadt Kaxgars ersetzt hat. Vor dem Abriss hatten typische Häuser an ihrer Außenseite kaum besondere Merkmale besessen und waren mit nur kleinen Fenstern und wenig Dekoration ausgestattet gewesen. Auf der Innenseite hingegen waren sie gekennzeichnet gewesen durch üppige Innenhöfe, kunstvolle Holzarbeiten, [[Kolonnade]]n und Empfangsräume mit aufwendigen Nischen, in denen Keramik ausgestellt war. Der neue Stadtkern von Kaxgar kehrte das Konzept des uigurischen Hauses in das Gegenteil um. Vorwiegend han-chinesischen Touristen, die mit Elektrofahrzeugen durch die neue „Altstadt“ gefahren werden, werden angeblich „rückständige Bräuche“ ausgestellt, die für die Uiguren selbst in Wirklichkeit in zunehmendem Maße verboten sind.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" /> So wurden Touristen mit zweckentfremdeten und inszenierten Aufführungen des uigurischen ''mäšräp'' begrüßt, der Jahre zuvor in seiner originären volkstümlichen Form kriminalisiert worden war.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Das Ersetzen von uigurischen Stadtteilen (''mahalla'') durch Wohnblöcke und der faktisch erforderliche Umzug vieler Einwohner in mehrstöckige Wohnhäuser außerhalb der Stadt verursachte eine Störung vieler sozialer Phänomene, einschließlich Erbpraktiken, Lebenszyklusritualen (wie Beerdigungen oder Hochzeiten), Altenpflege, Nachbarschaftssolidarität (''mahalladarchiliq''), Schlafarrangements, Muster des Zusammenlebens und Netzwerke der Gegenseitigkeit.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

Die Umgestaltung der Stadt Kaxgar gilt als das berüchtigtste Beispiel architektonischer Inszenierungsprojekte des chinesischen Staates, bei denen der chinesische Staat das uigurische Kulturerbe in Szene setzt, um den tatsächlich der uigurischen Kultur durch staatlich gelenkte Zerstörung beigefügten Schaden zu maskieren und sich weiterhin als wichtigster Partner der UNESCO in den Kulturerbeprogrammen zu präsentieren. Dieser Ansatz Chinas zur Erhaltung des kulturellen Erbes wurde oft kritisiert, weil dabei isolierte Denkmäler nach ihrem symbolischen Wert auswählt wurden und sie weniger bewahrt als vielmehr für die Tourismusindustrie „inszeniert“ werden.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

'''Andere Städte'''

Zwischen 2000 und 2016 war Kaxgar noch die einzige Stadt, deren historischer uigurischer Stadtkern so umfassend ausgelöscht und ersetzt wurde. Zwar wurde die von Uiguren gebaute Umgebung in anderen Städten durch die schrittweise Entwicklung langsam erodiert, doch gab es kaum Hinweise auf einen zielgerichteten Abriss historischer uigurischer Viertel durch den Staat in der Größenordnung von Kaxgar. Analysen von Satellitenaufnahmen zufolge sind jedoch in den Jahren nach 2016 unter Aufsicht chinesischer Behörden auch die Altstädte von Hotan, Yarkant, Kargilik und Keriya ganz oder teilweise zerstört worden. Als häufigste Form der Ersatzgebäude wurden dabei vielgeschossige Mehrfamiliengebäude verwendet.<ref name="Thum2020_MadeInChina_5_2_p48-61" />

=== Handwerk und Kunst ===
[[Datei:Textile fragment from Loulan Xinjiang China.jpg|mini|Aus [[Wolle]] geknüpftes Textil- oder Teppichfragment aus [[Loulan]] aus dem 3. bis 4. Jahrhundert ([[British Museum]], London)]]
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 | Kopfzeile   = Teppichknüpferei in Hotan (2005)
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 | Untertitel1 = Teppichknüpferinnen in der Fabrik
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 | Untertitel1 = „Seidenraupen“-[[Kokon]]s (Sekrethüllen der [[Puppe (Insekt)|Puppen]] des [[Seidenspinner]]s, ''Bombyx mori'') für die Seidenerzeugung
 | Bild2       = Khotan-fabrica-seda-d18.jpg
 | Untertitel2 = [[Webstuhl|Handwebstuhl]]-Arbeit. Die lebendigen Farben der ''ätläs''-Seide sind nur schwer fotografisch wiederzugeben.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
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 | Kopfzeile   = Seidenfabrik in Hotan ([[China Pictorial]], 1965)
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 | Kopfzeile   = Holzverarbeitung in Kaxgar<br />(Handwerkszentrum zum Bau uigurischer Musikinstrumente, 1986)
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 | Untertitel1 = Beginn mit der Grobarbeit
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 | Kopfzeile   = Metallverarbeitung und Handel in [[Yengisar]] ([[Kaxgar (Regierungsbezirk)|Bezirk Kaxgar]])
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 | Bild1       = Uyghur blacksmiths - Yengisar Flickr.webm
 | Untertitel1 = Metallverarbeitung bei uigurischen [[Schmied]]en (2014)
 | Bild2       = Knives sold on G315 Highway, Yengisar, Xinjiang.jpg
 | Untertitel2 = Beile und Messer, die in einem Straßenladen an der [[Nationalstraße 315 (China)|G315]] verkauft wurden (2012)
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Ostturkistan verdankte sein Wachstum als Region der wirtschaftsgeographischen Lage. Während sich dort die wichtigsten transkontinentalen Handelswege kreuzten, wurden die Länder, durch die diese Handelswege führten, zur Plattform für einen ganz eigentümlichen Dialog zwischen den Zivilisationen. Dementsprechend stand auch die uigurische Kultur während ihrer Ausformung sowohl unter Einfluss von Osten aus als auch von Westen. Die Uiguren zeigten sich offen für das kulturelle Erbe der mit ihnen in Interaktion tretenden Länder und Völker, nutzten die äußeren Einflüsse für eine Synthese mit ihren eigenen ästhetischen Ideen und praktischen Fertigkeiten und entwickelten schließlich reichhaltige und unverwechselbare Traditionen innerhalb ihrer eigenen uigurischen Kunstkultur.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" />

Die größten und sowohl in historischer als auch in kultureller Sicht bedeutendsten Oasen Ostturkestans waren bereits von alters her Hotan, Yarkant, Kaxgar, Turpan, Aksu, [[Karashahr]], [[Kuqa|Kuchar]], [[Miran]] und später auch [[Gulja (Stadt)|Gulja]]. Das Handwerk entwickelte sich schwerpunktmäßig in den Städten und großen Dörfern, die innerhalb dieser Oasen lagen. In den Städten gab es Bezirke, in denen Handwerker verschiedener Berufe lebten wie [[Schmied]]e, [[Kupferschmied]]e, [[Goldschmied]]e, [[Teppichweber]], [[Töpfer]] und Meister der Holz- und Lederverarbeitung. Auf den Märkten fanden sich viele Geschäfte und Werkstätten, in denen [[Kunsthandwerk]]sprodukte erzeugt und verkauft wurden.<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" />

Die Städte waren jeweils berühmt für ihre eigene Produktpalette des Kunsthandwerks, wie zum Beispiel:<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" />
* Kaxgar: [[Metallverarbeitung]], [[Textilindustrie|Herstellung von Stoffen]], [[Filz]]en, [[Teppich]]en, [[Musikinstrumentenbau|Musikinstrumenten]], [[Keramik]] und [[Sticken|Stickereien]]<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> – Kaxgar gilt heute als das kulturelle Zentrum der Uiguren, obgleich in früheren historischen Phasen zuweilen andere Städte im Tarim-Becken, oftmals Yarkant oder Hotan, eine wichtigere Rolle eingenommen haben.<ref name="Thum_THREE_Kashgar" />
* Hotan: Teppichweberei und [[Seidenbau]] (Serikultur)<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> – Das [[Königreich von Hotan]] verfügte in der Zeit der Tang-Dynastie über eine große Bevölkerung, die unter dem Einfluss des Buddhismus das Interesse an kriegerischer Expansion verloren hatte. Laut [[Xuanzang]] handelte es sich bei den Hotanesen um bemerkenswerte Handwerker mit einem beachtlichen Geschmack sowohl für literarisches Schaffen als auch für Musik und Tanz. Die am südlichen Zweig der Seidenstraße gelegene Region war das Zentrum reger Geschäftstätigkeit. In der Stadt Hotan selbst ist, wie in allen Städten im Tarim-Becken, eine Vielzahl von Geschäftigkeiten bekannt, doch stellt die Seidenindustrie, die von der [[Han-Dynastie|Han-Zeit]] bis heute Bestand hat, die Haupttätigkeit dar.<ref name="Hambis_EoI_SE_OL_Khotan">{{Internetquelle |autor=L. Hambis |url=https://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/*-SIM_4313 |titel=K̲h̲otan |werk=Encyclopaedia of Islam, Second Edition |hrsg=P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs |sprache=en |abruf=2020-05-30}} Erste Online-Veröffentlichung: 2012, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-16121-4, 1960–2007. {{DOI|10.1163/1573-3912_islam_SIM_4313}}</ref>
* Yarkant: Verarbeitung von Metallen, Filzprodukten und Teppichen<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" /> – Yarkant liegt am gleichnamigen Fluss, der als [[Perennierender Fluss|perennierendes Fließgewässer]] das ganze Jahr hindurch Wasser führt. Die fruchtbare, gut bewässerte Oase rund um die Stadt hat immer eine bedeutende landwirtschaftliche Bevölkerung versorgt. Die Stadt lag zugleich am südlichen Zweig der historischen Seidenstraße, die am südlichen Rand des Tarim-Beckens und der Taklamakan-Wüste entlangführte. Da sich [[Karawane]]nrouten aus der oberen [[Amudarja|Oxusregion]] und dem [[Pamir (Gebirge)|Pamir]] in Yarkant an die südliche Route des Tarim-Beckens anknüpften, war Yarkant seit jeher ein bedeutendes Handelszentrum.<ref name="Bosworth_EoI_SE_OL_Yarkand">{{Internetquelle |autor=C.E. Bosworth |url=https://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/*-SIM_7986 |titel=Yārkand |werk=Encyclopaedia of Islam, Second Edition |hrsg=P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel, W.P. Heinrichs |sprache=en |abruf=2020-05-29}} Erste Online-Veröffentlichung: 2012, Erste Printausgabe: ISBN 978-90-04-16121-4, 1960–2007. {{DOI|10.1163/1573-3912_islam_SIM_7986}}</ref>
* Aksu: Herstellung von Baumwollstoffen, hochwertigem Leder, Filz<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" />

Die Bevölkerung jeder Oase hatte ihre ganz besonderen kulturellen Merkmale. Diese Unterschiede wurden mit zunehmender Entfernung voneinander noch ausgeprägter, und einige Oasen-Gemeinschaften waren auch voneinander durch fast unpassierbare Wüsten getrennt. Es existierten auch ausgeprägte Einflüsse oder auch Störeinflüsse, die von außerhalb stehenden Zivilisationen einwirkten, so von Osten aus durch die Chinesen, von Westen aus von [[Zentralasiaten]] und von Süden aus von [[Indien|Indern]].<ref name="Karimova2016_OM-NS_96_1_3-24" />

==== Messerschmiedekunst ====
Als bekannteste Form der uigurischen Metallverarbeitung ist das Messerschmieden zu nennen. Messer (''pichaq'') werden traditionell von Männern an ihrer Seite getragen. Die Klinge kann sehr unterschiedlich gestaltet sein und besitzt oft Einprägungen oder [[Tauschierung|Einlagen]] aus [[Kupfer]]. Die [[Scheide (Behälter für Klingenwaffen)|Scheide]] wird aus Metall oder Leder angefertigt. Für den Griff werden Metall und Holz oder kunstvolle mehrfarbige [[Kunststoff]]dekorationen verwendet. Die Messer werden auf den meisten Freiluftmärkten zum Kauf angeboten.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

Die Messer werden oft beim Verzehr von Fleisch verwendet. Bei Heilritualen finden sie zudem Verwendung als Mittel zur mystischen Abwehr von Geistern.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348">{{Literatur |Autor=Nathan Light |Hrsg=William M. Clements |Titel=Uyghur Folklore |Sammelwerk=The Greenwood encyclopedia of world folklore and folklife |Band=2 (Southeast Asia and India, Central and East Asia, Middle East) |Verlag=Greenwood Press |Ort=Westport, Conn. |Datum=2006 |ISBN=0-313-32849-8 |Seiten=335–348 |Umfang=S. i-xviii, 1-482}}</ref>

==== Goldschmiedekunst ====
Die uigurische Goldschmiedekunst ist hochentwickelt. Uigurische Frauen tragen oftmals aufwendig geformte goldene Ohrringe in einem Design, das als ''zirä'' bekannt ist und aus winzigen Goldkugeln besteht, die zu blütenartigen Mustern arrangiert sind.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

Solcher Schmuck stellt eine traditionelle Form von Vermögen dar, das am Körper getragen werden kann. Bei Bedarf oder Gelegenheit können Frauen ihre Ohrringe einschmelzen lassen und mit zusätzlichem Gold kombinieren, um neue größere Ohrringe herzustellen.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

==== Seidenbau ====
Die ''ätläs'' genannte [[Seide]] ([[Ikat|Iqat]]-Gewebe) wird trotz der großen Importe von synthetischem ''iqat''-Stoff aus Usbekistan in der Stadt Hotan noch heute auf Handwebstühlen für den lokalen Verbrauch sowie für den Handel mit anderen Oasen ''ätläs'' gewebt. Die uigurische Seide zeichnet sich durch lebendige Muster und Farben aus.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

''Ätläs'' ist bei den Uiguren ein beliebter Stoff für traditionelle Frauen- oder Mädchenkleider.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

==== Teppichknüpferei ====
Die als ''giläm'' bekannten geknoteten Teppiche werden in Hotan und einigen anderen Städten extensiv hergestellt. Zu den verwendeten Teppichdesigns gehören symmetrische Frucht-, Blumen- und geometrische Muster in hellen und zueinander kontrastierenden Farben, bei denen die Farbe Rot vorherrscht.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> Zu den charakteristischsten Mustern gehören:<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* das Netzwerk sich verzweigender Granatäpfel (''anar'') in roter Farbe auf blauem Untergrund<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* die Blumenvase (''longqa'')<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
Mit der Zunahme von Investitionen in die Teppichproduktion für internationale Märkte werden heute viele Teppichweber für die Herstellung von Designs beschäftigt, die nicht traditionelle sind, sondern dem ausländischen Geschmack entsprechen. Einige Teppichweber greifen wieder auf die Verwendung natürlicher Farbstoffe zurück, die bei der Suche nach helleren Farben weitgehend aufgegeben worden waren.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

Verwendung finden uigurische Teppiche in der Regel weniger als zu betretender Untergrund, als vielmehr für das Abdecken von Wänden und Sitzbereichen des Bodens.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

=== Musik, Tanz und Zusammenkünfte der Gemeinde ===
Die musikalischen Traditionen der Uiguren sind eng verwandt mit den benachbarten zentralasiatischen Musikkulturen.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" /> Ähnlich wie in anderen kulturellen Aspekten zeigt somit auch die uigurische Musik viele bleibende zentralasiatische Gemeinsamkeiten, so etwa mit den volkstümlichen und klassischen Traditionen in Usbekistan und Nordtadschikistan. Die Uiguren verwenden – wie die Musiker jener Regionen – die gleichen [[Ensemble (Musik)|Ensembles]] von [[Stimme (Musik)|Stimmen]], [[Lauteninstrument|Langhalslauten]] (''satar'', ''tämbur'', ''dutar''), [[Fidel]]n (''ghijäk'') und [[Rahmentrommel]]n (''[[Daf (Musikinstrument)|dap]]'') und fassen ihre Musik in umfangreichen [[Suite (Musik)|Suiten]] zusammen, die als ''muqam'' bezeichnet werden.<ref name="HarrisInRees2009_LCM_p145-172">{{Literatur |Autor=Rachel Harris |Hrsg=Helen Rees |Titel=Abdulla Mäjnun: Muqam Expert |Sammelwerk=Lives in Chinese Music |Verlag=University of Illinois Press |Ort=Urbana & Chicago |Datum=2009 |ISBN=978-0-252-03379-7 |Seiten=145–172 |JSTOR=10.5406/j.ctt1xcrk4.10 |Umfang=S. i-viii, 1-225}}</ref>

==== Geschichte der uigurischen Musik ====
Xinjiang stellte im ersten nachchristlichen Jahrtausend mit der Verbreitung des Buddhismus einen wichtigen Durchgangsraum dar, allgemein für Handel, Menschen und Ideen und im Speziellen für musikalische Ideen und Musikinstrumente. Während es sich bei den Uiguren, die nach dem Zusammenbruch des [[Uigurisches Kaganat|Uigurischen Reiches]] von 840 nach und nach in Xinjiang ankamen, noch vorwiegend um Schamanisten und Buddhisten handelte, führte die Entwicklung einer islamischen Kultur und Konvertierung der Uiguren zum Islam zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert dazu, dass sich die Uiguren nach Westen ausrichteten und die [[Maqam (Musik)|Maqam]]-Traditionen und Musikinstrumente in Zentralasien für sie in den Vordergrund rückten.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p57" />

Die chinesische Literatur setzt den Ursprung der uigurischen Musik mit den frühesten chinesischen Aufzeichnungen über die buddhistischen Königreiche der „westlichen Regionen“ (''[[xiyu]]'') an. Nach Ansicht von Gelehrten sollen die berühmten umfangreichen [[Suite (Musik)|Suiten]] (''daqu'') des kaiserlichen Hofes der Tang-Dynastie, die später vom japanischen Hof übernommen wurden, auf die Musik der ''xiyu''-Regionen des 5. Jahrhunderts zurückgehen. Während solche aus chinesischsprachigen historischen Quellen erstellten Narrative der zeitgenössischen chinesischen Musikwissenschaft sehr vertraut sind und die Funktion erfüllen, die Region und ihre Kultur komfortabel in das breitere Narrativ der chinesischen Musikgeschichte einzubetten, bleiben die kulturellen und musikalischen Verbindungen zu den westlich von China liegenden Regionen dabei in der Regel weit weniger bekannt.<ref name="HarrisInRees2009_LCM_p145-172" />
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 | Untertitel1 = Miniatur des persischen Künstlers [[Mirza Ali]] (16. Jh.) aus [[Nezami]]s „[[Khamsa von Nesami|Khamsa]]“ mit Darstellung von [[Barbat (Musikinstrument)|Barbat]] und [[Daf (Musikinstrument)|Daf]]
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 | Untertitel2 = Aserbaidschanische ''[[mugham]]''-Darsteller beim [[Nouruz]]-Festival in [[Baku]] mit einem Plakat der gleichen Miniatur im Hintergrund (20. März 2010)
}}
Es bestehen jedoch auch lokale historische Quellen wie die von [[Mulla Mojizi]] im 19. Jahrhundert in Persisch (also der [[Literatursprache]] Zentralasiens) geschriebene ''Tarikhi musiqiyun'' (dt. „Geschichte der Musiker“), die diesem chinesischen Narrativ eine Lesart entgegensetzen, in der die Musik der Region fest in einem zentralasiatischen, islamischen historischen Milieu wurzelt.<ref name="HarrisInRees2009_LCM_p145-172" /> Aus der ''Tarikhi musiqiyun'' als einer der wenigen historischen Quellen über die Musik Xinjiangs, die außerhalb der kaiserlich-chinesischen Aufzeichnungen existieren, geht auch die starke Verbindung zwischen der Musik und Spiritualität hervor.<ref name="Harris&Dawut2002_BJE_11_1_101-118">{{Literatur |Autor=Rachel Harris, Rahilä Dawut |Titel=Mazar Festivals of the Uyghurs: Music, Islam and the Chinese State |Sammelwerk=British Journal of Ethnomusicology |Band=11 |Nummer=1 (Red Ritual: Ritual Music and Communism) |Datum=2002 |Seiten=101–118 |JSTOR=4149887}}</ref>

Tatsächlich entwickelten sich, unabhängig von der westlichen [[Klassische Musik|klassischen Musik]], in den [[Kosmopolitismus|kosmopolitischen]] urbanen Zentren der gesamten islamischen Welt – von [[Córdoba (Spanien)|Córdoba]], [[Damaskus]], [[Bagdad]] und [[Istanbul]] im Westen bis nach [[Herat]], [[Buxoro|Buchara]], [[Samarqand|Samarkand]], Kaxgar und Hotan im Osten – die verschiedenen ''Makam''-Traditionen (arabisch ''maqâm’'', türkisch ''makam'', aserbaidschanisch ''[[mugham]]'', usbekisch-tadschikisch ''maqom'', uigurisch ''muqam'').<ref name="deZeeuw2019_TLN_p18">{{Literatur |Autor=Hans de Zeeuw |Titel=Tanbûr Long-Necked Lutes along the Silk Road and beyond |Verlag=Archaeopress |Ort=Oxford |Datum=2019 |ISBN=978-1-78969-169-6 |Fundstelle=hier S. 18 |DOI=10.2307/j.ctvndv96m |JSTOR=j.ctvndv96m |Umfang=S. i-x, 1-188}}</ref>

Im 19. Jahrhundert stand die zentralasiatische Makam-Tradition mit den usbekischen und tadschikischen [[Schaschmaqam|Sechs Makam]] (''shash maqâm'') von Buchara, mit den Sechseinhalb Makam (''alti-yarim maqâm'') in [[Choresmien]], den Vier Makam (chahâr maqâm) in der Region [[Fargʻona|Ferghana]]-[[Taschkent]] und den uigurischen Zwölf Muqam in Xinjiang (''on ikki muqam'') bis zur Annexion und russischen Eroberung in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts unter der Förderung und Pflege durch die [[Hofstaat|Höfe]] und wohlhabenden [[Elite]]n des [[Emirat Buchara|Emirats Buchara]], des [[Khanat Chiwa|Khanats Chiwa]] und des [[Khanat Kokand|Khanats Kokand]]. Als kennzeichnend für diese Makam-Traditionen gelten ihre hochentwickelte [[Poesie]], ihre komplexen [[Modulation (Musik)|melodischen Modulationen]] und langsamen [[Tempo (Musik)|Tempi]].<ref name="deZeeuw2019_TLN_p55f">{{Literatur |Autor=Hans de Zeeuw |Titel=Tanbûr Long-Necked Lutes along the Silk Road and beyond |Verlag=Archaeopress |Ort=Oxford |Datum=2019 |ISBN=978-1-78969-169-6 |Fundstelle=hier S. 55f |DOI=10.2307/j.ctvndv96m |JSTOR=j.ctvndv96m |Umfang=S. i-x, 1-188}}</ref>
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Eine uigurische Gesangs- und Tanzfolkloregruppe (新疆青年歌舞访问团) in [[Nanjing]]/Nationalchina (1947)
 | Breite1     = 270
 | Breite2     = 184
 | Breite3     = 180
 | Bild1       = 新疆青年歌舞团访问团9.jpg
 | Untertitel1 = Gruppenfoto der insgesamt rund 60-köpfigen und paritätisch beidgeschlechtlich besetzten Gruppe
 | Bild2       = 新疆青年歌舞团访问团3.jpg
 | Untertitel2 = Tanzpaar (männlicher Part rechts: 塔琴尼莎; weiblicher Part links: 莫斯塔发)
 | Bild3       = 新疆青年歌舞团访问团6.jpg
 | Untertitel3 = [[Zhang Zhizhong]] (张治中), zwischen einer uigurischen Tänzerin (康巴尔汗) und einer weiteren jungen Frau (西北行)
 | Fußzeile    = Die uigurische Gesangs- und Tanzfolkloregruppe Gruppe soll im September 1947 vor dem Hintergrund gegründet worden sein, Zhang Zhizhongs Versuche einer Stabilisierung der Lage in Xinjiang zu unterstützen, indem sie durch verschiedene Städte Chinas tourend die Einheit der Nation demonstrieren sollte.<!-- die Angaben zu diesen Abbildungen wurden den Angaben auf commons.wikimedia.org entnommen und nicht separat durch Literatur geprüft! -->
}}
Unter [[Zhang Zhizhong]] als Xinjiangs letztem Gouverneur in der [[Geschichte der Uiguren#Uiguren in der Ära der nationalistischen Republikaner (1911–1949)|Ära der nationalistischen Republikaner]] ([[Kuomintang]], kurz: KMT), der öffentlich über eine mögliche „Entkolonialisierung“ Xinjiangs nach Vorbild Indiens und der [[Philippinen]] gesprochen hatte,<ref name="Bovingdon2004_PS_11_ResRep_p5">{{Literatur |Autor=Gardner Bovingdon |Titel=Autonomy in Xinjiang: Han Nationalist Imperatives and Uyghur Discontent |Reihe=Policy Studies |HrsgReihe=Muthiah Alagappa |NummerReihe=11 |Verlag=East-West Center Washington |Ort=Washington D.C. |Datum=2004 |ISBN=1-932728-21-X |ISSN=1547-1330 |Fundstelle=S. 5 |Umfang=S. i-ix, 1-77}} Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um einen Research report.</ref> schickte Xinjiang Gesangs- und Tanztruppen nach Peking, [[Shanghai]] und [[Taipeh]] und brachte so einerseits nach sowjetischem Vorbild Lieder und Tänze der Minderheiten aus deren Gebieten in das Innere China, während gleichzeitig auch chinesische Künstler nach Xinjiang gelangten und Ürümqi besuchten.<ref name="Millward2007_EC_Kap5_S220">{{Literatur |Autor=James Millward |Titel=Eurasian Crossroads: A History of Xinjiang |Verlag=C. Hurst & Co. |Ort=London |Datum=2007 |ISBN=978-1-85065-818-4 |Kapitel=Chapter 5. ''Between China and the Soviet Union (1910s-1940s)'' |Seiten=178–234 |Fundstelle=hier S. 220}}</ref>

Nach Machtübernahme der Kommunisten und Gründung der VR China übernahm die Volksrepublik, wie zuvor bereits die Nationalisten unter Sheng Shica oder die Zweite Republik Ost-Turkestan und insbesondere wie die Sowjetunion unter ihrer Herrschaft die Verwaltung der uigurischen Kultur. Sie ließ durch Forscher in Xinjiang Sammlungen uigurischer „Folklore“ anlegen, und die KPCh kodifizierte schon ab 1951 die zentralasiatische ''muqam''-Tradition als im Wesentlichen uigurische traditionelle Kunst. Chinesische Musikwissenschaftler [[Transkription (Musik)|transkribierten]] uigurische Aufführungen und erstellten starre Darstellungen der im Wesen eigentlich [[Improvisation (Musik)|improvisatorischen]] Tradition.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /> Während die Bevölkerung in den fünf ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken nach der in der Sowjetzeit weit verbreiteten Europäisierung von Musikinstrumenten seit ihrer Unabhängigkeit 1991 erst allmählich wieder begann, ihrer musikalischen Traditionen wieder aufzunehmen, ist es den Uiguren in Xinjiang bislang gelungen, ihr musikalisches Erbe zu bewahren.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p55f" />

==== Zwölf Muqam ====
Die uigurischen Zwölf Muqam sind ein Beispiel für komplexe Formen der Performancekunst unter Chinas Minderheiten. Sie wurden im Jahr 2008 in die [[Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit]] der [[UNESCO]] aufgenommen.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /><ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109">{{Internetquelle |url=https://ich.unesco.org/en/RL/uyghur-muqam-of-xinjiang-00109 |titel=Uyghur Muqam of Xinjiang &#91;Nomination file No. 00109&#93; |werk=ich.unesco.org |abruf=2020-06-04}}</ref>
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Mausoleum der [[Aman Isa Khan]] in Yarkant
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 | Bild1       = 2015-09-12-104325 - Grabmal der Amann Shahan Isa Khan (1526-1560).jpg
 | Untertitel1 = Grabmal (2015)
 | Bild2       = Yarkand-aman-is-khan-d01.jpg
 | Untertitel2 = Tafel zu Leben und Werk (2005)
}}
Unter uigurische Muqam wird allgemein eine Vielzahl von in den uigurischen Gemeinden verbreiteten Muqam-Praktiken zusammengefasst.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /> Die heute als kanonisch akzeptierte Version der Zwölf Muqam wird [[Aman Isa Khan]] (Amannisa Khan) zugeschrieben.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Die unklare historische Persönlichkeit der Aman Isa Khan ist zu einer zeitgenössischen Heldin der uigurischen Kultur geworden, die sowohl als weithin bekannte und oftzitierte Symbolfigur für die [[Kanonisierung]] des Muqam in den 1980er Jahren und auch für die uigurischen Zwölf Muqam selbst steht, als auch für die historische und kulturelle Bedeutung der Uiguren. Die Bedeutung dieser Symbol- und Heldenfigur und der Zwölf Muqam reicht hier über die eigentlich Klang- und Performanceästhetik weit hinaus.<ref name="Anderson2012_AsianMusic_43_1_64-90">{{Literatur |Autor=Elise Anderson |Titel=The Construction of Āmānnisā Khan as a Uyghur Musical Culture Hero |Sammelwerk=Asian Music |Band=43 |Nummer=1 |Verlag=University of Texas Press |Datum=2012 |Seiten=64-90 |JSTOR=23252946}}</ref>

Es gibt jedoch lokale und andere Varianten.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Bei den vier regionalen Hauptstilen handelt es sich um den Zwölf-Muqam, Dolan-Muqam, Turpan-Muqam und Hami-Muqam.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /> Die Zwölf Muqam kombinieren verschiedene Kunstformen der Aufführung, darunter Musikstücke, Lieder und Tänze. Einige der Lieder und Musik sind traditionell, manche aber auch klassisch.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /><ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" />

Auch die [[Choreografie]] und die Kostüme der Tänze sind sehr charakteristisch.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Zu den Tanzelementen zählen einzigartige Schritte, Rhythmen und Formationen sowie Figuren wie Blumenpflücken mit Mund, bei populären Tänzen das Balancieren von Schüsseln auf dem Kopf und das Nachahmen von Tierbewegungen in Solotänzen.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /><ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" />

Die Lieder variieren in [[Reim]] und [[Takt (Musik)|Takt]] und werden sowohl solo als auch von Gruppen aufgeführt.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /> Die Texte verwenden neben Volksballaden auch Gedichte klassischer uigurischer Meister. Dadurch repräsentieren die Lieder ein breites Spektrum von Stilen wie Poesie, Sprichwörter und Volkserzählungen und dokumentieren somit das historische und zeitgenössische Leben der uigurischen Gesellschaft.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" />

Einige Muqam-Stücke, insbesondere vollständige Aufführungen von aus über 300 Stücken bestehenden ''Zwölf Muqam'', die sich in zwölf Instrumental- und Gesangssuiten über einen ganzen Tag hinziehen, werden heute nicht mehr aufgeführt.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /><ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /> Gelegentlich werden noch immer Teilaufführungen von Zwölf Muqam in Xinjiang, Peking oder anderenorts gezeigt.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" />

==== ''mäšräp'' ====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Uigurische ''mäšräp''-Performance
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 | Bild1       = Uyghurs-performing-Mashrap-Kashgar.jpg
 | Untertitel1 = Performance in Kaxgar (2005)
 | Bild2       = Uyghur Meshrep.jpg
 | Untertitel2 = Lokale Musiker in Yarkant (2010)
}}
Außerdem werden die Zwölf Muqam auch weiterhin bei den ''[[mäšräp]]'' (auch: ''meshrep'' oder ''mäshräp'') genannten, uigurischen gesellschaftlichen Zusammenkünften dargeboten.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /><ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55">{{Literatur |Autor=Rachel Harris |Titel=“A Weekly Mäshräp to Tackle Extremism”: Music-Making in Uyghur Communities and Intangible Cultural Heritage in China |Sammelwerk=Ethnomusicology |Band=64 |Nummer=1 |Datum=2020 |Seiten=23–55 |DOI=10.5406/ethnomusicology.64.1.0023}}</ref> Die ''mäšräp'' in ihrer eigenständigen Form boten Tanz- und Gesangsdarbietungen, Witze und gesellschaftliche Kommentare dar, waren aber darüber hinaus auch Foren, in denen der jüngeren Generation [[Moral|Moral-]] und religiöse Vorstellungen vermittelt und in denen Streitigkeiten innerhalb der Gemeinschaft [[Konfliktlösung|beigelegt]] wurden. Neben reiner [[Geselligkeit]] dienten diese Veranstaltungen somit auch der [[Sozialisation]], neben reiner [[Unterhaltung (Kultur)|Unterhaltung]] auch der [[Bildung]] und der [[Rechtsstreit|Verhandlung von Rechtsstreitigkeiten]] in der Gemeinde. Damit jedoch verkörperten sie Elemente einer nicht-modernen Auffassung von Brauchtum und boten den Uiguren einen Raum, der nicht dem staatlichen Alleinvertretungsanspruch für Vorstellungen von Gesetz, Recht und Wahrheit unterlag.<ref name="Steenberg2021_AE_22_1_171-187" />

Die chinesische Regierung reagierte darauf mit einer Unterteilung zwischen „gesunden“ und „illegalen“ ''mäšräp'' und versuchte auf diese Weise, ihre ideologische Vorstellung eines „gereiften“, modernen Brauchtumsbegriffs, nach dem die Bräuche von Religion und Politik abgeschnitten werden sollen, in eine staatlich gesteuerte Realität umzuwandeln. Ab 1995 ging der chinesische Staat mit Restriktionen gegen diese traditionellen uigurischen Männerversammlungen vor und dann 1997 mit vorübergehendem Verbot, nachdem die Behörden sie als „Hauptkatalysator“ für den [[Geschichte der Uiguren#Unruhen in Gulja 1997 und weitere Entwicklung|Gulja-Aufstand]] verantwortlich machten.<ref name="Steenberg2021_AE_22_1_171-187">{{Literatur |Autor=Rune Steenberg |Titel=Uyghur customs: the genesis, popularity, productivity and demise of a modern Uyghur topos |Sammelwerk=Asian Ethnicity |Band=22 |Nummer=1 |Datum=2021 |Seiten=171-187 |DOI=10.1080/14631369.2020.1819201}} Erste Online-Veröffentlichung: 11. September 2020.</ref>

Im Jahr 2010 erfolgte die Aufnahme einer entpolitisierten Form des uigurischen ''mäšräp'' in die [[Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes|UNESCO-Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes]] nach Einreichung des Vorschlags durch China.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" /><ref name="ich.unesco.org_meshrep-00304">{{Internetquelle |url=https://ich.unesco.org/en/USL/meshrep-00304 |titel=Meshrep &#91;Nomination file No. 00304&#93; |werk=ich.unesco.org |abruf=2020-11-14}}</ref><ref name="Steenberg2021_AE_22_1_171-187" /> Die UNESCO beschrieb die ''mäšräp'' dabei als eine reiche Sammlung von Traditionen und Performance-Künsten wie Musik, Tanz, Theater, Volkskunst, Akrobatik, mündliche Literatur, Speisen und Spiele, die sowohl die Funktion eines „Gerichts“ einnehme, bei dem der Gastgeber Konflikte vermittelt und die Wahrung moralischer Standards gewährleistet, als auch als „Klassenzimmer“ diene, in dem die Menschen ihre traditionellen Bräuche kennenlernen können,<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" /><ref name="ich.unesco.org_meshrep-00304" /> während in China unter der Titulierung „''mäšräp''“ in Wirklichkeit weiterhin exotisierte, feminisierte Aufführungen als beliebte Touristenattraktionen und über TV-Shows beworben wurden.<ref name="Steenberg2021_AE_22_1_171-187" />

Die ''mäšräp'' sind heute ein sinnbildliches Beispiel für die Politik der chinesischen Regierung, die zwar kulturellen Aktivitäten der Uiguren im Dienste der Imagepflege der Uiguren als singende und tanzende Minderheit gefördert hat, wobei aber diese kulturellen Aktivitäten die Verbindung zur Gemeinschaft der Uiguren verloren haben und auf Shows reduziert wurden, die für Han-Chinesen und ausländische Touristen bestimmt waren.<ref name="CabrasEtGuill2017_ChinaPerspectives_2017-4-112_41-48" /><ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> Anders als in der traditionellen Beschreibung der ''mäšräp'' als Zusammenkünfte, bei denen Gedichte rezitiert, Tänze aufgeführt und Gespräche über Themen geführt werden, die das in der Gemeinschaft zu respektierende Verhalten betreffen, wird der Begriff ''mäšräp'' in jüngster Zeit mit dem staatlichen Verbot von privatem ''mäšräp'' und der Modernisierung und Urbanisierung der Gesellschaft oft für uigurische Tanz- und Musikshows im Fernsehen oder in Restaurants – insbesondere für touristisches Publikum – verwendet.<ref name="CabrasEtGuill2017_ChinaPerspectives_2017-4-112_41-48" /> So wurde der ''mäšräp'' in der Praxis in Xinjiang nicht geschützt, sondern von einer Versammlung der Gemeinschaft zu einem inszenierten Lied-und-Tanz-Spektakel umgeformt. Der ''mäšräp'' wurde in seiner volkstümlichen Form seit 2012 als informelle Versammlung kriminalisiert und gewöhnliche Uiguren waren nicht mehr in der Lage, ihren eigenen ''mäšräp'' zu veranstalten. Stattdessen wurden ''mäšräp'' vom Staat als kulturelle Ressource zur Förderung der Tourismusbranche benutzt und in Initiativen für [[Soft Power|sanfte Diplomatie]] eingesetzt. Mit aufwändigen Shows wie „China Dream on the Silk Road“ oder „Forever Meshrep“ sollte die Politik von KPCh-Führer Xi auf internationaler Ebene gefördert werden.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Gemeinschaftsfeste wie ''mäšräp'' und ''bezme'', bei denen jedermann am Muqam teilnehmen würde, werden seltener abgehalten.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /><ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /> Volkskünstler übernehmen inzwischen die Rolle der Weitergabe dieser Tradition an neue Generationen, doch lässt das Interesse der jungen Generationen am Muqam langsam nach.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" />

==== ''ashiq'' und ''mäjnun'' ====
{{Mehrere Bilder
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 | Bild1       = Diwanä Kurla Le Coq 1916 Tafel I Figur 1 .png
 | Untertitel1 = „dīwānä“ in [[Korla (Bayingolin)|Kurla]] (Anfang des 20. Jahrhunderts)<ref name="LeCoq1916_VAO_p1_Taf1-Fig1" />
 | Bild2       = Sapayi (8267457470).jpg
 | Untertitel2 = Zwei Männer, jeweils in ihrer rechten Hand ein ''sapayi'' haltend
 | Fußzeile    = '''Bild links''': Zu den religiösen Einrichtungen Ostturkestans gehörten zu Anfang des 20. Jahrhunderts die ''dīwānä'' genannten Bettler, die mit Rasselstab (''si pāyä''), Almosenschale (''käškül''), [[Rosenkranz]] (''täsbī''), Flickenrock und Derwischkappe nach Art der buddhistischen Bettelmönche im Land umherzogen. Sie lebten vom Ansingen von Liedern und hatten den Ruf gerissener Gauner<ref name="LeCoq1916_VAO_p1_Taf1-Fig1">{{Literatur |Autor=Albert von Le Coq |Titel=Volkskundliches aus Ost-Turkistan |Verlag=Reimer |Ort=Berlin |Datum=1916 |Seiten=17–20 |Fundstelle=hier S. 1, Tafel 1, Figur 1 |Kommentar=Königlich Preussische Turfan-Expeditionen |Umfang=S. i–vii, 1–72, 25 Tafeln}}</ref>
}}
Bei den Uiguren werden bestimmte Arten von Musikern ''[[Ashik|ashiq]]'' oder ''[[Madschnūn Lailā|mäjnun]]'' genannt.<ref name="HarrisInRees2009_LCM_p145-172" />

Ein ''ashiq'' nimmt die Rolle eines „Liebenden“ oder eines „Bettlers“ ein, der sein Leben dem Musizieren für Gott widmet. Die Derwische oder ''ashiq'' sind religiöse Bettler oder Bettelmönche, die noch heute für [[Almosen]] bei den Festen an den heiligen Schreinen singen, die islamischen Heiligen gewidmet sind und in der Taklamakan-Wüste verstreut sind.<ref name="HarrisInRees2009_LCM_p145-172" />

Ein ''mäjnun'' ist bei den Uiguren eine Art von Musiker, der den Derwischen oder ''ashiq'' ähnelt und sowohl die Rolle eines ''ashiq'' ausfüllt als auch die eines „Narren“, eines ''sarang''. Das aus dem Arabischen in Zentralasien übernommene Wort ''mäjnun'' bedeutet „Rausch“, „Verliebtheit“ oder „Vernarrtheit“. Es ist vor allem aus der tragischen Liebesgeschichte von [[Madschnūn Lailā|Leila und dem liebeskranken Majnun]] bekannt, die in der islamischen Welt in unzähligen Gedichten und Liedtexten nacherzählt und erwähnt wird. Die „Verliebtheit“ oder „Vernarrtheit“ dieser ''mäjnun'' wird im Sinne der Sufi als Sehnsucht nach dem Göttlichen verstanden, doch werden sie auch gefürchtet, indem ihnen nachgesagt word, häufig Friedhöfe aufzusuchen und sich von der normalen Gesellschaft abzusetzen. Der „Rausch“ des ''mäjnun'' grenzt an Wahnsinn.<ref name="HarrisInRees2009_LCM_p145-172" />

==== Tanz ====
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 | Kopfzeile   = Gesangs- und Tanzgruppen im [[China Pictorial|China-Pictorial]]-Magazin (人民画报)
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 | Bild1       = 1964-04 1964年 新疆歌舞团 葡萄架下.jpg
 | Untertitel1 = 新疆歌舞团, Xinjiang Gesangs- und Tanzgruppe auf dem [[Titelbild]] (Heft 4, 1964)
 | Bild2       = 1965-10 1965年 新疆克拉玛依文工团.jpg
 | Untertitel2 = 新疆克拉玛依文工团, Kulturgruppe [[Karamay]] (Heft 10, 1965)
}}
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 | Bild1       = Xinjiang, China (27637374253).jpg
 | Untertitel1 = Kinder führen in der Schule vor ausländischem Besuch folkloristische Tänze auf (Kaxgar, 1986)
 | Bild2       = East Turkestan (14674401877).jpg
 | Untertitel2 = Tanzperformance auf einer politischen „Ostturkestan“- Veranstaltung (Washington, D.C., 2014)
}}
[[Tanz]] spielt im Leben der zentralasiatischen Völker traditionell eine bedeutende Rolle. Das gilt sowohl für die städtischen Gesellschaften der Oasen als auch für die nomadischen. Auch in der uigurischen Gesellschaft ist Tanz ein wichtiger Bestandteil bei sozialen und politischen Anlässen geblieben. Er hat seinen Platz ebenso bei Festen unter Freunden wie bei offiziellen Besuchen von Würdenträgern. Die heutigen Tänze stehen teilweise in kontinuierlicher historischer Tradition, sind aber in einigen Fällen auch durch Auffrischung oder Neuerschaffung entstanden.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

Die uigurischen Tänze können in folgende Klassen unterteilt werden:<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

* Imitierende Tänze – Sie ahmen typische Bewegungen von Tieren nach. Für die meisten Nachahmungstänze liegen Beschreibungen in historischen Quellen vor. Zu den nachgeahmten Tieren gehören [[Tauben]], [[Gänse]], [[Hühnervögel|Hühner]], [[Hauspferd|Pferde]], [[Löwe]]n, [[Tiger]] und [[Trampeltier|Kamele]].<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* Religiöse Tänze – Sie werden in der Regel als Relikte aus der Zeit des [[Schamanismus]] und der [[Zoroastrismus|Feueranbetung]] der Uiguren identifiziert. Zu diesen Tänzen gehören der Feuertanz (bei Feiern um Lagerfeuer herum aufgeführt), der Kerzentanz (in buddhistischen Höhlenmalereien in Xinjiang dargestellt) und die Tänze von Heilern.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* ''Sänäm''-Tänze – Sie sind Paar- und Gruppentänze und in der Regel durch Gesang begleitet. Sie besitzen von allen uigurischen Tanzformen die größte Verbreitung und Beliebtheit. Es gibt viele regionale Variationen.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> ''Sänäm'' sind Suiten mit sechs bis dreizehn Volksliedern, die üblicherweise zum Tanzen gespielt werden. Jede Oasenstadt hat ihren eigenen ''sänäm'' im lokalen Gesangsstil. Diese sind aber untereinander alle rhythmisch miteinander verwandt, beginnen mit demselben moderaten Vierer-Tanzrhythmus und gehen schrittweise in ein schnelleres [[Metrum (Musik)|Metrum]] über. Häufig spielen ''naghra-surnay''-[[Band (Musik)|Bands]] ''sänäm'' auch in einer [[Instrumentalmusik|instrumentalen]] Version.<ref name="HarrisInNooshin2016_2009_MPP_165-186" /> Die UNESCO führt in ihrer Beschreibung der ''Uyghur Muqam of Xinjiang'' (dt.: „uigurische Muqam von Xinjiang“) anlässlich deren Anerkennung als [[Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit|immaterielles Kulturerbes der Menschheit]] eine Fotografie mit [[Copyright]] für das [[ICH Protection and Research Center, Xinjiang Uyghur Autonomous Region of China|ICH Protection and Research Center]] (Xinjiang) auf, das laut seinem Titel einen ''Senam''-Tanz als Element der Muqam zeigt.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109_photoID_05694">{{Internetquelle |url=https://ich.unesco.org/en/RL/uyghur-muqam-of-xinjiang-00109 |titel=Uyghur Muqam of Xinjiang &#91;Nomination file No. 00109&#93; |werk=ich.unesco.org |abruf=2020-11-14}} Fotografie: {{Internetquelle |url=https://ich.unesco.org/en/photo-pop-up-00973?photoID=05694 |titel=The Senam Dance of Muqam |werk=ich.unesco.org |abruf=2021-02-02}}</ref>
* ''[[Semah|Sama]]''-[[Reigen (Tanz)|Reigen]]<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /><ref name="HarrisInNooshin2016_2009_MPP_165-186" /> – Sie werden langsam schneller und folgen demselben Rhythmus wie das ''jula''-Lied der Muqams. Manche Sufis verwenden sie während der ''[[Dhikr|zikr]]''-Rituale.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> Der Name ''sama'' bezieht sich im landläufigeren Sinne auf die Sufi-Rituale beim ''[[Dhikr|zikr]]'' (oder: ''dhikr''),<ref name="HarrisInNooshin2016_2009_MPP_165-186" /><ref name="cfPapas2014_PI_3_1-2_25–43">Vgl. {{Literatur |Autor=Alexandre Papas |Titel=Creating a Sufi soundscape: Recitation (dhikr) and audition (samā’) according to Ahmad Kāsānī Dahbīdī (d. 1542) |Sammelwerk=Performing Islam |Band=3 |Nummer=1&2 |Datum=2014 |Seiten=25–43 |DOI=10.1386/pi.3.1-2.25_1}}</ref> aber Uiguren bezeichnen damit in der Regel speziell den Tanz.<ref name="HarrisInNooshin2016_2009_MPP_165-186">{{Literatur |Autor=Rachel Harris |Hrsg=Laudan Nooshin |Titel=National Traditions and Illegal Religious Activities amongst the Uyghurs |Sammelwerk=Music and the Play Of Power in the Middle East, North Africa and Central Asia |Verlag=Routledge (Taylor & Francis Group) |Ort=London & New York |Datum=2016 |ISBN=978-0-7546-3457-7 |Seiten=165–186 |JahrEA=2009}}</ref> Die ''sama''-Reigen sind auch zu einem überdimensionalen öffentlichen Tanz um die Hauptmoschee in Kaxgar geworden, der bei religiösen Festen zu ''naghra-surnay''-Musik aufgeführt wird.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
* Ein weiterer Volkstanz wird oftmals zu ''naghra-surnay''-Musik aufgeführt, zur [[Melodie]] ''Shadiyana'' („Jubelmelodie“), wobei 1/4-, 2/4- und 3/4-[[Taktangabe|Takt]] gemischt werden. Er wird bei vielen Arten von Feiern und Festivals getanzt.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> ''Shadiyana'' wird speziell mit Arslan Khan verbunden und soll die Melodie sein, mit dem seine Armeen in die Schlacht gezogen sind.<ref name="HarrisInNooshin2016_2009_MPP_165-186" />
* Lokale Tänze:
:* ''Dolan''-Tanz – Er ist ein schneller Wettkampftanz zwischen zwei, sich gegenüberstehenden Tanzpartnern. Er ist in den Regionen Märkit und [[Maralbexi]] in Xinjiang zu finden.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
:* ''Nazirkom''-Tanz – Er findet in Turpan große Beliebtheit.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> Die UNESCO führt in ihrer Beschreibung der ''Uyghur Muqam of Xinjiang'' anlässlich deren Anerkennung als immaterielles Kulturerbes der Menschheit eine Fotografie mit [[Copyright]] für das ICH Protection and Research Center (Xinjiang) auf, das laut seinem Titel einen ''Nazirkom''-Tanz beim ''Turpan Muqam'' zeigt.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109_photoID_05700">{{Internetquelle |url=https://ich.unesco.org/en/RL/uyghur-muqam-of-xinjiang-00109 |titel=Uyghur Muqam of Xinjiang &#91;Nomination file No. 00109&#93; |werk=ich.unesco.org |abruf=2020-11-14}} Fotografie: {{Internetquelle |url=https://ich.unesco.org/en/photo-pop-up-00973?photoID=05700 |titel=The Nazirkom Dance of the “Turpan Muqam” |werk=ich.unesco.org |abruf=2021-02-02}}</ref>
:* ''Sapayi''-Tanz – Dies ist ein weiterer Sufi-Tanzstil, bei dem sich der Tänzer mit einem ''sapayi'' (oder: ''sabay'') auf die Schultern schlägt. Das ''sapayi'' besteht aus einem Holzstab mit zwei Eisenringen, die beim Schwingen gegeneinander schlagen.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" /> Die UNESCO führt in ihrer Beschreibung der ''mäšräp'' anlässlich deren Anerkennung als immaterielles Kulturerbes der Menschheit eine Fotografie mit [[Copyright]] von 2009 für das ICH Protection and Research Center (Xinjiang) auf, das laut seinem Titel einen ''Sapayi''-Tanz beim ''mäšräp'' („Maxirap“) zeigt.<ref name="ich.unesco.org_meshrep-00304_photoID_03284">{{Internetquelle |url=https://ich.unesco.org/en/USL/meshrep-00304 |titel=Meshrep &#91;Nomination file No. 00304&#93; |werk=ich.unesco.org |abruf=2020-11-14}} Fotografie: {{Internetquelle |url=https://ich.unesco.org/en/photo-pop-up-00973?photoID=03284 |titel=Sapayi Dance at Maxirap |werk=ich.unesco.org |abruf=2020-12-29}}</ref>
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 | Bild1       = East Turkestan (14674268650).jpg
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 | Fußzeile    = Tanz mit Balancieren von Näpfen auf dem Kopf auf einer politischen „Ostturkestan“-Veranstaltung mit Kulturprogramm (Washington, D.C., 2014)
}}
:* Tänze, bei denen entweder Gegenstände (vor allem Teller) auf dem Kopf balanciert oder andere Gegenstände ([[Löffel (Musikinstrument)|Löffel]] oder [[Porzellan]]-Untertassen) zwischen den Fingern balanciert und wie [[Kastagnette]]n gespielt werden.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />
:* ''läpär'' – Unter diesem Namen sind traditionelle Aufführungen bekannt, die aus einem witzigen Dialog bestehen, der mit schnellem Tanzen durchsetzt ist.<ref name="LightInClements2006_GEW_Vol2_p335-348" />

==== Gesang-und-Tanz-Darbietungen (naxsha-usul) ====
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 | Kopfzeile   = Lächelnde junge Frauen als Gesicht der ''naxsha-usul''
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 | Bild1       = Taqiyah (type of hijab).jpg
 | Bild2       = 吐鲁番杏园里的演出 - panoramio.jpg
 | Fußzeile    = '''Links''': Die ethnisch-uigurische Tanzlehrerin, Mahire Emet (马依热·艾买提江 / ماھىرە ئەمەت), Mitglied der China Dancers Association (中国舞蹈家协会) und der Xinjiang Dancers Association (新疆舞蹈家协) und Tänzerin der Xinjiang Art Theater Song and Dance Troupe (新疆艺术剧院歌舞团)<ref name="sohu-com_2017-07-13_156809184_684319">{{Internetquelle |url=https://www.sohu.com/a/156809184_684319 |titel=宛若飞燕舞——记新疆艺术剧院歌舞团青年舞蹈演员 马依热•艾买提江 |werk=[[Sohu|sohu.com]] |datum=2017-07-13 |abruf=2020-11-27}}</ref><ref name="news-sina-com-cn_2013-07-13_162127642261">{{Internetquelle |url=http://news.sina.com.cn/c/2013-07-11/162127642261.shtml |titel=马依热•艾买提江现场给孩子们指导民族舞 |werk=[[Sina.com|news.sina.com.cn]] |datum=2013-07-13 |abruf=2020-11-27}} (天山网/Tianshannet)</ref><br />
'''Rechts''': Darbietung im Tanzkostüm im Dorf Turpanyüz (Präfektur Ili), das während der Regierungszeit von Kaiser [[Qianlong]] von Turpan aus besiedelt wurde
}}
Lange Zeit hatte einerseits der chinesische Staat versucht, seine Minderheiten-Nationalitäten als Völker darzustellen, die „gut im Singen und Tanzen sind“, während andererseits Uiguren musikalische Darbietungen als wichtigen Aspekt ihrer nationalen Identität betrachteten. Die seit Ende des 20. Jahrhunderts zu beobachtende Wiederbelebung des Islam schuf jedoch ein Umfeld, in dem unter Uiguren Stimmen laut wurden, die Gesang-und-Tanz-Darbietungen sowohl als unislamisch, als auch als Werkzeug kolonialistischer Unterdrückung verurteilten. Der resultierende Diskurs trug eine stark geschlechtsspezifische Dimension, bei der häufig der Körper uigurischer Frauen zum Gegenstand der umstrittenen Identitätsfrage wurde.<ref name="Harris2017_WorldOfMusic-NS_6_2_35-55">{{Literatur |Autor=Rachel Harris |Titel=The New Battleground: Song-and-dance in China's Muslim Borderlands |Sammelwerk=The World of Music (new series) |Band=6 |Nummer=2 (Sounding Ethnicity: New Perspectives on Music, Identity and Place) |Verlag=VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung |Datum=2017 |Seiten=35-55 |JSTOR=44841945}}</ref>

Bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert spielten musikalische Darbietung, Tanz und Theater eine zentrale Rolle in modernen Definitionen der nationalen Identität der Uiguren.<ref name="Harris2017_WorldOfMusic-NS_6_2_35-55" /><ref name="Light2008_IHC">{{Literatur |Autor=Nathan Light |Titel=Intimate Heritage: Creating Uyghur Muqam Song in Xinjiang |Reihe=Halle Studies in the Anthropology of Eurasia |BandReihe=19 |HrsgReihe=Chris Hann, Richard Rottenburg, Burkhard Schnepel |Verlag=Lit-Verlag |Ort=Berlin |Datum=2008 |ISBN=978-3-8258-1120-4 |Umfang=i-xi, 1-334}}</ref> Mit der Eingliederung der uigurischen Region in die VR China im Jahr 1955 wurden die Uiguren offiziell als „Minderheitsnationalitäten“ Chinas anerkannt und die die Fortentwicklung der uigurischen Volkskultur fiel in die Zuständigkeit der chinesischen Nationalitätenpolitik. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts investierte der chinesische Staat stark in die „Modernisierung und Entwicklung“ der uigurischen Musikbräuche. Dazu gehörten sowohl umfangreiche Recherchen und Dokumentationen als auch die Einführung eines Systems professioneller Ensembles der [[Darstellende Kunst|darstellenden Künste]], die an Städte der gesamten Region gebunden waren. Diese Ensembles entwickelten Formen der folkloristischen Performance uigurischen Volkstums, die als ''naxsha-usul'' (deutsch etwa: „Gesang-und-Tanz“) bezeichnet wurden. Der chinesische Staat setzte diese Förderung im Bereich der Künste ethnischer Minderheiten als Ersatz für ihre faktisch fehlende Autonomie im politischen Bereich ein. Außerdem spielten „Gesang-und-Tanz“ der Minoritäten in China eine aktive Rolle dabei, eine hierarchische Beziehung zwischen der Han-chinesischen Mehrheit einerseits und den ethnischen Minderheitsvölkern andererseits durchzusetzen und zu normieren.<ref name="Harris2017_WorldOfMusic-NS_6_2_35-55" />

Chinaweit wurde eine Rhetorik geschaffen, die das [[Klischee]] „singender und tanzender“ ethnischer Minoritäten verfestigt und noch heute das Bild von den nationalen Minderheiten Chinas dominiert. China stellt Minderheitenidentitäten auf diese Weise sowohl als [[Feminisierung (Soziologie)|feminisierte]] Bewahrerinnen der chinesischen Tradition dar, als auch als [[Exotismus|exotisches]] Gegenüber, gegenüber dem sich die [[Dominanz (Psychologie)|dominanten]] Han-Chinesen mittels der ihnen eigenen [[Moderne|Modernität]] beweisen können. Diese Beziehungen werden durch zahlreiche Darstellungen und Begegnungen in glamourösen TV-Shows, in Medienberichten oder auch in kleinen touristischen Darbietungen aufrechterhalten, insbesondere in den verschiedenen touristisch besser erschlossenen Minderheitenregionen Chinas. In Xinjiang wiederholen sich diese vornormierten Beziehungen bei den Begegnungen zwischen chinesischen Touristen und jungen uigurischen Frauen in großen Touristenattraktionen ebenso wie in kleinen Restaurants einer Altstadt. In chinesischen Mediendarstellungen dienen lächelnde junge Frauen in Tanzkostümen als sofort erkennbare Symbole für die „gute“ Seite der Region. Der chinesische Staat setzt „Gesang-und-Tanz“ stetig ein als Symbol für die hierarchische und geschlechtsspezifische Beziehung zwischen dem „großen Han-Bruder“ und den „kleinen Brüdern und Schwestern“ der ethnischen Minderheit, wie etwa bei der Gala-Aufführung zum 60-jährigen Jubiläum auf dem Tian'anmen-Platz in Peking im Jahr 2009. Ein anderes Beispiel für ''naxsha-usul''-Performance sind die Aufführungen der [[Xinjiang Song and Dance Troupe]] in Ürümqi im Mai 2009.<ref name="Harris2017_WorldOfMusic-NS_6_2_35-55" />

Ungeachtet der politischen Instrumentalisierung durch die Zentralregierung besteht auch eine aktive Identifikation der Uiguren mit ''naxsha-usul''. In der heutigen uigurischen Gesellschaft sind die professionellen Musiker der uigurischen Staatsensembles weithin anerkannt. Die uigurische Bevölkerung konsumiert ihrer Darbietungen auch in Form von [[Video-CD]]s und investiert in den Nachwuchs, damit dieser ''naxsha-usul'' nachahmen kann oder schon kleine Mädchen in Tanzensemble-Outfits gekleidet werden.<ref name="Harris2017_WorldOfMusic-NS_6_2_35-55" />

==== Musikinstrumente ====
{{Mehrere Bilder
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 | Kopfzeile   = Uigurische Musikinstrumente im Musikgeschäft in Kaxgar (Mai 2007)
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 | Bild1       = Kashgar May 2007 464.jpg
 | Untertitel1 = Auslage des Ladens
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 | Untertitel2 = Musiker spielt im Laden ''[[rawap]]''
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 | Kopfzeile   = Uigurische Musikinstrumente
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 | Bild1       = Dutar1.jpg
 | Untertitel1 = [[Dotar|Dutar]]
 | Bild2       = Uyghur musical instruments, Kashgar.jpg
 | Untertitel2 = Khushtar (links) und andere ausgestellte Stücke im Restaurant in Kaxgar (Juni 2011)
 | Bild3       = P1080671.JPG
 | Untertitel3 = [[Tanbur]]r (links), ''apayi'' (Mitte) und Hami-''ajieke'' (rechts)
}}
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 | Kopfzeile   = Uigurische Musikinstrumente
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 | Bild1       = Uyghur tambur.jpg
 | Untertitel1 = Uigurischer [[Tanbur|Tambur]]-Spieler
 | Bild2       = Uyghur satar or sataer (ساتار).jpg
 | Untertitel2 = Uigurischer ''[[Setar (Saiteninstrument)|satar]]''-Spieler
}}
Die Uiguren spielen eine Vielzahl an Musikinstrumenten, von denen viele auch – in der Regel in leicht abgewandelter Form – bei den benachbarten Nationalitäten wie den Kasachen, Kirgisen, Usbeken, Tadschiken und Tataren gefunden werden können. Zu den uigurischen Musikinstrumenten gehören beispielsweise die [[Laute|lautenförmigen]] [[Saiteninstrument]]e ''ajek'', ''hushtar'' (auch: ''khushtar''), ''[[Dotar|Dutar]]'', ''[[Setar (Saiteninstrument)|satar]]'', ''[[Tanbur|tämbur]]'' und ''[[rawap]]'', das [[Blasinstrument]] ''[[Zurna|surme]]'', das [[Perkussion (Musik)|Perkussion]]-Instrument ''sabay'' (auch: ''sapayi''), die [[Trommel]]-Instrumente ''[[Daf (Musikinstrument)|dap]]'' und ''[[Naqqara|naghra]]'' sowie das [[Tschang (Harfe)|harfenähnliche]] [[Zupfinstrument]] ''qalun'',<ref name="Schwarz1984_MNC_Kap1_p11-13">{{Literatur |Autor=Henry G. Schwarz |Titel=The Minorities of northern China |Reihe=Studies on East Asia |BandReihe=17 |HrsgReihe=Henry G. Schwarz |Verlag=Western Washington University |Ort=[[Bellingham (Washington)|Bellingham, Washington]] |Datum=1984 |ISBN=0-914584-17-0 |Kapitel=Chapter 1: Uigur |Seiten=1–16 |Fundstelle=S. 11–13 |DOI=10.25710/0wac-7e95 |Umfang=S. i-xiii, 1–309}}</ref> ein uigurisches [[Psalterium]].<ref name="Tsuge2013_GSJ_66_255-259">{{Literatur |Autor=Gen'ichi Tsuge |Titel=Musical Instruments Described in a Fourteenth-Century Persian Treatise "Kanz al-tuḥaf" |Sammelwerk=The Galpin Society Journal |Band=66 |Datum=2013-03 |Seiten=255–259 |JSTOR=44083116}} Dort mit Verweis auf: G. Tsuge: „The ''Qalun'': An Uyghur Psaltery Depicted in Persian Miniatures“, Imago Musicae XXIV (2011), S. 43–59.</ref>

Als bis in die heute Zeit hauptsächliche Musikinstrumente der Uiguren gelten ''dutar'', ''tämbur'', ''rawap'', ''[[Tschang (Harfe)|Tschang]]'', ''qalon'', ''satar'', ''ghijäk'', ''khushtar'', ''dap'', ''naghra'', ''sunay'', ''balaman'' und ''näy''.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27">{{Literatur |Autor=Rachel Harris |Titel=The Making Of a Musical Canon in Chinese Central Asia: The Uyghur Twelve Muqam |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2008 |ISBN=978-0-7546-6382-9 |Kapitel=Chapter 1: An Overview of Uyghur Music |Seiten=15–28 |Fundstelle=S. 25–28 |Umfang=S. i–xvii, 1–157}}</ref><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549">{{Literatur |Autor=Rachel Harris, Yasin Muhpul |Hrsg=Hasan Celâl Güzel, C. Cem Oğuz, Osman Karatay, Yusuf Halaçoğlu |Titel=Music of the Uyghurs |Sammelwerk=The Turks |Band=6 |Verlag=Yeni Türkiye Publication |Ort=Ankara |Datum=2002 |ISBN=975-6782-61-7 |Seiten=542-549 |Umfang=1022 Seiten}}</ref> Zu den Instrumenten, die historischer Zeit im Gebrauch der Uiguren waren, zählen zudem die harfenähnliche ''ghunqa'', die ''bärbap''-Laute als Vorform der chinesischen [[Pipa]], die ''jalla''-[[Tamburin]] und die ''isqirt''-Flöte. Auch die bis in die 1950er Jahre vor allem von uigurischen Frauen gespielte, metallene Maultrommel ''qowuz'' kommt im 21. Jahrhundert kaum noch vor.<ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" />

Die uigurischen Muqam werden mit einer Vielzahl von Musikinstrumenten gespielt,<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /><ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /> die kennzeichnend für die Uiguren sind.<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> Die führenden Instrumente der Muqam-Ensembles werden aus lokalen Materialien hergestellt. In der Form variieren sie und können als Streich-, Zupf- oder Blasinstrumente ausgestaltet sein.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" />

;Langhalslauten
''tanbûr'', ''dutâr'', ''satô'' und ''satâr'' mit ihrem reichen und klangvollen Timbre sind allgemein die Hauptinstrumente der zentralasiatischen Maqâm-Traditionen.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p55f" /> Die ''[[Tanbur|Tanbûr]]''-Instrumente, im Sinne von Langhals[[Lauteninstrument|lauten]] der ''tanbûr''-Familie nach dem weithin gebräuchlichen Klassifikationssystem von [[Curt Sachs]] und [[Erich Moritz von Hornbostel]], gehören zu den wichtigsten Musikinstrumenten der Makam.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p18" /> Die langhalsige Streich-Satar ''(long-necked bowed stringed satar)'' mit ihrem charakteristischen [[Timbre]] ist das vielleicht bedeutendste Instrument<ref name="MackerrasInZang2016_HEM_p214–239" /> und wird in der Regel vom Leadsänger (muqamchi) gespielt.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27" /><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" /> Das ''ejek'' (lokal auch ''huhu'' oder ''Hami huqin'' genannt) spielt eine besondere und führende Rolle im Rahmen des uigurischen Muqam aus Hami (Kumul),<ref name="youlinmagazine-com_2015-12-21_EQI">{{Internetquelle |autor=Cheng Wangli |url=https://www.youlinmagazine.com/article/ejek-the-queen-instrument-for-hami-uyghur-muqam/NTAy |titel=Ejek: The 'Queen Instrument' for Hami Uyghur Muqam |werk=youlinmagazine.com |datum=2015-12-21 |abruf=2021-01-15}}</ref> der 2007 in das immaterielle Kulturerbe Xinjiangs aufgenommen wurde.<ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /><ref name="youlinmagazine-com_2015-12-21_EQI" /> Die kurze ''balaman''-Pfeife mit sieben Fingerlöchern wird heute nur noch in der Region Hotan verwendet und dient dort als ein führendes Instrument im Muqam.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27" /><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" />

Neben ihrer wichtigen Funktion für die Makam sind die Langhalslauten der ''tanbûr''-Familie auch für einige andere musikalische Traditionen wie die Volksmusik oder die Dichter-Musiker bedeutend.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p18" /> Diese zentralasiatischen Dichter-Musiker (''bachsî'', ''bagşy'', ''zhïrau'', ''aqïn'', ''hâfez'') boten ihr [[Epik|episches]], [[Lyrik|lyrisches]], didaktisches und zum Teil auch religiöses Repertoire unter [[Begleitung (Musik)|Begleitung]] von ''tanbûr'' oder ''dutâr'' der Volksmusik auf, wobei es sich um schlichtere Varianten der Stücke aus der Maqâm-Tradition handelte. Es handelte sich bei den Dichter-Musikern in Zentralasien bis vor kurzem um eine rein von Männern ausgeübte Tradition, was sich im Raum der Sowjetunion erst mit zunehmender Sesshaftwerdung und Sowjetisierung etwas geändert hat.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p55f" /> Die sowohl zur instrumentalen Unterstützung von ''muqam''-Darbietungen, als auch zur Begleitung von Volksliedern eingesetzte ''dutar'' wird wie auch alle anderen uigurischen Lauten mit Dekorationen aus [[Horn]] oder [[Knochen]] ästhetisch verziert, gehört zum Inventar fast jeden uigurischen Haushalts und ist das einzige, traditionell von uigurischen Frauen gespielte Instrument. Hauptinstrument der Ili-Variante der Zwölf Muqam ist dagegen die auch zur Begleitung von Volksliedern und als Soloinstrument eingesetzte ''tämbur''. Von der ''rawap'' als kürzerhalsige und mit einem [[Plectrum]] aus Horn gespielte Laute existieren bei den Uiguren verschiedene Typen: Die mit Zier-„Hörnern“ (''möngüz'') ausgestattete Kaxgar-''rawap'' und die in Hotan verbreitete, noch kürzere Hirten-''rawap'' (''qoychi rawap'') werden beide von den ''dastanchi'' oder ''qoshaqchi'' genannten Erzählern gespielt, während die Dolan-''rawap'' als Hauptinstrument der Dolan-Muqam und die dieser ähnliche Kumul-''rawap'' für Volkslieder und Kumul-Muqam Verwendung findet.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27" /><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" />

;Schlaginstrumente
Von der Rahmentrommel ''dap'' sind heute noch zwei Typen verbreitet, von denen die kleinere Variante (''näghmä däpi'') bei den Zwölf Muqam eine führende Rolle in den Instrumentalsequenzen (''märghul'') einnimmt, während die größere Variante (''chong dap'') bei verschiedenen Folklore-Anlässen wie bei Tänzen zum ''mäshräp'' oder auch bei Ritualen uigurischer Heiler (''baqshi'' oder ''pirghun'') zum Einsatz kommt. Die kleine Kesseltrommel ''naghra'' wird mit einem Paar [[Stick (Schlagzeug)|Sticks]] und stets im ''naghra-sunay''-Ensemble gespielt, also zusammen mit zwei bis elf ''sunay'' genannten [[Doppelrohrblattinstrument|Doppelrohrblatt]]-[[Schalmei]]en, wobei eine große ''chong-naghra'' den Basis-Rhythmuszyklus vorgibt.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27" /><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" />

Die mit Metallringen durchbohrten ''sapayä'' bestehen aus einem von Metallringen durchstochenen Stockpaar, stellen das häufigste Schlaginstrument in der Folklore dar und werden vor allem von Bettlern und Sufis verwendet. Als ''tash'' (dt. „Stein“) werden vier Steine bezeichnet, von denen jeweils ein Paar in jeder Hand gehalten und rhythmisch gegeneinander geschlagen werden. Mit ''qoshuq'' (dt. „Löffel“) wird ein Paar Holzlöffel bezeichnet, die mit ihren Rücken aneinander geschlagen werden.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27" /><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" />

;Kulturelle Beziehungen
Viele „traditionell chinesische“ Musikinstrumente sind ursprünglich aus dem zentralasiatischen oder indischen Raum übernommen worden, so auch die [[Pipa|Pipa-Laute]] und möglicherweise die dreisaitige [[Sanxian]]-Laute, das [[Yangqin]]-[[Hackbrett]], verschiedene, als [[Huqin]] bekannte [[Hornbostel-Sachs-Systematik#Lauten (321)|Spießlauten]], die [[Dizi (Instrument)|Dizi]]-[[Querflöte]], die [[Doppelrohrblattinstrument|Doppelrohrblatt]]-[[Suona]] und mehrere kleine Schlaginstrumente.<ref name="Millward2005_SR_3_1_9–15">{{Literatur |Autor=James A. Millward |Titel=Uyghur Art Music and the Ambiguities of Chinese Silk Roadism in Xinjiang |Sammelwerk=The Silk Road |Band=3 |Nummer=1 |Datum=2005 |ISSN=2152-7237 |Seiten=9–15 |Online=[http://www.silkroadfoundation.org/newsletter/vol3num1/3_uyghur.php silkroadfoundation.org]}}</ref> Erste Langhalslauten waren bereits im 2. und 3. nachchristlichen Jahrhundert in das heutige China gelangt und entwickelten sich dort zu neuen Varianten.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p57">{{Literatur |Autor=Hans de Zeeuw |Titel=Tanbûr Long-Necked Lutes along the Silk Road and beyond |Verlag=Archaeopress |Ort=Oxford |Datum=2019 |ISBN=978-1-78969-169-6 |Fundstelle=hier S. 57f. |DOI=10.2307/j.ctvndv96m |JSTOR=j.ctvndv96m |Umfang=S. i-x, 1-188}}</ref> Besonders fortgeschrittenere Tanbûr-Instrumente haben sich in der östlichen Sphäre der islamischen Welt unter Einfluss von [[Maqam (Musik)|Maqâm]]-Tradition und Sufismus in einer höfischen und städtischen Umgebung entwickelt, und es bestand bereits seit dem 14./15. Jahrhundert ein zunehmender Bedarf an Tanbûr-Instrumenten.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p18" /> Als dieses Musikinstrument sich in den verschiedenen Musikkulturen entlang der alten Seidenstraße ausbreitete, wurden bereits bestehende indigene Bezeichnungen auf modifizierte und unterschiedliche Tanbûr-Typen angewendet, wie etwa die viersaitige usbekisch-tadschikische Tanbûr, die fünfsaitige uigurische Tanbûr und die vielsaitige afghanische Herâti dutâr oder auch die in der Morphologie abweichende Kaschmîrî setâr. Ähnliche und gleichartige Instrumente wie die Tanbûr sind daher auch unter anderen Namen bekannt, wie ''dotâr'', ''saz'', ''setâr'', ''dömbra'' und ''dambura''. Es handelt sich um Schalenlanghalslauten.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p3">{{Literatur |Autor=Hans de Zeeuw |Titel=Tanbûr Long-Necked Lutes along the Silk Road and beyond |Verlag=Archaeopress |Ort=Oxford |Datum=2019 |ISBN=978-1-78969-169-6 |Fundstelle=hier S. 3 |DOI=10.2307/j.ctvndv96m |JSTOR=j.ctvndv96m |Umfang=S. i-x, 1-188}}</ref>

;Wandel in jüngster Zeit
Die ''näy'' diente traditionell als lange [[Querflöte]] aus Walnussholz und ist heute vorwiegend noch im professionellen Einsatz, während uigurische Musiker zunehmend zum Gebrauch der chinesischen Bambus-Querflöte [[Dizi (Instrument)|Dizi]] übergegangen sind.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27" /><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" />

In den 1950er Jahren wurde die traditionellen Form der ''ghijäk'' genannten Fiedel für den professionellen Gebrauch umgeändert und verfügt in dieser Form unter anderem über einen [[Resonanzboden]] aus Holz anstelle von gespannter Tierhaut. Die in den 1970er Jahren entwickelte und in ihrer Form an Instrumente auf frühen buddhistischen Höhlenwandgemälden Xinjiangs angelehnte ''khushtar''-[[Viola da gamba|Gambe]] wird vorwiegend von Frauen gespielt und hat sich inzwischen beim Einsatz durch professionelle Musiktruppen etabliert.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27" /><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" />

In jüngerer Zeit wird das große Tschang-[[Hackbrett]] zwar noch von professionellen Musiktruppen, jedoch kaum noch in der Volksmusik verwendet, während das kleinere ''qalon''-Hackbrett vor allem als unterstützendes Instrument bei den Dolan-Muqam eingesetzt wird. Aus der Kaxgar-''rawap'' hat sich mittlerweile eine für den professionellen Soloeinsatz für Virtuosen und als [[Orchester]]instrument geeignete Version (''täkämmul rawap'') entwickelt.<ref name="Harris2008_MMC_Kap1_15–28_p25–27" /><ref name="HarrisEtMuhpul2002_Turks_6_542-549" />

==== Bedrohung der expressiven uigurischen Kultur seit 2017 ====
{{Hauptartikel|Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014}}
In jüngster Zeit (Stand: 2019) sind die uigurischen Traditionen und ihr musikalisches Erbe angesichts der rücksichtslosen Repression und massenhaften Festsetzung der Uiguren in [[Umerziehungslager in Xinjiang|Umerziehungslagern]] durch die chinesische Regierung erneut gefährdet.<ref name="deZeeuw2019_TLN_p55f" /> Noch zu Beginn der 2010er Jahre hatte der Ethnologe Darren Byler in Ürümqi ein reges musikalisches Leben unter Studenten beschrieben, die an den Wochenenden gemeinsam auf Festen musizierten, sangen und poetisch wirkten. Der [[Agglutinierende Sprache|agglutinierende]] Charakter, den das Uigurische als Turksprache besitzt, fördert laut Byler die sprachliche Gewandtheit und Freude der Uiguren bei der Bildung gereimter [[Suffix]]e und hat ebenso seit alters her überlieferte Formen des Geschichtenerzählens wie das von Pilgern auf Festivals in der Taklamakan angehörte epische ''dastan'' hervorgebracht, als auch moderne Ausdrucksformen wie eine vitale [[Hip-Hop (Subkultur)|Hip-Hop-Szene]] in Ürümqi. In der Folgezeit wurden jedoch sämtliche Versammlungen verboten. Das betraf sowohl traditionelle Ausdrucksformen wie öffentliche Gebete, ''mazar''-Schreinfeste und traditionelle ''mäšräp''-Festivals, als auch moderne expressive Formen wie Hip-Hop-[[Hip-Hop-Jargon|Cypher]].<ref name="theguardian.com_2021-12-10_TOV">{{Internetquelle |autor=Dale Berning Sawa |url=https://www.theguardian.com/artanddesign/2021/dec/10/this-is-our-voice-the-uyghur-traditions-being-erased-by-chinas-cultural-crackdown |titel=‘This is our voice’: The Uyghur traditions being erased by China’s cultural crackdown |titelerg=Ancient shrines, oral folklore and hip-hop cyphers are all part of a rich artistic heritage being ‘hollowed out’ in Xinjiang, say Uyghur exiles and scholars |werk=[[The Guardian|theguardian.com]] |datum=2021-12-10 |abruf=2021-12-31 |sprache=en}}</ref>

Neben der beispiellosen Überwachungs- und Inhaftierungskampagne, die sich nach der 2016 erfolgten Erklärung des „Volkskrieges gegen den Terror“ gegen die Uiguren entfaltete, führten die örtlichen Behörden auch Formen der „Umerziehung“ für die gesamte uigurische Bevölkerung ein, einschließlich obligatorischer Gesangs- und Tanzstunden zur „Bekämpfung des Extremismus“.<ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" /> Im Jahr 2014 hatte der chinesische Staat den ''mäšräp'' für seine Zwecke instrumentalisiert, indem der ''mäšräp'' ins Zentrum der Kampagne gegen den religiösen Extremismus gestellt wurde und die lokalen Regierungen eine Kampagne des „wöchentlichen ''mäšräp'' zur Bekämpfung des Extremismus“ organisierten, die obligatorische Gesangs- und Tanzstunden für uigurische Dorfbewohner beinhaltete, um sie vom Virus des Islam zu „heilen“.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="Harris2020_Ethnomusicology_64_1_23-55" />

Gleichzeitig mit der massiven Zerstörung des uigurischen Kulturguts seit 2017 oder 2018 vereinnahmte China die uigurische expressive Kultur – Musik, Tanz und Zusammenkünfte der Gemeinschaft – für sich und formte sie in ein Propagandawerkzeug für eigene Zwecke um. Parallel zum Programm der Zerstörung des uigurischen Kulturguts nutzte die Regierung von Xinjiang dieses uigurische Erbe als kulturelle Ressource für die Entwicklung der eigenen Tourismusbranche.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /> Zwar ist die uigurische Kultur in Form des musikalischen ''muqam''-Repertoires und der gemeinschaftlichen ''mäšräp''-Zusammenkünfte auf den Listen des [[Immaterielles Kulturerbe|immateriellen Kulturerbes der UNESCO]] gut vertreten.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" /><ref name="ich-unesco-org_uyghur-muqam-of-xinjiang-00109" /><ref name="ich.unesco.org_meshrep-00304" /> Während aber nach wissenschaftlicher Einschätzung die Politik der chinesischen Regierung selbst die größte Bedrohung für das uigurische Erbe darstellt, nutzt diese Regierung das UNESCO-Prädikat weltweiter Bedeutung uigurischen Kulturguts für ihre Argumentation aus, dass der chinesische Staat als verantwortungsbewusster Verwalter der uigurischen Kultur auftrete und diese Verwaltung der uigurischen Kultur durch die Regierung notwendig sei, um sie vor religiösem Extremismus zu schützen.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Tatsächlich war die Verwaltung des uigurischen Kulturerbes jedoch eng von Anstrengungen der Regierung begleitet, die Region Xinjiang fester unter ihre Kontrolle zu bringen. Wichtige religiöse Stätten bleiben nun in Form von Touristenattraktionen erhalten, während aber die Bevölkerung vor Ort von ihnen ausgeschlossen wurde und ihre religiöse Verehrung nicht ausüben konnte. So wurden kulturelle Aktivitäten der Bevölkerungsbasis als Formen des „religiösen Extremismus“ kriminalisiert, während dieselbe Kultur zugleich Touristengruppen in Gesangs- und Tanzspektakeln vorgeführt wurde. Beispielsweise wurde der ''mäšräp'' in Xinjiang faktisch nicht geschützt, sondern in seiner volkstümlichen Form kriminalisiert, zu einem inszenierten Lied-und-Tanz-Spektakel umgeformt, vom Staat als kulturelle Ressource zur Förderung der Tourismusbranche benutzt und in Initiativen für [[Soft Power|sanfte Diplomatie]] eingesetzt. In der Region Xinjiang rücken inszenierte Aufführungen das uigurische Erbe in eine Form, in der junge Frauen tanzen, lächeln und Touristen willkommen heißen, ungeachtet der tatsächlichen Situation der in weiten Teilen staatlicher Überwachung und Inhaftierung unterworfenenen uigurischen Bevölkerung.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

Profiteure dieser Tourismusinitiativen blieben in der Regel chinesische Unternehmen, während Uiguren weit weniger Gewinn daraus zogen. Das Wachstum der Tourismusbranche erleichterte wiederum den Zuzug von Han-Chinesen in die Region Xinjiang – sowohl als kurzfristige Besucher als auch als ständige Siedler – und lieferte der Regierung eine weitere Rechtfertigung für die repressive Politik der Versicherheitlichung, die vom Staat für notwendig zur Stabilisierung der Region gehalten wird.<ref name="Harris_In_cgpolicy-org_2020-09-24_UHC" />

{{Siehe auch|Uigurische Literatur}}

== Siehe auch ==
* [[Geschichte der Uiguren]]
* [[Verfolgung und Umerziehung der Uiguren in China seit 2014]]
* [[Xinjiang-Konflikt]]
* [[Umerziehungslager in Xinjiang]]
* [[Rezeptionen, Positionen und Reaktionen zur uigurischen Frage]]

== Literatur ==
=== Fachenzyklopädische Beiträge ===
==== Schwerpunkt Geschichte und Politik ====
* {{Literatur |Autor=David Brophy |Titel=The Uyghurs: Making a Nation |Sammelwerk=Oxford Research Encyclopedia of Asian History |Datum=2018-09 |Sprache=en |DOI=10.1093/acrefore/9780190277727.013.318}} Erste Online-Veröffentlichung: 28. September 2018.
* {{Literatur |Autor=Michael C. Brose |Titel=The Medieval Uyghurs of the 8th through 14th Centuries |Sammelwerk=Oxford Research Encyclopedia of Asian History |Datum=2017-06 |Sprache=en |DOI=10.1093/acrefore/9780190277727.013.232}} Erste Online-Veröffentlichung: 28. Juni 2017.
* {{Literatur |Autor=Ablet Kamalov |Titel=Uyghur Historiography |Sammelwerk=Oxford Research Encyclopedia of Asian History |Datum=2021 |Sprache=en |DOI=10.1093/acrefore/9780190277727.013.637}} Erste Online-Veröffentlichung: 29. Oktober 2021.
* {{Internetquelle |autor=Rian Thum |url=https://oxfordre.com/asianhistory/view/10.1093/acrefore/9780190277727.001.0001/acrefore-9780190277727-e-160?rskey=8gSyAu&result=1 |titel=The Uyghurs in Modern China |werk=Oxford Research Encyclopedia of Asian History |datum=2020-07-11 |abruf=2020-07-11 |sprache=en}} [[doi:10.1093/acrefore/9780190277727.013.160]]. Erste Online-Veröffentlichung: 26. April 2018. Auch verfügbar als: {{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=The Uyghurs in Modern China |Sammelwerk=Oxford Research Encyclopedia, Asian History (oxfordre.com/asianhistory) |Verlag=Oxford University Press |Ort=USA |Datum=2020 |Online=[https://oxfordre.com/asianhistory/oxford/downloaddoclightbox/$002f10.1093$002facrefore$002f9780190277727.001.0001$002facrefore-9780190277727-e-160/The%20Uyghurs%20in%20Modern%20China?nojs=true online] |Format=PDF |KBytes=902}}
* {{Literatur |Autor=Barbara A. West |Titel=Encyclopedia of the peoples of Asia and Oceania |Verlag=Facts On File / Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=978-0-8160-7109-8 |Kapitel=Uighur (Eastern Turk, Ouigour, Uighuir, Uiguir, Uigur, Uygur, Weiwuer) |Seiten=848-854}}

==== Schwerpunkt Kultur und Folklore ====
* {{Literatur |Autor=Rachel Harris, Yasin Muhpul |Hrsg=Hasan Celâl Güzel, C. Cem Oğuz, Osman Karatay, Yusuf Halaçoğlu |Titel=Music of the Uyghurs |Sammelwerk=The Turks |Band=6 |Verlag=Yeni Türkiye Publication |Ort=Ankara |Datum=2002 |ISBN=975-6782-61-7 |Seiten=542-549 |Umfang=1022 Seiten}}
* {{Literatur |Autor=Rachel Harris |Hrsg=Robert C. Provine, Yosihiko Tokumaru, J. Lawrence Witzleben |Titel=Snapshot: Uighur Popular Music |Sammelwerk=Garland Encyclopedia of World Music |Band=7 (East Asia: China, Japan, and Korea) |Verlag=Routledge |Ort=New York u. a. |Datum=2017 |ISBN=0-8240-6041-5 |Seiten=467-471 |JahrEA=2002 |Umfang=ca. 1190 Seiten}}
* {{Literatur |Autor=Rachel Harris |Hrsg=John Shepherd, David Horn, Dave Laing |Titel=Xinjiang Uyghur Autonomous Region |Sammelwerk=Continuum encyclopedia of popular music of the world – Part 2: Locations |Band=5 (Asia and Oceania) |Verlag=Continuum |Ort=London u. a. |Datum=2005 |ISBN=0-8264-7436-5 |Umfang=i-xx, 1-XX, 311}}
* {{Literatur |Autor=Nathan Light |Hrsg=William M. Clements |Titel=Uyghur Folklore |Sammelwerk=The Greenwood encyclopedia of world folklore and folklife |Band=2 (Southeast Asia and India, Central and East Asia, Middle East) |Verlag=Greenwood Press |Ort=Westport, Conn. |Datum=2006 |ISBN=0-313-32849-8 |Seiten=335–348 |Umfang=S. i-xviii, 1-482}}
* {{Literatur |Autor=Du Yaxiong |Hrsg=Robert C. Provine, Yosihiko Tokumaru, J. Lawrence Witzleben |Titel=National Minorities in the Northwest |Sammelwerk=The Garland Encyclopedia of World Music |Band=7 (East Asia: China, Japan, and Korea) |Verlag=Routledge |Ort=New York u. a. |Datum=2017 |ISBN=0-8240-6041-5 |Seiten=455-466 |JahrEA=2002 |Umfang=ca. 1190 Seiten}}

==== Schwerpunkt Religion ====
* {{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Hrsg=Mariko Namba Walter, Eva Jane Neumann Fridman |Titel=Uyghur Healers (China) |Sammelwerk=Shamanism: an encyclopedia of world beliefs, practices, and culture |Verlag=ABC-CLIO |Ort=Santa Barbara, Denver und Oxford |Datum=2004 |ISBN=1-57607-645-8 |Seiten=642–646 |Umfang=i–xxxi, 1–1055}}
* {{Literatur |Autor=Karénina Kollmar-Paulenz |Hrsg=Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski, Eberhard Jüngel |Titel=Uighurs |Sammelwerk=Religion Past and Present |Verlag=Brill |Datum= |Sprache=en |DOI=10.1163/1877-5888_rpp_SIM_125210}} Deutschsprachige Fassung: {{Literatur |Autor=Karénina Kollmar-Paulenz |Hrsg=Hans Dieter Betz et al. |Titel=Uighuren |Sammelwerk=Religion in Geschichte und Gegenwart |Verlag=Brill |Datum= |DOI=10.1163/2405-8262_rgg4_SIM_125210}}

=== Wissenschaftliche Monographien vor 1998 ===
* {{Literatur |Autor=ئابدۇرەھىم ھەبىبۇللا [Abdurähim Häbibulla] |Titel=ئۇيغۇر ئېتنوگرافىيىسى [Uyġur etnografiyisi] |Verlag=Shinjang Khälq Näshriyati |Ort=Ürümqi |Datum=2000 |ISBN=7-228-02322-6 |Sprache=ug |JahrEA=1993 |Umfang=S. 1–581}} [Geschrieben in arabisch-uigurischer Schrift].
: <small>Diese uigurische Ethnographie von 1993 gehört zu der ersten Reihe von Büchern, die sich Anfang der 1990er Jahre allgemein und zentral mit dem „Brauchtum“ theoretisch beschäftigten und sich neben dem akademischen Publikum in Forschung und Lehre auch an eine breitere Leserschaft richteten. Eine Hauptmotivation des Buches (S. 3) ist in dem Fehlen von systematischem Material zur Einführung in die uigurische Ethnographie begründet.<ref name="Steenberg2021_AE_22_1_171-187" /></small>
* {{Literatur |Autor=[...].ئابدۇكېرىم راخمان. رەۋەيدۇللا ھەمدۇللا [Abdukerim Raḫman, Räwäydulla Hämdulla, Shärip Khushtar] |Titel=ئۇيغۇر ئۆرپ – ئادەتلىرى [Uyġur örp-ʾadätliri] |Verlag=Shinjang Yashlar-Vösmürlär Näshriyati |Ort=Ürümqi |Datum=1996 |ISBN=7-5371-2309-8 |Sprache=ug |Umfang=226 S.}} [Geschrieben in arabisch-uigurischer Schrift].
: <small>Mit diesem beliebten und vielgelesenem Werk „Uigurische Bräuche“ versuchte Abdukerim Raḫman (veröffentlicht mit zwei weiteren Ko-Editoren) als weiterer ethnologischer Pionier neben Häbibulla (1993) dem Fehlen einer systematischen Beschreibung uigurischer Bräuche abzuhelfen. Das Buch führt 224 Elemente typischer uigurischer Bräuche auf.<ref name="Steenberg2021_AE_22_1_171-187" /></small>

=== Wissenschaftliche Monographien ab 1998 ===
* {{Literatur |Autor=Björn Alpermann |Titel=Xinjiang: China und die Uiguren |Verlag=Würzburg University Press |Ort=Würzburg |Datum=2021 |ISBN=978-3-95826-162-4 |DOI=10.25972/WUP-978-3-95826-163-1 |Umfang=S. i–vii, 1-262}} Lizenz: Creative Commons License Attribution CC BY-SA 4.0.
: <small>Der Autor führt im ersten Teil des Buchs in die komplexe Geschichte der Region Xinjiang ein. Im zweiten Teil stellt er die regionalen Entwicklungen im 21. Jahrhundert dar. Hierbei zeichnet er ein vielfältiges Bild der sozioökonomischen Entwicklung, der ethnischen Identität sowie der Sprach- und Religionspolitik. Im dritten Teil hinterfragt Alpermann die gängigen Deutungen des Xinjiang-Konflikts. Er analysiert Proteste und Terrorismus ebenso wie die staatlichen Repressionsmaßnahmen und die internationale Dimension der Auseinandersetzung.</small>
* {{Literatur |Hrsg=Ildikó Bellér-Hann, M. Cristina Cesàro, Rachel Harris, Joanne Smith Finley |Titel=Situating the Uyghurs Between China and Central Asia |Reihe=Anthropology and cultural history in Asia and the Indo-Pacific |Verlag=Ashgate |Ort=Aldershot u. a. |Datum=2007 |ISBN=978-0-7546-7041-4 |Umfang=S. i-xxiv, 1-249}}
: <small>Das wichtigste Ziel des Sammelbandes besteht darin, sich von dem in der China-zentrierten Wissenschaft etablierten binären Fokus auf ethnische Han-Chinesen und Uiguren zu lösen und „die Rolle der zentralasiatischen Kultur (oder sogar anderer Kulturen) bei der Gestaltung der uigurischen Identität zu berücksichtigen“ (Seite 6). Die innovativsten Artikel des Bandes befassen sich mit der engen Verbindung der Uiguren mit der turkisch-muslimischen Welt Zentralasiens.<ref name="Gammer2009_MES_45_1_153–155">{{Literatur |Autor=Moshe Gammer |Titel=Review: [ohne Titel] [Rezensiertes Werk: Situating the Uyghurs between China and Central Asia von Ildikó Bellér-Hann, M. Christina Cesàro, Rachel Harris und Joanne Smith Finley] |Sammelwerk=Middle Eastern Studies |Band=45 |Nummer=1 |Datum=2009-01 |Seiten=153–155 |JSTOR=40262649}}</ref></small>
* {{Literatur |Autor=Ildikó Bellér-Hann |Titel=Community Matters in Xinjiang, 1880–1949: Towards a Historical Anthropology of the Uyghur |Reihe=China Studies |BandReihe=17 |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2008 |ISBN=978-90-04-16675-2 |ISSN=1570-1344 |Umfang=S. i–xvi, 1-477}}
: <small>Diese Dokumentation der uigurischen Kultur gilt als ein wegweisendes Werk mit nahezu enzyklopädischem Charakter für den Zeitraum der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /></small>
* {{Literatur |Autor=Gardner Bovingdon |Titel=The Uyghurs: Strangers in Their Own Land |Verlag=Columbia University Press |Ort=New York |Datum=2010 |ISBN=978-0-231-14758-3 |JSTOR=10.7312/bovi14758 |Umfang=S. i-xvii, 1-286}}
: <small>Im Gegensatz zu Darstellungen der Führung der VR China, die China im Zusammenhang mit ethnisch-nationalen Minderheiten ausschließlich als Opfer des Kolonialismus sehen, den imperialistischen Charakter insbesondere seines Vorgängerstaates der Qing-Dynastie jedoch bestreiten, ist die Herangehensweise dieses Buches zur Geschichte von Xinjiang stark von neuen Richtungen in der Geschichtswissenschaft beeinflusst, die die Qing als eine imperiale Einheit einordnen, die Territorium und Völker erobert und letztlich die territoriale Grundlage für die VR China geschaffen hat.<ref name="Relyea2012_JWH_23_4_1024–1028">{{Literatur |Autor=Scott Relyea |Titel=The Uyghurs: Strangers in Their Own Land by Gardner Bovingdon (review) |Sammelwerk=Journal of World History |Band=23 |Nummer=4 |Datum=2012-12 |ISSN=1527-8050 |Seiten=1024–1028 |DOI=10.1353/jwh.2012.0105}}</ref></small>
* {{Literatur |Autor=David Brophy |Titel=Uyghur Nation: Reform and Revolution on the Russia-China Frontier |Verlag=Harvard University Press |Ort=Cambridge & London |Datum=2016 |ISBN=978-0-674-66037-3 |JSTOR=j.ctvjghx68 |Umfang=S. i-xiv, 1-347}}
: <small>Diese Geschichte der Entstehung des modernen uigurischen Nationalismus gehört zu den Büchern der „dritten Welle der Xinjiang-Studien“ (Peter Perdue), die eher auf transnationale Verbindungen fokussieren als auf das Wesen des uigurischen Widerstands gegen den Staat.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /></small>
* {{Literatur |Autor=James Millward |Titel=Eurasian Crossroads: A History of Xinjiang |Verlag=Columbia University Press |Ort=New York |Datum=2007 |ISBN=978-0-231-13924-3 |Umfang=S. 1–352}}
: <small>Diese Abhandlung der Geschichte der Region dient auch als Standardübersicht über die Geschichte der Uiguren.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /></small>
* {{Literatur |Autor=Justin Jon Rudelson |Titel=Oasis Identities: Uyghur Nationalism Along China's Silk Road |Verlag=Columbia University Press |Ort=New York |Datum=1998 |ISBN=978-0-231-10786-0 |Umfang=224 S.}} (Copyright: 1997; Publikation: Januar 1998)
: <small>Bei diesem auf einem längeren Feldaufenthalt in Turpan basierenden ethnographischen Pionierwerk handelt es sich um die erste akademische englischsprachige Monographie mit dem Wort „Uyghur“ im Titel. Die zentrale These des Buches, dass die lokalen Oasenidentitäten ein bedeutendes Hindernis für das uigurische Nationalbewusstsein darstellen, wird heute von den meisten Fachleuten bezweifelt, doch blieb die Frage der Identität seither ein dominierendes Thema der Uigurischen Studien.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /></small>
* {{Literatur |Autor=Joanne N. Smith Finley |Titel=The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur-Han Relations in Contemporary Xinjiang |Reihe=Brill's Inner Asian Library |BandReihe=30 |HrsgReihe=Michael R. Drompp, Devin DeWeese |Verlag=Brill |Ort=Leiden & Boston |Datum=2013 |ISBN=978-90-04-25491-6 |DOI=10.1163/9789004256781 |Umfang=S. i–xxx, 1-454}}
: <small>Die auf Feldforschung in Xinjiang zwischen 1995 und 2004 basierende Analyse ist eine der detailliertesten Untersuchungen der Beziehungen zwischen Uiguren und Han-Chinesen und stellt die Uiguren als kreative Akteure vor, die subtilen und symbolischen Widerstand gegen die VR China einsetzen. Es beschreibt die Situation der Uiguren als Dilemma der Entscheidung zwischen Eingliederung in und Widerstand gegen den Staat.<ref name="Rudelson2015_CJ_73_223-225">{{Literatur |Autor=Justin Jon Ben-Adam Rudelson |Titel=Review: [ohne Titel] [Rezensiertes Werk: The Art of Symbolic Resistance: Uyghur Identities and Uyghur–Han Relations in Contemporary Xinjiang by Joanne Smith Finley] |Sammelwerk=The China Journal |Band=73 |Datum=2015-01 |Seiten=223-225 |DOI=10.1086/679184 |JSTOR=10.1086/679184}}</ref></small>
* {{Literatur |Hrsg=[[S. Frederick Starr]] |Titel=Xinjiang: China’s Muslim Borderland, an overview of the history, demographics, politics, and culture of the province |Verlag=Routledge (Taylor & Francis Group) |Ort=London & New York |Datum=2004 |ISBN=0-7656-1317-4}} Beteiligte Autoren: Linda Benson, Gardner Bovingdon, Jay Dautcher, [[Graham E. Fuller]], [[Dru C. Gladney]], William Jankowiak, Jonathan N. Lipman, James A. Millward, [[Peter Perdue|Peter C. Perdue]], Sean R. Roberts, Justin Rudelson, Yitzhak Shichor, S. Frederick Starr, Stanley W. Toops, Nabijan Tursun und Calla Wiemer.
: <small>Diese Übersicht von Geschichte, Demographie, Politik und Kultur der Provinz gilt als die Standardeinführung in zeitgenössische Themen der Region. Der chinesische Staat reagierte auf die Veröffentlichung mit Ausübung von Druck auf ausländische Wissenschaftler. Chinesische Behörden deuteten das Buch als separatistischen Angriff auf die chinesische Souveränität über Xinjiang und verweigerten allen beteiligten Autoren Reisevisa.<ref name="Thum2018_2020_OREAH_UMC" /></small>
* {{Literatur |Autor=Rian Thum |Titel=The Sacred Routes of Uyghur History |Verlag=Harvard University Press |Ort=Cambridge & London |Datum=2014 |ISBN=978-0-674-59855-3 |JSTOR=j.ctt9qdt35 |Umfang=S. i-viii, 1-323}}
: <small>Das Buch untersucht die Altishahr-Region und vollzieht den neuartigen Ansatz, die Altishahri nicht als Bevölkerung in einer chinesischen Grenzregion zu betrachten, sondern aus der Perspektive ihrer eigenen Geschichte mit Altishar als eigenem Zentrum. Für die Darstellung der uigurischen Geschichte berücksichtigt es zudem ungewöhnlich viele Manuskripte und Sammlungen.<ref name="Chen2016_NP_44_6_1018-1019">{{Literatur |Autor=Yu-Wen Chen |Titel=The sacred routes of Uyghur history, by Rian Thum, Cambridge, Harvard University Press, 2014, 323 pp., $39.95 (hardcover), ISBN 978-0674598553 |Sammelwerk=Nationalities Papers |Band=44 |Nummer=6 |Datum=2016 |Seiten=1018-1019 |DOI=10.1080/00905992.2016.1207310}}</ref></small>

== Rundfunkberichte, Reportagen und Dokumentarfilme ==
* {{Internetquelle |url=https://www.youtube.com/watch?v=jzHVyHNNH54 |titel=Gewalt gegen Uiguren |werk=DW-TV Politik Direkt |hrsg=[[Deutsche Welle]] (DW) |datum=2009-07 |abruf=2020-01-11 |format=[[YouTube]]-Video – 5:28min. |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |autor=Ulrich Delius |url=https://www.youtube.com/watch?v=zh_u_uKqGnE |titel=Die prekäre Lage der Uiguren in China |werk=[[Gesellschaft für bedrohte Völker]] (GfbV) |datum=2013-07 |abruf=2020-01-11 |format=[[YouTube]]-Video – 14:19min. |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.youtube.com/watch?v=6OTvyejwJXc |titel=China: Die Uiguren – ein Volk in Gefahr |werk=arte Reportage |hrsg=[[ARTE]] |datum=2019-05 |abruf=2020-01-11 |format=[[YouTube]]-Video – 24:24min. |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.youtube.com/watch?v=Ezd9Se2VwVA |titel=Muslimische Minderheit: Chinas Führung lässt Uiguren-Gräber zerstören |werk=[[Frankfurter Allgemeine Zeitung]] |datum=2019-10 |abruf=2020-01-11 |format=[[YouTube]]-Video – 1:45min. |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.youtube.com/watch?v=2RPusLu4EIY&feature=youtu.be&t=5400 |titel=China und die Uiguren |werk=[[zenith (Magazin)]] |datum=2019-11 |abruf=2020-01-27 |format=[[YouTube]]-Video – 2:04:50 Std. |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |autor=Sylvain Louvet |url=https://www.youtube.com/watch?v=ocCrWiM6bfM#t=56m30s |titel=Überwacht: Sieben Milliarden im Visier |titelerg=Die „digitalen [[Gulag]]s“ der chinesischen Provinz Xinjiang, in eine Welt der Gesichtserkennung, Emotionsdetektoren |werk=arte Reportage |hrsg=[[ARTE]] |datum=2020-04 |abruf=2020-04-24 |format=[[YouTube]]-Video – 1:29:26 Std. |kommentar=Uiguren-Thematik ab 0:56:30 Std. |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.youtube.com/watch?v=wygy62zms2E |titel=Überwacht, gescannt, eingesperrt. Chinas Jagd auf Uiguren |werk=ZDFdoku |hrsg=[[ZDFinfo]] |datum=2020-08 |abruf=2020-10-11 |format=[[YouTube]]-Video – 7:01min. |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |autor=Robin Barnwell |url=https://www.ardmediathek.de/wdr/video/die-story/undercover-in-china-die-unterdrueckung-der-uiguren/wdr-fernsehen/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLWY1MjViNmJiLWJmY2YtNGVjZC1iZDhjLTBkZGJjNTgzYWEzMg/ |titel=Undercover in China: Die Unterdrückung der Uiguren |werk=Die Story |hrsg=[[WDR]] |datum=2020-09 |abruf=2020-10-11 |format=[[ARD Mediathek|ARD-Mediathek]]-Video – 43:26 min. |kommentar=verfügbar bis zum 30. September 2021 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |autor=Romain Franklin, François Reinhardt |url=https://www.youtube.com/watch?v=UFhftPHnywM |titel=China: Das Drama der Uiguren |titelerg=Dokumentarfilm; Französischer Originaltitel: „Chine: le drame ouïghour“ (F, 2021) |werk=[[Arte]] |datum=2022-09-02 |format=[[YouTube]]-Video – 1:44:36 Std. |abruf=2022-09-06 |abruf-verborgen=1 |kommentar=verfügbar bis zum 30. November 2022}}

== Weblinks ==
{{Commonscat|Uyghur people|Uiguren}}
{{Wikinews|Kategorie:Uiguren|Uiguren}}
* {{Internetquelle |url=https://www.gfbv.de/de/informieren/laender-regionen-und-voelker/voelker/uiguren/ |titel=Uiguren |werk=[[Gesellschaft für bedrohte Völker]] (GfbV) |abruf=2020-01-11 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.dw.com/de/uiguren/t-17653365 |titel=Uiguren |werk=[[Deutsche Welle]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.tagesschau.de/thema/uiguren/ |titel=Uiguren |werk=[[tagesschau.de]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.faz.net/aktuell/politik/thema/uiguren |titel=Uiguren |werk=[[Frankfurter Allgemeine Zeitung]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.sueddeutsche.de/thema/Uiguren |titel=Uiguren |werk=[[Süddeutsche Zeitung]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.spiegel.de/thema/xinjiang/ |titel=Uiguren |werk=[[Der Spiegel]] |abruf=2021-05-21 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.bbc.com/news/topics/cpz1y9ney3mt/uighurs |titel=Uighurs |werk=[[BBC]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.theguardian.com/world/uighurs |titel=Uighurs |werk=[[The Guardian]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.nytimes.com/topic/subject/uighurs |titel=Uighurs |werk=[[New York Times]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.france24.com/en/tag/uighurs/ |titel=Uighurs |werk=[[France 24]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}
* {{Internetquelle |url=https://www.aljazeera.com/topics/subjects/uighur.html |titel=Uighur News |werk=[[Al Jazeera]] |abruf=2020-07-30 |abruf-verborgen=1}}

== Einzelnachweise ==
<references responsive>
</references>

== Anmerkungen ==
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[[Kategorie:Uiguren| ]]
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[[Kategorie:Ethnie in Hunan]]
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