Polnische Vokalumlautung
Die polnische Vokalumlautung (polnisch Przegłos polski) oder auch lechische Vokalumlautung (polnisch Przegłos lechicki) ist ein historischer Lautprozess, der bei den lechischen Dialekten des Gemeinslawischen bzw. der polnischen Sprache im 9. und 10. bis hin zum 13. Jahrhundert stattfand. Die Umlautungen Przegłos lechicki und Przegłos polski werden häufig zusammen als ein Phänomen unter einem der Begriffe genannt.
Der frühere Prozess betraf die polnisch-polabisch-pomeranische Gruppe (die lechischen Dialekte) und wird als Przegłos lechicki bezeichnet. Der spätere Prozess betrifft nur das Polnische, daher Przegłos polski genannt.
Bei beiden Prozessen handelt es sich um eine Umlautung von Vokalen der vorderen Reihe zu Vokalen der hinteren Reihe unter Einfluss von nachfolgenden harten Konsonanten, also in progressiver Richtung:
Die Vokale der vorderen Reihe e, ę, ě wurden vor harten Vorderzungenkonsonanten (t, d, n, s, z) und den harten liquiden Konsonanten (r, ł) zu o, ą, a. Ferner wurden die weichen Sonanten (die silbenbildenden Liquide) r’ und l’ in dieser Position zu r, und hartem l (ł) entpalatalisiert.
Übersicht
- ę + (t, d, n, s, z, r oder ł) → ą + (t, d, n, s, z, r oder ł)
z. B. in der Gnesener Bulle: Zuantos (= Śv’ątoś) aus der Wurzel * svętъ
- r’ + (t, d, n, s, z, r oder ł) → r + (t, d, n, s, z, r oder ł) dann → ar + (…)
z. B. * sr’na → * srna → sarna
- l’ + (t, d, n, s, z, r oder ł) → l (d. h. ł) + (t, d, n, s, z, r oder ł) dann → eł + (…)
z. B. vl’na → * vlna → vełna
- e + (t, d, n, s, z, r oder ł) → o + (t, d, n, s, z, r oder ł)
z. B. * berǫ → biorę
- ě + (t, d, n, s, z, r oder ł) → a + (t, d, n, s, z, r oder ł)
z. B. * věra → wiara
Die letzten beiden Umlautungen (von * e und * ě) sind nur für das Polnische charakteristisch.
Ausbleiben der Umlautung
Zum Teil sind die Umlautungen nicht vollzogen worden, daher findet man im Polnischen häufig eine Vokal-Alternation:
urslawisches ě durch Umlautung zu a
urslawisches ě ohne Umlautung zu e
im heutigen Polnisch die Alternation a:e
urslawisch * věra, věrě → polnisch wiara:wierze
Ebenfalls keine Umlautung: koběta nicht zu kob’ata (heute polnisch: kobieta)
Verschwinden der Umlautung
Die Umlautung fand erst statt (Quellen im Altpolnischen), wurde später wieder angeglichen: z. B. * cěna → altpolnisch cana → heute cena
Doppelformen mit und ohne Umlautung
z. B. bieda versus biada
Quellen
- Stanisław Dubisz (Hrsg.): Gramatyka historyczna języka polskiego. 2. Auflage. Wydawnictwa Uniwersytetu Warszawskiego, Warschau 2001, ISBN 83-235-0137-8.
- Stanisław Urbańczyk (Hrsg.): Encyklopedia języka polskiego. 2. Auflage. Ossolineum, Breslau/Krakau/Warschau 1994, ISBN 83-04-04251-7.