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Die Eurolinguistik ist gemäß der Vorstellung ihres Namensgebers, Norbert Reiter, im Kern die Erarbeitung von den sprachlichen Gemeinsamkeiten in Europa. Sie befasst sich mit den Sprachen Europas in allen Bereichen der Linguistik wie Sprachgeschichte, Sprachsoziologie, Sprachpolitik, Sprachsystemik, interkulturelle Kommunikation. Dabei werden Europa und europäisch je nach Autor oder Forschergruppe unterschiedlich definiert.

Forschungsgegenstand

Untersuchungsgegenstand der Eurolinguistik sind die europäischen Sprachen, insbesondere deren Gemeinsamkeiten.

Mit Blick auf den Ausdruck Europa bzw. europäisch lassen sich in der geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Literatur mindestens die folgenden Arten von Definitionen finden.[1]

Eurolinguistische Erkenntnisse erfordern Studien, die die europäischen Sprachen umfassend oder repräsentativ beleuchten. Manche Arbeiten und Studiengänge, die sich europäisch oder eurolinguistisch nennen, scheinen in dieser Hinsicht unangemessen, behandeln sie doch nur eine sehr geringe Anzahl von Sprachen und Ländern, im Extremfall nur zwei – und nicht selten ohne einheitliche Herangehensweise.

Des Weiteren verwenden eurolinguistische Studien unterschiedliche Definitionen von europäischen Sprachen:

Forschungsstand

Der Begriff Eurolinguistik wurde zwar erst 1991 von Norbert Reiter geprägt, jedoch gab es bereits vorher Studien über europäische Sprachen (z.B. Lewy 1964, Décsy 1973). Neben einer Reihe von Arbeiten, die einen Teil der europäischen Sprachen berücksichtigen, haben die sprachgeschichtlichen und sprachsoziologischen Werke Harald Haarmanns eine gesamteuropäische Perspektive im Auge. Dieses Ziel verfolgte wohl auch Mario Wandruszka, er berücksichtigte aber fast ausschließlich, wie viele andere die Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Französisch; die Beiträge Wandruszkas und anderer sind außerdem deutlich aus deutschem Blickwinkel geschrieben. Zusätzlich wird unter Deutsch, Englisch, Französisch usw. meist Deutsch in Deutschland, Englisch in Großbritannien, Französisch in Frankreich usw. verstanden; für andere Nationalvarietäten dieser Sprachen ist in eurolinguistischen Arbeiten erst seit kurzem ein Bewusstsein gezeigt worden. Norbert Reiter, von Haus aus Slawist und Balkanologe, war vorrangig an Semantik interessiert, mit dem Ziel, die Struktur sprachlicher Inhalte mit einer numerischen Methodik zu erfassen und damit herauszufinden, wie Menschen in Europa ihre Umwelt wahrnehmen oder wahrnahmen. Schnell kam jedoch form-orientierte, gleichsam morphologische-syntaktische Forschung hinzu (etwa bei Uwe Hinrichs). Die Eurolinguistik ist somit gewissermaßen aus der Sprachbundforschung, insbesondere aus der Balkanlinguistik und der Forschung zu Standard Average European entstanden. Auch soziolinguistische Themen, insbesondere Aspekte der Kontaktlinguistik, standen früh auf der eurolinguistischen Agenda (etwa bei Harald Haarmann und Sture Ureland). Eine eurolinguistische Pragmatik entwickelt sich dagegen erst in den letzten Jahren (bei Joachim Grzega). Wissenschaftler einer Eurolinguistik, die man als angewandt bezeichnen kann, arbeiten oft ohne rechten Kontakt zu den systemlinguistisch und soziolinguistisch arbeitenden Wissenschaftlern und ohne expliziten Bezug auf eine Disziplin der Eurolinguistik.

Erst einige Jahre nach der Jahrtausendwende sind Grundlagenwerke zu den Merkmalen der Sprachen Europas entstanden (Grzega 2006/2012, Hinrichs 2010), ebenso Gedanken zu spezifisch eurolinguistischer Lehre (Grzega 2006/2012). Publikationen, die eurolinguistische Erkenntnisse einem breiteren deutschsprachigen Publikum bekannt machen wollen, wurden etwa von Harald Haarmann (1975/1993) und Joachim Grzega (2006/2012) erstellt.

Forschungsprojekte (Auswahl)

Größere Beispiele aus dem systemlinguistischen Bereich:

  • Atlas Linguarum Europae, kurz ALE. Seit 1970.
    Initiator: Antonius Weijnen. Koordinator Nicolae Saramandu. Mitarbeit mehrerer Dutzend Wissenschaftler.[3]
  • Die Typologie europäischer Sprachen, kurz EUROTYP. 1990-1994 und 1998-2007.[4]
    Gefördert von der European Science Foundation und unter der Leitung von Ekkehard König. Das Projektteam bestand aus insgesamt ca. 120 Sprachwissenschaftlern aus 20 europäischen Ländern.[5]

Aus dem angewandten Bereich:

  • Languages in a Network of European Excellence, kurz LINEE. 2006–2010.[6]
    Initiator: Peter H. Nelde. Letzter Koordinator: Iwar Werlen.[7]
  • Language Dynamics and Management of Diversity, kurz DYLAN. 2006–2011.
    Koordinatorin: Anne-Claude Berthoude.[8]
  • European Intercomprehension, kurz EuroCom. Seit 2000.
    Initiator: Horst G. Klein. Derzeitige Koordinatorin: Claudia Polzin-Hausmann.[9]
  • EuroLSJ
    EuroLSJ ist eine Aktivität im Rahmen des Eurolinguistischen Arbeitskreises Mannheim, kurz ELAMA. Initiator: Erhard Steller.[10]
  • Europäisches Haus Pappenheim, kurz EHP. 2012-2016 unter der Leitung Joachim Grzegas. Wiedergegründet 2017 durch die Stadt Pappenheim mit Maria Bartholomäus als Leiterin.[11]
    Als Einrichtung der Angewandten Eurolinguistik wurde zu Beginn des Projektes das Ziel verfolgt, ein Zentrum für Politik, Kulturen und Sprachen sein. Pro Jahr fanden ein bis zwei internationale Eurolinguistik-Tagungen statt, Tagungs- und Forschungsberichte wurden im Journal for EuroLingustiX, kurz JELiX, veröffentlicht.[12] Die zwölfte Ausgabe des JELiX ist eine Sonderausgabe, ihr Fokus liegt auf dem Thema der Etablierung von Eurolinguistik als international anerkanntes akademisches Feld und besteht aus Artikeln der dritten Eurolinguistik-Tagung im EHP.[13]

Institutionalisierung

Mit Ausnahme von ehemaligen und existierenden Forschungszentren zu Mehrsprachigkeit (Bern, Brüssel, Padua, Stockholm, Strassburg, Udine und Uppsala) und dem ehemaligen Europäischen Haus Pappenheim (EHP) sowie dem Projektbereich "Innovative Europäische Sprachlehre" an der Volkshochschule Donauwörth ist eurolinguistische Forschung bislang wenig institutionalisiert worden. An eben genannter Volkshochschule fand zwischen 29. September und 1. Oktober 2017 die Conference on Eurolinguistics statt. Unter dem Titel European Philology and Societal Issues richteten sich die meisten Vorträge der Teilnehmenden nach Aspekten der Friedensstiftung und Friedenssicherung.[14]

Verbände

Folgende eurolinguistische Verbände wurden gegründet:

  • 1999 der Eurolinguistische Arbeitskreis Mannheim (ELAMA)[15]
  • 1999 die Europäische Gesellschaft für Phraseologie (EUROPHRAS)[16]
  • 2005 die Associazione Eurolinguistica Sud (AES)[17]
  • 2007 das Eurolinguistic Network South East (ENSE)
  • 2007 die Eurolinguistic Association (ELA)

Buchreihen und Zeitschriften

  • Studies in Eurolinguistics, seit 2003, herausgegeben von Sture Ureland beim Logos-Verlag Berlin
  • Eurolinguistische Arbeiten, seit 2004, herausgegeben von Uwe Hinrichs Harrassowitz-Verlag Wiesbaden
  • Journal for EuroLinguistiX, seit 2004, herausgegeben von Joachim Grzega

Literatur

  • Wolfgang Abbe et al.: Bibliographie Europäische Sprachwissenschaft, 50 Bde. Hamburg: Edition Loges. 2011.
  • Edith Broszinsky-Schwabe: Interkulturelle Kommunikation. Missverständnisse und Verständigung. Wiesbaden: Springer Fachmedien. 2017:
  • Gyula Décsy: Die linguistische Struktur Europas: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, Wiesbaden: Harrassowitz. 1973.
  • Joachim Grzega: EuroLinguistischer Parcours: Kernwissen zur europäischen Sprachkultur, Frankfurt: IKO 2006, ISBN 3-88939-796-4 (rezensiert von Norbert Reiter hier (PDF; 190 kB) und von Uwe Hinrichs hier; PDF; 217 kB)
  • Joachim Grzega: Europas Sprachen und Kulturen im Wandel der Zeit. Eine Entdeckungsreise., Tübingen: Narr. 2012.
  • Joachim Grzega: Eurolinguistik. Tübingen: Groos. 2013 (= Studienbibliografien Sprachwissenschaft 43).
  • Joachim Grzega: Studies in Europragmatics: Theoretical Foundations and Some Practical Implications, Wiesbaden: Harrassowitz 2013 (= Eurolinguistische Arbeiten 7).
  • Harald Haarmann: Soziologie und Politik der Sprachen Europas, München: dtv. 1975.
  • Harald Haarmann: Die Sprachenwelt Europas: Geschichte und Zukunft der Sprachnationen zwischen Atlantik und Ural, Frankfurt (Main): Campus. 1993.
  • Uwe Hinrichs (Hrsg.): Handbuch der Eurolinguistik. Wiesbaden: Harrassowitz. 2010.
  • Elżbieta Mańczak-Wohlfeld (Hrsg..): Studia Linguistica Universitatis Iagellonicae Cracoviensis. Vol.132 (3) Eurolinguistics. 2015.
  • Marek Stachowski: Eurolinguistics. What it is and what it should not be. In: Studia Linguistica Universitatis Iagellonicae Cracoviensis. Vol.131 (4). S. 383-394. 2014.
  • Ernst Lewy: Der Bau der europäischen Sprachen, Tübingen: Niemeyer. 1964.
  • Per Sture Ureland: Minority languages in Europe and beyond. Results and prospects. Berlin: Logos-Verlag. 2015.
  • Mario Wandruszka: Die europäische Sprachengemeinschaft : Deutsch – Französisch – Englisch – Italienisch – Spanisch im Vergleich, Tübingen: Francke. 1998.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Joachim Grzega: Europas Sprachen und Kulturen im Wandel der Zeit. Eine Entdeckungsreise. Tübingen: Stauffenburg. S. 15ff. 2012.
  2. Vgl. Edith Broszinsky-Schwabe: Interkulturelle Kommunikation. Missverständnisse und Verständigung. Wiesbaden: Springer Fachmedien. 2017.
  3. Informationsseite zu Atlas Linguarum Europae. Zuletzt bearbeitet am 19. Juni 2017 um 11:22 Uhr. Abgerufen am 09. September 2018.
  4. Freiburg Institute for Advanced Studies. Curriculum Vitae Prof. Dr. Ekkehard Königs. Abgerufen am 09. September 2018
  5. Uwe Hinrichs, Norbert Reiter, Siegfried Tornow: Eurolingustik. Entwicklungen und Perspektiven. Wiesbaden: Harrassowitz Verlag. S. 15ff. 2009.
  6. Institute for Antrhopological Research Zagreb: Languages in a Network of European Excellence (LINEE) Erstellt 27. Dezember 2016. Abgerufen am 09. September 2018.
  7. Homepage des LINEE+ Projektes (Memento vom 30. August 2018 im Internet Archive)
  8. Homepage des Dylan Projektes. Abgerufen am 09. September 2018.
  9. Homepage des EuroCom Projektes (Memento vom 6. März 2016 im Internet Archive)
  10. Homepage des EuroLSJ Projektes (Memento vom 24. Oktober 2016 im Internet Archive)
  11. Comeback fürs Europäische Haus Pappenheim. nordbayern.de. Veröffentlicht 21. Juli 2017. Abgerufen am 10. September 2018.
  12. Joachim Grzega: Vorwort zum Jahresband 2016 und zum EHP 2012-2016. In: Joachim Grzega (Hrsg.): Journal for EuroLinguistiX. Vol. 13. S. 1-4. 2016.
  13. Joachim Grzega (Hrsg.): Journal for EuroLingustiX. Vol. 12. 2015.
  14. Joachim Grzega: Conference on Eurolinguistics. European Philology and Societal Issues. In: Russian Journal of Linguistics. Vol. 22 (1). S. 210—214. 2018. URL: http://journals.rudn.ru/linguistics/issue/view/1043 Abgerufen am 09. September 2018
  15. Homepage des Eurolinguistischen Arbeitskreises Mannheim. Abgerufen am 09. September 2018.
  16. Homepage der Europäischen Gesellschaft für Phraseologie. Abgerufen am 09. September 2018.
  17. Homepage der Associazione Eurolinguistica Sud (Memento vom 20. Dezember 2014 im Internet Archive)

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