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Als Suffragetten (von englisch/französisch suffrageWahlrecht‘) bezeichnete man Anfang des 20. Jahrhunderts (im Wesentlichen von 1903 bis 1928) mehr oder weniger organisierte Frauenrechtlerinnen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten (hier war die selbstgewählte Bezeichnung eigentlich suffragist), die vor allem mit passivem Widerstand und mit Störungen offizieller Veranstaltungen bis hin zu Hungerstreiks für ein allgemeines Frauenwahlrecht eintraten. Die Suffragettenbewegung wurde überwiegend von Frauen aus dem Bürgertum getragen.

Der Begriff Suffragetten war ursprünglich von der englischen Presse geprägt worden, um die Wahlrechts-Aktivistinnen herabzuwürdigen, wurde von diesen jedoch erfolgreich für sich selbst vereinnahmt. Im Nachlauf der Bewegung wurde der Begriff erneut abwertend für engagierte Frauenrechtlerinnen verwendet, ähnlich wie heute der Begriff „Emanze“ in seiner pejorativen Bedeutung.

Großbritannien: Entstehung des Begriffs "Suffragette"

Im Vereinigten Königsreich setzte man sich seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für das Frauenwahlrecht ein. 1897 wurde die bis dahin zersplitterte und wirkungslose britische Stimmrechtsbewegung in dem Dachverband National Union of Women's Suffrage Societies (NUWSS) zusammengeführt. Zur Durchsetzung des Frauenwahlrechts setzte die NUWSS auf parlamentarische Lobbyarbeit, öffentliche Versammlungen, Petitionen, Presseartikel und eigene Zeitschriften.[1] Bis 1903 hatte die Lobbytaktik des liberalen Verbands aber keine Erfolge aufzuweisen. Die Gesetzesvorschläge zur Einführung eines Frauenwahlrechts wurden im Parlament abgelehnt oder kamen erst gar nicht zur Abstimmung.

1903 wurde unter Federführung von Emmeline Pankhurst und ihren Töchtern Chrystabel und Sylvie die Women’s Social and Political Union (WSPU) gegründet. „Taten, nicht Worte“ („Deeds not Words“), so der Slogan der neuen Organisation, sollten nun in Mittelpunkt stehen, womit sich die WSPU von der NUWSS abgrenzte. [ab wann galt dieser Slogan? anscheinend erst ab 1910 oder 1912]

Die WSPU organisierte Massendemonstrationen, die den Charakter von Events annahmen.[2] [klären: machten die Suffragistinnen vor 1903/05 auch Straßendemos?]

Suffragetten setzten auf Wirkung visueller Vermittlungsformen als Agitationsmittel, dabei Eroberung des öffentlichen Raums als Zweck und Ziel zugleich, vielseitiges Aktionsrepertoire:[2]

  • Prozession 1910, den die ehemaligen Gefangenen der Bewegung in einer eigenen Abteilung unter dem Banner "From Prison to Citizenship" anführten, wobei sie die Insignien des Londoner Gefängnisses Holloway - ein nach oben gerichteten Pfeil - trugen, womit sie ihre Opferbereitschaft für das Wahlrecht inszenierten, davon gibt es Foto (Datum?) --> Choreografie der öffentlichen Auftritte und sinnfällige Inszenierungen, auch von konstitutellen übernommen
  • Suffragetten ketteten sich symbolisch an politische relevante Orte wie Downing Street Nr. 10
  • störten Wahlveranstaltungen liberaler Politiker
  • Kampagne zur Steuerzahlungsverweigerung nach dem Creda "taxation without representtion is robbery"
  • Aufruf zum Boykott der Volkszählung ("no vote, no census")
  • Inszenierung der Opferbereitschaft ihrer Anhängerinnen
  • Hungerstreiks ab 1909, Zwangsernährung, Cats- and Mouse-Act --> wirkungsvolle Bilder; freigelassene Suffragetten wurden zu Ikonen der Bewegung; von der WSPU auf Demonstrationen und Versammlungen öffentlich gewürdigt und auf Postkarten und Plakaten
  • Sachbeschädigung, Steinewerfen
  • Suffrage Atelier
  • ab 1912 Zerstörung privaten Eigentums: Angriff männlicher Monopole wie Golfplätze, Rennbahnen und Clubs, von Ladenschaufenstern in den Innenstädten, zündeten landesweit Briefkästen an, zerschnitten Telegrafenkabel, alarmierten durch Falschmedungen die Reservearmee, zerschnitten Gemälde, setzten Kirchen und Theater in Brand --> Berichterstattung fokussierte einseitig auf Taten der Suffragetten, Aktivitäten der moderaten Frauenstimmrechtsorganisationen traten in den Hintergrund

Hochschaukeln Ignoranz liberaler Politiker und Militanz der Suffragetten --> Black Friday

wegen zunehmender Gewalt war NUWSS schließlich nicht mehr zur Zusammenarbeit bereit

"Öffentlichkeit um jeden Preis"[2]

1914 erklärte WSPU wegen des Ersten Weltkriegs den Waffenstillstand

Bilder als Motor des Protests, "sinnfällige Inszenierung", "Elemente symbolischer Politik" --> neue Informationskanäle, Konstruktion einer Gruppenidentität; wirkungsvoll wegen Entwicklung neuer Medien wie der Fotografie, neue Formen der Berichterstattung und des Pressewesens, "suggestive Bildersprache", "Etablierung neuer Symbolsysteme", "geschicktes Image-Buildung", Suffragetten eroberten so die Straße:[2]

  • Farben der Organisation war eine violett-grün-weiße Trikolore, welche Würde, Hoffnung und Reinheit symbolisieren sollte --> schnell als Mode kommerzialisiert, ein spezifischer "suffrage look" wurde geschaffen; die Farben der Suffragettenbewegung zierte ganz normale Alltagsartikel, von Halstüchern über Sonnenschirmen hin zu Teeservices oder Hauswäsche
  • ab 1907 Zeitschrift Votes for Women, später umbenannt in The Suffragette, ab 1915 The Britannia
  • ab 1908 Women's Press, die Fotografien, Postkarten und Plakate der Events produzerte und verkaufte
  • Christina Broom dokumentierte zahlreiche Wahlrechtsversammlungen und verkaufte die Bilder an die reguläre Presse und die Wahlrechtsorganisationen. Damit wurde die Wirkung der Straßenproteste potenziert. Die Fotos von der Gewalt bei Demonstrationen und gegen die Suffragetten schockierten die Öffentlichkeit, sie hatten eine ganz andere Wirkung als die bis dahin üblichen Pressezeichnungen. Es entsand eine Form von Erinnerungsfotografie. Fotos wurden als Andenken an bestimmte Begebenheiten und Aktionen erworben und versandt. stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl;
  • Posen auf den Fotografien professionalisierten sich; Suffragetten ließen sich mit Pionierinnen der Frauenstimmrechtsbewegung, z.B. Emily Davies abbilden, schufen so eine Form von Famlienfotografie
  • Suffragetten zeichneten mit Kreide Losungen und Forderungen auf Bürgersteige und Wände
  • Zu jedem Titelblatt der VfW bzw. Suffragette, zu jedem Flyer gab es Plakate, womit die Suffragetten die Straßen der Städte "förmlich zupflasterten"
  • Der Votes for Women-Omnibus fuhr werbewirksam durch das Land.
  • Suffragetten auf Fahrrädern warben für das Frauenstimmrecht.
  • zur Bildsprache: Heroisierung, Darstellung als Märtyrerinnen, Herausstellung der Radikalität
    • führende Suffragetten als personifizierte Symbole des durchlittenen Martyriums für die Sache, repräsentierten so die Opferbereitschaft ihrer gesamten Truppe
    • Identifikation mit Jeanne d'Arc, auf zahlreichen Titelblättern der Suffragette dargestellt, patriotische Heldin, die im Dienste ihrer Mission stribt , ab 1912 Slogan "Death or Victory"
    • konterten Vorwurf der Unweiblichkeit, indem sie "Männlich" und "Webilich" in ihren öffentlichen Inszenierungsformen kombinierten: aus dem Militär soldatisch anmutende Suffragettenuniformen, schnelle Operationsgruppe, Korpsgeist, dazu betont weibliche Kleidung, ihre beste Kleidung

Die Suffragetten revolutionierten den Methodenhorizont der Frauenbewegung.[2]

Ab 1906 verwandten WSPU-Mitglieder den Namen Suffragetten, um sich von den Suffragistinnen (engl. suffragists), den Mitgliedern der NUWSS abzugrenzen, die gesetzeskonforme Methoden in ihrer Kampagne für das Wahlrecht verwendeten.[3][4]

1906 verwendete der Journalist Charles E. Hands in einem Artikel in der Daily Mail erstmals den Begriff Suffragette statt "suffragist".[5] Mit der Endung "ette" sollten die WSPU-Aktivistinnen und ihre Anstrengungen lächerlich gemacht und gezeigt werden, dass sie nicht die angemessenen Frauenwahlrechtsaktivistinnen waren. Doch stolz eigneten sie sich den Begriff als Selbstbezeichnung an.[6][7][8] Wie Sylvia Pankhurst in ihren Erinnerungen schrieb, machten sie daraus "suffragettes", da sie das Wahlrecht nicht nur wollten, sondern auch beabsichtigten, es zu bekommen ("get").[9]

[10]: "suffragette was not only new but a deliberate (and deliberately negative) coinage, intended to divide the suffragists, whose campaigns remained peaceful, from those who, as Pankhurst urged, should henceforth adopt more ‘militant’ methods.", "On one hand, -ette was a diminutive and was often seen as trivialising in intent, as well as distinctly patronizing; a lecturette (first used in 1867) was “a short lecture,” a meteorette “a small shooting star.” Both were very different from their non-diminutive counterparts.", " This, as in leatherette, first used in 1880 and cashmerette, used in 1886, signalled the idea of imperfect imitation, as well as inauthenticity. As a result, just as leatherette was a fake version of leather, so too, by implication, were the suffragettes ‘fake’ — and profoundly improper — versions of the suffragists.", "–ette was also starting to emerge as a specifically female suffix, a use which can be seen in forms such as poetette. Defined as “A young or minor poet; (sometimes esp.) a young female poet” in the Oxford English Dictionary, this already indicates the transitions at work, as the diminutive shades into the specifically female — a semantic development which was undoubtedly aided by the prominence of suffragette itself.", "as a term of derision, it was nevertheless swiftly appropriated by the suffragettes themselves. Rather than a mark of stigmatization, it became a positive badge of identity — of shared aims and aspirations. A magazine was launched, named The Suffragette (copies of which were often left at sites of militant activity).", "The dismissive –ette could, she argued, be converted into –gette, conveying not powerlessness but the “jet of enthusiasm” which united action for the vote across the land. It was also “feminine enough,” she noted — “a fine flowing word.” The Pankhursts suggested another version by which –gette was to be pronounced ‘get’ — succinctly indicating the suffragettes’ determination to ‘get the vote’ on equal terms with men."

Frühe Spielfilme zu den Suffragetten

Die Suffragette, weniger die Suffragistin, entwickelte sich bald zu einer Stereotype, die in vielen Spielfilmen in den Jahren 1908 bis 1913 karikiert und veralbert wurden. Die Filme zeigten, wie militante Frauen die Polizei oder die Feuerwehr übernahmen von ihren Zeit oder sich Männer gegen sie erfolgreich zu Wehr setzten. Es gab jedoch auch Filme, die ihr Anliegen ernsthaft aufgriffen und unterstützten.[11] Auch in Deutschland und den USA wurde der Topos aufgegriffen. Der Regisseur Urban Gad drehte den Stummfilm Die Suffragette mit seiner Frau Asta Nielsen in der Hauptrolle. Der amerikanische Regisseur William Robert Daly drehte 1914 den Spielfilm The Militant Imp über die britische Stimmrechtsbewegung.[11]

Internationale Reaktionen

Wirkungsgeschichte

"besondere mediale Inszenierung", "gekonnte symbolische Politik", deswegen Teil des kollektiven europäischen und vor allem des kollektiven britischen Gedächtnisses[2]

Denkmal von Emmeline Pankhurst neben Parlement in London als Beleg für Bedeutung im kulturellen Gedächtnis[2]

Durch den Film Mary Poppins mit dem Lied Sister Suffragette wurden Suffragetten 1964 bis in die heutige Zeit auch bei Kindern bekannt. In der Buchvorlage von P. L. Travers war die Mutter von Mary Poppins keine Suffragette gewesen.[11]

Literatur

  • Linda Ford: Iron Jawed Angels. The suffrage militancy of the National Woman's Party. University Press of America, Lanham, Md. 1991, ISBN 0-8191-8205-2 (Werk zur US-Bewegung).
  • Beatrix Geisel: Klasse, Geschlecht und Recht. Vergleichende sozialhistorische Untersuchung (Schriften zur Gleichstellung der Frau; Bd. 16). Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1997, ISBN 3-7890-4933-6 (zugl. Dissertation, Universität Frankfurt/M. 1996).
  • Jana Günther: Suffragetten. Mediale Inszenierung und symbolische Politik. In: Paul Gerhard (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder. 1900 bis 1949. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, S. 108–115, ISBN 978-3-525-30011-4.[2]
  • Jana Günther: Die politische Inszenierung der Suffragetten in Großbritannien. Formen des Protests, der Gewalt und symbolische Politik einer Frauenbewegung. fwpf-Verlag, Freiburg/B. 2006, ISBN 978-3-939348-04-7 (zugl. Diplomarbeit, Universität Humboldt-Universität Berlin 2005).
  • Michaela Karl: „Wir fordern die Hälfte der Welt!“ Der Kampf der englischen Suffragetten um das Frauenstimmrecht. Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt/M. 2009, ISBN 978-3-596-18355-5.
  • Antonia Meiners (Hrsg.): Die Suffragetten. Sie wollten wählen – und wurden ausgelacht. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2016, ISBN 978-3-945543-13-9.
  • Melanie Phillips: The Ascent of Woman. A History of the Suffragette Movement and the ideas behind it. Abacus Books, London 2004, ISBN 0-349-11660-1 (EA London 2003).
  • Hannelore Schröder: Widerspenstige, Rebellinnen, Suffragetten. Feministischer Aufbruch in England und Deutschland (Philosophinnen; Bd. 12). Ein-Fach-Verlag, Aachen 2001, ISBN 3-928089-30-7.

Film

Weblinks

Commons: Suffragetten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Suffragette – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Michaela Karl: "Wir fordern die Halfte der Welt!" Der Kampf der englischen Suffragetten um das Frauenstimmrecht. Fischer, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-596-18355-5, S. 170–176.
  2. a b c d e f g h Jana Günther: Suffragetten. Mediale Inszenierung und symbolische Politik. In: Gerhard Paul (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band 1: 1900 bis 1949. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-30011-4, S. 108–115.
  3. Sandra Stanley Holton: Women’s Social and Political Union (act. 1903–1914). In: Oxford Dictionary of National Biography. Oxford University Press, Oxford 2017.
  4. Suffragists or suffragettes – who won women the vote? BBC-Website. 6. Februar 2018. Abgerufen im 20. März 2018.
  5. Charles E. Hands: Mr. Balfour and the 'Suffragettes.' Hecklers Disarmed by the Ex-Premier's Patience. In: Daily Mail. 10. Januar 1906, S. 5.
  6. Suffragists or suffragettes – who won women the vote? BBC-Website. 6. Februar 2018. Abgerufen im 20. März 2018.
  7. Elizabeth Crawford: The women's suffrage movement. A reference guide 1866-1928. UCL Press, London 1999, ISBN 1-84142-031-X, S. 452 (google.de).
  8. Sandra Stanley Holton: Suffrage days. Stories from the women's suffrage movement. Routledge, London 1996, ISBN 0-203-29746-6, S. 253 (google.de).
  9. Sylvia E. Pankhurst: The suffragette movement. An intimate account of persons and ideals. Virago, London 1977, ISBN 0-86068-025-8, S. 62–63 (Erstausgabe: 1931).
  10. Lynda Mugglestone: Woman – or Suffragette? In: OUPblog. 9. April 2013, abgerufen am 6. April 2019 (englisch).
  11. a b c Elizabeth Crawford: The women's suffrage movement. A reference guide 1866-1928. UCL Press, London 1999, ISBN 1-84142-031-X, S. 220–221 (google.de).