Benutzer:Karottenreibe/Desktop/Faust 1
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
< Benutzer:Karottenreibe | Desktop
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 11. Juni 2019 um 08:09 Uhr durch imported>Hadibe(559231) (Veraltete Vorlage ersetzt).
VORSPIEL AUF DEM THEATER
Direktor. Theaterdichter. Lustige Person.
DIREKTOR.
- Ihr beiden, die ihr mir so oft,
- In Not und Trübsal, beigestanden,
- Sagt, was ihr wohl in deutschen Landen
- Von unsrer Unternehmung hofft?
- Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
- Besonders weil sie lebt und leben läßt.
- Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,
- Und jedermann erwartet sich ein Fest.
- Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen,
- Gelassen da und möchten gern erstaunen.
- Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;
- Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
- Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
- Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
- Wie machen wir's, dass alles frisch und neu
- Und mit Bedeutung auch gefällig sei?
- Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
- Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,
- Und mit gewaltig wiederholten Wehen
- Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,
- Bei hellem Tage, schon vor vieren,
- Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
- Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,
- Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
- Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
- Der Dichter nur; mein Freund, o tu es heute!
DICHTER.
- O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
- Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
- Verhülle mir das wogende Gedränge,
- Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
- Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
- Wo nur dem Dichter reine Freude blüht,
- Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen
- Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.
- Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
- Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
- Mißraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,
- Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.
- Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
- Erscheint es in vollendeter Gestalt.
- Was glänzt, ist für den Augenblick geboren,
- Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.
LUSTIGE PERSON.
- Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
- Gesetzt, dass ich von Nachwelt reden wollte,
- Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
- Den will sie doch und soll ihn haben.
- Die Gegenwart von einem braven Knaben
- Ist, dächt ich, immer auch schon was.
- Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,
- Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
- Er wünscht sich einen großen Kreis,
- Um ihn gewisser zu erschüttern.
- Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,
- Lasst Phantasie, mit allen ihren Chören,
- Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
- Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören!
DIREKTOR.
- Besonders aber lasst genug geschehn!
- Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.
- Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
- So dass die Menge staunend gaffen kann,
- Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,
- Ihr seid ein vielgeliebter Mann.
- Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
- Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
- Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
- Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
- Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
- Solch ein Ragout, es muß Euch glücken;
- Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
- Was hilft's, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht,
- Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.
DICHTER.
- Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
- Wie wenig das dem echten Künstler zieme!
- Der saubern Herren Pfuscherei
- Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.
DIREKTOR.
- Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt:
- Ein Mann, der recht zu wirken denkt,
- Muss auf das beste Werkzeug halten.
- Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,
- Und seht nur hin, für wen Ihr schreibt!
- Wenn diesen Langeweile treibt,
- Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
- Und, was das Allerschlimmste bleibt,
- Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
- Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
- Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
- Die Damen geben sich und ihren Putz zum Besten
- Und spielen ohne Gage mit.
- Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe?
- Was macht ein volles Haus Euch froh?
- Beseht die Gönner in der Nähe!
- Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
- Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
- Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
- Was plagt ihr armen Toren viel,
- Zu solchem Zweck, die holden Musen?
- Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr,
- So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren.
- Sucht nur die Menschen zu verwirren,
- Sie zu befriedigen, ist schwer--
- Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?
DICHTER.
- Geh hin und such dir einen andern Knecht!
- Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,
- Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
- Um deinetwillen freventlich verscherzen!
- Wodurch bewegt er alle Herzen?
- Wodurch besiegt er jedes Element?
- Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,
- Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?
- Wenn die Natur des Fadens ew'ge Länge,
- Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
- Wenn aller Wesen unharmon'sche Menge
- Verdrießlich durcheinander klingt,
- Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe
- Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt?
- Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,
- Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?
- Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüten?
- Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?
- Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten
- Auf der Geliebten Pfade hin?
- Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter
- Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?
- Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
- Des Menschen Kraft, im Dichter offenbart.
LUSTIGE PERSON.
- So braucht sie denn, die schönen Kräfte
- Und treibt die dichtrischen Geschäfte
- Wie man ein Liebesabenteuer treibt.
- Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
- Und nach und nach wird man verflochten;
- Es wächst das Glück, dann wird es angefochten
- Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,
- Und eh man sich's versieht, ist's eben ein Roman.
- Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
- Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
- Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
- Und wo ihr's packt, da ist's interessant.
- In bunten Bildern wenig Klarheit,
- Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
- So wird der beste Trank gebraut,
- Der alle Welt erquickt und auferbaut.
- Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte
- Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,
- Dann sauget jedes zärtliche Gemüte
- Aus eurem Werk sich melanchol'sche Nahrung,
- Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt
- Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.
- Noch sind sie gleich bereit, zu weinen und zu lachen,
- Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
- Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;
- Ein Werdender wird immer dankbar sein.
DICHTER.
- So gib mir auch die Zeiten wieder,
- Da ich noch selbst im Werden war,
- Da sich ein Quell gedrängter Lieder
- Ununterbrochen neu gebar,
- Da Nebel mir die Welt verhüllten,
- Die Knospe Wunder noch versprach,
- Da ich die tausend Blumen brach,
- Die alle Täler reichlich füllten.
- Ich hatte nichts und doch genug:
- Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
- Gib ungebändigt jene Triebe,
- Das tiefe, schmerzenvolle Glück,
- Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
- Gib meine Jugend mir zurück!
LUSTIGE PERSON.
- Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,
- Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,
- Wenn mit Gewalt an deinen Hals
- Sich allerliebste Mädchen hängen,
- Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
- Vom schwer erreichten Ziele winket,
- Wenn nach dem heft'gen Wirbeltanz
- Die Nächte schmausend man vertrinket.
- Doch ins bekannte Saitenspiel
- Mit Mut und Anmut einzugreifen,
- Nach einem selbstgesteckten Ziel
- Mit holdem Irren hinzuschweifen,
- Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
- Und wir verehren euch darum nicht minder.
- Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
- Es findet uns nur noch als wahre Kinder.
DIREKTOR.
- Der Worte sind genug gewechselt,
- Laßt mich auch endlich Taten sehn!
- Indes ihr Komplimente drechselt,
- Kann etwas Nützliches geschehn.
- Was hilft es, viel von Stimmung reden?
- Dem Zaudernden erscheint sie nie.
- Gebt ihr euch einmal für Poeten,
- So kommandiert die Poesie.
- Euch ist bekannt, was wir bedürfen,
- Wir wollen stark Getränke schlürfen;
- Nun braut mir unverzüglich dran!
- Was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan,
- Und keinen Tag soll man verpassen,
- Das Mögliche soll der Entschluß
- Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,
- Er will es dann nicht fahren lassen
- Und wirket weiter, weil er muß.
- Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
- Probiert ein jeder, was er mag;
- Drum schonet mir an diesem Tag
- Prospekte nicht und nicht Maschinen.
- Gebraucht das groß, und kleine Himmelslicht,
- Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
- An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
- An Tier und Vögeln fehlt es nicht.
- So schreitet in dem engen Bretterhaus
- Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
- Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle
- Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.