Wetzstein von Strøm

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Der Wetzstein von Strøm ist ein archäologischer Fund aus dem Jahr 1908. Als Träger von Inschriften in Form altgermanischer Runen ist der Wetzstein von Strøm in erster Linie im Kontext der historischen Sprachwissenschaft von Bedeutung.

Der beidseitig beschriftete Werkgegenstand wird mittels linguistischer Argumente auf die Jahre um 600 n. Chr. geschätzt. Die verhältnismäßig gut erhaltene und lesbare Inschrift erlaubt – nicht frei von Kritik – eine folgende Interpretation aus dem Altnordischen (nach Krause / Jankuhn 1966)[1]:

„Es netze diesen Stein das Horn! Schädige das Grummet! Es liege die Mahd!“

Der Wetzstein ist benannt nach seinem Fundort Strøm, einem alten Bauerngut auf der norwegischen Insel Hitra. Das Relikt liegt heute im Museum von Trondheim.

Der Inschriftenträger

Der Wetzstein von Strøm reiht sich in die Gruppe norwegischer Kleinfunde mit artifiziellen Beschriftungen in Form altgermanischer Runenzeichen. Der augenscheinliche Werkgegenstand wurde aus feinkörnigem und glimmerhaltigem Sandstein gefertigt. Ein Verwendungszweck als Schleif- oder Wetzstein zum Schärfen von Sicheln liegt damit nahe. Der Gegenstand misst 14,5 cm Länge, weist eine maximale Breite von 1,9 cm auf und ist ca. 1,2 – 1,3 cm dick.

Auf beiden Seiten wurde eine rechtsläufige Runeninschrift angefertigt. Der Schärfe und Deutlichkeit geschuldet, muss es sich um Einschnitte mit einem Messer handeln. Obwohl sich qualitative Unterschiede der Inschriften auf den jeweiligen Seiten zu erkennen geben, geht man davon aus, dass die Zeichen vom selben Runenmeister vorgenommen wurden.

Transliteration der Inschrift

Transliterationen altgermanischer Runen sind selten über alle Zweifel erhaben. So können auch im Falle des Wetzsteins von Strøm verschiedene Interpretationen möglich sein. Dessen ungeachtet kann im Falle des vorliegenden Relikts eine mit hoher Wahrscheinlichkeit deutliche Transliteration vorgenommen werden, wie sie nach Krause / Jankuhn (1966) erfolgt:

a) ᚹ ᚨ ᛏ ᛖ ᚺ ᚨ ᛚ ᛁ ᚺ ᛁ ᚾ ᛟ ᚺ ᛟ ᚱ ᚾ ᚨ = watehalihinohorna

b) ᚺ ᚨ ᚺ ᚨ ᛋ ᚴ ᚨ ᚦ ᛁ ᚺ ᚨ ᚦ ᚢ ᛚ ᛁ ᚷ ᛁ = hahaskaþihaþuligi

Im Zusammenhang der Transliteration gibt es folgende Besonderheiten zu erwähnen:

  1. Die Lautfolgen <ha> wurden in allen Fällen in Form einer Binderune realisiert.
  2. Ein Streitpunkt bei der Erkennung bietet einzig das letzte Zeichen der Zeile a), bei dem man dazu verleitet wäre, eine Binderune von ᚾ und ᛚ zu erkennen. Eine sprachliche Deutung im Gesamtkontext erlaubt allerdings eine sichere Interpretation des Zeichens als Lautfolge <na>
  3. Der a-Laut wurde durchgehend nach dem Vorbild des älteren Futhark mit ᚨ realisiert.
  4. Der s-Laut in der Form ᛋ zeigt bereits eine spätere Entwicklungsstufe, ähnlich der Inschrift von Stentoften.
  5. Die k-Rune ist mit großer Wahrscheinlichkeit in seinem jüngeren Erscheinungsbild als ᚴ zu betrachten.

Anhand der genannten Punkte 3 – 5 lässt sich aufgrund der Schriftentwicklung des Futhark-Alphabets eine Sprachstufe unmittelbar vor der sogenannten Übergangszeit behaupten. Zur Datierung siehe weiter unten.

Erläuterung der Inschrift

Auf der Basis der weithin anerkannten Transliteration der Inschrift des Wetzsteins von Strøm, lassen sich schlüssige Überlegungen zur Erläuterung und Interpretation machen. Eine Segmentierung der Zeilen soll dabei helfen, die einzelnen Teile besser zu verstehen und die grammatischen Strukturen zu erhellen. Methodisch können die Transkription a) und b) folgerichtig erklärt werden:

a) wātē hal(l)i hino horna!

  1. wātē = ‚es benetze‘ / ‚es soll nass gemacht werden‘: Das Wort kann als eine Verbform der 3. Person Singular Optativ Präsens zu urnord. *wātian > aisl. væta ‚netzen; nass machen‘ erklärt werden. Etymologisch handelt es sich um eine denominale Bildung zu aisl. vátr ‚nass‘. Die realisierte Variante wātē entstand wohl nach einer Synkope des inlautenden i der zu erwartenden Form *wātiē.
  2. hal(l)i = ‚den / einen flachen Stein‘: Das angefügte <l> resultiert aus der Tatsache, dass in Runen keine Doppelkonsonanten geschrieben werden. So gesehen versteht sich halli als Akkusativ Singular eines maskulinen i-Stamms in der Bedeutung ‚flacher Stein‘ in Zusammenhang mit dem altnordischen Wort hallr. Dieses flektiert zwar als a-Stamm, doch ist eine mögliche Entwicklung als i-Stamm nicht unwahrscheinlich.
  3. hino = ‚diesen‘: Die Form hino erklärt sich verhältnismäßig problemlos als Akkusativ Singular zum germanischen Pronominalstamm *hi-, der in verwandten Sprachen und Dialekten gut belegt ist (vgl. got. hina Akk. Sg.)[2].
  4. horna = ‚das / ein Horn‘: Bei horna handelt es sich um ein gut belegtes Wort, das in offenkundiger Verwandtschaft zum neuhochdeutschen Horn steht. Die altnordische Form lautet im Nominativ Singular horn aus germanisch *hurna- n. Ein bekannter Beleg desselben Wortes findet sich bei den Goldhörnern von Gallehus.

b) hāha skaþi! hāþu lig(gi)i!

  1. hāha = ‚das Grummet / das nach dem Heuschlag frisch gewachsene Gras‘: Als vieldeutige Form bringt hāha die größten Schwierigkeiten mit sich. Der Wahrscheinlichkeit geschuldet wirkt die Erkennung als Akkusativ Singular feminin zum altnord. ‚Grummet‘ am vertretbarsten. Es wird zurückgeführt auf ein urgerm. *hēh(w)a-, das in einer möglichen, aber nicht abschließend geklärten etymologischen Verbindung zu neuhochdeutsch Heu und hauen steht.
  2. skaþi = ‚es schädige‘ / ‚es soll geschädigt werden‘: Die Verbform skaþi kann als verwandte Bildung zum nhd. schaden auf das Etymon germ. *skaþ-ja- ‚schaden‘ (vgl. got. skaþjan) zurückgeführt werden. Im konkreten Fall wird skaþi vorzugsweise als 3. Person Optativ gelesen, in Anlehnung an die Optative in wātē und lig(g)i.
  3. hāþu = ‚die / eine Mahd‘: Dass hāþu semantisch als ‚Mahd‘ interpretiert werden kann, erfolgt aus der Erklärung, dass bereits eine Synkope bei der zu erwartenden älteren Form *hawiþu N.Sg.f. ‚Mahd‘ eingetreten ist. Diese steht ebenfalls in etymologischem Bezug zu germ. *hawwa- ‚hauen‘. Synkopen sind in der Entwicklung zum Altnordischen verhältnismäßig häufig zu beobachten (vgl. wātē oben). Die Erklärung ist einem möglichen Bezug zum oft bezeugten Etymon germ. *haþu- ‚Kampf‘ vorzuziehen.
  4. lig(g)i = ‚es liege‘ / ‚es soll liegen‘: Die abschließende Verbform lig(g)i beim Wetzstein von Strøm steht in direktem Bezug zum nhd. liegen und ist auf eine Grundform germ. *leg-ja- zurückzuführen. Die altnordische Form lautet liggja. Die Realisierung als lig(g)i versteht sich als 3. Person Optativ Präsens.

Das Ergebnis einer syntaktischen Aufarbeitung der grammatischen Funktionen der einzelnen, segmentierten Worte erlaubt die plausible Übersetzung: „Es netze diesen Stein das Horn! Schädige das Grummet! Es liege die Mahd!“

Alternativ denkbar wäre auch: „Das Horn soll den Stein bewässern. Das Grummet soll geschädigt werden. Die Mahd möge liegen.“

Kulturhistorische Bedeutung

Eine tiefergreifende Erklärung dieses Verses kann sich im Gegensatz zur grammatischen Bestimmung schneller in der Interpretation verlieren. Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei der vorgenommenen Wortfolge um einen streng rhythmischen Arbeitsgesang gehandelt hat. Dafür spricht, dass die Verse jeweils vier betonte sowie vier unbetonte Silben in sich tragen.

Zeile a) kann im Zusammenhang mit der Tradition stehen, dass der Wetzstein vor dem Gebrauch in Wasser getränkt, resp. in einem wassergefüllten Horn transportiert wurde. Das Horn leistet damit einen essenziellen Beitrag für ein erfolgreiches Schneiden bzw. Schädigen des Grummets, da die Sichel mit dieser Methode besser geschärft werden konnte.

Datierung

Eine genaue Datierung der Herstellung des Wetzsteins von Strøm ist schwierig. Eine Tendenz lässt ausschließlich das vorhandene Sprachmaterial zu. Wie bei der Transliteration festgehalten, ist die parallele Verwendung der alten a-Rune und der neueren k-Rune ein augenfälliges Merkmal. Zu beobachten ist dieses Phänomen auch bei den Steinen von Järsberg und Noleby, sowie auf dem Angelstein von Førde und auf der Spange von Fonnås. Die s-Rune steht der auf Stentoften verwendeten Form verhältnismäßig nahe. Auf grammatischer Ebene sprechen die Endungsvokale für eine urnordische Sprachstufe, während allerdings bereits Synkopen wie in hāþu aus < *hawiþu ‚Mahd‘ erkennbar sind. Die Vermutung liegt damit auf eine etwas spätere Epoche, aber vor der Übergangszeit, also um die Jahre 600 n. Chr.

Literatur

  • John Ole Askedal, Harald Bjorvand, James E. Knirk, Otto Erlend Nordgreen (Hgg.): Zentrale Probleme bei der Erforschung der älteren Runen. Frankfurt am Main 2010.
  • Thomas Birkmann: Von Agedal bis Malt. Die skandinavischen Runeninschriften vom Ende des 5. bis Ende des 9. Jahrhunderts [Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde], Berlin 1995.
  • Wilhelm Braune: Gotische Grammatik. Mit Lesestücken und Wörterverzeichnis. 20. Auflage neu bearbeitet von Frank Heidermanns, Tübingen 2004.
  • Jan De Vries: Altnordisches Etymologisches Wörterbuch. Leiden 1962.
  • Klaus Düwel: Runenkunde. 4. Auflage, Stuttgart 2008.
  • Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 25., durchgesehene und erw. Aufl. / bearb. von Elmar Seebold, Berlin 2011.
  • Wolfgang Krause, Herbert Jankuhn: Die Runeninschriften im älteren Futhark. Göttingen 1966.
  • Wolfgang Krause: Runen. Berlin / New York 1993.
  • Guus Kroonen: Etymological Dictionary of Proto-Germanic. Leiden 2013.
  • Robert Nedoma: Kleine Grammatik des Altisländischen. Heidelberg 2010.
  • Elmar Seebold: Vergleichendes und Etymologisches Wörterbuch der Germanischen Starken Verben. The Hague 1970.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Krause, Herbert Jankuhn: Die Runeninschriften im älteren Futhark. Hrsg.: Wolfgang Krause, Herbert Jankuhn. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1966, S. 110.
  2. Wilhelm Braune, Frank Heidermanns: Gotische Grammatik. 20. Auflage. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2004, ISBN 3-484-10852-5, S. 135.