Tübinger Stocherkahn

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Stocherkähne östlich der Neckarbrücke im September 2018

Tübinger Stocherkähne sind Flachboote, die auf dem Neckar in Tübingen durch Stocherstangen oder Staken, hier Stochern genannt, fortbewegt werden. Vom Bautyp her handelt es sich um eine Zille. Von venezianischen Gondeln, mit denen sie oft verglichen werden, unterscheiden sie sich grundlegend durch den symmetrischen Aufbau der Kähne und die Art der Fortbewegung.

Konstruktion und Betriebsweise

Stocherstange verloren: „Die Stange bleibt am Mann“
Datei:Rottenburg1994.jpg
Stocherkahnexpedition Tübingen-Rottenburg 1994

Der Tübinger Stocherkahn ist sechs bis zwölf Meter lang, etwa 400–600 kg schwer und wird aus Hartholz, bevorzugt Lärche, hergestellt. Der Stocherer steht an einem Ende des Bootes und stößt es mit einer bis zu sieben Meter langen, 5–10 kg schweren Stange vom Grund des flachen Neckars ab. Auf einem Kahn können dabei bis zu 26 Mitfahrer Platz finden (üblich sind 12–16 Mitfahrer). Zum Sitzen werden Sitzbretter mitgenommen, die sowohl flach in den Stocherkahn eingesetzt, als auch als Rückenlehne verwendet werden.

Es ist ungeschriebenes Gesetz, dass der Stocherer die Stange aus dem Wasser holt, falls er sie verliert – hierzu gilt der Leitspruch „Die Stange bleibt am Mann“.

Die Kähne werden über eine Stocherkahnrampe im Herbst aus dem Wasser geholt und im Frühjahr zu Wasser gelassen.

Geschichte

Ursprünglich fuhren Neckarfischer mit dem Tübinger Stocherkahn. Das Stocherkahnfahren ist jedoch seit langem ein fester Bestandteil der studentischen Kultur Tübingens. In Tübingen gibt es 130 Stocherkähne, die auf dem Neckar zugelassen sind. Die meisten gehören Studentenverbindungen oder studentischen Gruppen und Fachschaften. Nicht studentische Vereine und Körperschaften verfügen mittlerweile auch über Stocherkähne. Stocherkahnfahren gehört auch zu den touristischen Angeboten der Stadt. Stocherkahnfahren wird von zertifizierten Stocherern mittlerweile gewerbsmäßig angeboten, so dass auch Bürger und Besucher der Stadt Tübingen in den Genuss kommen können.

An Fronleichnam findet in jedem Jahr das überregional bekannte Stocherkahnrennen um die Neckarinsel statt.

Stocherkahnrampe

Tübinger Stocherkähne außerhalb Tübingens

Gelegentlich sieht man Tübinger Stocherkähne auch außerhalb Tübingens.

1982 wurde der Stocherkahn Achalm der Studentenverbindung Tübinger Wingolf, benannt dem Berg Achalm, von Mitgliedern in 45 Tagen über Neckar, Rhein, Dortmund-Ems-Kanal, Mittellandkanal und Weser zum Deutschen Schifffahrtsmuseum nach Bremerhaven gebracht.[1]

Am 1. August 1994 reiste eine private Expedition aus Wissenschaftlern verschiedener, teils außereuropäischer Nationalitäten mit dem Stocherkahn Eurasia von Tübingen nach Rottenburg.[2]

2008 wurde ein Stocherkahn anlässlich der bevorstehenden Landesgartenschau 2012 in Nagold testweise nach Nagold überführt, um die ‚Stocherkahnbarkeit‘ der Nagold zu testen. Dieser Test verlief positiv.[3] Mittlerweile werden in Nagold zwei Stocherkähne betrieben.

2011 wurden für die Gartenschau „Neckarblühen“ in Horb am Neckar für die Fahrt auf dem Neckar drei Stocherkähne angeschafft.[4]

Das englische Äquivalent zum Stocherkahn ist die deutlich breitere, aber sonst sehr ähnlich gebaute Punt. Besonders in den Universitätsstädten Oxford und Cambridge erfreut sich das „Punting“ großer Beliebtheit.

Literatur

  • Stefan Hug, Jörg Mielke: „Die Stange bleibt am Mann“. Der Stocherkahn und das Stocherkahnrennen in Tübingen. Universitas-Verlag, Tübingen 2000, ISBN 3-924898-30-8.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Tübinger Stocherkahn – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Detlev Ellmers: Deutsches Schiffahrtsmuseum. Jahresbericht 1982 (Memento vom 28. Dezember 2015 im Internet Archive) (PDF; 736 kB). In: Deutsches Schiffahrtsarchiv, Jg. 6 (1983), S. 272–279 (hier: S. 275).
  2. Stefan Hug, Jörg Mielke: „Die Stange bleibt am Mann“. Der Stocherkahn und das Stocherkahnrennen in Tübingen. Universitas-Verlag, Tübingen 2000, ISBN 3-924898-30-8, S. ?.
  3. Tagblatt Anzeiger vom 13. August 2008.
  4. Schwarzwälder Bote vom 20. Juni 2011.