Arthur Schnitzlers Nachlass

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Arthur Schnitzler, ca. 1912, Fotografie von Ferdinand Schmutzer

Arthur Schnitzler ordnete bereits zu Lebzeiten seine Papiere (auf mehr als 40.000 Seiten geschätzt) und traf in seinem Testament Vorkehrungen, wie mit seinem Nachlass umzugehen sei. So legte er eine Sperrfrist für die Veröffentlichung seiner Tagebücher fest und bestimmte, dass seine Briefe niemals gekürzt veröffentlicht werden durften. Durch den „Anschluss“ Österreichs wurde der Großteil außer Landes gerettet und so vor der Zerstörung bewahrt. Heute hat dies zur Folge, dass es mehrere Aufbewahrungsorte gibt, die gemeinsam den Großteil der Papiere besitzen.

Geschichte des Nachlasses

Rettung des Nachlasses nach Cambridge

Nach seinem Tod 1931 wurde der größte Teil seines literarischen Nachlasses in einem separat von außen zugänglichen Gartenzimmer seines Hauses belassen und dort von seiner Familie für wissenschaftliche Zwecke zugänglich gemacht. Zu Beratern seines Sohnes Heinrich in Nachlassangelegenheiten hatte Schnitzler testamentarisch seine beiden engsten Freunde bestimmt, den Schriftsteller Richard Beer-Hofmann und den Juristen und Schachmeister Arthur Kaufmann. Kurz nach dem „Anschluss“ im März 1938 wurde das Gartenzimmer des Schnitzlerschen Hauses auf Initiative des Cambridger Studenten Eric A. Blackall, der sich wegen seiner Dissertation über Adalbert Stifter in Wien aufhielt und mit Erlaubnis von Schnitzlers Nachkommen (sie waren laut Konstanze Fliedl „in einer Art Schreckstarre“) den Nachlass besichtigte, von der Britischen Botschaft in Wien versiegelt. Olga Schnitzler dürfte den Nachlass der Cambridge University Library „geschenkt“ haben, um es so zum englischen Eigentum werden zu lassen.[1] Problematisch erwies sich daran, dass Olga, da vom Autor geschieden, gar nicht verfügungsberechtigt war und der Autor testamentarisch seinen Sohn Heinrich zum einzigen Besitzer ernannt hatte. Dieser weilte aber nicht in Wien. Die Gestapo respektierte die britischen Siegel bei ihren Hausdurchsuchungen. Wenig später konnte der Großteil des Nachlasses, wiederum auf Blackalls Initiative und mit Zustimmung der Familie, nach England gebracht werden und fand in der Universitätsbibliothek Cambridge einen neuen Verwahrungsort. Zur von Heinrich Schnitzler angestrebten Weiterleitung an die Columbia University kam es nicht.[2] Ein Teil blieb aber im Besitz der Familie, besonders ein Manuskript des Reigen und Korrespondenzen. Diese wurden, nach Heinrich Schnitzlers Rückkehr aus den Vereinigten Staaten nach Österreich mit Wiener Nachlass betitelt.

Mikroverfilmung

1950 war die Verfilmung des Nachlasses in Cambridge abgeschlossen,[3] In der Zeit vor der Edition des Nachlassverzeichnisses[4] wurde auch 1965[5] der Großteil der privaten Bestände im Familienbesitz in Wien auf Anordnung von Heinrich Schnitzler auf nunmehr insg. ca. 44[6] Mikrofilmrollen reproduziert, die an zwei Forschungseinrichtungen in den USA (University of California, Los Angeles (UCLA) und International Arthur Schnitzler Research Association (IASRA), Binghamton (New York)) sowie an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg übergeben wurden, wo heute ein Arthur-Schnitzler-Archiv besteht. Eine vierte Kopie, die im Privatbesitz des Sohnes verblieb, wurde nach dessen Tod 1982 gemeinsam mit dem privaten Nachlass Arthur Schnitzlers (darunter die Briefe und Tagebücher) an das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar übergeben.

Die Mikroverfilmung wurde in zwei Anläufen unternommen. Erste Verfilmungen entstanden 1947[7], dabei wurden die Filme A, B und C, vermutlich auch D erstellt. Dann folgten um 1950 die Mikrofilme #1 bis #38 sowie #23A (D, hier zum ersten Mal genannt, gehört in den Anschluss von #34).[8] In einem Brief vom 12. Januar 1965 nennt Heinrich Schnitzler noch drei zu erstellende Filme, bis „wirklich der gesamte Nachlass zur Verfügung stände“.[9] 1966 wurden für das Schnitzler-Archiv 38 Rollen kopiert[10], woraus sich 41 als vollständige Anzahl der Filme ergäbe. Ein Verzeichnis der Bestände findet sich auf der Website der UCLA.[11] Anhand der Mappe 212 mit Dramenplänen lässt sich die komplexe Situation illustrieren, in der sich der Nachlass heute befindet: Eigentlich gehört die Mappe nach Cambridge,[12] dürfte aber zu den Wiener verfilmten Teilen gehören. Durch den Mikrofilm kam die Mappe in Kopie nach Freiburg und wurde umkategorisiert, hat hier die Signatur B. I.[4] Die Mappe selbst ist aber nicht mehr an ihrem Verwahrungsort in England, sondern kam durch die Übergabe des Nachlasses von Heinrich Schnitzler an das DLA in Marbach. Hier wurden die alten Signaturen nur teilweise berücksichtigt, und sie findet sich nunmehr umbetitelt auf Dramatische Pläne mit der Zugangsnummer HS.NZ85.0001.00004. Die an sich schon problematische Situation verschlechtert sich auch dadurch, dass Teile des CUL-Nachlasses bei der Verfilmung vergessen wurden[12]. Eine vollständige Überprüfung von Beständen lässt sich somit eigentlich nur durch Besuche in den drei Hauptorten Cambridge, Marbach und Freiburg vornehmen.

Verzeichnisse

Neben dem inzwischen digital zugänglichen Nachlassverzeichnis, das sich an den Freiburger Beständen orientiert, lassen sich die im Besitz des Deutschen Literaturarchivs und der Cambridge University erhaltenen Papiere über den Katalog Kallias des DLA suchen. Eine Konkordanz des Nachlasses selbst sowie der Mikrofilme ist über die Homepage des Editionsprojekts Arthur Schnitzler digital zugänglich.

Verwahrungsorte

Cambridge University Library

In Cambridge wird bis heute der Großteil der Werkmanuskripte sowie die von Schnitzler selbst als bedeutend eingestuften Korrespondenzen aufbewahrt.

Deutsches Literaturarchiv Marbach

Der sogenannte Wiener Nachlass, also Materialien die durchwegs im Familienbesitz geblieben waren, ging nach dem Tod von Heinrich Schnitzler 1982 nach Marbach am Neckar in das Deutsche Literaturarchiv. Er enthält neben wenigen Werkmanuskripten vor allem die umfängliche Korrespondenz.[13] Teile davon sind im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen, insbesondere das Manuskript zu Leutnant Gustl.[14] Dort wird allerdings nur ein Faksimile gezeigt. Die Originalhandschrift befindet sich im Cambridger Bestand.

Exeter University Library

Die Zeitungsausschnittsammlung Schnitzlers mit Rezensionen und Meldungen zu ihm, wurde der Exeter University Library überantwortet.[15] Eine Digitalisierung der Bestände wurde vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage 2019 online gestellt.

Arthur-Schnitzler-Archiv, Freiburg

Ausgehend von den Mikrofilmen gründete Gerhart Baumann in den 1960er Jahren das Arthur-Schnitzler-Archiv in Freiburg. Es ist ein durch Sammlung erweitertes Kopienarchiv.

Weitere Bestände

Über weitere Bestände mit Schnitzler-Manuskripten verfügen das Leo Baeck Institut, die Israelische Nationalbibliothek, die Fondation Bodmer in Genf, die Österreichische Nationalbibliothek und die Wienbibliothek im Rathaus.

Restitutionsfrage

Am 11. Jänner 2015 veröffentlichte Thomas Trenkler in der Wiener Tageszeitung Kurier eine Auswertung der im Herbst 2014 erschienenen Familiengeschichte Die Schnitzlers von Jutta Jacobi und der nahezu gleichzeitig veröffentlichten Darstellung der frühen Nachlasswirren durch David Österle und Wilhelm Hemecker.[16] In seiner Schlussfolgerung, die er auf eine mündliche Äußerung des Anwalts Alfred Noll stützt,[17] sieht er Familie Schnitzler von der Cambridge University Library in einer Notlage erpresst. Der Nachlass wäre demzufolge an die Erben Heinrich Schnitzlers zurückzustellen.

Literatur

  • Kristina Fink: Arthur Schnitzlers Nachlass, http://www.arthur-schnitzler.de online
  • Vivien Friedrich: Schnitzlers Nachlass. In: Schnitzler-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hg. v. Michael Scheffel, Wolfgang Lukas, Christoph Jürgensen. Stuttgart: Metzler 2014, S. 413–415.
  • Bellettini, Lorenzo und Christian Staufenbiel: The Schnitzler ,Nachlass’. Saved by a Cambridge Student. In: Schnitzler’s Hidden Manuscripts. Hg. Lorenzo Bellettini und Peter Hutchinson. Britische und Irische Studien zur deutschen Sprache und Literatur = British and Irish Studies in German Language and Literature = Etudes Britanniques et Irlandaises Sur La Langue et La Littérature Allemandes, 51. Oxford, New York: Peter Lang 2011, S. 11–21.
  • Lorenzo Bellettini: Deckname ›Tiarks‹. In: Die Presse, Spectrum, 18. Juli 2008, S. iv (online, kostenpflichtig)
  • Donald G. Daviau: Hermann Bahr, Arthur Schnitzler and Raoul Aurnheimer: Nachlass- und Editionsprobleme. In: Marie-Louise Roth, Renate Schöder-Werle, Hans Zeller (Hrsg.): Nachlaß- und Editionsprobleme bei modernen Schriftstellern. Beiträge zu den Internationalen Robert-Musil-Symposien Brüssel 1976 und Saarbrücken 1977. Bern 1981, S. 107–116.
  • Hemecker, Wilhelm und David Österle: „»… so grundfalsch war alles Weitere«  Zur Geschichte des Nachlasses von Arthur Schnitzler“, Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 58 (2014), S. 3–40.
  • Ulrich Ott: Jahresbericht der Deutschen Schillergesellschaft 1985. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft. 30 (1986), S. 689–717.
  • Michaela Perlmann: Arthur Schnitzler. (Sammlung Metzler Bd. 239). Stuttgart 1987, S. 1–2. (Kapitel 1: Der Nachlaß.)
  • Jutta Müller, Gerhard Neumann: Der Nachlass Arthur Schnitzlers. Verzeichnis des im Schnitzler-Archiv der Universität Freiburg i.Br. befindlichen Materials. Mit einem Vorwort von Gerhart Baumann und einem Anhang von Heinrich Schnitzler: Verzeichnis des in Wien vorhandenen Nachlassmaterials. Fink, München 1969. (Einleitende Bemerkungen zur "Gestalt und Geschichte des Nachlasses")
  • Otto P. Schinnerer: Arthur Schnitzler's "Nachlaß". In: The Germanic Review.; 1933, S. 114–123.
  • Heinrich Schnitzler: Der Nachlass meines Vaters. In: Aufbau. (New York), 9. November 1951, S. 9–10.
  • Heinrich Schnitzler: Ich bin kein Dichter, ich bin Naturforscher. Der Nachlaß meines Vaters. In: Die neue Zeitung. München, Nr. 247 (20/21. Oktober 1951), S. 9–10. (Ausführlichere Version des "Aufbau"-Artikels.)
  • Robert O. Weiss: The Arthur Schnitzler Archive at the University of Kentucky. A series of microflims made from Arthur Schnitzler's Nachlaß. In: IASRA. Vol. 2, Nr. 4 (1963–1964), S. 11–26.; MAL. 4 (1971), Nr. 1, S. 63–76.
  • Werner Welzig: Im Archiv und über Briefen. Mitteilungen aus dem Nachlaß Arthur Schnitzlers. In: Hans-Henrik Krummacher, Fritz Martini, Walter Müller-Seidel (Hrsg.): Zeit der Moderne. Zur deutschen Literatur von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart. Stuttgart 1984, S. 441–444.

Weblinks

  • Digitalisat von: Jutta Müller, Gerhard Neumann: Der Nachlass Arthur Schnitzlers. Verzeichnis des im Schnitzler-Archiv der Universität Freiburg i.Br. befindlichen Materials. Mit einem Vorwort von Gerhart Baumann und einem Anhang von Heinrich Schnitzler: Verzeichnis des in Wien vorhandenen Nachlassmaterials. Fink, München 1969. (Einleitende Bemerkungen zur "Gestalt und Geschichte des Nachlasses"). Digitale Ausgabe mit freundlicher Genehmigung der Verfasser, Freiburg i. Br. 2010
  • Nachlassverzeichnis des Editionsprojekts "Arthur Schnitzler digital"
  • Arthur Schnitzler Archiv der Zeitungsausschnitte

Belege

  1. Wilhelm Hemecker und David Österle: „»… so grundfalsch war alles Weitere« Zur Geschichte des Nachlasses von Arthur Schnitzler“, Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 58 (2014), S. 24.
  2. Vgl. die Literaturliste zum Eintrag Arthur-Schnitzler-Archiv in Freiburg, sowie Thomas Trenkler: Im Labyrinth des Dr. Schnitzler. (über Konstanze Fliedls Arbeit), In: Tageszeitung Der Standard. Wien, 26. November 2011, Beilage Album, S. A1 f., und auf der Website der Zeitung seit 25. November 2011.
  3. Hemecker/Österle, wie oben, S. 40.
  4. a b Jutta Müller, Gerhard Neumann: Der Nachlass Arthur Schnitzlers. Verzeichnis des im Schnitzler-Archiv der Universität Freiburg i. Br. befindlichen Materials. Mit einem Vorwort von Gerhart Baumann und einem Anhang von Heinrich Schnitzler: Verzeichnis des in Wien vorhandenen Nachlassmaterials. Fink, München 1969. (Einleitende Bemerkungen zur "Gestalt und Geschichte des Nachlasses"; (Digitalisat))
  5. Jutta Müller, Gerhard Neumann: Der Nachlass Arthur Schnitzlers. Verzeichnis des im Schnitzler-Archiv der Universität Freiburg i. Br. befindlichen Materials. Fink, München 1969, S. 15 (Digitalisat).
  6. Die genaue Anzahl ist unklar. Beispielsweise erwähnt das Nachlassverzeichnis 37 Rollen (Jutta Müller, Gerhard Neumann: Der Nachlass Arthur Schnitzlers. Verzeichnis des im Schnitzler-Archiv der Universität Freiburg i. Br. befindlichen Materials. Fink, München 1969, S. 15), führt aber einen Mikrofilm 40 an, bei Weiss (Robert O. Weiss: The Arthur Schnitzler Archive at the University of Kentucky. A series of microfilms made from Arthur Schnitzler's Nachlaß. In: MAL. 4 (1971), Nr. 1, S. 63–76, S. 63) wird von 38 gesprochen aber mit A und B, die sich gemeinsam auf einer Rolle befinden, werden 45 aufgeführt.
  7. Unveröffentlichter Brief von Heinrich Schnitzler an Gisela Hajek, 8. Februar 1947
  8. Robert O. Weiss: The Arthur Schnitzler Archive at the University of Kentucky. A series of microfilms made from Arthur Schnitzler's Nachlaß. In: MAL, 4, Nr. 1, S. 63–76, 1971, S. 63.
  9. Heinrich Schnitzler an Gerhart Baumann, 12. Januar 1965. Arthur Schnitzler-Archiv, Freiburg.
  10. Auskunft des Schnitzler-Archivs, 18. Juni 2014, nach Durchsicht des Briefwechsels Gerhart Baumann – Heinrich Schnitzler.
  11. http://www.oac.cdlib.org/findaid/ark:/13030/tf7w1008gn/entire_text/
  12. a b Vgl. die Auflistung im Janus-Katalog Schnitzler Papers. Abgerufen am 28. August 2020.
  13. Bestandsangabe des DLA über Arthur Schnitzler.@1@2Vorlage:Toter Link/www.dla-marbach.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  14. Bericht beim Deutschlandfunk über die neue Ausstellung.
  15. The Schnitzler Press-Cuttings Archive, auf people.exeter.ac.uk
  16. Schnitzlers Nachlass: Gerettet – und enteignet. In: kurier.at. 11. Januar 2015, abgerufen am 28. Dezember 2017.
  17. Schnitzler-Nachlass: Enteignung durch Universität Cambridge "eine schöne Schweinerei". In: kurier.at. 12. Januar 2015, abgerufen am 29. Dezember 2017.