Diskussion:Heribert Illig/Archiv/2008

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mal ganz blöd gefragt

wenn Illig recht hätte... dann würde das bedeuten das hunderte von Vitas in tausenden Ausgaben, Pergamenten, Urkunden, deren Abschriften und was weiß ich europaweit gefälscht werden mußten. Das geht vom kleinen Mönchlein im Waldklösterchen los bis hin zu den Klosterbibliotheken mit 100.000 Büchern (wie z.b. Kremsmünster oder was weiß ich). Dann hätten zu dieser Geschichtsfälschung damals viele tausend Schreiber, Mönche, Sekretäre und was weiß ich was noch alles mithelfen müssen. In jedem kleinen Kaff hätte der Bürgermeister seine Urkunden umschreiben müssen und in den großen Reichsstädten genauso

und das soll niemandem aufgefallen sein (außer Herrn Illig natürlich)? Bißchen viel Arbeit nur um uns späteren Geeschichtsinteressierten eine lange Nase zu drehen denke ich mal -- Hartmann Schedel Prost 19:11, 6. Jun. 2008 (CEST)

Das ist gar nicht so einfach zu erklären, wie es zunächst scheint.
  • dann würde das bedeuten das hunderte von Vitas in tausenden Ausgaben, Pergamenten, Urkunden, deren Abschriften und was weiß ich europaweit gefälscht werden mußten provokative Gegenantwort: Die könnten ja auch später entstanden sein. Nur weil dort ein Datum draufsteht, heißt das ja nicht zwangsläufig, daß es stimmen muß.
  • zu Deiner Frage über die Mönche, Sekretäre und Bürgermeistern: Geschichtswissenschaft kann nur die tatsächlich vorhandenen Quellen nutzen. Fakt ist, daß es in dieser Zeitspanne weniger Überlieferungen gab als in späteren Zeitabschnitten. Die Frage ist nun (und die läßt sich so nicht beantworten), ob es damals zwangsläufig genauso viele Dokumente gegeben haben müßte wie z. B. im Hochmittelalter. Von den Germanen gibt es beispielsweise kaum schriftliche Zeugnisse (vor der Volkerwanderungen berichteten eigentlich nur andere, z. B. die Römer, über sie). Entweder ist das alles verloren gegangen, oder sie haben überhaupt keine Schriftlichkeit benötigt. In dem fraglichen Zeitraum gab es viele Klostergründungen, es ist daher fraglich, daß jeder dieser Klosterbibliotheken tausende von Codices beherbergte, zumal diese recht teuer in der Herstellung waren. Auch hier kann nicht einfach vom Hochmittelalter oder späteren Zeiten ausgegangen werden. Aus dieser Zeit sind eben weniger Codices überliefert als z. B. aus dem Hochmittelalter. Wie viele Dokumente eine durchschnittliche Klosterbibliothek in dieser Zeit besaß, darüber läßt sich so kaum etwas sagen. Mönche, bzw. andere Geistliche waren zu dieser Zeit so ziemlich die einzigen, die professionell größere Schriftmengen "produziert" haben. Kommen wir nun zu den Reichsstädten: auf dem Gebiete des heutigen Deutschlands gab es damals noch gar nicht so viele Städte, die Hauptzahl von ihnen sind erst nach 800 urkundlich erwähnt (und damit erst nach 800 gegründet). Inwiefern es in den älteren, vor allem einstigen römischen Städten Schriftlichkeit zu dieser Zeit gab, darüber läßt sich auch wenig sagen, denn nicht alles mußte zwangsläufig schriftlich erledigt werden (siehe z. B. Thing). Gerade erst in dieser Zeit sind viele germanischen Stämme seßhaft und christianisiert worden (siehe Sachsen, Thüringer, usw.), die Struktur, die Du also annimmst, entwickelte sich damals erst. Dementsprechend wurden Besitzverhältnisse usw. eben nicht unbedingt überall immer mittels Urkunden geklärt. Die Verwaltungsstruktur war also damals noch eine andere als im Hochmittelalter (Wanderkönigtum; Eroberungen; noch nicht abgeschlossene Christianisierung, die eigentlich erst Schriftlichkeit mit sich brachte).
Dennoch bedeutet "relativ" wenig nun nicht, daß es sich um ein bis zwei Dokumente handelte. Im Vergleich zum Hochmittelalter ist die Überlieferung relativ mager. Abgesehen von den immensen Kosten, die solch eine Fälschungsaktion gekostet hätte (Pergament, Schreibstoffe) und wie viele Schreiber dazu nötig gewesen wären - vom Zeitaufwand mal ganz abgesehen -, macht allein schon die Streubreite der Überlieferungen die Theorie recht unwahrscheinlich.
Es scheint kaum vorstellbar, daß beispielsweise die althochdeutschen, altsächsischen (nebst altenglischen) und altniederfränkischen Quellen gefälscht worden sind. In diesen Zeitraum fallen u. a. der Abrogans und das Hildebrandslied, es lassen sich gerade an ahd. Texten sprachliche Veränderungen nachweisen, die nicht so einfach zu "erfinden" wären, angefangen über die im 5. Jh. einsetzende Lautverschiebung bis hin zu den Entwicklungen in den folgenden Jahrhunderten (th → d, das erst das Ahd, dann das As. und Anfrk erfaßt, aber das Altenglische nicht mehr errreichte, Kasusschwund [Instrumental], Veränderungen in der Konjugation [Dual] sowie dialektspezische Veränderungen: g → k). All das läßt sich gerade vom 8. Jh. bis ins 11. Jh. nachvollziehen und kann nicht in zwei, drei Jahren vonstatten gegangen sein, noch hätten Schreiber all diese Entwicklungen akkurat nachzeichnen können. Zudem gab es Kontaminationen (Mischungen von Schreibsprachen), die auch wiederum nur von Sprachkundigen hätten durchgeführt werden können. Eine Vordatierung wäre auch kaum möglich, da es zuvor andere germanische Zeugnisse gab (z. B. die Wulfila-Bibel), deren Sprache ( z. B. Gotisch) wiederum noch Elemente aufwies, die im Ahd. entweder gänzlich verschwunden oder nur noch in Resten vorhanden waren. Das Nordseegermanische wies vor allem im Deklinitions- und Kasussystem noch weitere Vereinfachungen auf im Vergleich zum Ahd. Solch eine Entwicklung kann sich wiederum kaum innerhalb einiger Jahre vollzogen haben. Sicher hätte man ein paar Urkunden fälschen können, aber so etwas ist wirklich schwierig.--IP-Los 18:48, 23. Jun. 2008 (CEST)
als allererstes mal herzlichen Dank für die ausführliche Antwort. Ich hatte mich natürlich etwas "drastisch plakativ" ausgedrückt - klar das da nicht 100.000 Urkunden zu fälschen wären (ganz so eng hatte ich es nicht gemeint aber bedenke folgendes: ein potentieller Fälscher hätte sich einfach nie sicher sein können, wo noch irgendwelche Urkunden und Zeugnisse rumliegen, die er vielleicht übersehen hätte - europaweit) aber worauf ich insgesamt hinauswollte ist eben das, was du mir irgendwie bestätigst: nämlich das da ne ganze Menge Arbeit - und das flächendeckend - dahinter hätte stecken müssen - und das erscheint mir dann einfach doch unwahrscheinlich.
Ich halte insofern Illigs Thesen für hanebüchenen Blödsinn. Das bedeutet nicht, daß er nicht bei einigen Unklarheiten insofern recht hat, daß Datierungen in dieser Periode extrem schwierig und mühsam sind (um noch einmal plakativ zu werden: wenn in einem Dokument steht: Herr Blablabla wurde unser lieber Herr Graf im Jahr 3 nach dem großen Brand der Müllersmühle, dann schaun wir schon alt aus obwohl damals jeder in der Gegend was mit dieser Zeitangabe hätte anfangen können). Insofern sind sicherlich einige Datierungen zweifelhaft aber damit läßt sich kaum eine Periode einfach auswischen :-))
Im Übrigen wette ich meinen Computer darauf, daß es etliches an Dokumenten damals gab, die uns einfach nicht überkommen sind (nicht gerade prunkvolle Bücher oder so, aber einfache Urkunden, Verkauf, Lehens-Bestätigungen, Kirchen-Taufbücher, Handelsverträge und was weiß ich - Dinge die nicht wichtig genug waren um so sicher aufbewahrt zu werden, bei Kirchen- und Hausbränden zerstörte Dokumente und was weiß ich). Wir heben heute schließlich auch nicht jede Quittung auf auch wenn wir den Kaufvertrag für der Oma-ihr-kleins-Häuschen in den feuerfesten Tresor stecken sozusagen. Dir aber wirklich noch einmal herzlichen Dank für die Mühe, die Du Dir mit der Antwort gegeben hast. -- Hartmann Schedel Prost 21:21, 23. Jun. 2008 (CEST)
Gebrauchsliteratur gab es auch zu damaligen Zeiten, das Hildebrandslied kommt auch ohne Verzierungen aus. Es ist anzunehmen, daß vieles im Laufe der Zeit verloren gegangen ist (wie "produktiv" diese Zeit war, läßt sich aber nicht sagen, m. E. dürfte es aber nicht so viele Schriftstücke gegeben haben wie im Hochmittelalter). Der Aufwand (mal abgesehen von den Kosten) dürfte wohl den Nutzen überstiegen haben (die Begründung Illigs läßt jedenfalls nicht vermuten, daß so viele Menschen bereit gewesen wären, das mitzumachen). Illig erwähnt den Papst (der damals übrigens längst nicht soviel Einfluß hatte, da er ja im fernen Rom residierte), Otto III. und Konstantin, die diese Fälschungen inszeniert hätten. Nur wären sie nicht die einzigen gewesen. Da die damaligen europäischen Herrscher größtenteils Analphabeten waren, hätten viele Institutionen und Schreiber (Mönche) eingeweiht sein müssen. Und dann sollen die ganz nebenbei auch noch volkssprachliche Texte dazugeschrieben haben (viele dieser Überlieferungen sind nämlich Anhängsel lateinischer Texte)? Otfrid von Weißenburg hat sogar ein Evangelienbuch in dieser Zeit verfaßt und Ludwig dem Deutschen gewidmet: "Lúdowig ther snéllo, thes wísduames fóllo, / er óstarrichi ríhtit ál, so Fránkono kúning scal; / Ubar Fránkono lant so gengit éllu sin giwalt, / thaz ríhtit, so ih thir zéllu, thiu sin giwált ellu." (grob und "unschön" übersetzt in etwa: Ludwig, voll von Tapferkeit [und] Weisheit, er beherrscht das Ostreich ganz so [wie] ein König der Franken es soll; Über das Land der Franken erstreckt sich all seine Macht, all seine Macht beherrscht es, so [wie] ich [es] dir erzähle.) Auch das wäre demnach gefälscht. Jede kleine Glosse (Randnotiz) in den damaligen Dokumenten müßte "mitgefälscht" worden sein. Und dann gab es ja auch noch Gebiete außerhalb Europas, die bereits schriftlich fixierten, auch sie hätten demnach an dieser Verschwörung teihaben müssen. Besonders hellhörig sollte diese Aussage machen, die aus einem Artikel von Illig/Niemitz stammt: "Als wir nun in den verschiedensten Fachgebieten die Literatur zur Spätantike und Frühmittelalter studierten, fanden wir Forschungsprobleme en masse, aber kein Problembewußtsein." (PDF, S. 2) Illig stützt sich also vorwiegend auf Forschungsliteratur, nicht auf Quellen, was aber gerade notwendig wäre. Gerade Forschungsliteratur ist aber äußerst kontrovers. Als persönliches Fazit kann ich nur ziehen: der Grund für die Fälschungen (Raub des Kreuzesholzes, was einen Skandal heraufbeschworen hätte [Konstantin] und um die Jahrtausendwende erleben zu können [Otto III. und Silvester]) hätte all diesen Aufwand kaum gerechtfertigt, denn dann hätte man ja auch nach den Kreuzzügen, die für alle Beteiligten [für die Kaiser und den Papst) wiederum nicht glimpflich abgelaufen waren, wieder am Rad der Zeit drehen müssen. Pergament war damals nur sehr schwer herzustellen und dementsprechend teuer, das betrifft auch die Farben (siehe Purpurschnecke), schreiben konnte auch nicht jeder, dennoch mußten ungeheuer viele Menschen darin eingeweiht sein - und das alles nur, um das neue Jahrtausend miterleben zu können? Das erscheint kaum plausibel. Allein die ganze zeitliche Abfolge (es gab ja dennoch eine gewisse Chronologie) einzuhalten, über all die ganzen Völker hinweg (Franken, Sachsen, Baiern, Langobarden, usw.), auch in all den volkssprachlichen Dokumenten (siehe auch die Straßburger Eide, das scheint dann schon eine tiefergehende europaweite, wenn nicht gar "weltweite" Verschwörung gewesen zu sein (wenn man es mal aus dem damaligen Blickwinkel betrachtet). Es scheint aber unwahrscheinlich, daß sich wirklich jeder dafür hätte einspannen lassen. --IP-Los 23:06, 23. Jun. 2008 (CEST)
so wie ich die Sache sehe, scheinen wir einer Meinung zu sein :-) übrigens lieber IP-Los, es ist nicht ganz so vordringlich mir die Quellenarmut nahezubringen. Da ich selber seit über 17 Jahren an einer "Cosmographia" schreibe (*scherz) ist mir dieses Problem sehr wohl bewußt, auch wenn ich in Schedelscher Manier einfach von anderen abschreibe und selber keine Forschung betreiben kann (tatsächlich nenne ich meine Chronik auch im Untertitel "in Schedelscher Manier" und daher rührt auch mein Usernick hier in Wikipedia) -- jedenfalls bin ich begeistert von Deiner freundlichen und hilfsbereiten Art - sie gehört in der Wiki einer aussterbenden Art an ;-( - lieben Dank Dir -- Hartmann Schedel Prost 23:28, 23. Jun. 2008 (CEST)