Fritz Taeger

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. Mai 2021 um 21:04 Uhr durch imported>Armin P.(211087) (Änderung 211793348 von Lubitsch2 rückgängig gemacht; steht das in der Fußnote vor der du das unmittelbar eingefügt hast?).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Johann August Heinrich Friedrich Taeger (* 1. Januar 1894 in Altendorf b. Osten; † 15. August 1960 in Marburg) war ein deutscher Althistoriker.

Leben und Wirken

Der Sohn einer konservativen Landlehrerfamilie besuchte das Gymnasium in Cuxhaven und legte dort 1913 das Abitur ab. Im Sommersemester 1913 begann er für zwei Semester das Studium der Fächer Klassische Philologie und Geschichte an der Universität Tübingen bei Ernst Kornemann. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges meldete sich Taeger freiwillig zum Militärdienst. Er war als Soldat in Polen, Nordfrankreich und Belgien tätig. Er wurde zum Kompanieführer befördert. Im Krieg erhielt Taeger zahlreiche Auszeichnungen, wurde jedoch auch mehrmals verwundet. 1915 wurde er Leutnant der Reserve. Aus dem Krieg kehrte er durch eine Gasvergiftung als Lungenkranker 1919 nach Tübingen zurück. Das Studium setzte er in Tübingen, Hamburg und Göttingen fort. Besonders geprägt wurde er von Wilhelm Weber. Freundschaften schloss er mit dem katholischen Joseph Vogt und dem jüdischen Altertumswissenschaftler Victor Ehrenberg. Die Weimarer Republik lehnte er ab, da sie „statt einer gesunden politischen Führung der Nation den Kampf aller gegen alle“ bedeute.[1] Seine finanzielle Lage blieb nahezu die gesamten zwanziger Jahre angespannt. Bereits 1920 wurde er mit der Arbeit Untersuchung über das Weiterwirken des 6. Buches des Polybios in der Griechisch-Römischen Literatur promoviert. 1925 habilitierte er sich bei Ernst Fabricius in Freiburg mit einer Arbeit über Thukydides, die vor allem vom Altphilologen Eduard Schwartz auf heftige Kritik stieß.[2] Nahezu gleichzeitig erschien eine umstrittene Alkibiades-Biografie, die ebenfalls massive Kritik hervorrief.[3] Es folgten Lehrstuhlvertretungen in Freiburg (1926) und Tübingen (1929/1930). 1930 erfolgte der Ruf auf den Lehrstuhl für Alte Geschichte an die Universität Gießen. 1934/35 war er Dekan der Philosophischen Fakultät in Gießen. 1935 wurde er als Nachfolger Anton von Premersteins Professor für Alte Geschichte an der Universität Marburg. Dort war er 1938/41 Dekan. Sein vielleicht bedeutendster Schüler war der spätere Althistoriker Alexander Demandt.

In den 1930er Jahren begann Taeger eine Serie von Spezialstudien zum Thema Charisma von den charismatischen Ideen bei Herodot über deren Entwicklung bei Alexander dem Großen und in den hellenistischen Monarchien bis zum römischen Kaiserkult und den spätantiken Auseinandersetzungen von Christentum und Gnosis mit diesem Phänomen. Sein zweibändiges Werk Das Altertum. Geschichte und Gestalt ist die einzige Gesamtdarstellung mit wissenschaftlichen Anspruch im nationalsozialistischen Deutschland.[4] Sie erlebte bis zum Jahr 1958 sechs Auflagen.[5] Er gehörte dem NS-Dozentenbund, dem NS-Lehrerbund, dem Nationalsozialistischen Altherrenbund, dem Reichskolonialbund sowie der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt an.[6] Zum 1. Mai 1937 war er in die NSDAP eingetreten.[7]

Während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit legte er vor allem aus existentiellen Gründen kleinere Vermittlungsschriften vor. Sein Entnazifizierungsverfahren blieb zwiespältig. Ihm wurde von der amerikanischen Militärregierung am 26. November 1945 zwar die Lehrtätigkeit verboten, jedoch wurde er mit der Unterstützung eines amerikanischen Universitätsoffiziers sowie nach einem Verfahren der Marburger Spruchkammer als „Nichtbelasteter“ eingestuft.[8] Doch der hessische Minister für Kultus und Unterricht erlaubte ihm erst am 3. Juni 1948 die Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit. Am 8. Juni erfolgte die Wiederernennung auf seinen alten Lehrstuhl.

Im Jahr 1957 erschien mit der zweibändigen Darstellung Charisma. Studien zur Geschichte des antiken Herrscherkultes sein wichtigstes wissenschaftliches Werk. In dieser Untersuchung hatten für Taeger zwei Erscheinungsformen Priorität, von denen die eine im Herrscher den menschgewordenen Gott, die andere lediglich den Träger des Charismas, göttlicher Gnade und Kraft, erblickte.[9]

Diskussion über Taegers Rolle im Nationalsozialismus

In den Nachrufen auf Fritz Taeger wurden problematische Aspekte seines Wirkens im Nationalsozialismus nach Einschätzung von Matthias Willing mit Stillschweigen übergangen.[10] Die gedruckte Rede Taegers Das Römische Reich und das Britische Weltreich von 1940 wurde in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt. Die Beurteilung über Taegers Verhältnis zum Nationalsozialismus schwankt in der Forschung zwischen aktiven NS-Repräsentanten und unbescholtenen Althistoriker.[11] Gegenüber dem Nationalsozialismus bewahrte Taeger nach Aussage seines Marburger Nachfolgers Karl Christ „eine weitgehende Unabhängigkeit“.[12] Beat Näf (1986) widersprach der These, dass Taeger nicht zu den Gelehrten im unmittelbaren Bannkreis des Nationalsozialismus gezählt werden könne. Es seien in Taegers Arbeit zahlreiche NS-Ideologeme vorhanden.[13] Nach Ursula Wolf (1996) hat Taeger den Nationalsozialismus nicht abgelehnt. Es konnten in den Quellen keine Hinweise auf eine Distanzierung vom Dritten Reich gefunden werden.[14] Nach Matthias Willing (2012) sind in Taegers Werken „eine Mixtur aus philologischer Quellenarbeit, traditionellen Geschichtskonzeptionen und Übernahme nationalsozialistischer Topoi“ nachweisbar.[15]

Schriften (Auswahl)

  • Das Altertum: Geschichte und Gestalt der Mittelmeerwelt. 2 Bände. 6. Auflage, Kohlhammer, Stuttgart 1958.
  • Charisma: Studien zur Geschichte des antiken Herrscherkultes. 2 Bände. Kohlhammer, Stuttgart 1957 und 1960.
  • Die Kultur der Antike. Schaffstein, Köln 1949.
  • Untersuchungen zur römischen Geschichte und Quellenkunde: Tiberius Gracchus. Kohlhammer, Stuttgart 1928.
  • Thukydides. Kohlhammer, Stuttgart 1925.
  • Alkibiades. Perthes, Stuttgart u. a. 1925.

Literatur

  • Joseph Vogt: Fritz Taeger † In: Gnomon. Bd. 32 (1960), S. 677–679.
  • Friedrich Vittinghoff: Fritz Taeger. In: Historische Zeitschrift. Bd. 162 (1961), S. 790–791.
  • Karl Christ: Fritz Taeger (1894–1960), Althistoriker. In: Ingeborg Schnack (Hrsg.): Marburger Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (= Lebensbilder aus Hessen. Bd. 1 = Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen. Bd. 35,1). Elwert, Marburg 1977, ISBN 3-7708-0568-2, S. 544–552.
  • Inge Auerbach: Catalogus professorum academiae Marburgensis. Bd. 2: Von 1911 bis 1971 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen. Bd. 15,2). Ellwert, Marburg 1979, S. 618–619
  • Ursula Wolf: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie (= Frankfurter Historische Abhandlungen. Bd. 37). Steiner, Stuttgart 1996, ISBN 3-515-06875-9, S. 204–236.
  • Karl Christ: Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft. Beck, München 1999, ISBN 3-406-45312-0, S. 255–268.
  • Karl Christ: Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis zur Gegenwart. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54181-X, S. 77–82.
  • Jörg-Peter Jatho, Gerd Simon: Gießener Historiker im Dritten Reich. Focus Verlag, Gießen 2008, ISBN 978-3-88349-522-4, S. 40–46.
  • Matthias Willing: Häutungen eines Althistorikers. Das Bild Fritz Taegers (1894–1960) in der Wissenschaftsgeschichte. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Jg. 67, 2019, S. 1011–1030.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Matthias Willing: Häutungen eines Althistorikers. Das Bild Fritz Taegers (1894–1960) in der Wissenschaftsgeschichte. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Jg. 67, 2019, S. 1011–1030, hier: S. 1030.
  2. Vgl. die Besprechung von Eduard Schwartz in: Gnomon 2, 1926, 65–82.
  3. Vgl. die Besprechung von Ernst Hohl in: Historische Zeitschrift 135, 1927, S. 315 f.
  4. Karl Christ: Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft. München 1999, S. 255–268, hier: S. 257.
  5. Fritz Taeger: Das Altertum. Geschichte und Gestalt der Mittelmeerwelt. 6. Auflage Stuttgart 1958.
  6. Matthias Willing: Häutungen eines Althistorikers. Das Bild Fritz Taegers (1894–1960) in der Wissenschaftsgeschichte. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Jg. 67, 2019, S. 1011–1030, hier: S. 1030.
  7. Jörg-Peter Jatho, Gerd Simon: Gießener Historiker im Dritten Reich. Gießen 2008, S. 40.
  8. Spruchkammer Marburg, Mst. 1157/46.
  9. Karl Christ: Klios Wandlungen: die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis zur Gegenwart. München 2006, S. 80.
  10. Matthias Willing: Häutungen eines Althistorikers. Das Bild Fritz Taegers (1894–1960) in der Wissenschaftsgeschichte. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Jg. 67, 2019, S. 1011–1030, hier: S. 1016.
  11. Matthias Willing: Häutungen eines Althistorikers. Das Bild Fritz Taegers (1894–1960) in der Wissenschaftsgeschichte. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Jg. 67, 2019, S. 1011–1030, hier: S. 1011.
  12. Karl Christ: Römische Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Darmstadt 1983, S. 205.
  13. Beat Näf: Von Perikles zu Hitler? Die athenische Demokratie und die deutsche Althistorie bis 1945. Bern u. a. 1986, S. 210–221.
  14. Ursula Wolf: Litteris et patriae. Das Janusgesicht der Historie. Stuttgart 1996, S. 228.
  15. Matthias Willing: Häutungen eines Althistorikers. Das Bild Fritz Taegers (1894–1960) in der Wissenschaftsgeschichte. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Jg. 67, 2019, S. 1011–1030, hier: S. 1020.