Ich, Feuerbach

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Ich, Feuerbach ist ein Schauspiel von Tankred Dorst, das am 18. Oktober 1986 unter der Regie von Volker Hesse im Residenztheater München uraufgeführt wurde.[1]

Der alternde Schauspieler Feuerbach (der weder mit dem Maler noch mit dem Philosophen etwas zu tun hat) darf in einem großen Hause vorsprechen und scheitert.

Inhalt

Tankred Dorst stellt einen depressiven Feuerbach auf die leere Bühne. Der unscheinbare, verwitwete Schauspieler hat eine Passage aus dem Tasso gewählt:[2]

Ja gehe nur und gehe sicher weg,
Daß du mich überredest, was du willst.
Ich lerne mich verstellen, denn du bist
Ein großer Meister, und ich fasse leicht.
So zwingt das Leben uns, zu scheinen, ja …

Doch der Regisseur Lettau lässt den Mimen warten. Feuerbach hatte Lettau in jungen Jahren am Theater Hannover kennengelernt. Der Schauspieler soll offenbar nun mit einem jüngeren Regieassistenten vorliebnehmen. Damit ist er nicht einverstanden. Feuerbach, der sich als eine Berühmtheit ausgibt, will warten und lässt seine Enttäuschung an dem vermeintlichen Anfänger aus; prophezeit dem Jüngeren, er werde nie Regisseur werden.

Der Assistent, der seit fünf Jahren am Theater ist, lässt sich durch den Frontalangriff nicht aus der Ruhe bringen und startet eine Gegenattacke: Er habe noch nie von einem Feuerbach gehört. Kann er auch nicht, entfährt es Feuerbach, er sei ja sieben Jahre nicht aufgetreten. Der Assistent möchte wissen, was Feuerbach in den sieben Jahren eigentlich gemacht habe. Der Schauspieler weicht aus, prahlt mit seinen großen Rollen „Rauhnacht“, „Pippa tanzt“[A 1], „Vasantasena oder Das irdene Wägelchen“[A 2], „Gilles und Jeanne“[A 3], „Der arme Vetter“, „Der Strom“ von Halbe, „Der Eismann kommt“[A 4], „Verstand schafft Leiden“[A 5] und „Perikles“ von Shakespeare. Gerade einmal von Barlachs Drama hat der Assistent gehört. Feuerbach beherrscht das Rollenspiel vortrefflich. Er schlüpft flugs in die Rolle des Entsetzten: „Machen Sie lieber in Import-Export!“[3] ruft er aus. Der Assistent ist jedoch nie um eine schlagfertige trockene Erwiderung verlegen.

Weil der Regisseur fernbleibt, erfährt der Assistent in der Wartezeit auch noch, wie Feuerbach Schauspieler geworden ist und wie er dafür mit seinem Leben bezahlt hat. Vielleicht hatte das Bezahlen mit dem Sturz von der Theatertreppe ins Nichts begonnen. Das war nach der Szene mit Desdemona passiert. Feuerbach hatte eine Regieanweisung übererfüllt. Drei Stufen nur hatte er steigen sollen. Später dann in Ulm aber habe ihm Professor Bäumler seine hohe Begabung als Schauspieler bescheinigt. Der Assistent kann Feuerbachs Rede nicht ganz folgen. Zufällig kennt er sich im Theater Ulm ein wenig aus. Dort gibt es keinen Professor Bäumler. Sosehr Feuerbach redet, redet und seine Rede erläuternd bekräftigt – der Assistent weiß es besser. Da entschlüpft Feuerbach das Wort von den „anderen Patienten“. Der pfiffige Assistent ahnt, wer Professor Bäumler sein könnte. Die Vermutung wird Gewissheit, als Feuerbach die Anstalt zur Sprache bringt, in der er sieben Jahre zugebracht habe. Noch heute könne er sich nur mit einem Medikament psychisch stabil halten. Schließlich gibt Feuerbach noch preis, weshalb er die Rolle bei Lettau unbedingt haben muss. Zwei weißbekittelte Herren hätten ihn vor sieben Jahren von der Bühne geholt. Der Grund: Wiederum hatte Feuerbach eine Anweisung des Regisseurs übererfüllt. Mit einem Brot sollte Feuerbach auf seinen Mitspieler werfen. Er konnte aber nicht aufhören mit Werfen. Als alle Brote geworfen worden waren, wären fast sämtliche Requisiten in Reichweite Wurfgeschosse geworden.

Der Assistent beruhigt Feuerbach mit einem Trick. Regisseur Lettau habe den alten Bekannten aus Hannover vor ihm gelobt. Für seinen Oswald, für seinen Don Juan, für seinen Gloster? fragt Feuerbach. Der Assistent bestätigt es, stellt aber eine unpassende Frage: „Bekommen Sie denn keine Sozialhilfe?“[4] Als Feuerbach dem Assistenten für das Engagement Bargeld anbietet, ist es soweit. Auch der Assistent verliert die Fassung und muss sich die Ohren zuhalten. In seiner Not verfällt der Assistent schließlich auf die Ankündigung des Herrn Lettau. Feuerbach darf den selbstgewählten Tasso-Monolog vortragen. Feuerbach erwünscht – erfleht – eine Reaktion des unsichtbaren Lettau, der angeblich in einer der finsteren hinteren Reihen des dunklen leeren Hauses sitzen soll. Langes Schweigen ist die Antwort auf diesen „Angstmonolog eines Irrsinnigen“. Der Assistent informiert, Herr Lettau sei gegangen. Feuerbach geht und kehrt auch nicht noch einmal um, als ihn der Assistent auf seine Schuhe aufmerksam macht. Feuerbach hatte in Strümpfen monologisiert.

Inszenierungen

  • 1987, Thalia Theater Hamburg. Regie: Tankred Dorst. Mit Wolf-Dietrich Sprenger als Feuerbach. Ein Bühnenfoto findet sich bei Bekes auf S. 73 (Fotograf: Ralf Brinkhoff).
  • 18. Dezember 1989, Ro Theater,[5] Rotterdam. Regie: Tankred Dorst. Mit Lou Landré[6] als Feuerbach, Peter Sonneveld als Regieassistent und Sylvia Poorta als der Frau.[7] Auf den Seiten 210–215 der verwendeten Ausgabe finden sich zwölf Bühnenfotos der Rotterdamer Inszenierung (Fotograf: Leo van Velzen).[8]
  • Mai 2004, Kammerspiele Bochum. Regie: Tankred Dorst. Mit Wolf-Dietrich Sprenger als Feuerbach.[9]
  • Oktober 2011, Theater Das Spielbrett, Köln. Regie: Gisela Olroth-Hackenbroch. Mit Willi Feldgen als Feuerbach, Thomas Traeder als Regieassistent und Raffaela Bel als der Frau.[10]
  • 2012, Theater im Marstall, München. Regie: Veit Güssow, Musik: Hans-Günter Brodmann. Mit Robert Joseph Bartl als Feuerbach, Shenja Lacher als Regieassistent und Gabriele Scheuchenpflug als der Frau.[11]

Rezeption

  • Helmut Schödel zur Münchner Uraufführung: Gestern in Flensburg in der „Zeit“ vom 24. Oktober 1986.
  • Nach Georg Hensel[12] sei Dorst mit seinem Stück nicht in den Realismus verfallen, sondern die verhandelten Schauspielerprobleme stünden für Lebensprobleme.
  • „Ein Mensch, der nicht gelobt wird, leidet“, spricht Jan Strümpel[13] Allzumenschliches aus und trifft mit dem Verweis auf den „unstillbaren Geltungstrieb“ Feuerbachs den Kern des Stücks. Zudem bringt Strümpel bedenkenswerte Interpretationsansätze. Da ist zum Beispiel diese Analogie zwischen Religion und Theater. Gemeint ist alles, was in dem Stück auf die sogenannte Gottgleichheit des Regisseurs Lettau hinweist. Feuerbach warte auf Lettau wie ein Tiefgläubiger auf das in der Schrift verheißene Wunder harre.[14] Ein Gläubiger wie Feuerbach könne nicht aus der Gnade Lettaus fallen, meine der scheiternde Mime.
  • Bekes[15] nennt den Regieassistenten arrogant.

Literatur

Ausgaben

  • Tankred Dorst: Ich, Feuerbach. Mitarbeit Ursula Ehler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1986. 76 Seiten. Erstausgabe
  • Ich, Feuerbach. S. 167–215 in Tankred Dorst. Wie im Leben wie im Traum und andere Stücke. Mitarbeit Ursula Ehler. Werkausgabe 5 (Inhalt: Eisenhans.[16] Der verbotene Garten. Ich, Feuerbach. Grindkopf. Korbes. Karlos. Wie im Leben wie im Traum). Nachwort: Georg Hensel. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1990 (1. Aufl.), ISBN 3-518-40217-X (Verwendete Ausgabe).

Sekundärliteratur

  • Peter Bekes: Tankred Dorst. Bilder und Dokumente. edition spangenberg, München 1991, ISBN 3-89409-059-6
  • Jan Strümpel: Jenes höhere Wesen, das wir verehren. Über Gott, Schauspieler, Regisseure und Welt-Theater in Tankred Dorsts »Ich, Feuerbach« und anderen Stücken. S. 62–69 in Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): text + kritik Heft 145: Tankred Dorst. Richard Boorberg Verlag, München im Januar 2000, ISBN 3-88377-626-2
  • Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A–Z. Stuttgart 2004, ISBN 3-520-83704-8, S. 126, linke Spalte

Weblinks

Anmerkungen

  1. Gerhart Hauptmann: Und Pippa tanzt! Ein Glashüttenmärchen. Drama, Uraufführung am 19. Januar 1906 in Berlin.
  2. Vasantasena oder Das irdene Wägelchen: Ein altindisches, dem König Çūdraka zugeschriebenes Schauspiel, frei wiedergegeben von Michael Haberlandt.
  3. Gilles und Jeanne: Bühnenspiel in drei Teilen von Georg Kaiser.
  4. Der Eismann kommt: Schauspiel in vier Akten von Eugene O’Neill.
  5. Verstand schafft Leiden: Komödie in vier Aufzügen von Alexander Sergejewitsch Gribojedow.

Einzelnachweise

Teilweise in niederländischer und spanischer Sprache

  1. Verwendete Ausgabe, S. 445, dritter Eintrag
  2. Johann Wolfgang von Goethe: Torquato Tasso. Leipzig 1790, S. 177. (Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3Dhttp%3A%2F%2Fwww.deutschestextarchiv.de%2Fbook%2Fview%2Fgoethe_torquato_1790%3Fp%3D185~GB%3D~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3D~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D)
  3. Verwendete Ausgabe, S. 182, 10. Z.v.u.
  4. Verwendete Ausgabe, S. 1994. Z.v.o.
  5. niederl. Ro Theater
  6. niederl. Lou Landré
  7. Verwendete Ausgabe, S. 209, 6. Z.v.u.
  8. Verwendete Ausgabe, S. 446, erster Eintrag
  9. Pitt Herrmann in den Sonntagsnachrichten (Memento des Originals vom 4. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sn-herne.de Herne
  10. Das Spielbrett
  11. Wolf Banitzki in Theaterkritiken München: Glanz und Elend eines Mimen
  12. Hensel im Nachwort der verwendeten Ausgabe, S. 437, 10. Z.v.u.
  13. Strümpel bei Arnold, S. 64, 8. Z.v.o.
  14. Strümpel bei Arnold, S. 65, 7. Z.v.o.
  15. Bekes, S. 72, 6. Z.v.o.
  16. siehe auch Eisenhans (Film)
  17. span. Teatro Camino