Gleiswechselbetrieb

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 16. September 2021 um 17:40 Uhr durch imported>Anonym~dewiki(31560) (→‎Schweiz).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Zweigleisige Eisenbahnstrecken können im Gleiswechselbetrieb (GWB, nach der französischen Bezeichnung vor allem in der Schweiz auch banalisierter Verkehr) betrieben werden, sodass beide Gleise in beiden Fahrtrichtungen mit vollständiger technischer Sicherung befahren werden können. Die Zugfahrt findet dabei vollständig mit Hauptsignalbegriffen statt. Eine Verringerung der technischen Sicherung wie bei anderen Formen des Fahrens auf dem Gegengleis gibt es hier nicht.

Der erste Abschnitt mit Gleiswechselbetrieb in Deutschland wurde am 17. Oktober 1951 an der Bahnstrecke Bebra–Göttingen zwischen Bebra und Cornberg (in der Fahrtrichtung Bebra–Göttingen) in Betrieb genommen.

Neue Schnellfahrstrecken werden von Beginn an für Gleiswechselbetrieb konzipiert. Altbaustrecken werden zunehmend dafür umgerüstet, da die Betriebsführung bei Störungen und Baustellen vereinfacht wird.

Voraussetzungen

Voraussetzungen für den Gleiswechselbetrieb sind eine entsprechende Ausstattung der Stellwerke sowie eine vollwertige Signalisierung der Streckengleise in beiden Fahrtrichtungen. Aus technischer Sicht kann eine mit Gleiswechselbetrieb ausgestattete Strecke wie zwei parallel verlaufende eingleisige Strecken betrachtet werden, aus betrieblicher Sicht bleibt es jedoch eine zweigleisige Strecke. Auch auf dem Gegengleis darf dann die volle Streckengeschwindigkeit gefahren werden. Während des Wechsels von einem Gleis auf das andere ist die Geschwindigkeit allerdings auf die zulässige Geschwindigkeit der im abzweigenden Strang zu befahrenden Weichen beschränkt, was einen begrenzenden Faktor für den Betrieb ausmacht.

Fahren auf dem Gegengleis mit Hauptsignalen wird dem Triebfahrzeugführer an Ausfahr- und Blocksignalen von Abzweig- und Überleitstellen durch den Gegengleisanzeiger (Signal Zs 6) angekündigt. Er hat dadurch die Information, dass die Fahrt auf das Gegengleis führt oder auf diesem fortgesetzt wird und die Signale auf der freien Strecke bis zur nächsten Betriebsstelle links vom Gleis zu beachten sind.

Bei vollausgebauten Strecken ist die Blockteilung in beiden Gleisen und Richtungen identisch. Damit bieten beide Gleise unabhängig von der Fahrtrichtung dieselbe Leistungsfähigkeit. In der Vergangenheit wurden zahlreiche Strecken für die Fahrten entgegen der gewöhnlichen Fahrtrichtung mit weniger oder ganz ohne Blocksignale ausgerüstet. Dem geringeren Aufwand bei Einrichtung und Instandhaltung steht dann jedoch insbesondere im Störungsfall bei Sperrung eines Gleises oder bei Bauarbeiten eine deutliche Reduzierung der Durchlassfähigkeit gegenüber.

Der Streckenblock einer zweigleisigen Strecke mit Gleiswechselbetrieb entspricht ebenfalls dem von zwei eingleisigen Strecken. Anwendbar ist damit jede zugelassene Blockbauform. Bei hochbelasteten Strecken stellen jedoch selbsttätige Streckenblockformen, die eine dichte Blockteilung ohne zusätzlichen Personalaufwand ermöglichen, die Regelbauart dar. Der Erlaubniswechsel insbesondere bei dezentralen Blockbauarten kann wie bei eingleisigen Stecken ausgeführt werden. Dann verbleibt eine einmal abgegebene Erlaubnis bei der Blockendstelle, die sie erhalten hat, bis sie sie zurückgibt. Die zweite Möglichkeit ist die Erlaubnisschaltung mit Vorzugslage. In diesem Fall befindet sich die Erlaubnis in Grundstellung jeweils bei der Stelle, auf der die Rechtsfahrten (oder Fahrten in das Regelgleis) beginnen. Vor einer Linksfahrt (oder Fahrt im Gegengleis) wird die Erlaubnis aktiv abgegeben. Sie kehrt mit der verkehrenden Zugfahrt jedoch selbsttätig zurück.

Nutzung

Der Gleiswechselbetrieb kann dazu genutzt werden, dass ein Zug einen anderen überholt. Im Gegensatz zum Straßenverkehr ist es hierbei üblich, dass der langsamere Zug das Gleis wechselt, also (bei Rechtsverkehr) rechts überholt wird. Der Grund dafür ist, dass ihn die weichenbedingte Geschwindigkeitsbeschränkung beim Gleiswechsel in geringerem Maß behindert und er in manchen Fällen seine Geschwindigkeit zusätzlich verringern muss, damit das Überholmanöver innerhalb des dafür vorgesehenen Streckenabschnitts durchgeführt werden kann. Ohne Gleiswechselbetrieb müsste der auf einem Ausweichgleis wartende langsamere Zug überholt werden.

Eine weitere Möglichkeit zur Nutzung des Gleiswechselbetriebs besteht darin, annähernd gleich schnelle Züge parallel verkehren zu lassen, falls sich der Betrieb zeitweise auf eine Richtung beschränkt. Ein Beispiel für eine entsprechende Nutzung ist die 1991 in Betrieb genommene Schnellfahrstrecke Mannheim–Stuttgart.

Ebenso kann der Gleiswechselbetrieb genutzt werden, bei vorübergehender Sperrung eines Gleises den Verkehr in beiden Richtungen über das verbleibende Gleis abzuwickeln.

Innerhalb von Bauzuständen kann auch das Fahren auf dem Gegengleis vorübergehend angeordnet werden, wobei dann ebenfalls eine Signalisierung mittels des Gegengleisanzeigers erfolgen muss.

Verwendung des Begriffs

Mit Herausgabe der DB-Konzernrichtlinie (KoRil) 408 Züge fahren und rangieren zum 15. Juni 2003 wurde die Bezeichnung Gleiswechselbetrieb auch im Bereich der ehemaligen Bundesbahn nicht mehr verwendet. Stattdessen wurde die Bezeichnung Fahren auf dem Gegengleis mit Hauptsignal und Signal Zs 6 ständig eingerichtet eingeführt. In anderen Richtlinien, wie zum Beispiel der Richtlinie (Ril) 406 Fahren und Bauen, wurde weiterhin die Bezeichnung Gleiswechselbetrieb verwendet. Mit der Bekanntgabe 10 der Richtlinie 408 vom 10. Juni 2012 wurde wieder der in § 38 Nummer 3 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) benutzte Begriff Gleiswechselbetrieb verwendet.

Im U-Bahn-Bereich benutzen die Hamburger Hochbahn[1] und die Wiener Linien[2] den Begriff "Gleiswechselbetrieb" auch für die Kommunikation mit ihren Fahrgästen.

Schweiz

In der Schweiz wird eine Strecke, die in beiden Richtungen für jedes Gleis Signale besitzt, als mehrspurige Strecke mit Wechselbetrieb bezeichnet. Eine signalmässige Zugfahrstrasse kann freizügig auf jedes Streckengleis gestellt werden, was die heutzutage übliche Ausrüstung mit Signalisations- und Stellwerkstechnik ist.

Eine zweigleisige Strecke mit Signalen nur am Regelgleis heißt zweigleisige Strecke mit Einrichtung für Einspurbetrieb und ist in der Streckentabelle speziell gekennzeichnet. Der Fahrdienstleiter kann auf einer solchen Strecke nach einem festgelegten Prozess den Einspurbetrieb einführen. Anschließend kann der Streckenabschnitt – abhängig von der Ausrüstung des Bahnhofes mit oder ohne quittungspflichtige Verständigung – ohne Einschränkungen auf dem "falschen" Gleis befahren werden, jedoch ist dabei kein Gegenverkehr möglich.[3][4] Strecken mit dieser Ausrüstung werden daher nur auf dem rechten Gleis befahren, wenn auf dem Regelgleis Bauarbeiten stattfinden oder eine Störung auftrat. Währenddessen gilt für den entsprechenden Streckenabschnitt der Einspurbetrieb, das heißt, in beide Richtungen wird, analog zu einer Einspurstrecke, auf nur einem Gleis gefahren.

Inzwischen sehr selten geworden, aber weiterhin anzutreffen, sind zweigleisige Strecken ohne Einrichtung für Einspurbetrieb. Eine solche Strecke kann nicht signalmässig auf dem rechten Gleis befahren werden.

Literatur

  • Sockel: Eisenbahntechnik, Jahrgang 5, Heft 11, Bericht über den einseitigen Gleiswechselbetrieb von Bebra nach Cornberg
  • Blume: Eisenbahntechnische Rundschau, Heft 12/1953, Betriebserfahrungen im Gleiswechselbetrieb Bebra – Cornberg

Einzelnachweise

  1. [1]
  2. [2]
  3. FDV R 300.6 4.5.1
  4. FDV R 300.3 5.6.1