Hamadi Jebali

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 8. Januar 2022 um 14:36 Uhr durch imported>Silewe(957849) (+Normdaten).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Jebali während des WEFs 2012

Hamadi Jebali (arabisch حمادي الجبالي 

Hammadi al-Dschibali

, DMG

Ḥammādī al-Ǧibālī

; * 12. Januar 1949 in Sousse) ist ein tunesischer Ingenieur, Journalist und Politiker. Vom 24. Dezember 2011 bis 19. Februar 2013 war er für die gemäßigt islamistische Ennahda-Bewegung Premierminister Tunesiens.

Ausbildung und Beruf

Jebali wurde 1949 in Sousse geboren. Er studierte Ingenieurwissenschaften.[1] Er erhielt sein Lizenziat in Maschinenbau von der Universität Tunis und schloss ein Magisterstudium in Photovoltaik in Paris ab.[2] Als Experte für Sonnen- und Windenergietechnik gründete er seine eigene Firma in seiner Heimatstadt Sousse.[3]

Politische und journalistische Tätigkeit

1981 schloss er sich der islamistischen Bewegung Tunesiens, die damals Mouvement de la tendance islamique (MTI) hieß, an. Er war Leiter und Chefredakteur von „Al-Fajr“ („Die Morgendämmerung“), der früheren Wochenzeitschrift der islamistischen Ennahda-Partei. Zudem war er langjähriges Vorstandsmitglied und Generalsekretär von Ennahda.[2][4]

Strafverfolgung und Inhaftierung

Im Juni 1990 veröffentlichte Al-Fajr einen Artikel von Raschid al-Ghannuschi unter dem Titel „Das Volk des Staates oder der Staat des Volkes?“. Jebali wurde für die Veröffentlichung verantwortlich gemacht und erhielt eine Bewährungsstrafe sowie eine Geldstrafe in Höhe von 1500 Dinar für die Vergehen der Anstiftung zu Gesetzesverletzungen und des Aufrufs zum Aufruhr. Im November 1990 druckte die Zeitschrift den Aufsatz des Juristen Mohammed Nouri „Wann werden die Militärgerichte, die als Sondergerichte dienen, abgeschafft?“. Diesmal verurteilte Jebali ein Militärgericht zu einem Jahr Gefängnisstrafe für Beleidigung einer Justizinstitution.[2][4]

Im Mai 1992 behauptete die Regierung, sie habe angeblich Pläne der Ennahda zur Tötung des Präsidenten Ben Ali und zur Errichtung eines islamischen Staats aufgedeckt; im August wurde Jebali mit 170 weiteren Ennahda-Anhängern wegen versuchten Umsturzes angeklagt. Jebali beteuerte, dass er von dem Komplott keine Kenntnis habe, und behauptete gefoltert worden zu sein, wobei er Narben an seinem Körper zum Beweis zeigte. Das Verfahren wurde von Beobachtern von Amnesty International, Human Rights Watch und dem Anwaltskomitee für Menschenrechte als unfair bezeichnet. Am 28. August 1992 wurde Jebali wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation und versuchten Staatsstreichs zu einer 16-jährigen Haftstrafe verurteilt.[1] Der Kassationshof bestätigte das Urteil.[2]

Seine Haftbedingungen waren hart. Elf der 15 Jahre saß er in Isolationshaft „ohne Buch, ohne Zeitung, ohne Koran“, wie er bei seinem ersten Auslandsaufenthalt, der ihn nach Berlin führte, berichtete.[5] Jebali trat mehrfach in Hungerstreik, um gegen die Haftbedingungen (Folterungen) und seine Verurteilung zu protestieren.[1] Zwei davon dauerten jeweils 36 Tage an.[2] Im Februar 2006, anlässlich des 50. Jahrestags der Unabhängigkeit Tunesiens, wurde Jebali zur Bewährung entlassen.[1]

Nach der tunesischen Revolution

Nach der Revolution in Tunesien 2010/2011 wurde Ennahda legalisiert. Seitdem war Hamadi Jebali als Generalsekretär und Sprecher der Partei in der Öffentlichkeit präsent. Im Mai 2011 reiste er auf Einladung des Center for the Study of Islam and Democracy nach Washington, D.C., wo er die US-Senatoren John McCain und Joe Lieberman traf.[6]

Nach dem Sieg der Ennahda bei der Wahl zur Verfassunggebenden Versammlung am 23. Oktober 2011 nominierte ihn die Partei für das Amt des Premierministers.[7] Am 24. Dezember 2011 wurde er vom kurz zuvor von der Verfassunggebenden Versammlung gewählten neuen Präsidenten Moncef Marzouki zum Premierminister ernannt. Jebali wird dem Reformflügel seiner Partei zugerechnet.[1]

Nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaïd Anfang Februar 2013 und daraus resultierenden Massenprotesten schlug Jebali die Bildung einer parteilosen Experten-Regierung vor. Die Initiative wurde aber abgelehnt, vor allem aus seiner eigenen Partei. Am 19. Februar 2013 gab Jebali in einer Fernsehansprache seinen Rücktritt vom Amt des Premierministers bekannt.[8]

Weil sich seine Partei im Wahlkampf zur Präsidentschaft Tunesiens Ende 2014 nicht zur Unterstützung des bisherigen Interimspräsidenten Moncef Marzouki entschloss,[9] trat er am 10. Dezember 2014 unter Protest aus seiner Partei aus.[10] Er lehnte es Anfang 2015 ab, sich der neugegründeten Partei des bei der Wahl unterlegenen Marzouki anzuschließen[11] und kündigte im April 2015 an, eine eigene Partei zu gründen, die Front zur Verteidigung der Freiheiten, um eine wirkungsvolle Opposition gegen das von einer äußerst breiten Parlamentsmehrheit unterstützte Kabinett Essid zu bilden.[12]

Weblinks

Commons: Hamadi Jebali – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e Martin Gehlen: Hamadi Jebali – Folteropfer, Regierungschef: „Einen demokratischen Staat errichten“. Porträt. In: Der Tagesspiegel, 15. Dezember 2011.
  2. a b c d e Case Information: Hamadi Jebali. In: Committee on Human Rights, nationalacademies.org (englisch). Abgerufen am 18. Dezember 2011.
  3. Abdelaziz Barrouhi: Hamadi Jebali: „Nous ne prétendons pas être les détenteurs de la vérité en Tunisie.“ In: Jeune Afrique, 13. Mai 2011 (französisch).
  4. a b Cecile Feuillatre: Hamadi Jebali: The Face of Moderate Islamism in Tunisia. In: National Post, 26. Oktober 2011 (englisch).
  5. Christoph Ehrhardt: Erschöpft. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Februar 2013.
  6. Washington Ready to Play Soft Islam Card. In: Maghreb Confidential, 26. Mai 2011 (englisch).
  7. Habib Toumi: Al Nahdha Likely to Front its Secretary General as Prime Minister. In: Gulf News, 26. Oktober 2011 (englisch).
  8. Tunesischer Premier Jebali tritt zurück. In: Süddeutsche.de, 19. Februar 2013.
  9. Eileen Byrne: Major Political Shift to Come as Tunisia Votes for New President. In: The National, 20. Dezember 2014.
  10. Zeineb Marzouk: Hamadi Jebali Resigns from Ennahdha. (Memento des Originals vom 25. April 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tunisia-live.net In: Tunisia-Live.net, 12. Dezember 2014.
  11. Hamadi Jebali: Je ne ferai jamais partie du mouvement créé par Marzouki. In: JawharaFM.net, 6. Januar 2015. Zu dieser Beziehung auch Marwan Chahia: Politique: Hamadi Jébali part en guerre contre Moncef Marzouki. In: Kapitalis.com, 27. April 2015.
  12. Hamadi Jebali annonce le lancement prochain du Front de la défense des libertés. In: BusinessNews.com.tn, 26. April 2015. Zu vorher bereits geäußerten Vermutungen über eine Parteigründung: Hamadi Jebali envisage de lancer un nouveau parti politique. In: Tuniscope.com, 5. Januar 2015.