Conrad Doebbecke

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Conrad Doebbecke (* 26. August 1889; † 8. September 1954 in Berlin) ist ein Todesopfer des DDR-Grenzregimes vor dem Bau der Berliner Mauer. Er wurde in seinem Auto am 10. August 1954 in der Nähe des Grenzübergangs Dreilinden angeschossen und starb an den Folgen etwa einen Monat später.

Leben

Dr. Conrad Doebbecke war vor und während der NS-Diktatur als Jurist in Berlin tätig. 1949 wurde er als „nicht belastet“ entnazifiziert. Er wohnte im West-Berliner Ortsteil Wannsee und besaß einige Häuser in Berlin. Doebbecke litt seit Jahren unter Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium, wodurch seine Urteilskraft stark eingeschränkt war. Deshalb war er 1954 bereits nicht mehr geschäftsfähig und die Polizei hatte ihm den Führerschein abgenommen. Seine Frau nahm es aber hin, dass er trotzdem gelegentlich Ausfahrten unternahm.[1]

Todesumstände

Am 10. August 1954 gegen ein Uhr mittags fuhr Doebbecke von West-Berlin auf der Autobahn nahe an den DDR-Kontrollpunkt Dreilinden heran, wobei er sich auf dem Gebiet der DDR befand. Doebbecke, der an dieser Stelle schon mehrfach gesichtet worden war, stieg aus, besah sich einige Minuten den Verkehr, stieg dann wieder in sein Auto und fuhr zurück nach West-Berlin. Am Grenzkommando Dreilinden bestand eine unklare Befehlslage. Einerseits sollten die DDR-Grenzpolizisten verhindern, dass Zivilisten ihre Kontrolltätigkeit observierten. Außerdem war dieser Straßenabschnitt dem Interzonenverkehr vorbehalten, weshalb andere Fahrzeuge besonders zu kontrollieren waren. Wie viele Befehle in der Grenzpolizei war auch dieser nur mündlich weitergegeben worden, wodurch die Offiziere vor Ort einen erheblich größeren Ermessensspielraum besaßen. Andererseits hatte der sowjetische Stadtkommandant, General Pjotr A. Dibrowa, bis 1955 in letzter Instanz für die ostdeutsche Grenzpolizei in Berlin verantwortlich, nach dem Tod von Joachim Wozniak 1953 jede Kontrolltätigkeit auf diesem Streckenabschnitt untersagt. Aber auch diesen Befehl hatte der Kommandeur der Grenzbereitschaft Blankenfelde nur mündlich an Dreilinden weitergegeben, weshalb er in Vergessenheit geraten war.

Zwei Grenzpolizisten versuchten Doebbecke zu stoppen. Der hielt nicht, sondern erhöhte das Tempo. Nachdem der Unteroffizier, der die Streife befehligte, einen Warnschuss abgegeben hatte, befahl er seinem Untergebenen zu schießen. Von vier abgegebenen Schüssen trafen Doebbecke drei. Durch Einschüsse an der linken Schulter, dem linken Oberschenkel sowie durch einen Beckensteckschuss wurde er schwer verletzt. Doebbecke konnte noch aussteigen, brach dann aber zusammen. Die beiden Grenzpolizisten trugen ihn außer Sicht der vorbeifahrenden Westautos, legten Notverbände an und veranlassten, dass Doebbecke ins Städtische Krankenhaus Potsdam gebracht wurde. Nach einer Notoperation erholte er sich zunächst und es schien, als sei er außer Lebensgefahr. Jedoch starb Doebbecke am 8. September 1954 an den Folgen seiner Verletzungen.[2]

Kurz nach dem Todesfall Wozniak erregten die Schüsse auf Doebbecke großes Aufsehen in West-Berlin. Sämtliche West-Berliner Zeitungen berichteten.[3] Der Zwischenfall führte zu Verstimmungen zwischen den Besatzungsmächten. Der amerikanische Stadtkommandant, General George Honnen, protestierte beim sowjetischen Stadtkommandanten gegen den „Akt reiner Willkür“. Honnen betonte, auch unter Bezug auf Wozniak, der „wahllose und rücksichtslose Gebrauch von Feuerwaffen“ sei unangemessen. Er ersuchte den sowjetischen Kommandanten, die Serie von Zwischenfällen „durch entsprechende Maßnahmen“ zu beenden.[4] Außer der Staatssicherheit ermittelten sowjetische Behörden den Vorfall, aber auch die West-Berliner Polizei.

Nach dem Mauerfall leitete die Staatsanwaltschaft Berlin 1998 neue Ermittlungen wegen Totschlags ein. Die Grenzpolizisten hätten nicht auf die Reifen geschossen, sondern „in tötungsgeeigneter Weise“ auf Wagen und Insassen, wobei sie eine schwere Verletzung oder sogar den Tod des Fahrers in Kauf nahmen. Da jedoch eine polizeiliche Untersuchung stattgefunden hatte, bei der die Schützen als Beschuldigte vernommen worden waren, so der ermittelnde Staatsanwalt, könne man nicht von einem Ruhen der Verjährung ausgehen, weshalb das Verfahren einzustellen sei.[5] Dabei wurde unterstellt, die damalige Untersuchung durch die Grenzpolizei und die Staatssicherheit habe im Grunde rechtsstaatlichen Prinzipien genügt.

Literatur

  • Gerhard Sälter, Johanna Dietrich, Fabian Kuhn: Die vergessenen Toten. Todesopfer des DDR-Grenzregimes in Berlin von der Teilung bis zum Mauerbau (1948–1961). Ch. Links, Berlin 2016, ISBN 978-3-86153-933-9, S. 175–180.

Einzelnachweise

  1. Gerhard Sälter, Johanna Dietrich, Fabian Kuhn: Die vergessenen Toten. Todesopfer des DDR-Grenzregimes in Berlin von der Teilung bis zum Mauerbau (1948-1961), Berlin 2016, S. 175–178.
  2. Gerhard Sälter, Johanna Dietrich, Fabian Kuhn: Die vergessenen Toten. Todesopfer des DDR-Grenzregimes in Berlin von der Teilung bis zum Mauerbau (1948-1961), Berlin 2016, S. 175–180.
  3. "Schwerer Zwischenfall an der Zonengrenze", Der Tagesspiegel, 11. August 1954; "Mord auf der Autobahn?", Berliner Morgenpost, 11. August 1954.
  4. "US-Protest gegen den Feuerüberfall auf der Autobahn", Berliner Morgenpost, 15. August 1954; siehe: Hans J. Reichardt, Joachim Drogmann, Hanns U. Treutler: Berlin. Chronik der Jahre 1951-1954, Berlin 1968 (Berliner Zeitgeschichte, Bd. 5, hg. LAB im Auftrag des Senats von Berlin), S. 1130, 1134, 1148–1149.
  5. Gerhard Sälter, Johanna Dietrich, Fabian Kuhn: Die vergessenen Toten. Todesopfer des DDR-Grenzregimes in Berlin von der Teilung bis zum Mauerbau (1948-1961), Berlin 2016, S. 180