Gisbert Rittig

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Gisbert Rittig (* 3. März 1904 in Falkenau an der Eger, Österreich-Ungarn; † 20. Juni 1984 in Herrsching am Ammersee) war ein deutscher Ökonom. Er lehrte an der Georg-August-Universität Göttingen und gilt als wichtiger Gemeinwirtschaftstheoretiker der Bundesrepublik.

Leben

Rittig hatte mütterlicherseits böhmisch-hugenottische Vorfahren und stammte selbst aus dem Sudetenland in der Nähe von Eger.[1] Er wuchs in Prag auf und besuchte die dortige Evangelische Deutsche Schule und das Smichower Realgymnasium.

Rittig studierte von 1924 bis 1931 Rechts- und Staatswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München.[2] 1927 machte er den Abschluss als Diplom-Volkswirt.[2] 1930 wurde er bei Otto von Zwiedineck-Südenhorst[3] mit der Dissertation Über das Verhältnis objektiver und subjektiver Momente in der nationalökonomischen Preislehre zum Dr. rer. oec. promoviert.[2]

1933 trat er in die SA ein. Außerdem war er Mitglied der Sudetendeutschen Partei und des Sudetendeutschen Freikorps. Von 1936 bis 1940[4] war er tätig (ab 1937 als außerordentlicher Assistent[5]) bei Ernst Schuster am Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik der Universität Heidelberg. Dort habilitierte er sich 1937 – nachdem er sich eine nationalsozialistisch gefestigte Gesinnung bescheinigen ließ[1] – mit der Arbeit Die Zeit in der Wirtschaft. Eine Untersuchung über die Zeit in der nationalökonomischen Theorie.[6]

Von 1939 bis 1940 vertrat er die Professur für Wirtschaftliche Staatswissenschaften (Prof. Günter Schmölders) an der Universität Breslau.[6] Als Soldat und Dolmetscher diente er ab Juni 1940 in der Wehrmacht.[2] Ein Ruf an die Universität Posen (1941) scheiterte aufgrund seines jungen Alters am Votum der Hochschulkommission der NSDAP.[7] Die Vertretung an der Universität Göttingen konnte er wegen der Einberufungspraxis nur halbherzig erfüllen. 1943 untersuchte er Preisfragen für das Reichsernährungsministerium. 1943/44 vertrat er Carl Brinkmann an den Universitäten Heidelberg und Göttingen.[7] 1944[7] wurde er gerade im Dienst an der Ostfront als Extraordinarius (Nachfolge von Siegfried Wendt) an die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Göttingen berufen.

1946 wurde er zunächst Lehrbeauftragter an der Georg-August-Universität Göttingen.[8] Von 1951 bis 1973 war er ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre und Versicherungswesen.[6] Außerdem war er Direktor des Seminars für Versicherungswissenschaft und des Volkswirtschaftlichen Seminars.[6] Von 1968 bis 1973 leitete er die Zentralstelle für auswärtige Seminarkurse in Göttingen.[6] Er hatte in Göttingen den Vorsitz des Studentenwerks inne und war von 1948 bis 1975 Vorsitzender der Volkshochschule Göttingen.[2] 1961 war er Gründungsvorsitzender des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultätentages.

Rittig knüpfte in der Nachkriegszeit an die Theorie der Gemeinwirtschaft an.[9] Er war 1953 Gründungsmitglied und von 1973 bis 1977 stellvertretender Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft.[10]

Er war bereits ab 1931 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und in den 1950er Jahren an der Ausarbeitung des Godesberger Programms beteiligt.[2] Bei der Bundestagswahl 1961 kandidierte er für die SPD auf Listenplatz 35 der Landesliste Niedersachsen.[11] Ab 1954 war er Mitherausgeber der linksliberalen Zeitschrift Neue Gesellschaft.[2] Er war auch u. a. Herausgeber der deutschen Ausgabe des Einführungswerkes The Theory of Capitalist Development des US-amerikanischen marxistischen Nationalökonomen Paul Sweezy.

Rittig lebte zuletzt in Herrsching am Ammersee (Breitbrunn).[6]

Schriften (Auswahl)

  • Der soziale Preis. Fischer, Jena 1935.
  • Sozialismus heute. Zur Selbstbesinnung des Sozialismus. Dietz, Hannover 1954.
  • hrsg. mit Heinz-Dietrich Ortlieb: Gemeinwirtschaft im Wandel der Gesellschaft. Festschrift für Hans Ritschl zu seinem 75. Geburtstag. Allgemeine Verlagsgesellschaft, Berlin 1972.
  • Gemeinwirtschaftsprinzip und Preisbildung bei öffentlichen Unternehmen unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten (= Schriftenreihe Gemeinwirtschaft. Nr. 25). Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main u. a. 1977.

Literatur

  • Karl Oettle (Hrsg.): Öffentliche Güter und öffentliche Unternehmen. Beiträge zur Relevanz der Theorie der öffentlichen Güter für die öffentlichen Unternehmen. Gisbert Rittig zum 80. Geburtstag gewidmet (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft. Heft 25). Nomos-Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 1984, ISBN 3-7890-0883-4.
  • Kilian Schultes: Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Heidelberg 1934–1946. Dissertation, Universität Heidelberg, 2007. (darin: Die Zeit in der Wirtschaft. Eine Untersuchung über die Zeit in der nationalökonomischen Theorie, Gisbert Rittig, Juli 1937 / S. 204 ff.) – z. T. veröffentlicht in Die Universität Heidelberg Im Nationalsozialismus; Volltext-PDF über UB Heidelberg.
  • Theo Thiemeyer: Gisbert Rittig zum Gedächtnis. In: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 7 (1984) 4, S. 547–550.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Kilian Schultes: Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. In: Wolfgang U. Eckart, Volker Seilin, Elke Wolgast (Hrsg.): Die Universität Heidelberg Im Nationalsozialismus. Springer, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-21442-7, S. 597.
  2. a b c d e f g Siehe Biographie im Anhang: Günter Blümel, Wolfgang Natonek: „Das edle Bestreben, der breiten Masse zu nützen“. Beiträge zur Geschichte der Volkshochschule Göttingen. Universitätsverlag Göttingen, Göttingen 2013, ISBN 978-3-86395-125-2, S. 336.
  3. Kilian Schultes: Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. In: Wolfgang U. Eckart, Volker Seilin, Elke Wolgast (Hrsg.): Die Universität Heidelberg Im Nationalsozialismus. Springer, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-21442-7, S. 584.
  4. Kilian Schultes: Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. In: Wolfgang U. Eckart, Volker Seilin, Elke Wolgast (Hrsg.): Die Universität Heidelberg Im Nationalsozialismus. Springer, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-21442-7, S. 615.
  5. Kilian Schultes: Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. In: Wolfgang U. Eckart, Volker Seilin, Elke Wolgast (Hrsg.): Die Universität Heidelberg Im Nationalsozialismus. Springer, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-21442-7, S. 616.
  6. a b c d e f Karl-Heinz Schmidt: „Politik ist jede ordnende Gestaltung sozialen Lebens“. Schwerpunkte und Anregungen in Wilhelm Abels Beiträgen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. In: Markus A. Denzel (Hrsg.): Wirtschaft – Politik – Geschichte. Beiträge zum Gedenkkolloquium anläßlich des 100. Geburtstages von Wilhelm Abel am 16. Oktober 2004 in Leipzig (= Studien zur Gewerbe- und Handelsgeschichte der vorindustriellen Zeit. Nr. 24). Steiner, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08633-1, S. 80.
  7. a b c Kilian Schultes: Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. In: Wolfgang U. Eckart, Volker Seilin, Elke Wolgast (Hrsg.): Die Universität Heidelberg Im Nationalsozialismus. Springer, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-540-21442-7, S. 574.
  8. Matthias Groß: Die nationalsozialistische „Umwandlung“ der ökonomischen Institute. In: Heinrich Becker, Hans-Joachim Dahms, Cornelia Wegeler (Hrsg.): Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. 2. Auflage, Saur, München 1998, ISBN 3-598-10853-2, S. 175.
  9. Theo Thiemeyer: Zur Theorie der Gemeinwirtschaft in der Wirtschaftswissenschaft. In: Gewerkschaftliche Monatshefte 3/1972, S. 129–141.
  10. Theo Thiemeyer: Gisbert Rittig zum Gedächtnis. In: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen 7 (1984) 4, S. 547–550.
  11. Martin Schumacher (Hrsg.): M.d.B. – Die Volksvertretung 1946–1972. Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Berlin 2006, S. 1016.