Heilig

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Vignette über dem Seiteneingang der Basilika von Kloster Ottobeuren
Wunderbare Auffindung der Leiche einer Heiligen

Heilig bezeichnet etwas Besonderes, Verehrungswürdiges und stammt wortgeschichtlich von Heil ab, was sich abgeschwächt noch in heil („ganz“) wiederfindet (vgl. englisch

holy

– von

whole

). Im allgemeinen Sprachgebrauch ist heilig ein im Zusammenhang mit Religion gebrauchter Begriff mit der zugedachten Bedeutung „einer Sphäre des Göttlichen, Vollkommenen oder Absoluten angehörig“, so etwa bei dem Heiligen Geist, heiligen Schriften, den Heiligen, heiligen Orten oder heiligen Gegenständen.

Teilweise gleichbedeutend wird, unter anderem in wissenschaftlicher Literatur und im Duden[1], das Fremdwort sakral (von lateinisch sacer) gebraucht, auch als Gegensatz zu profan (weltlich).[2]

Allgemeines

„Das Heilige“ wurde laut Rudolf Otto im 20. Jahrhundert zu einem Element, um den „wahren Gegenstand“ der Religionswissenschaft zu bestimmen. Die Erfahrung des Heiligen bezeichnet er als mysterium tremendum und mysterium fascinans. So sei es zum bestimmenden Element von Religion und zum zentralen Gegenstand der Religionswissenschaft geworden.[3] Burkhard Gladigow zufolge orientiert sich dieser Begriff des Heiligen weitestgehend an jüdisch-christlichen Kategorien des Transzendenten. Er sei daher nicht geeignet, als universale Kategorie der Religionsgeschichte zu dienen, denn der latente monotheistische Hintergrund versperre den Zugang zu den polytheistischen Religionen.[4] Sigmund Freud charakterisierte den Begriff als Oppositionswort, d. h. als einen der Zweideutigkeit bzw. der Ambivalenz von Affektivität unterliegenden Begriff,[5] da er in bestimmten Sinnverbindungen – wie etwa in „heilige Einfalt“ (herablassend für „weltfremde Leichtgläubigkeit“) – auch genau das Gegenteil bedeuten kann.

Manche Stätten, Gebäude, Bäume oder Berge werden als „heilige Orte“ bezeichnet, besonders in animistischen Religionen; aber auch im Christentum und im Islam sowie im Hinduismus und Buddhismus, etwa wenn ein „Heiliger“ (Vollkommener) dort gewirkt hat. Häufig wurden auch Tempel, Kirchen und Moscheen an der Stelle von ehemals heidnischen Heiligtümern errichtet. Schriftreligionen verehren Heilige Schriften – im Christentum die Bibel, im Islam den Koran, im Judentum die Tora.

„Für das Heilige sind Absonderung vom Profanen und unbedingter Verpflichtungscharakter typisch, weil es der Ort kollektiver Identitätsdefinition ist.“

Wolfgang Schluchter[6]

Judentum

Im Judentum ist hebräisch

קדוש

, ein Wort, das vor allem die einfache Bedeutung von „besonders“ oder „das Besondere“ hat und damit im Gegensatz zu profan (im Sinne von „weltlich, normal, alltäglich“) steht.

„Heilig sollt ihr sein, denn heilig bin Ich, JHWH, euer Gott.“

3 Mos 19,2 EU

Die jüdische Tradition versteht „heilig“ auf verschiedene Weisen. Am prominentesten jedoch ist der Bezug auf die Tora und die Gebote, die Gott nach der Überlieferung des Tanachs am Sinai offenbart hat. Der Begriff enthält im Grunde die Trennung zwischen dem Weltlichen, dem Physikalischen, dem Menschlichen einerseits, dem andererseits das ewige Wesen Gott gegenübersteht und es transzendiert. Das Wort, das im Buch Leviticus für diese Trennung steht, hivdil, wird im Buch Genesis in der Schöpfungsgeschichte für den Prozess der Erschaffung benutzt. Die Erschaffung wird dabei als ein Vorgang der ordentlichen Trennung zwischen Land und Wasser, Licht und Dunkelheit – auch Heiligkeit und Profanität, Gerechtigkeit und Willkür verstanden. Die Priesterschaft und Israel – ein Volk von Priestern – sehen sich in der Aufgabe, diese am Sinai geoffenbarte Ordnung zu erhalten, da davon das Wohl jedes Juden bzw. Israeliten, des Volkes Israel, ja sogar das der Menschheit und der Erde abhänge.

Diese Trennung, diese Ordnung scheint nach der Mischna eine graduelle Trennung zu sein, zwischen dem „Allerheiligsten“ und dem „Heiligen“. Die Mischna listet darum „Kreise der Heiligkeit“ auf: Allerheiligstes, Vorraum zum Allerheiligsten, Halle der Priester, Halle der Israeliten, Halle der Frauen, Tempelberg, Mauern von Jerusalem, alle ummauerten Städte Israels und die Grenzen des Heiligen Landes, Eretz Israel. Es gibt Unterscheidungen, was für wen jeweils in welchem Bereich erlaubt ist. Ebenso ist der Kalender unterteilt, so dass der Schabbat sehr heilig ist, wie auch der Tag der Reue Jom Kippur, andere Feste sind heilig, wie die Pilgerfeste. Die Genesis legt die Ordnung von Raum und Zeit ebenso an, mit dem Schabbat, dem Ruhetag Gottes als zeitlichem Höhepunkt und dem Garten Eden als räumlicher Entsprechung zum Tempel.

In der Heiligkeit zeigt sich die Verbindung zu Gott, die es den Geboten gemäß zu ordnen gilt, und die sich in Macht auswirkt, wenn sie nachlässig oder mangelhaft vom Volk der Priester, Israel, unterhalten wird. Es gibt verschiedene Berichte in der Bibel über Krankheit und Zerstörung, hervorgerufen durch unsachgemäße Handhabung oder unreine Behandlung von heiligen Dingen, wie z. B. dem „Allerheiligsten“. Diese Beziehung von göttlicher Ordnung und göttlicher Macht gilt als heilig – daher wird das Heilige in besonderer Weise mit der göttlichen Nähe verbunden. Die genaue Art der Beziehung der göttlichen Macht, Nähe zu den heiligen Dingen ist nicht klar oder einfach ersichtlich, jedoch entspricht Heiligkeit nicht dem ewigen Wesen, Gott. In einfacher Näherung durchwirkt das Ewige Wesen, Gott, in und durch das Heilige die Welt. Im Judentum wird die Nähe Gottes mit der Existenz Israels in Verbindung gebracht. Gläubige Juden beten, bemühen sich die heiligen Gebote zu erfüllen, um so eine nahe Beziehung zu Gott zu erhalten.

Jüdische Gebete, deren Bezeichnung von der Wurzel von „heilig“ abgeleitet ist, heißen Kaddisch, Kiddusch und Keduscha. Letzteres ist ein Teil des Achtzehnbittengebets und bildet den Ursprung des christlichen Sanctus.

Weitere Bedeutungen von heilig/unheilig können parallel verstanden werden mit: rein/unrein (3 Mos 10,10 EU, siehe tahor/tame); frei/unfrei (3 Mos 11,45 EU); heilsam/schadend (2 Mos 20,10.11 EU; Ps 119,66 EU; Spr 4,22 EU; 2 Tim 1,13 EU); wahrhaft/falsch (Ps 93,5 EU; Offb 3,7 EU; 6,10 EU).

Christentum

Neues Testament

Im Neuen Testament gibt es drei griechische Wörter, die mit „heilig“ übersetzt werden:

  • ἅγιος
    – die Übersetzung des hebräischen qadosch in der Septuaginta, im Lateinischen dann mit
    sanctus
    übersetzt. Es ist mit Abstand der häufigste der drei Begriffe im Neuen Testament. Diese Bezeichnung wird für den Heiligen Geist gebraucht, für die Heiligen (die, die Jesus Christus ihren Herrn nennen), damit sind nicht die gesetzlich Frommen gemeint, sondern die von Gott Berufenen.
  • ὅσιος
    – die Übersetzung des hebräischen chasid in der Septuaginta. Mit chasid oder hosios wird der bezeichnet, der gemäß den göttlichen Geboten handelt – die Heiligung des Lebenswandels fällt unter diesen Begriff.
  • ἱερός
    – im Lateinischen dann mit
    sacer
    übersetzt. Gemeint ist das, was der göttlichen Macht gehört oder von ihr erfüllt ist – der Gegensatz zu hieros ist profan.

Im Neuen Testament ist das Wort heilig weniger im Zusammenhang mit Kultus wichtig, sondern in den von Gott gewirkten Lebensäußerungen. Die Grenze zwischen heilig und profan wird relativiert, im Gegensatz zur strengen Trennung der beiden im Judentum: Gott ist Geist, damit erübrigt sich die Frage nach dem rechten Ort für die Anbetung, rein und unrein ist weniger wichtig als die Liebe zum Nächsten (Gleichnis vom barmherzigen Samariter), das Prädikat „heilig“ gilt nicht nur den Priestern, sondern allen Christen.

Römisch-katholische Theologie

Heiligmäßigkeit

In der katholischen und orthodoxen Tradition versteht man unter dem Attribut „heilig“ die Vereinigung mit Gott oder die Angleichung des eigenen Tuns an den Willen Gottes. Erst mit dem Tod ist die unificatio (lat. für „Vereinigung“) ganz möglich. Von einer Person, die sich bemüht hat, diese Vereinigung schon auf Erden zu verwirklichen, sagt man, sie habe ein „heiligmäßiges“ Leben geführt. Der Nachweis der Ausübung heroischer Tugenden ist übliche Voraussetzung für eine Heiligsprechung. Heilige sind Subjekte der Verehrung (Heiligenverehrung, auch Dulie), nicht jedoch der Anbetung (Latrie), die Gott allein vorbehalten ist.

Geläufig sind die Abkürzungen in der Einzahl „hl.“ (z. B. der hl. Antonius) oder „hll.“ (lateinisch Ss.) für mehrere Heilige.

Superlative

Was sich auf eine oder mehrere der göttlichen Personen bezieht, wird auch als „heiligst“ oder „allerheiligst“ (lateinisch sanctissimum, Ss.) bezeichnet. Dazu zählen das Allerheiligste auch das Allerheiligste Altarssakrament, die allerheiligste Dreifaltigkeit, das heiligste Herz Jesu oder der allerheiligste Name Jesu. In Zusammenhang mit der Verehrung der seligen Jungfrau Maria wird auch „seligst“ und „allerseligst“ verwendet.

Evangelische Theologie

In der reformatorischen Tradition ist Heiligung das neue Leben des Christen aus der Rechtfertigung. Wichtige Entwürfe haben unter anderem Martin Luther, Johannes Calvin, John Wesley und Karl Barth vorgelegt.

Sonstiges

Auch das Bahaitum verwendet die adjektiven Begriffe „heilig“ und „heiligst“ in der Bezeichnung Heiligstes Buch. Im traditionellen Glauben der Timoresen steht der Begriff „lulik“ für „heilig“ oder „verboten“ und beinhaltet eine ganze eigene Philosophie.

Ein Vergehen gegen etwas „Heiliges“, speziell gegen ein „Heiligtum“, wird als „Sakrileg“ bezeichnet.

Siehe auch

Literatur

  • Walter Baetke: Das Heilige im Germanischen. J.C.B. Mohr, Tübingen 1942.
  • Carsten Colpe: Über das Heilige. Versuch, seiner Verkennung kritisch vorzubeugen. Hain, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-445-06003-7.
  • Carsten Colpe (Hrsg.): Die Diskussion um das „Heilige“ (= Wege der Forschung Bd. 305). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1977, ISBN 3-534-05280-3 (wichtige Aufsätze aus der Forschung).
  • Albrecht Dihle: Art. Heilig. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. 14, Stuttgart 1988, Sp. 1–63.
  • Mircea Eliade: Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte. (1954) Insel, Frankfurt 1986.
  • Mircea Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 3. Auflage 1987.
  • Wolfgang Gantke: Der umstrittene Begriff des Heiligen. Eine problemorientierte religionswissenschaftliche Untersuchung. Diagonal, Marburg 1998.
  • Burkhard Gladigow: Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte. In: Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme (= Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsband 5). Berlin 1992, S. 3–26.
  • Günter Lanczkowski u. a.: Artikel Heiligkeit – I. Religionsgeschichtlich, II. Altes Testament, III. Neues Testament, IV. Systematisch-theologisch. In: Theologische Realenzyklopädie, Band 14 (1985), S. 695–712.
  • Angelika C. Messner: Annäherungen an das „Heilige“ in kulturwissenschaftlicher Perspektive. In: Angelika C. Messner und Konrad Hirschler (Hrsg.): Heilige Orte in Asien und Afrika. Räume göttlicher Macht und menschlicher Verehrung. Reihe Asien und Afrika, Bd. 11. EB-Verlag, Schenefeld/Hamburg 2006, ISBN 3-936912-19-X, S. 1–17.
  • Rudolf Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (1917). Nachdruck: München 1988.
  • Günther Pöltner (Hrsg.): Auf der Spur des Heiligen: Heideggers Beitrag zur Gottesfrage. Böhlau, Wien 1991, ISBN 3-205-05375-3.
  • Hermann Schmitz: Wie kann ein Ort heilig sein?. In: Angelika C. Messner und Konrad Hirschler (Hrsg.): Heilige Orte in Asien und Afrika. Räume göttlicher Macht und menschlicher Verehrung. Reihe Asien und Afrika, Bd. 11, EB-Verlag, Schenefeld/Hamburg 2006, ISBN 3-936912-19-X, S. 163–177.

Einzelnachweise

  1. https://www.duden.de/rechtschreibung/sakral
  2. Mircea Eliade: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Suhrkamp, Frankfurt, 3. Auflage 1987.
  3. R. Otto: Das Heilige. Die Methode, den Begriff des Heiligen der Gottesidee voranzustellen, hat Gladigow Schleiermacher in seinen Reden über die Religion entwickelt.
  4. Gladigow S. 8.
  5. Sigmund Freud: Der Mann Moses und die monotheistische Religion. (1939) Philipp Reclam jun., Stuttgart 2010; ISBN 978-3-15-018721-0; S. 149.
  6. Die Entstehung des modernen Rationalismus. Eine Analyse von Max Webers Entwicklungsgeschichte des Okzidents. 1. Aufl. Frankfurt am Main 1988. ISBN 3-518-28947-0. S. 108. / mit Verweis auf Émile Durkheim: Soziologie und Philosophie. Frankfurt 1967. S. 124ff.

Weblinks