Ignoramus et ignorabimus
Ignoramus et ignorabimus (lat. „Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen“) ist ein Ausspruch des Physiologen Emil Heinrich Du Bois-Reymond, der als Ausdruck der Skepsis gegenüber den Erklärungsansprüchen der Naturwissenschaften bekannt geworden ist. Das vollständige Zitat lautet:
„Gegenüber den Rätseln der Körperwelt ist der Naturforscher längst gewöhnt, mit männlicher Entsagung sein ‚Ignoramus‘ auszusprechen. Im Rückblick auf die durchlaufene siegreiche Bahn trägt ihn dabei das stille Bewußtsein, daß, wo er jetzt nicht weiß, er wenigstens unter Umständen wissen könnte, und dereinst vielleicht wissen wird. Gegenüber dem Rätsel aber, was Materie und Kraft seien, und wie sie zu denken vermögen, muß er ein für allemal zu dem viel schwerer abzugebenden Wahrspruch sich entschließen: ‚Ignorabimus‘.“
Du Bois-Reymond äußerte die Worte erstmals 1872 in dem Vortrag „Über die Grenzen des Naturerkennens“, den er auf der Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) in Leipzig hielt. Du Bois-Reymond postuliert hier zwei grundsätzliche Grenzen des Naturerkennens: Unerkennbar sei zum einen das Wesen von Materie und Kraft, zum anderen das Verhältnis, in dem Bewusstseinszustände zu ihren materiellen Voraussetzungen stehen.
In seinem 1880 vor der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gehaltenen Vortrag „Die sieben Welträthsel“ unterscheidet er – wie der Titel schon sagt – insgesamt sieben Welträtsel, von denen er einige für grundsätzlich unlösbar hält. Du Bois-Reymonds Thesen erregten große Aufmerksamkeit und wurden sehr kontrovers diskutiert. Ernst Haeckels erfolgreichstes Buch „Die Welträthsel“ etwa ist eine Reaktion auf die Thesen du Bois-Reymonds.
Der Göttinger Mathematiker David Hilbert konterte mit den Worten: "Wir müssen wissen. Wir werden wissen."
Noch heute gibt es in der Philosophie des Geistes – und besonders in der Qualiadebatte – zahlreiche Reaktionen auf die Ignoramus-et-ignorabimus-Rede, da du Bois-Reymond das Bewusstsein für grundsätzlich unerklärlich hielt. Er behauptete:
„Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen ‚Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth…‘“
In neuerer Zeit nahmen etwa Peter Bieri und Hans Flohr zu dieser Haltung Stellung – der erste zustimmend, der zweite ablehnend.
Literatur
- Emil du Bois-Reymond: Über die Grenzen des Naturerkennens. 1872, Nachdruck u. a. in: Emil du Bois-Reymond: Vorträge über Philosophie und Gesellschaft. Meiner, Hamburg 1974
- Emil du Bois-Reymond: Die sieben Welträthsel, 1880, Nachdruck u. a. in: Emil du Bois-Reymond: Vorträge über Philosophie und Gesellschaft. Meiner Hamburg 1974
- Kurt Bayertz, Myriam Gerhard, Walter Jaeschke (Hrsg.): Der Ignorabimus-Streit. Bd. 3 Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert. Meiner, Hamburg 2007, ISBN 978-3-7873-2158-2.
- Myriam Gerhard: Du Bois-Reymonds Ignorabimus als naturphilosophisches Schibboleth. In: Kurt Bayertz, Myriam Gerhard, Walter Jaeschke (Hrsg.): Der Ignorabimus-Streit. Bd. 3 Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert. Meiner, Hamburg 2007, ISBN 978-3-7873-2158-2, S. 241–252
Weblinks
- Über die Grenzen des Naturerkennens, Leipzig: Veit & Comp. 1872 (Erstauflage) Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv
- Über die Grenzen des Naturerkennens (Ed. von 1912: Reden von Emil du Bois-Reymond in zwei Bänden. Erster Band. 2. vervollständigte Auflage, edited by Estelle du Bois-Reymond, 441–473. Leipzig: Veit & Comp.) Digitalisat
- Die sieben Welträtsel Digitalisat