Violinsonate Nr. 9 (Beethoven)
Ludwig van Beethovens Sonate für Klavier und Violine Nr. 9 A-Dur op. 47 entstand 1802 und ist gemeinhin als Kreutzer-Sonate bekannt. Das etwa 40-minütige Werk ist charakterisiert durch Klangfülle (die Violine beginnt mit einem mehrstimmigen Solo), Virtuosität, überraschende Modulationen, weite melodische Bögen und abwechslungsreiche Sätze – vom furiosen ersten Satz über den meditierenden zweiten bis zum jubelnden Finale. Wie alle „Violinsonaten“ von Mozart und Beethoven ist sie „für Pianoforte und Violine“ geschrieben, nicht für „Violine und Klavier“. Diese Bezeichnung kam erst später in der Romantik auf.
Ursprünglich war die Sonate dem Geiger George Bridgetower (1779–1860) gewidmet, der das Werk am 24. Mai 1803 mit Beethoven zur Uraufführung brachte. Nach dem Auftritt soll es jedoch wegen eines Mädchens zu einem Streit zwischen beiden gekommen sein, so dass Beethoven die Widmung wieder tilgte.[1] Laut dem Beethoven-Biographen Thayer hat Bridgetower eine Frau beleidigt, die Beethoven wertschätzte, was ihn äußerst erzürnte.[2] So wurde das Werk dem französischen Violinisten Rodolphe Kreutzer (1766–1831) gewidmet. Hector Berlioz berichtet 1844, dass Kreutzer die Sonate nie gespielt hat und sogar für unspielbar erklärte.[3] Ähnlich äußerte sich Louis Baron de Trémont (1779–1852).[4] Das Stück wurde durch den russischen Schriftsteller Leo Tolstoi aufgegriffen und diente als Inspiration für dessen gleichnamige Novelle Die Kreutzersonate.[5]
Aufbau
Das Stück ist dreisätzig:
- Adagio sostenuto – Presto (etwa 12 Minuten Spieldauer)
- Andante con variazioni (etwa 16 Minuten Spieldauer)
- Presto (etwa 9 Minuten Spieldauer)
Adagio sostenuto – Presto
Die Sonate beginnt mit einer langsamen 18-taktigen Einleitung, wobei nur die ersten vier Solotakte der Violine – mit weiten Akkorden – in A-Dur stehen, ehe das Klavier hinzukommt. Die Harmonien verdunkeln sich und neigen sich dem a-Moll-Bereich zu, die Sonate scheint zu Beginn gleichsam still zu stehen – bis plötzlich ein wütendes a-Moll-Presto anhebt. Charakteristisch sind die kurz angeschlagenen Akkorde beider Instrumente und die rasanten Tremoli und Läufe – nur das leise, sich in ganzen Noten erstreckende 2. Thema in E-Dur, später e-Moll, sorgt für Mäßigung. Die Reprise erfährt einige Änderungen, und zum Ende klingt nochmals das Eröffnungs-Adagio an, bevor der ganze Satz über schnellen Läufen zu Ende geht.
Andante con variazioni
Es folgt ein äußerst kontrastreicher Variationssatz. Eine milde F-Dur-Melodie wird fünfmal sehr facettenreich bearbeitet. In Var. 1 steht das Klavier im Vordergrund: über Triolen wird das durch Triller verzierte Thema gespielt, die Violine gibt vereinzelte (und effektvolle) Tonrepetitionen von sich. Var. 2 hingegen ist die der Violine, die das Thema nun in 32-stel vorträgt. Die Var. 3 lässt die Atmosphäre kurz verdunkeln, denn sie steht in f-Moll. Doch schon die Var. 4 bringt den Hörer zurück zu der leichten, verzierten Stimmung der ersten beiden Variationen, da das Thema nun noch stärker in Figurationen und Triller aufgelöst scheint. Nach einem kurzen Adagio beendet die Var. 5 den Satz zwar mit etwas mehr Dramatik, aber dennoch in unbeschwertem F-Dur.
Presto
Die Ruhe wird jäh unterbrochen durch einen krachenden A-Dur-Akkord, der den virtuosen und überschwänglichen dritten Satz einleitet. Dieser ist eine Tarantella in Rondo-Form und steht im 6/8-Takt. Mehrfach werden Teile im 2/4-Takt eingeschoben, die mit einem etwas ruhigeren Thema in leichtem Gegensatz zum rasenden Rest dieses feurigen Finales stehen. Dieser Satz entstand ursprünglich für die „kleine“ A-Dur-Sonate op. 30 Nr. 1, wurde jedoch von Beethoven in die spätere Sonate übernommen (siehe unten).
Tonart
Die Sonate wird, wenngleich fälschlicherweise, meist als in A-Dur stehend betitelt. Beethoven hat jedoch überhaupt keine Tonart angegeben (siehe Titelblatt oben). Der österreichische Komponist und Musiktheoretiker Gerhard Präsent hat in mehreren Artikeln sowohl dargelegt, dass als Haupttonart dieser Sonate a-Moll anzunehmen ist,[6] als auch thematische Beziehungen zur 6. Violinsonate op. 30 Nr. 1, für die der 3. Satz ursprünglich gedacht war, entdeckt.[7] So ist er der Meinung, dass die einleitenden Solotakte der Violine eine Art Überleitung von der früheren Sonate (bzw. deren strukturellem Material) zur späteren darstellen, wodurch auch belegt wird, dass die Übernahme des Finales von op. 30 Nr. 1 in die Kreutzersonate kompositorische Absicht war – und nicht einer lange vermuteten Zeitnot entsprang.
Aufnahmen
- Opus 47, erster Satz –
- Opus 47, zweiter Satz –
- Opus 47, dritter Satz –
Siehe auch
Literatur
- ESTA-Nachrichten (European String Teachers Association) Nr.51, März 2004, S. 13 ff., Stuttgart
- Mitteilungen des Steirischen Tonkünstlerbundes, Nr. 1/2, Juni 2003, Graz
- Gerhard Präsent: The ‘Kreutzer’ was not written in A major. In: The Strad, London, Oktober 1999, S. 1023
Weblinks
- Violinsonate Nr. 9: Noten und Audiodateien im International Music Score Library Project
- Kreutzersonate 1. Satz, gespielt von Franziska Früh und Thomas Hell 2. Satz 3. Satz
- The Black Violinist Who Inspired Beethoven von Patricia Morrisroe (englisch); in: New York Times, 4 Sep 2020
Einzelnachweise
- ↑ Klaus Martin Kopitz, Rainer Cadenbach (Hrsg.) u. a.: Beethoven aus der Sicht seiner Zeitgenossen in Tagebüchern, Briefen, Gedichten und Erinnerungen. Band 1: Adamberger – Kuffner. Hrsg. von der Beethoven-Forschungsstelle an der Universität der Künste Berlin. Henle, München 2009, ISBN 978-3-87328-120-2, S. 127.
- ↑ Alexander Wheelock Thayer: Thayer’s Life of Beethoven. ed. Elliot Forbes. Princeton University Press, 1993, S. 332–333.
- ↑ Hector Berlioz, Voyage musical en Allemagne et en Italie. Études sur Beethoven, Gluck et Weber. Mélanges et nouvelles, Paris 1844, Band 1, S. 264 (Digitalisat)
- ↑ Klaus Martin Kopitz, Rainer Cadenbach (Hrsg.) u. a.: Beethoven aus der Sicht seiner Zeitgenossen in Tagebüchern, Briefen, Gedichten und Erinnerungen. Band 2: Lachner – Zmeskall. Hrsg. von der Beethoven-Forschungsstelle an der Universität der Künste Berlin. Henle, München 2009, ISBN 978-3-87328-120-2, S. 1020.
- ↑ Ulrike Timm: Artistischer Terrorismus, abgerufen am 12. Dezember 2021
- ↑ literature.at
- ↑ literature.at