Jurte

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Zwei Jurten in der mongolischen Steppe (1994)
Panoramaaufnahme einer kirgisischen Jurte von innen

Die Jurte (türkisch Yurt ‚Heim‘) ist das traditionelle Zelt der Nomaden in Zentralasien, besonders verbreitet in der Mongolei, Kirgisistan und in Kasachstan. Von der Jurte und dem daraus gebildeten Heerlager leitet sich die deutsche Bezeichnung Horde (vom turksprachigen ordu oder orda – seltener ordï – für umherziehende, kriegerische Völkerschaften) ab, wie beispielsweise die Goldene Horde.

Vorgeschichte

Hirtennomaden in der Eurasischen Steppe ohne Jurten aus Filz sind schwer vorstellbar, daher wird angenommen, dass die Entwicklung von Filz und Jurten mit Filzeindeckung mit der Entstehung dieser pastoralen Gesellschaften ursächlich zusammen hängen.[1][2] Der Filz bestand aus Schaf- und Ziegenhaar und teilweise auch Kamelhaar[1] (Altweltkamele wurden erst vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden domestiziert). Belege für derartige textile Architektur der Hirtennomaden der Eurasischen Steppe bestehen seit der späten Bronzezeit.[3] Filzabdeckungen wurden jedoch niemals aus dem vorkolonialen Afrika inklusive Ägypten und auch nie aus dem präkolumbischen Amerika bekannt.[1] In Afrika und Arabien entwickelte sich das Schwarzzelt aus grob gewebtem Ziegenhaar.

Der Architekt Gottfried Semper gilt als einer der bedeutendsten Kenner der textilen Architektur seit der Vorgeschichte.[4][5]

Zentralasien

Kirgisische Jurte
Mongolische Jurten in einer älteren Bauform, 19. Jahrhundert
Mongolische Jurte in der Gobi
Jurtensiedlung am Stadtrand von Ulan Bator in der Mongolei (2003)

Die asiatische Jurte (kasachisch киіз үй, kïis uj; mongolisch гэр, ger; kirgisisch боз үй, bos uj) besteht aus einem runden Holzgerüst, das mit Baumwoll- und Filztextilien eingedeckt wird. Sie kann meist in weniger als einer Stunde demontiert und wiedererrichtet werden und lässt sich verhältnismäßig klein verpacken, so dass für den Transport einer einfacheren Jurte zwei Kamele oder ein kleiner Geländewagen ausreichen.

Mongolische Jurte

Der Holzrahmen einer mongolischen Jurte besteht in der Regel aus mehreren, meist vier oder fünf schulterhohen Scherengittern für die Wand, die auseinandergezogen, aneinander gebunden und zusammen mit dem immer nach Süden weisenden Türrahmen im Kreis aufgestellt werden. In der Mitte tragen zwei etwa zwei bis drei Meter hohe Pfosten die „Krone“, einen runden Dachkranz. In Öffnungen am Rand der Krone werden gerade Dachstangen gesteckt und mit dem Wandgitter verbunden. Die Dachstangen haben in der Regel eine Neigung von etwa 30°. In den Türrahmen wird eine feste, hölzerne Tür eingesetzt anstelle des ehemals üblichen Filzvorhangs. Früher wurde dieses Gerüst auf den Steppenboden gestellt, heute steht es oft auf einem runden Bretterboden. Die Jurte ist jedoch nicht mit dem Boden verankert und auch nicht mittels Zeltschnüren und Heringen befestigt.

Die über diesem Gerüst angebrachte Abdeckung besteht aus mehreren Schichten: Zuunterst liegt ein dünnes, helles Baumwolltuch als Dachhimmel, darauf eine dicke Lage aus Wollfilz zur Wärmedämmung, die ursprünglich auch als wasserdichte Abdeckung diente. Im Winter werden drei oder gar vier Lagen Filz aufgelegt. Heute wird zur Abdichtung als dritte Schicht ein imprägniertes Segeltuch verwendet. Häufig wird darüber noch ein dünnes helles Tuch gelegt, überwiegend aus gestalterischen Gründen, teils mit aufgenähten farbigen Mustern. Um die Jurte werden zwei oder drei horizontale Seile gezurrt, ebenso einige Seile schräg über das Dach, so dass eine selbsttragende, stabile Konstruktion entsteht. Die Öffnungen der Krone können über ein langes Seil mit einem dreieckigen Segeltuch ganz oder teilweise geschlossen werden. Die unteren Ränder können für ein angenehmes Raumklima im Sommer hochgeschlagen werden. Von der Krone hängt ein Seil herab, an das bei Sturm ein schwerer Gegenstand (z. B. Sack) gehängt wird, um die Jurte durch ihr dadurch vergrößertes Eigengewicht zu stabilisieren und festzuhalten.

In der Mitte der Jurte steht ein kleiner Herd (anstelle des früher üblichen offenen Feuers), dessen Ofenrohr durch die Krone ragt, ohne die Stoffabdeckung zu berühren, und ein niedriger Esstisch. Am Rand stehen Betten, die tagsüber als Sitzgelegenheit dienen, und ein oder zwei Kommoden. Seit neuestem findet sich vor mancher Jurte auch ein Solarmodul. Für den Transport einer solchen komfortableren Jurte wird ein Lkw bestellt.

Die robuste mongolische Jurte mit geraden Dachstangen und zwei Mittelpfosten ist eine relativ moderne Form. Die ältere und leichtere Bauform mit über der Wand nach innen gebogenen Dachstangen ist außerhalb der Mongolei (z. B. Kasachstan, Kirgisistan) weiterhin in Gebrauch. Bei noch älteren Formen war die Öffnung in der Mitte nicht durch eine flache Krone abgeschlossen, sondern zylinderförmig nach oben aufgestülpt. Die dadurch erzeugte Kaminwirkung half mit, den Rauch der offenen Feuerstelle abzuführen.

Die Jurte spiegelt in ihrer Einrichtung die soziale und die spirituelle Ordnung der in ihr lebenden Menschen wider. Jedem Familienmitglied ist sein Platz und sein Wirkungsbereich in der Jurte genau zugewiesen. Raumaufteilung und Ausstattung sind hoch optimiert, um bei dem begrenzten Raum und den teils extremen klimatischen Bedingungen Kochen, Arbeiten, Wohnen und Schlafen zu ermöglichen. Eine Vielzahl von Verhaltensregeln ist zu beachten. Die einfacheren verlangen, dass man eine Jurte mit dem rechten Fuß betritt ohne die Schwelle zu berühren, sich im Inneren nicht länger als notwendig stehend aufhält und sich nicht zwischen den beiden Pfosten bewegt.

Mongolische Jurten, Detail der Karte von Abraham Ortelius (1584)

Auch heute noch haben Jurten in der Mongolei eine große Bedeutung; nicht nur die Nomaden, sondern auch Teile der städtischen Bevölkerung leben für einen Teil des Jahres oder ganzjährig in der Jurte, die im Winter teils wärmer ist als die Häuser. Für Veranstaltungszwecke gibt es gelegentlich große Jurten für dreißig und mehr Personen und entsprechend aufwendigere Einrichtung, die aber den gleichen Konstruktionsprinzipien folgen. Auch an heißen Sommertagen lässt sich in diesen Jurten durch Hochbinden der Seitenwände ohne jegliche Klimaanlage ein durchaus angenehmes Raumklima herstellen. Für Touristen gibt es Jurten-Hotels, in denen etwas größere Jurten z. B. als Zweibettzimmer ausgestattet sind und eine sehr große Jurte als Speiseraum dient.

Die mongolische Jurte ist hervorragend an die klimatischen Verhältnisse des Landes mit den extremen Temperaturunterschieden angepasst. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie in einem niederschlagsarmen Land in der Regel in Höhenlagen über 1000 m mit entsprechend dünner und meist trockener Luft und häufigen Winden steht.

Auf der berühmten Chinakarte des Kartographen Abraham Ortelius aus dem Jahre 1584 sind mehrere mongolische Jurten dargestellt. Diese (nach Westen ausgerichtete) Karte ist die erste im Abendland veröffentlichte Detailkarte Chinas.

Kasachische Jurte

Frau in festlicher Kleidung vor kasachischer Jurte (Fotografie von Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorski, 1911)

Die kasachische Jurte folgt zwar den gleichen Bauprinzipien, unterscheidet sich aber von der modernen flachen mongolischen Jurte durch höhere Seitenwände, Dachstangen, die mit gebogenen Enden an den Wänden befestigt sind und steiler zur Krone aufsteigen. Die Jurte hat dadurch runde Schultern und ein steileres, höheres Dach. Die äußere Abdeckung besteht meist aus einem beigen oder grauen Stoff. Die Shangrak genannte Krone ist in der Regel durch mehrere, sich rechtwinklig kreuzende dünne Stangen unterteilt. Das Wappen Kasachstans zeigt ein stilisiertes Shangrak.

Seit die kasachische Bevölkerung in den 1930er Jahren zwangsweise sesshaft wurde, dient die kasachische Jurte auch nicht mehr als ganzjährige Wohnung, sondern nur noch im Sommer als Unterkunft während der Weidewanderungen.

Moderne Jurten in Nordamerika und Europa

In den späten sechziger Jahren entstand in den Vereinigten Staaten von Amerika die Bewegung der Yurt People um Bill Coperthwaite, die den Aufbau der traditionellen Jurten übernommen haben, aber moderne Materialien einsetzten. Aus der Bewegung entstanden dann mehrere Firmen, die Jurten im modernen Stil, zum Teil mit vollem Komfort wie Küche und Bad, entwickelten.

In den letzten Jahren, mit dem Aufkommen von Dokumentarfilmen aus der Mongolei, aber auch dem sanften Tourismus dort, hat die Jurte nochmals an Popularität gewonnen, und so haben sich etliche Jurtenbauer auch in Europa etabliert, die ganzjährig bewohnbare Jurten bauen, die sich auch für europäisches Klima mit höheren Niederschlagsmengen eignen.

Eine industriell hergestellte Jurte mit synthetischem Deckmaterial.
Jurte im Rohzustand

Ableitungen

Jurtenhäuser

In Anlehnung der Jurte sind auch solide jurtenähnliche Häuser entwickelt worden, die sich der Grundgeometrie und Statik der Jurte bedienen, aber eine starre Konstruktion benutzen: die Dachstangen sind in der Holzjurte fest verschraubt und die Wände aus Holzplatten aufgebaut, sie bilden so keinen Kreis, sondern einen polygonalen Innenraum.

Jurten in der Pfadfinder- und Jugendbewegung

Jurten in der Pfadfinder- und Jugendbewegung werden unter dem Sammelbegriff Schwarzzelte der Pfadfinder- und Jugendbewegung geführt. Diese entsprechen nicht mehr ganz den originalen Vorbildern, sondern sind den Bedürfnissen entsprechend angepasst.

Moderne Metallrahmen-Jurte

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: Jurte – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Jurten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Pfadfinderjurten

Einzelnachweise

  1. a b c Berthold Laufer: The early history of felt. In: American Anthropologist, Band 32, Nr. 1, Januar–März 1930, S. 1–18.
  2. Mary E. Burkett: An early date for the origin of felt. In: Anatolian Studies, Band 27, 1977, S. 111–115.
  3. Dinara Chochunbaeva: Kyrgyz felt of the 20th and 21st centuries and its relation to the nomadic past. (PDF) In: Textile Society of America Symposium Proceedings, 2010, Paper 16.
  4. Terhi Kristiina Kuusisto: Textile in Architecture. (Memento des Originals vom 18. April 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/dspace.cc.tut.fi Masterarbeit, Tampere University of Technology, erster Einleitungssatz.
  5. G. Semper: Die vier Elemente der Baukunst (PDF 15,9 MB). Braunschweig 1851;
    The Four Elements of Architecture and other writings. Cambridge University Press, England 1989.