Rötelnimpfstoff

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Rötelnviren

Ein Rötelnimpfstoff ist ein Lebendimpfstoff gegen Infektionen mit dem Rötelnvirus (RuV). Der Rötelnimpfstoff befindet sich auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation.[1]

Eigenschaften

Der Rötelnimpfstoff ist ein attenuierter Lebendimpfstoff. Er basiert auf einem attenuierten Rötelnvirusstamm („Impfstamm“), der in geeignetem Gewebe vermehrt und isoliert wird, und weiteren Begleitstoffen. Mögliche Impfstämme sind z. B. Cendehill (veraltet), HPV-77 (veraltet), Wistar RA 27/3, Takahashi, Matsuura oder TO-336.[2]

In den USA wurden 1969 die ersten drei Rötelnimpfstoffe zugelassen:[3]

  • Der von Maurice Hilleman entwickelte Impfstoff Meruvax; der damals verwendete Impfstamm HPV-77:DE-5 wurde in Entenembryonen („duck embryo“) vermehrt und basiert auf HPV-77 (High Passage Virus - 77 mal passagiert)[4], einem ursprünglich in Nierenzellen von Westlichen Grünmeerkatzen (GMK) attenuierten Impfstamm durch die Arbeit von Paul Parkman and Harry Meyer[5];
  • der Impfstoff Rubelogen, der korrespondierende Impfstamm HPV-77:DK12 wurde in Nierenzellen von Hunden („dog kidney“) vermehrt;
  • und Cendevax, dessen Impfstamm GMK-3:RK53 (Cendelhill) in Nierenzellen von Kaninchen („rabbit kidney“) gezüchtet wurde (GMK-3:RK53 durch die Arbeit von Abel Prinzie und Constant Huygelen[5]).

Nach Zulassung des monovalenten Rötelnimpfstoffes Meruvax-II von MSD 1979 wurden oben alle oben genannten Impfstoffe wegen des besseren Sicherheits- und Wirksamkeitsprofils des Meruvax-II vom Markt genommen. Er basiert auf den Impfstamm Wistar RA 27/3, der gegenüber den anderen Impfstämmen eine beständige Immunogenität entfaltet, eine Resistenz gegenüber eine Reinfektion induziert sowie eine geringe Rate an Nebenwirkungen aufweist.[2]

Das Rötelnvirus (R) des im heute verwendeten Impfstammes „Wistar RA 27/3“ wurde ursprünglich 1965 aus dem Gewebe eines abgetriebenen (A), mit Röteln infizierten Fötus isoliert.[2] 1964 brach eine Rötelnepidemie in den USA aus, deren Ursprung 1963 in Europa lag.[6] Dadurch kam es in den USA zu vielen Abtreibungen aufgrund aufgetretener Rötelnembryofetopathien; das Virus wurde schließlich aus dem 27. abgetriebenen Fötus einer dritten Gewebeprobe (Nierenzellen) isoliert.[6] Anschließend wurde dieser von Stanley Plotkin am Wistar Institute durch 25 Passagen in der humanen embryonalen Fibroblasten-Zelllinie WI-38 nacheinander bei 35, 33 und schließlich 30 °C attenuiert. Ein Vergleich der Aminosäuresequenz der drei äußeren strukturellen Proteine (das Kapsidprotein sowie die beiden Glycoproteine E1 und E2) zeigt, dass sich diese beim Impfstamm Wistar RA 27/3 in insgesamt 31 Aminosäuren vom Wildrötelnvirus unterscheidet.[7]

Mittlerweile sind die meisten Impfstoffe auf Basis des Impfstammes Wistar RA 27/3 weltweit zugelassen[8], nur in Japan bzw. China verwendet man andere Impfstämme wie Matsuura, TO-336 bzw. BRD-II.[2] In Deutschland wird seit den 1980er-Jahren ebenfalls der Impfstamm Wistar RA 27/3 für die Rötelnkomponente eingesetzt.[9] In Impfstoffen werden die Rötelnviren des Impfstammes Wistar RA 27/3 entweder in humanen Zelllinien wie WI-38 (z. B. M-M-RVaxPro[10], ProQuad[11]) oder MRC-5 (z. B. Priorix[12] bzw. Priorix-Tetra[13]) vermehrt.

Rötelnimpfstoffe sind heutzutage üblicherweise Bestandteil der Mehrfachimpfstoffe MMR-Impfstoff (Zulassung USA 1971[14] bzw. Deutschland 1980[15], zusammen mit einem Mumps- und einem Masernimpfstoff) und MMRV-Impfstoff (Zulassung USA 2005[16] bzw. Deutschland 2006,[15] zusätzlich mit einem Varicellaimpfstoff).[17] Seit 2012 ist in Deutschland kein Röteln-Einzelimpfstoff mehr verfügbar.[18]

Immunologie

Nach einer Impfung entstehen neutralisierende Antikörper, die vor einer erneuten Rötelninfektion schützen. Der Impfstoff wird meistens zweimal verabreicht. Nach einer Impfung entstehen in 95 % der über 12-Monate alten Geimpften eine Immunität.[3] Mehr als 90 % der Geimpften sind für mindestens 15 Jahre immun, meistens lebenslang.[3] Die Serokonversion bei einem Rötelnimpfstoff alleine oder bei einem MMR- oder MMRV-Impfstoff sind ähnlich.[3]

Zwar sinkt der Spiegel der nach der Impfung gebildeten spezifischer, sekretorischer Antikörper der Klasse IgA mit der Zeit ab, teilweise sogar unterhalb der Nachweisgrenze. Dennoch besteht auch weiterhin ein Schutz vor einer Erkrankung, möglicherweise aufgrund eines immunologischen Gedächtnisses.[17]

Impfstoffproduktion

Humane diploide Zellkulturen (MRC-5 oder WI-38) werden mit dem Impfstamm (z. B. Wistar RA 27/3) infiziert. Bei Wistar RA 27/3 werden die Zellkulturen bei 30 °C inkubiert, nach 4 bis 7 Tagen wird der virushaltige Überstand entfernt und neues Medium hinzugegeben.[2] Dadurch können alle zwei bis drei Tage virushaltiges Medium für mehrere Wochen gewonnen werden. Vor Lyophilisierung wird dem virushaltigen Medium ein Stabilisator (generell Puffersalze, Saccharose oder Sorbit, Glutaminsäure oder andere Aminosäuren) hinzugegeben, nach Lyophilisierung liegt der Impfstoff hyperton vor.

Der Impfstoff ist recht haltbar.[2] So bleibt die Wirksamkeit bei 4 °C mindestens 5 Jahre bestehen. Nur bei Raumtemperatur verliert der Impfstoff nach 3 Monaten seine Wirksamkeit. Der Impfstoff sollte zwischen 2 und 8 °C im Dunkeln gelagert werden.

Anwendung

Die Impfstoffe liegen lyophilisiert vor und werden in 0,5 ml Wasseraq gelöst.[17] Er sollte dann innerhalb 8 Stunden appliziert werden.[2] Jeder Rötelnimpfstoff enthält mindestens 1000 ZKID50 (zellkulturinfektiöse Dosis 50 %) bzw. PFU (plaque forming units)[2] und Begleitstoffe wie Humanalbumin und Dextran. Spuren an Neomycin können vorhanden sein.[17]

Der Impfstoff wird subkutan verabreicht. Studien über andere Applikationsformen (z. B. eine intranasale Anwendung oder über ein Aerosol) zeigen keine Überlegenheit gegenüber der subkutanen.[2]

Nebenwirkungen

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen bei Mumpsimpfstoffen umfassen Schmerzen an der Einstichstelle und eintägige grippeähnliche Symptome.

Es bestehen keine Sicherheitsdenken gegen weitere MMR-Impfung(en) bei bestehender Immunität gegen eine der Komponenten („Überimpfen“), eine kombinierte Impfung führt auch nicht zu vermehrten unerwünschten Wirkungen.[18][19]

Gegenanzeigen

Kontraindikationen sind Schwangerschaft (einschließlich 4 Wochen vor einer Schwangerschaft)[20] und Immunsuppression.

Handelsnamen

Handelsnamen für Rötelnimpfstoffe sind z. B. Meruvax II. Die seit 1969 zugelassenen Meruvax I, Rubelogen und Cendevax werden seit 1979 nicht mehr verwendet.[3]

Literatur

  • D. M. Knipe, Peter M. Howley, D. E. Griffin, (Hrsg.): Fields Virology. 5. Auflage. Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia 2007, ISBN 978-0-7817-6060-7.

Einzelnachweise

  1. WHO Model List of EssentialMedicines. (PDF) In: World Health Organization. Oktober 2013, abgerufen am 22. April 2014 (englisch).
  2. a b c d e f g h i Susan E. Reef, Stanley A. Plotkin: Rubella Vaccines. In: Stanley A. Plotkin et al. (Hrsg.): Plotkin's Vaccines. 7. Auflage. Elsevier, Philadelphia 2017, ISBN 978-0-323-35761-6, S. 979 ff., doi:10.1016/B978-0-323-35761-6.00052-3 (englisch).
  3. a b c d e Pinkbook Rubella, Epidemiology of Vaccine Preventable Diseases. In: CDC. 25. September 2019, abgerufen am 29. Mai 2020 (englisch).
  4. Jeanette Wilkins et al.: Viremia in a Recipient of HPV-77 Rubella Virus Vaccine. In: California Medicine. Band 110, Nr. 3, März 1969, S. 224–227, PMID 5773481, PMC 1503454 (freier Volltext) – (englisch).
  5. a b Susan L. Plotkin, Stanley A. Plotkin: A Short History of Vaccination. In: Stanley A. Plotkin u. a. (Hrsg.): Plotkin's Vaccines. 7. Auflage. Elsevier, Philadelphia 2017, ISBN 978-0-323-35761-6, S. 11 (englisch, elsevier.com).
  6. a b Stanley A. Plotkin et al.: Attenuation of RA 27/3 Rubella Virus in WI-38 Human Diploid Cells. In: American Journal of Diseases of Children. Band 118, Nr. 2, 1. August 1969, S. 178–185, doi:10.1001/archpedi.1969.02100040180004 (englisch).
  7. Hira L. Nakhasi et al.: Nucleotide sequence of capsid, E2 and E1 protein genes of Rubella virus vaccine strain RA27/3. In: Nucleic Acids Research. Band 17, Nr. 11, 12. Juni 1989, S. 4393–4394, doi:10.1093/nar/17.11.4393, PMID 2740235 (englisch).
  8. Rubella (German Measles). In: WHO. 10. Januar 2014, abgerufen am 29. Mai 2020 (englisch).
  9. A. Tischer, E. Gerike: Rötelnsituation in Deutschland. In: Bundesgesundheitsblatt. Band 43, Dezember 2000, S. 940–949, doi:10.1007/s001030070012 (rki.de [PDF; abgerufen am 29. Mai 2020]).
  10. SmPC M-M-RVaxPro. (PDF) In: EMA. 14. Mai 2020, abgerufen am 29. Mai 2020.
  11. SmPC ProQuad. (PDF) 26. Februar 2020, abgerufen am 29. Mai 2020.
  12. Fachinformation Priorix. (PDF) November 2019, abgerufen am 29. Mai 2020.
  13. Fachinformation Priorix-Tetra. (PDF) Dezember 2019, abgerufen am 29. Mai 2020.
  14. Vaccine Timeline. Abgerufen am 10. Februar 2015.
  15. a b Diskussion um die Masernimpfung. In: Arznei-Telegramm. 2013, abgerufen am 29. Mai 2020.
  16. Deborah Mitchell: The essential guide to children's vaccines. St. Martin's Press, New York 2013, ISBN 978-1-4668-2750-9, S. 127 (englisch, google.ca).
  17. a b c d Ulrich Heininger: Röteln. In: Heinz Spiess, Ulrich Heininger, Wolfgang Jilg (Hrsg.): Impfkompendium. 8. Auflage. Georg Thieme Verlag, 2015, ISBN 978-3-13-498908-3, S. 263–264, doi:10.1055/b-0035-127597.
  18. a b Vorgehen bei Frauen im gebärfähigen Alter zur Vermeidung von Röteln und Varizellen in der Schwangerschaft. In: RKI. 13. Dezember 2018, abgerufen am 29. Mai 2020.
  19. Robert Koch-Institut: Mitteilung der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut:Empfehlung und wissenschaftliche Begründung für die Angleichung der beruflich indizierten Masern-Mumps-Röteln-(MMR-) und Varizellen-Impfung. In: Epidemiologisches Bulletin. Nr. 2, 9. Januar 2020, S. 3–22 (rki.de [PDF]).
  20. Mona Marin et al.: Prevention of varicella: recommendations of the Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP). In: MMWR. Recommendations and reports: Morbidity and mortality weekly report. Recommendations and reports. Band 56, RR-4, 22. Juni 2007, S. 1–40, PMID 17585291 (englisch).