Vikomotorisches Training

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ViKoMotorisches Training setzt sich aus den Begriffen visuell, Kognition und Motorik zusammen. Es bezeichnet das kombinierte Training visueller, kognitiver und motorischer Fähigkeiten. Als Weiterentwicklung konventioneller Trainingsverfahren werden im ViKoMotorischen Training visuelle, kognitive und motorische Funktionen nicht isoliert, sondern kombiniert trainiert. Dies soll einen besseren Transfer zwischen Training und Anwendung sicherstellen und auf diese Weise einen größerer Trainingserfolg erzielen.

Begriff

Der Begriff ViKoMotorisches Training adressiert neuronale Prozesse im Gehirn, die an der Wahrnehmung und Verarbeitung visueller Informationen sowie deren Umsetzung in eine motorische Aktion beteiligt sind. Ziel ist es, die Leistung des Gehirns zu steigern oder zu erhalten. Damit folgt das ViKoMotorische Training dem von der Gesellschaft für Gehirntraining e.V. ausgegebenen Ziel, die geistige Fitness zu fördern.

Im Gegensatz zu konventionellem „Gehirntraining“ (Brain Training) oder „Gehirnjogging“, das häufig auf dem Computer, Tablet oder Handy durchgeführt wird (Simons u. a. 2016), setzt ViKoMotorisches Training auf eine dynamische und interaktive Umgebung. ViKoMotorische Trainingsaufgaben erfordern die Wahrnehmung (visuell) und Verarbeitung (kognitive) von visuellen Informationen sowie deren Umsetzung in eine zielgerichtete Bewegung (motorisch). Im ViKoMotorischen Training sind alle Komponenten notwendig, um die Trainingsaufgabe zu bewältigen. Auf diese Weise soll die Interaktion visueller, kognitiver und motorischer Funktionen in realen Situationen des Alltags oder Sports besser im Training repräsentiert werden. Über verschiedene ViKoMotorische Aufgaben und Anpassungen der Aufgabenschwierigkeit, werden Schwerpunkte auf verschiedene Funktionen gelegt.

Kritik an konventionellem Gehirntraining

Wie jede Form des Training, muss sich auch Gehirntraining daran messen lassen, inwieweit es die Leistung in realen Alltagssituationen verbessern kann (Simons et al. 2016). Dieser Übertrag vom Training in die Anwendung wird auch als Transfer bezeichnet.

Der fehlende Transfer ist ein Hauptkritikpunkt an konventionellem Gehirntraining oder Gehirnjogging. In einer Studie mit über 11.000 Teilnehmern untersuchten Owen et al. (2010) die Effektivität eines 6-wöchigen kognitiven Trainings. Es wurden das Arbeitsgedächtnis, Aufmerksamkeit und Planungsfähigkeit trainiert. Zwar konnte durch das Training die Leistung im Test selbst verbessert werden, ein Transfer auf andere Aufgaben wurde jedoch nicht nachgewiesen.

In einer Analyse von 30 kommerziellen Brain Training Programmen schlussfolgern auch Simons et al. (2016), dass kein ausreichender Nachweis für einen effektiven Transfer von Brain Training besteht. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Meta-Analyse von Sala et al. (2019). Während Brain Training zwar die Leistung in der trainierten kognitiven Aufgabe verbessert, ist ein Transfer auf andere kognitive Fähigkeiten nicht gegeben. Dies wurde sowohl für Kinder, Erwachsene als auch ältere Personen bestätigt.

Ansatz von ViKoMotorischem Training

Als mögliche Ursache für den fehlenden Transfer konventionellem Training wird häufig die fehlende Äquivalenz zwischen der Trainingsaufgabe und den Anforderungen in der realen Situation angeführt (Harris u. a. 2018; Broadbent u. a. 2015). In konventionellem Gehirntraining werden visuelle oder kognitive Prozesse meist isoliert trainiert. Dadurch ist die Trainingsaufgabe häufig weit von realen Anwendungssituationen entfernt. Ausgehend von der „identical elements theory“, die bereits 1922 von Thorndike postuliert wurde, ist der Transfer jedoch von der Überlappung zwischen der Trainingsaufgabe und der späteren Anwendung abhängig (Simons u. a. 2016). Je größer die Überlappung ausfällt, desto stärker ist der erwartete Transfer aus dem Training in die Anwendung.

ViKoMotorisches Training verfolgt das Ziel, visuelle, kognitive und motorische Prozesse nicht isoliert, sondern kombiniert zu trainieren. Dadurch sollen realistische Situationen besser abgebildet und ein stärkerer Transfereffekt im Vergleich zu konventionellem Brain Training erzielt werden. Das ViKoMotorische Training folgt damit dem didaktischen Prinzip des Mehrdimensionalen Lernens[1] sowie der „Ecological Dynamics Perspective“[2] Das „Mehrdimensionale Lernen“ verknüpft in Lern-, Übungs- und Trainingsprozessen mehrere Komponenten des Lernvermögens und unterschiedliche methodische Verfahren, um eine größere Effizienz bei der Aneignung, Verarbeitung und Verbesserung von Kompetenzen und eine höhere Transferwahrscheinlichkeit zu erreichen. Die „Ecological Dynamics Perspective“ postuliert, dass Wahrnehmung, Kognition und Motorik in realistischen Umgebungen direkt miteinander zusammenhängen und entsprechend auch gemeinsam trainiert werden müssen.[3]

So müssen beispielsweise Informationen im Straßenverkehr wahrgenommen, bewertet und in eine motorische Aktion umgesetzt werden. Möchte eine Person mit dem Fahrrad abbiegen, werden die Positionen und Bewegungen anderer Verkehrsteilnehmer wahrgenommen (visuell) und bewertet (kognitiv) werden, bevor die Aktion (motorisch) des Abbiegens oder Anhaltens eingeleitet wird. Gleiches gilt auch im Sport. Die Bewegung von Mit- und Gegenspielern (visuell) werden analysiert und führen beispielsweise zu der Entscheidung (kognitiv), ob ein Ball gepasst oder gehalten wird (motorisch). In realistischen Situationen sind visuelle, kognitive und motorische Prozesse sind somit nicht isoliert, sondern kombiniert zu betrachten und bedingen sich gegenseitig (Renshaw u. a. 2018).

Für das ViKoMotorische Training fehlen bisher wissenschaftliche Studien zu einem direkten Vergleich mit konventionellem Gehirntraining. Aktuelle Untersuchungen kognitiv-motorischen Trainings deuten jedoch darauf hin, dass kombinierte Aufgaben zu stärkeren Trainingseffekten im Vergleich zu einem isolierten Training führen (Herold u. a. 2018; Moreau 2015; Moreau u. a. 2015)

ViKoMotorisches Trainingsbeispiel

Abbildung 1 ??? zeigt ein Beispiel eines ViKoMotorischen Trainings zur Verbesserung des Arbeitsgedächtnisses und der Orientierung. Der Spieler muss die angezeigten Felder schnellstmöglich wahrnehmen (visuell), merken (kognitiv) und ablaufen (motorisch). Im Anschluss (Recall-Phase) werden verschiedene Symbole auf dem Bildschirm angezeigt. Für jedes muss der Spieler entscheiden, ob es einem der abgelaufenen Symbole entspricht.

Visuelle Komponente: Wahrnehmen des angezeigten Feldes und schnellstmögliche Reaktion auf die visuelle Information (Reaktionsfähigkeit).

Kognitive Komponente: Merken der abgelaufenen Symbole während des Laufes und Abrufen während der Recall-Phase (Arbeitsgedächtnis und Orientierung).

Motorische Komponente: Schnellstmögliches Ablaufen der Felder (Koordination und Agilität)

Die Spielleistung ergibt sich aus der Geschwindigkeit des Laufes und der Richtigkeit der erkannten Symbole in der Recall-Phase. Somit sind visuelle, kognitive und motorische Prozesse für die Leistung relevant. Mit zunehmenden Fähigkeiten werden die Aufgaben schwieriger und stellen höhere visuelle, kognitive und motorische Anforderungen an den Spieler. Die Schwierigkeit ViKoMotorischer Trainingsaufgaben wird dem Leistungsniveau individuell angepasst. Dadurch soll für jeden Trainierenden ein effektiver Trainingsreiz erreicht werden.

Zielgruppen

ViKoMotorisches Training richtet sich an alle Altersgruppen und kann sowohl von Kindern, älteren Menschen als auch Leistungssportlern durchgeführt werden. Die Zielstellung liegt im Erhalt sowie in der Verbesserung visueller, kognitiver und motorischer Fertigkeiten. Für ältere Personen soll die Leistungsfähigkeit und damit Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Lebensqualität auch im hohen Alter sichergestellt werden. Athleten sollen durch das Training sportrelevante Fertigkeiten verbessern und einen höheren Leistungsstand erreichen.[4] Für eine stabile langfristige Lernperspektive in selbstregulierten Trainingsprozessen sind zudem auch emotionale und motivationale Komponenten von entscheidender Bedeutung.[5]

Siehe auch

Literatur

  • Broadbent, David P.; Causer, Joe; Williams, A. Mark; Ford, Paul R. (2015): Perceptual-cognitive skill training and its transfer to expert performance in the field: future research directions. In European journal of sport science 15 (4), pp. 322–331. DOI:10.1080/17461391.2014.957727.
  • Harris, David J.; Wilson, Mark R.; Vine, Samuel J. (2018): A Systematic Review of Commercial Cognitive Training Devices: Implications for Use in Sport. In Frontiers in psychology 9, p. 709. DOI:10.3389/fpsyg.2018.00709.
  • Herold, Fabian; Hamacher, Dennis; Schega, Lutz; Müller, Notger G. (2018): Thinking While Moving or Moving While Thinking - Concepts of Motor-Cognitive Training for Cognitive Performance Enhancement. In Frontiers in aging neuroscience 10, p. 228. DOI:10.3389/fnagi.2018.00228.
  • Moreau, David (2015): Brains and Brawn: Complex Motor Activities to Maximize Cognitive Enhancement. In Educational psychology review 27 (3), pp. 475–482. DOI:10.1007/s10648-015-9323-5.
  • Moreau, David; Morrison, Alexandra B.; Conway, Andrew R. A. (2015): An ecological approach to cognitive enhancement: complex motor training. In Acta psychologica 157, pp. 44–55. DOI:10.1016/j.actpsy.2015.02.007.
  • Owen, Adrian M.; Hampshire, Adam; Grahn, Jessica A.; Stenton, Robert; Dajani, Said; Burns, Alistair S. et al. (2010): Putting brain training to the test. In Nature 465 (7299), pp. 775–778. DOI:10.1038/nature09042.
  • Renshaw, Ian; Davids, Keith; Araújo, Duarte; Lucas, Ana; Roberts, William M.; Newcombe, Daniel J.; Franks, Benjamin (2018): Evaluating Weaknesses of „Perceptual-Cognitive Training“ and „Brain Training“ Methods in Sport: An Ecological Dynamics Critique. In Frontiers in psychology 9, p. 2468. DOI:10.3389/fpsyg.2018.02468.
  • Sala, Giovanni; Aksayli, N. Deniz; Tatlidil, K. Semir; Tatsumi, Tomoko; Gondo, Yasuyuki; Gobet, Fernand (2019): Near and Far Transfer in Cognitive Training: A Second-Order Meta-Analysis. In Collabra: Psychology 5 (1). DOI:10.1525/collabra.203.
  • Seifert, Ludovic; Button, Chris; Davids, Keith (2013): Key properties of expert movement systems in sport : an ecological dynamics perspective. In Sports medicine (Auckland, N.Z.) 43 (3), pp. 167–178. DOI:10.1007/s40279-012-0011-z.
  • Simons, Daniel J.; Boot, Walter R.; Charness, Neil; Gathercole, Susan E.; Chabris, Christopher F.; Hambrick, David Z.; Stine-Morrow, Elizabeth A. L. (2016): Do "Brain-Training" Programs Work? In Psychological science in the public interest : a journal of the American Psychological Society 17 (3), pp. 103–186. DOI:10.1177/1529100616661983.

Einzelnachweise

  1. Siegbert Warwitz, Anita Rudolf: Das Prinzip des mehrdimensionalen Lehrens und Lernens. In: Dies.: Projektunterricht. Didaktische Grundlagen und Modelle. Verlag Hofmann. Schorndorf 1977. S. 15–22.
  2. Seifert, Ludovic; Button, Chris; Davids, Keith (2013): Key properties of expert movement systems in sport : an ecological dynamics perspective. In Sports medicine (Auckland, N.Z.) 43 (3), pp. 167–178. DOI:10.1007/s40279-012-0011-z.
  3. Renshaw, Ian; Davids, Keith; Araújo, Duarte; Lucas, Ana; Roberts, William M.; Newcombe, Daniel J.; Franks, Benjamin (2018): Evaluating Weaknesses of "Perceptual-Cognitive Training" and "Brain Training" Methods in Sport: An Ecological Dynamics Critique. In Frontiers in psychology 9, p. 2468. DOI:10.3389/fpsyg.2018.02468.
  4. Siegbert Warwitz, Anita Rudolf: Schwimmen und Retten im mehrdimensionalen Unterricht. In: Dies.: Projektunterricht. Didaktische Grundlagen und Modelle. Verlag Hofmann. Schorndorf 1977. S. 29–60.
  5. Corinna Weber: Interdependenzen zwischen Emotion, Motivation und Kognition in Selbstregulierten Lernprozessen: Befähigung zum lebenslangen Lernen durch Mehrdimensionalität der Lehr-Lernkonzeptionen. Diplomica. Hamburg 2012.