Genbibliothek

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Eine Genbibliothek, auch genomische Bibliothek, DNA-Bibliothek oder Genbank, beherbergt das gesamte Genom eines Organismus in Form von definierten DNA-Teilstücken auf Vektoren in einzelligen Träger-Organismen oder Phagen. Diese Träger-Organismen dienen der Speicherung und Vervielfältigung der Fragmente zum Zweck molekularbiologischer Untersuchungen.

Anlegen einer Genbibliothek

Beim Anlegen einer Genbibliothek werden in der Regel durch enzymatische Verdauung von genomischer DNA mit Restriktionsenzymen zunächst Fragmente des kompletten Genoms eines spezifischen Organismus hergestellt. Jedes Fragment enthält ein oder mehrere Gene und wird separat über einen sog. Vektor in einen einzelligen Organismus (E. coli, S. cerevisiae oder andere) oder Phagen eingeführt. Dieser Prozess wird auch als Transformation bzw. Transduktion bezeichnet. Der Einzeller vervielfältigt einhergehend mit seiner eigenen Vermehrung durch Zellteilung das ihm eingefügte DNA-Fragment und bildet auf entsprechendem Nährboden eine Kolonie. Im Labor werden entsprechend viele Kolonien erzeugt und kultiviert, die benötigt werden um das gesamte Genom eines Organismus, fragmentiert in Einzelkolonien, unterzubringen.

Die Größe der Fragmente hängt maßgeblich von den zur Klonierung verwendeten Vektoren ab. Die Kapazität (maximal fassbare Fragmentgröße) der Vektoren relativ zur Gesamtgröße des Genoms ist in der Regel sehr klein. Heute werden YACs und BACs verwendet, da diese Vektortypen eine recht hohe Fragmentgröße von bis zu etwa 150 kbp bzw. 300 kbp erlauben. Damit kann man das menschliche Genom von grob 3.200.000 kbp in etwas mehr als 10.000 bzw. 20.000 Fragmenten unterbringen. Dies stellt eine enorme Verbesserung im Vergleich zu früheren Methoden dar, bei denen das menschliche Genom noch in 35 kbp- oder sogar 17 kbp-Fragmente unterteilt werden musste. Die DNA-Fragmente können auch in Phagen eingebracht werden, deren Aufnahmekapazität ist allerdings sehr viel geringer (max. 25 kbp) als die der zuvor erwähnten Vektoren.

Ist die Genbibliothek einmal erstellt, kann ein benötigtes DNA-Fragment vervielfältigt werden, indem die Zellen der entsprechenden Kolonie auf einem geeigneten Nährboden zur Vermehrung gebracht werden. Durch spezielle molekularbiologische Techniken kann das DNA-Fragment aus dem Träger-Organismus reisoliert werden. Dabei wird der zur Speicherung und Vervielfältigung genutzte Organismus lysiert, die freigesetzte DNA chemisch aufgereinigt und der eingebrachte Vektor mit dem DNA-Fragment von der Wirts-DNA isoliert (Plasmidpräparation). Im Labor sind die Kolonien in der Regel so gekennzeichnet, dass bekannt ist, welcher Position im Genom das beherbergte Fragment entspricht. Durch Hybridisierung oder durch Sequenzierung und Abgleich der erhaltenen DNA-Sequenz über eine DNA-Sequenzdatenbank (z. B. GenBank) kann die Position des DNA-Fragmentes (und damit der enthaltenen Gene) im Genom allerdings jederzeit überprüft werden.

Genbank-Kulturpflanzen

Weltweit bestanden 2007 ca. 1400 staatlich kontrollierte öffentliche Saatgutbibliotheken die man als „Genbanken der Kulturpflanzen“ bezeichnet. Der weltweit größte Tresor speziell für Samen und Pflanzgut von Nutzpflanzen, das Svalbard Global Seed Vault, entsteht derzeit in Longyearbyen auf Spitzbergen. Tief im permanent gefrorenen Fels der arktischen Insel, die nur etwa tausend Kilometer vom Nordpol entfernt liegt, soll künftig bei Permafrost Saatgut aus aller Welt sicher lagern, geschützt vor Naturkatastrophen, Epidemien oder gar einem Atomkrieg.

Die Lagerstätte wird von der norwegischen Regierung errichtet in Kooperation mit dem Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt, einer UN-nahen Stiftung, die auch von der Bundesregierung (Deutschland) und der Bill & Melinda Gates Foundation gesponsert wird. Hauptziel der Initiative ist eine möglichst vollständige Erhaltung der 21 wichtigsten Nutzpflanzenarten wie Reis, Mais, Weizen, Kartoffeln, Äpfel, Maniok, Wasserbrotwurzel oder Kokosnuss und deren riesiger Sortenvielfalt. Vorrangig werden seltene Kultursorten gebunkert, die für Landwirte in Entwicklungsländern von Bedeutung sind. Der Tresor soll mehrere Millionen Saatgutproben fassen.

Die deutsche "Genbank-Kulturpflanzen" geht auf eine Gründung im Kriegsjahr 1943 zurück die damals in Gatersleben eingerichtet wurde. Das Hauptziel war der Schutz und die Erhaltung der genetischen Vielfalt von landwirtschaftlichen und gärtnerischen Nutzpflanzensorten in Deutschland durch Sicherung von Saat- und Pflanzgut in Kühlhäusern und deren Erhaltungszüchtung durch Nachbau im Feld und Glashaus.

Im Nachkriegsdeutschland wurde in Westdeutschland eine vergleichbare staatliche "Saatgutbibliothek" an der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig eingerichtet, die zunächst unter Dieter Bommer, dann unter Manfred Dambroth eine erfolgreiche Initiative zur Sammlung alter regionaler Landsorten verschiedener Nutzpflanzengattungen und Wildpflanzen durchführte.[1] Im Rahmen der Wiedervereinigung wurde diese Sammlung an das neugegründete Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben übergeben. Dort waren 2007 mehr als 150.000 Saat- und Pflanzgutmuster von über 3000 Nutzpflanzenarten und nahezu 800 Pflanzengattungen in Kühlhäusern gelagert sowie durch Nachbau evaluiert, charakterisiert und dokumentiert.

Siehe auch

Weblinks

Quellen

  • M. Leipold, S. Tausch, C. Reisch, P. Poschlod: Genbank für Wildpflanzen-Saatgut – Bayern Arche zum Erhalt der floristischen Artenvielfalt. UmweltSpezial, 2019, Bayerisches Landesamt für Umwelt, Augsburg, 66 S. (PDF 9,5 MB)
  • Manfred G. Raupp: Anforderungen an eine landwirtschaftliche Datenbank. Situationsanalyse für die Arbeitsgruppe "Ispflanz" der Universität München Weihenstephan. Stutensee/ Staffort 1976.
  • Manfred G. Raupp: Überlegungen zur Lage der deutschen Landwirtschaft, ihrer Weiterentwicklung sowie Konsequenzen für die Tätigkeiten im Bereich Saatgut, Gentechnologie und Industrierohstoffe. Ciba-Geigy, Frankfurt 1985.
  • S. Tausch, M. Leipold, C. Reisch, P. Poschlod: Genbank Bayern Arche – ein Beitrag zum dauerhaften Schutz gefährdeter Pflanzenarten in Bayern. In: Anliegen Natur. Band 37, Nr. 1, 2015, S. 82–91. (PDF 0,7 MB)
  • Nicole C. Karafyllis (Hrsg.): Theorien der Lebendsammlung. Pflanzen, Mikroben und Tiere als Biofakte in Genbanken. Alber, Freiburg 2018 (Lebenswissenschaften im Dialog Bd. 25) ISBN 978-3-495-48975-8

Einzelnachweise

  1. Nicole C. Karafyllis, Uwe Lammers: Big Data in kleinen Dosen. Die Geschichte der westdeutschen Genbank für Kulturpflanzen ‚Braunschweig Genetic Resources Collection‘ (1970-2006) und ihre Biofakte. In: Technikgeschichte. Band 84, Nr. 2, 2017, S. 163–200, doi:10.5771/0040-117X-2017-2.