Richtlinie 2003/87/EG (Emissionshandelsrichtlinie)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 25. Juli 2022 um 07:41 Uhr durch imported>Bendix Grünlich(1169727) (bereits in Unterkategorie enthalten).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Flagge der Europäischen Union

Richtlinie 2003/87/EG

Titel: Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates
Bezeichnung:
(nicht amtlich)
Emissionshandelsrichtlinie
Geltungsbereich: EWR
Rechtsmaterie: Umweltrecht
Grundlage: EGV, insbesondere Artikel 175 Absatz 1
Verfahrensübersicht: Europäische Kommission
Europäisches Parlament
IPEX Wiki
Inkrafttreten: 25. Oktober 2003
In nationales Recht
umzusetzen bis:
31. Dezember 2003
Fundstelle: ABl. L 275 vom 25.10.2003, S. 32–46
Volltext Konsolidierte Fassung (nicht amtlich)
Grundfassung
Regelung muss in nationales Recht umgesetzt worden sein.
Bitte den Hinweis zur geltenden Fassung von Rechtsakten der Europäischen Union beachten!

Die Richtlinie 2003/87/EG (Emissionshandelsrichtlinie)[1] bildet die rechtliche Grundlage für den EU-Emissionshandel, inklusive der Festlegung einer Obergrenze für Emissionen (dem Cap) und der entsprechenden Menge an handelbaren Emissionsrechten (Zertifikaten), dem Verfahren zur Ausgabe der Emissionszertifikate und den einzelnen Zeitabschnitten (Handelsperioden), in denen ein Handel mit Zertifikaten stattfindet.

Ziel der Richtlinie ist es, durch ein Emissionshandelssystem auf möglichst kosteneffiziente und wirtschaftlich verträgliche Weise auf eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen hinzuwirken. Die Richtlinie wurde im Mitentscheidungsverfahren als Teil der EU-Umweltpolitik[2] beschlossen und trat am 25. Oktober 2003 in Kraft.[3]

Die Emissionshandelsrichtlinie greift vor allem für Großindustrien der Sektoren Energieumwandlung und -umformung, Eisenmetallerzeugung und -verarbeitung, Mineralverarbeitende Industrie (Zementindustrie, Kalkindustrie, Glasindustrie und Ziegelindustrie) sowie Papier- und Zellstoffindustrie. Sie erfasst damit knapp die Hälfte der EU-weiten Treibhausgasemissionen. Für die meisten übrigen Sektoren, zum Beispiel Verkehr, Landwirtschaft oder Immobilienwirtschaft, haben die EU-Staaten nach der Lastenteilungsentscheidung aus dem Jahr 2009 durch geeignete Maßnahmen für die ihnen zugeteilten Emissionsminderungen zu sorgen.

Inhalt

Betreiber der von der Richtlinie erfassten Anlagen müssen sich von den Mitgliedsstaaten die Emission von Treibhausgasen genehmigen lassen. Der Betreiber ist verpflichtet, die Emissionen zu überwachen und darüber zu berichten und muss innerhalb von vier Monaten nach Jahresende Zertifikate in Höhe seiner Gesamtemissionen des Jahres abgeben.

Zu Beginn eines Jahres wird eine festgelegte Menge handelbarer Zertifikate ausgegeben: Teilweise wird sie direkt an Anlagenbetreiber zugeteilt, teilweise versteigert. Bis 2012 legten die Mitgliedstaaten in nationalen Zuteilungsplänen[4] – unter Prüfung durch die Europäische Kommission – fest, welche Anlagen wie viele Emissionsberechtigungen erhalten sollten. Nur ein kleiner Teil der Berechtigungen wurde versteigert. Seit Beginn der dritten Handelsperiode 2013 wird eine europaweite Zertifikatmenge festgelegt, die Jahr für Jahr um einen bestimmten Prozentsatz sinkt und zu einem größeren Teil versteigert wird.

Die Richtlinie enthält Vorschriften über Zuteilungspläne und deren Prüfung, über den Anteil kostenlos zugeteilter Zertifikate (Grandfatheriung) und die Übertragung und Löschung von Zertifikaten.

Die Kommission wird beauftragt, Verfahren und Leitlinien zur Überwachung und Berichterstattung zu verabschieden. Mitgliedsstaaten müssen die in ihrem Land ansässigen Anlagenbetreiber überwachen. Die Richtlinie legt Sanktionen fest, darunter eine Strafzahlung in Höhe von 100 Euro je Tonne CO2-eq, falls ein Anlagenbetreiber nicht rechtzeitig Zertifikate in Höhe seiner Emissionen abgibt. Die Strafe fällt zusätzlich zu dem noch nachträglich einzureichenden Zertifikat an.

Die Richtlinie regelt die Einrichtung von nationalen Registern der Mitgliedstaaten, die die ausgegebenen Zertifikate, deren Besitz und alle Transaktionen verzeichnen. Überdies gibt es ein EU-Emissionshandelsregister, das auch dazu dient, die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll zu erfüllen (z. B. hinsichtlich der Ausbuchung oder der Löschung von Kyoto-Einheiten). Mitgliedstaaten müssen jährlich über die Anwendung der Richtlinie berichten, die Kommission muss einen Gesamtbericht vorlegen. Seit 2013 gelten Regeln zur Verwendung der Versteigerungserlöse, die die Staaten erhalten: mindestens 50 % müssen für den Klimaschutz eingesetzt werden.

Mitgliedstaaten können den Handel auf nicht erfasste Anlagen ausweiten. Auf Antrag können unter bestimmten Umständen Anlagen vom Emissionshandel ausgenommen werden

Der Emissionshandel ist in Handelsperioden gegliedert:

  • erste Handelsperiode 2004–2007,
  • zweite Handelsperiode 2008–2012,
  • dritte Handelsperiode 2013–2020,
  • vierte Handelsperiode ab 2021

Entwicklung

Die Emissionshandelsrichtlinie als zentraler Bestandteil der europäischen Klimapolitik erfuhr seit ihrem Inkrafttreten 2003 eine Reihe von wesentlichen Änderungen:

Änderungen der Emissionshandelsrichtlinie
Veröffentlichung Rechtsakt Inhalt
27. Oktober 2004 Richtlinie 2004/101/EG
(Linking-Direktive)
Verknüpfung mit den Offset-Märkten aus Joint Implementation (JI) und Clean Development Mechanism (CDM)
19. November 2008 Richtlinie 2008/101/EG Einbeziehung des Luftverkehrs
11. März 2009 Verordnung (EG) Nr. 219/2009 Anpassung an das Regelungsverfahren mit Kontrolle, damit es künftig angewendet werden kann
23. April 2009 Richtlinie 2009/29/EG umfangreiche Änderungen zur „Verbesserung und Ausweitung“ des Emissionshandels ab 2013: darunter EU-weite Gesamtmenge und Ende der nationalen Allokationspläne, Regeln zur Aufteilung von Zertifikaten auf Mitgliedstaaten und deren Versteigerung, Regeln zur Verwendung der Versteigerungserlöse (mindestens 50 % für Klimaschutz)
17. Dezember 2013 Beschluss Nr. 1359/2013/EU zur Klarstellung der Bestimmungen über den zeitlichen Ablauf von Versteigerungen von Treibhausgasemissionszertifikaten
16. April 2014 Verordnung (EU) Nr. 421/2014 Flüge mit einem Flughafen außerhalb der EU und „in äußerster Randlage“ nehmen aus Rücksicht auf laufende Verhandlungen in der ICAO faktisch nicht mehr am Emissionshandel teil
6. Oktober 2015 Beschluss (EU) 2015/1814 Einführung einer Marktstabilitätsreserve, die ab 2019 eingesetzt wird
29. Dezember 2017 Verordnung (EU) 2017/2392 betrifft den Luftverkehr: verlängert die Ausnahme für Flüge mit einem Flughafen außerhalb der EU und trifft Vorbereitungen für den „globalen marktbasierte Mechanismus“ (CORSIA) der ICAO
19. März 2018 Richtlinie (EU) 2018/410 legt Rahmenbedingungen für die vierte Handelsperiode fest:
  • bestimmt, dass zunächst weiter 43 % der Zertifikate kostenfrei zugeteilt werden sollen und diese Quote bis Ende der Periode auf 0 % sinken soll, verschärft Zuteilungsbenchmarks und regelt Ausnahmen und Kriterien für Bereiche, in denen Produktionsverlagerung und Carbon Leakage befürchtet wird
  • verschärft den bis 2030 gültigen linearen Kürzungsfaktor von 1,74 % auf 2,2 % pro Jahr
  • verdoppelt die Marktstabilitätsreserve
  • erlaubt Mitgliedstaaten die freiwillige Löschung von Zertifikaten
  • erklärt ab dem 1. Januar 2013 erteilte Zertifikate für unbegrenzt gültig (das Umtauschverfahren von Periode zu Periode entfällt)
  • sieht einen Modernisierungs- und Innovationsfonds für emissionsärmere Technologien und dessen Ausstattung mit Zertifikaten und Versteigerungserlösen vor

Ergänzende Rechtsakte

Die Emissionshandelsrichtlinie als Hauptdokument zum EU-Emissionshandel wird durch eine Reihe weiterer Rechtsakte konkretisiert und ergänzt.

Ergänzungen zur Emissionshandelsrichtlinie
Veröffentlichung Rechtsakt
(Kurzbezeichnung)[5]
Inhalt
7. Oktober 2010 Verordnung (EU) Nr. 920/2010 standardisiertes und sicheres Registrierungssystem (EU-Emissionshandelsregister), aufgehoben durch Verordnung (EU) Nr. 389/2013 (Festlegung eines Unionsregisters)
12. November 2010 Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 Anforderungen an Auktionsplattformen, Auktionsverfahren und -kalender
27. April 2011 Beschluss 2011/278/EU
(Benchmarking-Beschluss)
Festlegung eines Benchmarks für die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate: Ausgangspunkt sind die Durchschnittsemissionen der Produktion in den 10 % effizientesten Anlagen eines Sektors
21. Juni 2012 Verordnung (EU) Nr. 601/2012[6]
(Monitoring-Verordnung)
ab der dritten Handelsperiode: Einzelheiten zur vollständigen, konsistenten, transparenten und genauen Überwachung der Treibhausgasemissionen und zur Berichterstattung,

Anforderungen an die Prüfung der Berichte und Näheres zur Akkreditierung von Prüfstellen

21. Juni 2012 Verordnung (EU) Nr. 600/2012
(Akkreditierungs- und Verifizierungsverordnung)
2. Mai 2011 Verordnung (EU) Nr. 389/2013[7]
(EG-RegVo, EG-Register-Verordnung)
ab der dritten Handelsperiode: Festlegung eines Unionsregisters mit nationalen Konten für den EU-Emissionshandel, dessen Anknüpfung an den Kyoto-Emissionshandel und die Erfassung von Emissionen, die unter die Lastenteilungsentscheidung fallen
5. September 2013 Beschluss 2013/448/EU Mengenanpassungen, u. a. wegen des EU-Beitritts von Kroatien, Einbeziehung zusätzlicher Sektoren in Italien und dem Vereinigten Königreich
8. November 2013 Verordnung (EU) Nr. 1123/2013
(RICE-Verordnung)
legt Grenzen für die Verwendung von Offset-Zertifikaten aus der Joint Implementation und dem Clean Development Mechanism des Kyoto-Protokolls fest
27. Oktober 2014 Beschluss 2014/746/EU[8]
(Carbon-Leakage-Beschluss)
Carbon-Leakage-Liste: benennt 175 Sektoren, für die ein hohes Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen (Carbon Leakage) gesehen wird; diese erhalten ab 2015 100 % des Zuteilungsbenchmarks kostenlos
6. Oktober 2015 Beschluss (EU) 2015/1814 Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve

Umsetzung

Deutschland

Die Umsetzung in nationales Recht erfolgte in Deutschland über das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG). Die erste Fassung wurde am 12. März 2004 vom Bundestag angenommen, am 11. Juni 2004 vom Bundesrat verabschiedet und trat am 15. Juli 2004 in Kraft. Eine überarbeitete Fassung wurde 2011 verabschiedet. Gemäß § 4 TEHG bedarf die Freisetzung von Treibhausgasen einer Genehmigung. Des Weiteren muss für jede emittierte Tonne CO2 eine Berechtigung in Form eines Emissionszertifikates spätestens am 30. April des Folgejahres an die zuständige Behörde abgegeben werden (TEHG § 6 Abs. 1). Die kostenlose Zuteilung der Emissionszertifikate war in Deutschland für die erste und zweite Handelsperiode in Zuteilungsgesetzen (ZuG) geregelt. Seit Einführung EU-weit einheitlicher Zuteilungsregeln im Benchmarking-Beschluss 2011/278/EU zur dritten Handelsperiode setzen Zuteilungsverordnungen[9] die europäischen Regeln um.

Wolfgang Gründinger urteilte 2012, Deutschland („die größte Verschmutzernation“) habe den Markt mit Lizenzen überschwemmt und einflussreichen Kohleunternehmen großzügige Privilegien eingeräumt.[10]

„Der Emissionshandel ist ein Paradebeispiel für ein umweltökonomisches Klimaschutzinstrument, das zum Flaggschiff europäischer Klimapolitik avancieren sollte, aber zum Zankapfel harter Verteilungskämpfe wurde. […] In der ersten Einführungsphase des Emissionshandels (2005–2007) verteilten drei der sechs größten Verschmutzernationen mehr Emissionsberechtigungen an ihre Industrie, als diese eigentlich benötigte – was dem Sinn und Zweck des Emissionshandels, nämlich der Verknappung der Emissionsrechte, zuwiderläuft. Auch in Deutschland […] kam es zu einer Überausstattung um 4,3 %. Großbritannien, der europaweit zweitgrößte Verschmutzer, gab hingegen 17,7 % weniger Zertifikate aus als benötigt.“

Wolfgang Gründinger: Lobbyismus im Klimaschutz[11]

Österreich

In Österreich erfolgte die Umsetzung der Emissionsrichtlinie durch das Emissionszertifikategesetz. Es wurde in seiner ersten Fassung am 30. April 2004 im Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich veröffentlicht.[12] Im Dezember 2011 wurde es neu als „Emissionszertifikategesetz 2011“ herausgegeben.[13][14]

Literatur

  • Wolfgang Gründinger: Lobbyismus im Klimaschutz. Der Einfluss der Interessengruppen auf die nationale Ausgestaltung des EU-Emissionshandels. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2012, ISBN 978-3-531-18348-0.

Weblinks

Fußnoten

  1. Langtext Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 96/61/EG des Rates
  2. Art. 192 (1) (ex-Artkel 175 EGV)
  3. siehe „Document Information“ und „Procedure“ unter Richtlinie 2003/87/EG
  4. Artikel 9 der Richtlinie 2003/87/EG in der Fassung von 2003.
  5. Kurzbezeichnungen anhand Emissionshandel verstehen – Gesetze und Verordnungen. Umweltbundesamt – Deutsche Emissionshandelsstelle (DeHst), abgerufen am 29. November 2017.
  6. Löste die Monitoring-Leitlinien der 1. und 2. Handelsperiode ab: Entscheidung 2004/156/EG (Monitoring-Leitlinien der 1. Handelsperiode) und Entscheidung 2007/589/EG (Monitoring-Leitlinien der 2. Handelsperiode, konsolidierte Fassung).
  7. ersetzte die Register-Verordnungen 2011 (Nr. 1193/2011) und 2010 (Nr. 920/2010).
  8. Vorläufer war Beschluss 2010/2/EU mit 164 Sektoren.
  9. Zuteilungsverordnung 2020 (ZuV 2020)
  10. Wolfgang Gründinger: Lobbyismus im Klimaschutz. Der Einfluss der Interessengruppen auf die nationale Ausgestaltung des EU-Emissionshandels. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2012, ISBN 978-3-531-18348-0, S. 8 (Zusammenfassung); Kapitel 6 (S. 760–781): Verwässerung des Emissionshandels durch Industrie und Energiewirtschaft
  11. Wolfgang Gründinger: Lobbyismus im Klimaschutz. Der Einfluss der Interessengruppen auf die nationale Ausgestaltung des EU-Emissionshandels. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2012, ISBN 978-3-531-18348-0, S. 11 (kursive Hervorhebung im Original).
  12. BGBl. I Nr. 46/2004
  13. Emissionszertifikategesetz 2011
  14. BGBl. I Nr. 46/2004 idF BGBl. I Nr. 111/2010