Divergenzvorlage

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Divergenzvorlage ist im Verfahrensrecht die gesetzliche Pflicht eines Gerichts, das von einer Entscheidung eines anderen Gerichtes der gleichen Stufe oder eines obersten Bundesgerichtes in derselben Rechtsfrage abweichen möchte, anstelle eines eigenen Urteils die Sache dem obersten Bundesgericht zur Entscheidung vorzulegen.

Allgemeines

Diese Abweichung wird Außendivergenz genannt, die der Divergenzvorlage ihren Namen gegeben hat. Die Divergenzvorlage ist ein Verfahren zur Schaffung von Rechtssicherheit und zur Wahrung der Rechtseinheit.[1] Die Divergenzvorlage soll der Rechtszersplitterung entgegenwirken.[2]

Rechtsfragen

Divergenzvorlagen müssen alle Fachgerichte und auch Verfassungsgerichte erstellen, wenn die vorgesehene Entscheidung von der bereits ergangenen Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt.[3]

Aus den vielen Rechtsgebieten sollen Verfassungs-, Zivilprozess- und Wettbewerbsrecht beispielhaft herangezogen werden:

Verfassungsrecht

Im Verfassungsrecht sorgt Art. 100 Abs. 3 GG dafür, dass im Falle der Abweichung eines Landesverfassungsgerichts (LVerfG) bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes das betreffende LVerfG die Entscheidung des BVerfG einzuholen hat. Ist die Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 3 Satz 1 GG durch Divergenzvorlage einzuholen, so legt das LVerfG unter Darlegung seiner Rechtsauffassung die Akten dem BVerfG zur Entscheidung vor (§ 85 BVerfGG).

Strafrecht

Für die Strafsenate an den Oberlandesgerichten besteht eine Pflicht zur Divergenzvorlage gem. § 121 Abs. 2 GVG.

Zivilprozessrecht

Will ein Oberlandesgericht (OLG) im Zivilprozess bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG oder des Bundesgerichtshofs (BGH) abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung nach § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof. In diesem Gerichtsstandsbestimmungsverfahren ist eine Divergenzvorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO nur zulässig, wenn der Bundesgerichtshof das nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht ist und sich die Bestimmungszuständigkeit des OLG deshalb aus § 36 Abs. 2 ZPO ergibt.[4]

Eine Divergenz ist auch vorhanden, wenn zwar nicht dieselbe Vorschrift, aber der in anderen Vorschriften enthaltene gleiche Rechtsgrundsatz anders ausgelegt werden soll. Vorlagepflicht zum BGH besteht auch, wenn ein OLG einem anderen OLG beitreten will, von dem inzwischen ein drittes OLG abgewichen ist.[5] Vorlagepflicht bedeutet, dass das OLG keine Entscheidung trifft, sondern das Verfahren dem BGH überträgt.

Wettbewerbsrecht

Will ein OLG im Wettbewerbsrecht von einer Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen, so legt es die Sache gemäß § 179 Abs. 2 GWB dem BGH vor. Dieser entscheidet anstelle des OLG. Der BGH kann sich auf die Entscheidung der Divergenzfrage beschränken und dem Beschwerdegericht die Entscheidung in der Hauptsache übertragen, wenn dies nach dem Sach- und Streitstand des Beschwerdeverfahrens angezeigt scheint.

Bedeutung

Divergenzen kommen relativ häufig vor. Divergenzvorlagen zeigen an, dass unterinstanzliche Gerichte zu derselben Rechtsfrage durchaus auch zu divergierenden Rechtsauffassungen mit unterschiedlichen Rechtssätzen gelangen könnten. Dies würde dazu führen, dass es zu gegensätzlichen Urteilen in ein und derselben Rechtsfrage käme, was die Rechtssicherheit und Rechtseinheit beeinträchtigen würde. Um dies zu verhindern, muss das erkennende Gericht das Organisationsmittel der Divergenzvorlage einsetzen.

Einzelnachweise

  1. Tristan Barczak (Hrsg.), BVerfGG: Mitarbeiterkommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2018, S. 1013
  2. BVerfG, Beschluss vom 15. Oktober 1997, Az.: 2 BvN 1/95 = BVerfGE 96, 345, 373
  3. BVerfG, Beschluss vom 20. November 2019, Az.: 1 BvR 2400/17 = GRUR 2020, 419
  4. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2018, Az.: X ARZ 69/18 = NJW 2018, 2336
  5. Carl Creifelds, Creifelds Rechtswörterbuch, 2000, S. 330