KZ Boizenburg
Das KZ Boizenburg war ein Außenlager des KZ Neuengamme bei Boizenburg/Elbe. Es bestand von August 1944[1] bis zum 28. April 1945.
Geschichte
Im Frühjahr 1944 wurde ein seit Anfang der 1940er-Jahre auf dem Elbberg bestehendes Barackenlager für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter auf seine Tauglichkeit zur Häftlingsunterbringung geprüft.[2] Im Frühsommer 1944 wurde auf diesem Gelände das KZ-Außenlager Boizenburg errichtet.
Das Lager umfasste vier Unterkunftsbaracken in Holzbauweise, eine Küchenbaracke in Massivbauweise, eine Waschbaracke und kleine Nebengebäude (Krankenrevier, Verwaltung) in Holzbauweise sowie einen Wachturm. Die genaue Lage der Baracken und Nebengebäude lässt sich anhand einer Skizze von Augenzeuginnen aus dem Jahr 1946 nachvollziehen.[3]
Im August 1944 wurden 400 arbeitsfähige Jüdinnen, die zumeist aus Ungarn stammten und im Frühjahr 1944 aus ihren Heimatorten vertrieben und in verschiedenen Ghettos eingesperrt worden waren, vom KZ Auschwitz-Birkenau nach Boizenburg gebracht.[4] Der unter unmenschlichen Bedingungen durchgeführte Transport dauerte drei Tage, in denen die Frauen und jungen Mädchen weder ausreichend Nahrung noch Wasser bekamen. Auch junge Jüdinnen aus Rumänien und der Tschechoslowakei wurden in Boizenburg inhaftiert.[5]
Die weiblichen KZ-Häftlinge wurden nach ihrer Ankunft zur Zwangsarbeit in der Werft Thomsen & Co eingesetzt. Dort mussten sie in Zwölf-Stunden-Schichten oder Nachtschichten gemeinsam mit Kriegsgefangenen und zivilen Arbeitern Teile für Flugzeuge und Schiffe produzieren bzw. Kriegsschiffe montieren und Flugzeuge reparieren.[4] Während ihres Arbeitseinsatzes, der u. a. aus Schweiß- und Bohrarbeiten bestand, erlitten die mangelernährten Frauen oftmals schwere Verletzungen, weil sie nicht mit entsprechender Schutzkleidung ausgestattet worden waren. Zudem waren sie ständig den Schikanen und Misshandlungen der zumeist weiblichen SS-Wachmannschaft ausgesetzt.[6] Nach der Einstellung der Arbeiten bei Thomsen & Co im März 1945 auch infolge der zunehmenden Luftangriffe der Alliierten, wurden die KZ-Insassinnen zur Beseitigung von Bombenschäden infolge der Tieffliegerangriffe im Boizenburger Hafen und in den Industriebetrieben eingesetzt.[7][4]
Am 8. März 1945 befanden sich im Lager 399 Insassinnen.[8] Die heranrückende Frontlinie veranlasste die SS, das Lager in den frühen Morgenstunden des 28. April 1945 zu evakuieren.[6] Dies bedeutete Abtransport oder Massenmord der Häftlinge, bevor alliierte Truppen das Lagergebiet erreichen. Die SS trieb die Frauen in Richtung des KZ-Außenlagers Neustadt-Glewe, ein Außenlager des KZ Ravensbrück. Dort wurde ihnen jedoch wegen des vermeintlichen Ausbruchs von Typhus der Zutritt verweigert.[7] Daraufhin mussten die Frauen weiter in Richtung des KZ-Auffanglagers Wöbbelin laufen. Eine Einheit der 82nd US Airborne Division befreite sie am 2. Mai 1945 in der Nähe von Groß Laasch.[9] Nach dem Krieg wurde eine SS-Aufseherin des KZ Außenlagers Boizenburg festgenommen und 1948 zu einer Haftstrafe verurteilt.[10][11][12]
Der Lagerkomplex wurde in den Nachkriegsjahren als Unterkunft für Kriegsflüchtlinge und Vertriebene genutzt. Im Verlauf des Jahres 1956 wurden die Holzbaracken abgerissen. Der massive Küchenkeller, der vom Abriss verschont blieb, diente fortan der Elbewerft als Lagerraum.
Gedenkstätten
Am 3. Oktober 1969 wurde das Denkmal, das vom ehemaligen Boizenburger Bürgermeister und Künstler Günther Zecher (1929–2013)[13] entworfen wurde, unterhalb des ehemaligen KZ-Lagergeländes eingeweiht. Das Denkmal wurde in der Nacht zum 8. Mai 2008 geschändet.[14] Im Zuge der Wiederherstellung wurde die den oberen Abschluss bildende Opferschale entfernt und die Gedenktafel erneuert.
Anfang der 1990er-Jahre wurde die auf dem ehemaligen Lagergelände noch im Originalzustand erhaltene Küchenbaracke unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2000 beherbergt sie das Elbbergmuseum Boizenburg mit einer ständigen Ausstellung über das KZ-Außenlager.
Siehe auch
Literatur
- Ilse Ständer: Das Außenlager Boizenburg des KZ Neuengamme. Heimatmuseum Boizenburg, Boizenburg 1996.
- Hans Ellger: Zwangsarbeit und weibliche Überlebensstrategien, die Geschichte der Frauenaußenlager des Konzentrationslager Neuengamme. Metropol Verlag, Berlin 2007, ISBN 978-3-938690-48-2, S. 128, S. 145, S. 304.
- Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 5: Hinzert, Auschwitz, Neuengamme. C.H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-52965-8, S. 355 ff.
- Marc Buggeln: Das System der KZ-Außenlager: Krieg, Sklavenarbeit und Massengewalt. Gesprächskreis Geschichte Heft Nr. 95. (Hrsg.) Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, ISBN 978-3-86498-090-9, Bonn 2012, Digitalisat (PDF; 5,7 MB); abgerufen am 4. Juni 2017
Weblinks
- Frauenaußenlager Boizenburg. Abgerufen am 8. Januar 2018.
- Offenes Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Abgerufen am 8. Januar 2018.
- Verzeichnis der Konzentrationslager und ihrer Außenkommandos. Abgerufen am 8. Januar 2018.
Einzelnachweise
- ↑ Michael Buddrus (Hrsg.): Mecklenburg im Zweiten Weltkrieg. Die Tagungen des Gauleiters Friedrich Hildebrandt mit den NS-Führungsgremien des Gaues Mecklenburg 1939–1945. Eine Edition der Sitzungsprotokolle. Edition Temmen, Bremen 2009, S. 971 (Anmerkung Nr. 21).
- ↑ Friedrich Stamp: Zwangsarbeit in der Metallindustrie 1939–1945. Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. In: Otto Brenner Stiftung (Hrsg.): Arbeitsheft Nr. 24. Berlin 2001, S. 70, Digitalisat (PDF); abgerufen am 1. Juni 2017.
- ↑ Lageplan des KZ-Außenlagers Boizenburg. (PDF; 331 KB) In: offenes-archiv.de. Abgerufen am 8. Januar 2018.
- ↑ a b c Wiesel, Elie, et al.: NEUENGAMME SUBCAMP SYSTEM – The United States Holocaust Memorial Museum Encyclopedia of Camps and Ghettos, 1933–1945, Volume I: Early Camps, Youth Camps, and Concentration Camps and Subcamps under the SS-Business Administration Main Office (WVHA), edited by Geoffrey P. Megargee, Indiana University Press, 2009, S. 1079–186. JSTOR, abgerufen am 10. August 2022
- ↑ vgl. Interviews von im KZ-Außenlager Boizenburg inhaftierten Zeitzeuginnen
- ↑ a b Katrin Fricke: Am 28. April begann der Todesmarsch. In: svz.de. 28. April 2015; abgerufen am 3. Juni 2017.
- ↑ a b Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 5, C.H. Beck, München 2007, S. 356 f.
- ↑ Häftlingsliste des KZ Außenlager Boizenburg vom 8. März 1945. In: offenes-archiv.de. Abgerufen am 8. Januar 2018.
- ↑ Frauenaußenlager Boizenburg. In: kz-gedenkstaette-neuengamme.de. Abgerufen am 8. Januar 2018.
- ↑ Frank Keil: Gedenkstätte Elbberg in Boizenburg: Schnittstelle zweier Diktaturen. In: taz.de. 2. August 2011; abgerufen am 3. Juni 2017.
- ↑ Friedrich Stamp: Zwangsarbeit in der Metallindustrie 1939–1945. Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern. In: Otto Brenner Stiftung (Hrsg.): Arbeitsheft Nr. 24. Berlin 2001, S. 120, Digitalisat (PDF); abgerufen am 1. Juni 2017.
- ↑ Aussage Oberaufseherin über Lagerstruktur und Lagerleitung, BtSU, MfS BV, Ast. 73/74, Blatt 9 und 35.
- ↑ Knuth Wolfgramm (Hrsg.): Jeder Mensch ein Künstler (Beuys). 200 Jahre Boizenburger bildende Künstler. Neuer Hochschulschriftenverlag, Rostock 1998, ISBN 978-3-929544-71-8, S. 38 f.
- ↑ Mathias Brodkorb: Hakenkreuze auf Ehrenmal für KZ-Häftlinge. In: Endstation Rechts. 13. Mai 2008; abgerufen am 8. Januar 2018.
Koordinaten: 53° 22′ 30,3″ N, 10° 41′ 54,5″ O